Skip to main content

Full text of "Geschichte der Eisenbahnen der Oesterreichisch-ungarischen Monarchie"

See other formats


Google 


This  is  a  digital  copy  of  a  book  that  was  prcscrvod  for  gcncrations  on  library  shclvcs  bcforc  it  was  carcfully  scannod  by  Google  as  pari  of  a  projcct 

to  make  the  world's  books  discoverablc  online. 

It  has  survived  long  enough  for  the  Copyright  to  expire  and  the  book  to  enter  the  public  domain.  A  public  domain  book  is  one  that  was  never  subject 

to  Copyright  or  whose  legal  Copyright  term  has  expired.  Whether  a  book  is  in  the  public  domain  may  vary  country  to  country.  Public  domain  books 

are  our  gateways  to  the  past,  representing  a  wealth  of  history,  cultuie  and  knowledge  that's  often  difficult  to  discover. 

Marks,  notations  and  other  maiginalia  present  in  the  original  volume  will  appear  in  this  flle  -  a  reminder  of  this  book's  long  journcy  from  the 

publisher  to  a  library  and  finally  to  you. 

Usage  guidelines 

Google  is  proud  to  partner  with  libraries  to  digitize  public  domain  materials  and  make  them  widely  accessible.  Public  domain  books  belong  to  the 
public  and  we  are  merely  their  custodians.  Nevertheless,  this  work  is  expensive,  so  in  order  to  keep  providing  this  resource,  we  have  taken  Steps  to 
prcvcnt  abuse  by  commercial  parties,  including  placing  lechnical  restrictions  on  automated  querying. 
We  also  ask  that  you: 

+  Make  non-commercial  use  ofthefiles  We  designed  Google  Book  Search  for  use  by  individuals,  and  we  request  that  you  use  these  files  for 
personal,  non-commercial  purposes. 

+  Refrain  fivm  automated  querying  Do  not  send  automated  queries  of  any  sort  to  Google's  System:  If  you  are  conducting  research  on  machinc 
translation,  optical  character  recognition  or  other  areas  where  access  to  a  laige  amount  of  text  is  helpful,  please  contact  us.  We  encouragc  the 
use  of  public  domain  materials  for  these  purposes  and  may  be  able  to  help. 

+  Maintain  attributionTht  GoogXt  "watermark"  you  see  on  each  flle  is essential  for  informingpcoplcabout  this  projcct  and  hclping  them  lind 
additional  materials  through  Google  Book  Search.  Please  do  not  remove  it. 

+  Keep  it  legal  Whatever  your  use,  remember  that  you  are  lesponsible  for  ensuring  that  what  you  are  doing  is  legal.  Do  not  assume  that  just 
because  we  believe  a  book  is  in  the  public  domain  for  users  in  the  United  States,  that  the  work  is  also  in  the  public  domain  for  users  in  other 
countries.  Whether  a  book  is  still  in  Copyright  varies  from  country  to  country,  and  we  can'l  offer  guidance  on  whether  any  speciflc  use  of 
any  speciflc  book  is  allowed.  Please  do  not  assume  that  a  book's  appearance  in  Google  Book  Search  mcans  it  can  bc  used  in  any  manner 
anywhere  in  the  world.  Copyright  infringement  liabili^  can  be  quite  severe. 

Äbout  Google  Book  Search 

Google's  mission  is  to  organizc  the  world's  Information  and  to  make  it  univcrsally  accessible  and  uscful.   Google  Book  Search  hclps  rcadcrs 
discover  the  world's  books  while  hclping  authors  and  publishers  rcach  ncw  audicnccs.  You  can  search  through  the  füll  icxi  of  ihis  book  on  the  web 

at|http: //books.  google  .com/l 


Google 


IJber  dieses  Buch 

Dies  ist  ein  digitales  Exemplar  eines  Buches,  das  seit  Generationen  in  den  Realen  der  Bibliotheken  aufbewahrt  wurde,  bevor  es  von  Google  im 
Rahmen  eines  Projekts,  mit  dem  die  Bücher  dieser  Welt  online  verfugbar  gemacht  werden  sollen,  sorgfältig  gescannt  wurde. 
Das  Buch  hat  das  Uiheberrecht  überdauert  und  kann  nun  öffentlich  zugänglich  gemacht  werden.  Ein  öffentlich  zugängliches  Buch  ist  ein  Buch, 
das  niemals  Urheberrechten  unterlag  oder  bei  dem  die  Schutzfrist  des  Urheberrechts  abgelaufen  ist.  Ob  ein  Buch  öffentlich  zugänglich  ist,  kann 
von  Land  zu  Land  unterschiedlich  sein.  Öffentlich  zugängliche  Bücher  sind  unser  Tor  zur  Vergangenheit  und  stellen  ein  geschichtliches,  kulturelles 
und  wissenschaftliches  Vermögen  dar,  das  häufig  nur  schwierig  zu  entdecken  ist. 

Gebrauchsspuren,  Anmerkungen  und  andere  Randbemerkungen,  die  im  Originalband  enthalten  sind,  finden  sich  auch  in  dieser  Datei  -  eine  Erin- 
nerung an  die  lange  Reise,  die  das  Buch  vom  Verleger  zu  einer  Bibliothek  und  weiter  zu  Ihnen  hinter  sich  gebracht  hat. 

Nu  tzungsrichtlinien 

Google  ist  stolz,  mit  Bibliotheken  in  Partnerschaft  lieber  Zusammenarbeit  öffentlich  zugängliches  Material  zu  digitalisieren  und  einer  breiten  Masse 
zugänglich  zu  machen.     Öffentlich  zugängliche  Bücher  gehören  der  Öffentlichkeit,  und  wir  sind  nur  ihre  Hüter.     Nie htsdesto trotz  ist  diese 
Arbeit  kostspielig.  Um  diese  Ressource  weiterhin  zur  Verfügung  stellen  zu  können,  haben  wir  Schritte  unternommen,  um  den  Missbrauch  durch 
kommerzielle  Parteien  zu  veihindem.  Dazu  gehören  technische  Einschränkungen  für  automatisierte  Abfragen. 
Wir  bitten  Sie  um  Einhaltung  folgender  Richtlinien: 

+  Nutzung  der  Dateien  zu  nichtkommerziellen  Zwecken  Wir  haben  Google  Buchsuche  Tür  Endanwender  konzipiert  und  möchten,  dass  Sie  diese 
Dateien  nur  für  persönliche,  nichtkommerzielle  Zwecke  verwenden. 

+  Keine  automatisierten  Abfragen  Senden  Sie  keine  automatisierten  Abfragen  irgendwelcher  Art  an  das  Google-System.  Wenn  Sie  Recherchen 
über  maschinelle  Übersetzung,  optische  Zeichenerkennung  oder  andere  Bereiche  durchführen,  in  denen  der  Zugang  zu  Text  in  großen  Mengen 
nützlich  ist,  wenden  Sie  sich  bitte  an  uns.  Wir  fördern  die  Nutzung  des  öffentlich  zugänglichen  Materials  fürdieseZwecke  und  können  Ihnen 
unter  Umständen  helfen. 

+  Beibehaltung  von  Google-MarkenelementenDas  "Wasserzeichen"  von  Google,  das  Sie  in  jeder  Datei  finden,  ist  wichtig  zur  Information  über 
dieses  Projekt  und  hilft  den  Anwendern  weiteres  Material  über  Google  Buchsuche  zu  finden.  Bitte  entfernen  Sie  das  Wasserzeichen  nicht. 

+  Bewegen  Sie  sich  innerhalb  der  Legalität  Unabhängig  von  Ihrem  Verwendungszweck  müssen  Sie  sich  Ihrer  Verantwortung  bewusst  sein, 
sicherzustellen,  dass  Ihre  Nutzung  legal  ist.  Gehen  Sie  nicht  davon  aus,  dass  ein  Buch,  das  nach  unserem  Dafürhalten  für  Nutzer  in  den  USA 
öffentlich  zugänglich  ist,  auch  für  Nutzer  in  anderen  Ländern  öffentlich  zugänglich  ist.  Ob  ein  Buch  noch  dem  Urheberrecht  unterliegt,  ist 
von  Land  zu  Land  verschieden.  Wir  können  keine  Beratung  leisten,  ob  eine  bestimmte  Nutzung  eines  bestimmten  Buches  gesetzlich  zulässig 
ist.  Gehen  Sie  nicht  davon  aus,  dass  das  Erscheinen  eines  Buchs  in  Google  Buchsuche  bedeutet,  dass  es  in  jeder  Form  und  überall  auf  der 
Welt  verwendet  werden  kann.  Eine  Urheberrechtsverletzung  kann  schwerwiegende  Folgen  haben. 

Über  Google  Buchsuche 

Das  Ziel  von  Google  besteht  darin,  die  weltweiten  Informationen  zu  organisieren  und  allgemein  nutzbar  und  zugänglich  zu  machen.  Google 
Buchsuche  hilft  Lesern  dabei,  die  Bücher  dieser  Welt  zu  entdecken,  und  unterstützt  Autoren  und  Verleger  dabei,  neue  Zielgruppcn  zu  erreichen. 
Den  gesamten  Buchtext  können  Sie  im  Internet  unter|http:  //books  .  google  .coiril  durchsuchen. 


\,       J    ^-    1     ^'.     ff     f  '--i      ^  ^    . 


:    I 


\.~mK.  ^        .     _ 


■0 
.07-9 


GESCHICHTE 


DER   EISENBAHNEN 


DER  ÖSTERR.- UNGAR.  MONARCHIE. 


II.  BAND. 


^ 


GESCHICHTE 

DER  EISENBAHNEN 

DER  -- - 

OESTERREICHISCH  ■  UNOARISCHEN 

MONARCHIE. 

II.  BAND. 


WIEN    ♦    TESCHEN    ♦    LEIPZIG. 
KARL  PROCHASKA 

K.  U.  K.  HOFBUCHHANDLUNO  &  K.  U.  K.  HOFBUCHDRUCKEREl. 
MDCCCXCVdl. 


r 


ZUM 

FÜNFZIGJÄHRIGEN  REGIERUNGS-JUBILÄUM 

SEINER  KAISERLICHEN  UND  KÖNIGLICH- 
APOSTOLISCHEN  MAJESTÄT 

FRANZ  JOSEPH  I. 

UNTER  DEM  PROTECTORATE  UNTER  BESONDERER  FÖRDERUNO 

SR.  EXC.  DES  K.  U.  K.  OEHEIMEN  RATHES  HERRN     SR.  EXC.  DES  K.  U.  K.  OEHEIMEN  RATHES  HERRN 

DR  LEON  RITTER  v.  BILIlQSKI  FML  EMIL  RITTER  v.  GUTTENBERO 

MINISTER  A.  D.  ETC  ETC  MINISTER  A.  D.  ETC  ETC 

UNTER  MITWIRKUNO 

,  ^   DES  K.  U.  K.  REICHSKRIEGSMINISTERIUMS 

*  UND 

I  HERVORRAGENDER  FACHMÄNNER 

HERAUSGEGEBEN 
VOM 

OESTERREICHISCHEN  EISENBAHNBEAMTEN-VEREIN. 


UNTER  MITWIRKUNG  DER  FACH  REFERENTEN: 

WILHELM  AST,  K.  K.  REQIERUNGSRATH, 
HANS  KAROL,  K.  K.  MINISTERIALRATH,    DR.  FRANZ  LIHARZIK,  K.  K.  SECTIONSCHEF 

UND  DES  REDACTIONS-COMITES : 

FRANZ  BAUER,   ALFRED  BIRK,  THEODOR  BOCK,  KARL  OÖLSDORF,  FRANZ  MÄHLINO, 

JOSEF  SCHLÜSSELBEROER 

REDIGIRT 

VON 

HERMANN   STRACH. 


ALLE  RECHTE,  DAS  GESAMMTE  WERK  BETREFFEND, 
BEHALTEN  SICH  DAS  REDACTIONS-COMITE  UND  DIE  VERLAGSHANDLUNQ  VOR. 


Oesterreichs  Eisenbahnen 


und  die 


Staatswirthschaft. 


Von 

Dr.  Heinrich  Ritter  von  Wittek, 

Geh.  Rath,  Sectionschef  im  k.  k.  Eisenbahn-Ministerium. 


I.  Einleitung. 


DIE  nachstehenden  Untersuchungen 
verfolgen  den  Zweck,  in  a%e- 
meinen  Umrissen  die  Stellung  zu 
kennzeichnen,  welche  die  Eisenbahnen 
in  Oesterreich  während  der  50jährigen 
Epoche  seit  dem  Regierungsantritte  Seiner 
Majestät  unseres  all  ergnädigsten  Kaisers 
innerhalb  der  Staatswirthschaft  einge- 
nommen haben.  An  die  im  ersten  Bande 
dieses  Werkes  enthaltene  Geschichte  des 
Eisenbahnwesens  anknüpfend  und  dieselbe 
durch  übersichtliche  Zusammenfassung 
der  materiellen  Ergebnisse  der  einzelnen 
Entwicklungsphasen  ergänzend,  leiten 
diese  Erörterungen  zugleich  auf  das 
Gebiet  der  heimischen  W  irth  Schafts - 
geschichte  hinüber,  zu  deren  Darstellung 
sie  einen  vielleicht  nicht  unwillkommenen 
Beitrag  bieten.  Allerdings  einen  nicht 
ganz  vollständigen.  Denn  die  Eisen- 
bahnen und  mit  ihnen  die  durch  sie  be- 
dingten Rückwirkungen  auf  die  Staats- 
wirthschaft reichen  in  ihren  vielfach  ziel- 
gebenden Anfängen  —  wir  erinnern  hier 
nur  an  das  a.  h.  Cabinetsschreiben  vom 
19.  December  1841*),  dann  die  Errichtung 
und  Gebarung  der  ausserordentlichen 
Creditcassa**)  —  in  die  Zeit  vor  1848 
zurUck.  Gleichwohl  kann  diese  letztere, 
wie  die  beigegebene  Karte  zeigt,  bei 
dem  Mangel   eines   zusammenhängenden 

•)  Hofkanzleidecret  vom  23.  December 
1841,  P.  G.  S.  Nr.  145,  vergl.  Bd.  I.,  Strach, 
>Die  ersten  Privatbahnen«,  S,  195  u.  ff. 

")  Vergl,  Bd.  I,  Strach,  .Die  ersten 
Staatsbahnenc,  S.  Z50  u.  fT. 


Eisenbahnnetzes  nur  als  Vorläuferin  der 
Aera  des  Eisenbahnverkehres  gelten  und 
fällt  daher  ausserden  Rahmen  dieser  Arbeit. 
Auch  so  bleibt  unser  Thema  noch  um- 
fassend genug.  Handelt  es  sich  doch 
darum,  den  Beziehungen  nachzugehen,  in 
welchen  die  Eisenbahn  als  das  in  die  Ent- 
wicklung des  modernen  wirth schaftlichen 
und  Cultur-Lebens  vielleicht  an-  tiefsten 
eingreifende  und  dessen  eigenartige  Ge- 
staltung massgebend  beeinflussende  Ver- 
kehrsmittel mit  der  Gesammtwirthschaft 
des  Staates  zusammenhängt  und  auf  sie 
nachweisbar  eingewirkt  hat.  Je  weiter  aber 
die  Ausblicke  sind,  welche  diese  Beziehun- 
gen eroifnen  —  denn  es  gibt  fast  kein  Ge- 
biet des  staatlichen  und  wirth  schaftlichen 
Lebens,  das  von  der  Wirkung  der  durch 
den  Bahnv  erkehr  erzielten  Zeit-  und 
Gelderspamis  unberührt  bliebe  —  desto 
augenfälliger  wächst  die  Schwierigkeit, 
diese  Beziehungen  auch  nur  einigermassen 
vollständig  zu  erfassen  und  darzustellen. 
Um  ihrer  Herr  zu  werden,  müsste  man 
im  Stande  sein,  sich  die  Eisenbahnen  aus 
der  Gesammt  -  Entwicklung  der  letzten 
50  Jahre  wegzudenken  und  ein  vergleich- 
bares Bild  der  Gestaltung  zu  geben,  wie 
sie  sich  ohne  das  Hinzutreten  der  Dampf- 
Locomotion  auf  der  Schiene  vollzogen 
haben  würde.  In  diesem  Negativbilde 
würden  beispielsweise  alle  die  grossen 
Industrieen  fehlen,  deren  Entstehung  theils 
I  mit  den  Eisenbahnen  selbst  im  ursäch- 
I  liehen  Zusammenhange  steht,  theils  durch 
'  dieselben  Oberhaupt  erst  ermöglicht  worden 


Dr.  H.  Ritter  v.  Wittek. 


ist.  Ein  starres  System  unüberschreitbarer 
Schranken,  durch  die  Raumdistanz  und  die 
Transportkosten  gezogen,  hätte,  von  den 
Küstengebieten  und  schiffbaren  Wasser- 
wegen abgesehen,  die  wirthschaftliche 
Entwicklung  des  Binnenlandes  gehemmt 
und  zersplittert,  die  Theilnahme  am  Welt- 
verkehr auf  jene  durch  den  Zufall  der 
natürlichen  Lage  begünstigten  Gebiete 
beschränkt.  Gerade  für  Oesterreich  aber 
—  ein  Ländergebiet,  dem  die  Naturgabe 
leicht  und  bequem  schiffbarer  Wasser- 
strassen nur  in  sehr  beschränktem  Masse 
zutheil  geworden  ist  —  kann  die  Be- 
deutung der  Schienenwege  nicht  hoch 
genug  angeschlagen  werden.  Die  Aus- 
breitung und  Verdichtung  des  Eisenbahn- 
netzes stellt  demnach  eine  grosse  wirth- 
schaftliche Cultiu-arbeit  dar.  Sie  bildet 
die  Grundlage,  auf  welcher  die  heutige 
Entwicklung  der  einzelnen  Productions- 
zweige,  namentlich  aber  des  Handels  und 
der  Industrie,  zum  wesentlichsten  Theile 
beruht.  Schon  dieser  Zusammenhang  lässt 
die  Wichtigkeit  des  Eisenbahnwesens  für 
die  Volks-  imd  Staatswirthschaft  klar  er- 
kennen. So  erscheint  der  Stand  des 
Eisenbahnwesens  als  Gradmesser  der  ge- 
sammten  wirthschaftlichen  Entwicklung. 
Von  diesem  Gesichtspunkte  aus  gewinnt 
der  Umfang,  in  dem  der  Ausbau  des 
Eisenbahnnetzes  und  der  durch  dasselbe 
vermittölte  Verkehr  Fortschritte  aufweisen, 
ein  vielleicht  noch  höheres  Interesse,  als 
diesen  an  und  für  sich  vermöge  der  darin 
zum  Ausdruck  gelangenden  Bethätigimg 
materieller  und  intellectueller  Volkskraft 
zukommt. 

Als  Umrisslinien  für  die  dimensionale 
Entwicklung  des  Eisenbahnwesens  der  im 
Reichsrathe  vertretenen  Königreiche  und 
Länder  seit  1848  bis  zur  Gegenwart 
mögen  die  nachstehenden  statistischen 
Daten  dienen. 

Für  das  Jahr  1848  wird  nach  der 
amtlichen  Statistik*)  die  Länge  der  dem 
Verkehre  übergebenen  Bahnen  der  öster- 
reichischen Monarchie  mit  214*4  Meilen 
[zu  4000  Wr.  Klafter]  =  1626  km  ange- 
geben.   Hievon  entfallen  auf  die  damals 


eröffneten  Strecken  der 
Nördlichen  Staatsbahn. 
Südlichen  Staatsbahn   . 
Kaiser  Ferdinands  -  Nordb 
Wien  -  Gloggnitzer     Bahn 

sammt  Seitenbahnen 
Wien-Brucker  Bahn 
Lombardisch-venetianisch 

Ferdinands-Bahn .     . 
Mailand-Monza-Bahn    . 
Ungarischen  Centralbahn 
Oedenburg  -  Katzelsdorfer 

Bahn.  

Budweis  -  Linz  -  Gmundner 

Bahn 

Pressburg  -Tymauer  Bahn 
Prag-Lanaer  Bahn  .     .     . 


Meilen 

32-8 
31*2 
53-0 

II'O 

5-5 

13-0 

17 

20-5 


km 

249 

237 
402 

83 
42 

99 

13 

155 


37=      28 


26*0 

8-5 
7-5 


197 
64 

57 


*)  Tafeln  zur  Statistik  der  österreichischen 
Monarchie  für  die  Jahre  1847  und  1848,  zweiter 
Theil,  S,  59. 


Zusammen  214*4=1626 

Von  diesen  Bahnen  waren  die  drei  letz- 
teren [zusammen  42  Meilen  =  318  knt] 
Pferdebahnen,  so  dass  die  Gesammtlänge 
der  Dampf  bahnen  sich  auf  172*4  Meilen 
[=  1308^1»]  herabmindert.  Zum  Zwecke 
des  Vergleiches  mit  dem  heutigen  Stande 
sind  hievon  jedoch  die  ausserhalb  der  im 
Reichsrathe  vertretenen  Königreiche  und 
Länder  gelegenen  Bahnen  auszuscheiden, 
wonach  sich  das  Bahnnetz  des  der  der- 
maligen österreichischen  Reichshälfte  ent- 
sprechenden Ländercomplexes  im  Jahre 
1848  auf  I33'5  Meilen  [=  1013  km] 
Dampf  bahnen  [hievon  64  Meilen  =  485  km 
Staatsbahnen]  und  33*5  Meilen  [=  254  km] 
Pferdebahnen,  zusammen  167  Meilen 
[=  1267  km]  reducirt. 

Die  Bau-  und  Einrichtungskosten  aller 
Bahnen,  wovon  nur  die  Strecken  Wien- 
Gänsemdorf  und  Wien-Neustadt  doppel- 
geleisig  hergestellt  waren,  sind  für  Ende 
1848  mit  zusammen  78,233.666  fl.  C.-M. 
[=82,145.34911.  ö.  W.]  ausgewiesen. 

Die  Zahl  der  im  Jahre  1848  auf  obigem 
Bahnnetze  in  Verwendung  gestandenen 
Locomotiven  betrug  232. 

Der  Personen-  und  Waaren-Verkehr, 
welcher  in  Folge  der  inneren  Unruhen 
dieses  Jahres  einen  Rückgang  gegen  das 
Vorjahr 'aufweist,  umfasste  auf  den 

Beförderte  Personen  Ctr.  Waaren 

Locomotivbahnen  2,844.329     10,779.421 
Pferdebahnen.     .       157.695       2,348.416 

Zusammen  3,CX)2.024     13,127.837 


Oesterreichs  Eisenbahnen  und  die  Staatswirthschaft. 


Die  finanziellen  Ergebnisse  waren,  von 
den  politischen  Umwälzungen  gleichfalls 
ungünstig  beeinflusst,  folgende: 

Einnahmen     Ausg^aben       Ueberschuss 
Xördl.StaatS-  ^^  ^'  C.-M.  od.  Abgang 

bahn  ....  1,010.448  1,142.278  --  131.830 
Südl.  Staats- 
bahn ....  1,355.107  960.670  +  394-437 
Kaiser  Ferd.- 

Nordbahn  .  2,984.764  1,971.492  +  1,013.272 
WienGloßg- 

nitzerBÄn  1,073.229  555539  +  517-690 
Wien-Bruck. 

Bahn.  .  .  .  128.739  106.460  +  22.279 
Budw. -Linz- 

Gmundner 

Bahn .  .  .  ■     576.940      396.800  +     180.140 

im  Ganzen  7,129.227   5,133-239  +  1,995-988 

[=  fl.  ö.  W.  2,095  787] 

Die  überaus  bescheidenen  Verhältnisse 
des  Bahnbetriebes  in  seinen  Anfängen 
vor  50  Jahren  bedürfen  keiner  weiteren  Er- 
läuterung. Die  damals  eröffneten  Strecken 
der  Stammlinien  des  heutigen  Hauptbahn- 
netzes —  von  Wien  im  Norden  einerseits 
über  Prerau,  Olmütz  bis  Prag,  andererseits 
bis  Oderberg,  im  Süden  bis  Gloggnitz 
und  nach  der  Lücke  des  Semmering  über 
Brück  und  Graz  bis  Cilli  reichend  — 
lieferten  insgesammt  einen  Reinertrag  von 
rund  2  Mill.  fl.  Dem  gegenüber  stellt  sich 
der  gegenwärtige  Stand  des  Eisenbahn- 
wesens in  den  Reichsrathsländem  durch 
folgende  statistische  Zahlen  dar: 

Die  Ausdehnung  des  Bahnnetzes  [incl. 
der  über  die  Grenze  reichenden  Anschluss- 
strecken] hat  mit  Ende  1895  eine  Ge- 
sammtbaulänge  von  16.492  km  erreicht, 
wovon  7381  km  auf  die  österreichischen 
Staatsbahnen  [davon  53  km  im  fremden 
oder  Privatbetriebe],  9092  km  auf  gemein- 
same und  österreichische  Privatbahnen 
[darunter  1503  hn  vom  Staate  theils  für 
eigene,  theils  für  Rechnung  der  Eigen- 
thümer  betrieben]  und  99  kfn  auf  fremde 
Bahnen  entfallen.  Im  eigenen  Staatsbe- 
triebe standen  8751  km^  im  fremden 
115  km^  im  Privatbetriebe  7626  km. 

Das  verwendete  Anlage- Capital  des 
österreichischen  Bahnnetzes  beziffert  sich 
Ende  1895  auf  2.628,344.385  fl.  Dar- 
unter sind  die  Kosten  der  Staats-  und 
vom  Staate  betriebenen  Bahnen  [incl. 
Localbahnen]  mit  1.195,802.630  fl.  und 
jene  der  selbstständigen  Privatbahnen  mit 
1.432,541.755  fl.  inbegriff"en. 


Die  Anzahl  der  Locomotiven  war  Ende 
1895  bei  den  Staatsbahnen  auf  1879,  bei 
den  Privatbahnen  auf  2342,  zusammen 
auf  4221  gestiegen. 

Der  Personen-  und  Güterverkehr  zeigt 
pro   1895  nachstehende  Mengen*): 


Gepäck  u.  Güter 
Tonnen 


Beförderte 
Personen 

Staatsbetrieb.  .     44,326.806     28,673.469 
Privatbetrieb.  .     62,115.739     65,205.251 

Zusammen   106,442.545     93,878.720 

Die  finanziellen  Betriebsergebnisse 
weisen  im  Jahre  1895  folgende  Gesammt- 

ziiTem    aus:  Oesammte  Betrieb./   ' 

Einnahmen  *  Ausgaben 

in  fl.  ö.  W. 

Staatsbetrieb...  94,348.410    63,511.740 
Privatbetrieb  .  .    153,284.451     82,330.645 

zusammen  247,632.861  145,842.385 

Betriebs-Netto- 
Ertragr 

Staatsbetrieb 30,836.670 

Privatbetrieb 70,863.836 

zusammen 101,700.506 

Von  dem  zuzüglich  der  sonstigen 
Einnahmen,  welche  bei  den  im  Staats- 
betriebe stehenden  Bahnen  3,623.753  fl. 
betrugen,  mit  34,460.423  fl.  ausgewiese- 
nen Jahresertrage  der  k.  k.  Staatsbahnen 
und  vom  Staate  für  eigene  Rechnung 
betriebenen  Privat-Hauptbahnen  wurden 
i>797-746  fl-  als  Pachtzins  für  den  Be- 
trieb fremder  Bahnen,  ferner  9,791.422  fl. 
als  vertragsmässige  Zahlungen  für  Ver- 
zinsung und  Amortisation  verwendet ;  zur 
Abfuhr  an  den  Staat  gelangten  [abzüg- 
lich der  den  Eigenthümem  der  Local- 
bahnen ausbezahlten  Erträgnisse  per 
217.931  fl.]  21,336.554  fl.,  wovon  das 
Netto  -  Erfordernis  der  Extraordinarial- 
Ausgaben  mit  7,161.805  fl.  in  Abschlag 
kommt,  so  dass  das  Reinerträgnis  aus 
dem  Staatseisenbahn-Betriebe  sich  für  das 
Jahr  1895  auf  14,174.749  fl.**)  beziff'ert. 

Um  die  Grossartigkeit  dieser  Ent- 
wicklung mit  einem  Blicke  übersehbar 
zu  machen,  folgt  hier  eine  kurz  zusam- 
mengefasste   Gegenüberstellung   der  we- 


*)  Hauptergebnisse  der  österreichischen 
Eisenbahn-Statistik  im  J.  1895,  S.  XXI. 

**)  Hauptergebnisse  der  österreichischen 
Eisenbahn-Statistik  im  Jahre  1895,  S.  XXVII. 


Dr.  H.  Ritter  v.  Wittek. 


sentlichsten  charakteristischen  Ziffern  aus 
den  vorher  im  Einzelnen  gegebenen  sta- 
tistischen Daten  des  Anfangs  und  des 
Schlusses  der  Epoche  von  1848  bis  zur 
Gegenwart,  wobei  sämmtliche  Längen- 
ziffem  sowie  Bestand  und  Ergebnisse  1 895 
sich  nur  auf  die  österreichische  Reichs- 
hälfte beziehen: 

Längen-Ausdehnung  der  für  den  öffent- 
lichen Verkehr  er-  ^^  j^^  zunähme- 
öfiheten  Eisen-  1848  1895  Verhältnis 
bahnen  in  km     .  1.267    16.492    i :  13 

Hievon  Staatsbah- 
nen km      ...     485      7.301    1 :  15 

Anzahl    der    Loco- 

motiven      .     .     .     232      4.221    1:18 

Anzahl  der  beförder- 
ten Personen  in 
Tausenden      .     .3.002106.443   1:35 

Menge  der  beförder- 
ten Güter  in  tau- 
send Tonnen.     .     750    93.879  1:125 

Anlage-Capital     in 

Millionen  fl.  ö.  W.       82      2.628  i :  32 

Betriebs  -  Netto  -  Er- 
trag fi.  ö.  W.     .      2-1       1017  1:51     I 

Es  ist  fürwahr  eine  grossartige  Lei- 
stung, die  in  dieser  doppelten  Zahlen- 
reihe zum  vergleichenden  Ausdruck  ge- 
lang^. Welche  Summe  von  Thatkraft, 
technischer  Arbeit  und  Opferwilligkeit 
in  diesen  nüchternen  Zahlen  begriffen 
ist,  erhellt  schon  aus  den  ganz  ausser- 
gewöhnlichen  Schwierigkeiten,  die  bei  dem 
Ausbaue  und  Betriebe  des  österreichischen 
Bahnnetzes  zu  überwinden  waren.  Nicht 
umsonst  hat  die  österreichische  Ingenieur- 
kunst bei  der  Lösung  des  Problems  der  Ge- 
birgsbahnen von  Anbeginn  bahnbrechende 


Erfolge  errungen  und  neuestens  auf  dem 
Gebiete  der  öconomischen  Ausftlhrung 
von  Bahnen  niederer  Ordnung  bemer- 
kenswerthe  Fortschritte  erzielt.  Ihren 
Leistungen  im  Vereine  mit  einer  um- 
sichtigen administrativen  Organisation 
des  Localbahnwesens  ist  es  vornehmlich 
zuzuschreiben,  wenn  Oesterreich  unge- 
achtet der  den  Eisenbahnbau  erschweren- 
den imd  vertheuemden  Bodengestaltung 
seiner  Gebirgsländer  in  Bezug  auf  die 
Entwicklung  des  Eisenbahnwesens  hinter 
den  wirthschaftlich  und  culturell  weiter 
vorgeschrittenen  und  capitalsreicheren 
westlichen  Staaten  keineswegs  zurück- 
geblieben ist,  vielmehr  in  der  technischen 
Ausbildung  und  wirthschaftlichen  Verwer- 
thung  dieses  mächtigen  Hebels  der  Be- 
triebsamkeit und  des  Volkswohlstandes 
seit  einem  halben  Jahrhundert  stets  eine 
hervorragende  Stelle  eingenommen  hat. 
Es  ist  hier  nicht  der  Ort,  auf  die  tech- 
nischen und  betriebsöconomischen  Mo- 
mente, welche  dabei  in  hervorragendem 
Masse  mitspielen,  näher  einzugehen.  Für 
den  Zweck  der  gesammtwirthschaftlichen 
Betrachtung  genügt  wohl  der  Hinweis 
auf  die  Grösse  der  Dimensionen,  die  sich 
als  das  reale  Ergebnis  der  bisherigen 
Entwicklung  darstellen,  und  auf  jene  der 
materiellen  Mittel,  deren  Aufwendung  er- 
forderlich war,  um  dieses  Ergebnis  her- 
beizuführen. Insofern  es  sich  dabei  in 
erster  Reihe  um  die  directe  oder  sub- 
sidiäre Verwendung  von  Staatsmitteln 
handelt,  ist  der  Zusammenhang  des 
Eisenbahnwesens  mit  der  Staatswirth- 
schaft  von  selbst  gegeben.  Dass  er  aber 
den  Gegenstand  nicht  erschöpft,  wird 
aus  der  folgenden  Darlegung  klar  werden. 


IL  Theorie  und  Literatur. 


Um  die  in  ihrer  Gesammtheit  kaum 
je  zu  überblickenden  Beziehungen  der 
Eisenbahnen  zur  Staatswirthschaft  an- 
schaulich und  darstellbar  zu  machen,  hat 
die  Theorie  zu  dem  Hilfsmittel  gegriffen, 
diese  Beziehungen  in  eine  Reihe  concre- 
ter  Momente  zu  gliedern,  welche  zum 
grossen  Theile  ziffermässig  erfasst  wer- 
den können. 


Eine  solche  Eintheilung  lässt  sich 
etwa  in  folgender  Weise  aufstellen: 

A,  Die  Eisenbahnen  wirken  einerseits 
d  i  r  e  c  t  auf  die  Staatswirthschaft  ein,  u.  zw. 

a)  im  speciellen  Staatsbudget 
der  das  Eisenbahnwesen  umfassenden  Ver- 
waltungszweige, insofern  die  Eisenbah- 
nen   selbst   Bestandtheile  der  staatlichen 


Oesterreichs  Eisenbahnen  und  die  Staatswirthschaft. 


Wirthschafts- Gebarung  sind  [Staats- 
eisenbahnbau ,  Staatseisenbahn  -  Betrieb] 
oder  eine  unmittelbare  Einwirkung  ihrer 
Gebarungs-Ergebnisse  auf  den  Staats- 
haushalt durch  bestimmte,  vom  Staate  mit 
denEisenbahn-Untemehmungen  eingegan- 
gene Rechtsverhältnisse  [Staatsgarantie, 
Staatsbetheiligung  an  der  Capitalsbe- 
schaffung  oder  am  Reinertrage]  herbei- 
geführt wird; 

b)  in  den  Etats  anderer  Dienstzweige, 
zumal  der  fi scalischen,  indem  die 
Eisenbahnen  selbst  gleich  dem  durch  sie 
vermittelten  Verkehre  Objecte  bilden,  aus 
denen  dem  Staate  kraft  seiner  Finanz- 
hoheit Einnahmen  zufliessen  [Steuer- 
leistung], dann  dadurch,  dass  die  Eisen- 
bahnen concessions-  oder  vertragsmässig 
gehalten  sind,  für  staatliche  Dienstzweige 
[Post,  Telegraph,  Militär]  theils  unent- 
geltlich, theils  zu  ermässigten  Preisen 
Leistimgen  zu  vollziehen,  welche  gegen- 
über dem  normalen  Preise  dieser  letz- 
teren für  den  Staatshaushalt  geldwerthe 
Vortheile  [Ersparnisse]  darstellen; 

c)  ausserhalb  des  Staatsbudgets,  in- 
dem die  im  Staatseigenthum  befindlichen 
Eisenbahnen  Bestandtheile  des  Staats- 
vermögens bilden,  die,  abgesehen  von 
ihrem  Ertrage,  schon  vermöge  des  auf 
dieselben  verwendeten  Erwerbungs-  oder 
Herstellungs  -  Aufwandes  Werthobjecte 
darstellen.  Auch  die  Privatbahnen  können 
vermöge  des  vorbehaltenen  Heimfalls 
dem  Staatsvermögen  im  weiteren  Sinne 
beigezählt  werden. 

B,  Die  indirecten  Einwirkungen 
der  Eisenbahnen  auf  die  Staatswirthschaft 
sind  ebenso  mannigfacher  als  zum  Theil 
verwickelter  Art. 

Am  nächsten  liegt  hier  die  Beziehung 
zu  den  Hilfsindustrieen  des  Eisenbahn- 
wesens, welches  ja  an  und  für  sich  eine 
eigene  grosse  Industrie  [Transport- 
industrie] darstellt,  indem  der  Eigenbedarf 
der  Eisenbahnen  an  Bau-  und  Betriebs- 
materialien die  einschlägigen  Industrie- 
zweige ins  Leben  ruft.  Schienen-Erzeu- 
gung und  Eisenbrücken  -  Construction , 
Locomotiv-  imd  Waggonbau,  der  Auf- 
schwung des  Kohlenbergbaues  können 
als  Beispiele  dienen,  wobei  die  hiedurch 
geschaffenen  Steuerobjecte  nicht  zu  über- 
sehen sind. 


Ein  weiteres,  nur  durch  Detail- 
forschung, für  welche  namentlich  das 
Attractionsgebiet  neu  entstehender  Local- 
bahnen  reiches  Material  bieten  würde, 
ziffermässig  erfassbares  Moment  der  indi- 
recten staatswirthschaftlichen  Einwirkung 
der  Eisenbahnen  bietet  die  durch  sie  be- 
einflusste  Entwicklung  des  Wirthschafts- 
lebens  und  der  Steuerkraft  der  von  Eisen- 
bahnen durchzogenen  Gegenden,  wobei 
namentlich  die  Erweiterung  bestehender 
und  die  Errichtung  neuer  Industriestätten 
sowie  die  Hebung  des  Grundwerthes  und 
die  fortschreitende  Verbauung  in  der 
Nähe  der  Bahnhöfe  und  Haltestellen  in 
Betracht  kommen.  Schliesslich  ist  ein  be- 
deutsames staatswirthschaftliches  Moment 
in  der  staatlichen  Einiiussnahme  auf  die 
Verkehrsgestaltung  durch  Tarife,  Fahr- 
ordnungen etc.  insofeme  zu  erblicken,  als 
hiedurch  staatswirthschaftliche  Zwecke 
[Export,  Fremdenverkehr]  gefördert  wer- 
den. Dass  diese  Einflussnahme  des  Staa- 
tes auf  die  Eisenbahn-Tarifpolitik  im 
weitesten  Umfange  beim  Staatsbetriebe 
ermöglicht  ist,  und  hier  namentlich  zu 
Gimsten  der  Hebung  der  heimischen  In- 
dustrie wirksam  bethätigt  werden  kann, 
wird  insgemein  als  einer  der  über- 
wiegenden Vortheile  dieser  Verwaltungs- 
form der  Eisenbahnen  anerkannt. 

Von  den  aufgezählten  Beziehimgen 
erscheint  die  als  a)  angeführte  directe 
Einwirkung  der  Eisenbahnen  auf  den 
Staatshaushalt  nicht  nur  als  die  augen- 
fälligste, sondern  auch  vermöge  der  gros- 
sen Summen,  mit  denen  sie  in  den  Staats- 
budgets und  Gebarungs-Nachweisungen 
auftritt,  als  die  quantitativ  überwiegende 
und  deshalb  finanziell  wichtigste.  Sie  vor 
allen  hat  daher  den  Blick  auf  sich  ge- 
zogen, und  ist  Ausgangspunkt  wie  auch 
Hauptgegenstand  der  fachwissenschaft- 
lichen Behandlung  dieser  Seite  des  Eisen- 
bahnwesens geworden. 

Was  nun  die  leitenden  Gesichtspunkte 
betrifft,  welche  die  Theorie  für  die  staats- 
wirthschaftliche Gebarung  der  Eisen- 
bahnen aufstellt,  so  stimmen  alle  Autoren 
darin  überein,  dass  der  staatliche  Ein- 
fiuss  auf  die  Verwaltung  des  Eisenbahn- 
wesens ohne  Unterschied,  ob  es  sich  um 
vom  Staate  selbst  oder  von  privaten 
Gesellschaften  unter  Heranziehung  öflfent- 


8 


Dr.  H.  Ritter  v.  Wittek. 


lieber  Mittel  betriebene  Babnen  bandelt, 
neben  den  volkswirtbscbaftlicben  aucb  die 
finanziellen    Rücksiebten   zu  wabren  hat 

Hierbei  wird  allgemein  davon  aus- 
gegangen, dass  normalerweise  anzu- 
streben sei,  aus  den  Betriebs-Einnabmen 
nebst  den  Betriebs-Auslagen  die  Ver- 
zinsung und  Tilgung  des  verwendeten 
Anlage-Capitals  zu  bestreiten,  so  dass  für 
selbe  Zuscbüsse  aus  Staatsmitteln  nicht 
erforderlich  werden.  Gleichwohl  wird  diese 
Regel  keineswegs  als  eine  absolute  hinge- 
stellt, sondern  zugegeben,  dass  dieselbe 
namentlich  bei  Bahnen,  die  imgeachtet 
mangelnder  ErtragsfUhigkeit  aus  höheren 
staatlichen  Rücksichten,  wie  etwa  zu 
Zwecken  der  Landesvertheidigung,  ge- 
baut werden  müssen,  Ausnahmen  leidet. 
Auch  wird  zur  Rechtfertigung  solcher 
Ausnahmen  auf  die  »indirecte  Ren- 
tabilität« hingewiesen.  Dieser  Hinweis 
findet  mit  vollem  Grunde  bei  Bahnen 
in  wirthschaftlich  minder  entwickelten 
Ländern  statt,  deren  Einbeziehung  in  das 
Bahnnetz  eben  deshalb  erfolgt,  um  das 
culturelle  und  wirthschaftliche  Niveau  zu 
heben.  Beide  Ausnahmsfälle  begegnen  sich 
in  der  Anwendung  der  vorstehenden  Sätze 
auf  das  österreichische  Bahnnetz,  welches 
eine  grosse  Zahl  rein  militärischer  und 
solcher  Bahnlinien  umfasst,  deren  Existenz- 
berechtigung vornehmlich  in  der  Auf- 
schliessung räumlich  ausgedehnter  ent- 
legener Landestheile  für  den  Verkehr  und 
die  wirthschaftliche  Entwicklung  begrün- 
det ist,  wobei  auch  die  abnormen  Anlage- 
und  Betriebskosten  in  den  Gebirgsländem 
nicht  zu  übersehen  sind. 

Es  kann  daher  für  die  österreichi- 
schen Eisenbahnen  im  Ganzen  und  zu- 
mal für  die  österreichischen  Staats- 
bahnen, welche  derzeit  zum  grösseren 
Theile  die  jüngeren,  minder  ertrags- 
fähigen Linien  umfassen,  billigerweise 
wohl  nicht  davon  die  Rede  sein,  den 
Grundsatz  der  eigenen  Aufbringvmg  der 
Capitalslasten  aus  dem  Betriebe  in  seiner 
vollen  Schärfe  anzuwenden  und  zu  for- 
dern, dass  diese  Bahnen  ohne  Zuschüsse 
aus  Staatsmitteln,  d.  i.  ohne  Gebarungs- 
Deficit  verwaltet  werden.  Das  Gebarungs- 
Deficit  der  Eisenbahn- Verwaltung  bildet 
daher  den  eigentlich  kritischen  Punkt  der 
ganzen  Sache.    Seine  ziffermässige  Höhe 


und  mit  der  Ausdehnung  des  Bahnnetzes 
zeitweilig  zunehmende  Steigerung,  seine 
Ursachen  und  seine  Rückwirkung  auf  das 
Deficit  im  Staatshaushalte  —  alle  diese 
Momente  sind  schon  während  der  Herr- 
schaft des  Garantie-Systems  in  der  Fach- 
literatur eingehend  erörtert  worden. 

Abgesehen  von  auswärtigen  Arbeiten, 
welche  den  Stoff  in  vergleichender  Dar- 
stellung für  die  verschiedenen  Staaten 
wie  auch  im  Zusammenhange  mit  den 
eisenbahnpolitischen  Zeitfragen*)  behan- 
deln, hat  zuerst  der  Altmeister  der 
österreichischen  Finanz-  imd  Wirthschafts- 
geschichte,  Hofrath  Professor  Adolf  Beer 
in  seinem  bekannten  Buche  »Der  Staats- 
haushalt Oesterreich-Ungams  seit  i868< 
[Prag  1881,  F.  Tempsky]  eine  umfassende 
Darstellung  der  Eisenbahn-Gebarung  im 
Rahmen  des  gesammten  Staatshaushaltes 
gegeben.  Der  Verfasser  führt  auf  S.  241 
die  Subventionen  und  Dotationen  an 
Industrie-Unternehmungen  nach  dem  wirk- 
lichen Erfolge  mit  den  summarischen 
Jahresziffem  für  die  Periode  1868 — 1877 
an,  beziffert  sodann  die  ertheilten  Bau- 
vorschüsse und  die  im  Jahre  1878  ver- 
ausgabten, ferner  pro  1879  ^^^  1880 
präliminirten  Beträge  und  knüpft  daran 
die  Bemerkung: 

»In  diesen  Summen  liegt  zum  Theil 
die  Erklärung  für  das  seit  einigen  Jahren 
gestörte  Gleichgewicht  im  Staatshaus- 
halte. Es  lässt  sich  wohl  schwerlich  in 
Abrede   stellen,    dass    übertriebene   Vor- 

*)  Vgl.  Dr.  Alfred  von  der  Leyen's  Ab- 
handlung: »Die  Erträge  der  Eisenbahnen  und 
der  Staatshaushalt«  in  Schmoller's  Jahrbuch, 
16.  Jahrg.,  4.  Heft.  Daselbst  wird  den  gün- 
stigen finanziellen  Erfolgen  des  Staatsbahn- 
Systems  in  Preussen  und  den  übrigen  deutschen 
Staaten  der  Einfluss,  den  die  Gebarung  der 
Eisenbahnen  auch  bei  dem  Bestände  des 
Privatbahn-Systems  auf  die  Staatsfinanzen 
übt,  gegenübergestellt : 

»Als  finanzielle  Aufgabe  aller  Eisen- 
bahnen kann  wohl  die  bezeichnet  werden, 
soviel  Einnahmen  aus  dem  Eisenbahnbetrieb 
zu  erzielen,  dass  einmal  die  Betriebs- Ausgaben 
gedeckt  und  ausserdem  das  Anlage-Capital 
der  Eisenbahnen  zu  dem  landesüblichen  Zins- 
fusse  verzinst  wird.  Die  Frage,  ob  es  unter 
Umständen  nicht  nur  wünschens  werth,  sondern 
—  aus  Gründen,  die  nicht  auf  dem  Eisen- 
bahngebiete, sondern  auf  anderem^  sei  es 
z.  B.  allgemein  wirthschaftlichem,  politischem, 
militärischem  Gebiet  liegen  —  sogar  geboten 
ist,    auch    Eisenbahnen   anzulegen,   die    mit 


Oesterreichs  Eisenbahnen  und  die  Staat  swirthschaft. 


Stellungen  von  der  Prosperität  der  Bahnen 
bei  der  Ertheilung  von  Eisenbahn-Con- 
cessionen  und  der  Gewährung  von  Zinsen- 
garantieen  mitgewirkt  haben,  c 

Am  Schlüsse  dieses  Abschnittes,  wel- 
cher eine  eingehende  Darstellung  der 
Garantie- Verhältnisse  der  einzelnen  Bah- 
nen und  der  ziffermässigen  Ergebnisse 
derselben  enthält,  folgt  eine  Uebersicht 
des  Standes  des  Garantie-Guthabens  des 
Staates  [Ende  1862:  3-34  Mill.  fl.,  Ende 
1867:  15-047  Mill.  h.,  Ende  1877: 
129*146  Mill.  fl.,  wozu  noch  etwas  über 
19  Mill.  fl.  an  Zinsen  kommen,  zusammen 
daher  148*368  Mill.  fl.;  Ende  1878:  Ge- 
sammtguthaben   172*4  Mill.  fl.]. 

»Diese  gewiss  nicht  imbedeutenden  Be- 
träge müssen  bei  Beurtheilimg  der  Finanz- 
lage Oesterreichs  in  dem  letzten  Jahr- 
zehent  mit  in  Anschlag  gebracht  werden 
und  erklären  auch  zum  Theile  das  An- 
wachsen der  Staatsschuld.«  [S.  254  a. a.  O.] 

Die  gleiche  Anschauung,  dass  das 
Deficit  im  Staatshaushalte  grösstentheils 
durch  die  Subventionirung  von  Privat- 
bahnen begründet  sei,  vertritt  Dr.  Gustav 
Gross  in  seiner  Abhandlung  »Die 
Staatssubventionen  für  Privatbahnen« 
[Wien  1882,  Holder].  In  erster  Reihe 
die  österreichischen  Verhältnisse  berück- 
sichtigend, bietet  diese  Schrift  als  syste- 
matische Behandlung  der  Lehre  von  den 
Eisenbahn- Subventionen,  durch  eine  sehr 
übersichtliche  genetische  Darstellung  der 
österreichischen  Staatsgarantie  [S.  121  bis 
128]    sowie  durch  die  Zusammenfassung 


ihren  Erträgen  das  Anlage-Capital  überhaupt 
nicht  oder  nicht  vollständig  verzinsen,  soll 
hier  ausser  Erörterung  bleiben.  Die  Regel 
wird  sein,  dass  man  eine  derartige  Verzinsung 
verlangt,  und  zwar  bei  Staatsoahnen  soviel 
Zinsen,  als  der  Staat  zur  Aufbringung  des 
Anlage-Capitals  hat  zahlen  müssen,  bei  den 
Privatbahnen  möglichst  höhere  Zinsen.  Pri- 
vatbahnen sind  gewerbliche  Unternehmungen, 
mit  deren  Betrieb  ein  oft  recht  bedeutendes 
Risico  verbunden  ist.  Einen  Gegenwerth  für 
ein  solches  Risico  bildet  eine  den  landes- 
üblichen Zinsfuss  überschreitende  Dividende.« 
»Ein  unmittelbares  Interesse  des  Staates 
an  der  Finanzpolitik  der  Privatbahnen  liegt 
da  vor,  wo  der  Staat  für  deren  Erträge 
Bürgschaft  geleistet  hat.  Wenn  der 
Staat  die  Verpfßchtung  Übernommen  hat,  für 
eine  bestimmte  Höhe  der  Dividenden,  oder 
auch  nur  für  die  Zinsen  der  Obligationen 
einer    Eisenbahn    aufzukommen,    muss   ihm 


der  für  das  Garantie-System  anzuführen- 
den staatswirthschaftlichen  Gründe  be- 
sonderes Interesse.  Die  Eintheilung  der 
Subventionen  in  positive  und  negative, 
letztere  als  Befreiung  von  gewissen  staat- 
lichen Lasten  und  Abgaben  verstanden 
fS.  49],  bildet  den  Ausgangspunkt,  um 
in  dem  der  letzteren  Subventionsform 
gewidmeten  Schlusscapitel  die  Besteue- 
rung der  Eisenbahnen  einer  eingehenden 
Erörterung  zu  unterziehen  [S.  158 — 186]. 
Die  uns  hier  als  directe  staatswirth- 
schaftliche  Vortheile  aus  dem  Betriebe 
der  Eisenbahnen  interessirenden  conces- 
sionsmässigen  Vorbehalte  [Heimfallsrecht, 
Besteuerung,  Betheiligung  am  Reiner- 
träge, Benützung  der  Eisenbahnen  durch 
Staatsbehörden  und  Staatsanstalten]  sind 
am  Schlüsse  der  Einleitung  [S.  23 — 25] 
erwähnt.  In  der  Heranziehung  des  wei- 
teren Kreises  der  volks-  und  staats- 
wirthschaftlichen Interessen,  die  mit  dem 
Eisenbahnwesen  in  Verbindung  stehen, 
flndet  der  Verfasser  triftige  Argumente, 
um  für  die  wenigstens  theilweise  Auf- 
rechthaltung des  Privatbahnsystems  ein- 
zutreten und  darzuthun,  dass  die  Sub- 
ventioninmg  von  Privatbahnen  in  ratio- 
nellen Grenzen  theoretisch  zu  rechtferti- 
gen sei. 

Auch  Prof.  Dr.  Kaizl,  dem  wir  eine 
überaus  werthvoUe,  durch  die  anziehende 
Form  der  Darstellung  und  das  warme 
Interesse  des  Autors  für  seinen  Gegen- 
stand ausgezeichnete  Abhandlung:  »Die 
Verstaatlichung  der  Eisenbahnen  in  Oester- 


daran  gelegen  sein,  einmal,  dass  seine  Bürg- 
schaft in  möglichst  geringem  Umfange  in 
Anspruch  genommen  wird,  und  sodann,  dass, 
wenn  sie  m  Anspruch  genommen  ist  und  er 
Zuschüsse  geleistet  hat,  ihm  diese  Zuschüsse 
und  deren  Zinsen  möglichst  bald  zurücker- 
stattet werden.  Hier  liegt  also  eine  sehr  enge 
Beziehung  der  Staatsfinanzen  und  der  Finan- 
zen der  Privatbahnen  vor.  Mit  wirklichem 
Erfolg  kann  der  Staat  in  diesen  Fällen  seine 
Interessen  nur  wahrnehmen,  wenn  er  die 
Verwaltung  der  Bahnen  in  die  eigene  Hand 
nimmt.  Thut  er  das  nicht,  so  werden  der- 
artige Privatbahnen  genau  so  wirthschaften, 
wie  nicht  garantirte  Bahnen,  ja,  sie  werden 
noch  weniger,  als  reine  Pnvatbahnen,  zu 
einer   wirklich  sparsamen   Finanzwirthschaft 

geneigt  sein,  weil  sie  sicher  sind,  dass  ihnen 
Erträge,  wenn  auch  vielleicht  bescheidene 
Erträge,  unter  allen  Umständen  zufallen 
müssen.« 


lO 


Dr.  H.  Ritter  v.  Wittek. 


reich«  (Leipzig,  Dunker  &  Humblot, 
1885]  verdanken,  die  er  treffend  »eine 
staatspsychologische  Untersuchung«  [Vor- 
wort S.  II]  nennt,  verschliesst  sich,  wie- 
wohl decidirt  auf  dem  Standpunkte  des 
Staatsbahnprincipes  stehend,  keineswegs 
der  Erkenntnis,  »dass  sich  die  Subventio- 
nirung  von  Privatbahn-Untemehmungen 
theoretisch  sehr  glänzend  begründen  lässt, 
und  dies  vor  Allem  durch  den  [von  Sax,  Ver- 
kehrsmittel, I.  Bd.,  S.  71  ff.  aufgestellten] 
geistreichen  Hinweis  auf  den  Unterschied 
zwischen  der  directen  oder  anders  ge- 
sagt der  privatwirthschaftlichen  Renta- 
bilität, d.  i.  dem  Gewinn,  welcher  dem 
Einzeluntemehmer  zukommt,  und  welcher 
möglicherweise  gering  ist  oder  auch  ganz 
fehlt,  und  zwischen  der  indirecten 
oder  der  volkswirthsch  aftlichen 
Rentabilität,  welche  gleichzeitig  und 
vielleicht  von  allem  Anfange  an  übergross 
sein  kann  und  in  den  mannigfaltigen 
näheren  und  entfernteren  wirth- 
schaftlichen  und  ausserwirth- 
schaftlichen  Vortheilen  besteht, 
welche  der  gesammten  Volksgenossen- 
schaft durch  jede  Eisenbahn  zutheil 
werden.«  [S.  31,  32.] 

Was  nun  weiters  die  schon  oben 
allgemein  besprochene  Wahl  und  nähere 
Abgrenzung  des  für  die  Verwaltung  des 
Eisenbahnwesens  in  Staats wirthschaftlich- 
finanzieller  Hinsicht  aufzustellenden  leiten- 
den Grundsatzes  anlangt,  dessen  theore- 
tische Formulirung  durch  Sax  [Verkehrs- 
mittel, II.  Bd.  Die  Eisenbahnen,  S.  222] 
wohl  als  grundlegend  zu  betrachten  ist,  so 
bedingt  die  a.  a.  O.  erörterte  Behandlung 
der  Eisenbahn  als  einer  öffentlichen  Un- 
ternehmung im  Gegensatze  zum  allgemei- 
nen Genussgute  und  zur  öffentlichen 
Anstalt,  welch  letztere  nach  dem  ledig- 
lich auf  Deckung  der  Gesammtkosten 
abzielenden  Gebührenprincip  zu  verwalten 
ist,  das  Streben  nach  Erzielung  eines 
höheren,  dem  vollen  Verkehrswerthe  der 
Leistungen  entsprechenden  Ertrages.  [S. 
224  a.  a.  O.]  Wenn  nun  schon  das 
Gebührenprincip  bemüssigt  ist,  in  die 
Eigenkosten  die  nothwendige  Verzinsung 
und  Amortisation  des  Anlage-Capitals  ein- 
zurechnen [S.  225  a.  a.  O.],  so  besteht 
wohl  kein  Zweifel,  dass  das  Augenmerk 
der  Verwaltung  in  staatswirthschaftlicher 


Hinsicht  auch  bei  Staatsbahnen*) 
auf  die  Erzielung  möglichst  ho- 
her Ertrags-Ueberschüsse  über  die 
Gesammtkosten  gerichtet  sein  muss. 
Hiebe!  kann  es  keinen  Unterschied  machen, 
ob  dem  Princip  der  öffentlichen  Unter- 
nehmung, wie  Sax  auf  S.  229  a.  a.  O. 
will,  für  Bahnen  höherer  Ordnung  zwei 
positive  Ziele  gesetzt  werden :  der  Ausbau 
des  Netzes  und  die  Refundinmg  der  Aus- 
falle früherer  Betriebsperioden,  —  oder  ob 
das  in  Rede  stehende  Ziel  aus  socialöco- 
nomischen  Gründen  noch  weiter,  nämlich 
dahin  gesteckt  wird,  dem  Staate  für  die 
Erfüllung  der  heute  an  ihn  herantretenden 
gemeinwirthschaftlichen  und  socialen  Auf- 
gaben möglichst  ausgiebige  Zuschüsse 
zu  liefern.**) 

In  dieser  Hinsicht  sind  von  Friedrich 
Freiherm  von  Weichs-Glon  [»Das 
finanzielle  und  sociale  Wesen  der  moder- 
nen Verkehrsmittel«,  Tübingen,  Laupp 
1894]  zwei  Momente  hervorgehoben, 
welche  in  enger  Beziehimg  zum  Verkehrs- 
wesen stehen;  einerseits  die  wachsenden 
Erfordernisse  des  Staatshaushaltes  zur 
Befriedigung  der  sich  mehrenden  und  er- 
höhenden gesellschaftlichen  Bedürfnisse 
sowie  die  fortwährend  steigenden  Erfor- 


*)  Vgl.  Adolf  Wagner  »Finanzwissen- 
schaft«, Leipzig  1879,  IV.  Bd.,  S.  736:  »Als 
Staats-  und  volkswirthsch aftliche  Anstalten 
ersten  Ranges  sollen  die  Staatsbahnen  auch 
zunächst  nach  Staats-  und  volkswirthschaft- 
lichen  Gesichtspunkten,  nur  unter  gleich- 
zeitiger genügender  Wahrnehmung  des 
finanziellen  Interesses  verwaltet  werden. 
Demnach  erscheint  es  zweckmässig,  sie  wie 
die  Staatsforste  und  Domänen  unter  eines 
der  volkswirthschaftlichen  Ministerien,  nicht 
direct  unter  das  Finanzministerium  zu  stellen, 
eventuell  bei  allgemeinem  Staats- 
bahnsystem undbeim  Vorhandensein 
eines  grösseren  Bahnnetzes  unter 
ein  eigenesEisenbahn-Ministerium.« 

**)  »D  e  r  E  i  n  f  1  u  s  s  volkswirthschaftlicher 
Interessen  darf  nicht  soweit  gehen,  dass  hie- 
durch  der  staatsfinanzieTle  Beruf  der 
Staatsbahnen  zu  Schaden  kommt.  Das  Staats- 
bahnprincip  ist  sicherlich  an  sich  nicht  fis- 
calischen  Zwecken  entsprungen,  doch  war 
speciell  in  Oesterreich  die  Rücksicht  auf  die 
Staatsfinanzen  nicht  ohne  bestimmenden  Ein- 
fluss  schon  auf  die  Inaugurirung  dieses 
S>;stems.«  [Exe.  Dr.  Ritter  v.  Bihnski  in 
seiner  Antrittsrede  als  Präsident  der  General- 
Direction  der  österreichischen  Staatsbahnen 
am  9.  Januar  1892.  Zeitschrift  f.  Eisenb.,  1892, 
S.   41.] 


Oesterreichs  Eisenbahnen  und  die  Staatswirthschaft. 


II 


demisse  für  Zwecke  der  Vertheidigung  und 
Sicherheit  und  die  zunehmende  Schwierig- 
keit der  Beschaffung  der  hiefür  noth- 
wendigen  Mittel;  anderseits  die  sociale 
Frage  [S.  IV].  Indem  an  einer  späteren 
Stelle  [S.  126]  die  Gründe  für  die  be- 
jahende Entscheidung  der  Frage  ausge- 
führt werden,  ob  die  Ueberschüsse  aus 
dem  Betriebe  der  öffentlichen  Verkehrs- 
mittel auch  zur  Erfüllung  allgemeiner 
staatlicher  Zwecke  herangezogen  werden 
dürfen,  schliesst  die  Beweisführung  mit  dem 
Hinweise  auf  die  rein  praktische  Erwäg^g, 
dass  für  die  stetig  zunehmenden  Erforder- 
nisse des  Staatshaushaltes  die  nöthigen 
Mittel  unbedingt  herbeigeschafft  werden 
müssen. 

Von  diesem  Gesichtspunkte  aus  wer- 
den der  staatlichen  Verkehrsmittel-Finanz- 
politik zwei  Gruppen  von  Aufgaben 
gestellt:  so  viele  Einnahmen  aus  dem 
Betriebe  zu  erzielen,  dass  nicht  nur  die 
Kosten  für  Abnützung,  resp.  Erneuerung 
der  Anlagen  ersetzt,  die  eigentlichen 
Betriebs-Auslagen  gedeckt  und  die  For- 
derungen öffentlich-rechtlicher  Natur  erfüllt 
werden,  sondern  auch  neben  Beibringung 
von  Quoten  zur  Schuldentilgung  eine 
solche  Verzinsimg  des  Anlage-Capitals 
sich  ergibt,  welche  die  vom  Staate  zu 
bestreitenden  Capitalslasten  übersteigt, 
um  derart  Zuschüsse  zu  den  allge- 
meinen staatlichen  Einnahmen 
zu  schaffen.  Andererseits  ist  es  Aufgabe 
der  vorerwähnten  Politik,  Vorsorge  zu 
treffen,  dass  der  Staatshaushalt  thunlichst 
vor  den  störenden  Wirkungen  geschützt 
werde,  welche  die  Schwankungen  in  den 
Verkehrsmittel-Erträgnissen  ausüben.  [S. 
127  a.  a.  O.] 

Es  kann  nun  nicht  wundernehmen, 
dass  angesichts  der  in  der  Theorie  herr- 
schenden Uebereinstimmung  hinsichtlich 
der  staatswirthschaftlichen  Ziele,  denen  die 
Verwaltung  der  Eisenbahnen  sowohl  bei 
dem  Bestände  subventionirter  Privatbah- 
nen, als  namentlich  in  der  Fühnmg  des 
Staatsbetriebes  nachzustreben  hat  und  die 
allgemein  in  der  Erreichung  des  höchst- 
möglichen Ertrages  gesucht  werden,  neue- 
stens  zumal  die  finanziellen  Ergebnisse 
des  Staatsbetriebes  sowie  die  Methode, 
welche  die  Verwaltung  der  Staatsbahnen 
zu  diesen  Ergebnissen  geführt  hat,  in  der 


Publicistik  und  Fachliteratur  den  Gegen- 
stand der  eindringlichsten  Untersuchungen 
gebildet  haben.  Dr.  Albert  Eder  hat 
in  seinem  Buche  »Die  Eisenbahnpolitik 
Oesterreichs  nach  ihren  finanziellen  Er- 
gebnissen« [Wien,  Manz  1894]  eine  auf 
umfangreiches  Ziffern-Material  gestützte 
historisch-kritische  Gesammtdarstellung 
des  Gegenstandes  durch  die  einzelnen  Ent- 
wicklungsphasen bis  zur  neuesten  Zeit 
geliefert.  Die  pessimistische  Beurtheilung 
dieses  Entwicklungsganges  ist,  insoweit 
sie  sich  auf  die  Wiederaufnahme  des 
Staatsbetriebes  bezieht,  nicht  unwider- 
sprochen geblieben*)  und  sind  auch  sonst 
gegen  den  rein  privatwirthschaftlichen 
Standpunkt  der  Abhandlung  gewisse 
Bedenken  nicht  zu  unterdrücken.  An 
dieses  Buch  anknüpfend,  wendet  sich 
Professor  Dr.  Josef  K  a  i  z  1  in  einer  scharf 
polemischen  Abhandlung  [»Passive  Eisen- 
bahnen. Ein  Capitel  zur  Finanz-  und 
Socialpolitik  Oesterreichs«  in  der  Wiener 
Wochenschrift  »Die  Zeit«  vom  Juni  1895] 
vornehmlich  gegen  die  in  den  Jahren 
1891  und  1892  bewirkten  Herabsetzun- 
gen der  Gütertarife  auf  den  Staatsbahnen. 
Seinen  Ausführungen,  die  von  ihm  auch 
im  Abgeordnetenhause  wiederholt  mit 
Nachdruck  geltend  gemacht  wurden, 
ist  wohl  nicht  ohne  Grund  der  Hinweis 
auf  die  ungarischen  Tarifmassnahmen 
[Zonen-  und  Localgütertarif  des  Handels- 
ministers von  Baross],  unter  deren  Druck 
die  österreichischen  Tarif-Ermässigungen 
erfolgten,  entgegengestellt  worden.  Auch 
wären  ja  bei  dem  empirischen  Versuche, 
das  für  die  Verkehrs-Entwicklung  und 
die  Einnahmen  -  Steigerung  wirksamste 
Tarif-Niveau  zu  finden,  Irrthümer  wohl 
entschuldbar.  Wie  man  nun  aber  die 
letzten  Ziele  der  damaligen  Tarif-Herab- 
setzungen und  ihre  Rückwirkung  auf  die 
einlösungsreifen  Privatbahnen  beurtheilen 
möge,  so  viel  ist  sicher,  dass  ihr  anfang- 
liches Ergebnis  Anlass  geboten  hat,  zu 
dem  neuen  Curse  der  staatlichen  Eisen- 
bahn-Tarifpolitik überzugehen,  wie  er  mit 
stärkerer  Betonung  der  staatsfinanziellen 
Rücksichten  seit  dem  Jahre  1892  wahr- 
nehmbar hervortritt. 


•)  S.  »Neue  Freie  Presse«  vom  22.  Septem- 
ber 1894  »Die  Eisenbahnpolitik  Oesterreichs«. 


12 


Dr.  H.  Ritter  v.  Wittek. 


Der  leitende  Gedanke,  diesen  Rück- 
sichten neben  den  volkswirthschaftlichen 
Interessen  beim  Staatseisenbahn-Betriebe 
zu  ihrem  vollen  Rechte  zu  helfen,  kann 
wohl  nicht  leicht  schärfer  und  treffender 
zum  Ausdruck  gebracht  werden,  als  dies  in 
einer  Rede  Sr.  Excellenz  Dr.  Emil  Stein- 
bach's  —  dem  im  Abgeordnetenhause 
am  5.  November  1892  gegebenen  Finanz- 
Expos6  —  geschehen  ist,  deren  einschlä- 
giger Theil  hiernach  dem  stenographischen 
Protokolle  des  Abgeordnetenhauses  im 
Wortlaute  folgt: 

>Sie  haben  Alle  die  Einführung  des 
Staatseisenbahnwesens  mit  Beifall  be- 
grüsst,  und  ich  darf  sagen,  dass  ich  mich 
dieser  Empfindung  jederzeit  angeschlossen 
habe,  und  mich  ihr  auch  heute  noch  aus 
vollem  Herzen  anschliesse.  Wenn  Sie 
aber  das  Staatseisenbahnwesen  aufrecht 
erhalten  wollen,  müssen  Sie  trachten,  dass 
Ausgaben  und  Einnahmen  überhaupt  im 
Verhältnisse  bleiben.  Wenn  die  Ausgaben 
fortwährend  steigen  und  die  Einnahmen 


zu  stark  herabgesetzt  werden,  dann  ist 
gar  nichts  anderes  möglich,  als  dass  das 
Staatseisenbahnwesen  in  seinen  Erfolgen  in 
einer  bestimmten  Reihe  von  Jahren  com- 
promittirt  werden  muss.  Der  Staat  kann 
seine  Eisenbahnen  im  Wesentlichen  nach 
dem  Princip  verwalten,  welches  man 
immer  das  Gebührenprincip  genannt  hat, 
aber  auf  eine  wenn  auch  ver- 
hältnismässig niedrigere  Durch- 
schnittsrentabilität muss  der 
Staat  sehen;  das  ist  das  Princip,  das 
anzustreben  ist,  und  ich  bin  vom  Finanz- 
standpunkte unbedingt  dazu  verpflichtet, 
darauf  zu  sehen,  und  ich  glaube  damit 
auch  im  Interesse  des  Staatseisenbahn- 
wesens zu  handeln.  Würde  man  dies 
nicht  thun,  dann  wäre  das  Resultat  einfach 
das,  dass  die  Nichtinteressenten 
den  Ausfall  zu  bezahlen  haben 
für  die  Eisenbahninteressenten, 
und  auf  die  Dauer  lassen  sich 
das  dieNicht-Eisenbahninteres- 
senten  nicht  gefallen.« 


III.  Die  Eisenbahnen  im  Staatsbudget 
unter  dem  Garantie-System. 


Nach  dem  glänzenden  Aufschwung, 
den  das  österreichische  Eisenbahnwesen  in 
den  Fünfziger-Jahren  unter  der  unmittel- 
baren Leitung  des  Staates  genommen  hatte, 
folgt  die  ungefähr  25  Jahre  umfassende 
Periode,  in  welcher  das  Privatbahn-System 
in  Verbindung  mit  staatlichen  Zinsen-  und 
Ertrags-Garantieen  der  verschiedensten  Art 
zur  nahezu  ausschliesslichen  Geltung  ge- 
langte. Die  Erlassung  des  Eisenbahn-Con- 
cessionsgesetzes  vom  14.  September  1854, 
R.-G.-Bl.  Nr.  238,  und  die  mit  i.  Januar 
1855  erfolgte  Concessionirung  der  österr. 
Staatseisenbahn-Gesellschaft  zum  Betriebe 
der  derselben  zeitweilig  überlassenen  nörd- 
lichen und  südöstlichen  Staatsbahnlinien, 
können  als  Ausgangspunkt  dieser  eisen- 
bahnpolitischen Wandlung  betrachtet  wer- 
den. Unter  dem  Drucke  der  Zeitverhält- 
nisse war  der  Staat  leider  bemüssigt,  sich 
seines  werthvollen  Bahnbesitzes,  auf  wel- 
chen nach  den  von  H.  Strach  im  Ab- 


schnitte über  die  ersten  Staatsbahnen 
[Bd.  I,  S.  313]  angestellten,  auf  Original- 
quellen zurückgreifenden  Berechnungen 
rund  350  Mill.  fl.  C.-M.*)  =  367*5  Mill.  fl. 
Ost.  Währg.  verwendet  worden  waren, 
unter  keineswegs  günstigen  Bedingungen 
zu  entäussem  —  der  Verkaufserlös 
wird  mit  nur  168*56  Mill.  fl.  C.-M. 
=  176*988  Mill.  fl.  Oest.  Währg., 
d.  i.  etwa  48  Procent  der  Selbstkosten 
angegeben  —  und  sich  zunächst  dem 
Eisenbahnwesen  gegenüber  eine  weit- 
gehende finanzielle  Zurückhaltung  aufzu- 
erlegen. Doch  ist,  wie  Adolf  Wagner 
in    seiner    Finanz  Wissenschaft    [2.  Aufl., 


*)  Adolf  Wagner,  Finanzwissenschaft 
[2.  Aufl.,  Leipzig  1877]  I.,  S.  598,  gibt 
336-26  Mill.  fl.  C.-M.  =  353073  Mill.  fl.  öst. 
Wäh^.  an.  Eder  berechnet  in  seinem  Buche 
»Die  Eisenbahnpolitik  Oesterreichsc  etc.  S.  49 
den  Canitalsverlust  des  Staates  mit  über 
223*54  Mill.  fl. 


Oesterreichs  Eisenbahnen  und  die  Staatswirthschaft. 


13 


Leipzig  1877,  IV/i,  S.  696]  treffend  her- 
vorhebt, das  Princip  des  Staatsbahnwe- 
sens, das  in  Oesterreich  von  allem  Anfang 
gewahrt  wurde,  keineswegs  aufgegeben 
worden,  indem  nicht  nur  bei  der  Con- 
cessionirung,  sondern  auch  bei  der  Ver- 
äusserung  der  Bahnen  der  Vorbehalt  eines 
Wiedereinlösungsrechtes  stipulirt  wurde. 
Nachdem  gleichwohl  der  Betrieb  des 
Bahnnetzes  fortan  der  Privatindustrie 
überlassen  war,  schien  hiedurch  der  an- 
gestrebte Zweck,  den  Staatshaushalt  von 
weiteren  Ausgaben  für  Eisenbahnzwecke 
zu  entlasten,  im  Wesentlichen  erreicht. 
Denn  die  Zinsengarantieen,  mit  welchen 
die  vormaligen  Staatsbahnen  den  con- 
cessionirten  Gesellschaften  übertragen 
worden  waren,  hatten  zunächst  nur  for- 
melle Bedeutung.  Der  Ausbau  des  Netzes 
aber  ging  insgemein  in  die  Hände  der 
Gesellschaften  über  und  nahm  sohin  mit 
Ausnahme  einiger  wenigen  Strecken,  deren 
Bau  durch  den  Staat  fortgesetzt  oder 
neu  eingeleitet  wurde  [Nordtiroler  Bahn, 
Wiener  Verbindungsbahn,  späterhin  Sie- 
benbürger Bahn  Arad-Karlsburg],  die 
Staatsfinanzen  nicht  in  Anspruch. 

Gleichwohl  begann  schon  Anfangs  der 
Sechziger-Jahre  das  bei  der  Ueberlassung 
der  Eisenbahnen  an  die  Privatindustrie 
angewandte  Garantie-System,  welches 
ursprünglich,  wie  bei  den  Garantie-Zu- 
sicherungen an  die  Staatseisenbahn-Ge- 
sellschaft und  späterhin  die  Südbahn,  nur 
als  formelle  Verstärkung  des  gesellschaft- 
lichen Credits  gedacht  war,  effective 
Wirkung  zu  äussern,  indem  der  garan- 
tirende  Staatsschatz  infolge  des  Zurück- 
bleibens der  wirklichen  hinter  den  garan- 
tirten  Bahnerträgnissen  mit  Garantie-Zu- 
schüssen in  Anspruch  genommen  wurde. 
Schon  das  erste,  in  Form  eines  Finanz- 
gesetzes*) verfassungsmässig  zustande  ge- 
kommene Staatsbudget  für  das  Jahr  1862, 
in  welchem  die  Summe  der  Staats- 
ausgaben mit  388,772.222  fl.  94  kr.,  die 
Bedeckung  durch  Staatseinnahmen  mit 
294,650.334  fl.  angesetzt  und  der  sohin 
im  Wege  des  Credites  zu  bedeckende 
Abgang  mit  94,121.888  fl.  94  kr.  beziffert 
ist,  weist  im  ersten  Theile  —  Erfordernis 


*)  Finanzgesetz  vom  2.  November  1862, 
R.-G.-Bl.  Nr.  76. 


—  unter  den  anderen,  zu  keinem  der  be- 
stehenden Verwaltungszweige  gehörigen 
Ausgaben  [A.  XV]  in  der  Abtheilung 
»Subventionen  und  Zinsengaran- 
tien für  verschiedene  Industrie- 
Unternehmungen  C«  eine  Reihe 
solcher  Ausgabsposten  für  Eisenbahnen 
auf,  und  zwar: 

Für  die  Süd-Norddeutsche   Verbindungs- 
bahn      600.000  fl. 

für  die  Theissbahn     ....   400.000  » 
Kaiserin  Elisabeth-Bahn   .    .   900.000  » 

Letztere  Ausgabspost  erscheint  mit  dem 
charakteristischen  Beisatze  »Ausnahms- 
weise und  unter  Aufrechterhaltung  aller  der 
Staatsverwaltung  in  Betreff  des  Ümfanges 
der  übernommenen  Zinsengarantie  aus 
lit.  g  des  §  XII  der  Concessions-Urkunde 
zukommenden  Rechte  als  Vorschuss«. 

Nebst  diesen,  zusammen  1,900.000  fl. 
betragenden  Garantie-Zahlungen  enthält 
das  1862er  Budget  noch  unter  »Schul- 
dentilgungE«  als  Capitalsrückzahlung 
von  durch  Einlösung  von  Privateisen- 
bahnen entstandenen  Schulden  den  Betrag 
von  105.400  fl.  imd  unter  »Capitals an- 
lagen F«  eine  Ausgabspost  für  Staats- 
eisenbahnbau, welche  nach  Abschlag  der 
eigenen  Bedeckung  per  100.000  fl.  mit 
1,740.855  fl.  eingestellt  ist. 

Im  zweiten  Theile  des  Staatsvoran- 
schlages —  Bedeckung  —  kommen  auf 
das  Eisenbahnwesen  bezügliche  Posten 
nicht  vor. 

Aus  dem  Titel  der  Eisenbahnen  hatte 
somit  der  Staatshaushalt  im  Jahre  1862 
eine  Netto-Belastung  von  3,746.255  fl. 
zu  tragen. 

In  dem  Finanzgesetze  *)  für  das  Ver- 
waltungsjahr  1863,  welches  bezüglich 
seiner  Eintheilung  mit  jenem  des  Vor- 
jahres übereinstimmt  und  bei  einem 
Staatsausgaben-Erforder- 
nisse von 367,087.748  fl. 

dem  eine  Bedeckung  von 

nur 304,585.094   * 

gegenübersteht,  mit  einem 

Abgange  von    .    .    .       62,502.654  fl. 

abschliesst,  sind  in  der  Hauptrubrik  XV, 
C  Subventionen  und  Zinsengarantien   an 


♦)  Vom    19.    December    1862,    R.-G.-Bl. 
Nr.   loi. 


14 


Dr.  H.  Ritter  v.  Wittek. 


solchen  zu  Eisenbahnzwecken  mit  den  im 
Vorjahre  gemachten  Vorbehalten  ein- 
gestellt : 

Für      die     Süd  -  Norddeutsche     Verbin- 
dungsbahn     [gleich     dem 
Vorjahre] 6oo.cx)0  fi. 

für    die    Theissbahn    [gleich 

dem  Vorjahre] 400.000  » 

für    die    Kaiserin    Elisabeth- 
Bahn  [ —  42.000  fi.]  .    .    .   858.000  » 

für  die  Zittau-Reichenberger 

Bahn  [neu]      337.000  » 

zusammen  Garantie-Ertbrder- 

nis 2,195.000  fl. 

[gegen  das  Vorjahr  +  295.000  fi.] 

Die  Ausgabspost  der  Capitalsrück- 
zahlung  von  durch  Einlösung  von  Privat- 
eisenbahnen entstandenen  Schulden  [E] 
mit  105.400  fl.  ist  unverändert  ge- 
blieben. 

Für  Staatseisenbahnbau  [F]  erscheint 
ein  specificirtes  Präliminar,  welches  an 
Ausgabsposten  enthält: 

a)  Regieaufwand     ....         67.321  fl. 

b)  Auslagen  zur  Vermeh- 
rung des  Stammvermö- 
gens           642.985   » 

c)  Unter-,  Ober-  und  Hoch- 
bau   1,496.250  » 

zusammen  2,206.556  fl. 
und     nach     Abschlag     der 
eigenen  Bedeckung  von  .    .       130.000  » 

die  Netto-Ausgabe  von  .  .  2,076.556  fi. 
ausweist. 

Der  gesammte  Aufwand  für  Eisen- 
bahnzwecke ist  im  Jahre  1863  mithin 
gestiegen  auf  4,376.956  fl. 

Im  Finanzgesetze  vom  29.  Februar 
1864,*)  welches  die  14  monatliche  Pe- 
riode vom  I.  November  1863  ^is  letzten 
December  1864  umfasst,  sind  die  ge- 
sammten  Staatsaus- 
gaben auf 614,260.059  fl. 

die  Staatseinnahmen  mit  568,547.335  > 
festgesetzt.  Der  Abgang 

beträgt  somit '^577~i  2.724"^^ 

Bei  den  Subventionen  [B]  an  Industrie- 
Unteniehmungen  [Cap.  14]  sind  unter 
den  ausserordentlichen  Ausgaben  als  mit 

*)  R.-G.-Bl.  Nr.  14. 


4^Iq  verzinsliche  Vorschüsse  eingestellt 
an  die  Süd-Norddeutsche  Verbindungs- 
bahn            600.000  fl. 

Theissbahn 860.000  » 

Kaiserin  Elisabeth  -  Bahn 
[mit  dem  gleichen  Vor- 
behalte wie  in  den  Vor- 
jahren]   1,300.000  » 

Böhmische  Westbahn     .    .       250.000  » 
femer  an  die  Zittau-Reichen- 
berger Bahn 100.000  » 

zusammen  3,110.000  fl. 

Bei  dem  Etat  der  Staats- 
schuld kehrt  im  Cap.  20 
[Schuldentilgung  ]  wieder 
die  Post:  Einlösung  von 
Privateisenbahnen  ....  105.400  » 
so  dass  die  Eisenbahn-Aus- 
gaben     3,215.400  fl. 

ausmachen,  welchen  gegen- 
überstehen die  Einnahmen 
aus  denAerarialeisenbahnen 
[Cap.  31,  Titel  5  der  Be- 
deckung] mit 106.813   * 

Der  präliminirte  Netto- 
Staatsaufwand  für  Eisen- 
bahnzwecke beträgt  mithin 
in  der  Finanzperiode  vom 
I.     November      1863     bis 

31.  December  1864    .    .    .   3,108.587  ¥. 

Im  Staatsvoranschlage  für  das  Jahr 
1865,  dessen  Staatsausgaben  laut  des 
Finanzgesetzes  vom  26.  Juli   1865*) 

mit 522,888.222  fl. 

und  Staatseinnahmen  mit  514,905.453  » 
fes^esetzt  sind,  wornach 

ein  Abgang  von     .     .     .       7,982.769  fl. 

resultirt,  nehmen  die  Subventionen  für 
Eisenbahnen  an  ausserordentlichen  Aus- 
gaben [Erfordemis-Cap.  15,  Titel  3 — 8] 
folgende  Summen  in  Anspruch: 

Süd-Norddeutsche  Verbin- 
dungsbahn     ....  680.000  fl. 

Theissbahn 970.000  > 

Kaiserin  Elisabeth-Bahn  1,400.000  » 

Böhmische  Westbahn      .  315.000  » 

Zittau-Reichenberg.  Bahn  100.000  * 

Südliche  Staatsbahn    .     .  8.218  » 

zusammen       3,473.218  fl. 
*)  R.-G.-Bl.  Nr.  54. 


Oesterreichs  Eisenbahnen  und  die  Staatswirthschaft. 


15 


Transport  .  . 
Im  Etat  der  Staats- 
schuld [Cap.  21,  Titel  7] 
sind  für  Einlösung  von 
Privatbahnen  .... 
eingestellt.  Die  Ausgaben 
für  Eisenbahnzwecke  be- 
tragen mithin     .... 

An  Einnahmen  gleicher 
Art  ist  nur  eine  Post  im 
Ordinarium  —  Aerarial- 
eisenbahnen  —  in  der  Be- 
deckung Cap.  33,  Tit.  6  mit 
präliminirt,  so  dass  die 
Netto-Belastung  für  Eisen- 


3,473.218  fl. 


105.993  » 


3,579.211  fl. 


138.029  » 


bahnzwecke 3,441.182  fl. 

ausmacht. 

Auch  das  Budget  des  Jahres  1866 
bietet  bezüglich  der  Eisenbahnen  ein 
ähnliches  Bild.  Es  schliesst  nach  dem 
Finanzgesetze  vom  30.  December  1 865  *) 

bei 531,273.881  fl. 

Staatsausgaben  und     .     .  49i>  134.735  » 
Staatseinnahmen  mit  einem 

Abgange  von     ....     40,139.146  fl. 
ab. 

Unter  den  Eisenbahn-Ausgaben  ist 
nebst  den  im  Subventions-Etat  [Cap.  16, 
Titel  3  —  8]  fortlaufenden  Garantie -Vor- 
schüssen, für  die  gleichen  Bahnen  wie  im 
Vorjahre  mit  zusammen  31498.736  fl. 
und  der  Einlösung  von 
Privatbahnen  [Cap.  22, 
Titel  8]  mit        ....  117.495  » 

eine  grössere  Post  für 
Aerarialeisenbahnen  im 
Erfordernis-Etat  d.  Staats- 
eigenthums  [Cap.  34,  Titel 
6  der  Bedeckung]  mit  I1466.985  » 

eingestellt,    so    dass    für 

Eisenbahnen    im   Ganzen       5,083.216  fl. 
zu  verausgaben  waren. 

An  Einnahmen  ist  un- 
ter jenen  vom  Staatseigen- 
thum  [Cap.  33  der  Be- 
deckung] in  Tit.  6  eine 
solche  von  den  Aerarial- 
eisenbahnen mit  .  .  .  158.029  » 
präliminirt.  Die  Netto-Be- 
lastung des  Budgets  be- 
trägt mithin 4,925.187  fl. 


Das  Finanzgesetz  für  das  Jahr  1867*) 
bestimmt    die    Staatsaus- 
gaben mit 433,896.000  fl. 

und  die  Staatseinnahmen 

mit 407,297.000  » 

den  Abgang  sohin  mit   .     26,599.000  fl. 

Auch  hier  erscheinen  Ausgabsposten 
der    gleichen    Eisenbahnen    im    Subven- 
tions-Etat   mit    zusammen     1,416.000  fl. 
die  Einlösung  von  Privat- 
bahnen mit 117.000» 

die  Aerarialeisenbahnen  mit  78.000  » 

zusammen    Ausgaben    von     1,611. 000  fl. 
denen  die   Einnahme    von 
den      Aerarialeisenbahnen 

mit 159.000  » 

gegenübersteht,     so     dass 

die  Nettobelastung      .     .       1,452.000  fl. 
beträgt. 

Mit  dem  Jahre  1868  —  dem  ersten, 
in  welchem  die  neugeordneten  staats- 
rechtlichen Verhältnisse  der  Monarchie 
auf  das  österreichische  Budget  ihre  Wir- 
kung äussern  —  beginnt  die  Periode, 
die  sich  durch  das  stetige  Anwachsen 
der  Garantie- Vorschuss-Zahlungen  an  die 
Eisenbahnen  charakterisirt. 

Im  Staatsvoranschlage  dieses  Jahres, 
für    welches     nach    dem 
Finanzgesetze     vom     24. 
Juni    1868*)    die    Staats- 
ausgaben mit     ....  320,230.526  fl. 
die   Staatseinnahmen   mit  281,245.907  » 
festgesetzt   sind  und    der 

zu  bedeckende  Abgang  mit    38,984.6 1 9  fl. 

beziffert   ist,    erscheint   im   Subventions- 
Etat  [Cap.  10,  Titel  1—3] 
neben     der     Böhmischen 
Westbahn  mit    .     .     ,     .  250.000  fl. 

und  dei*  Zittau-Reichen- 
berger  Bahn  mit     .  216.000  » 

zum  ersten  Male  die  Lem- 
berg-Czemowitzer  Bahn 
mit  der  Vorschusszahlung 

von 1,000.000  » 

zusammen  Eisenbahn- 
Ausgaben 1,466.000  fl. 

In  der  Bedeckung  [Cap.  9]  gelangt, 
gleichfalls  zum  ersten  Male,  ein  Rückersatz 


•)  R  -G  -Bl.  Nr.  149. 


♦)  Vom  28.  Dec.  1866,  R.-G.-Bl.  Xr.  176. 


i6 


Dr.  H.  Ritter  v.  Wittek. 


geleisteter  Vorschüsse,  und  zwar  von  der 
Kaiserin  Elisabeth-Bahn  mit    700.000  fi. 
zur    Einstellung.   Ausserdem 
sind  unter  den  Einnahmen  vom 
Staatseigenthume    [Cap.   26, 
Tit.  3]  als  solche  der  Aerarial- 
eisenbahnen  eingestellt    . 
zusammen     Eisenbahn  -  Ein- 
nahmen       


158.029  » 


858.029  fl. 


so  dass  die  präliminirte  Netto -Belas- 
tung des  Budgets  für  Eisenbahnzwecke 
nur 607.971  fl. 

beträgt. 

Die  Budgetziffem  der  einzelnen  Jahre 
von  1862  bis  1868  sind  in  der  folgen- 
den Tabelle  übersichtlich  zusammen- 
gestellt : 


Tabelle  I, 

Staatsausgaben  und  Staatseinnahmen  für  Eisenbahnzwecke  in  Millionen  Gulden 

innerhalb  der  Budgets  1862 — 1868. 


Jahr 

Gesammt- 

Ab- 
gang 

Für  Eisenbahnzwecke  präliminirte 
Ausgaben 

Einnahme 

aus 

Aerarlal- 

eisen- 

bahnen 

Mehr- 
Aus- 
gaben 

Er- 
fordernls 

Bedeckungr 

Garantie- 
Vorachttsse 

1     Privat- 
bahn- 
Einlösung^ 

Staats- 
eisenbahn- 
bau 

Zusammen 

1862 

388772 

294650 

94' 122 

1900 

0-105 

1741 

3-746 

3746 

1863 

367088 

304585 

62503 

2195 

0105 

2077 

4  377 

4377 

1864 

614*260 

568-547 

45713 

3.IIO 

0105 

3215 

0-107 

3108 

1865 

522888 

514-905 

7983 

3-473 

0-106 

— 

3*579 

0138 

3441 

1866 

531274 

491  135 

40139 

3499 

Ol  17 

1467 

5083 

0-158 

4925 

1867 

433-896 

407-297 

26599 

1-416 

OII7 

0078 

1611 

0-159 

1-452 

1868 

320-231 

281246 

39985 

1-466 

1466 

0  858*) 

0608 

1862—68  im  Ganzen  .  . 

316144 

17059 

0655 

5363 

23-077 

1420 

21-657 

durchschnittlich  .  . 

45-163 

1 

2-435 

0093 

0763 

1 

3297 

0203 

3094 

*)  Einschliesslich  einer  Garan 

tie-Vorsch 

iuss-Rück2 

:ahlung  di 

er  Kaiseri] 

n  Elisabet 

h-Bahn 

im  Betrage  von  700.000  fl. 

Die  Ziff'em  der  vorstehenden  Tabelle 
können,  wie  hier  zur  Vermeidung  eines 
Missverständnisses  hervorgehoben  werden 
muss,  kein  vollständiges  Bild  der  direc- 
ten  Einwirkung  der  Eisenbahnen  auf  den 
Staatshaushalt  in  der  besprochenen  Periode 
bieten,  da  es  sich  bei  der  Budget-Auf- 
stellung nur  um  Präliminar-Annahmen 
pro  futuro  und  nicht^  um  die  zur  Zeit 
derselben  noch  unbekannte  wirkliche 
Gebarung     handelt,      deren     Ergebnisse 


von  den  Fräliminar-Ansätzen  wesentlich 
abweichen  können.  Auch  erleiden  die 
Staatsvoranschläge  durch  Nachtrags-Cre- 
dite  oder  Specialgesetze,  welche  auf  das 
Budget  rückwirkende  Bestimmungen  ent- 
halten, häufig  Aenderungen.  Hiezu 
kommt  noch,  dass  in  der  hier  behandel- 
ten Periode,  welche  die  ersten  Jahre 
nach  Wiedereinfühnmg  verfassungs- 
mässiger Einrichtungen  umfasst,  die 
Technik  der  Budgetirung  und  Präliminar- 


V--^ 


Oesterreichs  Eisenbahnen  und  die  Staatswirthschaft. 


17 


Aufstellung  erst  am  Beginn  ihrer 
Ausbildung  stand  und  dass  schliess- 
lich der  ruhige  Gang  der  wirthschaft- 
lichen  Entwicklung  in  dieser  Zeit  wieder- 
holt durch  Kriegsereignisse  [1864  und 
1866]  unterbrochen  wurde,  welche  die 
Einhaltung  des  Budgets  unmöglich 
machten. 

Das  Interesse,  welches  die  angeführten 
Ziffern  für  den  Zweck  unserer  Darstellung 
bieten,  beschränkt  sich  daher  auf  die 
Wiedergabe  der  bei  der  Budgetirung  an- 
genommenen oder  vorausgesetzten  Wir- 
kungen des  damals  noch  am  Beginn 
seiner  Entwicklung  stehenden  Garantie- 
Systems  auf  den  Staatshaushalt. 

Die  in  den  einzelnen  Jahren  von 
1868 — 1881  unter  Berücksichtigung  des 
Silber  -  Agios  geleisteten  Garantie  -Vor- 
schuss-Zahlungen  sind  in  der  folgen- 
den Tabelle  II  summarisch  zusammen- 
gestellt. 

Tabelle  IL 

Geleistete  Garantie-Vorschüsse  in  den 

Jahren  1868 — 1881  in  Millionen  Gulden 

österr.  Währung. 


1 

1 

1 

Silber- 
Agio 

Vorschuss-Zahlung 

nomi-      hievon 
nell      in  Silber 

Agio- 
zahlung 

Zu- 

samzne  n 

1868 

1  II480 

1-399 

1-283 

0190 

1589 

1869 

J2rS2 

3-868 

3609 

0-777 

4645 

1870 

(   122-22 

6042 

5-815 

I  292 

7-334 ' 

I87I 

12064 

8638 

8562 

1-767 

10-405 , 

1872 

10949^  13374'  "428 

1    1085      14-459; 

1873 

io8s9    14-409    13-499 

I-I33    15-542, 

1874 

IOS'42 

19358 

16496 

0894 

20252 

1875 

I0^'S2 

20493 ;  18-349 

0646 

21139 

1876 

I04J7  >2i'iis   18-968 

0905 

22020 

1877 

I09SS    17627 

15-453 

1-476 

19-103 

1878 

I02'6y 

19-813 

17-710 

0-473 

20286 

1879 

19-341 

17-505 

19-341 

1880 

17925 

16-271 

17-925 

I88I 

14265 

13-410 

- 

14-265 

1 

1868— i 
1881 

1 

1 

197667 

178-358 

10-638;  208305 

1            1 

In  der  vorstehenden  Zeitperiode  ge- 
langten Garantie-Vorschuss-Schulden  zur 
Rückzahlung : 

1.  Seitens  der  Böhmischen  Westbahn 
im  Jahre  1869  für  die  Periode  vom  2. 
April  1863  bis  Ende  1867  mit  1,515.353  fi. 
Noten,  durch  Uebergabe  von  Prioritäts- 
Obligationen  ; 

2.  seitens  der  Kaiserin  Elisabeth-Bahn, 
welche  im  Jahre  1870  ihre  ganze  bis 
dahin  aufgelaufene  Garantieschuld  im 
ursprünglichen  Betrage  von  7,676.004  fl. 
sammt  Zinsen  tilgte ; 

3.  seitens  der  Kaschau-Oderberger 
Eisenbahn,  welche  im  Jahre  1880  eine 
Theilquote  der  empfangenen  Vorschüsse 
mit  173.172  fl.  Silber  an  den  Staat  rück- 
zahlte. 

Diese  Rückzahlungen,  welche  zusammen 
9,364.529  fl.  ausmachen,  sind  in  der 
Tabelle  II  nicht  berücksichtigt.  Werden 
dieselben  von  der  Summe  der  in  den 
Jahren  1868 — 81  geleisteten  Garantie- 
Vorschüsse  in  Abzug  gebracht,  so  ergibt 
sich  die  Netto-Garantie-Leistung  in  dieser 
Periode  mit  rund   198.941  Millionen  fl.  *) 

Ueber  die  Ergebnisse  der  Eisenbahn- 
Gebarung  im  Rahmen  des  Staatshaus- 
halts geben  vom  Jahre  1868  ab  die  in 
den  Mittheilungen  des  k.  k.  Finanzmini- 
steriums enthaltenen  Nachweisungen  Auf- 
schluss.  Sie  bringen  die  Erfolge  der 
etatmässigen  Gebarung  im  gesammten 
Staatshaushalte,  die  geleisteten  Garantie- 
Vorschüsse  und  den  Netto-Aufwand  für 
den  seit  1873  wieder  in  grösserem  Um- 
fange aufgenommenen  Staatseisenbahn- 
bau, dann  die  Betheiligung  des  Staates 
beim  Baue  von  Privateisenbahnen.  Die 
Ziffern,  welche  -  -  wie  dies  auf  eisen- 
bahn-finanziellem  Gebiete  infolge  der 
Verschiedenartigkeit  der  Contirungs- 
grundsätze  so  häutig  begegnet  --  von 
den  aus  anderen  Quellen  geschöpften 
Angaben  theilweise  abweichen,  sind  in 
Tabelle    III  zusammengestellt. 


♦)  Gesammtlänge  des  österr.  Bahnnetzes 
in  km: 


1868 

4.533 

1873 

9.334 

1878 

11.302 

1869 

5.273 

1874 

9.673 

1879 

11.379 

1870 

6.1 12 

1875 

10.336 

1880 

H.434 

187 1 

7.350 

1876 

10.780 

I88I 

II.7I2 

1872 

8.508 

1877 

11.255 

Geschichte  der  Eisenbahnen.    II. 


i8 


Dr.  H.  Ritter  v.  Wittek. 


Tabelle  III. 


^ 


Jahr 


Erfolg  der 

etatmässigen    Gebarung    im 

gesammten  Staatshaushalte 


Brutto- 
Ausgaben 


Brutto- 
Einnahmen 


Ueber- 

schuss  oder 

Abgang 


Geleistete 
Garantie- 
Vorschüsse 
[incl.  Silber- 
Agio] 


Netto-Auf- 
wand  für 
Eisenbahn- 
bau und  Be- 
theiligung 
beim  Bau 
von  Privat- 
bahnen 


Zusammen 

Netto- 
Ausgaben 
für  Eisen- 
bahnen 


in  Millionen  Gulden  Österr.  Währung*) 


324968 
300479 

332333 
345-645 
353038 
398851 
400*248 
391764 

415904 
415478 
503-512 
454-920 
432075 
479643 


im    G  a 
durchsch 


325*251 
323192 

355-570 
356296 

367*205 
[386-470]**) 
[381-486]**) 

[384725]**) 
381-418 
388130 
410-597 
394766 
422*  197 

442-333 

n  z  e  n 
nittlich 


+  03 
+  227 
+  23-2 
+  107 
+  14-2 


—  34-5 

—  273 

—  929 

—  602 

—  9*9 

—  37'3 


1-6 

4-7 

7-3 
I0"4 

145 
15-5 

20'3 
2fl 

23-9***) 

191 
203 

19-3 
17-9 

14-3 


0-2 

17-8 

34*4 
15-9 

13*2 

4*4 
3-8 
26 

5-9 


1-6 

4-7 

7*3 
10-4 

145 
157 
381 

55-5 
39-8 

32-3 
247 

23-1 

20*5 

202 


—  191  0 


210-2 
I5-I 


98-2 
71 


3084 

22*2 


*)  Von  den  in  dieser  Periode  geleisteten  Garantie-Vorschüssen  per  nom.  197*6  Mill.  fl. 
waren  178-3  MilHonen  fl.  in  Silber  zu  zahlen. 

*♦)  Die    factischen    Gebarungs-Deficite    der  Jahre   1873—75  per  12-381,  18762   und 
7*039  Millionen  fl.  wurden  aus  den  Cassabeständen  bedeckt. 

♦♦♦)  Die  Garantie- Abrechnungen,  welche  für  das  Gegenstandsjahr  aufgestellt  sind  und 
daher  nicht  die  i  n  demselben  factisch  geleistete  Zahlung  ausweisen,  geben  die  Zifl"er  von 
22  o  Millionen  fl.  als  Garantie-Vorschuss-Leistung  pro  1876,  daher  die  kleinere  Summe 
von  208  3  Millionen  fl. 


Die  vorstehende  Tabelle  schliesst  mit 
1881  als  dem  letzten  Jahre  ab,  in  welchem 
der  Staatshaushalt,  soweit  es  sich  um 
die  Einwirkung  der  Eisenbahnen  handelt, 
noch   unter  dem  Zeichen    des    Garantie- 


Systemes  stand.      Zwei   Momente   treten 
dabei  augenfällig  hervor. 

Zunächst  das  durch  die  Inbetrieb- 
setzung ertragsschwacher  Neubaulinien 
bedingte  rapide  Anwachsen  der  Garantie- 


Oesterreichs  Eisenbahnen  und  die  Staatswirthschaft. 


Vorschuss-Zahlungen  in  der  Periode  1868 
bis  1876  von   r6  auf  23-9  Millionen  fl., 
welcher   Umstand    bekanntlich    den    An- 
stoss    dazu    gab,    durch    das    von    dem 
damaligen    Handelsminister     Ritter    von 
Chlumecky    [Abb.    i]    eingebrachte 
und   mit   Erfolg   vertretene   Gesetz    vom 
1 4.        December 
1877,     R.-G.-Bl. 
Nr.     ii6,*)  »die 
garantirten   Bah- 
nen    betreffend«, 
die      Wiederauf- 
nahme des  Staats- 
betriebes bei  noth- 
leidenden  und  den 
Staat  übermässig 
belastenden     ga- 
rantirten  Bahnen 
sowie    deren  Er- 
werbung     durch 
den  Staat  grund- 
sätzlich       vorzu- 
zeichnen. 

Hiemit  warder 
erste  entscheiden- 
de Schritt  gethan, 
um  die  bisheri- 
ge eisenbahn  poli- 
tische Richtung 
zu  verlassen  und 
zum  gemischten 
Systeme  tiberzu- 
gehen, in  wel- 
chem fortan  den 
Privatbahnen  die 
vom  Staate  selbst 
betriebenen  Bah- 
nen zur  Seite 
stehen. 

Ueber  den  hie- 
filr      bestimmen- 
den     Gedanken- 
gang  gibt    die    am    i.    December    1876 
eingebrachte  Regiemngs -Vorlage,  welche 
dem    obigen     Gesetze     zugrunde    liegt, 
authentischen     Aufschluss.        Die     ein- 


')  Vgl.  Dr.  Victor  Roll  .Das  Gesetz  vom 
14.  December  1877  über  die  RegelunE  der  Ver- 
haltnisse garantirter  Bahnenc  [Wien,  1880, 
Zamarski],  woselbst  namentlich  die  Rechts- 
frage vom  Standpunkte  der  Bahnen  scharf 
geprüft  wird. 


schlägigen  Stellen  des  Motivenberichtes 
[589  der  Beilagen  der  VIII.  Session]  folgen 
hier  auszugsweise: 

■Indem  der  Staat  die  zum  Baue  und 
Betriebe  von  Eisenbahnen  ins  Leben  g< 
rufenen  Erwerbs  gesell  Schäften  durch  Gi 
Währung  von  Zinsen-  und  Ertragsgaran- 
tien in  ausgiebiget 
Weise  unterstützte 
und  den  Staats- 
finanzen die  Gefahi 
schwerer  Lasten 
aufbürdete,  wurde 
von  dem  Grund- 
gedanken ausge' 
Bangen,  dass  diese 
'nterstützung  nur 
als  eine  formelle, 
die  Aufbringung 
der  zur  BegrU" 
dung  des  Unte 
nehme  ns  nöthigi 
Geldmittel  erleich- 
ternde, jedenfalJ! 
nur  vorübergehl 
de  Staatshilte  : 
Ueberwindung  dei 
Schwieligketten 
der  ersten  Betriebs- 

i'ahre  zu  dienen 
labe,  und  das 
die  Abkürzung  die^ 
ser  Periode  wirth- 
schaftticher  U 
mUndigkeit  dei 
wirksamste  An- 
trieb eben  in  jenem 
individuellen  Er- 
werb sinteresse  dei 
Gesell  schaftei 
suchen  sei,  voi 
sen  BeHiäti^ung 
die  künftige  wirth- 
schaftliche  Frospe 
rität  der  Unterneh- 
mungen zu  ei 

Thatsächlich  hat 
diebezeichneteAn- 
nahme  sich  jedoch 
i,  nur  bei  einer  Min- 

derzahl der  mit- 
tels Staatsgarantie  ins  Leben  getretenen 
Eisenbahn-Unternehmungen  bewahrheitet,  be- 
züglich welcher  die  steigende  Ertragsfähig- 
keit der  Linien  eine  Vorschussleistunji  des 
farantirenden  Staatsschatzes  nach  einigen 
ahren  ganz  entbehrlich  werden  Hess  oder 
doch  ausreicht,  um  dieses  Ziel  unter  normalen 
Verhältnissen  in  näherer  Zukunft  sicher  ge- 
wärtigen zu  lassen. 

In  diesen  Fällen  hat  das  System  des 
Privatbetriebes  mit  Staatsgarantie  den  ge- 
hegten Erwartungen  und  Voraussetzungen 
entsprochen. 


20 


Dr.  H.  Ritter  v.  Wittek. 


Bei  der  Mehrzahl  der  garantirten  Bahnen 
gestaltete  sich  die  Sachlage  jedoch  anders, 
namentlich  seitdem  man  dazu  gelangt  war, 
das  System  der  Concessionirung  an  Privat- 

fesellschaften  mit  Staatsgarantie  auch  auf 
isenbahnlinien  anzuwenden,  deren  Ertrags- 
verhältnisse eine  wirksame  Bethätigung  des 
individuellen  Erwerbsinteresses  der  con- 
cessionirten  Gesellschaften  gänzlich  oder 
doch  zum  allergrössten  Theile  ausschliessen 
mussten. 

Bei  diesen  Bahnen,  welche  seit  ihrem 
Bestände  genöthigt  sind,  die  Staatsgarantie 
alljährlich,  und  zwar  mitunter  in  sehr  grossem 
Umfange,  ja  sogar  mit  dem  höchsten  zu- 
lässigen Betrage  in  Anspruch  zu  nehmen 
und  denen  jede  Hoffnung  auf  eine  Besse- 
rung dieses  Verhältnisses  in  näherer  Zu- 
kunft benommen  ist,  erscheint  die  wirth- 
schaftliche  Lage  durch  das  rapide  Anwachsen 
einer  den  Vermögenswerth  des  Unternehmens 
aufzehrenden  Garantie-Schuldenlast  ernst- 
lich bedroht  sowie  das  Interesse  des  ga- 
rantirenden  Staatsschatzes  in  hohem  Grade 
gefährdet. 

Hiezu  kommt,  dass  bei  einer  thatsächlich 
auf  Kosten  des  Staates  stattfindenden  Ge- 
barung selbst  durch  scharfe  und  kostspielige 
Controle  die  Gefahr  einer  immerhin  mög- 
lichen Misswirthschaft  nicht  beseitigt  werden 
kann,  und  dass  die  bei  so  ungünstigen  Er- 
gebnissen naheliegende  Vermuthung  einer 
solchen  Gefahr  die  Thatkraft  und  den  Geist 
der  Verwaltung  in  nachtheiligster  Weise  be- 
einflussen muss. 

Der  Anwendung  des  Garantie-Systems 
auf  derartige  Bahnen  ist  schliesslich  in  jenen 
einzelnen  Fällen,  wo  die  Betriebseinnahmen 
nicht  einmal  zur  Bedeckung  der  Betriebs- 
kosten ausreichten,  das  Hervortreten  der 
Streitfrage  über  das  Betriebs-Deficit  zuzu- 
schreiben -—  einer  Streitfrage,  deren  schäd- 
liche Folgen  für  den  österreichischen  Eisen- 
bahncredit  keiner  weiteren  Erörterung  be- 
dürfen. 

In     der    That    haben    sich    bei    einigen 

farantirten  Bahnen  derartige  Missverhältnisse 
erausgebildet  und  sind  die  finanziellen  Opfer, 
welche  hieraus  für  den  Staatsschatz  erwachsen, 
ungeachtet  der  wirksamsten  Controle,  welche 
schliesslich  doch  den  Mangel  des  individu- 
ellen Erwerbsinteresses  nicht  ersetzen  kann, 
namentlich  im  Hinblicke  auf  die  stetige  Stei- 
gerung der  Garantielast,  nahezu  erdrückend 
geworden 

Wie  die  als  Beilage  I  angeschlossene 
Uebersicht  der  im  Staatsvoranschlage  der 
Finanzgesetze  eingestellten  Ausgaben  an 
4^/0  igen  Vorschüssen  für  garantirte  Eisen- 
bahn-Unternehmungen zeigt,  ist  das  budget- 
mässig  bewilligte  Jahreserfordernis  für  Garan- 
tie-Vorschüsse in  den  Jahren  1868  bis  1876  von 
I  »437-500  fl.  oder  0-45%  des  gesammten  Staats- 
ausgaben-Budgets auf  23,124.680  fl.  oder  573% 
dieses  Budgets  gestiegen. 


Nach  der  als  Beilage  II  nachfolgenden 
Zusammenstellung  haben  die  derzeit  noch 
aushaftenden  Garantie-Schulden  von  Eisen- 
bahnen der  im  Reichsrathe  vertretenen 
Länder  seit  1861  bis  1875  den  Gesammt- 
betrag  von  94,263.719  fl.,  darunter  an  Vor- 
schüssen 83,783.288  fl.  und  an  Zinsen  bis 
31.  December  1875  10,480.430  fl.  erreicht.*)  — 
Dabei  ist  nicht  zu  übersehen,  dass  bei  mehreren 
garantirten  Bahnen  infolge  der  noch  an- 
hängigen Abrechnungen  und  Capitalsfest- 
steluingen,  Nachtragszahlungen  für  die  ver- 
flossenen Jahre  ausständig  smd.  —  Eine  er- 
hebliche Besserung  der  Garantielast  ist  auch 
nach  den  Aufstellungen  des  Staatsvoran- 
schlages für  1877,  woselbst  die  Erfordernis- 
summe von  der  Regierung  mit  22,160.000  fl , 
darunter  21,165.000  fl.  Silber  beziffert  wird, 
nicht  zu  gewärtigen,  vielmehr  eine  weitere 
Mehrbelastung  infolge  des  höheren  Silber- 
Agios  zu  befürchten.  —  Wenngleich  die 
Hoffnung  begründet  erscheint,  dass  die  Höhe 
der  Garantielast  der  bestehenden  Bahnen 
den  Culminationspunkt  erreicht  hat,  so  ist 
doch  nicht  zu  vergessen,  dass  demnächst 
die  Garantie  für  die  Salzkammergutbahn 
[rund  mit  1^2  Millionen]  in  Wirksamkeit 
treten  wird,  und  einige  andere  Linien  mit 
Staatsgarantie  dotirt  sind,  deren  Conces- 
sionirung immerhin  in  Aussicht  genommen 
werden  darf.c 

Ausserdem  zeigen  die  Schlussziffern 
der  Tabelle  II,  dass  das  seit  1876  im 
Staatshaushalte  neuerdings  eingetretene 
Gebarungs-Deficit  mit  den  für  Eisen- 
bahnzwecke gemachten  Ausgaben  in  so 
naher  Beziehung  steht,  dass  wohl  von 
einem  ursächlichen  Zusammenhange  ge- 
sprochen werden  kann.**) 

Die  Summe  der  Garantie-Nettozah- 
lungen in  den  Jahren  1868  — 1881  mit 
nominell  197*6,  effectiv  2083  Mill.  fi. 
deckt  sich  nahezu  mit  dem  Passiv-Saldo 
der  Staatshaushalts-Bilanzen  derselben 
Periode,  wogegen  die  Summe  der  Staats- 
Deficite  1876 — 1881  mit  262  Millio- 
nen fi.  augenscheinlich  dadurch  so  hoch 
ausgefallen  ist,  dass  der  mit  den  hohen 
Garantie  -  Vorschusszahlungen  im  Ge- 
sammtbetrage    von    114*8    Mill.    ü.    zu- 

*)  In  dem  vom  Abg.  Dr.  Russ  als  Be- 
richterstatter verfassten,  ein  glänzendes 
Plaidoyer  für  den  Staatsbetrieb  darstellenden 
Berichte  des  Eisenbahn-Ausschusses  vom 
Mai  1877  [Z.  678  der  Beilagen]  ist  die  Ga- 
rantieschuld Ende  1876  incl.  Zinsen  mit 
122,672.434  fl.  berechnet. 

**)Vgl.  Beer,  »Staatshaushalt Oesterreich- 
Unganis*,an  den  im  I.  Abschnitt  angeführten 
Stellen,  S.  241  u.  254. 


Oesterreichs  Eisenbahnen  und  die  Staatswirtiischaft. 


sammen treffende  Aufwand  für  den  Eisen- 
bahnbau nach  Verwendung  des  demselben 
überwiesenen    53  MilUonen-Antheils   aus 
dem  Nothstands-Aniehen  vom  Jahre  1873 
mit  noch  fast  weiteren  50  Mili.  fl,  gleich 
einer  laufenden  Gebarungs- Auslage    be- 
handelt und  mit  der  vollen  Capitalsziffer 
in   die  Jahresbudgets   eingestellt   wurde, 
obwohl  er  doch  eine  Capitals- Investition 
darstellt.     Ohne    diese   beiden    Ausgabs- 
posten würde  die 
Summe   der   Ce- 
fa arungs  -  Deficite 
obiger  Jahre  statt 
262  nur  100  Mil- 
lionen fl.  betragen 
haben. 

Unter  diesen 
Umständen  be- 
greift sich  die 
sorgenvolleAcht- 
samkeit,  welche 
die  Ressortmini- 
ster der  zweiten 
Hälfte  der  Sieb- 
ziger-Jahre, Rit- 
ter von  Chlu- 
mecky  und  Frei- 
herr von  P  r  e  t  i  s, 
der  Garantie- Ge- 
barung zuwand- 
ten. Nebst  dem 
vorhin  bespro- 
chenen Gesetze 
über  die  garantir- 
ten  Bahnen  war 
es  die  Einrichtung 
einer     schärferen  xr'7^f~' 

Controle  und  ^^  ■  **  ■ 

eines    die  frühere  -= — 

Unsicherheit  und  ** 

Verschleppung 
der  Garantie- Abrechnungen  behebenden 
Rechnungswesens,  auf  welches  Ziel  die 
Bemßhimgen  der  leitenden  Staatsmänner 
vornehmlich  gerichtet  waren.  Es  bleibt 
ein  nicht  hoch  genug  anzuschlagendes 
Verdienst  des  damals  zum  zweiten  Male 
nach  Oesterreich  berufenen  General- 
Directors  Sectionschefs  von  N  Ö  r  d  i  i  n  g 
[Abb.  2],  in  diesen  schwierigen  und  ver- 
wickelten Gegenstand  Ordnung  und  Klar- 
heit gebracht  und  nebst  der  Errichtung 
einer    eigenen    General  -  Inspections  -  Ab- 


theilung für  diesen  Dienstzweig,  durch 
die  Einsetzung  der  Garantie-Rechnungs- 
commission den  festen  organisatorischen 
Rahmen  geschaff'en  zu  haben,  in  dem  die 
Abwicklung  der  Garantie  -  Verhältnisse 
mit  den  Gesellschaften  unter  sorgsamer 
Wahrung  der  Interessen  des  Staats- 
schatzes sich  seither  anstandslos  und 
rechtzeitig  vollzieht. ') 

Um  die  Gebarungs -Ergebnisse  der 
Staats  garantie  bis 
zur  Gegenwart 
zur  Darstellung  zu 
bringen,  sind  die- 
selben in  den  bei- 
den nachstehen- 
den Tabellen  IV 
und  V  zuerst  jahr- 
weise, dann  sum- 
marisch bis  Ende 
1895  für  die  ein- 
zelnen Bahnen 
nach  den  Sum- 
men der  densel- 
ben ausgezahl- 
ten Garantie- Vor- 
schüsse, der  ge- 
leisteten Rück- 
zahlungen, der 
bei  den  Verstaat- 
lichungen erfolg- 
ten Abschreibun- 
gen und  dem 
Stande  der  per 
I .  Januar  i 896 
aufrecht  verblie- 
/"'     \  benen  Forderung 

r\^-^         '  ^^^    Staates     an 

'     '*'*  solchen  Vorschüs- 

sen zusammen- 
gefasst.  —  Die 
von  den  Garantie- 
Vorschüssen  rechnungsmässig  zu  entrich- 
tenden 4''/nigen  Zinsen,  deren  Höhe 
nach  den  einzelnen  Jahren  variirt,  sind 
hierbei  nicht  berücksichtigt ;  ebenso 
nicht  die  auf  Abschlag  der  Zinsenfor- 
derung des  Staates  geleisteten  Garantie- 
Rückzahlungen. 

•)  Ueber  das  Wirken  Sectionschef  von 
Nördlirg's  in  Oesterreich  enthält  eingehende 
Mittheilungen:  Konta,  Eisenbahn-Jahrbuch, 
neue  FolRe,  II.  [13.]  Bd.,  S.  5,  Wien  1880, 
Lehmann  &  Wentzel. 


22 


Dr.  H.  Ritter  v.  Wittek. 


Garantie- Vorschüsse  und  Rückzahlungen,  dann  Netto- 

[Die  Rückzahlungen 


Bezeichnung  der  Bahn 

1    1882 

1 

1883 

1884 

1885 

1886 

1887 

a)   Verstaatlichte  Bahnen, 

1 

1 

I.  Kaiserin  Elisabeth-Bahn  .    .   . 

1 

2.  Kaiser  Franz  Josef-Bahn  .   .   . 

0  567 

0  421 

— 

1    3.  Kronprinz  Rudolf-Bahn    .    .    . 

6-147 

6'079 

— 

' ' 

4.  Vorarlberger  Bahn 

0643 

0  651 

0687 



5.  Galizische  Carl  Ludwig-Bahn 

0  638 

i-o6o 

0  989 

1-120 

1-310 

1-239 

6.  Erzherzog  Albrecht-Bahn    .   . 

I  002 

0-804 

0-878 

I  070 

0964 

0819 

7.  Mährische  Grenzbahn  .... 

0  318 

0-293 

0-330 

0-357 

0352 

0303 

8.  Eisenerz- Vordemberg    .... 

~  ~ 

1 

9.  Locdlbahn  Laibach-Stein      .    . 



10.  Dux-Bodenbacher  Bahn    .    .   . 

1 
1 



II.  Böhmische  Westbahn    .... 

—      i 

1 

— 

h)  Für  Rechnung  des  Staates 

1 

betriebene  Bahnen, 

\ 

1 

12.  Erste  Ungar. -galizische  Eisen- 

bahn*)     

0-953 

0  951 

1-022 

I  205 

II71 

0-865 

13.  Ungarische  Westbahn*)   .   .   . 

0  282 

0360 

0285 

0  233 

0  230 

0  245 

14.  Leraberg  -  Czernowitz  -  Jassy  - 

Eisenbahn*^ 

I  869 

I  029 

I    506 

1-617 

1-922 

1-860 

c)  Selbstständige  Privalbahnen. 

15.  Kaschau-Oderberger  Eisenb.  .  i 

1 

— 

0-014 

16.  Kaiser   Ferdinands-Nordbahn  .  1 

1 

[Mähr.-schles.  Nordbahn] .   .    . 

0  300 

0-288 

0-334 

8-089 

— 

— 

17.  Brünn-Rossitzer  Bahn  .... 

0-005 

0-012 

0-019 

O-Oll 

0-006 

0-018 

18.  Oesterr.  Nordwestbahn    .   .    . 

0  296 

0-497 

1-852 

3-250 

i'333 

0-126 

0-933 

0  820 

1  19.  Süd-Norddeutsche  Verbindgs.- 

1 

7JJ 

Bahn 

0-435 

1 

0942 

f\'f^>f\ 

0804 

0-794 

0  891 

20.  Oesterr. -Ungar.    Staatseisenb.- 

1/    VAAJ 

Gesellschaft  [Ergänzungsnetz] 

0  355 

1 

0-159 

0  439 

1 

0-626 

1    0-990 

0-833 

d)  Localbahnen. 

1 
i 

1 

1 

1 

21.  Wodfian-Prachatitz 

1 

1 

^^^^ 

1      — 

i  22.  Strakonitz-Winterberg  .... 

1 

1 

— — 

23.  Gailthalbahn 

1 

1 

1 

____ 

24.  Friauler  Eisenbahn 

— 

1 

— 

1 

1  25.  Deutschbrod-Humpoletz    .    .    . 

1 

1 

1 
1 

1 
1 

Netto-Garantie-Gebarung 

1  13*800 

1 

U-522 

8-909 

2-985 

8-534 

7-844 

Oesterreichs  Eisenbahnen  und  die  Staatswirthschaft. 


23 


Garantie-Gebarung  in  Millionen  Gulden  1882— 1895. 
sind  fett  gedruckt.] 


Tabelle  IV. 


1888 


1889 


1890 


1891 


1892 


1893 


1894 


1895 


Anmerkung 


1-306 

o  770 
o  294 


0'208 


1-307 

0*266 
I  866 


0-133 


0*026 

0430 


0-810 


0730 


I  306 

0-835 
0*301 


1052 
0-703 
0-251 


0-208 


1-787 


2-145 


0-033 

o  389 


0-929 


0-589 


0-371 


I  772 


I-I75 


o  258 


I-2I8 


0-238 


0-311 
0-123 


0-322 
0006 


2074 


2  328 


0572 
1-055 
0*281 


0530 


1-262 


0259 


1884 


0  136 

3-579 

0  746 

o  196 


0005 
0-004 


0657 


0-345 


o  010 
0007 
0-019 
o  033 

0003 


3-574 


0-874 


0-707 


0010 
0-005 
0-046 
0-069 

0-012 


5  00  ^ 

CO      M      ^ 
CQ  O 

j:^    u    u 

G  ^  'S 

ä  ==^  13 

''S  '^  -^ 
bca   g 

eö    2    !-• 
'^    ß    ^ 


M 


c3  'S 


CO 
1h 

w 


c 
Cd 


I 
w 

b£) 

CQ 

Vi 

> 
0) 

73 


4> 

C 

o 

0) 
M 

e 

o 

> 

I 

4> 
•  Fl 

c 

u 

CQ 
O 

Vi 


V4  * 


so 

N 


o 

Ö     _ 

U     <M 

V     N 

u  iJ 

I 

b£ 


iJ  -Sc 

'S     N 

0  ^ 


*      H  -^ 


«  s 

bfi'g 

-^   fc 
CO   a> 

b£N 
c   bfi 

pS      CO 

«  6 


7-828 


3750 


4-840 


5-438 


4'8i3 


0-280  1     1-074 


1-851 


24 


Dr.  H.  Ritter  v.  Wittek. 


Tabelle   V. 

Staats-Garantie-Vorschüsse  vom  Beginn  der  Garantie-Leistung 

bis  Ende  1895. 


Name  der  Bahn 

Ausg^ezahlte 
Garantie- 
Vorschüsse 
[incl.  Betriebs- 
Deficit] 

Rück^ezahlte 
Garantie- 
Vorschüsse 

Ab- 
geschriebene 
Garantie- 
1     Vorschüsse 

1 

Stand 
der  Garantie- 

VorschusB- 
Forderun^  des 

Staates  per 
I.Januar  iSgö  [ 

in  Gulden  ötiterr.  Währung: 

aj   Verstaatlichte  Bahnen, 

1.  Kaiserin  Elisabeth-Bahn 

31,124.485 

7,676.004 

23,448.481 

— 

2.  Kaiser  Franz  Josef-Bahn 

21,042.356 

21,042.356 

— 

3.  Kronprinz^  Rudolf-Bahn 

72,774-987 

72,774.987 

4.  Vorarlberger  Bahn 

10,440.377 

10,440.377 

— 

5.  Erste  ungar.-galizische  Eisenbahn 

17,055.425 

17,055.425 

— 

6.  Ungarische  Westbahn 

5,104.121 

5,104.121 

— 

7.  Galiz.  Carl  Ludwig-Bahn 

18,115.926 

18,115.926 

— 

8.  Erzherzog  Albrecht -Bahn    .... 

14,686.675 

14,686.675 

9.  Mährische  Grenzbahn 

6,493.884 

— 

6,493.884 

10.  Eisenerz- Vordernberg 

122.691 

122.691 

-  - 

II.  Localbahn  Laibach-Stein 

5.747 

-  - 

5.747 

12.  Dux-Bodenbach 

207.604 
1,515.353 

207.604 
1,515.353 

13.  Böhmische  Westbahn 

- 

1 

b)  Selbstständige  Privatbahnen. 

14.  Kaschau-Oderberger  Bahn    .... 

2,465.549 

2,465-549 

—            i 

15.  Mähr.-schlesische  Nordbahn   .  .  . 

8,088.657 

8,088.657 

-  - 

16.  BrUnn-Rossitzer  Bahn 

130.469 

130.469 

- 

17.  Lemberg-Czernowitzer  Bahn*)    . 

40,436.562 

3,574.003 

36,862.559 

18.  Oesterr.  Nordwestbahn 

21,197-445 

3,376.312 

17,821.133 

19.  Süd-Nordd.  Verbindungs-Bahn  .  . 

25,422.883 

3,579.177 

21,843.706 

20.  Staatseisenbahn-Gesellschaft  [Er- 

gänzungsnetz]    

14,681.300 

—  — 

14,681.300 

cj  Localbahnen. 

21.  Wodnan-Prachatitz 

24-350 
15.242 

24.350 
15.242 

22.  Strakonitz-Winterberg 

1 

— 

23.  Gailthalbahn 

64.815 

64815 

24.  Friauler  Eisenbahn 

101.485 
15.192 

101.485 
15.192    1 

25.  Localb.    Deutschbrod-Humpoletz 

1 

Zusammen  1—25 

1 

1311,333.580 

30,613.128 

189,290.670 

91,429.782 

*)  Seit  1888  vom  Staate  für  eif 

yene  Rechnui 

lg  gegen  eir 

le  der  Garan 

tie  gleich- 

;     kommende  fixe  Jahresrente  betrieben 

• 

Oesterreichs  Eisenbahnen  und  die  Staats^virthschaft. 


25 


Die  Schlusszififern  zeigen  den  Ge- 
sammterfolg,  dass  von  den  31 1*3  Mill.  fl. 
Garantie-Vorschüssen  30*6  Mill.  fl.  ^ 
9*8  7o  ^^  ^^^  Staat  zurückgezahlt, 
189-3  MiU.  fl.  =  608%  durch  Ab- 
schreibung erloschen  sind  und  91  -4  Mill.  fl. 
=  29*4^/0  als  Forderung  des  Staates 
aufrecht  bestehen.  Diese  Forderung 
repräsentirt  allerdings  nur  insofern  einen 
realisirbaren  Werth,  als  die  Erträgnisse 
der  betreffenden  Bahnen  Aussicht  auf 
Ueberschüsse,  welche  den  garantirten 
Reinertrag  übersteigen,  eröffnen  oder  im 
Falle  ihrer  Einlösung  ein  erübrigendes 
Vermögen  rechtlich  zur  Tilgimg  der  Ga- 
rantie-Schuld herangezogen  werden  kann. 

Der  Vollständigkeit  halber  ist  noch  bei- 
zufügen, dass  in  den  vorstehenden  Auf- 
stellungen nicht  inbegriffen  sind  die  [nicht 
rückzahlbaren]  Garantie-Zuschüsse  für  die 
Zittau-Reichenberger  Bahn,  die  den 
österreichischen  Staat  seit  ihrer  Eröffnung 
ständig  mit  Beträgen  belastet,  welche  von 
337.000  fl.  [1863]  successive  bis  auf  jähr- 
lich 35.000  fl,  herabgesunken  sind. 

Dessgleichen  ist  die  auf  Grund  des 
Gesetzes  vom  20.  Mai  1869,  R.-G-.Bl. 
Nr.  85,  zufolge  des  Uebereinkommens 
vom  27.  Juli  1869,  R.-G.-Bl.  Nr.  138,  und 
des  Zusatzartikels  vom  30.  Januar  1870 
an  die  Südbahn-Gesellschaft  als 
fixer  Staatsbeitrag  zur  Verzinsung  und 
Tilgung  des  für  den  Bau  der  Eisenbahn- 
linien Villach-Franzensfeste  und  St.  Peter- 
Fiume  aufgenommenen  fünfpercentigen 
Specialanlehens  per  50,000.000  fl.  bezahlte 
Annuität  von  762.047  fl.  ö.  W.  Noten 
in  den  vorerwähnten  Gesammtziffern 
nicht  enthalten.     Diese  Ausgabspost  wird 


,  übrigens  von  Anbeginn  nicht  im  Etat  des 
Eisenbahnwesens  [Handelsministerium] 
sondern  in  jenem  des  Finanzministeriums 
unter  dem  Titel  »Staatsschuld  der  im 
Reichsrathe  vertretenen  Königreiche  und 
Länder«  verrechnet. 

Andererseits  besteht  für  den  Staat 
der  Südbahn  gegenüber  ein  Participations- 
Verhältnis  an  den  Brutto-Einnahmen,  in- 
dem zufolge  des  Uebereinkommens  vom 
13.  April  1867,  R.-G.-Bl.  Nr.  69,  Antheile 
[7io  und  Y4]  derselben,  insoweit  sie  die 
Grenzwerthe  von  107.000  fl.  und  1 10.000  fl. 
per  Meile  übersteigen,  dem  Staate  aui 
Abschlag  seiner  Kaufschillingsrest-Forde- 
rungen zugewiesen  sind.  Aus  diesem 
Titel  sind  dem  Staate,  bevor  die  Frage 
infolge  Ablaufs  der  Steuerfreiheit  der 
Unternehmung  mit  Ende  1880  streitig 
wurde  —  ein  Streit,  der  bekanntlich  in 
allerjüngster  Zeit  durch  schiedsgericht- 
liches Urtheil  zur  Austragung  gelangt 
ist*)  —  in  den  Jahren  1871 — 1879  zu- 
sammen 6,166.405  fl.  zugeflossen.  In- 
folge des  Schiedsrichterspruches  empfing 
der  Staat  für  die  Jahre  1880 — 1895  eine 
weitere  Abschlagszahlung  von  i  ,669.950  fl. 
Die  Betheiligung  des  Staates  an  dem 
Reingewinn  der  Kaiser  Ferdinands- 
Nordbahn  datirt  seit  der  Neu-Concessio- 
nirung  mit  i.  Januar  1886  und  wird  an 
einer  späteren  Stelle  berücksichtigt  wer- 
den. Das  analoge  Verhältnis  bei  der 
Aussig-Teplitzer  Eisenbahn  [seit 
1894]  kommt  in  den  Einnahmen  des 
Staatsbetriebes  zum  Ausdruck. 


♦)  Vgl.  Band  I.  Konta:  »Geschichte  der 
Eisenbahnen  Oesterreichs  von  1867  bis  zur 
Gegen"wart« . 


IV.  Staatsbetrieb  und  Staatshaushalt. 


Mit  der  von  dem  Handelsminister 
Ritter  v.  Kremer  [Abb.  3]  und  dem 
Finanzminister  Dr.  Ritter  v.  Dunajewski 
Ende  1880  eingeleiteten  Erwerbung  der 
Kaiserin  Elisabeth-Bahn  beginnt  in  Oe- 
sterreich  die  Eisenbahn  -Verstaatlichung 
in  grossem  Stile  —  eine  staatswirth- 
schaftliche  Action,  welche  die  folgenden 
Handelsminister  systematisch  fortgeführt 
haben,  und  zwar  Baron  Pino-Frieden- 


thal  [Abb.  4]  bezüglich  der  Kaiser 
Franz  Josef-,  Kronprinz  Rudolf-,  Vorarl- 
berger-, Pilsen  -  Priesener-,  Prag-Duxer- 
und  Dux -Bodenbacher  Bahn,  Marquis 
Bacquehem  bezüglich  der  galizischen 
Carl  Ludwig -Bahn,  Ersten  ungarisch- 
galizischen  Eisenbahn  und  ungarischen 
Westbahn,  Graf  Wurmbrand  bezüg- 
lich der  Lemberg-Czemowitzer  Eisen- 
bahn, Böhmischen  Westbahn,    mährisch- 


26 


Dr.  H.  Ritter  v.  Wittek. 


schlesischen  Centralbahn  und  mährischen 
Grenzbahn.  Wie  kaum  eine  andere  hat 
diese  Action,  bei  deren  Durchfühnmg 
bis  zum  Jahre  1886  Sectionschef  Frei- 
herr von  Pusswald  [Abb.  5]  in  her- 
vorragender Weise  leitend  mitwirkte,  das 
Staatsbudget  schon  durch  die  Erweiterung 
des  staatlichen  Wirthschaftsbereiches  nach- 
haltig beeinflusst.*) 

Mit  dem  Jahre  1882  wird  die  ge- 
sammte  Einnahmen-  und  Ausgaben-Ge- 
barung der  neu  erworbenen  Kaiserin 
Elisabeth-Bahn  in  den  Staats- Voranschlag 
einbezogen  und  erlangt  fortan  der  bis  dahin 
auf  die  Präliminirung  zersphtterter  Bahn- 
fragmente beschränkte  Titel  » Staats- 
eisenbahn-Betrieb c  eine  hervorragende, 
durch  die  hinzutretenden  Verstaatlichungen 
stetig  wachsende  Bedeutung.  Die  Ge- 
barungs-Ergebnisse des  Staatsbetriebes, 
dessen  Neu-Einfiihrung  unter  den  schwie- 
rigsten, durch  den  raschen  Zuwachs 
neuer  Linien  bedingten  Organisations- 
Verhältnissen  nur  der  rastlosen  Energie 
und  seltenen  Spannkraft  des  ersten  Prä- 
sidenten Sectionschefs  Freiherm  von 
C  z  e  d  i  k  [Abb.  6]  gelingen  konnte,  neh- 
men fortan  im  Staatshaushalte  wie  in  der 


•;  Die  nachstehende  Zahlenreihe  zeigt 
den  wachsenden  Umfang  der  im  Staats- 
betriebe stehenden  Bahnen: 


Jahr 

Betriebslänge  in  km 

durch- 

mit 

schnittlich 

Jahresschluss 

1881 

987 

987 

1882 

2089 

2089 

1883 

2393 

2488 

1884 

4542 

5104 

1885 

5135 

5^90 

1886 

5210 

5227 

1887 

5431 

5541 

1888 

5608 

5777 

1889 

6744 

6913 

1890 

6948 

7003 

1891 

7048        7132 

1892 

8006        8026 

1893 

8077 

8210 

1894 

8284 

8433 

1895 

8826 

8902 

1896 

9009        9180 

Oeffentlichkeit   einen   breiten  Raum  ein; 
sie  werden    als  Prüfstein  für  den  Werth 
des    geltenden    eisenbahnpolitischen   S}*- 
stems    Gegenstand   des   allgemeinen    In- 
teresses und  rufen  eine   eigene  Literatur 
hervor,  in  der  die  Meinungs-Gegensätze 
scharf  auf  einander    stossen.     Die  Tren- 
nung   der    Materie    in    zwei    Etats    — 
Handels-  und  Finanzministerium  —  zwi- 
schen welchen   überdies   manche  Posten, 
wie    die  Rentenzahlungen    fiir    verstaat- 
lichte Bahnen,   je    nach    der  Form    des 
Entgelts    hin-    und    herschwanken,     er- 
schwert die  Uebersicht    Die  finanziellen 
Gesammt-Ergebnisse  des   Staatsbetriebes 
stellen  sich,  nach  dem  Massstabe  der  für 
diesen  Verwaltungszweig  in  der  Theorie 
angenommenen  Gebarungs-Principien  im 
Ganzen  als  ungünstige  dar,   da  von  einer 
Aufbringung  von  Netto-Beiträgen  zu  all- 
gemeinen Staatszwecken  bisher  nicht  die 
Rede  sein  kann.  Vielmehr  ist  die  Gebarung 
des    Etats    der    Staatsbahnen    gegenüber 
den  aus  dem  Eisenbahnbesitze  erwachsenen 
Capitalslasten  durchwegs  eine  passive,  in- 
dem die  Betriebs-Ueberschüsse  der  Staats- 
bahnen   aus   den    oben    im   Abschnitt   II 
erörterten  Gründen  nicht  ausreichen,  um 
die    zumeist     im   Etat    der   Staatsschuld 
wirkenden   Zinsen-    und    Tilgungs-Erfor- 
dernisse der   für   den   Bau   und   die    Er- 
werbung der  Staatsbahnen  aufgenommenen 
Schulden   zu   bedecken.     Wenn   es   aber 
auch  als   feststehend   gelten    muss,   dass 
das  österreichische  Staatsbahnnetz   seine 
Anlagekosten    nur   zum    Theil    aus   dem 
Betriebe   verzinst  und   deshalb  Jahr   für 
Jahr  Zuschüsse  aus  allgemeinen   Staats- 
mitteln   beansprucht,    so    ist    doch    das 
Ausmass    dieser  Zuschüsse  je  nach  den 
verschiedenen    für    die    Berechnung    der 
Capitalslasten    angewendeten    Methoden 
ein  bestrittenes.     Die   hierüber  veröffent- 
lichten amtlichen  Daten  der  Staatsvoran- 
schläge   und    Verwaltungsberichte    wur- 
den   von    parlamentarischer    und    publi- 
cistischer   Seite   namentlich   deshalb   be- 
mängelt,  weil  in   denselben  die   auf  die 
Höhe  des  zu  verzinsenden  Anlage-Capitals 
Einfluss    übenden    Nachtragsbauten    und 
Investitionen  anfangs  nicht  vollständig  in 
Rechnung  gezogen  waren.*) 

*)  Kaizl,  »Passive  Eisenbahnen«,  S.  7. 


Oesterreichs  Eisenbahnen  und  die  Staatswirthschatt. 


27 


Ohne  auf  diese  Controverse  hier  näher 
einzugehen  —  die  hauptsächlichen  Bean- 
ständungen   sind    seit    1895    durch    Ein- 
beziehung der  Nachtrags-Erfordemisse  in  , 
den  amtlichen  Berechnungen  berücksich- 
tigt —  darf  doch  auch  andererseits  nicht  | 
übersehen  werden,  dass  die  Betrieb s- 
Ueberschüsseder  österreichischen 
Staatsbahnen  in  ihrem  budgetären  | 
Effecte   eigent- 


lich kunstlich 
verschlechtert 
sind. 

Im  Zusammen- 
hangemit  dembei 
der  Wiederaufnah- 
me des  Staatsbe- 
triebes proclamir- 
ten  Grund  satze, 
>dass  die  Staats- 
bahnen in  jeder 
Hinsicht  gleich 
den  Privatbahnen 
behandelt  werden 
sollen«,  ist  man 
bei  strenger  und 
nicht  immer  wohl- 
wollender Anwen- 
dung der  staat- 
lichen Budget-  und 
Verrechnungsfor- 
men  auf  die  Ge- 
barung des  Staats- 
betriebes dazu  ge- 
langt, diese  letz- 
tere so  eng  ein- 
zuschnüren, dass 
ihre  Ergebnisse 
schon  aus  diesem 
Grunde  hinter  je- 
nen der  Privatbah-  — 
nen     nothgedrun-  ai 

gen    zurückstehen 

mussten.  Vor  Allem  schon  dadurch,  dass 
den  Staatsbahnen  weder  ein  Er- 
neuerung s-  oder  Reservefond,  noch 
ein  Capitalconto  zu  Gebote  stand, 
um  —  wie  es  die  Natur  derartiger  Unter- 
nehmungen erheischt  —  Auslagen,  die 
ausserhalb  der  normalen  Betriebskosten 
erwachsen  und  eine  nutzbringende  Capi- 
talsanlage  oder  Wertherhöhung  darstellen, 
auf  mehrere  Jahre  zu  vertheilen  oder  dem 
An  läge- Capital  zuzurechnen.  Die  Methode, 


derartige  Auslagen  als  ausserordentliche 
Betriebsausgaben  zu  behandeln,  drängte 
späterhin  zu  dem  Nothbehelf  der  offenen 
oder  verdeckten  Ressort  schulden,  als 
welche  die  fallweise  bei  Einzeltransacti- 
onen  beschafften  Investitionsfonde,  die 
sodann  bei  ihrer  Verwendung  im  Budget 
als  laufende  Einnahmen  figurirten,  wohl 
gelten  müssen.  Die  Unzulänglichkeit 
dieser  in  der  Sach  - 
tage  vollauf  be- 
gründeten Vorsor- 
gen gegenüber  der 
Höhe  des  Bedar- 
fes hatte  eine  sach- 
lich durchaus  unge- 
rechtfertigte Her- 
abdrückung  des 
Reinertrages  der 
Staatsbahnen  und 
im  budgetären 
Effect  eine  Ver- 
schlechterung der 
Bilanz  des  Staats- 
ei sen  ba  hn- Etats 
zur  Folge,  welcher, 
insoweit  nicht  ein- 
zelne Investitionen 
in  den  vorerwähn- 
ten Specialfonden 
Bedeckung  fan- 
den, mit  den  vollen 
Capitatssummen 
der  Investitions- 
Auslagen  statt  mit 
der  durch  deren 
■j  Beschaffung    dem 

Staate  erwachsen- 
den Jahreslast  her- 
angezogen wurde. 
Vom  Standpunkte 
.  j,  einer  sachlich  rich- 

tigen Darstellung 
der  Gebarungs  -  Ergebnisse  der  Staats- 
bahnen muss  daher  die  von  Sr,  Excel- 
lenz  dem  Herrn  Finanzminister  Dr.  Ritter 
V.  Bilinski  angebahnte  Aenderung  der 
bisherigen  Budgetirung  durch  Schaffung 
eines  besonderen  Investition  s- Budgets 
dankbar  begrUsst  werden.  Als  praktische 
Anwendung    des    Annuitäten  -  Princips  *) 

*)  Vgl.  die  im  Bericht  des  Eisenbahn- 
Ausschusses  vom  17.  Mai  1887,  S.  10,  bean- 
tragte Resolution  [Z,  413  der  Beilagen]. 


lXU«-'*t-i-€^ 


Dr.  H.  Ritter  v.  Wiltek. 


schliesst    sich    die    neue    Budgetinmgs- 
Methode  folgerichtig  jener  an,  in  welcher 
der  Staat  sich  an  der  Donau- Regulirun g 
und    den    Wiener    Verkehrsanlageii    be- 
theiligt    hat.      Die    conaequente     Durch- 
führung   dieser    Reform    wird    bei    aller 
fachlichen   Strenge,   die   das  Staatsbahn- 
Budget  nicht  zu  scheuen  hat,    fortan  ein 
treues  und  wahres   Bild   der   Eisenbahn- 
Betriebs-Gebarung   des  Staates  zustande 
bringen    helfen.    Ein    weiterer,    die   Ge- 
barungs- Ergebnisse    der    österreichischen 
Staatsbahnen  ungün- 
stig    beeinflussender 
Umstand      liegt     in 
ihrer  Besteuerung. 
So    sehr  es  gerecht- 
fertigt ist,  den  durch 
Staatsbahnen  vermit- 
telten  Verkehr    hin- 
sichtlich seiner  öffenl- 
lichenAbgabenpflicht 

[Fahrkarten-  und 

Frachtbriefstempel 
etc.]     gleich     jenem 
der  Privatbahnen  zu 
behandeln,   muss    es 
doch  theoretisch  ge- 
malte erscheinen,  das 
dem  Staate  aus  dem 
Betriebe  seiner  Eisen- 
bahnen    zutliessende 
Einkommen,  wiewohl 
es  dem  Staate  ohne- 
dieszurGänzegehört, 
einer  Besteuerung  zu 
unterziehen.  Die  Ano- 
malie   wird    dadurch 
besonders     auffällig, 
dass  andere  staatliche 
Erwerbszweige    oder    Regalitäten    unbe- 
stritten steuerfrei  sind.     Wenn  nun  auch 
das  Gesetz  vom  19.  März  1887,  R.-G.-Bl. 
Nr.  33,    mit  welchem    die  Erwerb-  und 
Einkommensteuerpflicht    der  Staatseisen- 
bahnen eingeführt  worden  ist  [g   i:    »Die 
im  Eigenthum    des  Staates    befindlichen 
Eisenbahnen  sind  der  Erwerb-  und  Ein- 
kommensteuer zu  unterziehen«],  sein  Zu- 
standekommen dem  an  sich  gewiss  wohl- 
hegründeten  Widerstände  der  autonomen 
Körper  verdankt,  welche  durch  den  Fort- 
gang der  Verstaatlichungsaction  mit  Ein- 


bussen    an  ihrem  Einkommen    aus    den 
Zuschlägen  zu  den  directen  Steuern  der 
vormaligen  Privatbahnen  bedroht  waren, 
so  scheint  die  dadurch  geschaffene  Rechts- 
lage doch  über  den  gerechtfertigten  Schutz 
des  Fortgenusses  der  erwähnten  Zuschläge 
merklich  hinauszugehen.  Es  wird  nämlich 
auf  dem  betretenen  Wege    nicht  nur  im 
Staatsbudget  eine  empfindliche  Verschie- 
bung zu   Gunsten   des  Steuer-Etats   und 
zum     Nachtheile     des    Staatsbahn  -  Etats 
herbeigeführt,  die  mindestens   '/g  des  Be- 
triebs -  Ueberschusses 
der  Staatsbahnen  be- 
trägt,   sondern    auch 
der    Staat  bezüglich 
seines       Eisenbahn- 
Einkommens  den  au- 
tonomen Körpern  ab- 
gabenpflichtig       ge- 
macht   —    ein    Ver- 
hältnis,  welches  nur 
bei  obwaltender  ho- 
her Einsicht  und  Bil- 
ligkeit auf  Seite  der 
autonomen      Vertre- 
tungskörper   als   für 
den  Staat  erträglich 
bezeichnet       werden 
kann. 

Um  zu  einem 
üeberbhck  der  Wir- 
kungen der  vorhin  be- 
sprochenen, die  Ge- 
barungs  -  Ergebnisse 
der  Staatsbahnen  un- 
günstig beeinflussen- 
den Momente  —  der 
den  Ertrag  belasten- 
den Capital  sauslagen 
und  der  Besteuerung 

—  zu  gelangen,  sind  die  einschlägigen 
Jahreszitfem  in  der  nachfolgenden,  den 
Verwaltungsberichten  der  k.  k.  Staats- 
b ahnen  entnommenen  Zusammenstellung 
der  finanziellen  Ergebnisse  der  Staats- 
bahnen und  für  Rechnung  des  Staates  be- 
triebenen Bahnen  für  die  Jahre  1 881—  1896 

—  Tabelle  VI  —  in  der  Weise  ersichtlich 
gemacht,  dass  die  unter  Repartition  der  im 
Jahre  1887  vorgeschriebenen  Steuernach- 
träge  pro  1881  — 1K87  auf  jedes  der  ein- 
zelnen Jahre  entfallende  Leistung  an 
Steuern  samnit  Zuschlägen  und  Gebühren 


Oesterreichs  Eisenbahnen  und  die  Staatswirthschaft. 


29 


bei  den  Betriebs-Ausgaben  [Colonne  3] 
in  Klammer  beigesetzt,  die  auf  andere 
Conti  gehörigen,  im  Budget  als  Ausgaben 
des  Eisenbahn-Etats  behandelten  Aus- 
gaben und  Lasten  aber  in  Colonne  5 — 7, 
dann  summarisch  [Colonne  8]  dem  Be- 
triebs-Ueberschusse  zur  Seite  gestellt  sind. 


Die  in  der  Tabelle  gegebenen  Zahlen 
sind  durchwegs  mit  Berücksichtigung 
der  weggelassenen  Stellen  abgerundet, 
wodurch  sich  die  in  einzelnen  Summen 
und  Differenzen  bemerkbare  Abweichung 
um  eine  Einheit  der  letzten  Decimal- 
stelle  [=   1000  fl.]   erklärt. 


Tabelle   VI, 

Finanzielle  Ergebnisse  der  Staatsbahnen   und  für  Rechnung  des  Staates 
betriebenen   Bahnen   [incl.  Bodensee-Dampfschifffahrt]   in   Millionen  fl.  ö.  W. 


8 


Jahr 


1881 

1882 
1883 
1884 

1885 
1886 

1887 
1888 
1889 
1890 

1891 
1892 

1893 

1894 

1895 
1896 


Betriebs- 
und 
sonstige 

Ein- 
nahmen 


Betriebs- 
Ausgaben 

[darunter 
Steuern  sammt 

Zuschlägen 
und  Gebühren] 


Hieraus  bestrittene  auf  andere  Conti 
gehörige  Ausgaben 


12-829 

7-369  [0  350] 

21856 

12-486  [0562] 

21635 

13-449  [0-665] 

35-013 

23961  [1754] 

36-598 

24-427  [1-257] 

38-990 

23-857  [1-424] 

39457 

24-503  [1-564] 

42706 

25988  [1-450] 

50-652 

31-852  [1-759] 

54715 

36-332  [2  004] 

55254 

39-217  [2-199] 

67668 

49002  f2'395] 

72620 

50440  [2-543] 

82- 146 

52-553  [2918] 

94852 

64318  [3714] 

104-005 

69-618  [4  156] 

Betriebs- 
Ueber-  . 
schuss 


5-460 

9370 

8186 

11-052 

12  171 

15133 

M'954 
16718 

18-800 

18-383 
16037 
18666 
22-180 

29-593 
30534 
34-387 


Pachtzinse 
und 
Renten- 
Zahlungen 


0024 
0024 
0024 
0024 
0029 
0-030 
0056 
0-056 

M57 
1-907 

1-967 

5-168 

5-167 
5-171 

7-409 

7400 


Vertrags- 

In- 

mässige 

vestitionen 

Zahlungen 

und 

Zu- 

für 

sonstige 

Verzinsung 

Ausgaben 

sammen 

und  Amor- 

im Extra- 

tisation 

ordinarium 

Bud- 
getärer 
Netto- 
Erfolg 

im 
Eisen- 
bahn- 
Etat 


0819 

0548 

1*391 

4069 

0-819 

0-646 

1*489 

7-881 

0819 

1588 

2-431 

5*755    1 

0-819 

I  OII 

1854 

9-198 

0819 

2-968 

3-8i6 

8-355 

0819 

3665 

4-514 

10-619 

0819 

2483 

3-358 

11-596 

0819 

4703 

5-578 

II  140 

0819 

5-107 

7083 

11717 

0-819 

4*357 

7*083 

11-300 

0819 

7-028 

9*814 

6223 

0-819 

6058 

12-045 

6621 

0819 

3-780 

9-766 

12-414 

0819 

2-922 

8912 

20681 

1015 

6640 

15064 

15*470 

0819 

6721 

14-940 

194-17 

Erläuterungen. 

Zu  Colonne  2: 

1882 — 83  abzüglich  der  Einnahmen  der  Vorarlberger  Eisenbahn. 

1884—85  abzüglich  der  Einnahmen  der  Vorarlberger  Eisenbahn,  der  Erzh.  Albrecht-Bahn, 

der  Mährischen  Grenzbahn  und  der  Duxer  Bahnen. 
1889  zuzüglich  der  Einnahmen  der  Ungarischen  Westbahn  und  der  Ersten  ungarisch- 

galizischen  Eisenbahn. 

1893  zuzüglich  der  Einnahmen  der  Bodensee-Dampf  schifffahrt. 

1894  zuzüglich  der  Einnahmen  der  Bodensee-Dampfschifffahrt,  der  verstaatlichten 
Linien  der  österr.  Localeisenbahn-Gesellschaft  im  Staatsbetriebe  und  der  ver- 
staatlichten Localbahnen  im  Privatbetriebe  [Oaslau-Zawratetz,  Oaslau-Mocowitz, 
Königshan-Schatzlar],  der  Linie  Czernowitz-Nowosielitza  und  des  Betriebs- 
Ueberschusses  der  Böhmischen  Westbahn  pro  1894. 


30 


Dr.  H.  Ritter  v.  Wittek. 


1895  zuzüglich  der  Einnahmen  pro  1895  der  Böhmischen  Westbahn  und  der  Mährisch- 
schlesischen  Centralbahn,  der  Bodensee-Dampfschifffahrt  und  der  verstaatlichten 
Localbahnen  im  Privatbetriebe,  jedoch  abzüglich  des  Betriebs-Ueberschusses 
1894  ^^^  Böhmischen  Westbahn. 

1896  zuzüglich  des  Antheils  des  Staatseisenbahn-Betriebes  an  den  Einnahmen  des 
Eisenbahnministeriums,  ferner  zuzüglich  der  Einnahmen  der  Bodensee-Dampf- 
schifffahrt, dann  jener  der  verstaatlichten  Localbahnen  im  Privatbetriebe  [Öaslau- 
Zawratetz  und  Königshan-SchatzlarJ. 

Zu  Colonne  3: 

Bezüglich  der  Ausgaben  gelten  ebenfalls  die  vorstehenden  Bemerkungen,  ausser- 
dem sind  in  den  Jahren  188 1— 1887  die  im  Verwaltungs-Berichte  pro  1887,  Seite  147,  aus- 
gewiesenen Steuernachträge  einbezogen. 

Zu  Colonne  5: 

Die  pro  1881  — 1886  ausgewiesenen  Pachtzinse  betreffen  die  Strecke  Braunau- 
Vjlnnbrücke  [1885  und  1886  einschliesslich  des  Agio];  ab  1887  treten  die  Annuitäten  für 
die  Erwerbung  von  Sechstel-Antheilen  an  der  Wiener  Verbindungsbahn  hinzu,  ab  1889 
weiters  die  Rentenbeträge  an  die  Ungarische  Westbahn  und  die  Erste  ungarisch-galizische 
Eisenbahn;  ab  1891  die  Verzinsung  und  Tilgung  des  Investitions-Anlehens  der  Ungarischen 
Westbahn  vom  Jahre  1890;  ab  1892  die  Rente  der  Duxer  Bahnen;  ab  1895  die  Rente  an  die 
Lemberg-Czernowitzer  Eisenbahn. 

Zu  Colonne  6: 

Hier  ist  das  Erfordernis  für  die  Verzinsung  und  Amortisation  des  Creditanstalt- 
Anlehens  der  Kaiserin  Elisabeth-Bahn  eingestellt.  Im  Jahre  1895  Zuwachs  durch  die  Zinsen 
des  4®/oigen  Prior.-Anlehens.von  ursprünglich  10  Millionen  der  Eisenbahn  Lemberg-Czemowitz- 
Suczawa  ab  II.  Semester  1895,  welcher  im  Jahre  1896  in  den  Etat  der  Staatsschuld  über- 
stellt wurde. 

Zu  Colonne  7: 

Enthält  die  Extraordinarial-Ausgaben  abzüglich  der  Extraordinarial-Einnahmen, 
inclusive  des  Münzverlustes,  bezw.  Münzgewinnes;  ab  1893  zuzüglich  der  Ergebnisse  der 
Bodensee-Dampfschifffahrt. 


Die  vorstehende  Zusammenstellung 
lässt,  abgesehen  von  der  sofort  zu  be- 
sprechenden Steuerleistung,  den  budgetär 
ungünstigen  Einfluss  ersehen,  den  die 
Bestreitung  der  Extraordinarial- Auslagen 
[Col.  7]  zu  Lasten  der  laufenden  Gebarung 
auf  die  Höhe  des  Netto-Erfolges  im 
Eisenbahn-Etat  ausgeübt  hat.  Nachdem 
ein  gewisser  Theil  jener  über  die  eigent- 
lichen Betriebskosten  hinausgehenden 
Emeuerungs- Auslagen,  wie  Oberbau-Aus- 
wechslung-, Fahrparks-Erneuerung  u.  dgl., 
welche  zugleich  eine  Verbesserung  des  Be- 
standes in  sich  schliessen,  regelmässig  aus 
dem  Ordinarium  bestritten  wurde,  darf 
bei  voller  Anerkennung  der  Richtigkeit 
des  Grundsatzes,  dass  bei  einer  grossen 
Eisenbahnverwaltung  gewisse  ausseror- 
dentliche Ausgaben  eine  jährlich  wieder- 
kehrende ständige  Ausgabspost  bilden, 
doch  das  Extraordinarium  der  Staats- 
bahnen im  Grossen  und  Ganzen  als  eine 
Summe    von    Ausgabsposten    betrachtet 


werden,  welche  den  Charakter  von  Inve- 
stitionen an  sich  tragen.  Von  dieser  Auf- 
fassung ausgehend,  stellte  die  Entnahme 
dieser  Capitalsbeträge  aus  dem  Betriebs- 
Ueberschusse  der  Staatsbahnen  gleichsam 
eine  innerhalb  des  Staatsbudgets  von 
einem  Etat  für  den  andern  geleistete  Geld- 
beschaffungs-Operation dar,  welche  dem 
entlehnenden  Etat  —  der  Staatsschuld  — 
zunächst  keine  Zinsen  kostete,  den  darlei- 
henden Etat  —  die  Staatsbahnen  —  aber 
in  eine  grössere  budgetäre  Passivität  ver- 
setzte, als  sie  durch  die  Ergebnisse  der 
Betriebs-Gebarung  bedingt  war.  Um  dem- 
nach den  finanziellen  Gesammteffect  des 
Staatsbahn  -  Betriebes  theoretisch  richtig 
darzustellen,  sind  die  aus  demselben  re- 
sultirenden  Eingänge  zu  ermitteln,  wie 
selbe  sich  ergeben  hätten,  wenn  die  Ver- 
rechnung der  Investitions-Auslagen  nach 
eisenbahnfachlichen  Grundsätzen  derart 
erfolgt  wäre,  dass  die  dem  Betriebs-Ueber- 
schusse  entnommenen  Capitalsbeträge  und 


O  es  (erreich  s  Eisenbahnen  und  die  Staatswirthschaft. 


Capital slasten    dem    etatmässigen  Netto- 
Erfolge  zugerechnet,  der  Betriebs- Ueber- 
schuss  hiedurch  auf  seine  volle  Höhe  er- 
gänzt und  der  Gesammtsumme  der  aus  dem 
Staatsbetriebe     resultirenden    Bedeckung 
die  jeweilig  wirkenden  gesammten  Capi- 
talslasten  des  Staatsbetriebs  netz  es  als  Er- 
fordernis gegenübergestellt  würden.  Dabei 
ist  der  In vestitions- Aufwand  als  Capitals- 
anlage  während  des  Jahres,  in  welchem 
derselbe  erwachsen  ist,  dem  durchschnitt- 
lichen  Bedarfe   ent- 
sprechend,  mit  der 
halben  Jahres  Verzin- 
sung in  Rechnung  zu 
stellen  und  mitjah- 
resschluss   dem  An- 
lage-Capitale    zuzu- 
rechnen,    Fem  er  is 
auch    die    Steuerlei 
stung  zu  berücksich- 
tigen. Dieselbe  stellt 
jenen  Theil   des  er- 
zielten       Bestriebs- 
Ueberschusses 
welcher  zur  Zahlung 
der  öffentlichen  Ab- 
gaben       verwendet 
\v-urde.     Da  es  sich 
hier  nicht    um   eine 
Vergleichung       des 
finanziellen    Effectes 
der  Verstaatlichung, 
bei  dem  die  Steuern 
als     gleichbleibende 
Last  ausser  Betracht 
bleiben  müssten,  son- 
dern    um    die     ab- 
solute     Ziffer       des 
dem  Staate  aus  den 
von  ihm  betriebenen 

Bahnen  zumessenden  Gesammt-Einkom- 
mens  handelt,  wird  die  Zurechnung  der 
Steuerleistung  zu  dem  Netto-Betriebs- 
Ertrage  theoretisch  kaum  anzufechten 
sein.  Eine  gewisse  Ungenauigkeit  spielt 
dabei  allerdings  insofern  mit,  als  die 
statistisch  ausgewiesenen  Steuersummen 
auch  die  nichtärarischen  Zuschläge  in 
sich  begreifen. 

In  der  nachstehenden  Tabelle  VII  ist 
versucht,  eine  theoretische  Darstellung 
des  finanziellen  Gesammterfolges  des 
Staatsbetriebes   in   den  Jahren    1881  bis 


1896  nach  den  soeben  besprochenen  Ge- 
sichtspunkten zu  geben.    Als  Zinsfuss  für 
jenen    Theil   der    Ca pitalsl asten,    bezüg- 
lich dessen  zifFermässig  bestimmte  Daten 
fehlen,*)  also  insbesondere  bezüglich  der 
nachträglichen   Investitionen  wurde,  ent- 
sprechend   dem    vom    Abg.    Szczepa- 
nowski    1894   in  den  Budget- Berichten 
befolgten  und   seither   in   den   amtlichen 
Berechnungen     eingehaltenen     Vorgange 
der  Durch schnittssatz    von    4'/^    Percent 
angenommen.       Zu 
der  Annahme   eines 
einheitlichen  Durch- 

schnittszinsfusses 
nöthigt  der  Umstand, 
dass  die  Ermitt- 
lung der  wirklichen 
Lasten,  die  dem 
Staate  infolge  der 
Beschaffung  der  ein- 
zelnen Capitalsquo- 
ten  für  den  Eisen- 
bahnbau, die  ersten 
Erwerbungen  von 
Privatbahnen  und 
die  Nachtrags- Inve- 
stitionen erwachsen 
sind,  unübersteig- 
lichen  Schwierigkei- 
ten begegnet.  Die- 
selben ergeben  sich 
aus  der  in  dieser 
Zeit  cumulativen  Be- 
schaffung der  erst- 
genannten Jahres- 
erfordemisse  mit  den 
Gebarungs-Deficiten 
des  Staatsbudgets, 
b.  5.  wobei    die  Ausgabe 

von  Renten- Obliga- 
tionen zu  den  verschiedensten  Emissions- 
c Ursen  erfolgte.**) 

Bezüglich  der  Abweichungen  der 
letzten  Decimale  bei  einzelnen  Zahlen 
der  folgenden  Tabelle  gilt  das  zu  Ta- 
belle VI  Bemerkte. 

•}  Ueber  die  eigentliche  Staatseisenbahn- 
Schuld  werden  alljährlich  in  den  Staatsvor- 
anschlägen für  den  Etat  der  Staatsschuld 
detaillirte  Nachweisungen  gegeben.  Vergl. 
für  189S,  S.  18  a.  a.  O. 

*•)  Vergl.  E  d  e  r,  »Eisenbahnpolitik  Oester- 


32 


Dr.  H.  Ritter  v.  Wittek. 


Tabelle   VIL 

Theoretischer  finanzieller  Gesammterfolg  des  Staatsbetriebes 

in  Millionen  fl.  ö.  W. 


I 

1 

2 

3 

4 

5     '.      6 

7 

8       1         9 

10 

1 

1 
Budge-  j 

Aus  dem 
Bctricbs- 

1 
Steuern 

Erforc 

iernis  fü 

r  Capitalslasten 

Th  eoreti- 1 
scher  Ab- 

Jahr 

1 

1 

i88i 

tärer 
Netto-    : 
Erfolg  im  ^ 
Eisen- 
bahn- 
Etat 

1 

4-069 

Uebcr- 
schusse  be- 
strittene      1 
Capitals- 
lastcn  u.  Ca-  ■ 
pitalszah-     ' 
langten  [In-    1 
vestitionen]    ] 

.    _    _l 

i'39i 

sammt 
Zu-      1 
schlagen ' 
und  Ge- 
bühren ' 
1 

1 
0350 

S    a>         N  «>  :3 

5-810!  0843 

••  fl  c  «  *■ 
.-«•5  S  SC 

fi  r*  ».N             1 

1      zu- 
sammen 

gang  — 
Zuschuss  1 
aus  allge- 
meinen 
Staats- 
mitteln 

8353       0-012 

1      9208 

'       3*398 

1882 

7881 

1489 

0-562 

9932   0843 

16-140       0009  .'      16-992    1 

7060 

1883 

5755 

2-431 

0-665 

'  8851;  0843 

17-406       0-024          18-273 

9-422    1 

1884 

9198 

1-854 

1-754 

1  i2-8o6'    0-843 

27-916       0021    1'     28  780 

15*974    i 

1885 

8-355 

3-8i6 

•      1-257 

'  13-4281  0-848 

28-104  1     0056    1      29008 

15*580 

1886   ' 

10-619 

4*514 

1-424 

,16-557'j  0849 

29-594  \    0-078 

30521   1 

13964 

.     1887 

11-596 

3-358 

1-564 

16-518,   0-875 

24-821  l    0077 

25-773  i 

9*255 

1888 

11-140 

5-578 

1*450 

118-168    0875 

28-406  1     0-136 

29417  1 

11-249 

1889 

11717 

7-083 

1-759 

'20-5591    1976 

31789  i   0  141 

33906 

13*347    ! 

1890 

11-300 

7-083 

2-004 

1 20-387     2-726 

31-981  1   0133 

34840  1 

14*453 

1891 

6-223 

9-814 

2-199 

18-236,   2786 

31-760  1   0196 

34*742  , 

16506 

1     1892 

6621 

12-045 

2-395 

,21-061     5987 

35-634  i   Ol 70 

41  791 

20730 

1893 

12-414 

9-766 

2-543 

24723    5*986 

39203     0142 

45*331 

20-608 

1894 

20-681 

8912 

2918 

132-5"!    5*990. 

40-454     0080 

46-524 

14013 

1895 

15-470 

15-064 

3714 

'34-2481   8424 

42  832     0-120 

51-376 

17-128 

1896 

1 

19447 

14940 

,     4156 

i  38-5431  8-219 

45-435     0160 

1 

53*814 

15271 

Erläuterungen. 

Col.  2  u.  3.  Entsprechen  der  Col.  9  und  8  der  Tabelle  VI. 

Cül.  4.  Identisch  mit  den  in  Col.  3  der  Tabelle  VI  unter  Klammer  eingesetzten  Ziffern. 

Col.  6.  Summe  der  Col.  5  und  6  der  Tabelle  VI. 

Col.  7.  Die  Anlagekosten,  von  welchen  bei  Ermangelung  ziffermässig  bestimmter 
Annuitäten  die  4V4°/oigen  Zinsen  berechnet  wurden,  sind  pro  1881  bis  inclusive  1891  einer 
Denkschrift  über  die  Gebarung  1881— 1891  entnommen. 

Rücksichtlich  der  Jahre  1882—1891  erscheinen  diese  Daten  im  Verwaltungs-Berichte 
1892,    Seite  198,  publicirt. 

Die  gleichen  Daten  ab  1892  sind  den  betreifenden  Verwaltungs-Berichten  entnommen.  Pro 
1887—1896  sind  die  Anlagekosten  der  Wiener  Verbindungsbahn  in  Abschlag  gebracht,  weil 
die  zu  zahlende  Annuität  in  der  Rubrik  5  der  Tcibelle  VI  [Pachtzinse]  aufgenommen  wurde. 

Ab  1889  sind  die  Anlagekosten  der  Ungar.  Westbahn  und  der  Ersten  ungar.-galizischen 
Eisenbahn  und  ab  1892  jene  der  Duxer  Bahnen  ausgeschieden  worden,  weil  deren  Renten 
unter  Rubrik  5  der  Tabelle  VI  [Pachtzinse]  ausgewiesen  sind.  Ab  1893  treten  die  Anlagekosten 
der  Bodensee-Dampfschifffahrt  dazu;  in  den  Jahren  1895  und  1896  sind  aus  dem  vorer- 
wähnten Grunde  die  Anlagekosten  der  Lemberg-Czcrnowitz-Jassy-Bahn  ausgeschieden. 

Col.  8.  Die  2V8'^/oigen  Zinsen  w^urden  von  den  eigentlichen  Investitions-Auslagen  gerechnet 
und  sind  die  Daten  für  das  Jahr  1881  dem  Verwaltungs-Bericht  1881,  Seite  14,  jene  für  1882 
bis  inclusive  1891  dem  Verwaltungs-Berichte  1892,  Seite  196—  197,  und  die  für  die  folgenden  Jahre 
den  bezüglichen  Verwaltungs-Berichten,  u.  zw. :  der  »Zusammenstellung  der  Kosten  für  den 
Bau,  die  Erwerbung  und  die  nachträglichen  Investiti(men  der  Staatseisenbahnen«  entnommen. 


Oesterreichs  Eisenbahnen  und  die  Staatswirthschaft. 


Die  vorstehende  Zusammai  Stellung 
zeigt,  dass  das  theoretische  Gebarungs- 
Deficit  des  Staatsbetriebes  in  den  Jahren 

1 88 1    bis    1896    keineswegs    jene    Höhe 
erreicht   hat,   wie    sie   aus   den   hierüber 
auf   Gnind    der  jeweiligen  Budgetziffera 
angestellten  Berechnungen  [s,  unten]  ge- 
folgert wird.      Bei    dem    Ansteigen    der 
jährlichen  Zuschussleistung,  welche  durch- 
schnittlich  13-626  Mill.  fl.    und  im  Jahre 
1 892  als  Maximum 
30-370  Mill.  fl.  be- 
tragen hat,  seither 
jedoch   auf  15-271 
Mill.  fl.  [1896]  zu- 
rUckg^angen    ist, 
darf   überdies    die 
successive  Ausdeh- 
nung des  Staatsbe- 
triebsnetzes von  987 
fcwibisaufgiSofew, 
[Ende  1896],  mithin 
nahezu  das   Zehn- 
fache nicht  ausser 
Acht  gelassen  wer- 
den. Die  factischen 

Gebarungsziffem 
geben  mit  Berück- 
sichtigung der  Steu- 
erleistung und  der 
Capitalsl asten  ge- 
genüber jenen  der 
vorstehenden  Ta- 
belle VII  ein  minder 
günstiges  Bild,  wie 
dies  vermöge  der 
hier  mitspielenden  Investi- 
tions-AusIagenbei  der  durch- 
schnittlich geringenErtrags- 
fähigkeit  des  Staatsbetriebs- 
netzes und  den  durch  die 
Tarif- Herabsetzungen  be- 
dingten Ertragsschwankungen  kaum  über- 
raschen kann. 

Werden  nämlich  aus  Tabelle  VII  die 
Jahressummen  des  budgetären  Netto- 
Erfoiges  im  Eisenbahn- Etat  [Col.  2], 
welcher  bereits  um  die  in  diesem  Etat 
verrechneten  Pachtzinse,  Renten  und  Ver- 
tragszahlungen für  Verzinsung  und  Amor- 
tisation sowie  um  die  Capital s betrage 
der  Investitionen  gekürzt  ist,  und  der 
Steuern  sammt  Zuschlägen  und  Ge- 
bühren [Col.  4]  den  im  Etat  der  Staats- 


schuld verrechneten  Capitalsl  asten  exclu- 
sive    Verzinsung    der    Investitionen    des 
Gegen  Standsjahres    [Col.   7]     gegenüber- 
gestellt,    so    ergibt    die     Differenz    das 
factische   Gebarungs-Deficit    des    Staats- 
betriebes,   d.  i.   den   Zuschuss,    der    aus 
allgemeinen  Staatsmitteln  in  den  einzelnen 
Jahren    geleistet    werden    musste.       Diese 
den    factischen     finanziellen    Erfolg     des 
Staatsbetriebes    darstellende    Ermittlung, 
welcheamSchlusse 
in  Tab.  VIII  folgt, 
bringt  nachstehen- 
de Ergebnisse: 

Die  Ziffer  des 
factischen  Geba- 
rungs-Abganges" 
erreicht  gleichjener 
des  theoretischen 
Deficits  im  Jahre 
1892  — in  weichem 
die  Tarif-Herab- 
setzungen zur  vol- 
len Wirkung  ge- 
langten —  ihr  Ma- 
ximum, und  zwar 
mit  26-6  Mill,  fl. 
Durchschnittlich 
ergibt  sich  für  die 
Jahresreihe  1 88  ibis 
1896  ein  factischer 
Jahresabgang  von 
17-364  Mill.  fl.,  wel- 
cher die  theoreti- 
sche Durchschnitts- 
ziffer von  13-626 
Mill.  fl.  um  den  in  der  Haupt- 
sache auf  Investitionen  ver- 
wendeten Extraordinarial- 
Ausgabenbetrag  von  durch- 
schnittlich yy  Mill.  fl.  über- 
steigt. 

So  empfindlich  es  nun  auch  für  den 
Staatshaushalt  ist,  dass  der  Staatseisen- 
bahn-Betrieb als  wichtigster  Theil  der 
staatlichen  Eisenbahn-Gebarung  zur  vollen 
Capitals Verzinsung  Zuschüsse  erfordert, 
welche  trotz  der  naturgemässen  Brutto- 
Ertragszunahme  durch  die  steigende  Ten- 
denz der  Betriebsausgaben  und  das  An- 
wachsen des  Anlage-Capitals-Contos  be- 
dingt sind,  so  kann  dabei  doch  —  wie 
schon  früher  erwähnt  —  nicht  übersehen 
werden,  dass  es  gerade  der  Staatsbetrieb 


3t 


Dr.  H.  Ritter  V.  Wittek. 


ist,  bei  welchem  die  für  die  ertrags- 
schwachen, aberstaatsnothwendigen  Bahn- 
linien unvermeidlichen  finanziellen  Opfer 
zu  Tage  treten.  Die  Vortheile,  welche 
auch  diese  Linien  indirect  dem  Staate 
bringen,  müssen  eben  in  die  andere 
Wagschale  gelegt  werden. 

Nach  der  Methode,  die  seit  einigen  Jah- 
ren zur  Berechnung  des  Staatszuschusses 

Tabelle   VIIL 
Factischer  finanzieller  Erfolsr  des  Staats- 


betriebes 

1881      1896. 

I 

!          1 

1 

2 

3 

4 

1 

,    Bud^etärer 
Gesammt- 

Anlage- 
CapltalRlasten 

1 

,     Factischer 
1    Gebarung^s- 

Jahrj 

1 

1 

.  Netto-Brfolg 
.  [Incl.  Steuern] 

[exci.  Investi- 
tionen 

Q  Gulden  Osten 

n.  uK^ang  - — 
1        Staats- 
xuschuss 

1 

.  Währung 

in  Millionei 

i88i  i 

4419 

8-353 

3934 

1882  ; 

8-443 

16-140 

7697 

1883 

6420 

17-406 

10-986 

1884 

10952 

27-916 

16964 

1885 

9-612 

28-104 

18492 

1886 

12043 

29594 

17-551 

1887 

13-159 

24*821 

11-662 

1888 

12-590 

28406 

15-816 

1889 

13*475 

31789 

18-314 

1890 

13*304 

31-981 

18-677 

I89I 

8-422 

31760 

23338 

1892 

9-016 

35634 

26618 

1893 

14-957 

39-203 

24-246 

1894 

23599 

40454 

16-855 

1895 

19*  185 

42832 

23-647 

1896 

23403 

45*435 

22032 

in  den  Erläuterungen  zum  Staatsvoran- 
schlage der  Staatseisenbahn- Verwaltung 
angewendet  wird  und  wobei  die  Steuer- 
leistung nicht  berücksichtigt  ist,  ergibt 
sich  die  Höhe  des  Staatszuschusses  und 
bei  weiterer  Bedachtnahme  auf  die  neben 
demselben  im  Extraordinarium  bestrittenen 
Investitionen  jene  des  Gebartmgs-Ab- 
gangs mit  folgenden  Summen: 

Tabelle  IX. 

Präliminirte  Staatszuschüsse  zum  Staats- 
bahnbetriebe in  Millionen  fl.  Ö.  W. 


I 

2 

3 

4 

5 

6 

1        1^ 
Cd 

• 
9  1 

»  oft 

• 
9 

.a 
0 

1    1 

S 
'  S?g 

«>  a  S 
lixf  0 

1  »«: 

a 

es 

s-? 

(ti 

1   6t^ 

3  2 

1    1881 

£2cS 

92 

5:9 

£ 

0-5 

0 

5-5 

3-7 

4-2 

1    1882 

170 

94 

7*6 

0-4 

8-0 

1883 

i8-3 

8-2 

10- 1 

i-i 

II-2 

1884 

28-8 

ii-i 

17-7 

10 

18-7 

1883 

29-0 

12-2 

i6-8 

2*6 

19-4 

1886 

30- 5 

I5-I 

^5'4 

3*7 

19*1 

1887 

25-8 

15-0 

10-8 

3-6 

14-4   1 

1888 

29-4 

16-7 

12-7 

6-4 

19-1 

1889 

33*9 

i8-8 

I5-I 

6-6 

21-7 

1890 

34-8 

184 

16-4 

6-3 

22*7 

189I 

34*7 

l6-o 

i8-7 

9-2 

27.9 

1892 

41-8 

i8-7 

23-1 

8-0 

311 

1893 

45-3 

22-2 

23-1 

6-7 

298 

1894 

46- 5 

29-6 

16-9 

3-8 

20*7 

1895 

53-8 

30- 5 

20-9 

5*7 

26*6 

189Ö 

34*4 

19-4 

7-5 

26-9 

V.  Staatsaufwand  für  Eisenbahn-Neubau. 


Zur  vollständigen  Uebersicht  des  Um- 
fanges,  in  welchem  in  Oesterreich  seit  der 
Neu-Ordnung  der  staatsrechtlichen  Verhält- 
nisse der  Monarchie  der  Ausbau  des  Eisen- 
bahnnetzes durch  directe  Verwendung  von 
Staatsmitteln  zum  Zwecke  des  Baues  neuer 
Eisenbahnlinien  gefördert  wurde,  ist  es 
nothwendig,  auf  das  letzte  Decennium  der 
Vorherrschaft    des    Garantie-Systems  zu- 

■i' 

rückzugreifen.  Durch  das  Versagen  der  pri- 
vaten Bauthätigkeit  auf  diesem  Clcbiete  in- 
folge der  1873er  Krise  war  die  Staatsver- 
waltung bemüssigt,  selbst  einzugreifen  und 
den  Bau  der  als  erforderlich  erkannten 
Eisenbahnen  theils  auf  Staatskosten  auszu- 


führen, theils  durch  Bauvorschüsse  [meist 
gegen  Refundirung  in  Actien]  an  die  be- 
dürftigen Bahngesellschaften  zu  unter- 
stützen. Die  anfangs  nur  suppletorisch  ge- 
dachte Wiederaufnahme  des  Staatseisen- 
bahnbaues entwickelte  sich  in  der  folgenden 
Zeit  unter  dem  Einflüsse  der  dem  Staats- 
hahnsystem günstigen  Strömung  zu  einer 
ständigen  Einrichtung  für  den  Neubau  der 
grossen  ergänzenden  Hauptbahnlinien,  wo- 
gegen die  Betheiligung  des  Staates  an  der 
Capitalsbeschaffung  für  den  Bau  neuer 
Privatbahnen  —  eine  vordem,  namentlich 
zu  Ende  der  Sechziger-Jahre  in  grossem 
Umfange  angewendete  Unterstützungsform 


Oesterreichs  Eisenbahnen  und  die  Staatswiithschaft 


—  zumeist  und  in  neuerer  Zeit  ausschliess- 
lich dem  Zwecke  der  Förderung  des  Local- 
bahnwesens  dient.  Den  seit  1873  wieder- 
aufgenommenen    Staatseisenbahn  bau 
anlangend  ist  hier  nicht  der  Ort,  in  eine 
nähere  Darstellung  seines  Entwicklungs- 
ganges oder  seiner  hervorragenden  tech- 
nischen Leistungen  einzugehen.  Der  Staats- 
haushalt indess  ist  durch  die  Jahr  ftlr  Jahr 
im    Budget    als    Ausgaben    eingestellten 
Erfordernisse    für  Staatseisenbahnbauten, 
welche  —  wie   bereits   im   Abschnitt  III 
erwähnt  ist   —  nur 
anfangs     aus     dem 
80  Millionenanlehen 
und  sodann  ständig 
aus    laufenden  Bud- 
getmitteln bestritten 
wiwden     und    nach 
dem  Wiederauftreten 
des  Gebarungs-Defi- 
cits  dieses  letztere  er- 
höhten,   namhaft    in 
Anspruch  genommen 
worden.  Cileichwohl 
kann   hierin,   da   es 
sich    um  einen  emi- 
nent productiven  In- 
vestitions-Aufwand 
handelt,  ein  dauern- 
der staatswirthschaft- 
licherNachlheilkaum 
erblickt  werden.  Die 
durch      die      1873er 
Krise  in  ihrem  Le- 
bensnerv   getroffene 
Eisenbahnbau-Indu-  - 
strie  hat  es  als  Wohl-  At 

that  empfunden  und 

durch  Erhaltung  ihrer  Steuerkraft  ver- 
gütet, dass  der  Staat  die  vier  von  den 
Concessions- Bewerbern  im  Stiche  ge- 
lassenen Linien  Rakonitz-Protivin,  Tar- 
nöw-Leluchöw,  Divacca-Pola  undSpalato- 
Siverich  auszubauen  übernahm.  Die  ersten 
Localbahnen,  eine  neue  Tj*pe  vereinfachter 
Bahnanlagen,  haben  sich  durch  den  volks- 
wirthschaftlichen  Nutzen  des  mit  ihrem 
Baue  auf  Staatskosten  inaugurirten  Fort- 
schritts reichlich  gelohnt.  Mit  dem  Staats- 
baue der  als  internationale  Anschlussitnie 
wichtigen  Bahnstrecke  Tarvis-Pontafel  be- 
ginnen die  grossen  Aufgaben  und  Leistun- 
gen der  zweiten  Glanzepoche  dieses  Dienst- 


zweiges, auf  dessen  technische  Organisation 

Sectionschef  von  Nördling  massgeben- 
den Einfluss  geübt  hat,  wie  auch  die  ersten 
Bauten  unter  ihm  durch  den  damaligen 
General-Inspector,  späteren  Sectionschef 
Mathias  Ritter  von  P  i  s  c  h  o  f  geleitet 
wurden.  Zunächst  folgt  der  1880  be- 
gonnene und  1884  vollendete  Bau  der 
Arlberg-Bahn,  deren  legislative  Sicher- 
^tellung  dem  damaligen  Handelsminister 


Freiherm 
[Abb.     7] 


,_/^ 


Korb-Weidenheil 
bleibendes  Gedächtnis 
sichert,  an  dem  auch 
SectionschefFreiherr 
von  Pusswald  als 
Regierungs  Vertreter 
bei  der  parlamentari- 
schen Behandlung 
der  Vorlage  Antheil 
hat.  An  dieses  ruhm- 
volle Werk  der  öster- 
reichischen Bautech- 
nik,  dessen  Vollen- 
dung der  hochbegab- 
te Leiter  seiner  Aus- 
führung, Oberbau- 
rathJuIiusLott,  lei- 
der .  nicht  erleben 
sollte,  reihen  sich  in 
rascher  Folge  der 
Staatsbau  der  galizi- 
schen  Transversal - 
bahn  sammt  Abzwei- 
gungen, der  Beskid- 
Bahn.der  Linien  Her- 
pelje-TriestjSiverich- 
~^  Knin  und  der  böhmi- 
7.  sehen     Trans  versal- 

bahn. Seit  1 890  sind 
mehrere  grössere,  zunächst  gesammt- 
staatlichen  Zwecken  dienende  Linien  in 
GaUzien,  darunter  die  schivierige  Kar- 
pathenbahn  Stanislau-Woronicnka  und 
eine  grössere  Zahl  von  Nebenbahnen  zu- 
meist in  Schlesien  im  Wege  des  Staats- 
baues zur  Ausführung  gelangt. 

Die  nachfolgenden  Tabellen  bringen  die 
in  den  Jahren  1873^  1896  für  die  einzelnen 
Staatsbau -Linien  verwendeten  Beträge, 
dann  die  Aufwendungen  zur  Unterstützung 
des  Baues  von  Privatbahnen  durch  Be- 
theiligung des  Staates  an  der  Capitals- 
beschaifung,  gleichfalls  jahrweise  nach 
Linien    getrennt,    zur    Darstellung. 


36 


Tabelle  X. 


[Die  Gegenposten 


Staats -Aufwand    für    Staats- 
überschüssige Eingänge  an  Landes- 


1873 


1874 


1875 


1881 


1     n 


M 


1     1 


1     o     n 


n 


I 

2 

3 

4 

5 
6 

7 
8 

9 
10 

II 

12 

13 

14 

15 
16 

17 
18 

19 
20 

21 

22 

23 
24 
25 
26 

27 
28 

29 
30 
31 


Tamöw-Leluchöw 

Istrianer  Staatsbahn 

Dalmatiner  Staatsbahn 

Rakonitz-Protivin 

Donau-Ufer-Bahn 

Mürzzuschlag-Neuberg 

Unter-Drauburg- Wolfsberg 

Kriegsdorf-Römerstadt 

Erbersdorf-Würbenthal 

Tarvis-Pontafel 

Arlberg-Bahn 

Galizische  Transversalbahn  nebst  Abzwei- 
gungen  

Stryj-Beskid 

Herpelje-Triest         

Siverich  Knin 

Böhmisch-Mährische  Transversalbahn  .   .   . 

Traject- Anstalt  in  Bregenz 

Jaslo-Rzeszöw 

Schrambach-Kemhof 

Stanislau-Woronienka 

Halicz-Oströw  [Tarnopol] 

Lindewiese-Barzdorf  [Heinersdorf]    .... 

Niklasdorf-Zuckmantel 

Podwysokie-Chodoröw 

Troppau-Ratibor 

Beraun-Duönik      

Bärn-Andersdorf-Hof 

Oberndorf-Hotzenplotz 

Przeworsk-Rozwadöw 

Haugsdorf-Weidenau 

Barzdorf-Jauernig 

Summe 


0-143 
0069 


3-978 
2-584 

0-394 
6*017 


6- 116 
5-508 

3-141 
7-592 


I    "~ 


2  378  0-661 ,0-047  I    — 

3  161  0-987  0-452 
3-593  2  400  0-840 
1-722  0  692 
0-139  0-461 

0-002  OOII 

0*012  0*288 


0-103 
0059 
0-500 
O-181 

00061      —      IOOI8 

I  I 

0*148;  0*886  1  I  091 


0017   0*283 


0-604      —         — 


0  05610-182 
0-388  0-096 


I 


0-935 
0-032 

0-024 

1005 


0184 

0  470 

0-435 
0*783 


0-027 


0-079 


4  622 


0*226 


0-212    12 -973122 -35711 1-178 


6-669    3-291 


3-044 


2-150  4  954 


*)  Ausgaben  0499  Millionen  Gulden  durch  in  gleicher  Höhe  eingegangene  Interessentenbeiträge 


37 


Eisenbahnbauten   1873 — 1896. 

und  Interessenten-Beiträgen  —  sind  fett  gedruckt. 


Tabelle  X. 


1882 

1883 

1884 

1885 

1886 

1887 

1888 

1889 

1890 

1891 

1892 

1893 

1894 

1895 

1896 

Zusam- 
men 

G 

1 

u     1     d 

e     n         ö 

s     t 

err.Währg.                                                        1 

1 

1        ___ 

1 

1 
1 

_ 

^_^^ 

1 

___ 

,1  , 

^^^ 

__ 

,,-  ^ 

_          T- 

13-323 

'        

— 

— 

— 

— 

— 

— 

, 

— 

12-761 

1 

— 

— 

— 

— 

— 

— 



10-972 

1 

1 



-  - 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

16*023 

1 



— 

— 

— 

— 

— 

— 

0*968 

0-556 
1*919 

.— 

— 

1    — 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

^^^ 

_ 

1 

1                     1 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

0  513 

1        ~ 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

-    ■    -        o*597l| 

1 

j         — 

— 

— 

— 

— 

- 

— 

— 

— 

— 

—    1    — 

3  565 

9*076 

12088 

12*407 

1*880 

0*214 

0*177 

0*054 

— 

- 

— 

— 

— - 

— 

1 

41-301 

'  0*602 

11*268 

i8-8i8 

2-II3 

0  635 

0*409 

1 
o*3o8 

0079 

— 

— 

34.300 

— 

0047 

0*114 

2*024 

3  227 

1*206 

0-204 

0*221 

0*197 

— 

— 

1            1            1 

1            1 

7*240 

— 

o*oi6 

0*036 

0*151 

1*687 

1*219 

0*193 

0-035 

— 

— 

— 

—         — 

1 
_ .     1 

1 

3*337 

—      1   0-OI2 

0*020,  0*064 

0  610 

0*695 

0*200 

0  026 

0-053 

— 

1 

1-680 

- 

o*oo6 

0*047 

0*069 

3*150 

5-394 

7 -477 

4*041 

2316 

1-443 

0059 

0-012 

0-001 

0-005 

0005 

23*861 

- 

—    '  0*700 

0*120 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

0*820 

1 

1 

— 

— 

— 

0*782 

3-300 

0*609 

0*324 

0*222 

■   — 

5237 

i   ~~   1   "     !   *~      "" 

— 

— 

0*107 

0*519 

0-505 

0*088 

0*076, 

0-006 

1*289 

'               1 
1 

1 

— 

— 

0283 

2-579 

5-744 

0864 

0-244 

9*714 

— 

1 

-  -    1           ,     ■ " 
1 

— 

— - 

— 

— 

— 

0*211 

2-581 

4-194 

6  986 

—      —   1   —   1   — 

— 

1    ___ 

— 

— 

0*038 

0*723 

0-544 

1*305 

» 

. 

—         — 

— 

— 

__ 

1 

0*010 

0*116 

0294 

0*420 

— 

1 

1 
1           1 

1 

— 

— 

— 

—     1    '~~ 

0035 

-*) 

0-035 

— 

f 
1 

1 

— 

— 

— 

— 

0*328 

0050 

0*378 

\ 

— 

1    _ 

— 

— r 

— 

— 

1 

0008 

0-305 

0*297 

( 

— 

— 

— 

— 

— 

1 
1 

0-020 

0-020 

__       _  _    1   

1 

1 

— 

— 

—            — 

0*050 

0-050 

1 

1 

1           1           ■ 

, 

— 

— 

- 

— 

0*015 

0*015 

— 



— 

— 

— 

— 

—     '0*001 

0  001 

— 

1 

— 

— 

— 

0*014 

0*014 

9-678  23*437  32- 142 

6*421     9*523 

9*100 

8-436  5-026 

5-866 

2*159 

1*067 

3-294 

6*090 

4  710!  5-580 

1 

199-357 

1 

bedeckt,  daher  keine  Einstellung. 

1 

38 


Tabelle  XL 


Staatsaufwand  durch  Betheiligung  des  Staates 

[Die  Rückzahlungen 


I 

2 

3 
4 
5 
6 


7i 
8 

9 

10 

II 

112 

13 

14 

15 
i6 


1873     1874  I  1875  I  1876  I  1877  i  1878 


1     n 


Millionen 


Eisenbahn  Pilsen-Priesen  [Komotau]  .  . 
Falkenau-GrasHtz  [Busch töhrader  Eisenb.] 
Niederösterreichische  Südwestbahnen  .  . 
Brüx-Klostergrab  [Prag-Duxer  Eisenb.]  . 
Bozen-Meraner  Eisenbahn 


0- 390  0- 525 


0-219 


0-024 


3*885    3- "5;  5*355    1*276 
0*954    o-546|  i-ioo 

—     i  o-8o9;  4-057  j  3-258  j  0-642  j  0-182  10-087  ]o-o87 

I  I 

0-900,     —     !     — 

—    ;     —     j    —     10-139  0-8II 


Kremsmünster  -  Micheldorf      [Kremsthal 

bahn] 

Czernowitz-Nowosielitza,  Localbahn 
Fehring-FOrstenfeld,  Localbahn    .     .     . 

Asch-Rossbach,  Localbahn 

Hannsdorf-Ziegenhals,  Localbahn     .     . 
Eisenbahn  Lemberg-Belzec  [Tomaszöw] 
Mühlkreisbahn 
Bukowinaer  Localbahnen 


39 


am  Baue  von  Privatbahnen   1873 — 1896. 

sind  fett  gedruckt.] 


Tabelle  XL 


1882 

1883 

1884 

1 

1885 

1886 

1887 

1888 

1889 

1 

1 

1890 

1 

I89I 

1892 

1893 

1894 

1895 

1896 

Zusam- 
men 

Gulden         österr.         Währ, 

g- 

o-oio 
0003 
0-050 

1-100 
0-900 

0-225 

1 

\ 

1 

1 
1 

0004 

1 

0-075 
0350 

1 

1 
1 

1 

0004 

0-300 
0-280 

• 

0001 



0007 

0-125 

— 

0016 

o-6oo 
o-i8o 
0-300 
0*220 

1 
1 

1 

1 

1500 
0009 

0  010 

o-i8o 
0-300 
0-205 

1 
0008 

0010 

o-i8o 
0-3Ö0 
0-235 

0-100 

1 
1 

1 

1 

1     _  _ 

0-017 

0-010 

0-220 

- — — 

0-012 

0010 

0-180 

O'IOO 

0-150 

0922 

0010 

0-180 

0-220 
0-031 
0-150 
0-500 

0-150 
0-500 

0-150 
0-500 

0-150 
0-500 
0-400 
0-004 

14-799 

9-125 

j 

0-300 
0-350 
0-425 
0-280 
0.550 
0-900 
0900 

IIOO 

0-231 

0-750 
2000 
0  400 
0004 

0-063' 1-775 

0-421 

0-576 

0-001 

0-118' 1-284  io-834 

1            1 

0-797 

0-193  0-408 

0-149 

0*650 

0-650!  1-054 

32-114  i 

1 

1 

1 

1 

40 


Dr.  H.  Ritter  v.  Wittek. 


Die  letzte  Tabelle  [XII]  zeigt  summa- 
risch den  für  die  beiden  bezeichneten 
Zwecke  erwachsenen  Staatsaufwand  in  den 
einzelnen  Jahren  der  Gegenstands-  Periode. 

Tabelle  XIL 
Staatsaufwand  für  Eisenbahn-Neubau. 

[Die  Mehr-Rückzahlungen  sind  als  Gegen- 
posten fett  gedruckt.] 


Betheilisrung 

■"   -1 

Staaubaa 

am  Bau  von 

Zusammen  1 

Jahr 

Privatbahnen 

1 

in  Millionen  Gulden  ö.  W.              || 

1873 

0*212 

0-212 

1874 

12-973 

4839 

17-812 

1875 

22357 

4*470 

26-827 

1876 

II- 178 

10-512 

21*690 

1877 
1878 

6669 

5*434 

12  103 

.  3291 

1032 

4323 

1879 

3044 

0-707 

3*751 

1880 

2-150 

0445 

2-595 

188 1 

4?54 

0922 

5-876 

1882 

9678 

0063 

9741 

1883 

23-437 

1-775 

21*662 

1884 

32142 

0-421 

32563 

1885 

6*421 

0-576 

6-997 

1886  . 

9523 

0-001 

9522 

1887 

9-100 

Ol  18 

9-218 

1888 

8436 

1-284 

9-720 

1889 

5026 

0-834 

4192 

1890 

5-866 

0-797 

6663 

1891 

2159 

0193 

2352 

1892 

1067 

0408 

1-475 

1893 

3294 

0-149 

3*443 

1894 

6090 

0650 

6740 

1895 

4710 

0650 

5-360 

1896 

5-580 

1054 

6634 

1873- 1896 

199357 

32-114 

231-471 

Wie  die  vorstehende  Tabelle  XII  zeigt, 
hat  der  Jahresaufwand  für  den  Staats- 
eisenbahnbau nach  einer  gleich  anfangs 
[1874 — 1876]  bemerkbaren  Steigerung  auf 
rund  22-4  'Mill.  fl.  seinen  bisherigen  Cul- 
minationspunkt  mit  23*4  und  32*1  Mill.  fl. 


in  den  Jahren  1883  imd  1884  erreicht, 
in  welchen  die  hohen  Erfordernisse  für 
die  Arlberg-  und  die  galizische  Transversal- 
bahn zusammentrafen.  Die  späteren  Jahre 
weisen  namhaft  geringere  Ziffern  auf.  Seit 
1892  —  dem  Tiefpunkte  mit  l'i  Mill.  fl. 
—  ist  eine  vornehmlich  durch  die  Bahn- 
bauten in  Galizien  bedingte  Steigerung 
des  Jahresaufwandes  wahrnehmbar,  der 
zwischen  5  und  6  Mill.  fl.  schwankt. 

Die  Staatsbetheiligung  am  Privatbahn- 
baue ist  von  anfangs  hohen  Jahresziffem 
[1876  :  iO'5  Mill.  fl.,  veranlasst  durch 
die  Pilsen-Priesener  Eisenbahn  und  die 
österreichischen  Südwestbahnen,  denen 
der  Staat  Bauvorschüsse  gegen  Ueber- 
nahme  von  Titeln  gewährte]  auf  gering- 
fügige Beträge  herabgesunken.  Die  Sum- 
men des  Gesammtaufwandes  seit  1873 
für  Staatseisenbahnbau  mit  199-4  ^^^^-  ^• 
und  für  Staats-Betheiligung  am  Privat- 
bahnbaue mit  32*1  Mill.  fl.,  zusammen 
231*5  Mill.  fl.,  haben  für  die  staatliche 
Eisenbahn-Gebarung  eigentlich  nur  histo- 
rischen Werth,  da  einerseits  die  Bau-Auf- 
wandssummen successive  dem  Anlage- 
Capitale  der  Staatsbahnen  zuwachsen  und 
dort  mit  ihrer  Verzinsung  als  Erhöhung 
der  Jahreslast  wirken,  andererseits  mehrere 
der  durch  Capitals  -  Betheiligung  unter- 
stützten Bahnen  seither  vom  Staate  er- 
worben worden  sind,  wobei  die  nicht  rück- 
gezahlten Vorschüsse  in  den  Ankaufspreis 
eingerechnet  wurden,  mithin  wieder  einen 
Theil  des  Anlage-Capitals  der  Staats- 
bahnen bilden.  Dahin  gehört  auch  der 
aus  Budgetmitteln  bestrittene  Betrag  von 
3*011  Mill.  fl.,  den  der  Staat  für  die 
Erwerbung  der  Dniester  und  Braunau- 
Strasswalchener  Bahn  in  den  Jahren 
1876 — 1883  verausgabt  hat. 


VI.  Die  Steuerleistung  und  sonstige  öfifentliche  Leistungen 

der  Eisenbahnen. 


Wie  in  der  am  Eingange,  des  II.  Ab- 
schnitts gegebenen  Gliederung  der  Be- 
ziehungen, in  denen  die  Eisenbahnen 
auf  die  Staatswirthschaft  einwirken,  näher 
ausgeführt  wurde,  steht  der  directen  Ein- 
wirkung der  Eisenbahn- Gebarung  auf  den 
Eisenbahn-Etat  des  Staatshaushalts  jene 


auf  die  anderen  Etats  und  vornehmlich 
auf  die  eigentlich  fiscalischen  zur  Seite, 
indem  die  Eisenbahnen  selbst  ein  wich- 
tiges Steuerobject  bilden,  überdies  von 
dem  Eisenbahn- Verkehre  in  Form  ver- 
schiedener Gebühren  Abgaben  erhoben 
werden,    endlich     die    Eisenbahnen     für 


Oesterreichs  Eisenbahnen  und  die  Staatswirthschaft. 


4r 


öffentliche  Zwecke  Leistungen  vollziehen, 
welche  vermöge  ihres  Mehrwerthes  ge- 
genüber dem  hiefür  geleisteten  Entgelte 
einen  finanziellen  Vortheil  für  den  Staats- 
haushalt zumeist  in  Form  von  Kosten- 
Ersparnissen  darstellen. 

Es  wäre   nun  allerdings   von   hohem 
Interesse,  die  genauen  Ziffern  zu  kennen, 
mit  welchen  die  Eisenbahnen  seit  ihrem 
Bestände  aus  den  bezeichneten  Titeln  zu 
den  allgemeinen  Staatslasten  beigetragen 
haben.  Es  stehen  dieser  Ermittlung  aber 
mannigfache   Schwierigkeiten    im  Wege. 
Für   einige   der    hier   in    Betracht   kom- 
menden   Leistungen    fehlen     statistische 
Nachweise;    die  einschlägigen  Ausgabs- 
posten sind  nach  dem  Contirungs-Schema 
mit  anderen,   nicht   zu    den    eigentlichen 
Betriebskosten    gehörigen  Auslagen  ver- 
mischt In  den  Rechenschaftsberichten  der 
Eisenbahnen     werden     die     eigentlichen 
Staatssteuem    nicht    besonders,    sondern 
zusammen  mit  den  infolge  des  geltenden 
Besteuerungssystems  als  Zuschläge  zu  den 
directen  Staatssteuern  zugleich  mit  diesen 
letzteren     zur     Einhebung     gelangenden 
Abgaben     für     die     autonomen     Körper 
[Länder,  Bezirke,  Gemeinden]  cumulativ 
ausgewiesen.  Was  daher  die  hier  an  erster 
Stelle  zu  besprechende  Steuerleistung 
der  Eisenbahnen  anlangt,    so  erübrigt 
niu"     und     wird     für     den    angestrebten 
Zweck  wohl  genügen  müssen,  auf  Grund 
der  für  die  einzelnen  Jahre  ausgewiesenen 
Gesammtsummen  annäherungsweise  An- 
haltspunkte  für  die  Höhe  der  Ziffern  zu 
geben,  um  die  es  sich  bei  der  Steuerleistung 
der  Eisenbahnen  —  diese  im  allgemeinsten 
Sinne,  also  einschliesslich  der  Gebühren 
und  der  neben  den  rein  staatlichen  auch 
für  autonome  Zwecke  geleisteten  Abgaben 
verstanden  —  handelt,   wobei  die  unter- 
laufene Ungenauigkeit  dadurch  vielleicht 
etwas  gemildert  erscheinen  kann,  dass  der 
Autonomie  in  Oesterreich  zum  Theil  auch 
die   Vollziehung    staatlicher     Functionen 
obliegt,  wodurch  der  Staatshaushalt  um  den 
entsprechenden  Aufwand   entlastet   wird. 
Für  das  Jahr  1880  —  knapp  vor  dem 
Uebergange   zum  Staatsbetriebe   —  gibt 
die     folgende,     der    officiellen     Statistik 
entnommene  Nachweisung   die    von   den 
Eisenbahnen   geleisteten   Steuern   sammt 
Zuschlägen  mit  folgenden  Ziffern  an: 


Tabelle  XIIL 


A.  Staatsbahnen  und 

Staatsbetrieb. 

K.    k.    Staatsbahnen    incl.    der 
Staatsbahnen  im  Privatbetrieb 

Staatsbetrieb  von  Privatbahnen 

• 

Zusammen    .    .     . 

J5.  Gemeinsame  Eisenbahnen. 

Erste    Ungar.  -  galizische    Eisen- 
bahn       

Kaschau-Oderberger  Bahn  . 
Oesterr.  Staatseisenbahn-Gesell- 

schaftM 

Südbahn*) 

Ungarische  Westbahn      .     . 

Zusammen    .     . 


C.  Oesterr.  Privatbahnen 

Aussig-Teplitzer  Eisenbahn 
Böhmische  Nordbahn  .    .     . 
Böhmische  Westbahn  .    .     . 
Buschtöhrader  Eisenbahn 
Dux-Bodenbacher  Eisenbahn 
Galizische  Carl  Ludwig-Bahn 
Graz-Köflacher  Eisenbahn    . 
Kaiser  Ferdinands-Nordbahn 
Kaiser  Franz  Josef-Bahn 
Kaiserin  Elisabeth-Bahn  .     . 
!  Lemberg-Czernowitzer  Eisenb 
Leoben  -  Vordemberger  Eisenb 
Mährische  Grenzbahn.     .    . 
Mähr.-schlesische  Centralbahn 
O  esterreich  ische  Nordwestbahn 
Ostrau-Friedländer  Eisenbahn 
Pilsen-Priesener  Eisenbahn  . 
Praff-Duxer  Eisenbahn     .    . 
Süd-Nordd.  Verbindungsbahn 
Turnau-Kralup-Prager   Eisenb 
Vorarlberger  Bahn  ... 
Wien-Pottendorf- Wr.  Neust.-B 
Wiener  Verbindungsbahn    . 

Zusammen    .     . 

Gemeinsame  und  österreichische 
Privatbahnen  [B  +  C]  .    .    . 

Im  Ganzen  [ A  +  B  +  C] 


fl.  ö.  W. 


7.940 
68.787 


76.727 


4,480.837 


8.801 
3.681 

2,513.113 

1,944.324 
10.918 


62671 
14.471 

191.934 
86.802 

59.008 

703.084 

46.449 
2,202.840 

26.101 

672.563 
303.214 

1.286 

10.512 

15.004 

49551 

15.430 

10.659 

14.188 

1 18.521 

88.699 

5.170 

7.108 

50.184 


4,755.449 


9,236.286 


19,313013 


*)  In  diesen  Ziffern  ist  die  Steüerleistung 
für  die  ungarischen  Linien  inbegriffen.  Eine 
besondere  Nachweisung  für  die  österreichi- 
schen Linien  ist  in  der  officiellen  Eisenbahn- 
statistik nicht  enthalten,  nachdem  die  Trennung 
der  Betriebsrechnung  der  österreichischen  und 
ungarischen  Linien  bei  der  Staatseisenbahn- 
Gesellschaft  erst  mit  dem  Jahre  1883  erfolgt 
ist;  bezüglich  der  Südbahn,  bei  welcher  die 
Trennung  der  Betriebsrechnung  erst  im  Jahre 
1889  durchgeführt  wurde,  ist  jedoch  zu  be- 
merken, dass  dieselbe  für  ihr  ungarisches  Netz 
im  Jahre  1880  noch  die  Steuerfreiheit  genoss. 


42 


Dr.  H.  Ritter  v.  Wittek. 


Wenn  in  dieser  Nachweisung  vor 
Allem  die  Geringfügigkeit  der  Ziffer  auf- 
fallt, mit  der  die  Staatsbahnen  und  der 
Staatsbetrieb  an  der  gesammten  Eisen- 
bahn-Steuerleistung pro  1880  betheiligt 
sind,  so  erklärt  sich  dies  einerseits  aus 
dem  damals  noch  geringen  Umfange  des 
Staatsbahnnetzes  [955  Afw],  dessen  Be- 
steuerung erst  mit  einem  späteren  Gesetze 
[1887]  eingeführt  wurde,  und  des  Staats- 
betriebes, welch'  letzterer  nur  die  Kron- 
prinz Rudolf- Bahn  seit  i.  Januar  1880  und 
die  Erzherzog  Albrechtbahn  seit  i .  August 
1 880  umfasste,  anderseits  aus  der  geringen 
Ertragsfähigkeit  der  einzelnen,  in  verschie- 
denen   Ländern    zerstreuten  Staatslinien. 

Die  Steuerleistung  der  Privatbahnen 
weist  dagegen  schon  für  das  Jahr  1880  sehr 
ansehnliche  Beträge  auf,  die  bei  der  Kaiser 
Ferdinands-Nordbahn  über  2*2  Mill.  fl.,  bei 
der  Südbahn  über  i  -9  Mill.  fl.  und  bei  der 
Staatseisenbahn-Gesellschaft  [incl.  der  un- 
garischen Linien]  über  2*5  Mill.  fl.  ausma- 
chen, bei  der  Carl  Ludwig-Bahn  07  Mill.  fl. 


übersteigen  und  diese  Ziffer  bei  der  Kai- 
serin Elisabeth-Bahn  nahezu  erreichen. 
Im  Ganzen  haben  alle  Eisenbahnen  zu- 
sammen pro  1880  über  9*3  Mill.  fl.  an  Steu- 
ern und  Zuschlägen  geleistet.  Die  Netto-Ga- 
rantie- Vorschussleistung  des  Staates  an  die 
Eisenbahnen  ist  für  das  gleiche  Jahr  mit 
17*925  Mill.  fl.  ausgewiesen.  Werden  diese 
beiden  Ziffern  einander  gegenübergestellt, 
wofür  sich  vom  Standpunkte  der  Staats- 
wirthschaft  betrachtet,  im  Ganzen  Argu- 
mente anführen  lassen,  so  gestaltet  sich  der 
Saldo  der  Staatsgebarung  bezüglich  des 
Eisenbahnwesens  um  etwa  die  Hälfte  besser, 
indem  der  Nettozuschuss  aus  Staatsmitteln 
für  den  Eisenbahnbetrieb  auf  8^625  Mill.  ü. 
herabsinkt.  Die  successive  Zunahme  der 
jährlichen  Steuerleistung  ist  aus  der  nach- 
stehenden Tabelle  ersichtlich,  in  welcher 
die  Steuer-Eingänge  von  den  Staats-  und 
Privatbahnen  nebst  dem  Stempel-  und 
Gebühren- Aequivalent  für  die  einzelnen 
Jahre  1880 — 1895  nach  der  amtlichen 
Statistik  zusammengestellt  sind  : 


Tabelle  XIV. 

Eingänge  an  Steuern   sammt  Zuschlägen,   dann   an  Stempeln   und  Gebühren 

von  den  Eisenbahnen  in  den  Jahren  1880 — 1895. 


1             Steuern  sammt  Zuschläg^en 

Stempel  und  GebUbren-Aequivalent 

T      1^             i          in  Millionen  fl.  ÖBterr.  Währ. 

in    Millionen  fl.  österr.  Währ. 

1 

Im  Ganzen 
Mill-  fl- 

Privat-      1      Staats-            .._„ 

Privat- 

Staats-     ' 

bahnen     |     bahnen            zusammen 

babnen 

i«^K.,r„           zusammen     . 
bahnen     1                               j 

1880 

9-236*)'      0-008 

9*244 

1027 

1 
000005          1*027 

10-271 

1881        1     9-387*)!    0-01 1             9398 

0-974 

0012       ,       0986 

10384 

1882 

1     II265*)       0014                 11-279 

1025 

0  001     ,      1026 

12-305 

1883            I0"59i    1    0*013      ,        10-604 

1    0841 

0000 1            0-8411 

II  445 

1884        1     9670    !     0-866             10-536 

0763 

o-ioi          0-864 

11-400 

1885            10259    ,     0338             10597 

0*549 

0056              0605 

11-202 

1886 

,    10-120    1    0-355     1       10475 

0-530 

0054              0-584 

II  059 

1887 

9652     1      5  148**)'          14-800 

0738 

0-034              0-772 

15-572 

1888 

9633           1-624 

11-257 

0637 

0032 

0-669 

1 1  926 

1889 

10302           2058 

12-360 

0-579 

0-041 

0620 

12-980 

1890 

lo-8i6        2-416             IV232 

0-505 

0040             0545 

13*777 

1891 

,    11-565        2-708             14273 

0541 

0048              0-589 

'        14862 

1892 

11182        2-531             13713 

0-539 

0033       i       0572 

14-285 

1893 

11-477    ,     2-655             14-132 

0545 

0*022       '       0567 

14699 

1894 

12-306        3006             15312 

0-464 

0024              0488 

15-800 

1895            12-499    1     3768 

16267      1 

1 

0-455***) 

0018       1        0473 

1 

16-740 

,4rX5    ,;  169960  ;  27519 

!     197-479 

sscllschaft  für  d 

10-712 

ic  Jahre  l88c 

0516               11-228         '        208707 

1                               1 

,  1881  und  1882  einschliesslich  der  Steuern 

*)  Bei  der  Staatseisenbahn-Ci« 

und  Gebühren  für  das  ungarische  Netz,   für  welches 

pro  1H83  zui 

n  ersten  Male  ausgewiesen  sind:  Steuern 

Ü.  1,379.480,  Gebühren  fl.  152.Ö63,  zusammen  fl.  1,432 

.152. 

Bei  der  Südbahn,     welche  in  Ungarn  bis  l. 

Januar    1890 

die    Steuerfreiheit   genoss,    erfolgte    die 

Trennung  der  Betriebsrechnung  im  Jahre  1889. 

*•)  Inbegriffen  die  auf  Grund  des  Gesetzes    \ 

om  IQ.  März 

:  1887  R.-G.-Bl.  Nr.  33  entrichtete  Erwerb- 

und  Einkommensteuer    nebst    Zuschlägen    für   die  J 

ahrc   1S77— 1886   fl.  3,414.777,  hiezu   das  Jahr   1887  mit      || 

fl.  310.489,  ergibt  zusammen    fl.  3,731.200. 

*•*>  Die  Abnahme  der  Eingänge  an    Stempeln 

und  Gcbühren-Aequivalent  ist  begründet  in  dem  Fort-      i| 

1       schreiten  der  Eisenbahn-Verstaatlichung. 

Oesterreichs  Eisenbahnen  und  die  Staats wirthschaft 


43 


Wie  die  vorstehende  Tabelle  zeigt, 
haben  die  österreichischen  Eisenbahnen 
an  Steuern  und  Gebühren  in  den  Jahren 
1880 — 1895  eine  von  10  successive 
auf  beinahe  17  Millionen  fl.  steigende 
lahressumme  geleistet,  welche  mit  Aus- 
nahme der  hier  nicht  ausgeschiedenen 
Zuschläge  an  autonome  Körper  dem 
Staate  zugeflossen  ist.  Für  die  ganze 
Periode  beträgt  die  Steuer-  [und  Gebühren-] 


leistung  der  Eisenbahnen  nahezu  209  Mil- 
lionen fl.,  eine  imposante  Ziffer,  welche  bei- 
spielsweise die  Netto  -  Garantieleistung 
des  Staates  in  dem  gleichen  Zeit- 
raum [abzüglich  der  Rückzahlungen  rund 
107  Mill.  fl.]  weit  übersteigt.  Die  Ver- 
theilung  der  angeführten  jährlichen  Steuer- 
summe auf  die  einzelnen  Steuergattungen 
ist  für  das  Jahr  1895  aus  der  nachstehen- 
den Zusammenstellung  ersichtlich: 


Tabelle  XV, 
Zergliederung  der  von  den  Eisenbahnen  im  Jahre  1895  entrichteten  Steuern 

sammt  Zuschlägen,  dann  Stempeln  und  Gebühren. 


K.  k.  Staatsbahnen  und 
für  Rechnung  des  Staates 
betriebene  Hauptbahnen 
[einschliesslich  der  Staats- 
bahnen  im  Privatbetriebe]. 

Localbahnen  im  Staatsbetr. 

Privatbahnen: 
Aussi^-Teplitzer  Eisenbahn 
Böhmische  Nordbahn  .  .  . 
Busch töhrader  Eisenbahn 
I  Graz-Köflacher  Eisenbahn  . 
Kaiser  Ferdinands-Nordbahn 
Kaschau-Oderb.  Bahn[öst.L.] 
Leoben-Vordemberge  r  Ei- 
senbahn   . 

Oesterr.  Nordwestbahn  [ga- 

rantirtes  Netz] 

,  Oesterr.  Nordwestbahn  [Er- 
gänzungsnetz]   

Oesterr.-ungar.  Staatseisen- 
bahn-Gesellschaft .  .  . 
Ostrau  -  Friedländer  Eisenb. 
Südbahn  Fösterr.  Linien]  .  . 
Süd  -  Norddeutsche  Verbin- 
dungsbahn     

Eisenbahn   Wien-Aspang 
Wien  -  Pottendorf  -  Wiener- 
Neustädter  Bahn  .     .     .     . 
Selbstständige    Local-    und 
Kleinbahnen 


zusammen 


Grund- 
steuer 


fl. 


Gebäude- 
Steuer 


fl. 


Erwerb- 
steuer 


fl. 


Ein. 
kommen- 
steuer 


zusammen 
Steuern 


fl. 


Stempel 

Gesammt- 

und  Ge- 

leistung^ an 

bühren 

Steuern 

Aequi- 

und 

valent 

Gebühren 

fl. 

fl. 

121.848 

1.958 

6.500 

5.938 

8.961 
2.593 

120.256 
1.464 

236 

14.393 
7265 

39-374 

1.364 

28.553 

5.163 
1.992 

1.615 

6.283 


153.926 
7842 

13280 

20.179 

23614 

1.506 

-*) 
2.562 

301 

25.354 

15.132 

93104 

104.385 

7.81 1 
2.058 

858 

8  191 


36.143  I  3,446.138 
1181     145 


10.122 
20.822 
16.065 

10.735 
4.912 


3492 
5076 

5.265 ' 

23.542  . 
5.774 
5.394 

17.067 
4.768 

4.442 

1.582 


778.713 
420.962 

1,047.824 

148.448 

2,578.573 
308.421 

25.234 
832.062 

214 

2,109.592 
33.228 

3,190.523 

I 

222.048  '' 
1.594 

86.764 
5  100 


3,758.055 
10.063 

808.615 
467901 

1,096.464 
163.282 

2,703.741 

312.447 
29.263 

876.885 

27.876 ; 

2,265.612 ! 
40.366 . 

3,328855 

252089 
10.412 

93.679 
21.156 


16.847 
992 

24235 
15.821 
30.286 

8.681 
121.464 

2890 


189 

17.251 
8.871 

57.808 

7.916 

131.869 

7.767 
2396 

4.060 
13.249 


3,774  902 
11.055 

832.850 

483  722 

1,126.750 

171.963 
2,825.205 

315337 

29.452 

894.136 

36747 

2,323.420 

48.282 

3,460.724 

259.856 
12.808 

97739 
34405 


375.756  [  480.103 '  175.319115,235.583:16,266.761 472.592 116,739.353! 


*)  Cumulativ  mit  der  Grundsteuer  ausgewiesen. 


Die  einzelnen  Schlussziifem  dieser 
Tabelle  verdienen  es  wohl  beachtet  zu 
werden.  Abgesehen  von  dem  Staatsbahn- 
netze, dessen  Leistung  3*7  Mill.  fl.  über- 
steigt, stellen  die  grossen  Privatbahnen 
—    die   Südbahn    mit   fast   3-5    Mill.  fl., 


'  die  Kaiser  Ferdinands-Nordbahn  mit  über 
2*8  Mill.  fl.,  die  Staatseisenbahn-Gesell- 
schaft mit  über  2*3  Mill.  fl.,  die  BuschtS- 
hrader  Bahn  mit  über  i'i  Mill.  fl.,  die 
Aussig- Teplitzer  Bahn  und  die  österr. 
Nordwestbahn    mit  je    über   0*8  Mill.  fl. 


44 


Dr.  H.  Ritter  v.  Wittek. 


—  stattliche  Steuerobjecte  dar.  Diese 
Ziffern  sind  wohl  ein  schlagender  Beweis 
dafür,  wie  sehr  der  Staat  im  Allgemeinen 
auch  an  der  finanziellen  Prosperität  der 
Privatbahnen  interessirt  ist. 

Mit  den  vorstehend  angeführten  eigenen 
Leistungen  ist  aber  die  fiscalische  Frucht- 
barkeit der  Eisenbahnen  keineswegs 
erschöpft. 

Neben  den  öffentlichen  Abgaben,  welche 
die  Eisenbahnen  selbst  zu  entrichten 
haben,  schaffen  sie  nämlich  dem  Fiscus 
in  dem  durch  sie  vermittelten  Personen- 
und  Güterverkehre  ein  wichtiges 
und  durch  Vermittlung  der  Bahnver- 
waltungen, welche  die  Einhebung  zu- 
gleich mit  den  Bahngebühren  besorgen, 
äusserst  bequem  benutzbares  Besteu- 
erungsobject.  Die  Heranziehung  des 
Eisenbahn- Verkehres  zur  Leistung  öffent- 
licher Abgaben  erfolgt  in  Oesterreich  bisher 
nur  in  der  Form  der  Gebühren-Einhebung 


von  den  Personen-Fahrkarten  [Billet- 
stempel],  dann  von  den  Frachtbriefen  und 
Aufhahmescheinen  [Frachtbriefstempel , 
Aufnahmescheingebühr].  Wiewohl  diese 
Abgabe  bei  weitem  nicht  jene  Höhe  er- 
reicht, die  in  anderen  Ländern  durch 
die  sogenannte  Transportsteuer  erzielt 
wird  *j,  handelt  es  sich  dabei  doch  um 
ein  ganz  ansehnliches  Einkommen,  welches 
dem  Staate  durch  Vermittlung  imd  in- 
folge der  Eisenbahnen  zufüesst.  Als  An- 
haltspunkt können  die  Ziffern  des  Jahres 
1895  dienen,  welche  in  der  nachstehenden 
Tabelle  zusammengestellt  sind. 


*)  Vgl.  Sonnenschein,  die  Eisen- 
bahn-Transportsteuer und  ihre  Stellung  im 
Staatshaushalte.  Berlin,  Springer  1897.  Ihre 
Einführung  in  Oesterreich  ist  durch  den 
neuestens  als  Regierungsvorlage  einge- 
brachten Gesetzentwurf  in  den  Vordergrund 
der  wirthschaftspolitischen  Erörterungen  ge- 
treten. 


Tabelle  XVL 

Zusammenstellung  der  von  den    österr.    Eisenbahnen    für  das  Jahr  1895  ent- 
richteten Gebühren  für  Fahr-  und  Frachtkarten. 


Bezeichnung  der  Eisenbahnen 


Gfebühr   für 


Personen- 
Fahrkarten 


Frachtbriefe 
und  Aufnah- 
mescheine 


zusammen 


Gulden  österr.  Währung 


K.  k.  Staatsbahnen  und  für  Rechnung  des  Staates 

betriebene  Hauptbahnen     .... 
Aussig-Teplitzer  Eisenbahn      .... 

Böhmische  Nordbahn 

Buschtöhrader  Eisenbahn 

Kaiser  Ferdinands-Nordbahn    . 
Kaschau-Oderberger  Bahn,  österr.  Strecke 
Oesterr.  Nordwestbahn,  garant.  Netz     . 
»  »  Ergänzungsnetz 

Oesterr. -ung.  Staatseisenbalm-Gesellschaft 
Ostrau-Friedländer  Eisenbahn  .     , 

Südbahn  *) 

Süd-Norddeutsche  Verbindungsbahn 
Wien-Aspang-Eisenbahn    .... 

Localbahnen 

zusammen  Privatbahnen 


Im  Ganzen 


691.820 

19.877 
32.213 
35.684 
178.814 
12.890 
70.512 
24.568 

174733 
4.476 

302.106 

31.633 

11.226 

44-994 
943-726 


399  423 
46.368 

33375 

36.879 
128022 

6.648 

58.635 
24.696 

150.843 

179.271 

24549 

4.231 
20.076 

713-593 


1,635.546     I    1,113.016 


1,091.243 
66.245 
65.588 

72.563 
306.836 

19-538 

129.147 

49.264 

325.576 
4.476 

481.377 
56.182 

15.457 
65.070 

1,657.319 


2,748.562 


*)  Inclusive   Graz-Köflacher,    Leoben- Vordernberger    und  Pottendorf- Wiener-Neu- 
städter Bahn. 


Oesterreichs  Eisenbahnen  und  die  Staatswirthschaft. 


45 


Die  Jahressumme  dieser  Staatsein- 
nahme, welche  von  dem  die  Eisenbahnen 
benützenden  Publicum  [Reisende  und 
Frachtgeber]  eingehoben  wird,  beziffert 
sich  sonach  auf  etwa  275  Millionen  fl. 
Dass  diese  Ziffer  nicht  zu  niedrig  er- 
mittelt ist,  ergibt  sich  aus  einer  anderen 
uns  vorliegenden  Berechnung,  wonach 
der  Personen  -  Fahrkartenstempel  allein 
einschliesslich  der  Schifffahrt,  für  welche 
rund  100.000  fl.  in  Abzug  kommen,  in 
den  Jahren: 

1893  1894  1895 

1,323.614  ü.    1,667.463  fl.     1,737297  fl- 

eingebracht  hätte,  wozu  dann  noch  die 
Frachtbrief-  und  Aufnahmescheinstempel, 
mit  rund  2,000.000  fl.  zuzurechnen  wären. 
Man  wird  daher  nicht  fehlgehen,  wenn 
man  die  Transport-Abgabe  der  öster- 
reichischen Eisenbahnen  nach  dem  jetzigen 
Stande  des  Verkehrs  mit  über  3  Millionen  fl. 
jährlich  ansetzt.  Zuzüglich  der  vorhin  mit 
16*7  Millionen  fl.  ausgewiesenen  eigenen 
Steuerleistimg  der  Eisenbahnen  ergibt 
sich  der  jetzige  directe  fiscalische  Jahres- 
Ertrag  der  Eisenbahnen  an  Steuern  und 
Gebühren  mit  rund  20  Millionen  fl.  Hierin 
sind  nicht  inbegriffen  die  von  den  Eisen- 
bahn-Titres  eingehobenen  Coupon-Stem- 
pelgebühren, die  beispielsweise  im  Jahre 
1895  bei  der  Staatsbahn-Gesellschaft  nmd 
125.000  fi.  und  bei  der  Südbahn  105.443  fl. 
ausmachten. 

Im  Anschlüsse  an  diese  dem  Staats- 
haushalte bedeutende  Einnahmen  zufüh- 
renden Abgaben  sind  noch  jene  geld- 
werthen  Leistungen  hervorzuheben, 
welche  —  wie  am  Eingange  des  II.  Ab- 
schnittes ausgeführt  ist  —  von  den 
Eisenbahnen  unentgeltlich  oder  zu  er- 
mässigten  Preisen  für  verschiedene  staat- 
liche  Dienstzweige  besorgt  werden. 
Eine  genaue  Bewerthimg  der  hiedurch 
dem  Staate  im  Etat  dieser  Dienstzweige 
erwachsenden,  materielle  Vortheile  dar- 
stellenden Ersparnisse  ist  nach  dem  heu- 
tigen Stande  der  zu  Gebote  stehenden  Auf- 
zeichnungen für  Oesterreich  nicht  zu  geben. 
Eingehende  und  beachtenswerthe  Nach- 
weisungen über  den  Gegenstand  enthält 
dagegen  die  amtliche  Statistik  Frankreichs. 

In  der  von  dem  französischen  Mi- 
nisterium   der  Öffentlichen    Bauten    her- 


ausgegebenen Eisenbahn-Statistik*)  sind 
die  vorerwähnten  Ersparnisse,  an  die 
Eisenbahn-Steuern  [I.  Transportsteuer  von 
Reisenden  und  Eilgut,  Aufhahmsschein- 
und  Frachtbriefstempel,  II.  laufende  Stem- 
pel, Gebühren  von  Actien  und  Obligationen, 
Uebertragungs-Gebühren  von  solchen  Ti- 
tres,  Einkommensteuer  und  4%ige  Taxe 
vom  Verlosungsgewinn,  III.  Gebäudesteuer, 
Patentgebühren,  Zolleinnahmen  für  zu 
Eisenbahnzwecken  bezogene  Brenn-  und 
RohstoflFe]  angereiht,  nach  folgenden 
Gruppen  zusammengestellt : 

IV.  Ersparnisse  zufolge  der  Bestim- 
mungen des  Bedingnisheftes :  i.  Postver- 
waltung. 2.  Telegraphen  Verwaltung.  3.  Be- 
förderung von  Militär-Personen  und  solchen 
der  Marine.  4.  Unentgeltliche  Beförde- 
rung der  Finanzorgane  im  Dienste  der 
indirecten  Steuern  und  der  Zollorgane. 

V.  Ersparnisse  gegenüber  den  nor- 
malen Tarifen  auf  Grund  freiwilliger  Ver- 
einbarungen mit  dem  Staate:  Kriegs- 
materialtransporte. 

Die  Bewerthung  auf  Grund  bestimmter, 
nach  statistischen  Leistungs-Einheiten 
aufgestellter  Rechnungsschlüssel  ergibt 
beispielsweise  für  das  Jahr  1894  bezüg- 
lich sämmtlicher  französischer  Bahnen 
[35-971  ^^]  nachstehende  Beträge: 

pT.km 
im  Ganzen    Bahn- 
länge 
Frcs.        Frcs. 

[IV,  1137,573.921  1045 

[IV,  2]    4i099-774     IM 


Ersparnisse  der 

Postverwaltung 

Telegraphen- 
verwaltung   . 

Beim  Transport 
von  Militär- 
Personen    . 

Finanz-      und 
Zollorganen 

Zusammen .  . 
Kriegsmaterial- 
transport. . 

Totalsumme  . 


[IV,  3]  21,928.888     609 

[IV,  4]    1,672.733       46 
[IV,  1-4]  65,275.316  1814 

[V]         ^186.431  _  33 
66,461.747  1847 


Nach  einer  der  amtlichen  Bewerthung 
beigedruckten  Schätzung  der  Gesell- 
schaften, die  auf  einem  früheren  Formular 

*)  Statistique  des  chemins  de  fer  fran^ais 
au  31.  decembre  1894.  Documents  divers. 
Premiere  partie:  France,  interet  gönöral. 
Paris,  Impr.  nationale  1896,  pag.  274,  275. 


46 


Dr.  H.  Ritter  v.  Wittek. 


beruht,  wird  die  Totalsumme  der  Erspar- 
nisse noch  wesentlich  höher,  nämlich 
auf  Frcs.  136,331.058  oder  per  km  auf 
Frcs.  3790  beziffert. 

Die  Leistungen  der  österreichischen 
Eisenbahnen  für  die  Postanstalt  be- 
ruhen im  letzten  Grunde  auf  dem  schon 
im  §  68  der  Eisenbahn- Betriebsordnung 
vom  16.  November  1851,  R.-G.-Bl. 
Nr.  I  ex  1852,  den  concessionirten  Privat- 
Eisenbahn-Untemehmungen  gegenüber 
gemachten  und  im  §  10  lit  f  des  Eisen- 
bahn-Concessionsgesetzes  vom  14.  Sep- 
tember 1854,  R.-G.-Bl.  Nr.  238,  erneuerten 
Vorbehalte  der  Verpflichtung  zur  unent- 
geltlichen Postbeförderung  wie  auch  auf 
der  Fortbildung,  w^elche  dieser  allgemeine 
Vorbehalt  in  den  Bestimmungen  der 
einzelnen  Concessions-Urkunden  erfahren 
hat.  Insgemein  ist  hiemach  den  Privat- 
bahnen die  unentgeltliche  Beförderung  der 
im  Dienste  fahrenden  Postbediensteten, 
der  Briefpost-  und  der  Postambulanzwagen 
auferlegt,  wogegen  den  Bahnen  für  die 
zur  Mitnahme  der  Postfrachten  beizu- 
stellenden »Beiwagen«  eine  massige, 
annäherungsweise  den  Selbstkosten  der 
Beförderung  entsprechende  Vergütung 
nach  festen  Einheitssätzen  geleistet  wird. 

Den  Localbahnen  sind  durch  die 
neuere  Specialgesetzgebung  in  Bezug  auf 
die  Postbeförderung  facultativ  Erleich- 
terungen zugestanden,  die  Kleinbahnen 
[Tertiärbahnen]  von  allen  unentgeltlichen 
Leistungen  in  obiger  Hinsicht  enthoben. 
[Art.  II  und  XVIII  des  Gesetzes  über 
Bahnen  niederer  Ordnung  vom  31.  De- 
cember  1894,  R.-G.-Bl.   Nr.  2  ex  1895.] 

Für  die  Postbeförderung  auf  den 
Staatsbahnen  und  für  Rechnung  des 
Staates  betriebenen  Bahnen  sind  mit 
Verordnung  des  k.  k.  Handelsministeriums 
vom  20.  März  1883  eigene  Normativ-Be- 
stimmungen erlassen  worden,  wonach  vom 
I.Januar  1883  ab  für  die  Beförderung 
der  Post  mittels  ärarischer  Ambulanz- 
wagen sowie  mittels  der  Bahn  gehörigen 
Wagen,  dann  für  die  Briefpostvermittlung 
durch  Bahnorgane,  von  Seite  der  Post- 
verwaltung eine  Entschädigung  mit  50  Per- 
cent der  jährlich  sich  ergebenden  Kosten 
per  Achskilometer  des  gesammten  Staats- 
betriebsnetzes nach  Massgabe  der  durch- 
laufenen    Postwagen-Achskilometer     ge- 


leistet wird.  Diese  Entschädigung  variirte 
seit  1883  zwischen  1*65  und  1*91  kr.  per 
Postwagen-Achskilometer. 

Für  das  Jahr  1895  hat  die  Post  an  die 
Staatsbahnverwaltung*  aus  obigem  Titel 
eine  Vergütimg  von  796.139  fl.  bezahlt. 

Stellt  man  die  bahnseitige  Leistung 
für  den  Posttransport  nur  mit  den  Selbst- 
kosten in  Rechnung,  was  offenbar  zu 
niedrig  gegriffen  ist,  so  bewerthet  sich 
das  durch  die  Benützung  der  Staatsbahnen 
zu  ermässig^em  Preise  der  Postanstalt 
erwachsene  jährliche  Ersparnis  auf  rund 
800.000  fl.  Bezüglich  der  Privatbahnen 
ist  die  Schätzung  des  gleichartigen  flsca- 
lischen  Vortheils  durch  die  Verschiedenheit 
der  concessionsmässigen  Verpflichtungen 
erschwert.  Eine  approximative  Verglei- 
chung  der  von  den  grossen  Hauptbahnen 
bezogenen  Vergütungen  [i  895  :  580.000  fl. 
mit  den  Selbstkosten  der  geleisteten  Post- 
wagen-Achskilometer führt  zu  dem  Ergeb- 
nisse, dass  letztere  durchschnittlich  mit 
nur  62*7  Percent  zur  Vergütung  gelangen. 

Auf  die  Gesammtsumme  der  von  den 
österreichischen  Privatbahnen  gefahrenen 
Postwagen  -  Achskilometer  angewendet, 
würde  sich  das  Ersparnis  der  Post  bei 
den  Privatbahnen  mindestens  auf  etwa 
420.000  fl.  jährlich  bewerthen  lassen.  Im 
Ganzen  ist  das  jährliche  Ersparnis  des 
Staates  bei  der  Postbeförderung  demnach 
auf  mindestens  1,200.000  fl.  zu  schätzen. 

Die  sonstigen  Leistungen  der  Eisenbah- 
nen für  die  Postanstalt,  als  unentgeltliche 
Beförderung  der  Postorgane,  Mitwirkung 
des  Bahnpersonals  beim  Postdienste,  Bei- 
stellung von  Amtsräumen,  Instandhaltung 
der  ärarischen  Postambulanz  wagen  etc., 
entziehen  sich  einer  ziffermässigen  Bewer- 
thung.  Ebenso  sind  die  Leistungen  ftlr  die 
Staats -Telegraphenanstalt,  welche 
theoretisch  in  der  Pflicht  zur  unentgelt- 
lichen Ueberlassung  der  Säulen  des 
Bahntelegraphen  zur  Anbringung  von 
Staatstelegraphen-Leitungen  und  in  deren 
Obsorge  sowie  in  der  Beförderung  des 
wStaatstelegraphen -Materials  zu  wesentlich 
ermässigtenTarifsätzen  bestehen,  einerseits 
kaum  zu  bezift'ern,  anderseits  finanziell 
nicht  von  ausschlaggebender  Bedeutung. 

Von  grcisserer  finanzieller  Tragweite 
sind  dagegen  die  Leistungen  der  Bahnen 
in  Bezug  auf  den  Militär-Transport. 


Oesterreichs  Eisenbahnen  und  die  Staatswirthschaft 


47 


Die  Differenz  zwischen  den  für  die  Beför- 
derung von  Militärpersonen  und  Militär- 
gutem  nach  dem  Militär-Tarife  eingeho- 
benen ermässig^en  Beförderungsgebühren 
und  jenen  des  normalen  Givil-Personen- 
und  Gütertarifs  stellt  das  Ersparnis  dar, 
welches  der  Staat  infolge  der  einschlägigen 
freien  oder  concessionsmässigen  Verein- 
barungen erzielt.  Nach  einer  schätzungs- 
weisen Berechnung  kann  dieses  Ersparnis 
bei  den  k.  k.  Staatsbahnen  und  vom  Staate 
betriebenen  Privatbahnen  für  das  Jahr  1895 
in  folgender  Weise  beziffert  werden: 


Differenz  bei  den  im  Dienste 
reisenden  Militärpersonen    . 

Differenz  bei  den  ausser  Dienst 
reisenden  Militärpersonen    . 

beim  Reisegepäck     .     .     .     . 

bei  den  Militärgütern    .     .     . 

zusammen     .     . 


fl.  ö.  W. 
681.150 

355-740 
138.867 
397.366 


1,573.123 


Nachdem  die  durchschnittliche  Be- 
triebslänge der  bezeichneten  Bahnen  im 
Jahre  1895  rund  8900  km  betragen  hat, 
entspricht  obige  Ziffer  einer  kilometri- 
schen Differenz  von  176-8  fl.  Nach  dem 
Verhältnis  der  Kilometerzahl  der  selbst- 
ständig betriebenen  Privatbahnen  [7361] 
ergibt  sich  für  dieselben  die  Jahressumme 
von   1,301.425  fl. 

Diese  Ziffer  ist  offenbar  viel  zu  niedrig 
gegriffen,  da  die  normalen  Givil-Tarife  der 
Privatbahnen  zumeist  weit  höher  sind  als 
jene  der  Staatsbahnen.  Es  wird  deshalb 
für  alle  Bahnen  zusammen  das  dem  Staate 
aus  diesem  Titel  zu  gute  kommende 
Jahreserspamis  mit  dem  Betrage  von 
3  Millionen  fl.  nicht  zu  hoch  angenommen 
sein.  Post-  und  Militär-Transport  allein 
geben  somit  eine  jährliche  Erspamis- 
summe,  die  allermindestens  4 — 5  Mill.  fl. 
beträgt. 


VII.  Gesammt-Bilanz  der  staatlichen 
Eisenbahn-Gebarung. 


In  den  vorausgehenden  Abschnitten 
wurde  versucht,  die  finanziellen  Wirkun- 
gen, welche  die  Eisenbahnen  auf  den 
Staatshaushalt  vermöge  der  Garantie,  des 
Staatsbaues  und  Staatsbetriebes  und  der 
flscalischen  Leistungen  ausüben,  im  Ein- 
zelnen möglichst  übersichtlich  darzustellen. 
Es  erübrigt  daher  noch,  diese  Darstellung 
durch  die  Uebersicht  des  Gesammteffectes 
zu  ergänzen,  den  die  gleichzeitige  Bethäti- 
gung  dieser  Einzelwirkungen  zur  Folge  hat. 
Hierbei  ist  von  den  Schlussergebnissen 
auszugehen,  welche  im  Abschnitte  IV 
bezüglich  des  finanziellen  Erfolges  des 
Staatsbetriebes  als  des  wichtigsten  Zweiges 
der  staatlichen  Eisenbahn-Gebarung  er- 
mittelt wurden.  Da  es  sich  jedoch  bei 
dieser  Darstellung  nicht  um  eine  theore- 
tische Beurtheilung  der  Ergebnisse  des 
Staatsbetriebes,  sondern  um  die  wirklichen 
Gebarungsziffem  handelt,  wie  sie  in  der 
Gegenstands-Periode  den  Staatshaushalt 
factisch  beeinflusst  haben,  ist  nicht  die 
Schlusscolonne  der  Tabelle  VII,  sondern  es 
sind  jene  der  in  Tabelle  VIII  enthaltenen  fac- 
tischen  Gebarungs- Abgänge  als  der  wirk- 
lichen Zuschüsse  auf  den  Staatseisenbahn- 


Betrieb  zum  Ausgangspunkte  zu  nehmen. 
Dabei  sind,  wie  hier  zu  erinnern  ist,  die 
dem  Staate  erwachsenen  Lasten  infolge 
der  für  den  Staatseisenbahnbau  verwen- 
deten Beträge  durch  jähr  weise  Zurech- 
nung der  4V4percentigen  Zinsen  derselben 
zu  den  Capitalslasten  [Tabelle  VIII,  Col.  3] 
bei  der  Ermittlung  der  Gebarungs- Abgänge 
berücksichtigt.  An  diese  Zuschüsse  reihen 
sich  sodann  die  Netto-Ergebnisse  der 
Staatsgarantie-Gebarung,  wobei  —  abwei- 
chend von  der  im  Abschnitt  III  behufs 
reiner  Ermittlung  der  Garantie- Vorschuss- 
Verhältnisse  befolgten  Methode  —  nebst 
den  bei  der  Netto-Garantie-Leistung  in 
Abzug  gebrachten  Vorschuss-  auch  die 
Zinsen-Rückzahlungen  zu  berücksichtigen 
sind  sowie  die  als  Subvention  bezahlten 
Annuitäten.  Der  hieraus  resultirenden 
Gesammtlast  sind  die  Eingänge  aus  den 
Eisenbahnen,  soweit  sie  jahrweise  zifi"er- 
mässig  bekannt  sind,  wie  Antheile  am 
Reingewinn  und  Steuerleistung  der  Pri- 
vatbahnen, gegenüberzustellen,  woraus 
sich  sodann  die  Gesammt-Bilanz  der 
staatlichen  Eisenbahn-Gebarung  exclusive 
Bau  ergibt. 


Dr.  H.  Ritter  v.  Wittek. 


Mf  r   - 

liH 

«1   IE 
P   =s 

^   £  3 

%'     fl 

F  H 

§=•  |e 
s-s-  s^i 

i;f 

|i-  i  5? 

Il  i-;S 

ti    i 

n  i 

— 



? 

" 

Illllllfliillll 

iililllilllilir 

©®o             o9?o?»?oo9 

iis" 'i»isiiigi 

1 

il 
II 

oqqoqqoqopoooqcj 

?    S^    iE 

s 

il. 
ft 
11 

1 

w  ?  -  g 

|lililäili|:  i  •  1 

1"  J     II? 

- 

llllliiiilliill 

Steuer-  undi 
Gebühren- 
leistung 

der 
Privat- 
bahnen incl. 
Zuschläge 

3 

1  1 

1  i  1  i :  i  i.  1  i  1  i  i  i 

o 

i   1 

= 

'=     X 

0  m  -^ 


Oesterreichs  Eisenbahnen  und  die  Staatswirthschaft. 


49 


Die  Zahlenreihen  dievSer  Tabelle  geben 
zu  mancherlei  Betrachtungen  Anlass. 
Neben  dem  constant  in  ansehnlicher  Höhe 
auftretenden  Gebarungs-Deficit  des  Staats- 
betriebes, dessen  Höhe  indess,  wie  bereits 
im  IV.  Abschnitt  erwähnt,  zum  grossen 
Theile  durch  die  Einbeziehung  des  In- 
vestitions-Aufwandes in  die  ausserordent- 
lichen Ausgaben  bedingt  war  und  durch 
die  seit  1897  geänderte  Budgetirungs- 
methode  sich  fortan  wesentlich  vermin- 
dert *),  fallt  sofort  die  stetige  Besserung 
der  Garantie-Gebarung  in's  Auge,  welche 
im  Jahre  1885,  infolge  der  Rückzahlung 
der  Garantieschuld  der  mährisch-schlesi- 
schen  Nordbahn,  mit  fast  6  Mill.  fl.  und 
1895  mit  nahezu  2  Mill.  fl.  activ  war. 
Die  Erklärung  liegt  in  dem  successiven 
Uebergang  der  dauernd  passiven  Garantie- 
Bahnen  in  den  Eigenbetrieb  für  Rechnung 
des  Staates  imd  in  der  günstigen  Entwick- 
lung der  selbstständig  gebliebenen  garan- 
tirten  Unternehmungen.  Die  Gesammt- 
lasten  des  Staates  für  Eisenbahnzwecke 
haben  hiemach  seit  1882,  von  vorüber- 
gehenden Schwankungen  abgesehen,  keine 
Verminderung  erfahren  und  beziffern  sich 
am  Schlüsse  der  Periode  mit  rund 
24  Millionen  fl. 

Trotzdem  ist  —  wie  das  Sinken  des 
Passiv-Saldos  der  Gesammt-Bilanz  seit 
1892  von  20  auf  9  Mill.  fl.,  trotz  der 
vielen  neu  hinzugekommenen  schwachen 
Linien  zeigt  —  die  finanzielle  Besserung 
der  Gesammtgebarung  unverkennbar.  Die 
anlässlich  der  Neu-Goncessionirung  der 
Kaiser  Ferdinands-Nordbahn  bedungene 
Betheiligung  des  Staates  an  dem  Rein- 
gewinn dieses  ertragreichen  Unternehmens 
—  ein  Vorgang,  der  späterhin  bei  der 
Xeu-Ordnung  der  Capitalsverhältnisse  der 
Aussig-Teplitzer  Bahn  Nachahmung  fand 
und  bei  der  Südbahn  neuestens  infolge 
der  schiedsgerichtlichen  Entscheidung 
über  den  Kaufschillingsstreit  wieder  auf- 
gelebt ist  —  hat  dem  Staate  seither  Jahr 

*)  Im  Budget  pro  1897  sind  für  ausser- 
ordentliche Ausgaben  beim  Staatseisenbahn- 
Betriebe  und  der  Bodensee-Dampfschifffahrt 
8,012.98011.  [gegen  1 1,672.760  fl.  undincl.  Staats- 
eisenbahnbau nebst  Betheili^ng  am  Privat- 
bahnbau 18,485.410  fl.  im  Vorjahre]  eingestellt 
und  18,063.910  fl.  im  Erfordernisse  des  In- 
vestitions-Präliminars  für  Eisenbahnzwecke 
bewilligt. 

Geschichte  der  Eisenhahnen.    II. 


für  Jahr  namhafte  Eingänge  verschafft, 
welche  zuzüglich  der  bei  den  Ein- 
nahmen des  Staatsbetriebes  verrechneten 
und  daher  in  Col.  8  ausgeschiedenen  Zah- 
lungen der  Aussig-Teplitzer  Bahn  in 
den  Jahren  1894 — 1^9(>  von  17  auf  fast 
3  Millionen  fl.  gestiegen  sind.  Diese  Zu- 
flüsse, welche  den  Werth  einer  umsichtigen 
finanziellen  Eisenbahnpolitik  auch  unter  der 
Vorherrschaft  des  Staatsbetriebes  ausser 
.Zweifel  stellen,  haben  im  Vereine  mit 
der  trotz  der  Verstaatlichung  fast  constant 
steigenden  Steuerleistung  der  Privat- 
bahnen zu  dem  Schlussergebnisse  geführt, 
dass  die  Gesammtbilanz  der  staatlichen  Ei- 
senbahn-Gebarung der  Jahre  1893 — 96  mit 
massigen  Passiv-Saldoziffern  abschliesst. 
Denn  eine  Unterbilanz  von  durchschnitt- 
lich 8*4  Millionen  fl.  kann  bei  einem 
im  Ganzen,  Staats-  und  Privatbahnen 
zusammengenommen,  rund  17.000  knt 
[Ende  1896]  umfassenden  Bahnnetze, 
welches  so  viele  ertragsschwache  Linien 
in  sich  begreift,  gewiss  nicht  als  eine 
unverhältnismässige  bezeichnet  werden. 
Diesem  Passivum  stehen  übrigens  die 
im  Abschnitte  VI  besprochenen  Erspar- 
nisse gegenüber,  welche  die  verschiedenen 
Staatsdienstzweige  infolge  der  unentgelt- 
lichen oder  zu  ermässigten  Preisen  statt- 
findenden Leistungen  der  Eisenbahnen 
geniessen.  Jene  bei  der  Postbeförderung 
und  dem  Militärtransport  allein  bewerthen 
sich  auf  4 — 5  Millionen  fl.  jährlich.  Es 
würde  hiernach  also,  die  übrigen  Leistun- 
gen dieser  Art  ungerechnet,  der  bilanz- 
mässige  Netto-Zuschuss  des  Staates  für 
das  Eisenbahnwesen  mit  Ausschluss  des 
Linien-Neubaues,  für  welchen  in  den  Jahren 
1893 — 96  rund  je  6  Millionen  fl.  aufgewen- 
det wurden,  nicht  höher  als  auf  etwa 
3 — 4  Millionen  fl.  jährlich  zu  schätzen 
sein.  Mit  dieser  Zuschussleistung  schliesst, 
da  die  indirecten  Vortheile,  welche  die 
Eisenbahnen  in  Bezug  auf  die  Hebung 
der  Steuerkraft  dem  Staatsschatze  gebracht 
haben,  nicht  ziffermässig  nachweisbar 
sind,  die  Gebarungsbilanz  des  Staates 
in  Bezug  auf  die  Eisenbahnen  mit  1896 
ab.  Die  ganze  Entwicklung  im  Zusammen- 
hange betrachtet,  kann  wohl  behauptet 
werden,  dass  die  Eisenbahnen  in  Oester- 
reich  sich  für  die  Staatswirthschaft  und 
den  Staatshaushalt  trotz  der  grossen  Opfer, 


50 


Dr.  H.  Ritter  v.  Wittek. 


welche  ihre  Entwicklung  zeitweilig  den 
Staatsfinanzen  auferlegte,  doch  anderseits 
als  eine  dem  Staatsschatze  ansehnliche 
Zuflüsse  und  mannigfache  Vortheile  brin- 
gende Institution  bewährt  haben.  Wenn 
daher  der  Ausbau  des  österreichischen 
Eisenbahnnetzes  in  den  letzten  50  Jahren 
und  der  heutige  Stand    des  heimischen 


Eisenbahnwesens  geeignet  ist,  mit  patrio- 
tischem Stolze  zu  erfüllen,  so  bieten  die 
staatswirthschaftlichen  und  finanziellen 
Ergebnisse  dieser  Entwicklung  wahrlich 
keinen  Grund,  sich  dieses  Gefühl  durch 
pessimistische  Beurtheilung  des  materi- 
ellen Werthes  des  Geschaffenen  ver- 
kümmern zu  lassen. 


VIII.  Der  Eisenbahn-Etat  in  der  Gegenwart. 


Die  im  vorigen  Abschnitte  an  der 
Jahres-Reihe  1882— 1896  verfolgte  Ein- 
wirkung der  Eisenbahnen  auf  die  Ge- 
staltung des  Staatshaushaltes  ist,  inso- 
weit es  sich  um  das  Budget  handelt, 
mit  dem  Jahre  1896  in  doppelter  Hin- 
sicht zu  einem  Abschlüsse  gelangt.  Durch 
die  in  den  Beginn  dieses  Jahres  fallende 
Errichtung  des  Eisenbahnministeriums, 
welches  nunmehr  mit  einem  eigenen  Etat  — 
Nummer  XII  —  [Capitel  28  der  Staats- 
ausgaben, 34  der  Staatseinnahmen]  be- 
dacht ist,  erscheint  das  Eisenbahnwesen 
als  selbstständiger  Verwaltungszweig  in 
den  Rahmen  des  Staatsvoranschlages 
eingegliedert.  Anderseits  ist  das  Finanz- 
gesetz für  das  Jahr  1896  das  letzte  vor  der 
schon  oben  besprochenen,  in  das  orga- 
nische Gefüge  unseres  Budgets  tief  ein- 
greifenden und  namentlich  für  das  Eisen- 
bahnwesen bedeutungsvollen  Ausschei- 
dung der  Investitions-Auslagen,  welche 
bisher  mit  den  laufenden  Staatsausgaben 
vermischt  waren  und  vom  Jahre  1897 
an  in  einem  II.  Theile  des  Staatsvoran- 
schlages zur  Darstellung  gelangen.  Im 
Staatsvoranschlage  für  1896,  woselbst 
diese  Trennung  noch  nicht  stattgefun- 
den hat  und  die  Staatsausgaben  mit 
664,569.573  fl.,  die  Staatseinnahmen  mit 
666,006.190  fl.  festgesetzt  sind,  nimmt 
das  Eisenbahnministerium  für  die  Zwecke 
seines  Ressorts  inclusive  Bodensee-Schiff"- 
fahrt  im  Ganzen  [Capitel  28,  Titel  1  —  7] 
93,722.360  fl.  in  Anspruch,  wovon  auf  aus- 
serordentliche Ausgaben  1 8,485.4  lofl.  [dar- 
unter für  Staatseisenbahnbau  6,094.000  fl. 
für  Betheiligung  an  der  Capitalsbeschafi"ung 
zum  Baue  von  Privatbahnen  680.970  fl.] 


und  auf  ordentliche  Bahnbetriebsauslagen 
exclusive  Localbahnbetrieb  [Titel  7,  §  i, 
lit.  a]  63,207.184  fl.  entfallen.  Dem 
Ressortaufwande,  welchem  der  Voll- 
ständigkeit halber  noch  die  im  Budget- 
Capitel  34,  Titel  3  [XVII.  Subventionen 
und  Dotationen  B  an  Verkehrsanstalten] 
eingestellten  4®/oigen  Vorschüsse  an  ga- 
rantirte  Bahnen  mit  1,407.900  fl.  zuzu- 
rechnen sind,  so  dass  die  Eisenbahn - 
Ausgaben  im  Ganzen  95,130.260  fl.  aus- 
machen, stehen  als  Bedeckung  die  im 
Capitel  34,  Titel  i — 6  präliminirten  Staats- 
einnahmen des  Eisenbahnministeriums 
mit  108,445.860  fl.  gegenüber.  Darunter 
sind  begriff'en  der  Staatsantheil  an  dem 
Reingewinne  der  Kaiser  Ferdinands-Nord- 
bahn  mit  1,300.000  fl.  und  einschliesslich 
desselben  ausserordentliche  Einnahmen 
9,197.710  fl.  sowie  ordentliche  Trans- 
port-Einnahmen 94,851.500  fl.  Zuzüglich 
der  bei  den  Subventionen  für  Verkehrs- 
anstalten präliminirten  Zinsen-Einnahme 
von  4700  fl.  erreicht  der  Staats-Ein- 
nahmen-Etat des  Eisenbahnwesens  die 
Gesammtsumme  von  108,450.560  fl. 

Das  Eisenbahnwesen  participirt  also 
an  den  Staatsausgaben  mit  ^7  =  '47o» 
an  den  Staatseinnahmen  mit  Vg  ^  16% 
des  gesammten  Staatshaushaltes  und  er- 
scheint im  Budget  pro  1896  als  ein  mit 
dem  Betrage  von  13,320.300  fl.  activer 
Dienstzweig  —  letzteres  allerdings  nur 
Dank  dem  Umstände,  dass  die  grossen 
( '.apitalslasten  für  den  Bau  und  die  Er- 
werbung der  Staatsbahnen  mit  Ausnahme 
der  beim  Staatseisenbahn-Betriebe  [Ca- 
pitel 28,  Titel  7,  §  I  lit.  c]  präliminirten 
vertragsmässigen    Zahlungen     für     Ver- 


Oesterreichs  Eisenbahnen  und  die  Staatswirthschaft. 


51 


zinsung  und  Amortisation  per  8,224.400  11. 
nicht  im  Eisenbahn-Etat  eingestellt  sind, 
sondern  in  jenem  der  Staatsschuld  ihre 
Wirkung  äussern. 

Wird  hingegen  das  gesammte  Er- 
fordernis für  die  Bestreitung  der  Lasten 
des  in  den  Staatsbahnen  investirten  An- 
lagecapitals  einschliesslich  der  Verzinsung 
des  durch  Ausgabe  von  Staatsrenten- 
titeln beschafften  oder  aus  den  Cassen- 
beständen  bestrittenen  Aufwandes  für  den 
Staatseisenbahnbau  und  für  nachträgliche 
Investitionen  dem  Betriebsüberschusse  der 
Staatsbahnen  entgegengehalten,  so  zeigt 
sich,  dass  letzterer  das  Lasten-Erforder- 
nis nicht  erreicht,  vielmehr  hinter  dem- 
selben um  einen  namhaften  Differenz- 
betrag zurückbleibt.  Diese  Differenz  stellt 
den  Zuschuss  dar,  welchen  der  Staat 
auf  den  Staatsbahnbetrieb  zu  leisten  hat. 
In  den  Erläuterungen  zum  Staatsvoran- 
schlage der  Staatseisenbahn- Verwaltung 
für  das  Jahr  1896  *)  ist  die  Höhe  des  Staats- 
zuschusses  in   folgender  Art    berechnet: 

Vertragsmässige  Zahlungen  für  Verzin- 
sung und  Amortisation: 

a)  im  Etat   der  Staatsbahn-         fl. 
Verwaltung 8,092.080 

b)  im  Etat  der  Staatsschuld  33,235.891 

c)  Annuität  für  ^/^  der  Wie- 
ner Verbindungsbahn  132.320 

zusammen  41,460.291 

Aufwand    für    Staatsbahnbau 

und    Nachtrags  -  Investitionen 

[inclusive      jener     für      1896 

mit    6,628.479  ff.]    zusammen 

284,443.219    fl.     zum     Zins- 

fusse  von  47*%       ....  12,088.837 

Gesammmterfordemis    .     .     .  53,549.128 

Hievon  ab  Betriebsüberschuss 

im  Ordinarium 32,548.720 

Präliminirter      Staatszuschuss 

für  1896 21,000.408 

Derselbe  erhöht  sich  bei  Einbeziehung 
des  präliminirten  Netto-Erfordemisses  im 
Extraordinarium  in  die  laufenden  Aus- 
gaben auf  27,071.700  fl. 

Das  Anlagecapital  sämmtlicher  im 
Staatsbetriebe  stehenden  Bahnen  [excl.  Lo- 


calbahnen]  ist  für  1 896 auf  1 1 75,782.55ofl.*) 
berechnet  und  die  Verzinsung  desselben 
durch  den  Betriebsüberschuss  mit  2*77  ®/q. 

Infolge  der  mit  dem  Finanzgesetze 
für  das  Jahr  1897  bezüglich  der  Inve- 
stitions-Gebarung eingeführten  Budget- 
Reform  bietet  der  Staatsvoranschlag  die- 
ses Jahres,  soweit  er  das  Eisenbahn- 
wesen betrifft,  ein  etwas  verändertes 
Bild. 

Die  Staatsausgaben  mit  689,08 1 . 1 70  fl. 
und  die  Staatseinnahmen  mit  690,030.996  fl. 
zeigen  gegenüber  dem  Vorjahre  eine  mas- 
sige Steigerung.  Die  gleiche  aufsteigende 
Bewegung  tritt  bei  dem  Einnahmen-Etat 
des  Eisenbahnministeriums  [Capitel  34, 
Titel  4  des  Staatsvoranschlages]  zu  Tage, 
welcher  einschliesslich  der  ausseror- 
dentlichen Einnahmen  per  4,846.480  fl. 
[darunter  1,300.000  fl.  als  Reingewinn- 
Antheil  von  der  Kaiser  Ferdinands- 
Nordbahn]  und  der  ordentlichen  Transport- 
Einnahmen  des  Staatsbahnbetriebes  per 
98,851.500  fl.  die  Gesammt- Bedeckungs- 
ziffer von  113,806.260  fl.  aufweist,  die 
sich  durch  die  im  Subventions-Etat  präli- 
minirten Eisenbahn-Garantie-Rückzahlun- 
gen von  155.300  fl.  auf  113,961.560  fl. 
erhöht.  Der  Eisenbahn  -  Ausgaben  -  Etat 
beim  Eisenbahnministerium  in  der  dem 
Vorjahre  nahezu  gleichen  Ziffer  von 
93,801.410  fl.  [darunter  8,456.910  fl. 
ausserordentliche  Ausgaben,  67,093.090  fl. 
ordentliche  Bahnbetriebsauslagen  incl. 
Localbahnbetrieb,  8,203.010  fl.  vertrags- 
mässige Zinsen-  und  Amortisations- 
zahlungen] ist  um  jene  In vestitions- Aus- 
lagen im  Betrage  von  18,063.910  fl.  [hie- 
von für  Staatseisenbahnbau  5,741.760  fl., 
für  Betheiligung  an  der  Capitals- 
beschaffung  zum  Bau  von  Privatbahnen 
5,268.000  fl.,  für  Betriebs-Investitionen 
7,054.150  fl.]  verringert,  welche  im  Er- 
fordernisse des  Investitions-Präliminares 
[Beilage  II  zu  Artikel  IX  des  Finanz- 
gesetzes] für  das  Eisenbahnministerium 
eingestellt  sind.  Wird  jedoch  zum  Zwecke 
der  Vergleichung  mit  dem  Vorjahre 
dieser  Betrag  gleichwie  jener  der  Ga- 
rantie -  Vorschusszahlungen     für    Eisen- 


*)  XI.   ursprünglich    Handelsministerium  !  *)    Laut    ^Bericht    über    die    Ergebnisse 

Heft  2,  sodann  geändert  in  XII.  Eisenbahn-      der  k.  k.  Staatseisenbahn-Verwaltung  für  das 
Ministerium  S.  195  ff.  Jahr  1896^,  S.  132,  nur  1.139,887.884  fl. 


Dr.  H.  Ritter  v.  Wittek. 


bahnen  im  Etat  XVII  »Subventionen 
und  Dotationen«  per  1,654.500  fl.  den 
oben  ausgewiesenen  Ausgaben  zuge- 
rechnet, so  erreichen  die  Staatsausgaben 
für  Eisenbabnzwecke  den  Gesammtbetrag 
von  113,519.820  fl.,  d.  i.  i5'87o  oder 
fast  \/-  der  sämmtlichen  Staatsausgaben 
incl.  Investitionen,  wogegen  den  in  der 
Bedeckung  des  Staatsvoranschlages  [Bei- 
lage I  zum  Finanzgesetze]  ausgewiesenen 
Eisenbahn-Einnahmen  jene  des  Investi- 
tions-Präliminares  mit  4,782.820  fl.  zu- 
zurechnen sind,  so  dass  im  Ganzen  die 
Bedeckungssumme  von  118,744.380  fl., 
d.  i.  17^/0  oder  mehr  als  7g  der  ge- 
sammten  Staatseinnahmen  incl.  Investi- 
tions  -  Bedeckung  aus  dem  Eisenbahn- 
wesen resultirt. 

Nach  der  neuen  Gruppirung  des 
Budgets  dagegen,  in  welcher  die  Inve- 
stitionen von  der  laufenden  Gebarung 
getrennt  eingestellt  sind,  stehen  in  letzterer 
den  Eisenbahn-Einnahmen  [incl.  Garantie- 
Rückzahlimgen]  mit  113,961.560  fl. 

Ausgaben   aus  gleichem 
Titel     [incl.     Garantie- 
Vorschüsse]  mit     .     .     .       95,455-910    > 
gegenüber,   so  dass  der 

Eisenbahn-Etat  mit  dem 

Betrage  von  ....  18,505.650  fl. 
activ  erscheint. 

Der  Staatszuschuss  für  den  Staats- 
eisenbahn-Betrieb stellt  sich  nach  der 
Berechnung  in  den  Erläuterungen  zum 
Staatsvoranschlage  der  Staatseisenbahn- 
Verwaltung  für  das  Jahr  1897*),  in  wel- 
chem die  Betriebslänge  mit  durchschnitt- 
lich 9443  km  angenommen  ist  und  mit 
Jahresschluss  auf  rund  9800  km  steigen 
dürfte,  in  folgender  Schlussziffer  dar: 

Vertragsmässige  Zahlungen  für  Ver- 
zinsung und  Amortisation: 

a)  im    Etat    der    Staatsbahn-  fl. 
Verwaltung 8,203.010 

b)  im    Etat    der  Staatsschuld  32,837.560 

zusammen  41,040.570 

Aufwand  für  Staatsbahn- Bau 
und  nachträgliche  Investitionen 
[inclusive  jener  für  1897 
mit  5,444.057  fl.]  zusammen 
308,291.864     fl.     zu      4  V470  ^3?  102.404 

*)  XII   Eisenbuhnministerium  S.  202  fl". 


Transport    13,1 02.404 
Annuitäten   für  Fahrparksver- 
mehrung       1,484.840 

Gesammt- Erfordernis     .     ,     .55,627.814 

ab  Ueberschuss  im  Ordinarium 
[nach  Zurechnung  der  im  obi- 
gen Erfordernisse  bereits  be- 
rücksichtigten vertragsmässi- 
gen  Zahlungen  für  Verzinsung 
und   Amortisation]    .     .     .     .31,795170 

Präliminirter      Staatszuschuss 

für  1897*)        23,832.644 

Das  Anlagecapital  für  sämmtliche  im 
Staatsbetriebe  stehenden  Bahnen,  ex- 
clusive  der  Bodensee-Dampfschiffahrt  und 
der  für  fremde  Rechnung  betriebenen 
Localbahnen,  ist  abzüglich  der  durch  Ver- 
losungen oder  Convertirungen  in  Abfall 
kommenden  Beträge  mit  1.161,265.228  fl. 
ermittelt.  Die  Verzinsung  durch  den 
Betriebs-Ueberschuss      stellt      sich      auf 

274%- 

Zur  Vervollständigung  des  Gesammt- 

bildes  mögen  hier  noch  die  für  den  Gegen- 
stand charakteristischen  Ziffern  aus  dem 
kürzlich  im  Abgeordnetenhause  einge- 
brachten Staatsvoranschlage  für  das  Jahr 
1898  beigefügt  werden,  dem  Jahre,  in  wel- 
chem das  Staatsbetriebs-Netz  die  Längen- 
ausdehnung von  10.000  km  überschreiten 
wird.  Die  gesammten  Staatseinnahmen 
sind  mit  719,900.282  fl.,  die  gesammten 
Staatsausgaben  mit  715,920.827  fl.  ver- 
anschlagt, so  dass  ein  Ueberschuss 
von  3,979.455  fl.  sich  ergibt.  Das 
Investitiohs-Präliminar  zeigt  im  Erforder- 
nis 29,179.780  fl.,  in  der  Bedeckung 
1,524.050  fl.  Die  Eisenbahn-Einnahmen 
[einschliesslich  der  Garantie  -  Rückzah- 
lungen mit  104.300  fl.,  des  Gewinn- 
Antheils  bei  der  Kaiser  Ferdinands-Nord- 
bahn  mit  i,6oo.ooo  fl.  und  der  Kauf- 
schillings-Restzahlung  der  Südbahn  mit 
1,846.100  fl.]  sind  auf  120,780.200  fl. 
beziffert.  Das  Ausgaben -Erfordernis  ist 
einschliesslich  der  Garantievorschüsse  im 
Betrage  von  1,963.000  fl.  mit  98,488.500 fl. 
veranschlagt.  Der  hiernach  resultirende 
Ueberschuss  von  22,291.700  fl.  übersteigt 

*)  Bei  Behandlung  des  präliminirten 
Xettü-Erfordernisses  im  Extraordinarium  als 
laufende  Ausgabe  des  Jahres  1897  würde  der 
Staatszuschuss  sich  erhöhen  auf  27,035  720  fl. 


Oesterreichs  Eisenbahnen  und  die  Staats wirthschaft. 


53 


jenen  des  laufenden  Jahres  [18,505.650  fl.] 
um  3,786.050  fl.  Im  Investitions-Präli- 
minare  für  1898  sind  zu  Eisenbahnzwecken 
I  Staatseisenbahn-Bau  6,808.000  fl.,  Be- 
theiligung an  der  Capitalsbeschaffung 
zum  Baue  von  Privatbahnen  1,652.000  fl., 
Betriebs- Investitionen  11,033.000  fl.]  zu- 
sammen 19,493 .000  fl.  [  1897: 18,063.9 10  fl. 
als  Erfordernis  und  aus  gleichem  Tite 
1,424.050  fl.  [1897:  4,782.820  fl.]  als  Be- 
deckung eingestellt. 

Der  Staatszuschuss  zum  Staatseisen- 
bahn-Betriebe ist  in  den  Erläuterungen*) 
mit  nachstehender  Berechnung  entwickelt: 

Vertragsmässige  Zahlungen  für 
Verzinsung  und  Amortisation : 

£t)    im    Etat  der    Staatsbahn-         fl. 

Verwaltung 8,204.100 

b)    im    Etat   der  Staatsschuld  32,986.580 

Aufwand  für  Staatseisenbahn- 
bau und  Nachtrags  -  In  vesti- 
tionen  [exclusive  Investitions- 
iVäliminar  1897  u.  1898]  zu- 
sammen    311,749-253    fl.    zu 

47*% i3>249-343 

Investitionsaufwand  1897  und 

1898    17,852.800  fl.  zu  3*8®/o       678.407 

Gesammt-Erfordernis     .     .     .55,118.430 

Präliminirter    Betriebs-Ueber- 

schuss 33)876.300 

Staatszuschuss  für  1898**)    .  21,242.130 

Der  Anlagewerth  der  ijn  Staats- 
betriebe stehenden  Bahnen  ist  nach 
gleichem  Vorgange  wie  im  Vorjahre  mit 
1.181,518.043  fl.  ermittelt***)  und  die 
Verzinsung  desselben  durch  den  Betriebs- 
überschuss  auf  2*87^/0  berechnet. 

Auf  Grund  der  vorstehenden  Präli- 
minar-Ansätze  ergibt  sich  folgende  Ent- 
wicklungsreihe : 


*)  Erläuterungen  zum  Staatsvoranschlage 
und  Investitionspräliminare  für  das  Jahr  1898 
XII.  Eisenbahn-Ministerium,  S.  185  ff. 

**)  Bei  Einbeziehung  der  Investitionen 
in  die  laufenden  Ausgaben  würde  sich  der 
Staatszuschuss  erhöhen  auf  25,222.510  fl. 

*♦•)  Für  1898  veranschlagtes  Anlage- 
Capital  1.208,728710  fl.,  hievon  ab  getilgte 
Beträge  27,210.667  fl.  bleibt  Anlagewerth 
1181,518.043  fl. 


1896*)     1897     1898 
Staatszuschuss       zum      Mill.  fl.  ö.  W. 

Staatsbahnbetriebe    27*0     23*8     21*2 
Verzinsung    des    An- 

lagewerthes  % .     .     277     274     2*87 
Ueberschuss  im  Eisen- 
bahn- und  Subven- 
tions-Etat     .     .     .   I3'3     18-5     22*3 

Es  wäre  voreilig,  Schlüsse  aus  diesen 
AnschlagsziflFern  ziehen  zu  wollen,  deren 
Erfolg  erst  bezüglich  des  Betriebs-Ueber- 
schusses  und  der  Capitalsverzinsung  für 
das  Jahr  1896  bekannt  ist.  Immerhin 
tritt  die  günstige  Wirkung  der  neuen 
Budgetirungs-Methode  für  den  Eisenbahn- 
Etat  durch  Entlastung  desselben  von  den 
in  das  Investitions-Präliminar  überstellten 
Extraordinarial-Ausgaben  klar  zu  Tage. 
Auch  die  Zifl'er  des  Staatszuschusses 
ist  von  dem  niedrigen  Zinsfusse  des  In- 
vestitions-Aufwandes günstig  beeinflusst. 
Ihre  noch  immer  ansehnliche  Höhe  — 
in  den  letzten  3  Jahren  mit  durchschnitt- 
lich 24  Millionen  fl.  veranschlagt  — 
sowie  die  Perspective  einer  weiteren 
Steigerung  der  staatsfinanziellen  Zu- 
schüsse für  Eisenbahnzwecke  infolge  der 
mit  dem  Jahre  1898  im  Etat  der  Staats- 
schuld hinzutretenden  Beitragsleistung 
für  die  Wiener  Verkehrsanlagen**)  müssten 
zu  den  ernstesten  Betrachtungen  Anlass 
geben,  wäre  das  Eisenbahnwesen  nicht 
zugleich  ein  im  höchsten  Grade  produc- 
tiver  Factor  im  Staatshaushalte.  In  dieser 
Hinsicht  darf  hier  an  die  im  VI.  und 
VII.  Abschnitte  enthaltenen  Ausführungen 
und  zifl'ermässigen  Daten  über  die  Steuern 
und  sonstigen  öffentlichen  Leistungen 
der  Eisenbahnen  erinnert  werden,  deren 
Jahres werth  schon  für  1896  mit  24  — 
25  Millionen  fl.  geschätzt  wurde.  Diese 
Leistungen  stellen,  den  Staatshaushalt 
im  Ganzen  betrachtet,  ein  den  Staats- 
zuschüssen für  Eisenbahnzwecke  nahezu 
gleichwerthiges  Aequivalent  dar,  welches 
mit  der  Entwicklung  des  Verkehres  und 
der  Steuergesetzgebung  in  fortwährender 
Zunahme     begriff'en    ist.       Ein    Beispiel 


•)  Erfolg:  Betriebsüberschuss  34*4  Mil- 
lionen fl.,  daher  Staatszuschuss  bei  sonstigem 
Zutreffen  des  Präliminars  um  rund  05  Mil- 
lonen  fl.  geringer.  Capitalsverzinsung  302°/o. 
[Vgl.  Geschäftsbericht  S.   132  und  179] 

♦♦)  Für  1S9S  mit  1,978.128  fl.  veranschlagt. 


54 


Dr.  H.  Ritter  v.  Wittek. 


hiefür  bietet  die  Steuersumme  der  Staats- 
bahnen, die  nach  dem  Staats  -  Voran- 
schlag für  1898  mit  rimd  5  MilHonen  fl. 
sich  gegen  das  laufende  Jahr  um  fast 
500.000  fl.  [=ii%]  erhöht.  Hiernach 
erscheint  die  Behauptung  wohl  nicht  als 
eine  allzu  optimistische,  dass  die  Eisen- 
bahn-Gebarung des  Staates,  Alles  in  Allem 
genommen,  sich  allmählig  dem  Punkte 
nähert,  in  dem  das  Eisenbahnwesen  be- 
ginnt, nicht  blos  der  budgetären  Form 
nach,  sondern  in  Wirklichkeit  ein  activer 
Dienstzweig  zu  werden.  Das  Ziel,  reine 
Gebarungs-Ueberschüsse  aus  dem  Eisen- 
bahnwesen für  die  allgemeinen  Staats - 
bedürfnisse  heranzuziehen,  ist  ein  so  hohes 
und  angesichts  der  auf  allen  Gebieten, 
namentlich  auch  bei  den  nicht  unmittel- 
bar productiven  Dienstzweigen  rapid 
steigenden  Anforderungen  an  den  Staats- 
schatz ein  so  actuelles,  dass  seine  Er- 
reichung als  eine  der  nächsten  und  wich- 
tigsten Aufgaben  der  staatlichen  Eisen- 
bahn- und  Finanzpolitik  bezeichnet  werden 
muss. 


Ketrospective  Betrachtungen,  sofern 
sie  über  das  Gebiet  der  Thatsachen 
hinausführen  und  auf  jenes  der  Hypothese 
übergreifen,  sind  ziemlich  nutzlos.  Und 
doch  drängt  sich  jedem,  der  die  wech- 
selnden Entwicklungsphasen  der  Bezie- 
hungen zwischen  den  Eisenbahnen  und 
der  Staatswirthschaft  in  den  letzten  fünfzig 
Jahren  rückschauend  überblickt,  die  Frage 
auf,  ob  diese  Beziehungen  sich  nicht  ge- 
deihlicher hätten  gestalten  lassen.  Die 
starken  Schatten,  die  das  Bild  der 
finanziellen  Einwirkungen  der  Eisen- 
bahnen auf  den  Staatshaushalt  vorüber- 
gehend trüben,  fordern  fast  zu  dieser 
Frage  heraus.  Dabei  liegt  es  nahe,  im 
Vergleiche  mit  den  günstigen  staats- 
finanziellen Ergebnissen  des  Eisenbahn- 
wesens, die  anderwärts  als  Früchte  einer 
durch  lange  Zeit  consequent  festgehaltenen 
Richtung  staatlicher  Verkehrspolitik  heran- 
gereift sind,  den  in  Oesterreich  wieder- 
holt eingetretenen  Wechsel  der  eisenbahn- 
politischen  Systeme  als  veranlassende 
Ursache  für  die  minder  günstigen  finan- 
ziellen Resultate  verantwortlich  zu  machen. 


Es  muss  im  Sinne  dieser  Auffassung 
zugegeben  werden,  dass  die  ungestörte 
Aufrechthaltung  des  Staatsbahnsystems 
der  Fünfziger-Jahre,  falls  sie  staatsfinanziell 
durchführbar  gewesen  wäre,  dem  Staats- 
schatze namhafte  Capitalsverluste  erspart 
und  die  natürliche  Ertragssteigerung  der 
alten  Staatsbahnlinien  zugeführt  hätte.  Die 
Erweiterung  des  Netzes  aber,  die  das  da- 
mals mit  den  Privatgesellschaften  herein- 
gekommene fremde  Capital,  wenn  auch 
unter  drückenden  Bedingungen  übernahm, 
hätte  mit  den  Mitteln  des  Staates,  dessen 
Finanzlage  während  der  Sechziger-Jahre 
durch  hohe  Gebarungsdeficite  und  eine 
Zinsenreduction  der  Staatsschuld  ge- 
kennzeichnet ist,  nie  bewirkt  werden 
können. 

Nicht  minder  gewiss  ist  es,  dass  das 
Garantie-System,  wenn  man  rechtzeitig 
vermocht  hätte,  dasselbe  unter  Vermei- 
düng  seiner  Auswüchse  auf  entwicklungs- 
fähige Privatbahnen  einzuschränken,  früher 
oder  später  zu  finanziell  befriedigenden 
Ergebnissen  geführt  haben  würde.  An 
wohlgemeinten  und  sachkundigen  Bemü- 
hungen, den  Privatbetrieb  als  alleinige 
Betriebsform  aufrechtzuhalten,  hat  es  in 
der  Mitte  der  Siebziger-Jahre  nicht  ge- 
fehlt. Aber  sie  konnten  die  dem  Privat- 
bahnsystem anhaftende  Lücke  bezüglich 
der  ertraglosen  Linien  nicht  ausfüllen, 
deren  Bau  und  Betrieb  aus  höheren  staat- 
lichen Rücksichten  geboten,  nothwendig 
dem  Staate  zufallen  musste. 

Mit  dieser  ganz  unvermeidlichen  Be- 
thätigung  des  Staates  im  Eisenbahn- 
wesen wäre  unter  allen  Umständen  für 
die  aus  socialpolitischen  Unterlagen  er- 
wachsene mächtige  Strömung  zu  Gunsten 
des  Staatsbetriebes  der  Angriffspunkt  ge- 
geben gewesen,  um  die  Alleinherrschaft 
des  Privatbahnsystems  aus  den  Angeln 
zu  heben. 

Die  aus  diesem  Umschwung  hervor- 
gegangene österreichische  Eisenbahn-Ver- 
staatlichung reicht  mit  ihren  jüngsten 
Entwicklungsphasen  so  tief  in  die  Gegen- 
wart herein,  dass  eine  zusammenfassende 
Besprechung  des  Gegenstandes  an  dieser 
Stelle  aus  naheliegenden  Gründen  unter- 
bleiben muss. 

Soweit  indess  diese  nach  Ursprung  und 
Endziel    vorzugsweise    staatswirthschaft- 


Oesterreichs  Eisenbahnen  und  die  Staatswirthschaft. 


liehe  Action  in  ihrem  anfangs  verzögerten 
Beginne  heute  wohl  schon  als  der  Ge- 
schichte an  gehörig  betrachtet  werden 
kann,  darf  daran  erinnert  werden,  dass 
das  principielte  Verstaatlichungsgesetz 
vom  14.  December  1877  zeitlich  mit  der 
ansteigenden  Curve  der  sogenannten 
•  Coupon- Process et  zusammenfällt,  die  in 
den  nächstfolgenden  Jahren  fast  auf  der 
ganzen  Linie  der  österreichischen  Eisen- 
bahn -  Prioritätsobligationen  entbrannten. 
Eine  lähmende  Unsicherheit  über  das 
Mass  der  mit  den  Prioritätsschulden  zu 
übernehmenden  Lasten  war  die  unmittel- 
bare Folge  dieser  den  Eisenbahnverkehr 
störenden  Calamität.  Unter  diesen  Um- 
ständen begegnete  die  erste  unserer 
grossen  Verstaathchungen  —  jene  der  Kai- 
serin Elisabeth-Bahn  Ende  1880  —  den 
erheblichsten  Schwierigkeiten.  Dieselben 
konnten  nur  mittels  einer  künstlichen 
Spaltung  des  Erwerbungsgeschäftes  um- 
gangen werden,  indem  der  Staat  zunächst 
bloss  den  Betrieb  für  eigene  Rechnung 
übernahm,  das  Eigentbum  an  der  Bahn 
aber,  sowie  die  Erfüllung  der  Schuldver- 
bindlichkeiten gegenüber  den  Prioritäts- 
gläubigem unverändert  der  Gesellschaft 
beliess.  Erst  dann,  als  dem  Coupon- 
streite durch  den  in  Deutschland  den 
österreichischen  Bahnen  gewährten  völ- 
kerrechtlichen Schutz  gegen  Waggon-  und 
Guthaben-Pfändung  der  Nährboden  ent- 
zogen war  und  ein  weiteres  Auskunfts- 
mittel in  der  Convertirung  der  streitig  ge- 
wordenen Anlehen  gefunden  wurde,  war 
vom  staatsün anzielten  Standpunkte  die 
Succession  des  Staates  in  das  Schuld- 
verhältnis und  damit  eine  glatte  Erwer- 
bung der  Bahnen  ermöglicht.    Dies  führt 


'  sofort  auf  die  Frage,  ob  der  eingetretene 
I  Aufschub  in  dem  Vollzuge  der  Verstaat- 
I  lichung    die  Bedingungen    derselben    für 
,  den  Staat  erschwert  hat.     Man  wäre  ver- 
!  sucht,  diese  Frage  auf  Grund  der  hohen 
'  Capitals lasten  zu  bejahen,  welche  —  wie 
!  unsere    Tabellen    zeigen    —    schon    die 
I  ersten     österreichischen     Eisenbahn  -Ver- 
staatlichungen begleiteten.  Auch  pflegt  ja 
gemeinhin  jedes  Hinausschieben  der  Er- 
werbung einer  in  aufsteigender  Entwick- 
lung  begriffenen   Bahn    den    bleibenden 
Verlust  des  inzwischen  erzielten  Ertrags- 
Zuwachses  für  den  Erwerber  zu  bedeuten. 
Bei  den  ersten  wie  bei  den  meisten  später 
verstaatlichten     österreichischen     Eisen- 
bahnen  lag  die  Sache   aber  anders,    Sie 
wurden  nicht  auf  Grund  der  Erträgnisse, 
sondern  nach  dem  concessions massig  als 
.Minimal-Einlösungsrente  geltenden  garan- 
tirten  Reinerträgnisse  erworben.  Ob  sie  in 
der  zweiten   Hälfte    der    Siebziger-Jahre, 
zur  Zeit  des  Tiefstandes  des  gesellschaft- 
iichen  Credits,  billiger  erhältlich  gewesen 
wären,   bleibt  schon  deshalb   zweifelhaft, 
weil  auch  der  Staatscredit  damals  unter 
hohen     Gebarungsabgängen     zu    leiden 
hatte. 

Immerhin  lässt  wohl  schon  dieser 
nur  an  die  äussersten  Umrisse  der  Ent- 
wicklung anknüpfende  Rückblick,  mit 
dem  wir  unsere  Erörterung  abschliessen, 
klar  erkennen,  dass  die  eisenbahn- 
flnanziellen  Ergebnisse  nicht  isohrt, 
sondern  nur  im  Zusammenhange  mit 
der  ganzen  Finanz-  und  Wirthschafts- 
geschichte  richtig  erfasst  und  gerecht 
beurtheilt  werden  können.  Wenn  irgend- 
wo, gilt  hier  der  alte  Satz:  »Tout  com- 
prendre,  c'est  tout  pardonner«. 


1 

i 


i 


0 

i 


kAML  PM>CHAJ(KA.  IfcftU4CN 


i 


I 


Unsere  Eisenbahnen 


in  der 


Volkswirthschaft. 


Von 


Alfred  Ritter  von  Lindheim, 

Mitgriled  des  Staats-Elsenbahnrathes,   Landtas^s-Abgreordneter  etc. 


NICHT  viel  mehr  als  70  Jahre  sind 
vergangen,  seitdem  eine  Eisen- 
bahn, wie  sie  ungefähr  unseren 
heutigen  Vorstellungen  entspricht,  dem 
öffentlichen  Verkehre  übergehen  wurde, 
aber  in  ungeahnter  Weise  und  jedes  Bei- 
spiel weit  hinter  sich  lassend,  hat  das  neue 
Verkehrsmittel  die  gesammte  Welt  erobert 
und  einen  so  massgebenden  Einfluss  auf 
allen  Gebieten  der  Cultur  und  des  Verkeh- 
res gewonnen,  dass  eine  erschöpfende 
Darstellung  dieser  Einfiussnahme  nahezu 
unmöglich  ist. 

Viel  leichter  vermag  der  Forscher  die 
Consequenzen  grosser  historischer  Ereig- 
nisse zu  schildern,  die  Folgen  darzustellen, 
welche  denkwürdige  Kriege  und  Revolutio- 
nen auf  die  menschliche  Entwicklung  her- 
vorbrachten. Man  kann  ergründen,  welche 
Folgen  beispielsweise  die  französische 
Revolution  nach  sich  zog.  Sie  brach  Vor- 
rechte und  Privilegien,  sie  stellte  die 
bisher  streng  gesonderten  Kasten  auf 
ein  gleiches  Niveau,  sie  zeitigte  einen 
Zustand,  in  welchem  Rechte  und  Pflich- 
ten des  Staatsbürgers  untereinander  ab- 
gewogen und  ein  möglichst  gleiches 
Recht  fQr  alte  Bürger  des  Staates  aufge- 
stellt wurde.  Das  sind  Ereignisse,  welche 
in  einer  Studie  nach  ihren  Consequenzen 
möglichst  erschöpfend  geschildert  werden 
können.  Man  kann  die  Folgen  der  Refor- 
mation klar  erkennen  und  den  Einfluss 
richtig  darstellen,  den  sie  auf  die  poli- 
tische Entwicklung  des  Mittelalters  und 
der     Neuzeit     nahm.     Die      Grenzlinien 


sind  sichtbar  für  die  Wirkungen  der 
evangelisch  -  christlichen  Kirche  auf  die 
Politik  der  Staaten,  und  noch  zu  Lebzeiten 
Martin  Luther's  wusste  man  durch  sein 
Vorgehen  gegen  den  Bildersturm,  dass 
der  Entwicklungsgang,  den  die  evange- 
lische Kirche  nehmen  würde,  nicht  die 
politische  Revolution  bedeute,  sondern 
dass  sich  ihre  Bahnen  im  ruhigen  Geleise 
der  alten  christlichen  Kirche  bewegen 
werden.  Die  Wirkung  solcher  Ereignisse 
schildert  die  Geschichte,  sie  sind  erkenn- 
bar für  den  Forscher,  sie  sind  entweder 
schon  abgeschlossen  oder  die  Folgen  sind 
für  den  menschlichen  Geist  bereits  wahr- 
nehmbar. 

Viel  schwieriger  ist  es,  eine  Analyse 
vorzunehmen  über  die  Wirkungen  einer 
Erfindung  von  der  epochalen  Bedeutung 
der  Eisenbahn.  Die  grossen  Erfindungen 
der  Neuzeit,  und  vor  Allem  die  Dienst- 
barmachung  des  Dampfes  und  der  Elek- 
tricität  greifen  so  sehr  in  alle  Gebiete 
des  Lebens  ein,  dass  das  Studium  dieser 
Wirkungen  bis  in  ihre  letzten  Conse- 
quenzen ein  unglaublich  schwieriges 
ist.  Namentlich  sind  es  die  Eisen- 
bahnen, die  in  wahrhaft  stürmischer 
Weise  die  Welt  erobert  haben  und  über 
deren  Wirkung,  namentlich  in  Bezug 
auf  die  Volks  wir  th  schaft,  ein  ab- 
schliessendes Urtheil  fällen  zu  wollen 
immerdar  nur  ein  schwacher  Versuch 
bleiben  wird.  Die  Schwierigkeit  einer 
solchen  Darstellung  wurde  an  anderer 
Stelle    von    massgebender    Seite   bereits 


6o 


A.  Ritter  v.  Lindheim. 


richtig  gewürdigt.  Sehr  treffend  hat  Dr. 
Ritter  V.  Wittek*)  darauf  hingewiesen, 
dass  man,  um  die  einzelnen  Beziehungen 
der  Eisenbahnen  zu  erfassen,  sich  diese 
„Gradmesser  der  gesammten  wirthschaft- 
lichen  Entwicklung"  aus  dieser  Entwick- 
lung wegdenken  müsste,  wollte  man  ein 
vergleichbares  Bild  finden,  wie  sich  un- 
sere Volkswirthschaft  ohne  Eisenbahn  ge- 
staltet haben  würde. 

Die  Culturvölker  des  Alterthums,  deren 
Bedeutung  nach  keiner  Richtung  hin 
verkleinert  werden  soll,  haben  sich  im 
grossen  Ganzen  in  ihren  Forschungen 
darauf  beschränkt,  das  Thatsächliche  fest- 
zustellen, und  wie  gross  auch  das  Ver- 
dienst dieser  Völker  sein  mag,  sie  machten 
es  sich  in  erster  Linie  zur  Aufgabe,  die 
Natur  und  ihr  Wesen  in  tiefster  Tiefe  zu  er- 
fassen, sie  brachten  es  in  den  schönen 
Künsten  zu  hoher  Vollendung,  sie  ver- 
standen es,  interessante  Systeme  der  Phi- 
losophie zu  begründen  und  weiter  zu 
bilden;  die  Natur kräfte  aber  dem 
menschlichen  Geiste  unterthan  zu 
machen,  ist  ihnen  nicht  gelungen.  Wohl 
lässt  es  sich  nicht  leugnen,  dass  auch  bei 
den  Alten  der  Mathematik  viel  Aufmerk- 
samkeit zugewendet  wurde,  aber  wiederum 
war  es  mehr  eine  abseits  des  Lebens  lie- 
gende Forschung,  welche  diese  Wissen- 
schaft förderte,  die  Astronomie.  Und 
weisen  auch  die  Riesenbauten  in  Syrien, 
die  Bauwerke  Aegyptens,  Griechenlands 
und  Roms  darauf  hin,  dass  man  die  Bewe- 
gung schwerer  und  grosser  Massen  mit 
einer  gewissen  Leichtigkeit  bewältigte, 
deuten  femer  die  kunstvollen  Strassen- 
und  Brückenbauten  und  die  ganz  ausser- 
gewöhnlich  schwierigen  und  grossen 
Kirchenbauten  darauf  hin,  dass  man  auch 
auf  mechanische  Hilfsmittel  zur  Lösung 
dieser  Aufgabe  bedacht  gewesen  sein 
musste,  so  kommt  hiebei  in  Betracht,  dass 
die  Arbeitskraft  des  Menschen  damals 
eine  sehr  billige  gewesen,  das  Unter- 
thänigkeitsverhältnis  zur  Verwohlfeilung 
beitrug  und  religiöser  Enthusiasmus  oft 
und  leicht  das  Fehlende  ersetzte.  Nach 
alledem  kann  man  wohl  sagen,  dass  der 
Gebrauch  der  einfachsten  Maschinen, 

'*)  V§r  Bd.  IL,  Dr.  H.  v.  Wittek: 
»Oesterreichs  Eisenbahnen  und  die  Staats- 
wirthschaft.«  S.  3  u.  ff. 


wie  Hebel,  Schraube,  Welle  und  Rad, 
ziemlich  das  Einzige  ist,  was  uns  aus 
den  mechanischen  Hilfsmitteln  der  Alten 
übrig  geblieben  ist. 

Unserem  Jahrhundert  war  es 
vorbehalten,  hierin  vollkommen  Wandel 
zu  schaffen,  die  Nutzbarmachung  der  Na- 
turkräfte, die  Erschliessung  dieser  Jahr- 
tausende hindurch  unbenutzten  Quellen 
hat  erst  unsere  Zeit  bewirkt;  eine  neue 
und  ungeahnte  Aera  brach  damit  an  und 
das  ganze  lebende  Geschlecht  steht  wahr- 
scheinlich erst  an  der  Wiege  derselben. 
Die  Nutzbarmachung  der  Dampfkraft, 
namentlich  für  die  Fortbewegung  von 
Menschen  und  Gütern,  ist  unbestritten 
die  allerwesentlichste  Erfindung  unserer 
Zeit.  Welcher  bewegenden  Kraft  künftige 
Geschlechter  sich  bedienen  werden,  ist 
hiebei  einerlei,  die  Motoren  der  Zukunft 
werden  immer  die  Fortsetzung  der  Aus- 
nützung des  mit  den  Wasserdämpfen  zu- 
erst gelösten  grossen  Princips  sein,  »die 
Naturkräfte  zum  Zugsdienste  willkürlich 
nach  Raum  und  Zeit  unter  das  Joch  zu 
beugen,  das  vom  Alterthum  herab  bis  zu 
uns  mit  der  einzigen  überdies  beschränkten 
Ausnahme  des  Windes  und  des  fallenden 
Wassers  nur  das  Thier  oder  vereinzelt  der 
Mensch  trug«. 

Als  die  Locomotive  ihren  Siegeslauf 
begann,  waren  die  Verhältnisse  auf  dem 
Continente  keineswegs  darnach,  einer 
neuen  Erfindung  eine  günstige  Aufnahme 
zu  sichern,  dass  es  aber  den  Eisenbahnen 
gelang,  selbst  unter  den  widrigsten  wirth- 
schaftlichen  Verhältnissen  sich  verhält- 
nismässig rasch  Durchbruch  zu  verschaf- 
fen, ist  ein  treffender  Beweis  für  die 
Macht  ihrer  Wirkungen. 

Oesterreich  war  nach  den  napoleo- 
nischen Kriegen  ganz  besonders  isolirt, 
sowohl  in  politischer  als  auch  in  commer- 
zieller  und  industrieller  Hinsicht.  An 
seinen  Grenzen  unterlagen  nicht  nur  die 
Producte  der  Industrie  einem  grossen 
Schutzzoll,  sondern  eine  strenge  Censur 
hielt  auch  noch  in  den  Dreissiger-  und  Vier- 
ziger-Jahren jede  Entfaltung  der  Literatur 
von  den  Grenzen  Oesterreichs  ferne.  Aller- 
dings, lässt  es  sich  nicht  leugnen,  dass 
unter  der  Regierung  des  Kaisers  Franz 
mancher  bemerkenswerthe  Fortschritt  ge- 
rade auf  dem  Gebiete  des  Verkehrswesens 


Unsere  Eisenbahnen  in  der  Volkswirthschaft. 


6l 


geschah.  Der  Bau  der  Ampezzanerstrasse, 
des  Franzenscanals  zur  Verbindung  der 
Theiss  mit  der  Donau,  der  Strasse  über 
das  Stilfser  Joch,  die  Einrichtung  der 
sechs  Hauptcommerzialstrassen  von  Wien 
nach  Triest,  Salzburg,  Prag,  Krakau  und 
Zara,  die  Einführung  der  Eilwagen,  Cou- 
rierwagen, Separatwagen  und  Extrafahr- 
posten sind  immerhin  bemerkenswerthe 
Bethätigungen  einer  auch  in  dieser  Rich- 
tung hin  sorgfältigen  und  umsichtigen 
Regierung.  Die  Bedeutung  des  Verkehrs- 
wesens, insbesondere  der  zu  seiner  Ent- 
wicklung noth wendigen  Freizügigkeit  des 
Individuums  war  nicht  voll  erkannt. 
Denn  selbst  zur  Reise  mit  einem  Post- 
wagen musste  man  sich  schon  tagelang 
vor  der  Abfahrt  einen  Vormerkschein  und 
einen  Reisepass  lösen,  den  man  dem 
Conducteur  einzuhändigen  hatte.*)  So  zei- 
gen Polizeivorschriften,  die  noch  in  den 
Kinderjahren  unserer  Eisenbahnen  in 
Geltimg  standen,  eine  so  engherzige  Auf- 
fassung, dass  uns  manche  derselben  heute 
mit  gerechtem  Staunen  erfüllen.  Eine 
Amtsinstruction  aus  jener  Zeit,  die  von 
den  Rechten  der  öffentlichen  Polizei  han- 
delt, besagt  unter  Anderem  in  Bezug  auf 
den  Fremdenverkehr: 

»Dem  Staate  liegt  daran,  dass  die 
innere  Ruhe  und  Sicherheit  durch  sich 
einschleichende  gefährliche  Leute  nicht 
gestört  werde.  Jeder  Ortsvorsteher  muss 
daher  zu  erfahren  suchen,  was  für  Fremde 
sich  von  Zeit  zu  Zeit  in  seinem  Districte 
aufhalten;  widrigen  Falls  ist  er  ausser 
Stande,  auf  selbe  die  pflichtmässige 
Obsicht  zu  tragen,  und  wenn  Bedenkliche 
darunter  sind,  sie  zu  entdecken.  Um 
dieses  zu  bewirken,  muss  jeder  Inwohner, 
bei  welchem  jemand  auf  kurze  oder  längere 
Zeit  in  Afterbestand  tritt,  ernstgemessenst 
angehalten  werden,  die  einkehrende  Partei 
alsogleich  nach  ihrem  wahren  Namen, 
Stand,  Geschäft  bei  dem  Ortsvorsteher 
zu  melden.  Dieser  hat  über  den  ange- 
zeigten Fremden  ein  förmliches  Protokoll 
zu  führen,  um  auf  allmähliches  Verlangen 
von  höheren  Orten,  Auskunft  ertheilen 
zu  können.  Es  muss  aber  nicht  dabei 
bewenden,    was    der  Bestandgeber   eines 


Fremden  von  demselben  anzeigt,  sondern 
es  sind  die  Pässe  oder  andere  Ausweise 
einzusehen,  um  zu  bemerken,  ob  selbe 
mit  der  Angabe  übereinstimmen.  Nebst- 
dem  muss  auf  solche  Fremde,  bei  denen 
das  geringste  Verdächtige  auffällt,  mit 
Aufmerksamkeit  gesehen,  und  jede  erheb- 
lichere Entdeckung,  zumal  gegen  wirkliche 
Ausländer,  mittels  der  Kreishauptleute  an 
den  Landeschef,  oder  in  sehr  dringenden 
und  besonderen  Fällen  unmittelbar  an 
letzteren  in  geheim  berichtet  werden,  um 
diesfalls  die  Belehrung,  wie  sich  be- 
nommen werden  soll,  einzuholen.  Es 
gibt  eine  Gattung  von  Leuten,  die  man 
Emissarien  nennt,  wovon  einige  Aus- 
kundschafter oder  falsche  Werber  von 
anderen  Mächten  sind,  und  andere,  welche 
die  Unterthanen  von  der  wahren  Religion 
ab  und  auf  Irrwege  in  geheim  zu  ver- 
leiten suchen;  andere,  sowohl  In-  und 
Ausländer,  die  in  der  Stille  sich  mit 
Schreibereien  abzugeben  pflegen,  von 
welchen  nicht  bekannt  ist,  wer  sie  eigent- 
lich seien,  oder  was  für  eine  Arbeit  sie 
eigentlich  haben  mögen,  von  denen  sich 
auf  keine  Ursache  muthmassen  lässt, 
warum  sie  sich  im  Orte  aufhalten.  Wieder 
andere  geben  sich  damit  ab,  dass  sie  den 
Unterthansklagen  nachgrübeln,  sich 
zu  Verfassung  der  Beschwerdeschriften 
aufdringen,  den  Unverständigen  Geld  ab- 
locken, und  ganz  widerordentlich  die 
Hof-  und  Länderstellen  mit  unstatthaften 
Dingen  behelligen.  Münz-  und  öffentliche 
Papier- Verfälscher  gehören  in  die  Classe 
vorgedachter  Menschen,  welche  alle  die 
genaueste  Aufmerksamkeit  umsomehr  ver- 
dienen, als  dieselben  für  mehr  oder  weni- 
ger staatsgefährliche  Leute  anzusehen 
sind.  Die  Beobachtung  dieser  Gattung 
Menschen  fordert  besondere  Industrie 
und  Behutsamkeit.«*) 

Der  Briefpostverkehr  fand  nicht  täglich, 
sondern  beispielsweise  nach  Czernowitz 
blos  Sonntag,  Montag  und  Freitag  statt, 
während  ein  Packwagen  nach  Innsbruck 
nur  einmal  in  der  Woche  abging,  eine 
Briefpostverbindung  mit  Mailand  fand  nur 
jeden  Montag  und  Donnerstag  statt. 


*)  Vgl.  Bd.  L,  H.  Strach,  »Einleitunjr.« 
S.  85  ff. 


*)  Vgl.  K  r  e  m  e  r,  Praktische  Darstellung 
der  in  Oesterreich  unter  der  Enns  für  das 
Unterthansfach  bestehenden  Gesetze.   Wien, 

1824. 


62 


A.  Ritter  v.  Lindheim. 


Es  war,  wie  gesagt,  vor  Allem  der 
Bau  von  Strassen,  auf  welchen  die  öster- 
reichische Regierung  schon  frühzeitig 
grosse  Sorgfalt  verwendete,  und  dies  war 
umso  anerkennenswerther,  da  sich  diesen 
Bauten  grosse  technische  Schwierigkeiten 
entgegenstellten. 

Durch  den  Bau  der  Eisenbahnen  hat 
der  Strassenbau  einen  mächtigen  Ansporn 
erhalten,  und  schon  darin  liegt  eine 
wichtige  volkswirthschaftliche  Bedeutung 
derselben,  —  da  sie  den  Anschluss  eines 
reich  entwickelten  Strassennetzes  geradezu 
bedingen.  Die  Wechselwirkung  zwischen 
der  Eisenstrasse  und  dem  gewöhnlichen 
Landwege  brachte  aber  noch  den  wich- 
tigen Vortheil  der  Verwohlfeilung  der 
Transportkosten.  Namentlich  die  Massen- 
transporte haben  eine  oft  über  ioo^Iq 
betragende  Ermässigung  der  Transport- 
spesen durch  die  Eisenbahn  erfahren. 
Diese  Ersparnisse,  deren  ziffermässige 
Berechnung  wenigstens  annäherungsweise 
wiederholt  versucht  wurde,  belaufen  sich 
jährlich  auf  viele  Millionen  Gulden.  Man  hat 
auch  versucht,  den  volkswirthschaftlichen 
Nutzcoöfficienten  der  Eisenbahnen  fest- 
zustellen, d.  h.  jene  Zahl  zu  finden,  mit 
der  man  die  Roheinnahmen  der  Eisenbahn 
multipliciren  muss,  um  deren  volkswirth- 
schaftliche Nutzleistung  zu  erhalten.  Die 
Berechnimg  ergab,  dass  im  Allgemeinen 
für  entwickeltere  Bahnen  2  als  Coefficient 
angenommen  werden  kann.  Auf  Oester- 
reichs  Bahnen  angewendet,  würde  der 
solcherart  berechnete  volkswirthschaft- 
liche Nutzen  pro  1897  die  enorme  Summe 
von  810  Millionen  Gulden  darstellen. 
Freycinet  berechnete  sogar,  dass  man 
die  gesammte  Bruttoeinnahme  einer  Bahn 
mindestens  vierfach  nehmen  müsste,  um 
deren  wirklichen,  d.  h.  directen  und  in- 
directen  Vortheil  in  einer  Ziffer  zusammen- 
zufassen. 

Jenen  volkswirthschaftlichen  Nutzen 
aber  ziffermässig  zu  berechnen,  den  uns 
die  Eisenbahnen  durch  Ersparnis  an  Zeit 
bieten,  kann  nur  auf  dem  Wege  vager 
Schätzungen  versucht  werden,  doch  liegen 
auch  hier  Zahlen  vor,  die,  weil  sie  den 
volkswirthschaftlichen  Nutzen  der  Eisen- 
bahnen wenigstens  andeuten,  Erwähnung 
finden  sollen.  Ein  französischer  Schrift- 
steller berechnete    unter  Zugrundelegung 


der  Annahme,  dass  die  Stunde  eines  fran- 
zösischen Bürgers  5  Pence  werth  sei,  die 
jährlich  durch  die  erhöhte  Geschwindig- 
keit der  Eisenbahnen  erlangte  Ersparnis 
auf  8  Mill.  Pfd.  Sterling.  Ein  deutscher 
Gelehrter  berechnete,  dass  die  Reisenden 
in  Deutschland  bis  zum  Jahre  1878  eine 
Zeitersparnis  im  Werthe  von  955  Mill. 
Mark  erlangt  haben. 

Die  Wirkung  der  Transport- Verbes- 
serung der  Eisenbahnen  auf  das  ge- 
sammte Wirthschaftsleben  lässt  sich  jedoch 
keineswegs  in  Ziffern  ausdrücken.  Den 
gesammten  Einfluss  der  Eisenbahnen,  der 
sich  keineswegs  ausschliesslich  in  Vor- 
theilen  kundgibt,  zu  ermessen,  wird  die 
schwere  Aufgabe  einer  umfangreichen 
Culturgeschichte  unseres  Jahrhunderts 
bilden.  In  dem  engen  Rahmen  dieser 
Abhandluno^  müssen  wir  uns  begnügen, 
nur  jene  Gebiete  der  Volks wirthschaft 
hervorzuheben,  in  welchen  die  specifischen 
Wirkungen  der  Eisenbahnen,  die  allge- 
mein wohl  in  allen  Ländern  sich  wesentlich 
gleich  bleiben,  in  unserem  Vaterlande 
besonders  kräftig  hervortreten  oder  wo 
sie  die  Verhältnisse  vollständig  umge- 
staltet haben. 

Es  würde  auch  zu  weit  führen,  wollten 
wir  bei  jedem  einzelnen  wichtigen  Zweige 
volkswirthschaftlicher  Betriebsamkeit  den 
wohlthätigen  Einfluss  der  Eisenbahnen  im 
Allgemeinen  oder  gar  ziffermässig  dar- 
stellen. Wir  müssen  uns  auch  darauf  be- 
schränken, jene  Gebiete  hervorzuheben, 
in  welchen  die  Wirkungen  der  Eisen- 
bahnen unverkennbar  gross,  ja  geradezu 
lapidar  hervortreten.  Diese  Auswahl  ist 
schon  deshalb  bedingt,  weil  es  kein  Ge- 
biet der  Volkswirthschaft  gibt,  auf  dem 
nicht  in  irgend  welcher  W^eise  sich  der 
Einfluss  der  Eisenbahnen  geltend  machen 
würde.  Steht  ja  doch  unser  gesammtes 
Leben  und  unsere  allgemeine  culturelle 
Entwicklung  noch  heute  unter  diesem 
mächtigen  Einflüsse.*)  Es  dürfte  bei- 
spielsweise wenige  Gewerbe  geben,  die 
schon  bei  der  Schaffung  und  Herstellung 
der  Eisenbahnen  nicht  irgendwie  bethei- 
ligt sein  würden.     Aber   gewiss  gibt   es 

*)  Vgl.  Bd.  IL,  Dr.  Friedrich  Reicbs- 
freiherr  zu  Weichs-Glon,  »Einwirkung  der 
Eisenbahnen  auf  Volksleben  und  culturelle 
Entwicklung«. 


Unsere  Eisenbahnen  in  der  Volks wirthschaft. 


63 


kein  einziges,  das  nicht  Vortheile  aus 
diesem  grossartigen  Verkehrsmittel  er- 
langen würde. 

Gerade  Oesterreich  hat  unter  der  Ein- 
wirkung der  Eisenbahnen  seinen  wirth- 
schaftlichen  Charakter  vollständig  ändern 
müssen. 

Oesterreich  ist  durch  seine 
Eisenbahnen  aus  einem  Ackerbau 
treibenden  Staate  ein  Industrie- 
staat geworden. 

In  die  Epoche  der  ersten  Eisenbahnen 
fällt  die  Erkenntnis,  dass  ein  Staats- 
gebilde in  Europa  nicht  den  Charakter 
einer  Insel  tragen  könne.  Der  mächtige, 
weltbezwingende  und  weltbeherrschende 
Gedanke,  welcher  der  Eisenbahn  zugrunde 
liegt,  ist  der  Gedanke  der  Frei- 
zügigkeit für  die  Person  und  des 
möglichst  raschen,  bequemen  und 
billigen    Güteraustausches. 

Auf  diesen  beiden  Grundlagen  beruht 
für  ein  Land  die  Möglichkeit,  die  Schätze 
der  Natur  zu  heben  und  zu  verwerthen, 
welche  sein  Boden  birgt,  und  nie  wird 
eine  Industrie  möglich  sein,  solange  diese 
Vorbedingungen  für  dieselbe  nicht  ge- 
schaffen sind.  Oesterreich  aber  ist  hin- 
sichtlich seiner  natürlichen  Reichthümer 
eines  der  gesegnetsten  Länder  und  es  war 
daher  eine  unbedingte  Consequenz,  dass 
diese  Reichthümer  durch  erleichterten  Ver- 
kehr zur  höheren  Geltung  kommen  mussten. 

Die  verkehrschaffende  und 
p r eis regulir ende  Wirkung  der  Eisen- 
bahnen kam  in  Oesterreich  besonders 
mächtig  zur  Geltung.  Vornehmlich  die 
Land  wirthschaft  hat  durch  die  Wohl- 
feilheit und  Schnelligkeit  der  Transporte 
sowie  durch  die  Möglichkeit  der  Ver- 
frachtung von  Gütern,  deren  Versandt 
früher  gar  nicht  oder  nur  im  beschränkten 
Umfange  stattfinden  konnte,  gewonnen. 
Wir  verweisen  in  dieser  Richtung  beispiels- 
weise auf  die  Bedeutung  der  Viehtrans- 
porte aus  Galizien  nach  Niederöster- 
reich sowie  überhaupt  auf  die  durch  die 
Eisenbahnen  ermöglichte  Massenbeförde- 
rung der  leicht  verderblichen  Nahrungs- 
mittel, wie:  Milch,  frisches  Fleisch 
u.  v.  A.  nach  den  Hauptstädten,  wodurch 
die  Bedeutung  der  Bahnen  für  die 
Approvisionirung  der  Grossstadt  noch 
besonders  hervortritt. 


Dadurch,  dass  ein  Kronland  leicht  in 
die  Lage  versetzt  wird.  Bedürfhisse  eines 
anderen  zu  decken,  sind  die  Wechsel- 
beziehungen der  einzelnen  Länder  unter- 
einander wenigstens  in  wirthschaftlicher 
Beziehung  etwas  inniger  geworden.  Die 
Regulirung  der  Frachtpreise,  deren  Fest- 
stellung früher  mehr  der  willkürlichen 
Vereinbarung  Einzelner  anheim  gegeben 
war,  hat  auch  eine  grössere  Stabilität  der 
Handelswerthe  geschaffen ;  die  nivel- 
lirende  Wirkung  der  Eisenbahnen  ist 
durch  den  Umstand  bedingt,  dass  sie 
den  schnellen  Transport  von  Gütern  zu 
jenem  Markte  gestatten,  wo  erhöhte 
Nachfrage  einen  besseren  Absatz  ver- 
bürgt. Für  Oesterreich  war  insbeson- 
dere der  Umstand  von  hoher  Bedeu- 
tung, dass  seine  Rohproduction  ein 
mächtiger  Factor  der  Weltwirthschaft 
wurde,  und  die  Umlaufsfähigkeit  vieler 
Rohproducte,  insbesondere  aber  auch 
jener,  die  durch  die  Eisenbahnen  erst 
transportfähig  wurden,  deren  Werth  stei- 
gerte. Der  österreichische  Landwirth,  der 
früher  bezüglich  des  Absatzes  seiner 
Bodenproducte  mehr  auf  den  Localmarkt 
angewiesen  erschien,  braucht  bei  der 
Wahl  der  anzubauenden  Feldfrüchte 
auf  denselben  keine  Rücksicht  zu  neh- 
men, er  kann  vielmehr  anpassend  an  die 
Natur  des  Bodens  und  der  klimatischen 
Verhältnisse  dasjenige  anbauen,  was  er 
auf  dem  Weltmarkte  besser  zu  verwerthen 
in  der  Lage  ist.  Und  hier  kommt  beim 
Mitbewerbe  mit  dem  Auslande  unserer 
Landwirthschaft  die  günstige  Boden- 
beschaffenheit zu  gute. 

Infolge  dieser  Verhältnisse  wurde  der 
Werth  von  Grund  und  Boden  auf  dem 
flachen  Lande  vervielfacht.  Die  wirth- 
schaftliche  Besserung  unserer  Agricultur 
fällt  genau  mit  der  Regierungszeit 
unseres  Kaisers  zusammen.  Der  Agri- 
culturstaat  Oesterreich  war  im  Jahre  1 848 
selbst  auf  dem  Gebiete  der  Landwirth- 
schaft keineswegs  in  erfreulichen  Ver- 
hältnissen. Die  Grossgrundbesitzer  be- 
dienten sich  in  der  Bewirthschaftung 
ihres  Bodens  der  Frohnen.  Der  Bauer 
konnte  nicht  frei  über  seine  Arbeitskraft 
verfügen,  das  Capital  zur  besseren  Bewirth- 
schaftung des  Bodens  fehlte,  die  Zwischen- 
zolllinie  trennte  den  ertragreichen  Osten 


64 


A.  Ritter  v.  Lindheim. 


von  dem  consumirenden  Westen.  Die 
niedrigen  Getreidepreise  der  letztvergan- 
genen Jahrzehnte  Hessen  die  Landwirth- 
schaft  kaum  noch  lohnend  erscheinen. 
Mit  der  Aufhebung  des  Patrimonial- 
wesens  und  des  Robots  trat  die  Landwirth- 
schaft  in  die  Reihe  der  freien  Beschäfti- 
gungen. Die  Eisenbahn  eröffnete  den 
Bodenproducten  neue  Absatzgebiete.  Die 
Verträge  mit  den  fremden  Regierungen 
erleichterten  den  Verkehr  und  Oesterreichs 
Landwirthschaft  vermochte  sich  immer 
kräftiger  zu  entfalten ;  mit  der  politischen 
Neugestaltung  Oesterreichs  ging  demnach 
auch  seine  wirthschaftliche  Umgestaltung 
Hand  in  Hand. 

Auf  dem  speciellen  Gebiete  des  Forst- 
wesens ist  der  mächtige  Einfluss  des 
Eisenbahnwesens  nicht  zu  verkennen. 
Abgesehen  von  der  erhöhten  Transport- 
fähigkeit der  Forstproducte  hat  der 
schon  durch  den  Bau  von  Eisenbahnen 
bedingte  erhöhte  Bedarf  an  Holz  einen 
wohlthätigen  Einfluss  auf  die  Forstwirth- 
schaft  ausgeübt.  Andererseits  haben  aber 
auch  die  Eisenbahnen  durch  den  erhöhten 
Consum  viel  zur  Devastirung  unserer 
Wälder  beigetragen. 

Der  Consum  von  Eisenbahnschwellen, 
von  zubereiteten  Bau-,  Möbel-  und  Schiffs- 
hölzem  ist  ein  ungemessen  grosser  und 
hat  in  einer  ausserordentlichen  Weise 
zugenommen,  seitdem  die  Eisenbahnen 
eine  billige  Verführung  dieser  Hölzer  im 
Inlande  und  nach  dem  Auslande  ermög- 
Hchen. 

Man  war  früher  bei  Verwerthung 
und  Beförderung  dieser  Artikel  meisten- 
theils  nur  auf  die  wenigen  schiffbaren 
Ströme  angewiesen,  welche  schon  wegen 
der  klimatischen  Verhältnisse  ein  unsicheres 
und  un verlässliches  Transportmittel  dar- 
stellen. Heute  ist  es  beispielsweise  mög- 
lich, aus  den  fernsten  Gegenden  Galiziens 
Holz  auf  die  verschiedenen  Seeplätze  zu 
schaffen  und  so  sind  grosse  Schätze, 
welche  Jahrhunderte  hindurch  brach  lagen, 
nur  durch  die  Eisenbahn  zu  nutzbringender 
Verwerthung  gebracht  worden  und  er- 
höhten so  das  Volksvermögen  in  ganz 
ausserordentlicher  Weise. 

So  eingreifend  auch  auf  allen  Gebie- 
ten der  Volkswirthschaft  die  Wirkung 
der  Eisenbahnen  zu  Tage  tritt,  so  dürfte 


es  kaum  ein  Gebiet  derselben  geben,  wo 
dieser  Einfluss  einen  tiefergreifenden  Auf- 
schwung herbeigeführt  hätte,  als  auf  dem 
Gebiete  des  Montanwesens.  Erst  durch 
die  Eisenbahnen  hat  das  Montanwesen 
Oesterreichs  eine  erhöhte  Bedeutung  in 
der  Volkswirthschaft  des  Reiches  über- 
haupt erlangt.  Die  aus  den  ältesten  Zeiten 
herrührenden  gesetzlichen  Bestimmungen 
hatten  bis  zum  Jahre  1854  jeden  Auf- 
schwung auf  diesem  Gebiete  gehindert. 
Hier  hat  der  eherne  Coloss  gründlich 
Wandel  geschaffen.  Wir  müssten  zu 
allgemein  bekannte  Thatsachen  wieder- 
holen, wenn  wir  auf  die  durch  die  Eisen- 
bahnen gesteigerte  Kohlenproduction,  auf 
die  Verwerthung  der  Braunkohle,  des 
Cokes  hinweisen  wollten. 

Nur  wenige  Ziffern  sollen  diesen  Auf- 
schwung, insbesondere  während  der  Re- 
gierungszeit unseres  erlauchten  Monarchen 
illustriren. 

Noch  im  Jahre  1 830  wurden  in  Oester- 
reich  im  Ganzen  nur  3*8  Millionen  Centner 
Kohle  gefördert.  Im  Jahre  1848  betrug  die 
Förderung  der  Kohle  kaum  16  Millionen 
Metercentner,  während  sich  dieselbe  schon 
im  Jahre  1886  auf  193  Millionen  Meter- 
centner,  also  auf  das  mehr  als  Zwölffache 
gehoben  hat.  —  Im  Jahre  1895  aber  stieg 
die  Production  auf  97  Millionen  Meter- 
centner  Steinkohle  und  183  Millionen 
Metercentner  Braunkohle.  Im  Jahre  1896 
hat  das  Ostrauer  Kohlenrevier  allein  über 
47*5  Millionen  Metercentner  gefördert.*) 
Die  Kohle  aber  ist  das  Um  und  Auf  jeder 
industriellen  Bewegung;  Licht,  Wärme 
und  Dampf  sind  von  ihr  abhängig  und 
es  würde  diese  eine  Thatsache  schon  ge- 
nügen, um  die  eminente  Wirkung  der 
Eisenbahnen  auf  unsere  volkswirthschaft- 
Hche  Entwicklung  darzulegen. 

Nicht  in  dem  Umstände  allein,  dass 
so  viele  Millionen  bisher  todt  und  brach 
gelegener  Werthe  neu  erschlossen  wur- 
den, nein,  darin,  dass  die  Benützung  bil- 
ligerer Betriebskräfte  der  neu  erwachen- 
den Industrie  durch  die  Eisenbahnen  zur 
Verfügung  gestellt  wurden,  liegt  deren 
grosse  volksvvirthschaftliche  Bedeutung. 

Vgl.  Bd.  I.,  H  S  t  r  a  c  h,  »Die  ersten  Privat- 
bahnen«, S.  192,  wo  die  Fortschritte  der  Kohlen- 
production dieses  Reviers  seit  1782  nachge- 
wiesen werden. 


Unsere  Eisenbahnen  in  der  Volks wirthschaft. 


65 


Die  Industrie  ist  auf  diese  Betriebs- 
kräfte angewiesen  und  es  muss  her- 
vorgehoben werden,  dass  die  Kohle  für 
Oesterreich  noch  eine  ganz  besondere 
Bedeutung  hat.  Die  österreichische  In- 
dustrie war  früher  in  erster  Linie  auf  die 
ausgiebige  Benützung  der  Wasserkräfte 
angewiesen,  die  scheinbar  billig,  aber 
doppelt  unzuverlässig  sind. 

Was  wir  im  vergangenen  Jahrhundert 
und  bis  zum  Beginne  der  erhöhten 
Kohlenproduction  an  Industrie  besassen, 
benützte  diese  Wasserkraft.  Es  haben 
Volkswirthschaftslehrer  in  ihren  Unter- 
suchungen über  die  Zweckmässigkeit  und 
die  Entwicklung  der  einzelnen  Betriebs- 
stätten darauf  hingewiesen,  wie  oft  das 
Vorhandensein  selbst  einer  nur  massigen 
Wasserkraft  das  Inslebentreten  ganz  un- 
zweckmässiger Betriebsstätten  zur  Folge 
hatte. 

Mitten  in  den  Alpenländem,  entfernt 
von  allen  Strassen  und  Verkehrswegen, 
ohne  den  Kern  einer  intelligenten  und 
bildungsfähigen  Arbeiterschaft  entstanden 
früher  grosse,  mit  reichen  Mitteln  ausge- 
stattete Industrieen,  die  den  Keim  des 
Untergangs  in  sich  trugen  und  dem- 
selben verfallen  mussten,  sobald  eine  ge- 
änderte Zollpolitik  oder  auch  nur  eine 
geänderte  staatsrechtliche  Politik  zur  Gel- 
tung gelangte. 

Was  wir  heute  noch  an  solchen  be- 
dauemswerthen  Unternehmungen  besitzen, 
ist  die  Erbschaft  jener  Zeit,  und  wenn 
heute  die  Unterstützung  der  massgeben- 
den Körperschaften  für  Länder,  die  solche 
Industriezweige  besitzen,  angegangen 
wird  und  im  Interesse  einer  verarmten 
Bevölkerung  auch  mit  Recht  angegangen 
werden  muss,  so  liegen  die  Ursachen 
hauptsächlich  darin,  dass  dort  die  Vor- 
bedingungen für  die  Gründung  einer  In- 
dustrie zu  jener  Zeit  unzureichend  waren. 
Das  eben  war  und  bildet  auch  heute 
die  grosse  volkswirthschaftliche  Aufgabe 
der  Eisenbahnen,  dass  sie  sich  mit  der 
Kohlenindustrie  auf  das  Innigste  ver- 
banden und  dass  es  dadurch  mög- 
lich geworden  ist,  solche  Pro- 
ductionsstätten  für  die  Industrie 
aufzufinden  und  zu  vervverthen, 
welche  in  aller  und  jeder  Rich- 
tung ihren  Vorbedingungen  ent- 

Geschictate  der  Eisenbahnen.  II. 


sprachen  und  so  das  Gedeihen 
der    Industrie  sicherten. 

Ein  weiteres  Bergproduct,  das  in 
Oesterreichs  Volkswirthschaft  eine  bedeu- 
tende Rolle  spielt,  ist  das  Eisen. 

Dass  die  Entwicklung  der  Eisen- 
industrie mit  den  Eisenbahnen  zusammen- 
hängt, versteht  sich  von  selbst.  Der  gross te 
Qonsument  für  das  Eisen  wie  für  die 
Kohle  ist  ja  die  Bahn  selbst,  es  ist  das 
einzige  Metall,  welches  für  das  Geleise 
und  für  die  Fahrbetriebsmittel  brauchbar 
erscheint.  Dieses  Metall  musste  daher  in 
der  gesammten  Welt  zu  einer  ungeahnten 
Bedeutung  gelangen.  Jahrtausende  sind 
vorübergegangen,  ohne  dass  es  zu  jener 
Wichtigkeit  gelangen  konnte,  und  selbst 
in  jener  Epoche,  die  seinen  Namen  trägt, 
war  die  Verwerthung  quantitativ  ja  kaum 
der  Rede  werth.  Man  muss  billig  zu- 
gestehen, dass  erst  die  Eisenbahnen  dazu 
führten,  den  Werth  des  Eisens  höher 
zu  schätzen.  Man  ging  daran,  ihm  seine 
Fehler  zu  nehmen  und  es  durch  Ver- 
besserung Zwecken  dienstbar  zu  machen, 
die  es  sonst  nie  hätte  erfüllen  können. 
Das  war  besonders  für  Oesterreich  von 
geradezu  unschätzbarem  Werth,  denn 
Oesterreich  besitzt  neben  qualitativ  fast 
unerreicht  vorzüglichen  Eisenerzen  auch 
grosse  Erzmassen,  die  nützlich,  billig 
und  zweckmässig  niemals  zur  Ver- 
werthung hätten  gebracht  werden  können, 
wenn  es  nicht  gelungen  wäre,  die- 
selben durch  neuerfundene  Methoden 
verarbeitungsfähig  und  nutzbringend  zu 
machen.  In  dieser  Beziehung  hat  die 
Eisenindustrie  in  Oesterreich  durch  die 
Anwendung  des  Thomas- Verfahrens  und 
durch  eine  Reihe  der  sinnreichsten  Raf- 
finirungsprocesse  ganz  ausserordentliche 
Erfolge  erreicht  und  die  Entwicklung  der 
Eisenindustrie  soll  in  dieser  Hinsicht  ganz 
besonders  betont  werden. 

Wenn  es  sich  um  Darlegung  des  Nutzens 
der  Eisenbahnen  und  um  ihren  Einfluss  auf 
die  Eisenindustrie  handelt,  so  darf  man 
sich  nicht  allein  mit  einigen  statistischen 
Ziffern  begnügen,  wonach  z.  B.  die  Roh- 
eisenproduction  im  Jahre  1848  sich  auf 
1,293.000  Metercentner,  im  Jahre  1886 
auf  4,853.000  xMetercentner,  im  Jahre  1895 
aber  auf  circa  7,800.000  Metercentner 
bezifferte.  Man  soll  auch  nicht  allein  den 


66 


A.  Ritter  v.  Lindheim. 


Preis  in  Vergleich  ziehen,  der  im  Jahre 
1 848  für  I  Metercentner  Eisenbahnschiene 
25  fl.  betrug  und  heute,  wo  dieselbe  aus 
Stahl  erzeugt,  pro  Metercentner  auf  10  fl. 
zu  stehen  kommt;  volkswirthschaftlich  ist 
es  wichtig,  festzustellen,  dass  die  Eisen- 
bahnen den  Erfolg  hatten,  den  Gebrauch 
des  Eisens  in  ausgedehntestem  Masse 
einzuführen  auch  dort,  wo  dies  früher 
ganz   unthunlich  erschien. 

Bei  solchen  Untersuchungen  soll  der 
Volks wirth  seine  Sonde  anlegen  und  darf 
sich  nicht  begnügen,  nur  einige  todte 
Ziffern  zu  nennen,  die  der  Statistiker 
ihm  an  die  Hand  gibt.  Wenn  colossale, 
früher  fast  ganz  unbenutzte  Erzmassen  in 
Böhmen  nunmehr  für  die  Production  eines 
vorzüglichen  Roheisens  verwendet  werden 
können,  oder  wenn  es  möglich  ist,  die 
vortrefflichen  Erze  Steiermarks  mit  schle- 
sischer  Kohle  im  Herzen  Niederösterreichs 
zu  verwerthen,  so  verdient  diese  Thatsache 
die  Aufmerksamkeit  jedes  wirthschaftlich 
denkenden  Kopfes.  Hier  haben  Talent  und 
Fleiss  grosse  volkswirthschaftliche  Auf- 
gaben erfüllt,  den  Reichthum  des  Landes 
erhöht,  der  Bevölkerung  Brot  und  Arbeit 
verschafft  und  wir  haben  auch  in  dieser 
Richtung  hin  den  Eisenbahnen  dankbar 
zu  sein. 

Unermesslich  aber  erscheint  die  all- 
gemeine Einwirkung  der  Eisenbahnen 
auf  die  Ausgestaltung  unseres  Handels 
und  unserer  Industrie,  zweier  volks- 
wirthschaftlicher  Factoren  von  höchster 
Bedeutung,  die  zum  Eisenbahnwesen  heute 
in  innigsten  Wechselbeziehungen,  ja  im 
absoluten  Abhängigkeitsverhältnis  stehen. 
Die  Eisenbahnen  haben  nicht  nur  neue 
Handelsbeziehungen  ermöglicht,  sie  haben 
nicht  nur  die  Industrie  gefördert,  sie 
haben  ganze  Industriezweige  auch  neu 
geschaffen. 

Dieser  Satz  ist  durch  Thatsachen 
reich  bekräftigt.  Nicht  allein  die  Wagen- 
bauanstalten und  Locomotivfabriken,  die 
Schienenwalzwerke  stehen  in  der  Reihe 
jener  Industrieen,  die  der  Eisenbahn  ihr 
Entstehen  zu  danken  haben,  eine  Menge 
von  Werkstätten,  welche  die  zahllosen 
Bedarfsartikel  zu  decken  haben,  die 
zur  Ausrüstung  und  zum  Betrieb  der 
Bahnen  erforderlich  sind,  ergänzen  diese 
Reihe. 


Die  Handelsbeziehungen  Oesterreichs 
wurden  durch  seine  Eisenbahnen  mehrfach 
umgestaltet.  Sie  haben  die  schon  gefährdet 
gewesene  Stellung  Oesterreichs  im  Welt- 
handel wieder  gefestigt*)  und  durch  ihren 
Einfluss  auf  Export  und  Import  un- 
mittelbar intensiv  eingewirkt. 

Inwieweit  die  Verkehrsverhältnisse 
durch  die  Wirkungen  der  Eisenbahnen 
eine  Steigerung  erfahren,  sollen  wenige 
Ziffern  zeigen,  die  den  Aufschwung 
während  der  Regierungszeit  unseres 
Monarchen  nachweisen. 

Im  Jahre  1 848  umfasste  der  gesammte 
Güterverkehr  unserer  Monarchie  1*5  Mill. 
Tonnen,  im  Jahre  1897  ist  derselbe  mit 
146  Millionen  Tonnen  nachgewiesen. 

Etwa  3  Millionen  Reisende  hatte  der 
Personenverkehr  des  Jahres  1 848  umfasst, 
die  Statistik  des  Jahres  1897  gibt  diese 
Zahl  mit  197  Millionen  an. 

Als  treffliche  Illustration  für  die  Ent- 
wicklung unseres  Verkehrswesens  dient 
die  Thatsache,  dass  die  Zahl  der  Briefe 
in  den  letzten  50  Jahren  von  20*8  Mil- 
lionen auf  580  Millionen  stieg. 

Welcher  Umsatz  in  dem  National- 
vermögen durch  die  Eisenbahnen  geschaf- 
fen wurde,  lehrt  die  Ziffer  des  heute  in 
unserem  Eisenbahnwesen  investirten  Ca- 
pitals,  das  rund  mit  4.100,000.000  fl.  an- 
genommen wird  [gegen  90,000.000  fl.  im 
Jahre  1848].**)  405,000.000  fl.  betragen 
die  Einnahmen  der  Eisenbahnen  unserer 
Monarchie  im  vergangenen  Jahre  [1897] 
und  215,000.000  fl.  hat  die  Erhaltung  und 
der  Betrieb  derselben  erfordert.  Summen, 
deren  Bedeutung  in  der  Volks wirthschaft 
unseres  Reiches  nicht  erst  betont  werden 
muss.  ***) 

Wie  weit  sich  der  Einfluss  der 
Eisenbahnen  auf  einzelne  Gebiete  öster- 
reichischer Industrieen  besonders  be- 
merkbar machte,  soll  an  der  Hand  un- 
widerlegbarer Thatsachen  nachgewiesen 
werden. 

*)  Vgl.  Bd.  II.  Dr.  A.  Peez  >Die  Stel- 
lung unserer  Eisenbahnen  im  WelthandeU. 

**)  Vgl.  die  Entwicklung  des  österr.- 
ungar.  Verkehrswesens  von  1848 — 1898  in 
G.  F'reitag's  Verkehrskarte  von  Oesterreich- 
Ungarn,  Wien. 

***)  Ueber  die  Leistungen  der  Eisenbahnen 
Cisleithaniens,  vgl.  Seite  79  u.  ff. 


Unsere  Eisenbahnen  in  der  Volkswirthschaft. 


67 


Hier  sind  es  besonders  die  öster- 
reichische Zucker-  und  die  Mahl- 
industrie,  die  den  Eisenbahnen  viel  zu 
verdanken  haben. 

Die  seit  1809  entstandene  Rüben- 
zucker-Erzeugung fand  erst  1830  Ein- 
gang in  die  Monarchie,  und  zwar  zuerst 
in  Böhmen  durch  die  adeligen  Gross- 
grundbesitzer. Im  Jahre  1840  waren 
113  Runkelrübenzucker  -  Fabriken  ent- 
standen, von  denen  aber  mehrere  kleine, 
mit  unzweckmässigem  Betriebe  wieder 
eingingen,  während  seit  dem  Jahre  1 848 
die  Errichtung  grossartiger  Etablissements 
dieser  Art  bedeutende  Fortschritte  machte. 
Im  Jahre  1857  bestanden  in  Oesterreich 
108  Zuckerfabriken,  die  77«  Millionen 
Centner  Rüben  zu  450.000  Centner  Zucker 
und  230.000  Centner  Melasse  verarbeiteten. 
Die  Menge  der  verarbeiteten  Rübe  betrug 
im  Jahre  1895  über  76  Millionen  Meter- 
centner. 

Es  muss  hiebei  bemerkt  werden, 
dass  der  Einfluss  der  Eisenbahnen  auf 
die  Zuckerindustrie  und  zugleich  auf 
die  Land  wirth  Schaft  auch  darum  ein 
so  grosser  sein  musste,  weil  es  nunmehr 
möglich  war,  dass  eine  Zuckerfabrik 
auch  entfernter  angebaute  Rübenquanti- 
täten bezog,  und  weil  namentlich  die 
Ausfuhrbewegung  eine  so  überraschend 
grosse  Entwicklung  genommen  hat. 

Die  Österreichische  Zuckerindustrie, 
deren  Situation  zum  grossen  Theil  durch 
gute  Productions- Bedingungen  gefördert 
wird,  ist  besonders  auf  die  Ausfuhr 
angewiesen  und  es  ist  selbstverständ- 
lich, dass  dieselbe  ohne  Eisenbahnen 
niemals  einen  solchen  Entwicklungsgang 
hätte  nehmen  können.  Erwähnt  soll 
hiebei  noch  werden,  dass  im  Jahre  1895 
1854  Dampfkessel  und  3135  Dampf- 
maschinen mit  circa  60.000  Pferdekräften 
und  über  70.000  Arbeiter  von  der 
Zuckerindustrie  beschäftiget  wurden,  und 
dass  nahezu  97  Procent  der  gesammten 
Zucker-Erzeugung  auf  die  Kronländer 
Böhmen  und  Mähren  fiel.  Der  Boden 
dieser  Länder  ist  ganz  besonders  für 
diese  Industrie  geeignet.  Der  Zu- 
sammenhang der  Industrie  mit  der 
Landwirthschaft  findet  sich  nirgends  so 
innig,  wie  auf  diesem  Gebiete  in  Oester- 
reich. 


Der  Jubiläums-Festschrift  der  Kaiser 
Ferdinands-Nordbahn*)  ist  zu  entnehmen, 
dass  die  Anzahl  der  an  ihren  Betriebs- 
strecken errichteten  Zuckerfabriken  bis 
zum  Jahre  1880  um  550^0  zunahm,  ein 
enormer  Percentsatz,  der  so  recht  ins 
Licht  stellt,  welchen  Einfluss  diese  Eisen- 
bahn ausübte,  die  hierin  für  ganz  Oester- 
reich charakteristisch  ist.  Aber  um  die  be- 
sondere volkswirthschaftliche  Bedeu- 
tung dieser  Thatsache  voll  zu  erfassen, 
muss  noch  weiter  hervorgehoben  wer- 
den, dass  der  Ausfuhrhandel  des  ganzen 
Landes  dadurch  beträchtlich  gehoben 
und  ein  wesentlicher  Factor  für  die 
Activität  der  Handelsbilanz  geschaffen 
wurde.**) 

Dass  beispielsweise  auch  die  Mahl- 
Industrie  durch  die  Eisenbahnen  in 
Oesterreich  wesentlich  gefördert  wurde, 
liegt  auf  der  Hand.  Die  Lohnmüllerei  ist 
ein  längst  überwundener  Standpunkt,  der 
Bezug  billiger  Rohmateriale  wird  mass- 
gebend für  die  Concurrenzfähigkeit  der 
Betriebe.  Es  soll  nicht  verkannt  werden, 
dass  die  grosse  Verbesserung  des  Commu- 
nicationswesens  auch  der  Concurrenz  des 
Auslandes  zur  Verfügung  steht  und  dass 
mehr  wie  jede  andere  Industrie  auch  der 
österreichischen  Müllerei  trübe  Erfahrun- 
gen nicht  erspart  blieben.  Indessen  muss 
gerade  hier  erwähnt  werden,  dass  den  öster- 
reichischen Eisenbahnen  eben  im  Dienste 


*)  »Die  ersten  50  Jahre  der  Kaiser  Fer- 
dinands-Nordbahn«, 1836 — 1886,  Verlag  der 
Nordbahn. 

**)  Die  Entwicklung  der  Grossindustrie 
an  den  Nordbahnlinien  in  den  ersten  40  Jahren 
ihres  Bestandes  beleuchtet  a.  a.  O.  nachste- 
hende besonders  bemerkenswerthe  Zusammen- 
stellung :  Die  Summe  der  Fabriken  wuchs  von 
384,  die  bereits  bei  Eröffnung  der  Bahn  bestan- 
den, bis  zum  Jahre  1880  auf  983,  also  um  rund 
156  ^'/o.  Das  percentuelle  Anwachsen  der  ein- 
zelnen Industriezweige  erfolgte  im  folgenden 
Verhältnisse : 

1.  Bergwerks-Producte 833  % 

2.  Maschinen,  Werkzeuge,  Transport- 

mittel      550  «/o 

3.  Metalle  und  MetuUwaaren  •    •     •       90  % 

4.  Minerale  [Nichtmetalle]  und  Arbeiten 

aus  denselben 344  % 

5.  Chemische  Producte 435  •/o 

6.  Nahrungs-  und  Genussmittel     .     ,     181  "/o 

7.  Textilindustrie 83  % 

8.  Producte  aus  anderen  organ.  Stoffen  222  "/o 


68 


A.  Ritter  v.  Lindheim. 


dieser  Industrie  eine  besonders  wichtige 
Rolle  zugefallen  ist.  Es  ist  vorher  erwähnt 
worden,  dass  für  industrielle  Betriebe  die 
Wasserkraft  immer  ein  unzuverlässiger 
Factor  ist,  bei  den  zahllosen  noch  auf 
Wasserkräfte  angewiesenen  Mühlen  macht 
sich  dies  besonders  bemerkbar.  Es  ist 
erstaunlich,  wie  sehr  durch  das  Ver- 
schwinden und  Ausroden  der  grossen 
Wälder  unsere  Wasserkräfte  abgenom- 
men haben  und  ganz  beträchtlichen 
Schwankungen  ausgesetzt  sind.  Traurig 
stimmt  es  den  Volkswirth,  der  die  Gebirgs- 
länder  Oesterreichs  durchschreitet,  sieht 
er  hart  an  die  Wildbäche  angebaut, 
kaum  für  den  Fussgeher  erreichbar, 
eine  Dorfmühle,  ausgestattet  mit  den  arm- 
seligsten mechanischen  Einrichtungen,  der 
jeder  kleine  Frost  die  ohnedies  ärmliche 
Wasserkraft  raubt.  —  Und  diese  Mühlen 
sollen  doch  in  -gewisser  Beziehung  die 
Concurrenz  gegen  die  grossen  Dampf- 
mühlen bestehen,  die,  unmittelbar  mit  den 
Eisenbahnen  verbunden,  mit  ausgezeich- 
neten neuen  Maschinen  arbeiten  und  schon 
durch  die  grosse  Menge  der  Erzeugung 
billige  Gestehungskosten  erlangen. 

Die  Eisenbahnen  erleichtern  aber  nicht 
nur  die  Anwendung  besserer  Motoren, 
sie  ermöglichen  auch  die  Versorgung 
einer  weiter  abliegenden  Kundschaft  mit 
besonders  begehrten  Qualitätsmarken. 

So  haben  die  Eisenbahnen,  wiewohl 
sie  im  Grossen  und  Ganzen  den  grösseren 
Betrieben  selbstverständlich  mehr  zu 
Diensten  stehen,  als  den  kleineren,  na- 
mentlich in  Verbindung  mit  einer  weisen 
und  wohlwollenden  Tarifpolitik,  anderer- 
seits auch  den  Erfolg  gehabt,  dass  kleinere 
Betriebe  sich  erhalten  konnten,  während  ge- 
rade aus  der  letzten  Zeit  manche  Beispiele 
lehren,  dass  grosse  Betriebe,  die  zum  Theil 
auf  gewagte  Speculationen  angewiesen 
sind,  im  Concurrenzkampfe  unterlagen. 

Einen  besonders  grossen  Einfluss 
haben  die  Eisenbahnen  auf  die  öster- 
reichische Brauerei  geübt.  Hier  kann 
man  in  der  That  sagen,  dass  die  Ent- 
wicklung einer  Brauindustrie,  wie  Oester- 
reich  sie  besitzt,  unmöglich  gewesen 
wäre,  wenn  ihr  nicht  eine  billige  und 
sichere  Communication  zur  Verfüsruncr 
gestanden  wäre.  Dies  ist  glücklicher- 
weise   der  Fall  gewesen    und  die  Eisen- 


bahnen haben  dazu  beigetragen,  um 
namentlich  den  Export  der  österreichi- 
schen Biere  auf  das  Kräftigste  zu  unter- 
stützen. Wenn  auch  nicht  allen  Anfor- 
derungen entsprechend,  so  sind  doch  die 
Tarife  im  Grossen  und  Ganzen  ziemlich 
wohlwollend  gestellt.  Ueberdies  wurden  für 
Zwecke  dieser  Industrie  trefflich  geeig- 
nete Transportmittel  construirt.  Wenn 
der  Ruf  der  österreichischen  Biere  ein 
wohlbegründeter  ist  und  sie  sowohl  in 
Europa  als  in  überseeischen  Ländern 
geschätzt  und  begehrt  sind,  so  ist  das 
mit  ein  Werk  der  Eisenbahnen  und 
der  mit  ihnen  in  Verbänden  zusammen- 
wirkenden Dampfschifffahrts-Gesellschaf- 
ten.  Wenn  man  heute  in  Alexandrien 
oder  Smyma  oder  wo  immer  im  Aus- 
lande nach  Wiener  oder  böhmischen 
Bieren  verlangt  und  wenn  dieses  Be- 
gehren die  Production  unserer  Brauereien 
verdoppelt  und  verdreifacht  hat,  wenn 
dadurch  der  Landwirthschaft,  namentlich 
aber  der  Viehzucht,  bedeutend  gedient 
ist,  so  ist  dies  ein  Erfolg  der  Eisenbahnen 
und  ein  neues  und  gewiss  nicht  unwesent- 
liches Moment  für  ihre  volkswirthschaft- 
liche  Bedeutung.  Gerade  diese  Industrie 
erzeugt  ein  Genussmittel,  welches  nur 
durch  einen  raschen  und  sicheren  Trans- 
port in  fernen  Gegenden  zum  Absätze 
gebracht  werden  kann,  und  es  ist  fast  so, 
als  wenn  in  dem  Aufschwünge  der  Brau- 
industrie dem  Lande  ein  kleiner  Ersatz 
gegeben  werden  sollte  für  die  Verwü- 
stungen, welche  die  Phylloxera  in  unseren 
gesegneten  Weinbergen  angerichtet  haf 
und  noch  immer  anrichtet.  Es  ist  aber 
auch  von  volkswirthschaftlicher  Bedeutung 
überhaupt,  dass  der  Geschmack  der  Be- 
völkerung sich  einem  gesunden  Getränke 
zuwendet.  Der  Branntweingenuss  ist  all- 
seitig als  ein  grosses  Unglück  betrachtet 
worden,  stellt  den  Menschen  auf  die 
niederste  Stufe,  lässt  ihn  seine  Würde 
vergessen  und  es  ist  als  ein  Glück  zu 
betrachten,  wenn  das  Bier  hier  erfolgreich 
in  Concurrenz  tritt.  Gute  und  billige  Biere 
preiswürdig  zu  transportiren,  ist  daher  eine 
wirthschaftlich  befriedigende  und  daher 
besonders  wünschenswerthe  Leistimg. 

Und  so  Hesse  sich  eine  Industrie  nach 
der  andern,  ein  Gewerbe  nach  dem  andern 
anführen    und  überall  könnte  der  Volks- 


Unsere  Eisenbahnen  in  der  Volkswirthschaft. 


69 


wirth  den  greifbaren  Nutzen  nachweisen, 
den  unsere  Eisenbahnen  auf  den  ver- 
schiedenartigsten Gebieten  hervorgebracht 
haben  und  noch  täglich  schaifen. 

Der  volkswirthschaftliche  Nutzen  der 
Eisenbahnen  steht  im  geraden  Verhält- 
nisse zur  Dichtigkeit  ihres  Netzes  und 
nicht  leicht  findet  sich  ein  untrüglicheres 
Kennzeichen  für  die  wirthschaftlicheWohl- 
fahrt  eines  Landes  als  die  Dichte  seiner 
Schienenverzweigungen. 

In  den  weiteren  Maschen  der  Haupt- 
linien müssen  die  reich  entwickelten 
Localbahnen  als  die  eigentlichen  Begrün- 
der eines  regeren  Verkehres  auftreten  und 
dieses  Saugadersystem  des  Verkehres  ist 
es  vorzüglich,  auf  dessen  hohe  volkswirth- 
schaftliche Bedeutung  ebenfalls  Rück- 
sicht genommen  werden  muss.  Vieles 
ist  in  unserem  Vaterlande  für  die  Ausge- 
staltung dieser  Bahnen  bereits  gesche- 
hen, so  Manches  bleibt  aber  noch  auf 
diesem  Gebiete  zu  schaffen  übrig.  Freu- 
dig muss  es  jeder  Volkswirth  begrüssen, 
wenn  eine  kluge  Staatsverwaltung  die  rich- 
tigen Mittel  anzuwenden  trachtet,  diese 
wichtigen  Factoren  volkswirthschaftlichen 
Aufschwunges  zu  fördern  und  zu  schaifen. 

Man  muss,  um  gerecht  zu  sein,  darauf 
hinweisen,  dass  die  Landwirthschaft,  na- 
mentlich aber  die  unter  schwierigen  Ver- 
hältnissen arbeitende  Landwirthschaft  in 
den  Alpenländem  noch  nicht  den  ge- 
hörigen Vortheil  von  den  Eisenbahnen 
hatte.  Diese  Länder  seufzen  unter  den  er- 
höhten Arbeitslöhnen,  unter  den  Folgen, 
den  die  Concentration  der  Industrie  für 
einzelne  Gegenden  gebracht,  doch  darf 
man  allerdings  nicht  vergessen,  dass  die 
ganz  wesentliche  Verbesserung  im  Ab- 
satz landwirthschaftlicher  Producte  einen 
nicht  unbedeutenden  Ersatz  für  diese 
Uebelstände  bietet. 

Die  Vermehrung  der  Eisenbahnen,  die 
Verbesserung  localer  Eisenbahnnetze,  das 
Eindringen  der  Schiene  in  die  entfernteste 
Ortschaft  und  den  entlegensten  Weiler 
sind  für  diese  verlassenen  Gegenden  das 
einzige  Mittel  zur  Verbesserung  ihrer 
wirthschaftlichen  Verhältnisse. 

Auf  die  speciellen  günstigen  Wirkun- 
gen der  Localbahnen  Oesterreichs  einzu- 
gehen, hiesse  Eulen  nach  Athen  tragen. 
Ihre  nationalökonomische  Bedeutung   ist 


vollerkannt,  und  wenn  in  der  Ausgestal- 
tung unseres  Kleinbahn  wesens  noch 
manche  Wünsche  bis  heute  oifen  blieben, 
so  sind  es  wahrlich  andere  Ursachen  als 
die  Verkennung  der  wirthschaftlichen  Be- 
deutung, die  hier  Schuld  tragen.  Immerhin 
kann  der  österreichische  Volkswirth  mit 
gerechter  Befriedigung  auf  das  blicken, 
was  bisher  auf  dem  Gebiete  des  Local- 
bahnwesens  im  Interesse  einer  gesunden 
Staats-  und  Volkswirthschaft  in  Oester- 
reich  geschaffen  wurde.*) 

Die  350774  km  Localbahnen  Oester- 
reichs [Stand  im  Jahre  1895]  haben  kräftig 
zur  Verkehrsentwicklung  des  Reiches  bei- 
getragen. 

Ueber  die  gesammte  Verkehrsentwick- 
lung auf  den  Eisenbahnen  Oesterreichs 
geben  uns  die  von  der  k.  k.  statistischen 
Central commission  veröffentlichten  Ziffern 
Aufschluss. 

Im  Jahre  1895  wurden  auf  den  Eisen- 
bahnen [excl.  Dampftramways]  innerhalb 
der  im  Reichsrathe  vertretenen  Königreiche 
und  Länder  befördert: 

Personen      .     .     106,442.545 
Güter.     .     .     .       93,878.720  f 

Auf  den  Hauptbahnen  im  österreichi- 
schen Staatseisenbahnbetriebe  wurden  im 
Jahre  1896  allein  über  27  Millionen  Ton- 
nen Waaren  befördert,  darunter  haupt- 
sächlich Frachtgüter :  ♦*) 

Braunkohlen     ....     5,501.000  t 

Steinkohlen 3,011.000» 

Cokes 357.000  » 

Holz 3,244.000  » 

Getreide 2,108.000  » 

Verschiedene  andere  Bo- 

denproducte  ....     1,231.000  » 

Steine 2,625.000  ^^ 

Erze 1,080.000  » 

Mahlproducte    ....        695.000  » 

Eisen 1,008.000  » 

Zucker 401.000  > 

Bier 351.000» 

Salz 276.000  >> 

Hornvieh 169.000  » 

Wein 166.000  » 

*)  Vgl.  Bd.  III.,  C.  Wurmb,  »Oesterreichs 
Localbahnen«. 

**)  Wie  sich  die  verschiedenen  Fracht- 
güter auf  sämmtlichen  österreichischen 
Eisenbahnen  percentuell  vertheilen,  erscheint 
auf  Seite  79  angegeben. 


70 


A.  Ritter  v.  Lindheim. 


Für  die  volkswirthschaftliche  Be- 
deutung der  Eisenbahnen  Oesterreichs 
gibt  aber  die  auf  den  Eisenbahnen  trans- 
portirte  Gütermenge  keineswegs  allein 
einen  Anhaltspunkt,  man  muss  vielmehr 
in  Betracht  ziehen,  dass  die  Eisenbahn 
nicht  nur  auf  die  Schaffung,  Erweiterung 
und  Blüthe  einzelner  Industriezweige 
massgebenden  Einfluss  nahm,*)  sondern 
man  muss  den  Ungeheuern  Einfluss  wenig- 
stens andeuten,  den  sie  auf  das  Bau- 
und  Inge  nie  urwesen  im  Allgemeinen 
ausübte  und  wie  sie  dort  wahrhaft  stür- 
mische Impulse  zu  einer  Reihe  der  wich- 
tigsten Institutionen  gab.  Werke,  wie  der 
Ausbau  des  Triester  Hafens,  die 
Donauregulirun g,  der  Bau  der  Wie- 
ner Stadtbahn,  die  Wienregulirung, 
die  Wasserversorgung  von  Wien 
wären  kaum  je  zustande  gekommen,  wenn 
die  Institution,  wie  die  Eisenbahn  sie 
darstellt,  diesen  gigantischen  Zwecken 
nicht  zu  Gebote  gestanden  wäre.  Hier 
zeigt  es  sich  am  allerdeutlichsten,  dass 
die  Eisenbahn  und  das  durch  die  Eisen- 
bahn gelöste  Problem  die  treue  Dienerin 
jener  grossen  schöpferischen  Gedanken 
ist  und  dass  jener  charakteristische  Un- 
terschied zwischen  den  Werken  des  Alter- 
thums  und  denen  aus  dem  Zeitalter  der 
Eisenbahnen  der  ist,  den  M.  von  Weber 
mit  nachstehenden  Worten  so  richtig 
gekennzeichnet  hat: 

»Die  Mechanik  hatte  seit  Archimedes 
wenig  Fortschritte  gemacht,  aber  das 
Ansehen  aller  Disciplinen  der  Technik, 
die  mit  der  Bau-  und  Kriegskunst  in  Be- 
ziehung standen,  war  in  raschem  Steigen 
begriffen,  denn  mit  den  vorhandenen 
primitiven  Mitteln  wurden  Wunder  ge- 
than,  welche  die  Welt  erfüllten.  Die 
Wölbung  der  Peterskuppel,  Bnmelleschi's 
Arbeiten   zu  Florenz,  der  Transport   des 


♦)  Wir  verweisen  in  dieser  Hinsicht  auf 
den  Einfluss,  den  beispielsweise  die  Nord- 
bahn, als  erster  bedeutender  Consument,  auf 
die  Gewinnung  des  galizischen  »Naphthas« 
nahm  und  so  eigentlich  eine  österreichische 
Petroleumindustrie  begründen  half.  Dem 
ehemaligen  Material  Verwalter  dieser  Anstalt 
Anton  Pro ke seh  gebührt  das  Verdienst,  den 
Werth  des  galizischen  Naphthas  schon  im 
Jahre  1853  nchtig  beurtheilt  zu  haben.  Erst 
im  Jahre  1 862  kam  das  amerikanische  Petroleum 
nach  Oesterreich. 


Obelisken  Caligula's  durch  Fontana,  die 
Verschiebung  des  80'  hohen  Thurmes  von 
Magione  zu  Bologna,  die  Gradrichtung 
des  gesunkenen  Glockenthurmes  zu  Cento 
durch  Hodi  und  Feravante,  hatten  die  Welt 
geblendet,  während  die  bescheideneren 
Ingenieurarbeiten  der  Canalisirungen  und 
Flussregulirungen  und  Bewässerungen 
sichtlich  Wohlstand  verbreiteten.« 

Die  Eisenbahnen  haben  nicht  allein 
einen  auf  die  Entwicklung  unserer  In- 
dustrie und  auf  die  grossartigen  Schöpfun- 
gen der  Ingenieurkunst  hohen  Ein- 
fluss genommen,  sie  waren  es  auch  zu- 
nächst, welche  auf  die  praktische  An- 
wendung elektrotechnischer  Einrich- 
tungen hinwirkten  und  so  die  erste 
Anregung  zur  Entwicklung  einer  Arbeits- 
sphäre gaben,  welche  sich  zwar  heute 
noch  selbst  in  einer  gährenden  Jugend- 
periode befindet,  deren  grosse  Bedeutung 
aber  heute  auch  nicht  annähernd  fest- 
gestellt werden  kann. 

Bekanntlich  zählt  Oesterreich  zu  den- 
jenigen Staaten,  welche  der  Erfindung 
der  Telegraphie  zuerst  erhöhte  Aufmerk- 
samkeit schenkten. 

Der  bekannte  Fachmann  J.  K  a  r  e  i  s 
hat  in  einer  trefflichen  Darstellung  mit 
Recht  hervorgehoben,  dass  die  Anwendung 
der  Elektricität  auf  das  Eisenbahnwesen 
sowohl  für  den  Nachrichtendienst  als  auch 
für  andere  Zwecke  von  der  höchsten  Wich- 
tigkeit war  und  dass  die  Wechselwirkung 
für  beide  Verkehrszweige  von  grösster 
Bedeutung  sei.  Auch  hebt  er  hervor,  dass 
es  ganz  besonders  österreichische  Firmen 
und  österreichische  Gelehrte  waren,  welche 
hier  die  wichtigsten  Dienste  leisteten,  so 
dass  es  ganze  Bände  füllen  würde,  diese 
Leistungen,  welche  in  der  ganzen  Welt 
bekannt  sind,  gebührend  zu  würdigen. 
Die  Signalisirung  mannigfacher  Verkehrs- 
momente auf  Eisenbahnen  kann  wirksam 
nur  auf  elektrischem  Wege  bewirkt  werden 
und  so  hat  auch  die  Elektrotechnik  der 
Entwicklung  der  Eisenbahn  die  wichtig- 
sten Dienste  geleistet,  andererseits  aber 
auch  die  Eisenbahn  die  Entwicklung  der 
Elektrotechnik  hervorragend  gefördert. 

Inwieweit  die  Zukunft  die  Zuhilfe- 
nahme elektrischer  Betriebskraft  für  unsere 
Eisenbahnen  noch  bedingen  wird,  müssen 
wir  einer,  vielleicht  nicht  ganz  fernen  Zeit 


Unsere  Eisenbahnen  in  der  Volkswirthschaft. 


71 


überlassen.  Schon  heute  sind  in  Amerika, 
in  Deutschland  und  auch  bereits  in  unserem 
engeren  Vaterlande  eine  Reihe  kleinerer 
Bahnlinien,  namentlich  in  Städtegebieten 
zum  elektrischen  Betriebe  übergegangen, 
imd  vielleicht  wird  in  absehbarer  Zeit  auch 
an  die  grossen  Eisenbahnen  die  Frage 
des  elektrischen  Betriebes  herantreten. 

Auf  die  Wechselwirkung  zwischen 
Eisenbahn  und  Elektrotechnik  ist  hoher 
Werth  zu  legen,  und  wer  den  Einfluss 
erkennt,  den  die  Eisenbahnen  auf  die  Ent- 
wicklung der  Volkswirthschaft  nehmen, 
dem  muss  das  veränderte  Bild  vor  Augen 
treten,  welches  in  Jahrzehnten  durch  Elek- 
tricität  und  Eisenbahnen  zur  Wirklichkeit 
werden  wird. 

Erst  durch  die  Eisenbahn  ist  die  Welt 
überhaupt,  daher  auch  Oesterreich  sich 
seiner  wirthschaftlichen  Kraft  bewusst  ge- 
worden. Nicht  allein  in  dem  bereits  Emm- 
genen,  nicht  in  grösserer  Schnelligkeit 
imd  Billigkeit  des  Transports  sieht  es  den 
Aufschwung,  mit  Feuereifer  betritt  es  das 
Gebiet  jener  Forschung,  welche  wir  Elek- 
trotechnik nennen.  Ungeahnt  sind  noch  die 
Kräfte  der  Natur,  die  sich  uns  da  erschliessen 
sollen,  jeder  Tag  bringt  eine  neue  wichtige 
Erfindung,  deutet  einen  neuen  Weg  zu 
weiteren  Erfolgen  an. 

Es  würde  auch  zu  weit  führen,  all  die 
wirthschaftlichen  Consequenzen  zu  er- 
örtern, die  die  Elektricität  und  Eisenbahn 
gemeinsam  herbeiführten  oder  noch  her- 
beiführen werden. 

Für  unsere  Aufgabe  möge  der  Nach- 
weis genügen,  dass  die  Entwicklung  der 
Elektrotechnik  in  einer  innigen  Verbin- 
dung mit  dem  Eisenbahnwesen  stand  und 
steht,  und  dass  dies  sich  nicht  nur  auf 
die  Telegraphie  und  auf  den  Motor  be- 
zieht, sondern  dass  alle  Gebiete,  die 
Beleuchtung,  die  Femsprechung,  die 
Kraftübertragung  im  Zusammenhang  mit 
dem  Eisenbahnwesen  sich  befinden. 

Wir  erkennen  bereits  den  Werth  der 
Schätze,  welche  da  noch  zu  heben  sind,  und 
wir  vergessen  nicht,  dass  es  die  österrei- 
chischen Eisenbahnen  waren,  welche  hiezu 
die  erste  Anregung  gaben  und  zugleich 
es  auch  ermöglichten,  jenes  Gebiet  mit 
Erfolg  zu  bebauen. 

Fast  noch  wichtiger  und  eingreifender 
in  das  Leben  des  Volkes  als  die  Bewegung 


der  Güter  auf  den  Eisenbahnen  ist  die 
durch  sie  bewerkstelligte  Beförderung 
der  Personen.  Die  Schnelligkeit  und 
Präcision,  mit  der  dieselbe  geschieht,  die 
Billigkeit  des  Fahrpreises,  der  hier  nicht 
allein  in  Betracht  kommt,  sondern  die  da- 
durch bewirkte  Ersparung  an  Zeit  und 
Reisekosten  überhaupt,  schafften  einen 
grossen  Wandel  im  Leben  der  Völker  so- 
wie im  Leben  jeder  einzelnen  Familie.  Man 
hatte  auch,  als  die  ersten  Eisenbahnen  ent- 
standen, weit  mehr  an  die  Personen-  als 
an  die  Frachten-Beförderung  gedacht.  Der 
Personen-Beförderung  war  ja  auch  in 
gewisser  Richtung  von  Seite  der  Staaten 
eine  rege  Sorgsamkeit  zugewendet  wor- 
den, und  wieder  waren  es  die  Erblande 
des  Kaiserstaates,  Tirol  und  Steiermark, 
wo  die  Anfänge  der  so  bedeutungsvoll 
gewordenen  Thurn  und  Taxis'schen  Post 
sich  entwickelten. 

Aber  so  bemerkenswerth,  so  be- 
herzigenswerth  die  Fortschritte  sind, 
welche  die  Entwicklung  der  Post  bis 
zum  Beginne  unseres  Jahrhunderts  ge- 
macht haben,  die  Eisenbahnen  mussten 
sie  doch  weit  in  den  Schatten  stellen, 
und  es  liegt  gerade  in  der  grossen,  fast 
ohne  Uebergang  vermittelten  Erfindung, 
dass  sie  die  Gegnerschaft  nicht  etwa  der 
kleinlichen,  zaghaften  Gemüther,  sondern 
die  Gegnerschaft  der  grössten  Geister  der 
Nation  anstachelte. 

Sagte  doch  der  erste  Verkehrsbeamte 
des  preussischen  Staates,  General-Post- 
meister von  Nagler,  als  ihm  der  Entwurf 
der  Bahn  nach  Potsdam  vorgelegt  wurde: 
»Dummes  Zeug,  ich  lasse  täglich  diverse 
sechssitzige  Posten  nach  Potsdam  gehen 
und  es  sitzt  Niemand  darinnen,  nun  wollen 
die  Leute  gar  eine  Eisenbahn  dahin  bauen  ; 
wenn  sie  ihr  Geld  absolut  los  werden 
wollen,  so -mögen  sie  es  doch  lieber  gleich 
zum  Fenster  hinauswerfen,  ehe  sie  es  zu  so 
unsinnigen  Unternehmungen  hergeben. «  *) 
Und  Thiers,  der  berühmte  Staatsmann, 
eiferte  in  den  Dreissiger-Jahren  wiederholt 
in  öffentlichen  Reden  gegen  die  Bahn  wie 
folgt:  »Wie  sollen  denn  die  Eisenbahnen 
die  Concurrenz  gegen  Messagerien  be- 
stehen —  wenn  man  mir  die  Gewissheit 


♦)  Vgl.  Bd.  I,  F.F.    Kupka,     »Allg.  Vor- 
geschichte«, S    50. 


72 


A.  Ritter  v.  Lindheim. 


bieten  könnte,  dass  man  in  Frankreich 
jährlich  5  Meilen  Eisenbahnen  bauen  wird, 
so  würde  ich  mich  sehr  glücklich  schätzen, 
und  schliesslich,  weil  eine  Eisenbahn  fährt, 
wird  auch  kein  Reisender  mehr  als  bisher 
fahren.«  Der  Bau  der  Eisenbahn  wurde 
als  eine  Tagesmode,  als  ein  Luxusartikel 
betrachtet,  und  es  ist  bezeichnend,  wenn 
einer  der  ersten  Männer  der  Wissenschaft 
in  allem  Ernst  den  einzigen  Nutzen  der 
Bahn  darin  fand,  dass  bei  den  Ausgrabun- 
gen bisweilen  wichtige  antike  Funde  ge- 
macht werden  können. 

Wer  wird,  wenn  man  sich  solche  Zu- 
stände, die  kaum  60  Jahre  hinter  uns 
liegen,  vergegenwärtigt,  nicht  an  den 
volkswirthschaftlichen  Nutzen  der  Eisen- 
bahnen glauben,  w-elche  den  ganzen  Welt- 
ball umspannen  und  deren  Entwicklung 
einem  einzig  dastehenden  Siegeslaufe 
gleicht  Nirgends  wie  hier  haben  die 
Fortschritte  der  Technik  so  grossartige 
Dienste  geleistet;  die  Alpenbahn,  die 
Tunnelbauten,  die  Anwendung  des  Zahn- 
rades und  des  Seiles  machten  es  möglich, 
auch  die  Gebirgsländer  mit  in  den  Kreis 
der  allgemeinen  Bewegung  zu  ziehen, 
und  wiederum  war  es  Oesterreich,  welches 
mit  seinen  vielgestaltigen  Bodenverhält- 
nissen auch  hier  an  die  Spitze  des  Fort- 
schrittes trat. 

Die  Errichtung  der  Bahn  über  den 
Semmering,  den  Brenner  und  den  Arlberg 
bilden  überaus  wichtige  Momente  in  der 
Eisenbahnbau-Geschichte,  und  will  man 
den  Einfluss  der  Eisenbahn  auf  die  Volks- 
wirthschaft  ermessen,  so  muss  man  an 
erster  Stelle  der  Energie  alles  Lob  zollen, 
welche  der  österreichische  Techniker  oft 
zuerst  in  ganz  Europa  zur  Bewältigung 
schwieriger  Probleme  aufbot. 

Wir  legen  auf  dieses  Moment  einen 
grossen  W^erth,  denn  hier  liegen  die  Be- 
rührungspunkte der  Volkswirthschaft  mit 
der  Wissenschaft  und  namentlich  mit  den 
technischen  Wissenschaften.  Man  kann 
sagen,  dass  es  Gründe  der  Politik  waren, 
warum  man  die  Schienen  über  die  Höhen 
des  Semmering  führte,  da  vielleicht  eine 
Verbindung  im  Thale  billiger  herzustellen 
gewesen  wäre,  aber  die  österreichische 
Volkswirthschaft  weiss  den  Ingenieuren 
Dank,  die  hier  im  Beginn  des  Eisenbahn- 
baues Probleme  zur  Lösung  brachten,  die, 


wenn  sie  damals  ungelöst  geblieben, 
wahrscheinlich  Jahrzehnte  lang  ein  Hin- 
dernis für  die  industrielle  und  culturelle 
Entwicklung  gebildet  hätten. 

Die  EisenlDahn  allein  hat  uns  klar 
gemacht,  dass  wir  mit  unserem  Streben 
und  unserer  Arbeit  nicht  an  die  enge 
Scholle  gebunden  sind.  Die  Kräfte  der 
Menschen  müssen  sich  ergänzen,  und 
ebenso  wie  geographische  und  klimati- 
sche Verhältnisse  auf  dem  Erdballe  nicht 
die  gleichen  sind,  so  sind  auch  die  Ta- 
lente und  Kräfte  der  Menschen  nicht  immer 
dieselben.  Sie  ergänzen  sich,  schmiegen 
sich  den  vorhandenen  Grundlagen  an, 
und  wir  sehen  mit  grosser  Befriedigung 
an  manchem  Orte  die  nützliche  Ver- 
werthung  der  menschlichen  Kraft,  die  viel- 
leicht anderwärts  vollkommen  brach  lie- 
gen würde. 

Die  erhöhte  Concurrenz  aui  dem 
Arbeitsmarkte,  nicht  nur  auf  dem 
manuellen,  sondern  auf  dem  geistigen 
Arbeitsgebiete,  ist  ebenfalls  ein  Erfolg  der 
Eisenbahn,  sowie  diese  selbst  ihre  Entwick- 
lung dieser  Concurrenz  zuschreiben  darf, 
denn  nie  würden  die  grossen  und  mächtigen 
Eisenbahnen  des  Jahrhunderts  ohne  diese 
Concurrenz  zustande  gekommen  sein. 

An  der  Neige  des  Jahrhunderts  ange- 
langt, ziemt  es  sich  wohl  zu  untersuchen, 
welcher  Stand  den  eigentlich  grössten  Vor- 
theil  aus  den  Erfindungen  und  Fortschritten 
desselben  eroberte.  Nach  unserem  Dafür- 
halten ist  es  der  Arbeiterstand.  Seit 
der  französischen  Revolution  ist  der- 
selbe zum  Bewusstsein  seiner  Kraft  ge- 
langt, aber  diese  Errungenschaft  allein, 
wenn  sie  auch  für  die  politische  Stellung 
eine  sehr  werthvolle  war,  verschaffte  den 
arbeitenden  Ständen  noch  nicht  den  mate- 
riellen Erfolg.  Dieser  trat  erst  ein,  als 
die  wachsende  Industrie  zur  Herrschaft 
kam  und  trotz  der  Concurrenz,  welche  die 
Maschine  auf  der  einen  Seite  der  Hand- 
arbeit bot,  nahm  die  Industrie  doch  eine 
solche  Unmasse  von  Menschenkräften  in 
Anspruch,  dass  hierdurch  von  vornherein 
erhöhter  Verdienst  geboten  und  dem  Ar- 
beiterstand auch  gewährt  wurde. 

Im  Allgemeinen  haben  sich,  trotzdem 
ja  die  Eisenbahnen  ganz  wesentlich  dazu 
beitragen,  fremde  billige  Arbeitskräfte,  so 
namentlich    aus  Italien   auf  den  Arbeits- 


Unsere  Eisenbahnen  in  der  Volkswirthschaft. 


73 


markt  zu  bringen,  dennoch  die  Lohn- 
bedingungen der  arbeitenden  Bevölkerung 
im  ganzen  Reiche  wesentlich  verbessert. 

Es  ist  allerdings  richtig,  dass  auch 
die  Einkünfte  der  gelehrten  Stände,  des 
Militärs  u.  v.  a.  nicht  unwesentlich  gestie- 
gen sind,  dagegen  muss  darauf  hinge- 
wiesen w^erden,  dass  durch  die  Erhöhung  des 
Bildungsniveaus  überhaupt  die  Concurrenz 
in  den  gebildeten  Ständen  sich  geradezu 
ins  Unermessliche  gesteigert  hat.  Heute 
trachtet  fast  in  jeder  Familie,  auch  in 
der  ärmsten,  mindestens  ein  Mitglied 
höhere  Studien  durchzumachen,  um  eine 
höhere  sociale  Stellung  zu  erringen.  Was 
nützen  da  die  Gehaltserhöhungen,  wenn 
nur  ein  Bruchtheil  der  Befähigten  sie  zu 
erringen  vermag  und  Bewerber  jahrelang 
auf  eine  bezahlte  Stellung  warten  müssen. 

Der  fleissige  Arbeiter  allein,  und  nur 
von  einem  solchen  kann  die  Rede  sein, 
hat  von  den  grossen  friedlichen  Umwäl- 
zungen des  19.  Jahrhunderts  den  grössten 
Vortheil  gezogen  und  fragt  man,  wer 
ihm  dazu  verholfen,  so  waren  es  wieder 
die  Eisenbahnen,  denn  sie  ermöglichten 
den  Aufschwung  der  Industrie  und  Land- 
wirthschaft,  direct  aber  erhöhten  sie  eine 
gesunde  Freizügigkeit,  und  sie  sind  es, 
die  dem  Arbeiter  jeden  Augenblick  das 
Mittel  bieten,  den  Arbeitsmarkt  aufzu- 
suchen und  seine  Kraft  dort  zu  ver- 
werthen,  wo  es  ihm  am  lohnendsten  er- 
scheint. 


Schon  der  Umstand,  dass  in  Oester- 
reich  über  90^/^  der  fahrenden  Personen 
die  niedrigste  Wagenclasse  benützen,  und 
weil  man  annehmen  kann,  dass  der  über- 
wiegend grosse  Theil  dieser  Reisenden  aus 
Arbeitern  oder  wenigstens  im  weiteren 
Sinne  aus  den  dieser  Kategorie  angehören- 
den Personen  besteht,  beweist  in  welch  um- 
fassender Weise  die  Eisenbahn  von  der  är- 
meren Bevölkerung  in  Anspruch  genommen 
wird.  Es  wird  hierbei  von  grossem  Nutzen 
sein,  sich  die  bezügliche  Stellung  des  Fahr- 
preises durch  einige  aus  dem  Leben  ge- 
griffene Beispiele  zu  vergegenwärtigen.*) 

Dem  gemäss  möge  angenommen  wer- 
den, es  handle  sich  um  vier  Reisende 
von  verschiedenen  Lebensansprüchen  und 
verschiedenem  Einkommen,  die  eine  Reise 
von  Wien  nach  Prag  und  zurück  machen 
und  sich  drei  Tage  in  Prag  aufhalten. 
Der  eine  befinde  sich  in  beschränkten 
Verhältnissen  und  dürfe  nicht  mehr  als 
I  fl.,  der  andere  besser  gestellte  5  fl., 
der  dritte  in  guten  Verhältnissen  lebende 
10  fl.,  und  der  vierte  20  fl.  täglich  ausgeben. 

Es  ergibt  sich  dann  ungefähr  folgende 
Rechnung,  bei  welcher  die  Auslagen 
während  der  Fahrt  auf  dem  Hin-  und 
Rückwege  zusammen  mit  der  Hälfte 
der  angenommenen  Tagesausgabe  [beim 
vierten  Reisenden  jedoch  höchstens  mit 
5  fl.]  eingestellt  werden. 


♦)  Nach  Rank. 


Tabelle  L 


1 
Auslagen 

de 

s 

3 
en  in  fl. 

I. 

1 

2. 

Reisend 

4. 

1 

Ausgabe    bis    zum  Bahnhofe    in    Wien   [Ein- 
spänner, bezw.  Fiaker  für  zwei  Zonen]  .    . 
Fahrpreis  nach  Prag  mit  Personenzug  III.  Classe 
Auslagen  während  der  Fahrt  nach  Prag  und 
zurück 

I      3.50 
0.50 

350 

0.60 
350 

2.50 
0.60 

15- 
060 

3.50 
090 

0.80 
3-50 

5- 
0.60 

30- 
0.60 

3.50 
110 

0.80 
350 

5-— 
0.60 

60. 

0.60 

350 

I.IO 

* 
Fahrt  vom  Bahnhofe  in  Prag 

*      Ausgabe  während  des  dreitägigen  Aufenthaltes 

Fahrt  zum  Bahnhofe  in  Prag 

Fahrpreis  von  Prag  nach  Wien  wie  oben    .    . 

Fahrt  vom  Bahnhofe  in  Wien 

Summe  aller  Auslagen 

Davon  beträgt  der  Fahrpreis  in  Procenten .    . 

;     10.50 

67»/, 

27.20 
26% 

45.10 
16% 

7510 

9"/o 

74 


A.  Ritter  v.  Lindheim. 


Tabelle  II. 


beim  I,  Reisenden 

1 

Bei  einem  Aufenthalte 
von  3  Tagen  und  einem  Fahr- 
preise von 

Bei  einem  Aufenthalte 
von  8  Tagen  und  einem  Fahr- 
preise von 

3-5 
< 

56 

7—       14  — 

3.5 

5-6 

7  — 

I4--  1 

julden,  ergibt  der  Fahrpreis  einen  Procentsatz  der 

Gesammtausgabe  von 

50% 

627. 

677. 

807. 

1 
29%       40% 

457. 

577. 

>       2.             » 

15%    22% 

267. 

417. 

77. 

"7. 

137. 

24% 

»     3          » 

87. 

137. 

167. 

277. 

47. 

67. 

77. 

14./.  1 

>     4.          » 

57, 

87. 

97. 

177. 

27. 

37. 

47. 

87. 

Das  Verhältnis  zwischen  Fahrpreis  und 
Gesammtausgabe  schwankt  also  in  den 
vorgeführten  Fällen 

beim  i.  Reisenden  zwischen  29  und  80^0 
»2.  »  »  7    »    4I®/q 

»      3.  »  »  4    »     270/0 

»      4.  »  »  2    »     17% 

Der  Arbeiter  benützt  oft  auch  die  Eisen- 
bahn zu  den  ermässigsten  Bedingungen, 
wenn  er  täglich  zur  Arbeit  fährt,  wobei 
die  Nebenkosten  selbstverständlich  nicht 
in  Betracht  kommen,  hat  also  demnach 
verhältnismässig  den  grössten  Vortheil, 
ihm  ist  jedoch  die  Eisenbahnnur 
Zweck  für  Verbesserung  des  Be- 
rufes, selten  oder  fast  nie  Ver- 
gnügungszweck. 

Alles,  was  die  Eisenbahnen  gekostet 
haben  und  kosten,  im  Bau  sowie  zum 
grössten  Theile  im  Betriebe,  kommt  in 
erster  Linie  Millionen  Arbeitern  zugute, 
welche  jahraus  jahrein  darin  beschäftigt 
sind.  Berechnet  man  den  durch  die  Eisen- 
bahnen verursachten  grossen  Aufschwung 
der  Industrie,  so  kann  man  sagen,  dass 
der  Arbeiter  den  Löwenantheil 
an  den  wirthschaftlichen  Vortheilen  der 
Eisenbahn  erlangte.  Thatsächlich  ergaben 
die  eingehendsten  Untersuchungen  eine 
wesentliche  Verbesserung  der  Lage  des 
Arbeiterstandes.  Die  Arbeitszeit  des 
gewerblichen  Arbeiters  ging  von  12  auf 
höchstens  10  Stunden,  in  sehr  vielen 
Fällen  auf  8  Stunden  zurück ;  im  Durch- 


schnitte ist  der  Lohn  eines  männlichen 
Arbeiters  seit  25  Jahren  von  50  kr.  auf 
mindestens  i  fl.  gestiegen,  des  weiblichen 
von  30  auf  60  kr.  Das  sind  Minimal- 
sätze. Jedermann  weiss,  dass  die  Arbeiter 
in  grossen  Städten  über  i  fl.  50  kr.  per 
Tag  verdienen.  Bevorzugtere  auch  2  bis 
3  fl.  und  noch  mehr.  Nun  kommen  aber  im 
Durchschnitt  757o  ^^^  Bevölkerung  auf 
ein  Durchschnitts-Einkommen  bis  zu  600  fl., 
und  erwägt  man,  dass  mindestens  der- 
selbe Percentsatz  die  III.  Eisenbahnclasse 
benützt,  so  kann  man  wohl  behaupten, 
dass  diese  beiden  Zifl'em  sich  decken 
und  dass  drei  Viertheile  der  Vortheile 
der  Eisenbahnen  überhaupt  der  arbeiten- 
den Bevölkerung  zugute  kommen. 

Es  betragen  nach  langjährigen  Er- 
fahrungssätzen die  Ausgaben  für  Nah- 
rung, Kleidung,  Wohnung,  Feuer  und 
Licht  eines  Arbeiterhaushaltes  90^0  der 
Einnahmen  und  circa  80^0  bei  einer  wohl- 
habenden Familie.  Nahrung,  Kleidung, 
Wohnung,  Feuer  und  Licht  werden  aber 
im  Preise  von  der  Eisenbahn  ungemein 
beeinflusst.  Sie  hat  dazu  beigetragen, 
dass  ganze  Arbeiterviertel  in  der  Nähe 
grosser  Industrieen  angelegt  wurden,  weil 
der  Fabrikant  es  für  nothwendig  hielt,  sich 
gute  und  constante  Arbeitskräfte  zu  sichern. 
Die  Lebensbedingung  dieser  Niederlas- 
sungen ist  eine  gute  und  billige  Beför- 
derung und  ohne  diese  würden  sie  kaum 
entstanden   sein. 


Unsere  Eisenbahnen  in  der  Volkswirthschaft. 


75 


Die  billige  Versorgung  mit  Lebens- 
mitteln und  Bekleidungsstoffen,  ebenso  die 
Beschaffung  billiger  Kohle  und  Holzes  ist 
mit  dem  wohlfeilen  Transport  verknüpft  und 
so  sehen  wir,  dass  es  gerade  der  Arbeiter- 
stand ist,  der  fast  alle  seine  Bedürfnisse 
verwohlfeilt  sieht  durch  die  Eisenbahn. 
Wir  halten  es  für  werthvoll,  diese  Sätze 
hier  auszusprechen,  denn  die  Volkswirth- 
schaft ist  aufs  Engste  verknüpft  mit  einer 
gesunden  Socialpolitik,  und  bei 
einer  Schilderung  des  volkswirthschaft- 
lichen  Werthes  der  Eisenbahnen  durfte 
diese  Betrachtung  nicht  unterbleiben. 
Einerder  festesten  Pfeiler  unserer 
Wirthschaft  ist  ja  ein  be- 
friedigter Arbeiterstand. 

* 

Es  ist  unzweifelhaft,  dass  auch  die 
Zunahme  der  Bevölkerung  in  Oesterreich 
mit  der  Entwicklung  der  Eisenbahnen  in 
einem  gewissen  Zusammenhang  steht.  *) 
Oesterreich  hatte  im  Jahre  1818  i3,38o.cx)0 
Einwohner,  im  Jahre  1895  24,668.000  Ein- 
wohner. Während  im  Jahre  1818  45  Men- 
schen auf  I  \3km  kamen,  war  die  Be- 
völkerung im  Jahre  1890  auf  80,  mithin 
um  35  Einwohner  per  DA w  gestiegen. 

Aus  der  Berufsstatistik  geht  nun 
wieder  hervor,  dass  die  grosse  Zunahme 
der  Bevölkerung  aus  gewerblichen  und 
industriellen  Kreisen  bestand. 

Die  rasche  Vermehrung  der  Bevöl- 
kerung macht  sich  naturgemäss  durch  das 
Anwachsen  der  grossen  Städte  geltend  und 
es  lässt  sich  nicht  leugnen,  dass  hiezu  eben- 
falls die  Eisenbahnen  beigetragen  haben. 

Es  ist  natürlich,  dass  der  erleichterte 
Verkehr,  der  billigere  Fahrpreis,  die 
Sicherheit  des  Transportes  einen  Anreiz 
zum  Reisen  gaben.  Wie  viele  Menschen 
gab  es  früher  in  Oesterreich,  welche  die 
Stadt  Wien  nicht  einmal  kannten,  wie 
viele  Menschen  gab  es  in  Böhmen,  die 
niemals  in  Prag  waren,  wie  viele  Gebirgs- 
bewohner Tirols  werden  heute  noch  vor- 
handen sein,  welche  ihre  Hauptstadt 
Innsbruck  noch  niemals  mit  eigenem 
Auge  erblickt  haben? 


♦)  Vgl.  Bd.  II.  Dr.  Reichsfreiherr  zu 
Weichs-Glon,  »Einwirkung  der  Eisenbah- 
nen auf  Volksleben  und  culturelle  Entwick- 
lunge, S.  87  u.  ff. 


Der  Landbewohner  weiss,  dass  er  heute 
viele  Bedürfnisse  billiger  und  leichter  in 
der  Grossstadt  befriedigen  kann.  Tausende 
von  Menschen  finden  dort  leichteren  und 
besseren  Verdienst,  die  wachsende  Menge 
der  Zuströmenden  erzeugt  neue  Bedürf- 
nisse, die  Grossstadt  wirkt  wie  ein  Magnet, 
und  zieht  immer  weitere  und  weitere 
Kreise  an  sich. 

Prof.  Dr,  Mischler  in  Prag  hat  sich 
viel  mit  dieser  Frage  beschäftigt  und  in 
einer  Studie  über  die  Entstehung  von 
Reichthümem  ist  er  zu  der  Schlussfolge- 
rung gelangt,  dass  die  rapide  Ver- 
grösserung  der  Grossstädte  wesentlich  zur 
Erhöhung  des  Volksreichthums  bei- 
trägt. 

Die  Beispiele  in  Oesterreich  sind 
vielleicht  nicht  gar  so  flagrant,  wie  in 
Amerika,  wo  in  wenigen  Jahren  Millionen- 
städte aus  einfachen  Dörfern  entstanden 
sind  und  zwölfstockhohe  Häuser  aus  dem 
Boden  wuchsen,  aber  die  Entstehung  von 
Reichthümern  durch  das  Anwachsen  der 
Städte  ist  doch  auch  in  Oesterreich  keine 
Seltenheit,  und  derselbe  Gelehrte  hat  dies 
in  einer  sehr  lehrreichen  Studie  über  das 
Anwachsen  der  Stadt  Prag  bewiesen.  So 
hat  sich  daselbst  die  Bevölkerung  der  Vor- 
städte seit  1850  von  6000  auf  ungefähr 
126.000,  jene  der  umliegenden  Dörfer  in 
circa  40  Jahren  um  170.000  Menschen  ver- 
mehrt. 

Es  betrug  die   Anzahl  der  Häuser  in 

1848  1857  1869  1880  1890 

Karolinenthal    174    218    249    310    381 
Smichow  .     .  200    237    302     503    697 


Kgl.  Weinberge 
Zizkow 


69     105 


77 
137 


343 
377 


716 

728 


Zusammen     .443     560     76515332522 

Die  Vermehrung  der  Häuser  seit  1848 
[von  443  auf  2522  und  in  der  Zeit  vom 
Jahre  1869  bis  1890,  also  in  21  Jahren 
auf  das  Dreifache  und  seit  50  Jahren 
auf  das  Sechsfache]  ist  eine  enorme  und 
es  erscheint  naturgemäss,  dass  die 
Werthsteigerung  von  Grund  und  Boden, 
sowie  die  Schaffung  der  neuen  Werthe 
in  den  Häusern  selbst  den  Volksreich- 
thum  auf  eine  ganz  aussergewöhnliche 
Weise  erhöhen  müssen.  Das  Stichjahr 
1850  ist  ausdrücklich  angeführt,  weil  es 
mit    dem  Ausbau    der  Eisenbahn  [Prag- 


L 


H 


76 


A.  Ritter  v.  Lindheim. 


Dresden]  zusammenhängt,  gerade  wie  das 
Jahr  1869  mit  einer  zweiten  sehr  wich- 
tigen Aufschwungsepoche  der  Eisenbah- 
nen in  Oesterreich  in  Zusammenhang  zu 
bringen  ist. 

Sowie  dies  Beispiel  von  Prag  sehr 
lehrreich  ist,  so  Hessen  sich  unsere  Grund- 
sätze auch  auf  Lemberg  und  Graz  und 
namentlich  auf  Wien  anwenden.  Aber 
wir  haben  die  Residenz  absichtlich  nicht 
als  Beispiel  angeführt  und  führen  auch 
London  und  Paris  sowie  Berlin  absicht- 
lich nicht  an,  weil  die  Entwicklung  einer 
Reichshauptstadt  auch  noch  von  ganz 
anderen  Factoren  abhängt,  die  fem  ab- 
liegen von  dem  Thema,  welches  wir 
behandeln.  Lehrreicher  ist  in  dieser 
Richtung  hin  die  Entwicklung  jener 
Städte  Deutschlands,  welche,  wie  Hanno- 
ver, Kassel,  Frankfurt  a.  M.,  Hauptstädte 
und  Sitze  einer  Centralregierung  waren, 
während  sie  seit  dem  Jahre  1871  in 
Bezug  auf  ihre  Ausdehnung  und  Macht- 
stellung lediglich  auf  die  natürliche  Ent- 
wicklung des  Verkehres  angewiesen  waren. 
Heute  sind  z.  B.  Hannover  und  Kassel 
aus  Residenzen  grosse  Industriecentren 
geworden,  ihre  Einwohnerzahl  sowie  die 
Zahl  ihrer  Häuser  und  der  Werth  von 
Grund  und  Boden  sind  oft  auf  das  Dop- 
pelte gestiegen  und  niemand  wird  leugnen 
können,  dass  die  Eisenbahnen  diesen 
Zuwachs  und  diese  Wohlhabenheit  ver- 
mittelt haben. 

In  Oesterreich  selbst  finden  wir  zahl- 
reiche Orte,  die  erst  durch  die  Eisenbahn 
eine  Bedeutung  erlangt  haben.  Was  ist 
aus  den  früher  kaum  gekannten  Ortschaf- 
ten Gänsemdorf,  Lundenburg,  Prerau, 
was  ist  aus  Floridsdorf,  Ostrau,  Oderberg 
durch  die  Nordbahn  geworden?  Und  so 
lassen  sich  an  jeder  Bahnstrecke  Orte 
aufweisen,  die  ihre  Entwicklung  fast  aus- 
schliesslich dem  Schienenweg  zu  danken 
haben,  an  den  sie  geknüpft  wurden. 

Es  lässt  sich  nun  allerdings  darüber 
streiten,  ob  das  rasche  Anw-achsen  der 
grossen  Städte  auch  ein  volkswirth- 
schaftli  eher  Vortheil  ist.  Wo  grosser 
Reichthum  vorhanden  ist,  tritt  die  dicht 
daneben  wohnende  Armuth  besonders  er- 
schreckend hervor,  das  Verbrechen,  der 
Leichtsinn  folgen  immer  der  grossen  An- 
sammlung der  Menschen  und  wo  solche 


auf  einem  Punkte  stattfinden,  macht  sich 
oft  eine  schädliche  Leere  an  anderen 
Punkten  des  Reiches  geltend. 

Indessen  besitzen  die  Eisenbahnen 
die  gute  Eigenschaft,  wie  sie  auch  die 
Presse  besitzt,  sie  heilen  die  Wunden, 
welche  sie  schlagen,  und  so  führt  die- 
selbe Eisenbahn,  welche  vom  flachen 
Lande  zur  Hauptstadt  geht,  auch  wie- 
der bis  in  die  fernsten  Schluchten  der 
Gebirge,  sie  vertheilt  sich  in  alle  Ge- 
genden der  Monarchie  und  es  gibt  in 
ganz  Oesterreich  nur  wenige  Ortschaften, 
die  seit  50  Jahren  nicht  ebenfalls  we- 
sentlich in  ihrer  Bevölkerungszahl  zu- 
nommen  haben,  vielleicht  keinen  Ort, 
wo  nicht  der  Werth  von  Grund  und 
Boden  um  mindestens  25  Percent  ge- 
stiegen ist.  Zahllose  Industrieen,  denen 
die  Arbeitskraft  in  den  Hauptstädten  zu 
theuer  ist,  wandern  von  dort  aus  in  die 
Provinzen  und  Städte,  wie  Reichen- 
berg, Gablonz,  Bielitz,  Jägern- 
dorf, Lundenburg,  St.  Polten; 
Industrieplätze,  wie  Berndorf,  Kladno, 
Warnsdorf,  Witkowitz  beweisen, 
dass  es  hier  wiederum  die  Eisenbahnen 
sind,  welche  allein  es  ermöglicht  haben, 
dass  der  Wohlstand  nicht  allein  in  den 
grossen  Städten  der  Monarchie,  sondern 
auch  an  den  entferntesten  Orten  seinen 
Sitz  aufschlägt  und  dass  überall  die  Eisen- 
bahnen es  gewesen  sind,  die  in  dieser 
Richtung  hin  der  Volkswirthschaft  des 
gesammten  Landes  hervorragende  Dienste 
geleistet  haben. 

Man  muss  eben,  will  man  die  Frage 
der  Volks  wirthschaftlichen  Bedeutung 
unserer  Bahnen  richtig  beurtheilen,  die- 
selbe von  einem  höheren  und  allgemeinen 
Standpunkte  beurtheilen,  und  man  wird 
dann  zur  Ueberzeugung  kommen,  dass 
die  Eisenbahnen  in  erster  Linie  es  waren, 
welche  es  ermöglichten,  dass  die  Schätze 
unserer  Erde  den  ^Menschen  in  höherem 
Grade  und  in  gleichmässiger  Weise  zutheil 
werden.  Sie  haben  es  mitbewirkt,  dass  das 
Nationalvermögen  ein  grösseres  gewor- 
den ist,  dass  auch  der  Minderbemittelte 
in  der  Lage  ist,  sich  ein  besseres  und 
menschenwürdiges  Dasein  zu  schaifen 
und  dass  trotz  aller  Klagen  Handel  und 
Verkehr  miteinander  wetteifern,  die  schrof- 
fen    Abstände    zu    verkleinem,     welche 


Unsere  Eisenbahnen  in  der  Volkswirthschaft. 


77 


noch  vor  50  Jahren  nicht  nur  in  geistiger, 
sondern  auch  in  materieller  Richtung 
die  Schichten  der  österreichischen  Ge- 
sellschaft von  einander  trennten. 


Ein  schwerer  Vorwurf  aber  wird  stets 
den  Eisenbahnen  gemacht.  Die  auf  den- 
selben vorkommenden  Unfälle  werden  in 
der  schärfsten  Weise  kritisirt  und  be- 
sprochen und  daran  wird  häufig  die  Be- 
hauptung geknüpft,  die  Gefahr  des  Rei- 
sens  sei  durch  den  Eisenbahnverkehr 
überhaupt  wesentlich  vergrössert  worden, 
und  noch  immer  herrscht  in  gewissen 
Bevölkerungskreisen  eine  gewisse  Abnei- 
gung gegen  die  Benützung  der  Eisen- 
bahn. Der  erwähnte  Vorwurf  ist  gewiss 
nach  allen  Richtungen  hin  unbegründet, 
denn  die  Zunahme  des  Personentranspor- 
tes ist  ja  eine  so  riesige,  dass  diese 
Behauptung  sich  von  selbst  widerlegt. 
Wenn  einzelne  Personen,  man  nennt  z.  B. 
den  berühmten  Componisten  Rossi,  eine 
solche  Abneigung  empfanden,  so  bilden 
sie  eben  Ausnahmen  und  Sonderlinge 
gibt  es  ja  überall. 

Dass  Unfälle  auf  Eisenbahnen  lebhafter 
besprochen  werden  wie  andere  Unfälle, 
namentlich  solche,  die  mit  anderenVehikeln 
sich  ereignen,  ist  ja  selbstverständlich. 
Es  ist  gewöhnlich  die  Grösse  des  Un- 
glücks und  des  durch  letzteres  erzeugten 
Jammers,  was  in  der  ganzen  Welt  Auf- 
sehen erregt.  Ein  noch  so  bedeutender 
Unfall  erregt  nicht  viel  Furcht,  wenn 
kein  Menschenleben  zu  beklagen  ist,  wenn 
aber  bei  einem  Eisenbahnunglück  Hun- 
derte Menschenleben  zu  Grunde  gehen, 
so  erregt  es  auf  der  ganzen  Welt  eben- 
soviel Furcht  und  Mitleid  wie  der  Ring- 
theaterbrand in  Wien  oder  die  vorjährige 
Brandkatastrophe  in  Paris.  Ueberdies 
sind  die  Eisenbahnen  weit  mehr  wie 
andere  Verkehrsmittel  unter  die  öffent- 
liche Con trolle  gestellt,  eigene  Behörden 
nach  eigenen  Gesetzen  üben  ihre  Ueber- 
wachung  und  wenn  ein  Unglück  auf  einer 
Eisenbahn  sich  ereignet,  so  spricht  davon 
nicht  nur  der  Ort,  welcher  der  Schau- 
platz dieses  Unglückes  war,  sondern  alle 
Orte  an  der  grossen  Verkehrslinie,  mit 
welcher  dieser  Ort  in  Verbindung  steht. 
Die   Presse    thut    ein    Uebriges    und    so 


kommt  es,  dass  über  ein  Eisenbahnunglück 
naturgemäss  viel  mehr  gesprochen  wird, 
als  über  jeden  anderen  Unfall. 

Wir  entsetzen  uns  mit  Recht,  wenn 
solche  Unfälle  in  ziemlich  rascher  Auf- 
einanderfolge vorkommen  und  vergessen 
doch,  dass  alle  diese  Unfälle,  so  traurig 
sie  auch  sind,  im  Percentual Verhältnis  zu 
dem  enorm  gesteigerten  Eisenbahnverkehr 
eigentlich  doch  minimal  sind. 

Für  die  Zeit,  welche  vor  den  Eisen- 
bahnen liegt,  sind  wir  bezüglich  der 
Statistik,  betreffend  Unfälle  auf  Strassen 
und  Wegen,  auf  sehr  unsichere  Daten 
angewiesen.  Chroniken,  Polizeiregister, 
alte  Postbücher  sind  so  ziemlich  die 
einzigen  Quellen,  die  uns  zu  Gebote 
stehen,  doch  sind  auch  diese  schon  ge- 
nügend, um  mit  Sicherheit  zu  erkennen, 
dass  die  Unglücksfälle  der  Reisenden 
in  früheren  Jahrhunderten  wesentlich  zahl- 
reicher waren,  als  auf  unseren  Eisen- 
bahnen. Nach  den  Angaben  der  k.  k. 
statistischen  Central-Gommission  betrug 
im  Jahre  1895  die  Zahl  der  Bahnun- 
fälle 1578.  Es  wurden  I3  Reisende 
getödtet  und  177  verletzt.  Dagegen  wur- 
den im  gleichen  Zeiträume  80  Bahn- 
bedienstete getödtet  und  1 104  verletzt.  Auf 
»dritte  Personen«  entfallen  70  Todesfälle 
und  134  Verletzungen.  Auf  1  Million 
Reisende  entfallen  im  Ganzen  179  Ver- 
letzungen. Zieht  man  dagegen  jene  Un- 
glücksfälle in  Beträcht,  welche  im  Rayon 
der  Stadt  Wien  während  der  Jahre 
1891  — 1895  durch  Fuhrwerke  verschuldet 
wurden,  so  erfahren  wir,  dass  im  Jahre 
1891:  1427,  1892:  1617,  1893:  1743, 
1894:  1769,  1895:  2467  Unfälle  con- 
statirt  wurden,  wovon  circa  200 — 250 
schwere  oder  tödtliche  Verwundungen 
betrafen.  Es  wurden  mithin  in  Wien 
allein  eine  erheblich  grössere  Anzahl 
Personen  durch  gewöhnliche  Fuhrwerke 
getödtet  oder  tödtlich  verletzt,  als  in  der 
österreichischen  Monarchie  durch  die 
Eisenbahnen.  Eine  Thatsache,  die  sicher 
eine   hohe  Beachtung  verdient. 

Wenn  man  nun  erwägt,  dass  die 
Sicherheit  des  Reisens  ebenfalls  einen 
günstigen  Einfluss  auf  die  Entwicklung 
der  volkswirthschaftlichen  Verhältnisse 
eines  Landes  ausübt,  und  feststellt,  dass 
die  Eisenbahnen    das    Reisen    nicht   nur 


78 


A.  Ritter  v.  Lindheim. 


nicht  unsicher,  sondern  im  Gegentheil 
bedeutend  sicherer  gemacht  haben,  so 
wird  man  auch  in  dieser  Richtung  hin 
den  volkswirtschaftlichen  Werth  unserer 
Eisenbahnen  höher  anzuschlagen  haben, 
umso  mehr  als  die  Unfallsstatistik  für 
unsere  Eisenbahnen  im  Vergleich  zu 
anderen  Ländern  eine  günstige  Ver- 
hältnisziifer  nachweist. 


Es  wird  auch  sehr  oft  behauptet, 
dass  die  Eisenbahnen,  weil  sie  sich  mit 
ganzer  Kraft  in  den  Dienst  der  Kriegs- 
verwaltung stellen,  und  durch  diese  Mit- 
hilfe die  Kriegsführung  erleichtem,  Zu- 
stände unterstützen,  welche  die  volks- 
wirthschaftliche  Entwicklung  eines  Landes 
nicht  fördern,  sondern  stören. 

Es  ist  selbstverständlich,  dass  die 
Eisenbahnen  als  die  wichtigsten  Verkehrs- 
factoren sich  nicht  ausschliessen  können, 
in  den  Dienst  zu  treten,  wenn  es  sich 
darum  handelt,  die  Interessen  des  Vater- 
landes zu  vertheidigen.  Was  war  aber 
nach  den  bisherigen  Erfahrungen  der 
Erfolg  dieser  Dienstleistung? 

Die  Eisenbahnen  ermöglichten,  grosse 
Truppenkörper  in  rascher  Zeit  auf  weite 
Entfernung  zu  befördern,  sie  kürzten  so 
die  Beschwerden  der  Kriegführenden 
wesentlich  ab,  sie  erleichterten  und  ver- 
besserten die  Verproviantirung,  sie  ge- 
statteten, die  Verwundeten  rasch  in  gute 
Spitalspflege  zu  bringen  und  sie  stellten 
sich  mit  allen  Mitteln  und  Kräften  in  den 
Dienst  der  Humanität.  Der  Hauptvortheil 
aber,  den  sie  gewährten,  war  die  grosse 
Abkürzung  des  modernen  Krieges.*) 

Wir  brauchen  nur  auf  die  Geschichte 
des  30jährigen  und  des  7jährigen  Krie- 
ges hinzuweisen,  ja  wir  dürfen  nur  an  die 
Freiheitskriege  vom  Jahre  18 13  bis  181 5 
erinnern,  um  die  Leiden  zu  vergegen- 
wärtigen, durch  welche  damals  ein  Krieg 
die  Wirthschaft  eines  Landes  auf  viele 
Jahrzehnte  hinaus  vernichtete,  während 
unsere  modernen  Kriege  wohl  grosse 
Opfer   an    Menschen   und   Geld   fordern, 

*)  Vgl.  hierüber  Band  II,  »Unsere  Eisen- 
bahnen im  Kriege«,  sowie  Dr.  Reichsfreiherr 
zu  Weichs-Glon  »Einwirkung  der  Eisen- 
bahnen auf  Volksleben  und  cult.  Entwick- 
lung.« S.  92. 


aber  doch  noch  lange  nicht  so  grosse 
Verheerungen  anrichten  wie  die  früheren 
Jahre  lang  dauernden  Kriege.  In  dieser 
Richtung  hat  namentlich  der  Krieg  des 
Jahres  1 870  ein  denkwürdiges  Beispiel  ge- 
zeitigt, denn  in  drei  Tagen  war  die  Mobil- 
machung der  gesammten  deutschen  Armee 
vollendet  und  wenige  Tage  nach  der  Kriegs- 
erklärung fanden  die  ersten  Gefechte  an  der 
französischen  Grenze  statt.  An  denselben 
waren  nicht  nur  Truppen  aus  den  Rhein- 
provinzen, sondern  aus  den  entferntesten 
Provinzen  Preussens  betheiligt,  während 
noch  im  Krimkriege  die  russische  Armee 
viele  Monate  lang  zu  ihrer  Aufstellung 
brauchte  und  die  Entwicklung  der  krieg- 
führenden Theile  eine  ausserordentlich 
grosse  Zeit  beanspruchte,  ehe  der  erste 
Schuss  fiel.  Wer  denkt  nicht  an  den 
napoleonischen  Feldzug  im  Jahre  181 2 
in  Russland,  an  alle  die  Grausamkeiten 
und  Unbilden  des  Klimas,  der  elenden 
Verproviantirung,  der  mangelhaften  Be- 
quartirung,  ja  wer  erinnert  sich  nicht 
an  die  unsäglichen  Strapazen,  denen  selbst 
unsere  Truppen  in  der  letzten  Hälfte  dieses 
Jahrhunderts  während  des  Krimkrieges 
und  während  der  italienischen  und  unga- 
rischen Feldzüge  ausgesetzt  waren? 

Die  Eisenbahnen  haben  auch  hier  der 
Volkswirthschaft  wesentliche  Dienste  ge- 
leistet: sie  kürzen  die  Kriege  ab,  sie 
schaffen  rasch  wieder  geordnete  Zu- 
stände, in  denen  Handel  und  Industrie 
neu  aufblühen  können,  sie  schonen  und  er- 
halten durch  bessere  Versorgung  das 
Menschenmaterial,  sie  üben  heilsamen 
Einfiuss  durch  rasche  Dislocation  auf  die 
Gesundheit  der  Truppenkörper  und  so 
kommt  es,  dass  durch  die  Eisen- 
bahnen selbst  eines  der  grössten 
Uebel  aller  Zeiten  gemildert 
wird  —  der  Krieg. 


In  dem  Augenblicke,  wo  diese  Blätter 
unter  die  Presse  gehen  sollen,  sind  wir  noch 
in  die  glückliche  Lage  versetzt,  die  officielle 
Statistik  des  Eisenbahn-Ministeriums  bis 
zum  Schlüsse  des  Jahres  1896  benützen 
zu  können  und  nach  diesen  Daten  das  Bild 
zu  ergänzen,  welches  die  Bedeutung 
unserer  Eisenbahnen  in  volkswirthschaft- 
licher  Beziehung  darlegen   soll. 


Unsere  Eisenbahnen  in  der  Volks wirthschaft. 


79 


Das  dem  öffentlichen  Verkehre  die- 
nende Netz  sämmtlicher  auf  österreichi- 
schem Staatsgebiete  befindlichen  mit 
Dampf  und  sonstigen  mechanischen 
Motoren  betriebenen  Eisenbahnen  hatte 
am  31.  December  1896  eine  Länge 
von  x6,805'576  km  erreicht.  Hieven 
standen  9,024*475  km  oder  5377o  ^^ 
Betriebe  der  k.  k.  Staatseisenbahn- Ver- 
waltung. 

Das  für  sämmtliche  k.  k.  Staatsbahnen 
und  für  die  vom  Staate  für  eigene  Rech- 
nung betriebenen  Privatbahnen  bis  Ende 
1896  aufgebrachte  Anlage  -  Capital  be- 
zifferte sich  mit  1.163,890.600  fl.  Das 
Anlage-Capital  der  Bahnen  im  Privatbe- 
triebe [einschliesslich  der  vom  Staate  auf 
Rechnung  der  Eigenthümer  betriebenen 
Localbahnen]  beträgt  1.616,611.297  fl. 

Was  den  Eisenbahnverkehr  betrifft, 
so  betrug  die  Anzahl  der  im  Gegenstands- 
jahre auf  sämmtlichen  Eisenbahnen  be- 
förderten Personen  105 '2  Millionen,  wo- 
von 43*1  Millionen  auf  die  Eisenbahnen  im 
Staatsbetriebe  und  62*1  Millionen  auf  die- 
jenigen im  Privatbetriebe  entfallen.  Auf 
den  Kilometer  Betriebslänge  berechnet, 
stellt  sich  die  durchschnittliche  Anzahl 
der  beförderten  Personen  auf  6425.  Von 
der  Gesammtzahl  der  beförderten  Per- 
sonen entfallen  auf  die  erste  Glasse  i'O^^ Iq 

»  »  zweite  »  7'92®/o 
*  »  dritte  »  88-05^/0 
und  auf  die  vierte  Glasse  [nur  bestehend 
bei  der  Eisenbahn  Lemberg-Belzec  und 
der  Kaschau  -  Oderberger  Bahn]  0*22^/0 
und  auf  Militärpersonen  2*78%. 

Die  Beförderungsstrecke  für  eine  Per- 
son, d.  i.  die  auf  jede  Fahrkarte  durch- 
schnittlich entfallende  Wegstrecke,  betrug 
bfei  den  Eisenbahnen  im  Staatsbetriebe 
40*83  km^  bei  den  Bahnen  im  Privatbe- 
triebe 35  km  und  für  alle  Eisenbahnen  im 
Durchschnitte  37*39  ^w.  Auf  sämmtlichen 
Eisenbahnen  wurden  rund  100  Millionen 
Tonnen  befördert.  An  dieser  Menge 
waren  die  im  Staatsbetriebe  befindlichen 
Bahnen  mit  32*3  Millionen  Tonnen  und 
die  Privatbahnen  mit  67*7  Millionen 
Tonnen  betheiligt. 

An  der  Gesammtm enge  der  auf  sämmt- 
lichen Eisenbahnen  beförderten  Verkehrs- 
gegenstände participiren :  Kohlen  mit 
43*6%,  Steine,  Erden,  Kalk  etc.  mit  8^0, 


Bau-  und  Nutzholz  mit  T^^Jq^  Getreide 
mit  6%,  Rüben  mit  3'97o>  Eisen  und 
Eisenwaaren  mit  3*8%,  Erze  und  Mine- 
ralien mit  2"J^Iq.  Der  Antheil  der  grössten 
Privatbahnen  an  der  Güterbeförderung 
sämmtlicher  Eisenbahnen  stellt  sich,  wie 
folgt: 

Kaiser  Ferdinands-Nordbahn  .     . 
Oesterr.  -  ungar.  Staatseisenbahn- 
Gesellschaft   .     . 
Aussig-Teplitzer  Bahn    . 
Oesterr.  Nordwestbahn  . 
Südbahn       .     .     .     ,     . 
Buschtöhrader  Eisenbahn 


i4-i7e 


10 


% 


9'n 


7-5% 
6-87o 
6-6% 


Die  Gesammtausgaben  der  Eisenbah- 
nen betrugen  153*9  Millionen  fl.  [hievon 
entfielen  68*4  Millionen  auf  die  Bahnen 
im  Staatsbetriebe].  Der  Betriebs  -  Goeffi- 
cient  für  jede  einzelne  Bahn,  d.  i.  das 
percentuelle  Verhältnis  der  eigentlichen 
Betriebsausgaben  zu  den  Betriebsein- 
nahmen, stellt  sich  für  die  wichtigsten 
Eisenbahnen,  wie  folgt: 

Aussig-Teplitzer  Eisenbahn     .     .  34*3®/o 

Böhm.  Nordbahn 39' i% 

Buschtöhrader  Eisenbahn    .     .     .  32*0% 

Kaiser   Ferdinands  -  Nordbahn 

[Hauptbahnen] 44*47o 

Kaschau  -  Oderberger    Eisenbahn 

[österr.  Linien] 40'97o 

Oesterr.  Nordwestbahn  [Ergän- 
zungsnetz]       41*8^/0 

Oesterr.  Nordwestbahn  [garantirte 

Linien] 45'^^io 

Oesterr.- Ungar.  Staatseisenbahn- 
Gesellschaft    41 '9% 

Südbahn  [österr.  Linien]     .     .     .  41 '8^0 

Südnorddeutsche       Verbindungs  - 

bahn 62*9% 

K.  k.  Staatsbahnen  und  vom  Staate 
auf  eigene  Rechnung  betrie- 
bene fremde  Hauptbahnen    .   57*8% 

Die  Anzahl  der  bei  sämmtlichen  Eisen- 
bahnen Angestellten  [Beamten,  Unter- 
beamten, Diener,  weiblichen  Bediensteten] 
betrug  73.394;  Arbeiter  im  Taglohne 
waren  im  Jahresdurchschnitte  82.718  be- 
schäftigt. Die  für  das  Personal  ausbe- 
zahlten Besoldungen,  Löhne  und  sonstigen 
Bezüge  beliefen  sich  auf  837  Millionen  fl. 

An  Wohlfahrtseinrichtungen  für  das 
Personal  bestanden  je  23  Pensions-  und 


8o 


A.  Ritter  v.  Lindheim. 


Krankencassen,  sowie  ausserdem  35  son- 
stige Humanitätscassen ,  welche  einen 
Vermögensstand  von  57*3  Millionen  fl. 
aufweisen. 

Der  verfügbare  Jahresertrag  sämmt- 
licher  österreichischer  Eisenbahnen  wird 
pro  1895  in  Aufstellungen  der  k.  k. 
statistischen  Centralcommission  mit  mehr 
als  134*3  Millionen  fl,  angegeben. 


* 


Gross,  fast  überwältigend  sind  die 
vorangeführten  Ziff'em ;  sie  geben  ein  Bild 
von  der  Machtstellung,  welche  das  Eisen- 
bahnwesen in  Oesterreich  errungen,  und 
welchen  massgebenden  Einfluss  das- 
selbe auf  unser  gesammtes  Culturleben 
hat  nehmen  müssen.  Und  da  die  eigent- 
liche Entwicklung  des  österreichischen 
Eisenbahnwesens  in  die  Regierungs- 
periode  unseres  geliebten  Monarchen 
fällt,  so  kann  man  mit  Recht  behaup- 
ten, dass  unter  dem  Walten  seiner  ge- 
segneten Regierung,  und  von  derselben 
nach  allen  Richtungen  hin  gefördert  und 
gehoben,  die  Eisenbahnen  Ocster- 
reichs  aus  den  kleinsten  Anfän- 
gen sich  in  diesen  50  Jahren  zu 
einem  mächtigen  Factor  nicht 
nur  in  der  Cultur  des  Reiches, 
sondern  auch  in  der  Wirthschaft 
des  Staates  und  des  Volkes  heran- 
bildeten. Namentlich  war  die  Einfluss- 
nah me  auf  die  Volks  wirthschaft  eine  un- 
gemein grosse,  und  bis  in  den  intimsten 
Kreis  der  Familie  hat  der  Eisenbahnver- 
kehr seine  Wirkungen  erstreckt,  die  Er- 
haltung: der  Familie  erleichtert  und  ver- 
bessert,  in  den  Haushalt  der  Gemeinde 
eingegriffen  und  sie  zu  höheren  Aufgaben 
befähigt,  das  Vermögen  des  Volkes  ver- 
grössert  und  gehoben,  verborgene  Schätze 
an  das  Licht  des  Tages  gebracht  und  ver- 
werthet,  die  vorhandenen  Kräfte  gesam- 
melt und  vermehrt,  das  Volk  zum  Wett- 
bewerb mit  anderen  Nationen  befähigt. 
Ein  Werk  unserer  Eisenbahnen  ist  es, 
wenn  Oesterreich  aus  einem  Agricultur- 
staat  ein  mächtiger  Industriestaat  wurde, 
wenn  Jahrhunderte  lang  nutzlos  vorhan- 
dene Urproducte  lohnend  verwerthet, 
Arbeitskräfte  billig  befördert  werden 
konnten. 


Aber  auch  der  Ackerbau  hatte  keines- 
wegs auf  die  Hilfe  der  Eisenbahnen  zu 
verzichten;  ihr  Ausbau  und  ihre  Ver- 
dichtung ist  der  sehnlichste  Wunsch 
der  ackerbautreibenden  Bevölkerung  im 
schweren  Concurrenzkampf.  Im  Gefolge  der 
Eisenbahnen  entstanden  die  mächtigsten 
Bauwerke.  Mit  Hilfe  der  Eisenbahnen 
entwickeln  sich  die  Centren  der  Monar- 
chie, werden  die  Häfen  des  Reiches  dem 
Verkehr  dienstbar  gemacht. 

Am  Schlüsse  unserer  Arbeit  angelangt, 
wollen  wir  die  besonders  hervortretenden 
Wirkungen  des  österreichischen  Eisen- 
bahnwesens auf  dem  Gebiete  der  Volks- 
wirthschaft  nunmehr  im  Folgenden  noch 
kurz  zusammenfassen: 

Oesterreich  ist  durch  seine  Eisen- 
bahnen aus  einem  ackerbautreibenden 
Staate  ein  Industrie- Staat  geworden ;  sie 
haben  Handel  und  Gewerbe  der  Mon- 
archie  in   günstigster   Weise  beeinflusst 

Die  Eisenbahnen  blieben  trotzdem 
eines  der  wichtigsten  Förderungsmittel 
der  österreichischen  Agri cultur,  welche 
nur  dann  der  überwältigenden  Concurrenz 
des  Auslandes  wird  Stand  halten  können, 
wenn  das  Tarif wesen  sich  den  vorhandenen 
Bedürfnissen  anpasst,  und  wenn  das  vor- 
handene Netz  insbesondere  durch  Klein- 
bahnen noch  weiter  ergänzt  und  ver- 
dichtet wird. 

Indem  die  Eisenbahnen  auf  die  erhöhte 
Inanspruchnahme  eines  hochwichtigen 
Naturproductes,  des  »Holzes«,  ein- 
wirkten, haben  sie  die  österreichische 
Forstwirthschaft  zu  höherer  wirth- 
schaftlicher  Bedeutung  gebracht. 

Oesterreichs  Montanwesen  dankt 
den  Eisenbahnen  einen  mächtigen  Auf- 
schwung. Unsere  Eisenbahnen  verbanden 
sich  rechtzeitig  mit  der  Kohlen -Industrie, 
wodurch  es  ermöglicht  wurde,  für  die  in- 
dustrielle Production  in  Oesterreich  Be- 
triebsstätten dort  anzulegen  wo  alle 
Vorbedingungen  für  das  Gedeihen  einer 
Industrie  vorhanden  waren;  sie  ermög- 
lichten es  der  für  Oesterreich  so  wichtigen 
Eisen-  Industrie,  unsere  vortreff'lichen 
qualitativ  fast  unerreichbaren  Eisenerze 
bei  billigem  Brennmateriale  lohnend  zu 
verhütten,  andererseits  grosse  Massen 
minderwerthiger,    aber    sehr    leicht    ge- 


1  der  Volkswirthschaft. 


winnbarer  Eisenerze  nutzbringend  zu  ver- 
werthen. 

Der  Aufschwung  unserer  Zucker- 
Industrie  und  der  dadurch  erwachsene 
un gemessene  Vortheil  insbesondere  für 
die  schlesische,  böhmische  und  mährische 
Agricultur  ist  zum  grössten  Theile  ein 
Erfolg  der  österreichischen  Eisenbahnen. 

Unsere  Eisenbahnen  gewähren  insbe- 
sondere der  Mahl-  und  Brauindustrie 
wesentliche  Vortheile;  in  Bezug  auf  die 
letztere  dienten  sie  den  Ruf  des  Öster- 
reichischen Bieres  im  Auslande  dauernd 
zu  begründen. 

Sie  haben  zur  Ausbildung  der  Inge- 
nieurlcunst  mächtig  beigetragen  und 
den  Ruhm  österreichischer  Techniker 
begründet,  üie  Entwicklung  der  öster- 
reichischen Eisenbahnen  stand  und  steht 
noch  immer  in  einem  unmittelbaren  Zu-  j 
sammenhange  mit  der  epochalen  An- 
wendung der  Elektricität.  | 

Die      österreichischen       Eisenbahnen 
unterstützten  in  wohlthuender  Weise  die  ! 
Principien  der  Freizügigkeit,  ohne  dabei  , 


dem  AnhänglichkettsgefOhle  an  die  vater- 
ländische Scholle  Eintrag  zu  thun. 

Die  angemessene  Inanspruchnahme 
der  menschlichen  Kraft  und  Geschicklich- 
keit bei  gleichmässiger  Erweiterung  des 
Arbeitsmarktes  ermöglichte  es  mit  Hilfe 
der  Eisenbahnen,  dass  der  Arbeiter- 
stand in  den  letzten  50  Jahren  unseres 
Jahrhunderts  in  materieller  Richtung, 
allen  anderen  Staaten  voraus  —  grosse 
Vortheile  erlangte.  —  Die  Eisenbahnen 
erhöhten  das  Nationalvermögen.  Sie  ver- 
schafften auch  dem  Minderbemittelten  ein 
besseres  und  bequemeres  Dasein. 

Die  Eisenbahnen  erhöhten  zwei- 
fellos unsere  Wehrkraft  und  verstärkten 
deren  Wirkungen.  Sie  gestatten  gleich- 
zeitig die  grösstmöglichste  Abkürzung 
der  Kriege,  die  weitaus  bessere  und 
humanere  Transportirung  und  Verpfle- 
gung der  Truppen  sowie  der  Kranken 
und  Verwundeten.  Die  österreichischen 
Eisenbahnen  erfüllen  also  auch  auf  diese 
Art  eine  Arbeit  der  allgemeinen  Wohl- 
fahrt. 


Einwirkung  der  Eisenbahnen 


auf 


Volksleben  und  culturelle  Entwicklung. 


Von 


Dr.  Reichsfreiherr  zv  Weichs-Glon. 


OB  es  in  der  Welt  besser  oder 
schlechter  geworden  sei  seit  der 
Zeit,  da  der  Gross vater  die 
Grossmutter  nahm,  ist  eine  Frage,  die 
immer  und  immer  wieder  das  einfache 
Gemüth,  wie  den  Denker,  den  Philosophen, 
wie  den  Historiker  beschäftigt. 

Es  ist  nicht  besser,  es  ist  nicht 
schlechter,  es  ist  einfach  anders  ge- 
worden! Alle  menschliche  Entwicklung 
geht  nothwendig  in  Extremen  und  Aeusser- 
lichkeiten  vor  sich,  so  dass  die  Besserung 
nach  der  einen  Seite  fast  immer  eine  Ver- 
schlechterung nach  der  anderen  Seite 
enthält. 

Darum  ist  es  nicht  leicht,  in  allen 
Fällen  mit  Sicherheit  zu  entscheiden,  ob 
die  Entwicklung  einer  Periode  in  civili- 
satorischem  Sinne  vor  sich  ging  oder 
nicht. 

Ganz  zweifellos  hat  jedoch  mit  der 
Dampfmaschine  und  mit  der  Locomotive 
eine  neue  Epoche  in  der  culturelien  Ent- 
wicklung der  Menschheit  im  Allgemeinen, 
und  auch  in  unserem  Vaterlande  begonnen. 
Nur  hält  es  schwer,  die  grossartigen 
Wirkungen  und  bedeutenden  Verände- 
rungen, welche  durch  die  modernen  Ver- 
kehrsmittel hervorgerufen  wurden,  auch 
immer  im  Einzelnen  festzustellen.  Denn 
diese  Wirkungen  erfolgen  vielfach  in 
engstem  Zusammenhange  und  stehen  in 
unlösbaren  Beziehungen  mit  einer  ganzen 
Reihe  anderer  Erscheinungen  des  so  viel- 
gestaltigen gesellschaftlichen  Lebens.  Sie 
kommen    als   specitische  Wirkungen  des 


Verkehrswesens  nur  selten  rein  zum  Aus- 
drucke; sie  werden  durch  Nebenwirkungen 
und  Gegenbewegungen  zum  Theile  abge- 
lenkt und  abgeschwächt,  zum  Theile  auch 
ganz  aufgehoben. 

Wir  dürfen  auch  nicht  übersehen,  dass 
durch  alle  technischen  Umwälzungen,  die 
der  Welt  fast  ein  ganz  neues  Antlitz 
verliehen  haben,  die  Stetigkeit  des  Ent- 
wicklungsprocesses,  den  unser  Geschlecht 
zu  durchlaufen  hat,  keineswegs  unter- 
brochen ist.  Die  scheinbar  so  mächtigen 
Veränderungen,  welche  die  jüngste  Zeit 
unserer  Cultur  eingeprägt  hat,  betreffen 
doch  zumeist  nur  die  Oberfläche.  Der 
Hauptkem  unserer  Natur  und  Cultur  ist 
zweifellos  das  Ergebnis  der  Einwirkung 
früherer  Jahrhunderte. 

Um  nun  jene  specifischen  Wirkungen 
des  modernen  Verkehrswesens  im  Allge- 
meinen, und  der  Eisenbahnen  im  Be- 
sonderen zu  erkennen,  muss  nach  der 
Isolirmethode  vorgegangen  werden,  d.  h. 
es  muss  zu  erforschen  gesucht  werden, 
wie  die  Eisenbahnen  wirken  könnten, 
und  wie  sie  ohne  das  Walten  von  Kräften, 
ohne  den  Einfiuss  von  Institutionen  wirken 
würden,  welche  diese  Wirkungen  that- 
sächlich  beeinträchtigen  oder  gar  nicht 
in  Erscheinung  treten  lassen. 

Auch  sind  wir  fin-de-siecle- Menschen 
mit  den  verfeinerten  Gewohnheiten  und 
gesteigerten  Ansprüchen  einer  Uebercuttur 
häufig  gar  nicht  in  der  Lage,  den  Ein- 
fiuss, den  die  Eisenbahnen  auf  alle  Seiten 
und  Beziehungen  unseres  Daseins  nehmen. 


86 


Dr.  Reichsfreiherr  zu  Weichs-Glon. 


zu  überblicken,  und  aus  der  Fülle  der 
uns  umgebenden  Erscheinungen,  des  uns 
Gebotenen  und  des  von  uns  als  etwas 
Selbstverständliches  Empfangenen  heraus- 
zulösen. Denn  die  Erinnerung  derWenigsten 
unter  uns  reicht  zurück  bis  zur  eisenbahn- 
losen  Zeit.  Wir  werden  uns  gar  nicht 
mehr  bewusst,  dass  es  anders  sein  könnte, 
als  es  eben  ist ;  wir  übersehen,  was  und 
wie  viel  wir  entbehren  müssten,  wenn  es 
keine  Eisenbahnen  gäbe. 

Um  den  Unterschied  von  Sonst  und 
Jetzt  in  seiner  ganzen  Bedeutung  zu  be- 
greifen und  vor  Augen  zu  haben,  müssen 
wir  uns  nur  die  früheren  Verkehrsverhält- 
nisse gegenwärtig  halten.  Wie  bewegten 
sich  zur  »guten  alten«  Zeit,  zur  Zeit  der 
Post-  und  Landkutschen  sowie  der  Last- 
karren mit  6  bis  lO  vorgespannten  Pferden 
das  Leben  und  der  Verkehr  in  engen, 
gemessenen  Grenzen,  bis  es  der  modernen 
Technik  gelang,  die  Fesseln  plötzlich  zu 
sprengen,  die  auf  aller  grossartigen  Be- 
wegung bis  dahin  gelastet  hatten. 

Am  bedeutendsten  und  am  sichtbarsten 
ist  der  ungeheuere,  sich  an  die  Wirkungen 
der  heutigen  Verkehrsmittel  anknüpfende 
Umschwung  der  Gegenwart  im  wirth- 
schaftlichen  Leben  des  Volkes  gewesen; 
dieser  Umschwung  hat  auch  von  tief- 
gehender Einwirkung  auf  das  gesammte 
gesellschaftliche  Leben,  auf  den  Complex 
der  individuellen  und  socialen  Bedürfhisse 
sein  müssen. 

Die  Eisenbahnen  in  Verbindung  mit 
der  Schifffahrt  beziehen  immer  neue  Theile 
der  Erde  in  den  Bereich  des  Güteraus- 
tausches ein,  und  erweitem  beständig, 
auch  innerhalb  der  Culturländer  selbst, 
das  Absatzgebiet.  Die  Erzeugnisse  ferner 
fremder  Länder,  die  früher  nur  den  Wohl- 
habenden erreichbar  waren,  wie  z.  B. 
Thee,  Kaffe,  Gewürze  u.  v.  a.  m.  sind 
jetzt  zum  Theile  unentbehrliche  Nahrungs- 
und Genussmittel  des  Volkes  und  Gegen- 
stände des  Massenverbrauches  geworden. 
Seefische  werden  in  das  Inland  befördert, 
im  Winter  erhalten  wir  frische  Gemüse, 
Früchte  und  Blumen  aus  sonnigen  Strichen; 
unsere  eigenen  vorzüglichen  Biere  und 
Weine  und  zahlreiche  andere  Güter,  die 
wir  erzeugen,  wurden  durch  die  Eisen- 
bahnen in  ganz  Europa,  in  der  gesammten 
Culturwelt  heimisch  gemacht.     Der  Ver- 


sandt von  Vieh  und  Fleisch,  von  Eiern, 
Fetten,  Käsen,  Milch  u.  a.  m.  nimmt  von 
Jahr  zu  Jahr  grösseren  Umfang  an.  Man 
ist  hinsichtlich  der  Ernährung  nicht  mehr 
an  die  Erzeugnisse  eines  kleinen  Gebietes 
gebunden;  die  Eisenbahnen  lassen  es  als 
möglich  erscheinen,  die  Wahl  nach  dem 
besten  und  billigsten  Erzeugungsorte  vor- 
zunehmen. *) 

Auch  die  Ermässigung  der  Preise  von 
Kleidungsstücken  ist  theilweise  auf  die 
verbilligte  Zufuhr  von  Rohstoffen  aus  oft 
weit  entfernten  Erzeugungsstätten  zurück- 
zuführen. 

Wesentlich  sind  die  Wirkungen  hin- 
sichtlich der  Verbesserung  von  Wohnungs- 
und anderen  Bauten,  infolge  Verwendung 
soliden  Materiales  auch  in  solchen  Gegen- 
den, die  ferne  vom  Gewinnungsorte  liegen, 
so  Bautheile  von  Eisen  an  Häusern  und 
Brücken,  die  Eisen-  und  Thonröhren  für 
Wasserleitungen  und  Canäle,  die  Steine 
zum  Pflastern  der  Strassen  u.  a.  Die 
Kohlen,  mit  denen  wir  heizen,  das  Petro- 
leum in  der  Lampe  sind  alles  Dinge,  die 
selbst  dem  Aermsten  unentbehrlich  ge- 
worden sind,  und  deren  allgemeine  Ver- 
breitung wir  den  Eisenbahnen  verdanken. 

Eine  ungeheuere  Summe  von  Ver- 
besserungen des  menschlichen  Daseins, 
von  Erleichterung  in  Befriedigung  der 
wichtigsten  Bedürfnisse,  von  Erhöhung 
und  Erweiterung  der  Genüsse  vermag 
durch  die  Eisenbahnen  herbeigeführt  zu 
werden,  und  ist  durch  die  im  Allgemeinen 
zu  beobachtende  Erhöhung  des  Standard 
of  life  zweifellos  auch  in  unserer  Heimat 
herbeigeführt  worden. 

Erst  durch  die  Eisenbahnen  ist  es 
möglich  geworden,  Bedarf  und  Ueberfluss 
an  Nahrungsmitteln  selbst  auf  die  grössten 
Entfernungen  hin  mit  Leichtigkeit  auszu- 
gleichen, während  früher  Mangel  und 
Ueberfluss  häufig  fast  nebeneinander 
wohnten  und  rein  örtlich  festgelegt  waren, 
so  dass  bei  ungleichem  Emteausfall  in 
verschiedenen  Landstrichen  an  der  einen 
Stelle  empfindlicher  Nothstand  herrschte, 
während  gleichzeitig  an  der  anderen  die 
UeberfüUe  der  Früchte  wegen  mangelnden 
Absatzes  zugrunde  ging. 


♦)  Vgl.  Bd.  IL,  Li  n d  h e  i  m,  »Unsere  Eisen- 
bahnen m  der  Volkswirthschaft«,  S.  63  u.  ff. 


Einwirkung  der  Eisenbahnen  auf  das  Volksleben. 


87 


Hand  in  Hand  mit  diesem  Ausgleiche 
an  Bedarfs-  und  Vorrathsmengen,  der  für 
Oesterreich  mit  seinen,  so  grosse  Unter- 
schiede aufweisenden  klimatischen  und 
Froductionsverhältnissen  im  Hochgebirge, 
südlich  und  nördlich  der  Alpen  sowie  im 
Osten  und  Westen  der  Monarchie  von 
besonderer  Bedeutung  war,  wirken  die 
Eisenbahnen  an  sich  auch  auf  einen  Aus- 
gleich in  den  Güterpreisen,  indem  an 
Stelle  der  örtlichen,  grosse  Unterschiede 
und  Schwankungen  aufweisenden  Preise 
für  eine  immer  wachsende  Zahl  von 
Gütern  Wehmarktpreise  treten,  was  aller- 
dings wieder  in  anderer  Hinsicht  Nach- 
theile im  Gefolge  hat. 

Die  gesammte  Güter-Erzeugung  eines 
Landes  erfährt  durch  die  Eisenbahnen  in 
zahlreichen  Fällen  nach  Menge,  Art  und 
Güte  eine  ungeheuere  Steigerung,  unter 
deren  Einfluss  sich  auch  die  Grossindustrie 
heranbildet.  Der  ganze  Charakter  des 
gewerblichen  Lebens  wird  ein  anderer, 
ein  lebendigerer  und  intensiverer. 

Gehen  wir  von  den  rein  wirthschaft- 
lichen  Folgen,  von  den  Einwirkungen 
auf  unsere  Nahrungs-,  Kleidungs-  und 
Wohnungs-Bedürfnisse  und  Verhältnisse 
zu  jenen  über,  die  schon  auf  andere 
Grebiete  des  gesellschaftlichen  Lebens 
übergreifen,  so  steht  da  in  erster  Linie 
die  Erscheinung  einer  geänderten  Ver- 
theilung  der  Bevölkerung,  der  »Zug  vom 
Lande«.  Es  ist  dies  jener  Theil  der 
inneren  Wanderungen  einer  Bevölkerung, 
welcher  seine  Bewegung  innerhalb  eines 
Staates  vom  Lande  nach  den  Städten 
nimmt,  und  auch  in  Oesterreich,  wenn- 
gleich noch  in  geringerem  Masse  als  in 
industriell  fortgeschritteneren  Ländern,  zu 


beobachten  ist.  Häufig,  wenn  auch  mit 
Unrecht,  werden  die  Eisenbahnen  als 
Hauptursache  und  Erreger  dieser  in  mehr- 
facher Beziehung  bedenklichen  Beweglich- 
keit bezeichnet.  In  Wahrheit  ist  dagegen 
die  Hauptursache  jener  Wanderungen  das 
Streben,  bessere  Lebens-  und  Erwerbs- 
bedingungen zu  erreichen;  wo  dieses 
Wandermotiv  fehlt,  werden  auch  die 
Eisenbahnen  Niemand  zur  Ab-  oder  Aus- 
wanderung veranlassen.  Auch  musste  sich 
die  Bevölkerung  schon  mit  den  Standorten 
und  der  Entwicklung  der  Industrie  unter 
allen  Umständen  allerwärts  verschieben 
und  neu  gruppiren.  Fraglos  bleibt  es 
jedoch,  dass  die  Eisenbahnen  ganz  wesent- 
lich auf  Erleichterung  dieser  Massen- 
wanderung und,  wenn  auch  nur  mittelbar, 
sogar  zur  Steigerung  derselben  beigetragen 
haben.  Sie  beseitigen  das  Moment  der  Ent- 
fernung immer  mehr  aus  der  wirthschaft- 
lichen  Calculation,  und  leisten  dem  Zuge 
nach  Vereinigung    mächtigen    Vorschub. 

Die  Beweglichkeit  der  Massen  ist  ge- 
sellschaftlich, wirthschaftlich  und  politisch 
höchst  bedeutsam.  Neue  Ortschaften  ent- 
stehen, andere  verfallen.  Die  Städte 
wachsen,  hauptsächlich  die  Grossstädte, 
deren  Bildung  und  Erhaltung  ohne  Eisen- 
bahnen ganz  undenkbar  wäre,  die  Industrie- 
und  Handelsstädte. 

Welche  Bewegung  die  Bevölkerung 
Oesterreichs  [Cisleithaniens]  in  der  Zeit  von 
1843  bis  1890,  also  unter  der  Wirksamkeit 
der  Eisenbahnen,  durchgemacht  hat,  ist 
aus  nachstehender  Zusammenstellung  zu 
entnehmen.*) 


♦)  Rauchberg:  »Die  Bevölkerung  Oester- 
reichs«. 


In    der    Grössencate- 

gorie  der  Ortschaften 

mit  Einwohnern 

1843 

1890                                   1 

Zahl  der                                                  j 

Ort- 
schaften 

Ein- 
wohner 

Ort- 
schaften 

Zuwachs 

Ein- 
wohner 

Zuwachs 

I 
1 

bis  zu  2000 

von    2.000—  5.000 

T>      5.000—10.000 

>     10.000—20.000 

über  20.000 

46.713 
602 

95 
21 

7 

13,852.766 
1,692.301 

543.564 
264.054 
720.546 

57.578 
1.063 

149 
69 
32 

237» 

777. 
577o 

2297o 

3597o 

16,128.205 

3,011.074 

966.769 

919.106 

2,870.259 

167« 
787. 

787o 
2487. 
2987o 

Im  Ganzen    .    .    .    ' 

47.438       17,073.231 

58.891 

247o       1 23,895413 

407. 

88 


Dr.  Reichsfreiherr  zu  Weichs-Glon. 


Von  je  looo  Einwohnern  des  gegen- 
wärtigen Staatsgebietes    entfielen: 

im  Jahre 


auf  Ortschaften  mit 

Einwohnern:  1843  1890 

bis  zu  2000  811  675 

von    2.000—  5.000  99  126 

>  5.000-10.000  32  41 

>  10.000—20.000  16  38 

über  20.000  42  120 


Zuwachs 
-     17^ 

+  27"/o 
4-  28% 
+   138^0 

+  i86°/o 

Die  Landstadt  bewahrt  nur  noch  jene 
Bedeutung,  die  ihr  eigene  Production  und 
die  Function  als  Markt  für  ihre  ländlichen 
Kreise  verleihen;  sie  verliert  aber  die 
Rolle,  welche  sie  früher  spielte. 

Ueberblicken  wir  den  gesammten 
Gomplex  der  wirthschaftlichen,  geistigen 
und  socialen  Factoren,  welche  zusammen 
die  moderne  Entwicklung  ausmachen,  so 
kann  es  nicht  wundernehmen,  wenn  der 
Wanderzug,  vornehmlich  getragen  von 
den  Eisenbahnen,  die  selbst  weit  mehr 
eine  Folge,  als  eine  Ursache  dieser  Ent- 
wicklung sind,  vom  Dorfe  zur  Stadt,  von 
der  Kleinstadt  zur  Mittelstadt,  von  dort 
zur  Grossstadt  gerichtet  ist,  wenn  das 
Anwachsen  der  Wohnplätze  in  den  Gross- 
städten desto  rascher  erfolgt,  ihr  Rekru- 
tirungsgebiet  sich  desto  rascher  erweitert, 
je  grösser  sie  selbst  sind,  und  je  dichter 
das  Netz  der  Eisenbahnen  wird.  Es  er- 
scheint bei  Erwägung  dieser  Factoren 
erklärlich,  dass  die  Beschleunigung  und 
die  Wucht  der  Bewegung  stetig,  nicht  nur 
im  directen,  sondern  vielleicht  sogar  im 
potenzirten  Verhältnisse  zu  ihrer  Masse 
zunimmt,  dass  die  Nebenwirkungen  ins 
Ungemessene  wachsen,  und  man  verwirrt 
von  der  Grösse  und  Mächtigkeit  dieses 
Vorganges  kaum  das  Ende  auszudenken 
wagt.  Und  jeder  neue  Ring,  der  sich  um 
den  alten  Kern  einer  Stadt  ansetzt,  jedes 
neue  Element,  das  sie  in  sich  aufnimmt, 
wird  zum  Anlasse  weiterer  Entwicklung. 

Dass  diese  Entwicklung  ein  Vortheil 
für  die  Menschheit  ist,  dass  sie  zur 
Maximisation  des  Wohlseins  und  zur 
Minimisation  des  Uebels,  sowohl  für  das 
einzelne  Individuum  wie  für  die  Gesammt- 
heit  hinführt,  ^muss  wohl  ernstlich  be- 
zweifelt werden.  Die  nothwendige  Folge 
des  dichten  Zusammenlebens  ist  die  Ver- 
flachung des  Individualismus,  die  Be- 
schränkung seiner  Producte,  der  persön- 
lichen Freiheit  und  des  Eigenthums.  Wir 


sehen  dies  klar  am  Leben  in  der  Gross- 
stadt, in  der  Kleinstadt,  im  Dorfe. 

Die  städtische  Bevölkerung  bekommt 
mit  ihren  Interessen,  ihren  Anschau- 
ungen, Gewohnheiten  und  Fehlem  eine 
ganz  andere  Bedeutung  als  früher.  Das 
war  theil weise  erst  möglich,  nachdem 
die  Gesetzgebung  eine  andere  geworden 
war.  Aber  unsere  ganze  Gesetzgebung 
mit  ihren  ursprünglichen  Zielen  der  Frei- 
zügigkeit, der  Gewerbefreiheit  und  des 
Freihandels  ist  ja  selbst  zum  grössten 
Theile  wieder  nur  ein  Ergebnis  der  ge- 
änderten Verkehrsmittel.  Hier  haben  die 
Eisenbahnen  auch  in  der  Hinsicht  einge- 
griffen, dass  das  Recht  der  Freizügigkeit 
erst  durch  sie  praktischen  Werth  erhielt. 
Dem  an  die  Scholle  gefesselt  gewesenen 
Arbeiter  ist  durch  die  Eisenbahnen, 
wenigstens  ideell,  allerdings  nicht  immer 
in  der  Wirklichkeit,  die  Möglichkeit  ge- 
boten, andere  Stätten  aufzusuchen,  wo  er 
seine  Arbeitskraft  besser  zu  verwerthen 
hofft.  Wir  können  dies  an  den  Zügen  der 
italienischen,  böhmischen,  slovakischen 
und  polnischen  Arbeiter  wahrnehmen.  So 
waren  in  Oesterreich  von  je  icxx)  orts- 
anwesenden  Personen  in  ihrer  Aufenthalts- 
Gemeinde  heimatsberechtigt:  1869  787, 
1880  697  und  1889  639.  Die  alte  Ordnung 
der  gewerblichen  Verfassung  ist  vornehm- 
lich auch  hiedurch  durchbrochen  worden, 
und  der  Arbeitsmarkt  wurde  in  ähnlicher 
Weise  wie  der  Gütermarkt  erweitert. 

Nicht  unerwähnt  darf  jedoch  hier  die 
besondere  Bedeutung  bleiben,  welche  die 
Eisenbahnen  noch  in  anderer,  der  Con- 
centration  einigermassen  wieder  entgegen- 
laufender Richtung  für  die  modernen 
Millionenstädte  besitzen.  Die  Bedeutung 
für  die  grossen  Bevölkerungscentren 
kommt  den  Eisenbahnen  eben  zu,  nicht 
allein  im  Hinblicke  auf  die  Versor- 
gung mit  den  noth wendigen  Mitteln  des 
täglichen  Bedarfs,  die  oft  aus  einem 
viele  hundert  Kilometer  weiten  Gebiete 
zusammengezogen  werden  müssen,  und 
mit  grosser  Pünktlichkeit  und  Regel- 
mässigkeit an  Ort  und  Stelle  zu  sein 
haben,  sondern  insbesondere  auch,  weil 
die  Eisenbahnen  das  durchaus  gesunde 
Streben  in  der  grossstädtischen  Ent- 
wicklung unterstützen  und  dessen  Ver- 
wirklichung überhaupt  erst  ermöglichen. 


Einwirkung  der  Eisenbahnen  auf  das  Volksleben. 


89 


die  Arbeits-  von  der  Wohnstätte  zu 
trennen,  und  letztere  heraus  aus  den 
engen  Gassen  und  der  verunreinigten 
Atmosphäre,  dem  betäubenden  Lärm,  der 
Gebundenheit  und  dem  Gedränge  in  die 
Aussenbezirke,  an  die  Grenzen  des  Land- 
gebietes zu  verlegen.  Derart  können 
selbst  die  armen  Classen  der  Bevölkerung 
nicht  unwesentlich  verbesserter  Lebens- 
bedingungen theilhaftig  werden. 

Und  wie  leicht  wird  auch  sonst  dem 
Anreiz  zum  Reisen,  den  die  Eisenbahnen 
bieten,  Folge  gegeben.  Man  reist  heute 
mit  geringeren  Kosten  durch  einen  halben 
Erdtheil,  wie  früher  eine  Strecke  von 
wenigen  Meilen.  Man  reist  zwar  in  der 
überwiegenden  Zahl  der  Fälle  geschäfts- 
halber, aber  auch  um  des  Vergnügens 
willen.  Der  wachsende  Besuch  der  Bäder, 
Sommerfrischen  und  Luftcurorte,  die  Ur- 
laube der  Beamten  aller  Categorien,  die 
früher  nur  in  Krankheitsfällen  ertheilt 
wurden  und  jetzt  fast  ständige  Einrichtun- 
gen geworden  sind,  der  von  Jahr  zu  Jahr 
zunehmende  Strom  von  Touristen,  die 
sich  im  Gebirge,  u.  zw.  in  wachsendem 
Masse  in  den  österreichischen  Alpen- 
ländem  Kräftigung  holen,  die  Volks-, 
Lieder-,  Schützen-  u.  a.  Feste,  die  Aus- 
stellungen u.  dgl.  m.,  sie  alle  sind  mittel- 
bar oder  unmittelbar  Wirkungen  der  Eisen- 
bahnen, oder  werden  doch  allein  durch 
diese  ermöglicht;  sie  alle  sind  Beweise 
für  die  Reiselust  des  modernen  Menschen, 
für  dessen  tiefe  Sehnsucht  nach  Loslös- 
barkeit vom  Boden  sowie  Beweise  für  die 
Leichtigkeit,  diese  Reiselust  zu  befriedigen. 

Damit  sind  jedoch  die  Wirkungen 
der  Eisenbahnen  in  den  angedeuteten 
Beziehungen  keineswegs  erschöpft. 

Die  Eisenbahnen,  wie  die  modernen 
Verkehrsmittel  überhaupt,  haben  das  Be- 
streben, alle  vorhandenen  Productions- 
quellen  imd  Arbeitskräfte  in  Thätigkeit 
zu  setzen,  um  Werthe  zu  erzeugen  und  in 
Umlauf  zu  bringen.  Sie  sind  die  Achse, 
um  die  sich  der  ganze  Güteraustausch 
der  Gesellschaft  und  der  Circulations- 
process  des  Capitals  dreht.  Im  Systeme 
unserer  Wirthschaft  ringen  sie  nicht  allein  | 
der  Erde  im  Wege  der  Urproduction  ge- 
radezu die  Lebensbedingungen  künftiger 
Generationen  verschwenderisch  ab,  sie 
haben   zweifellos   auch  das  Streben,    die 


Entlohnung  der  Arbeit  und  den  Werth 
der  Urproducte  möglichst  herabzudrücken. 
Die  Verschwendung  in  Allem  ist  unleug- 
bar auch  ein  Grundzug  unseres  wirth- 
schaftlichen  und  sogar  unseres  gesell- 
schaftlichen Lebens,  den  die  Eisenbahnen 
hervorzurufen  geholfen  haben.  Alles  lebt 
in  Uebertreibung  der  Bedürfnisse  ohne 
wahre  Befriedigung.  Die  Lust  nach  Orts- 
veränderung, wohl  zw^eifellos  auch  eine 
Quelle  für  Flüchtigkeit  in  der  Pflicht- 
erfüllung, ist  bei  vielen  theilweise  zur 
krankhaften  Sucht  ausgeartet  und  greift 
verwirrend  in  das  tägliche  Leben  der 
Gesellschaft  ein. 

So  haben  die  Eisenbahnen  wohl  einer- 
seits einen  ausserordentlichen  Fortschritt 
in  den  culturellen  Beziehungen  der 
Menschen  geschaffen,  —  einen  Fort- 
schritt, der  für  die  civilisatorische  Ent- 
wicklung der  Menschheit  nothwendig 
war  —  aber  andererseits  die  Quellen 
aller  Werthe,  die  Urproduction  und  die 
Arbeit  im  Allgemeinen  und  vielfach  doch 
in  eine  nachtheiliffe  Stellungr  zu  dem  An- 
theile  an  den  Lebensbedingungen  versetzt, 
und  dazu  beigetragen,  das  wirthschaft- 
liche  Leben  überhaupt  auf  die  Schneide 
drohender  Catastrophen  zu  stellen. 

Jedes  Gulturmittel  ist  eben  immer 
auch  andererseits  zugleich  ein  Hemmnis 
der  Cultur.  So  bereitet  der  Telegraph 
vielleicht  ebensoviel  Missverständnisse  und 
Verlegenheiten  als  er  Vortheile  gewährt. 
Durch  die  Erfindung  Gutenbergs  ist  die 
Literatur  wohl  verallgemeinert,  aber  kaum 
verbessert  worden.  Selbst  die  allerältesten 
Erfindungen  des  Pfluges,  des  Schiffes, 
des  Wagens,  sind  in  gewisser  Hinsicht 
höchst  fragwürdig;  sie  sind  auch  Werk- 
zeuge der  Unterjochung,  der  Ausbeutung 
gewesen,  mehr  vielleicht  als  der  Freiheit 
und  des  Glücks.  Jede  neue  Erfindung  macht 
die  Menschen  noch  abhängiger.  Jede 
Verbesserung  auf  der  einen  Seite  ver- 
schlechtert anderwärts  etwas.  Seit  der 
Erfindung  der  Papierfabrikation  gibt  es 
kaum  gutes  Papier  mehr,  seit  dem  Auf- 
schwung der  Chemie  keine  haltbare  Farbe, 
keinen  Glauben  an  die  Echtheit  des  Weines ; 
Gas  und  Elektricität  verderben  uns  Lungen 
und  Augen  u.  s.  f. 

Die  Factoren,  die  das  öffentliche  Leben 
beherrschen,  waren  vor  der  Zeit  der  Eisen- 


90 


Dr.  Reichsfreiherr  zu  Weichs-Glon. 


bahnen  gänzlich  andere.  Das  Vereinsleben, 
die  öffentliche  Meinung,  die  heute  etwas 
ganz  Neues  geworden  ist,  standen  früher 
unter  vollkommen  anderen  Lebensbedin- 
gungen. Wie  langsam  und  träge  flogen 
die  Nachrichten,  wie  war  persönlicher 
Austausch  erschwert!  Erst  durch  die 
Eisenbahnen,  diesen  bereitwilligen,  billigen 
und  zuverlässigen  Trägern  der  Correspon- 
denz,  konnte  die  Post  zu  ihrer  bewunderns- 
werthen  Organisation  und  ihren  gross- 
artigen Leistungen  gelangen.  Erst  durch 
die  Eisenbahnen  konnte  die  Presse  ihren 
auf  das  gesammte  Volksleben  so  mass- 
gebenden Einfluss  ausüben,  ihre  heu- 
tige Macht  und  Bedeutung  gewinnen. 
Die  Eisenbahnen  haben  die  Presse  zum 
Secundenzeiger  der  Weltgeschichte  ge- 
macht; sie  haben  es  auch  zum  guten 
Theile  bewirkt,  dass  die  Presse  nicht  die 
sechste,  sondern  vielleicht  die  erste  Gross- 
macht geworden  ist. 

Versammlungen  von  Berufsgenossen- 
schaften und  Interessengemeinschaften 
ganzer  Länder  und  Reiche,  wissenschaft- 
liche, wirthschaftliche  und  politische  Con- 
gresse  und  »Tage«  u.  dgl.  waren  früher 
einfach  unmöglich.  Heute  lässt  sich  die 
Fülle  der  Vereinsfreudigen  und  Congress- 
bedürftigen  kaum  erschöpfen. 

Zum  grossen  Theile  mit  der  Eisenbahn 
hängt  auch  der  Umschwung  in  unserer 
ganzen  Bildung  und  geistigen  Atmosphäre 
zusammen.  Mit  dem  Reisen  ist  unleugbar 
eine  bedeutende  Bereicherung  durch  neue 
Wahrnehmungen  und  Begriffe,  Anschau- 
ungen und  Erfahrungen  an  Menschen  und 
Dingen,  eine  wesentliche  Erweiterung  des 
geistigen  Gesichtsfeldes,  und  eine  Fülle  von 
Anregung  und  geistiger  Arbeit  verbunden, 
selbst  da,  wo  die  Absicht  gar  nicht  darauf 
gerichtet  war.  Die  Eisenbahn  ist  eine 
»neue,  grossartige  Volksschule«    [Knies]. 

Die  Naturwissenschaften  sind,  vor- 
nehmlich auch  durch  das  häufige  Reisen, 
zum  Lieblingsstudium  der  Zeit  geworden. 
Die  Geographie  und  Reiseliteratur  haben 
die  philosophische  und  historische  theil- 
weise  verdrängt.  Alle  Vorstellungen,  wel- 
che den  Kopf  und  das  Herz  der  Menge 
erfüllen,  haben  damit  eine  andere  Richtung 
genommen.  Die  Kenntnisse  vermehrten, 
die  Vorstellungen  klärten  sich.  Wir  sind 
über  die  elementaren  Schranken  unseres 


Daseins,  der  Zeit  und  des  Raumes,  in 
einer  Weise  Herr  geworden,  wie  kein 
anderes  Geschlecht  je  zuvor.  Wir  erleben 
und  sehen  das  Hundert-  und  Mehrfache 
von  dem,  was  unsere  Grossväter  gesehen 
haben,  die  auf  ihren  Ferienreisen  den 
heimatlichen  Kirchthurm  selten  aus  dem 
Blicke  verloren,  während  heute  schon  jeder 
Mittelschüler  in  den  Ferien  in  die  Alpen 
oder  in  sonst  entfernte  Gegenden  reist. 

Vorurtheile  fallen,  heimische  Mängel 
machen  sich  durch  den  Vergleich  mit 
Fremdem  fühlbar;  das  als  besser  Erkannte 
oder  besser  Geglaubte  wird  nachgeahmt 
und  übernommen.  Die  Engherzigkeit 
schwindet,  der  Blick  wird  freier.  Manche 
phantastische  Irrthümer,  aber  auch  gar 
viele  Ideale  sind  wir  mit  Hilfe  der  Eisen- 
bahnen losgeworden.  Daneben  gewinnt 
auch  der  Wille.  Wir  handeln  entschlosse- 
ner, wie  wir  intensiver  leben,  geniessen 
und  arbeiten.  Die  Tugend  der  Präcision 
ist  vielleicht  am  meisten  gestiegen  und 
ausgebildet  worden.  Die  Eisenbahnen, 
die  wie  grosse  Nationaluhren  wirken, 
verlangen  genaue  Einhaltung  der  Zeit, 
und  zwingen  Alle,  die  sich  ihrer  bedienen, 
sich  nach  der  bei  ihnen  geltenden  strikten 
Ordnung  zu  richten.  Sie  erziehen  hie- 
durch  zweifellos  in  hervorragender  Weise 
zu  Pünktlichkeit  und  Schätzung  des  Zeit- 
werthes,  zum  raschen  Entsch Hessen  sowie 
zum  Vorgehen  und  Handeln  ohne  alle 
Umständlichkeit;  Eigenschaften,  die  sich 
dann  auf  das  Handeln  im  Leben  über- 
haupt übertragen.  Nicht  unerwähnt  darf 
hier  die  Einflussnahme  bleiben,  welche 
die  Eisenbahnen  auf  die  für  das  ganze 
Volksleben  bedeutsamen  Bestrebungen 
hinsichtlich  Einführung  einer  einheitlichen 
Zeit  genommen  haben.  Bereits  eine 
grosse  Zahl  von  Städten  und  Orten  hat 
die  für  Oesterreichs  Eisenbahnen  mass- 
gebende mitteleuropäische  Zeit  [d.  i.  die 
Zeit  des  Meridians  22  Vg^  östlich  von 
Greenwich]  angenommen. 

Mit  jener  früher  angedeuteten  Wir- 
kung der  Eisenbahnen  steht  wohl  auch 
in  Verbindung,  dass  man  die  Jugend 
heute  mehr  fürs  Geschäft  und  weniger 
wie  früher  für  das  Leben  und  um  der 
Bildung  selbst  willen  erzieht.  Andrerseits 
wird  die  durch  die  Eisenbahnen  bewirkte 
Leichtigkeit  der  Ortsveränderung  und  die 


Einwirkung  der  Eisenbahnen  auf  das  Volksleben. 


91 


damit  gebotene  Möglichkeit,  Vorstellungen 
und  Kenntnisse  gewissermassen  im  Fluge 
zu  erlangen  und  zu  erweitem,  leicht  zur 
Oberflächlichkeit  der  Beobachtung  ver- 
führen, die  vielfach  an  Gehalt  und  Ernst 
verliert,  was  sie  an  Ausdehnung  ge- 
winnt. Die  Folgen  davon  sind  Früh- 
reife unserer  Jugend,  Voreiligkeit  des 
ürtheils.  Viel-  und  Halbwissen,  Mangel 
an  Innerlichkeit  und  tieferem  Empfinden, 
Nervosität  und  Blasirtheit.  So  lässt  sich 
auch  die  Eisenbahn  dem  Leben  selbst 
vergleichen:  Je  flacher,  desto  schneller 
die  Fahrt. 

Schnell  muss  Alles  vorwärts  gehen! 
»Keine  Minute  verlieren!«  ist  die  Losung, 
und  das  geflügelte  Rad,  das  Sinnbild  der 
Eisenbahn,  ist  so  recht  auch  zum  Wahr- 
zeichen unserer  Zeit  geworden.  Kopf- 
schüttelnd würden  unsere  Grossväter,  die 
in  steifer  Gravität  noch  die  gepuderte 
Perrücke,  Zopf  und  Haarbeutel  trugen, 
am  Wege  stehen  bleiben,  wenn  sie  das 
Bild  der  heutigen  Welt  sähen  —  — 

Mit  der  Loslösung  von  der  Scholle, 
der  wachsenden  Beweglichkeit,  geht  die 
Anhänglichkeit  an  die  Heimat,  und  die 
Werthschätzung  heimischer  Einrichtungen 
verloren.  Wo  die  Locomotive  hindringt, 
dort  schwinden  alte  Gebräuche  und  Sitten, 
die  dem  Zusammenleben  in  Gemeinde 
und  Familie  vielfach  Halt  gaben.  Die 
Sesshaftigkeit,  die  seit  jeher  als  (^ie  Mutter 
vieler  wichtiger  wirthschaftlicher  und  bür- 
gerlicher Tugenden  galt,  wird  geringer. 
Die  Eisenbahnen  bewirken  einen  fort- 
schreitenden und  raschen  Ausgleich  zwi- 
schen Stadt  und  Land;  die  Herrschaft 
der  wechselnden  Mode  verdrängt  die  alt- 
gewohnten eigenartigen  Trachten  und 
Hausgeräthe,  an  denen  gerade  wir  in 
Oesterreich  eine  so  reiche  und  bunte 
Fülle  besassen.  Den  städtischen  Bräuchen, 
Sitten  und  Kleidern  wird  allenthalben 
der  Weg  geebnet. 

Aber  auch  die  Demokratisirung  der 
Gesellschaft  wird  zweifellos,  u.  zw.  mittel- 
bar und  unmittelbar,'  durch  die  Eisenbah- 
nen gefördert.  Einerseits  schon  durch 
den  Eisenbahnbetrieb  selbst.  Alle,  ob 
hoch  oder  nieder,  ob  reich  oder  arm, 
müssen  sich  der  Ordnung  des  Betrie- 
bes fügen.  Wer  den  festgestellten  Preis 
zahlt,  kann  die  betreffende  Wagenclasse 


benützen,  und  hat  Anrecht  auf  die  gleiche 
Behandlung.  Das  häufige  Nebeneinander- 
treten verschiedener  Stände  auf  der  Eisen- 
bahn ist  gewiss  auch  geeignet,  die  Unter- 
schiede derselben  theilweise  zu  verwischen 
und  insbesondere  in  den  Vorstellungen 
der  unteren  Volksclassen  allmählich  auf- 
zuheben. Diese  Veränderung  stärkt  dann 
den  Anspruch  auf  Gleichberechtigung 
auch  auf  anderen  Gebieten  und  fördert 
eine  Bewegung,  die  zu  den  bezeichnend- 
sten unserer  Zeit  gehört.  Andrerseits  sind 
es  die  Eisenbahnen,  auf  die  sich  die  Ent- 
wicklung der  Grossindustrie  vornehmlich 
stützt,  und  die  dadurch  mittelbar  auf  die 
Entstehung  der  grossen  Arbeitermassen 
wirken,  deren  Heranziehung  und  Con- 
centrirung  möglich  machen.  Die  Arbeiter 
kommen  zum  Bewusstsein  ihrer  Macht, 
die  Leichtigkeit  der  Ortsveränderung  und 
Nachrichtenvermittlung  erleichtert  auch 
ihre  Organisation  sowie  die  Verfolgung 
gemeinsamer  Ziele  und  Interessen.  Dies 
und  die  Beschleunigung  des  Gedanken- 
austausches überhaupt  begünstigen  das 
allenthalben  zur  Geltung  kommende 
Streben  nach  Vergesellschaftung  und 
führen  zu  einer  gesteigerten  Theilnahme 
des  ganzen  Volkes  am  politischen  Leben, 
das  heute  schneller  und  kraftvoller  sich 
äussert.  Die  fortwährende  Vermehrung 
der  Berührungspunkte  zwischen  den  ein- 
zelnen Individuen  muss  noth  wendiger  weise 
bewirken,  dass  der  Collectivismus  immer 
intensiver  in  Erscheinung  tritt,  immer 
mehr  zunimmt  an  Geltung,  Vertiefung 
und  Ausbreitung. 

Gerade  in  dieser  HinsicRt  zeigt  sich 
vielleicht  am  deutlichsten  der  hervor- 
ragend sociale  Charakter  der  Eisenbahnen, 
die  im  Dienste  des  Strebens  nach  gesell- 
schafthcher  Hervorbringung,  Vervielfälti- 
gung, Verbreitung  und  Benützung  aller 
geistigen  Verkehrsmittel  stehen  und 
zusammen  mit  diesen  die  realen  Bänder 
gesellschaftlicher  Verkörperung  in  Raum 
und  Zeit  bilden. 

Dem  stehen  auf  der  anderen  Seite  die 
Macht  und  Gewalt  gegenüber,  welche 
durch  die  Eisenbahnen  in  die  Hand  der 
Verwaltung  des  Staates  und  der  Polizei 
gelegt  sind.  Die  Kräfte  des  Staates  können 
nun  in  ganz  anderer  Weise  concentrirt 
und  von  Einer  Stelle  aus  geleitet  werden. 


92 


Dr.  Reichsfreiherr  zu  Weichs-Glon. 


Die  Eisenbahnen  stellen  sich  daher  auch 
als  ein  politisches  und  administratives 
Machtmittel  ersten  Ranges  dar.  Indem 
sie  an  sich  auch  auf  Erhöhung  des  Be- 
wusstseins  nationaler  und  staatlicher  Zu- 
sammengehörigkeit wirken,  die  einzelnen 
Glieder  des  Volkes  einander  nähern, 
bilden  sie  ein  festes  Band  für  die  staat- 
liche Organisation.  Schon  zur  Zeit,  da 
die  Eisenbahnen  noch  in  der  Wiege  lagen, 
besang  ein  Dichter  [Becker  1838]  die 
Eisenbahnactien  als  »Wechsel,  ausgestellt 
auf  Deutschlands  Einheit«  und  die  Schie- 
nen als  »Hochzeitsbänder  und  Trauungs- 
ringe«. Wo  diese  Wirkung  nicht  in  Er- 
scheinung tritt,  wie  gerade  zeitweise  in 
unserem  Vaterlande,  da  wird  sie  eben 
durch  stärkere  Gegenbewegungen  ver- 
hüllt oder  überwunden.  Aber  schliess- 
lich kann  der  nachhaltige  Einfluss  der 
Eisenbahnen  auch  in  dieser  Hinsicht  nicht 
verloren  gehen. 

Eine  besondere  Kräftigung  erfährt  die 
Staatsgewalt  natürlich  dort,  wo  der  Staat 
den  Betrieb  der  Eisenbahnen  führt,  und 
damit  ein  ganzes  Heer  von  treuen  Die- 
nern gewinnt,  die  sich  in  Erfüllung  schwe- 
rer Pflichten  vor  allen  anderen  ausge- 
zeichnet und  bewährt  haben.  Und  diese 
Zahl  ist  nicht  geringe;  nach  der  Volks- 
zählung von  1890  beschäftigt  der  Eisen- 
bahnbetrieb in  Oesterreich  rund  icx>.cxx> 
und  ernährt  bei  330.000  Personen.  Aber 
auch  die  Regelung  des  Eisenbahnbetriebes 
durch  den  Staat,  die  Erstellung  der  Fahr- 
ordnungen und  Tarife  mit  ihrem  weit- 
gehenden Einflüsse  auf  Bestehen  und 
Entwicklung  aller  Wirthschaftszweige 
bildet  eine  der  Voraussetzungen,  um  die 
Leitung  der  gesammten  Volkswirthschaft 
in  die  Hände  der  hiezu  berufenen  staat- 
lichen Gewalt  zu  legen. 

So  stellen  sich  die  Eisenbahnen  als 
ein  wesentlicher  Bestandtheil  des  Volks- 
vermögens in  dessen  weitestem  Sinne  dar, 
als  ein  wichtiges  Glied  jenes  weitver- 
zweigten Apparates  für  den  organisch- 
leiblichen Unterhalt,  für  die  persönliche 
Einzelthätigkeit  und  für  die  reale  Ver- 
knüpfung aller  Personen  zur  unendlich 
verzweigten  Gemeinschaft  geschäftlichen 
Zusammenwirkens  und  geistiger  Mitthei- 
lung. Die  Eisenbahnen  sind  das  vornehmste 
Organ  jenes  grossartigen  Apparates  des 


äusseren  Wirkens  und  des  inneren 
Verbandes  für  die  Volksgemeinschaft. 

Und  wie  im  einzelnen  Staate,  so 
wirken  die  Eisenbahnen  auch  in  ganzen 
Staatenwelten  in  tief  einschneidender 
Weise.  Man  wird  nicht  fehlgehen  mit 
der  Behauptung,  dass  an  dem  Bestreben 
zur  Bildung  von  Grossstaaten  und  Staaten- 
bünden die  Eisenbahnen  nicht  unwesent- 
lichen Antheil  haben,  indem  gerade  durch 
sie  jene  Gleichartigkeit  der  wirthschaft- 
lichen  und  gesellschaftlichen  Interessen 
weiter  Gebiete  erzeugt  wird,  welche  der 
Bildung  von  Kleinstaaten  entgegensteht. 
Jene  Interessen  verlangen  möglichste 
Gleichartigkeit  in  Gesetzgebung  und  Ver- 
waltung und  den  Schutz  einer  starken 
Macht  gegen  innere  und  äussere  Feinde. 
Aber  auch  in  den  friedlichen  Beziehungen 
der  Staaten  untereinander  treten  deutlich 
die  Einflüsse  der  Eisenbahnen  zu  Tage,  die 
den  Verkehr  von  Volk  zu  Volk  ver- 
mitteln, die  Interessen  verknüpfen,  die 
gegenseitige  Kenntnis  vermehren,  zum  bes- 
seren Verständnisse  und  zur  gerechteren 
Beurtheilung  der  beiderseitigen  Eigenarten 
beitragen,  so  als  wahre  Friedensträger 
wirken,  und  als  Hauptstützen  einer  Frie- 
denspolitik dienen,  wie  solche  Oesterreich 
unter  seinem  weisen  Herrscher  mit  so 
grossem  Erfolge  und  zum  Segen  seiner 
Völker,  wie  der  ganzen  Culturwelt,  verfolgt. 

Wenn  es  dagegen  gilt,  das  Vaterland 
in  schwerer  Stunde  der  Gefahr  zu  ver- 
theidigen,  für  den  Thron  zu  kämpfen 
und  die  Integrität  der  eigenen  Volks- 
wirthschaft zu  schützen,  da  spielen  die 
Eisenbahnen  auch  wieder  eine  erste 
Rolle.  Auf  dem  Gebiete  des  Kriegs- 
wesens haben  sie  grossartige  Wirkungen 
nach  sich  gezogen,  und  die  Wehrhaftig- 
keit  der  Völker  in  ungeheuerem  Masse 
gesteigert.  Der  wirthschaftliche  wie  der 
sittliche  Einfluss  grosser  Kriege  ist  ins- 
besondere durch  die  Eisenbahnen  ein 
ganz  anderer  geworden.  Die  Wichtig- 
keit der  Eisenbahnen  in  dieser  Hinsicht 
liegt  nicht  allein  darin,  dass,  wie  an 
anderer  Stelle  dargethan  wird,  *)  den  unge- 
heueren im  Felde  stehenden  Heeresmassen 
Proviant  und  Munition,  der  erforderliche 


!         *)  Vgl.  Bd.  IL,   »Unsere  Eisenbahnen  im 
■   Kriege«. 


Einwirkung  der  Eisenbahnen  auf  das  Volksleben. 


93 


Ersatz  an  Mannschaft,  Pferden,  Waffen 
und  sonst  Noth wendigem  zugeführt  wird, 
und  die  Kranken  und  Verwundeten  in 
Lazarethe  oder  die  Gefangenen  in  die 
Heimat  zurttckbefördert  werden.  Durch 
ihre  ausserordentliche  Bedeutung  für  die 
Mobilmachung,  als  Mittel  zur  Durch- 
führung von  Aufmarsch  und  Angriff,  zur 
Vereinigung  der  Macht  an  bedrohten  Punk- 
ten des  Kriegsschauplatzes  und  zu  Be- 
wegungen hinter  der  Front  ermöglichen 
sie  einerseits  auch  eine  beispiellose  Schlag- 
fertigkeit der  modernen  Armeen  und 
stellen  eine  strategische  Waffe  von  ge- 
waltiger Kraft  dar,  andrerseits  jedoch  be- 
wirken sie  eine  wesentliche  Verkürzung 
der  Kriege.  Wenn  es  wahr  ist,  dass  der 
culturfeindliche  verwildernde  Einfluss  der 
Kriege  sich  hauptsächlich  bei  längerer 
Dauer  derselben  zeigt,  so  liegt  in  der 
Abkürzung  der  Kriege  einer  der  grössten 
Fortschritte  menschlicher  Cultur.  Und 
wenn  früher  die  Gegenden,  in  denen  der 
Krieg  gehaust  hatte,  auf  Jahre  hinaus 
verarmten,  so  sind  es  heute  wieder  die 
Eisenbahnen,  die,  dem  Speere  des  Achilles 
gleich,  die  Wunden,  die  sie  schlagen 
halfen,  in  Kürze  auch  wieder  heilen. 

Noch  sei  der  Förderung  gedacht, 
welche  die  Wissenschaften  als  solche 
durch  die  Eisenbahnen  erfahren  haben. 
Zunächst  die  Elektrotechnik,  Telegraphie, 
und  neuestens  das  Telephon,  durch  die 
Bestrebungen,  diese  in  immer  ausgedehn- 
terem Masse  in  den  Dienst  des  Eisen- 
bahnwesens zu  stellen.  Zweifellos  wird 
die  Zukunft  in  dieser  Beziehung  noch 
grosse  Aufgaben  zur  Lösung  bringen, 
deren  Anfänge  wir  in  den  bereits  heute 
elektrisch  betriebenen  Bahnen  sehen. 

Sämmtliche  Ingenieur  Wissenschaften , 
die  Messkunst  und  Mechanik,  die  Statik 
und  Dynamik,  sind  durch  den  Eisenbahn- 
bau in  kürzester  Zeit  in  ganz  ausser- 
ordentlicher Weise  gehoben  worden.  Wir 
sehen  die  bisherigen  Ergebnisse  dieser 
Wissenschaften  theilweise  umgesetzt  in 
den  Locomotiven,  Waggons,  Maschinen 
und  Werkzeugen  aller  Art,  in  den  Brücken, 
Viaducten,  Tunnels,  Aquäducten,  in  Sicher- 
heits-  und  Signalvorrichtungen  u.  a.  m. 
Die  Metallurgie  ist  durch  die  Eisenbahnen, 
den  Haupteon sumenten  von  Eisen,  Stahl, 
Kupfer  und  Bronzen,  in  ein  ganz   neues 


Stadium  getreten.  Auch  für  Geographie 
und  Geologie,  Ethnologie  und  Geschichte 
haben  die  Eisenbahnen  manchen  grossen 
Gewinn  gebracht.  Der  Rechtswissenschaft 
wurde  durch  die  Eisenbahnen  und  deren 
mannigfache  Beziehungen  zu  Staat,  Ge- 
sellschaft und  Einzelnen  ein  ungeheueres 
und  gänzlich  neues  Feld  eröffnet.  Infolge 
der  geänderten  Verkehrsverhältnisse  muss- 
ten  ganze  Gruppen  positiven  Rechtes  neu 
geschaffen  werden.  Das  private,  öffent- 
liche und  Völkerrecht  erfuhren  durch 
den  Einfluss  der  Eisenbahnen  weit- 
gehende Umgestaltung  und  Ergänzung.  Ja, 
es  wird  überhaupt  kein  Wissenszweig  zu 
nennen  sein,  der  nicht  an  diesem  Gewinne 
theilgenommen  hat.  Denn  die  Eisen- 
bahnen vermitteln  nicht  nur  den  so  wich- 
tigen Austausch  von  Nachrichten,  den 
persönlichen  Verkehr  und  Bücherversandt, 
sie  ermöglichen  den  Besuch  der  Brenn- 
punkte des  geistigen  Lebens  und  erleich- 
tem die  Beschaffung  des  wissenschaft- 
lichen Arbeitsmateriales.  Einerseits  wird 
das  letztere  aus  der  ganzen  Welt  in  die 
Stube  des  Gelehrten  zusammengezogen, 
andrerseits  eilt  der  Forscher  hinaus  an 
die  Stätten  des  Geschehens.  So  haben 
sich  auch  Methoden  und  Hilfsmittel  der 
Wissenschaften  verändert,  erweitert,  ver- 
schärft und  dementsprechend  sind  die 
staunenswerthen  Ergebnisse  auf  allen  Ge- 
bieten des  Forschens  und  Wissens. 

Durch  Vermittlung  der  Eisenbahnen 
ist  die  geistige  Arbeit  unserer  Zeit  viel 
weniger  wie  früher  blos  eine  Summe 
logischer  Einzelthätigkeiten  und  isolirt 
betriebener  Künste  ohne  Zusammenhang, 
sondern  Eine  grosse  historische  Gesammt- 
leistung  geworden.  Sie  ist  durch  die 
Eisenbahnen  Collectivarbeit  geworden, 
ein  grosses  arbeitstheiliges  System  beson- 
derer praktischer  und  theoretischer  Er- 
kenntnisacte  auf  Grund  ununterbrochener 
Tradition  und  nunmehr  ermöglichter  Com- 
munication  der  einzelnen    Vorstellungen. 

Der  Einfluss,  den  die  Eisenbahnen  aui 
Kunst  und  Kunstschaffen  genommen 
haben,  lässt  sich  zwar  nicht  in  gleicher 
Weise  unmittelbar  nachweisen  und  er- 
kennen ;  ^ber  zweifellos  hat  auch  hier  ihr 
Einfluss  gewirkt,  indem  sie  einerseits 
zahlreichen  Künstlern  und  Kunstfreunden 
die   Möglichkeit    gewähren,    die    Stätten 


94 


Dr.  Reichsfreiherr  zu  Weichs-Glon. 


antiker  Kunstdenkmale,  die  Sammlungen 
und  Ausstellungen  von  Kunstschätzen 
alter  und  neuer  Meister,  die  Theater  und 
Aufführungen  von  Tonwerken  zu  be- 
suchen. Was  früher  nur  ganz  besonders 
Auserwählten  vergönnt  war,  ist  heute  — 
ideell  —  fast  Jedem  zugänglich  gemacht. 
Die  Eisenbahnen  wirken  in  diesem  Sinne 
auf  Popularisirung  der  Kunst;  d.  h.  sie 
würden  an  sich  wohl  ein  Mittel  bilden, 
um  das  gesammte  Kunstschaffen  gewisser- 
massen  unter  die  Controle  des  ganzen 
Volkes  zu  stellen.  Den  Eisenbahnen 
einen  unmittelbaren  Einfiuss  auf  die  Rich- 
tung und  Ideale  der  modernen  Kunst  zu- 
zuschreiben, wäre  vielleicht  zu  weitgehend. 
Es  kann  jedoch  kaum  geleugnet  werden, 
dass  die  Eisenbahnen  infolge  ihrer  weit- 
reichenden Beziehungen  und  tiefein- 
schneidenden Wirkungen  auf  allen  Ge- 
bieten des  socialen  Lebens,  der  physischen 
Arbeit  und  des  geistigen  Schaffens  nicht 
unwesentlich  zu  dem  Vordringen  des 
Materialismus  auf  ethischem  Gebiete  bei- 
getragen und  derart  auch  in  dieser  Hin- 
sicht auf  die  Entwicklung  der  Kunst  mit- 
gewirkt haben.  Die  Ursachen  dieses 
Processes  sind  jedoch  zu  verwickelt,  um 
den  besonderen  Antheil  der  Eisenbahnen 
daran  bestimmen  zu  können. 

Wohl  hängt  ja  auch  sonst  ein  grosser 
Theil  der  ernsten  Bedenken,  die  man 
gegen  unsere  Zeit  und  die  gegenwärtige 
Entwicklung  der  menschlichen  Gesell- 
schaft und  ihrer  Cultur  im  Allgemeinen 
in  berechtigter  Weise  erheben  kann, 
mittelbar  oder  unmittelbar  mit  den  Eisen- 
bahnen zusammen.  Aber  vielleicht,  ja 
gewiss  sind  die  vielfach  schweren  Uebel- 
stände  nicht  nothwendig  und  nicht  dauernd 
mit  unseren  modernen  Einrichtungen  ver- 
bunden. Vielleicht  lassen  sie  sich  durch 
anderweitige,  entgegenwirkende  Organi- 
sationen, durch  geläuterte  Sitten  und  An- 
schauungen beseitigen;  vielleicht  ist  ein 
wesentlicher  Theil  dieser  Uebelstände 
nur  eine  Uebergangserscheinung  und  mit 
einer  bestimmten  und  zu  überwindenden 
Entwicklungsphase  verknüpft.  Aber  vor- 
derhand bestehen  sie  —  und  sie  bestehen 
auch  bei  uns,  das  ist  nicht   zu    leugnen. 


Andrerseits  ist  aber  auch  nicht  zu  ver- 
kennen, dass  wir  auf  der  Bahn  des  Fort- 
schrittes und  der  Culturentwicklung 
gerade  und  vornehmlich  durch  die  Eisen- 
bahnen ganz  ungeheuer  rasch  vorange- 
kommen sind,  wenn  sich  dieser  Fortschritt 
auch  nicht  auf  allen  Lebensgebieten 
gleichmässig  vollzogen  hat,  ja,  dass  w-ir 
in  der  Technik,  und  insbesondere  in  der 
Technik  des  Verkehrs  viel  schneller  vor- 
wärts gekommen  sind,  als  in  unseren 
sittlichen  Anschauungen  und  gesellschaft- 
lichen Einrichtungen.  Aber  man  muss  sich 
auch  bewusst  bleiben,  dass  sich  die  grossen 
Fortschritte  der  Menschheit  immer  nur 
in  heissen,  oft  bis  zur  theilweisen  Ver- 
nichtung führenden  Kämpfen  und  in  Ein- 
seitigkeit vollziehen,  und  dass  es  nicht 
einem  Zeitalter  vergönnt  sein  kann,  auch 
alle  die  Früchte  zu  ernten,  zu  denen  es 
selbst  die  Saat  gelegt  hat. 

Wir  nennen  unser  Zeitalter  stolz  ein 
prometheisches.  Seien  wir  darum  auch 
eingedenk  der  Worte,  welche  die  erhabene 
Göttin  des  Lichtes  Prometheus  zurief: 

»Gross  beginnt  ihr  Titanen!  Aber 
leiten  zu  dem  ewig  Wahren,  ewig 
Schönen,  ist  der  Götter  Werk;  die 
lasst  gewähren!« 

So  dürfen  auch  wir  in  Zuversicht 
hoffen,  dass  eine  Zeit  kommen  wird,  in 
der  die  Eisenbahnen  als  das  uneinge- 
schränkt wirken  werden,  was  sie  ihrem 
eigentlichsten  Wesen  und  dem  ihnen 
innewohnenden  Streben  nach  sind:  Als 
eine  der  vornehmsten  Waffen  und  W^erk- 
zeuge  für  die  Civilisation  und  für  die 
Cultur  der  Menschheit!  —  Dabei  bleibe 
uns  jedoch  stets  bewusst,  dass  wir  nicht 
glücklicher  und  nicht  besser  werden  durch 
die  Cultur,  dass  diese  ja  gar  nicht  dazu 
da  ist,  unser  Leben  glücklicher  zu  ge- 
stalten, unsere  Moral  zu  verbessern,  uns 
pflichtgemässer,  tüchtiger,  gesünder  zu 
machen.  —  Die  Cultur  ist  nichts  als  ein 
grossartiges  Kampfmittel  des  Geistes 
gegen  die  Natur  und  gegen  Mitbewerber. 
Von  diesem  Gesichtspunkte  aus  müssen 
auch  die  Eisenbahnen  angesehen  werden. 


Die  Stellung 
Eisenbahnen  im  Welthandel. 


Von 

Dk.  Alexander  Peez. 


I. 


DIE  alten  Griechen  pflegten  das  Land 
ihrer  Heimat  mit  einem  Platanen- 
blatte zu  vergleichen.  Das  Bild  ist 
zutreffend.  Denn  wie  das  genannte  Blatt 
im  Ganzen  eine  längliche  Rundung  be- 
sitzt, wie  aber  sein  Rand  mannigfach  ge- 
brochen ist  und  einzelne  Zacken  und 
Spitzen  weit  herausragen,  dazwischen 
Lücken  und  Einbuchtungen  tief  in  den 
Blattkörper  eindringen  —  ebenso  stellt 
sich  die  griechische  Halbinsel  unseren 
Blicken  dar. 

Allein  wir  können  noch  einen  Schritt 
weiter  gehen.  Griechenland  ist  nämlich 
der  Form  nach  ein  Europa  im  Kleinen, 
und  das  Gleichnis  vom  Platanen  blatte 
lässt  auch  auf  den  europäischen  Welt- 
theil  seine  Anwendung  zu.  Nur  ist 
dabei  zu  beachten,  dass  Griechenland 
seine  Spitze  gegen  Süden,  Europa  aber 
gegen  Westen  kehrt.  Dann  aber  ist  die 
Aehnlichkeit  nicht  abzuweisen.  Beide 
Länder  sind  Halbinseln  und  zeigen  eine 
stark  ausgezackte,  durch  weite  Buchten 
eingerissene  Küstenentwicklung.  [Vgl. 
Abb.  8,  9,   lo.] 

Fasst  man  nun  unseren  Welttheil 
etwas  genauer  ins  Auge,  so  gewahren 
wir  Folgendes: 

Auf  drei  Seiten  vom  Meere  umspült, 
ist  Europa  eine  Halbinsel,  und  zwar  eine 
in  die  Atlantis  hineinragende,  im  Süden 
vom  Mittelländischen  Meere,  im  Norden 
von  der  NordseeundOstseefiankirteHalb- 
insel  Asiens.  Im  Gegensatze  zur  massigen 
Gestalt    Asiens,    Afrikas   und   theilweise 


auch  Amerikas,  erscheint  Europa  auf- 
gelockert und  durch  Buchten  gespalten, 
gleichsam  ein  Stern  von  Inseln  und 
Halbinseln. 

Unser  Welttheil  zeigt  einen  mittleren 
Kern,  der  von  Ost  nach  West  an  Umfang 
abnimmt,  und  an  diesen  Mittel  stamm 
setzen  sich  dann  rechts  und  links  als 
Glieder  Inseln  und  Halbinseln  an. 

Den  Stamm  bilden  das  den  Uebergang 
zu  Asien  ausmachende  Russland,  dann 
folgen  als  eigentliche  Mittel! ander  Oester- 
reich-Ungam  und  das  Deutsche  Reich 
sowie  weiter  Frankreich.  An  diesen 
mittleren  Leib  setzen  sich  rechts  an: 
Grossbritannien,  Dänemark,  Skandinavien, 
links  aber  Spanien,  Italien  und  die 
Balkan  lande  r. 

Diese  Gestaltung  des  Welttheil  es 
musste  mächtigen  Einfluss  üben  auf  die 
Entwicklung  der  Völker,  auf  die  Zeit- 
folge und  Dichte  ihrer  Cultur,  auf 
die  Entfaltung  von  Schifffahrt,  Handel, 
Gewerbe  und  Industrie  sowie  auf  die 
Stellung  der  einzelnen  Länder  im  Welt- 
handel. 

Der  Charakter  Europa 's  als  eines 
Sternes  von  Halbinseln  von  grosser 
Küstenlänge,  öffnete  dem  Handel  sichere, 
wohlzugängliche  Buchten  und  verviel- 
fältigte dadurch  Anlage  und  Gelegenheit 
zur  Entwicklung  von  Handel  und  Verkehr 
in  einer  Zeit,  wo  Jahrtausende  hindurch 
der  Seehandel  fast  die  einzige  Form  des 
Grosshandels  war  und  jedenfalls  in  Allem 
und  Jedem  an  Bedeutung  den  Landhandel 


98 


Dr.  Alexander  Peez. 


übertraf,  der  so  oft  von  Feinden  beun- 
ruhigt ward,  am  zähen  Boden  haftete  und 
nur  von  schwachen  Menschen-  oder  Thier- 
kräften  besorgt  werden  konnte. 

Demgemäss  Hessen  sich  Verkehr  und 
Cultur  am  liebsten  in  Gegenden  mit 
grosser  Küstenlänge  nieder.  Also  auf 
Inseln  und  Halbinseln.  Das  zeigt  sich 
im  Laufe  der  Geschichte  an  den  Küsten 
des  Mittelmeeres:  im  alten  Phönikien, 
in  Jonien,  Griechenland,  Italien,  der 
Provence;  später  auch  am  Atlantischen 
Ocean:  in  Flandern,  den  Hansestädten, 
Holland  und  Grossbritannien. 

Mit  Entstehung  der  Eisenbahnen 
hat  sich  dieser  uralte  Grundsatz  der 
Geschichte  einigermassen  geändert.  Erst 
durch  die  Eisenbahnen  erweitert  sich  die 
Verkehrsfähigkeit,  die  sonst  nur  an  See- 
gestaden oder  schiffbaren  Flüssen  haf- 
tete, über  weite  Ländergebiete;  diese 
werden  gleichsam  mit  eisernen  Ebenen 
durchzogen,  ihren  Erzeugnissen  wachsen 
Flügel,  jede  Kraft  gelangt  zur  Verwer- 
thung,  ein  Austausch  wird  möglich  und 
gewinnbringend,  es  bilden  sich  Erspar- 
nisse, die  Production  steigt,  die  Cultur 
verdichtet  sich,  die  Länder  werden  zu 
einer  gewissen  verkehrspolitischen  Ein- 
heit verbunden  und  suchen  ihre  richtige 
Stellung  im  Welthandel  zu  erstreiten. 

Auch  für  die  Länder  mit  starker 
Küsten-Entwicklung  haben  die  Eisenbah- 
nen selbstverständlich  hohe  Wichtigkeit. 
Aber  noch  viel  grösser  ist  deren  Bedeu- 
tung für  Binnenländer,  wieOester- 
reich-Ungarn. 

In  beiden  Fällen  ist  die  Wirkung  der 
Bahnen  etwas  verschieden.  Zwei  Bei- 
spiele werden  es  zeigen,  indem  wir  Gross- 
britannien, welches  loo^o  Küstengrenze 
hat,  mit  Oesterreich-Ungarn  vergleichen, 
welches  nur  22®/q  Küstenlänge  und  auch 
diese  meist  in  abgelegener  Gegend 
besitzt. 

England,  ganz  Küstenland,  wird  durch 
die  Eisenbahnen  zu  einem  einzigen,  von 
Nerven,  Blutadern  und  Muskeln  des  Ver- 
kehrs dicht  durchzogenen  Organismus 
gemacht  und  dadurch  in  sich  noch 
schärfer  zusammengefasst,  als  es  dies 
schon  durch  seine  Eigenschaft  als  Insel 
gewesen  ist.  Der  Einfluss  des  Meeres 
und  seiner  Häfen  wird  durch  die  Bahnen 


noch  mehr  als  bisher  in  das  Innere  des 
Landes  getragen.  Der  ganze  Eisenbahn- 
verkehr Englands  ist  Inlandsverkehr.  Es 
gibt  keine  Eisenbahnanschlüsse,  oder, 
richtiger  gesagt,  Englands  Häfen  sind 
die  Eisenbahnanschlüsse,  und  es  bilden 
[für  kleine  Entfernungen]  Trajecte,  für 
grössere  Entfernungen  aber  Schiffe,  die 
in  alle  Welt  hinausgehen,  die  Fort- 
setzung seiner  Eisenbahnen.  Ein  Durch- 
zugsverkehr besteht  nicht,  wenn  man  nicht 
etwa  das  Umladen  von  Fremdwaaren  in 
den  Häfen  als  solchen  bezeichnen  will. 
Dagegen  ist  die  reich  fliessende  Quelle 
für  das  Gedeihen  der  englischen  Eisen- 
bahnen die  ungeheure  englische  Industrie, 
welche,  insoweit  ihre  Werkstätten  nicht 
an  der  See  liegen,  von  den  Bahnen  colos- 
sale  Gütermengen  aufnimmt,  und  in  ver- 
arbeitetem Zustande  wieder  abgibt.  Daher 
ist  denn  auch  die  stete  Concurrenzirung 
der  Bahnen  durch  die  wohlfeile  See- 
fracht [abgesehen  von  Fluss  und  Canal] 
für  die  Rentabilität  der  Bahnen  minder 
gefährlich,  als  in  Ländern  von  geringer 
Industrie,  wo  der  Durchzugs  verkehr  und 
überhaupt  der  Verkehr  auf  langer  Linie 
eine  grosse  Rolle  spielt.  Die  Fühlung 
mit  der  Aussenwelt  sucht  England  nicht 
durch  seine  Bahnen,  sondern  durch  seine 
Schiffe.  Der  grosse  Austausch  zwischen 
Landwirthschaft  und  Industrie,  auf  wel- 
chem alle  schaffende  Arbeit  beruht,  voll- 
zieht sich  in  England  nicht  mehr  durch 
inneren  Verkehr,  sondern  durch  Welt- 
verkehr. Seine  Ackerfluren  liegen  in 
den  Vereinigten  Staaten,  in  Indien  oder 
Argentinien,  seine  Wälder  grünen  am 
Lorenzostrom  oder  am  Orinoco,  seine 
Viehhöfe  stehen  in  Australien  oder  am 
La  Plata,  und  die  Bezahlung  dieser  land- 
wirthschaftlichen  Erzeugnisse  erfolgt 
durch  Artikel  der  englischen  Industrie 
oder  als  Verzinsung  von  Capitalien,  welche 
von  der  Industrie  geschaffen  wurden.  Bei 
diesem  unermesslichen  Verkehre  spielen 
die  Eisenbahnen  nur  die  Rolle  der  Zubrin- 
ger, oder  —  und  auch  dieser  Ausdruck 
wäre  gerechtfertigt  —  das  Inselland  Eng- 
land ist  der  grosse,  dicht  mit  Geleisen 
belegte  Bahnhof,  wo  Schiflszüge  aus  aller 
Welt  über  See  eintreffen  und  von  wo  sie, 
mit  Erzeugnissen  der  englischen  Indu- 
strie   beladen,     auslaufen.      England    ist 


daher  eine  Welt  für  sich.  Es  hat  das 
übrige  Europa  kaum  nnthig,  ja  seine 
Interessen  bewegen  sich  oft  in  einem 
gewissen  Gegensatze  zu  den  Interessen 
Europas. 

Ganz  anders  in  Oesterreich-Ungarn. 
Die  Monarchie  bildet  das  geographische 
Gegenspiel  zu  England.  Dort  eine  Insel, 
bei  uns  das  binnenländischeste  Binnen- 
land. Dort  umspült  das  Meer  die  ganze 
Grenze,     hier     nur    '/s    derselben.     Dort 


rechnend,  hier,  mitten  unter  Genossen, 
und  zwar  concurrirenden  Genossen,  die 
Stellung  der  Bahnen  oft  gebunden,  ihre 
Tarifpolitik  schwierig,  die  Leitungen  stets 
gemahnt,  dass  sie  bei  aller  Selbständig- 
keit, doch  einen  Theil  Europa's  durch- 
ziehen, und  zwar  einen  Theil  des  euro- 
päischen Mittelstammes,  nicht  aber  eine 
seiner    Inseln  und  Halbinseln. 

Die  Parallele  liesse  sich  noch  weiter 
durchführen,  aber  sie  würde  dann  Gebiete 


liegt  die  Hauptstadt  unmittel- 
bar an  der  See,  hier  zwischen 
Hauptstadt  und  dem  wich- 
tigsten Seehafen  des  Reiches 
eine  grosse  Entfernung.  Dort 
eine  alte,  consohdirte  riesen- 
hafte    Industrie,    gelehnt   an 

Kohlenfelder  und   See,    also  | 

an     die    Quellen     der    Kraft  Abt 

und  des  leichtesten  Trans- 
portes; hier  dagegen  erst  die  Anfänge 
der  Industrie  und  vielfach,  da  vom  Aus- 
lande herein  verpflanzt,  excentrisch  an 
den  Grenzen  und  durchweg  weit  von 
der  See,  vielfach  auch  weit  von  den 
Kohlen  entfernt.  Dort  der  U ebergang 
vom  biniienländischen  Austausch  zwi- 
schen Landwirth Schaft  und  Industrie  zum 
Weltverkehr  bereits  vollzogen  und  mit 
allen  seinen  Folgen  durchgedrungen,  hier 
der  Uebergang  erst  angedeutet  und  daher 
die  Rücksichtnahme  auf  das  bestehende, 
gemischte  Verhältnis  nothwendig.  Dort, 
auf  der  Insel,  die  Bahnen  frei  und  nur 
mit   den   Interessen  des   eigenen  Landes 


die  Mög 
der    Mona; 
in    grosse 
wurde. 


berühren,  die  hier  ferne  blei- 
ben müssen. 

Das  Gesagte  jedoch  mag 
genügen,  um  darzuthun, dass 
durch  die  Eisenbahnen 
die  Eigenschaft  der 
Monarchie  als  eines 
Binnenlandes  wesent- 
lich verbessert  und  erst 
durch  die  Eisenbahnen 
chkeit  einer  Theilnahme 
rchie  am  Welthandel 
Stile     geschaffen 


Zu  dem  Gleichnisse  des  Platanen- 
blattes zurückkehrend,  zeigt  sich  uns 
O esterreich -Ungarn  als  ein  Land  der 
Mitte,  den  Südosten  dieser  Mitte  des 
Blattes  bildend,  und  gleichzeitig  ein 
Land,  welches,  über  der  grossen  Bucht 
des  Adriatischen  Meeres  aufgebaut,  zwei 


IC» 


Dr.  Alexander  Peez. 


Zacken  des  Blattes,  nämlich  die  Balkan- 
halbinsel und  die  Apenninische  Halbinsel 
verbindet. 

Oesterreich-Ungarn  ist  so  sehr  Land 
der  Mitte,  dass  seine  Hauptstadt  von  der 
See  entfernter  ist,  als  die  jedes  anderen 
europäischen  Landes.  Diese  wichtige 
Thatsache  wird  durch  nachstehendes 
Bild  deutlicher: 


Berechnet  man  lediglich  auf  Grund- 
lage der  Entfernungen  die  Frachtpreise, 
so  ergibt  sich,  dass  die  durchschnittlichen 
Transportkosten  nach  oder  von  dem 
nächsten  Seehafen  in  folgendem  Verhält- 
nisse stehen :  Beispielsweise  bei  Getreide 
für  Paris  und  Berlin  pro  Metercentner 
etwa  30  Kreuzer  ö.  W.,  für  Wien  je- 
doch 90  Kreuzer;  pro  Metercentner  Stab- 


a)  London 

b)  St.  Petersburg 

c)  Constantinopel 

d)  Rom 

e)  Berlin 

f)  Paris 

j  Madrid 


Entfernung  der  europäischen  Hauptstädte  vom  Meere. 


London,  St.  Petersburg  und  Constan- 
tinopel besitzen  den  grossen  Vorzug  einer 
Lage  unmittelbar  an  der  See.  Dann 
folgen  Rom,  Berlin,  Paris,  zuletzt  kommen 
Madrid  und  Wien,  zwei  Binnenstädte, 
die  ungefähr  gleichweit  von  dem  Meere 
entfernt  liegen. 

Durch  die  Eisenbahnen  ist  nun  aller- 
dings dieser  Fehler  der  geographischen 
Lage  verbessert,  aber  darum  noch  lange 
nicht  aufgehoben. 

Legt  man  die  durchschnittliche  Ge- 
schwindigkeit eines  Postzuges  zu  Grunde, 
so  braucht  der  Güterverkehr,  um  von  der 
Hauptstadt  zur  See  zu  gelangen: 

London,  St.  Petersburg, 

Constantinopel 
Berlin -Stettin  .     . 
»        Hamburg  . 
*       Kopenhagen 

TrajectJ      .     .     .14 

Paris-Havre 7 

»       Calais 8^ 

»       Brest 20 

*        Marseille     •     •     •     -  Z3 

Wien-Triest 21 

»       Hamburg     .     .     .     .  307» 


[mit 


o  Stunden 

7 
9V2     ^ 


2 


» 


Der  Charakter  Wiens  als  Binnenstadt 
tritt  in  dieser  Vergleichung  scharf  hervor. 
Der  nächste  Hafen,  Triest,  ist  dreimal 
so  weit,  als  Stettin  von  Berlin  und  Ha  vre 
von  Paris. 


eisen  für  Paris  und  Berlin  •  34  Kreuzer, 
für  Wien  102;  bei  Manufacten  für 
Paris  und  Berlin  50,  für  Wien  146  Kreu- 
zer ö.  W. 

Die  weite  Entfernung  Wiens  von  der 
See  erschwert  demnach  den  Verkehr, 
zumal  den  Ausfuhrverkehr,  sehr  bedeu- 
tend. Noch  grösser  sind  vielleicht  die 
moralischen  und  politischen  Nachtheile. 
Es  weht  in  Wien  zu  wenig  Salzwasser- 
luft. Da,  wo  die  See  fluthet,  da  ist  der 
Handel  zu  Hause,  da  weiss  man  dessen 
Werth  und  Bedeutung  zu  würdigen.  Ein 
Blick  in  die  öffentlichen  Blätter  einer 
See-  und  Hafenstadt  zeigt,  welche  Stellung 
die  wirthschaftlichen  Interessen  in  der 
öffentlichen  Meinung  einnehmen.  Von  da 
dringen  sie  in  die  leitenden  Kreise,  und 
Gesetzgebung  und  Verwaltung  lernen  mit 
ihnen  zu  rechnen,  sie  als  unentbehrliche 
Grundlage  des  Volkswohlstandes,  der 
Staatswirthschaft  und  des  Gedeihens  des 
Reiches  zu  betrachten,  woraus  selbst- 
verständlich auch  dem  Verkehre  die  beste 
Förderung  erwächst. 


in. 


Wenn  in  dieser  Hinsicht  die  binnen- 

I  ländische     Lage    der    Hauptstädte   Wien 

und    Pest,  sowie    der    ganzen  Monarchie 

nicht    günstig    zu    nennen    ist,  so  bringt 


Die  Stellung  unserer  Eisenbahnen  im  Welthandel. 


lOI 


doch    auch    wieder    dieselbe    Lage    dem 
Eisenbahnverkehre  manche  Vortheile. 

Je  weniger  Seeküste,  je  weniger 
schiffbare  Flüsse  und  Canäle,  um  so 
wichtiger  und  dankbarer  die  Rolle  der 
Eisenbahnen ! 

Ein  wohlausgebildetes  Eisenbahnnetz 
verwandelt  bis  zu  einem  gewissen  Punkte 
das  Binnenland  in  ein  Küstenland.  Gleich- 
wie die  Eisenbahn  den  Industriellen, 
der  für  den  Weltverkehr  arbeitet,  von 
der  Nothwendigkeit  der  Anlage  seiner 
Fabrik  an  der  See-  oder  Wasserstrasse 
unabhängig  macht,  so  ist  es  umgekehrt, 
die  Industrie,  die,  wenn  von  den 
Eisenbahnen  entsprechend  unterstützt, 
das  Binnenland  von  der  Herrschaft  der 
Küstenländer  frei  macht.  Indem  sie 
starke  und  regelmässige  binnenländische 
Verbrauchscentren  ins  Leben  ruft,  schafft 
sie  einen  binnenländischen  Massen- 
verkehr, den  einst  nur  die  Küsten,  nur 
einige  wenige  begünstigte  Flussthäler 
kannten. 

Die  Kohle,  der  Masse  nach  der  grösste 
Verbrauchsartikel  der  Industrie,  schafft 
die  bestrentirenden  Bahnen.  Der  Kohle 
folgt  das  Eisen.  Wo  Kohle  und  Eisen, 
da  ist  auch  die  Maschinen-Industrie,  die 
chemische  Industrie,  die  Zucker-Industrie 
nicht  ferne.  Ein  Waggon  fertiger  Eisen- 
waaren,  die  der  Bahn  übergeben  werden, 
setzt  schon  lo  Waggons  Roh-  und  Hilfs- 
stoff'e  voraus,  die  zur  Erzeugung  noth- 
wendig  waren;  wird  dieser  Waggon 
fertiger  Eisenwaaren  nicht  im  Inlande 
verbraucht,  sondern  exportirt,  so  tritt 
noch  das  Porto  zur  Grenze  hinzu,  und 
es  bleibt  dann  noch  Raum  für  einen 
zweiten  Waggon  zur  Deckung  der  Lücke 
im  inländischen  Verbrauche.  Daher  der 
Erfahrungssatz :  wo  die  Industrie 
ihre  Standorte  gewählt  hat,  da 
gedeihen  die  Eisenbahnen. 

Durch  die  Industrie  werden  die  schwe- 
ren Rohstoffe  des  Binnenlandes  in  leicht- 
beschwingte Fabrikate  umgestaltet,  die, 
in  weniger  voluminöser  Form  grösseren 
Werth  bergend,  dem  Exporte  zustreben. 
Bei  einem  Culturstaate  ist  es  nicht 
die  Ausfuhr  von  Rohstoffen,  sondern 
die  Ausfuhr  von  Fabrikaten,  womit  der 
active  Antheil  am  Weltmarkte  errungen 
wird. 


IV. 

Wie  steht  es  nun  mit  unserem  Export- 
verkehre in  Fabrikaten?  Die  Antwort 
findet    man   in  nachfolgender  Tabelle:*) 


Fabrikaten-Ausfuhr  der  Hauptländer 


MIll. 

Gold- 

gulden 


Grossbritannien    .  .  . 
Deutsches  Reich  .  .  . 

Frankreich 

Vereinigte  Staaten    . 
Niederlande  ...... 

Oesterreich-Ungarn  . 

Belgien 

Schweiz 

Britisch-Ostindien  .  . 

Spanien 

Italien 

Russland 

Andere  Länder .... 


I9i3r 
II 53-0 

852-2 

4856 

3310 
2965 

290-4 

212-8 
1727 
1118 
1078 
984 

453 


Pcr- 

cente 


295 
178 

13-2 

75 

5-1 
4-6 

4-5 

3'3 
2-6 

17 

17 

1*5 
72 


auf  den 
Kopf 
Gold- 

g^ulden 

48-9 

233 
22-2 

70 
704 

68 
467 

73'3 
0-6 

65 
32 

i-o 


[ 


Ueberhaupt 64780 


Damach  steht  Grossbritannien  mit  29*5 
Percent  aller  dem  Welthandel  übergebenen 
Fabrikaten  an  der  Spitze,  woraus  sich  die 
verhältnismässig  gute  Verzinsung  der  eng- 
lischen Eisenbahnen  erklärt,  obwohl  sie 
keine  Tonne  Durchzugsverkehr  haben. 
Dann  folgen  das  Deutsche  Reich  mit 
17*8,  Frankreich  mit  13-2  und  die  Ver- 
einigten Staaten  mit  7*5  Percent.  Man 
sieht  aber  auch  aus  dieser  Zusammen- 
stellung, wie  emsige,  gut  verwaltete 
kleinere  Staaten  —  die  Schweiz,  Nieder- 
lande, Belgien  —  per  Kopf  höhere  Werthe 
schaffen,  als  selbst  die  grossen  Industrie- 
staaten. Was  Oesterreich-Ungarn  betrifft, 
so  beträgt  sein  Antheil  am  Gesammt- 
export 4*6  Percent,  die  Erzeugung  per 
Kopf  6 '3  Goldgulden.  Ausfuhr  von  Fa- 
brikaten und  Rohstoffen  [Getreide]  halten 
sich  in  Oesterreich-Ungarn  einstweilen 
noch  das  Gleichgewicht.  Doch  liegt  die 
wirthschaftliche  Zukunft  in  der  Ausfuhr 
der  Fabrikate. 

*)  G.  Raun  ig,    Mittheiluneen    des   »In- 
dustriellen Club«  vom  II.  Octooer  1895. 


I02 


Dr.  Alexander  Peez. 


V. 


Nachdem  im  Vorausgegangenen  die 
überragende  Bedeutung  der  Industrie  für 
den  inneren  Verkehr  der  Eisenbahnen  fest- 
gestellt wurde,  wenden  wir  uns  nun  einem 
zweiten  wichtigenNährelemente  derBahnen 
zu:  dem  Durchzugsverkehre. 

Wenn  im  Handel  im  Allgemeinen  die 
Küsten  und  folglich  die  Halbinseln  Eu- 
ropas im  Vortheile  sind,  so  treten  da- 
gegen im  Durchzugsverkehre  der  Eisen- 
bahnen die  mitteleuropäischen  Binnen- 
länder in  den  Vordergrund. 

Dies  gilt  zunächst  für  den  Handel  der 
europäischen  Länder  unter  sich.  Wenn 
das  mittlere  Russland  Weizen  nach  der 
Schweiz  schickt,  bedient  es  sich  in  der 
Regel  der  österreichischen  und  deutschen 
Bahnen.  Wenn  die  Balkanhalbinsel  Bor- 
stenvieh nach  den  Niederlanden  sendet, 
so  führt  der  Transit  durch  Oesterreich- 
Ungarn  und  Deutschland.  Die  nach  Süd- 
deutschland bestimmten  Weine  Spaniens 
werden  zu  Lande  sich  der  französischen 
Bahnen  bedienen.  Kohlen  und  Eisenbahn- 
schienen Belgiens  suchen  auf  französischen 
oder  deutschen  Bahnen  die  Schweiz  und 
Italien  auf  Italien  und  Skandinavien  sind 
klimatisch  genug  verschieden  veranlagt, 
um  einen  Austausch  ihrer  Erzeugnisse  zu 
begründen ;  wenn  Italien  seine  Südfrüchte 
nach  Skandinavien  oder  Skandinavien  seine 
geräucherten  Fische  nach  Italien  schickt, 
so  fallen  ihre  Waaren  als  Durchzugsgut 
den  Eisenbahnen  Deutschlands  und  Oester- 
reichs  zu.  In  vielen  Fällen  wird  die  Seelinie 
Concurrenz  machen.  Je  nach  Lage,  Natur 
des  Artikels,  Conjunctur  der  Fracht  [die  See- 
fracht unterliegt  viel  grösseren  Schwan- 
kungen] wird  bald  die  Landfracht,  bald 
die  Seefracht  besser  conveniren,  die  Land- 
fracht aber  wird  jedenfalls  sich  der  mittel- 
europäischen Bahnen  bedienen  müssen. 

Auf  beifolgender  Karte  [vgl.  Karte 
Abb.  II.]  sind  die  wichtigsten  Handels- 
linien Europas  verzeichnet. 

Wirft  man  einen  Blick  auf  diese 
Handelsrouten,  so  wird  man  finden,  dass 
sie  sich  im  mittleren  Europa  kreuzen. 
Dies  ist  der  Grund,  warum  die  drei  Mittel- 
länder Europas  —  Russland  kommt  noch 
nicht  in  Betracht  —  warum  Frankreich, 
Oesterreich-Ungarn     und    das    Deutsche 


Reich  einen  beträchtlichen  Durchfuhr- 
Verkehr  haben.  Wenn  im  Ganzen  die 
Küsten  und  insbesondere  die  Halbinseln 
Europas  für  den  Handel  sich  als  be- 
günstigt erwiesen  haben,  so  finden  wir 
dagegen  eine  gewisse  Schadloshaltung 
im  Landhandel,  im  Durchzugsverkehre  der 
Eisenbahnen,  wo  die  Mitte  Europas, 
die  wir  im  Früheren  als  den  Leib  Europas 
bezeichneten,  entschieden  in  den  Vorder- 
grund tritt.     Hier  die  Ziffern: 

Durchfuhr  durch: 

Frankreich  [1892]  4-85  MiU.  MCtr. 

Oesterreich-Ungarn  [  1 895]  5  '37    »         » 
Deutschland  [1894]  24-53    »         » 

Hier  zeigt  sich  das  Deutsche  Reich  mit 
einer  Durchfuhr  von  über  24  Millionen 
Metercentner  als  das  eigentliche  Land 
der  Mitte,  wo  die  meisten  Verkehrswege 
sich  kreuzen.  Demgemäss  besitzt  das 
Deutsche  Reich  die  meisten  Eisenbahn- 
Anschlüsse  [76]  und  ist  in  der  Lage  eine 
TarifpoHtik  zu  üben,  die  durch  ihre,  aus 
Verstaatlichung  entsprungene  Einheit,  in 
grossen  Zügen  zu  arbeiten  vermag. 

Prüft  man  kurz,  worin  die  Durchfuhren 
von  Frankreich,  Oesterreich-Ungarn  und 
Deutschland  bestehen,  so  zeigt  sich,  dass 
in  der  französischen  Durchfuhr  die 
Schweiz  und  England  die  Hauptrolle  spie- 
len. Die  Schweiz  als  Ursprungsland  [Prove- 
nienz] liefert  dem  Werthe  nach  etwa  45^0 
der  Eintritts  waaren  zur  Durchfuhr,  während 
England  als  Bestimmungsland  mit  28  "/q 
der  abgehenden  Durchfuhrswaaren  voran- 
steht. Mit  andern  Worten :  Die  Schweiz  be- 
dient sich  Frankreichs  als  ihres  Spediteurs, 
I  sie  empfängt  das  Gros  der  überseeischen 
.  Roh-  und  Hilfsstoffe  über  Marseille  und 
Havre  und  übergibt  diesen  Häfen  ihre 
Fertigwaaren.  Dies  gilt,  obschon  seit 
Eröffnung  der  Gotthardbahn  Genua  mit 
dem  Hafen  von  Marseille  in  Bezug  auf 
Vermittlung  des  Schweizer  Verkehrs  zu 
wetteifern  sucht. 

Ausser  diesen  Schweizer  Waaren  neh- 
men noch  Belgiens  Kohle  und  Eisen  für 
Italien,  nach  Spanien  bestimmte  deutsche 
Fabrikate,  italienische  Früchte  und  Blu- 
!  men  für  England,  ihren  Weg  durch 
Frankreich.  Der  Werth  dieser  Durch- 
fuhr  von    4' 8 5    Millionen   Metercentnern 


Die  Stellung  unserer  Eisenbahnen  im  Welthandel. 


beträgt  über  eine  Milliarde  Francs  oder 
400  Millionen  Gulden  Gold. 

Das  Deutsche  Reich  verfrachtet 
auf  seinen  Eisenbahnen  17729  Millionen 
Metercentner,  worunter  eine  Durchfuhr 
von  Landgrenze  zu  Landgrenze  von 
24-53  Millionen  Metercentner.  Die  Haupt- 
rolle   spielen    dabei  Eisenerz,  Steinkohle 


Diese  Durchfuhrgüter  rollen  in  langer 
Linie  durch  Deutschland  und  bilden  des- 
halb ein  werthvolles  Frachtgut  für  seine 
Bahnen. 

Was  Oesterreich- Ungarn  be- 
trifft, so  liefen  im  Jahre  1894  auf  seinen 
Bahnen  1182  Millionen  Metercentner,  die 
Durchfuhr     jedoch     durch     Oesterreich- 


ropüiicl 


und  Cokes,  Braunkohle  und  Eisen.  Dann 
folgen  Getreide,  Vieh,  Zucker,  Kalk,  Mehl, 
Holz  u,  s.  w.  Getreide  und  Vieh  aus 
Oesterreich-Ungam  und  den  Balkan- 
ländem  sowie  aus  Russland  transitiren 
[insbesondere  zur  Winterszeit]  durch  das 
Deutsche  Reich,  und  ebenso  wird  letzteres, 
wenn  auch  nur  in  kleinen  Mengen,  von 
den  westlichen  Fabrikaten  durchschritten, 
die    nach    dem    Osten     bestimmt    sind. 


Ungarn  betrug  [im  Jahre  1895]  nur  5-37 
Millionen  Metercentner. 

Oesterreich-Ungam  ist  in  erster  Reihe 
das  Transitland  für  den  Verkehr  zwischen 
dem  Deutschen  Reiche  und  der  Balkan- 
halbinsel, indem  es  die  Fabrikate  des 
ersteren  gegen  die  Rohstoffe  und  Nähr- 
mitte! des  letzteren  umwechselt.  Ebenso 
geht  der  Land  verkehr  zwischen  Italien 
und  Russland  durch  Oesterreich-Ungam. 


I04 


Dr.  Alexander  Peez. 


Nicht  unbedeutend  ist  endlich  für  unseren 
Durchzugshandel  die  Schweiz,  und  zwar 
weniger  als  Herkunftsland  —  die  Schweizer 
Fabrikate  werden,  wie  wir  sahen,  durch 
Frankreich  über  Marseille,  Havre  und 
Genua  in  den  Welthandel  gebracht,  — 
denn  als  Bestimmungsland,  indem  die 
Schweiz  aus  den  Balkanländern  und 
Russland  Rohstoffe  und  Vieh  bezieht. 
Die  Schweizer  Durchfuhr  durch 
Oesterreich  wäre  steigerungsfähig,  wenn 
durch  die  Predilbahn  und  Tauembahn 
kürzere  Wege  aus  der  Schweiz  und 
Süddeutschland  nach  Triest  erschlossen 
würden. 

Für  die  bestehende  Durchfuhr  Oester- 
reich-Ungams  waren  die  wichtigsten  Daten 
[im  Jahre   1895]: 

Durchfuhr  durch  Oesterreich-Ungarn 
in  Mill.  MCtr. 


Herkunft 


Mill. 
MCtr. 


Mill. 
MCtr. 


1         Dagegen  darf  eine  ermunternde  That- 
;  Sache  erblickt  werden  in  der  Vielheit  der 
Länder  —  es  sind  nicht  weniger  als  53 
I  —  mit  denen  wur  im  Durchzugsverkehre 
'  stehen.     Diese  Thatsache  beweist,  dass 
Oesterreich-Ungarn,    wie    auch 
der  Blick  auf  die  Landkarte  zeigt, 
die  Anlage  hätte,  ein  Durchzugs- 
gebiet in  grossem  Stile  zu  werden. 
,  Kenntnis  des  Handels,   genaues  Studium 
.  der  Industrieverhältnisse,  Beobachtung  der 
statistischen    Daten,    stete  Wachsamkeit, 
grosse    Umsicht    und    ein    einheitliches, 
vorurtheilsfreies  Zusammengehen  der  be- 
theiligten Bahnen    werden  in  der  Pflege 
der  Durchfuhr  ein  wichtiges  Element  er- 
,  blicken  zur  Stärkung  unserer  Stellung  im 
Weltverkehre. 


I 


Bestimmung 

aus  Deutschland  1*5  nach  Deutschland  3*2 
»  Rumänien  0*9  »  Rumänien  0*5 
j»  Russland  08  »  Schweiz  0*5 
*   Italien  0*6     »      Italien  0*3 

»  Serbien  0*4     »     Russland       016  ' 

»  Eg>'pten        o*i8  »  Serbien  o*i6  | 

[zur  See] 

» Griechenland  o*  1 4   »  Triest  o*  1 1 

[zur  See] 

»   Türkei  01 3   *  Bulgarien  0-07 

»  Türkei  0'o6  | 

Diese  Durchfuhrziff'em,  die,  Dank 
unserer  amtlichen  Handelsstatistik,  für 
den  denkenden  kaufmännischen  Leiter 
und  Tarifmann  die  wichtigsten  Finger- 
zeige bieten,  sind  noch  recht  bescheiden. 
Auch  ist  die  Durchfuhr  in  manchen  Rela- 
tionen grossen  Schwankungen  ausgesetzt. 
So  hat  beispielsweise  die  wichtige  Durch- 
fuhr nach  und  aus  Deutschland  von  und  nach 
den  Balkanländern  in  den  letzten  Jahren 
abgenommen  ~-  eine  Thatsache,  die  vor- 
wiegend der  Concurrenz  des  Seeweges 
durch  die  Meerenge  von  Gibraltar  und  dem 
für  diese  Route  aufgestellten  wohlfeilen 
Levante-Tarife  der  deutschen  Handels- 
dampfer nach  dem  östlichen  Mittelmeere 
beizumessen  ist.  Also  auch  hier  wieder 
der  starke  Wettbewerb  der  Peripherie  mit 
den  Radien,  des  Seeverkehres  um  das 
halbe  Platanenblatt  Europas  herum  mit 
der  kurzen  Ader  des  Blattgerippes! 


VI. 

Das  grosse  Vorbild  für  jeden  Verkehr 
bleibt  immer  die  Seeküste  mit  ihrer  Frei- 
heit der  Bew^egung,  mit  ihrer  Zugäng- 
lichkeit für  Jedermann  und  mit  ihrem 
über  die  ganze  Erde  sich  erstreckenden 
Zusammenhange. 

Das  letztere  xMoment  wird  für  die  Eisen- 
bahnen annähernd  erreichbar  durch  die 
Eisenbahnanschlüsse  an  das  Eisen- 
bahnnetz der  Nachbarländer. 

Die  Anschlüsse  der  Bahnen  bilden  die 
Brücken  des  internationalen  Binnenver- 
kehrs und  zugleich  die  Klammem,  wo- 
durch Europas  Einzelländer  mit  dem  Ge- 
sammtkörper  verknüpft  sind.  Im  Landver- 
kehre spielen  sie  die  Rolle,  die  im  See- 
verkehre den  Häfen  zufallt.  Ihre  bisher 
noch  wenig  gewürdigte  Bedeutung  kann 
daher  kaum  überschätzt  werden. 

Ihre  Zahl  beträgt  in  Oesterreich-Ungarn 
jetzt  schon  nicht  weniger  als  46. 

Stellt  man  die  Eisenbahnanschlüsse 
für  die  zehn  europäischen  Haupt- Verkehrs- 
gebiete zusammen,  so  ergiebt  sich  folgen- 
des Bild : 

A,  Inseln  und  Halbinseln: 

Grossbritannien  o  Eisenbahnanschlüsse 

Skandinavien  o  » 

Dänemark  2  » 

Spanien  2  » 

Balkanländer  5  » 

Italien  7  » 


Die  Stellung  unserer  Eisenbahnen  im  Welthandel. 


105 


B.  Länder   der  Mitte: 

Russland   [einst- 
weilen]  10  Eisenbahnanschlüsse 
Frankreich  37  » 

Oesterreich-Un- 

gam  46  » 

Deutsches  Reich  72  ^ 

Hier  zeigt  sich  klar,  wie  die  Insel- 
und  Halbinselländer,  die  in  Bezug  auf 
Seeverkehr  günstiger  gestellt  sind  als  die 
Alittelländer,  in  der  Zahl  der  Eisenbahn- 
anschlüsse von  den  letzteren  weit  über- 
troffen werden! 

Bei  der  Wichtigkeit  der  Anschlüsse 
für  die  Verkehrsinteressen  lassen  wir 
eine  Zusammenstellung  der  Eisenbahn- 
anschlüsse  der  europäischen  Länder  fol- 


gen, wobei  mit  Berücksichtigung  auch 
der  kleineren  Länder  und  Staaten,  das 
angeschlossene  Land  und  das  Anschluss- 
land verzeichnet  sind   [s.  Tabelle]. 

Durch  die  Zahl  und  Richtung  der 
Eisenbahnanschlüsse  wird  die  Stellung 
der  verschiedenen  europäischen  Verkehrs- 
gebiete im  Welthandel,  zunächst  im  Welt- 
handel zu  I^ande,  im  Voraus  angedeutet. 

Prüfen  wir  zunächst  die  Inseln  und 
Halbinseln! 

Grossbritannien  und  Schweden -Nor- 
wegen haben  keine  Anschlüsse,  ihr  ganzer 
zwischenstaatlicher  Handel  spielt  sich  zu 
Schiffe  ab. 

Dänemark  und  Spanien-Portugal  ver- 
kehren zu  Bahn  nur  mit  einem  einzigen 
Nachbarstaate,  u.  zw.  Dänemark  mit  dem 


Zwischen 


g 

d 

bc 

4: 

c 

0 
•  ^rt 

;d 

0) 

1 

J3 

^ 

0 

CO 

rrei 

0) 

4> 

Ä 

CO 

3 

bC 

9J 

0) 

0) 

0 

Q 

PQ 

vi 


"cd 


4> 

C 


bc 
o 

/5 


c 

c  ; 

^M 

4> 

TJ 

i> 

cd 
b£) 

cd 

^3    1 

'S 

CO 

0 

3 

:3 

0 

Ph 

« 

« 

w 

N 


4) 

M 

c 

»w 

X) 

^^ 

tQ 

a 

p£3 

a> 

C 

•^* 

cd 

c 

J4 

CO 

C 

td 

W 

PQ 

Cd 

CO 

3 

N 


Oesterreich-Ungam 
Deutsches  Reich 
Belgien  .    . 
Dänemark  . 
Frankreich  . 
Italien     .    . 
Niederlande 
Norwegen 
Portugal 
Rumänien 
Russland 
Schweden 
Schweiz  . 
Spanien  . 
Balkanhalbinsel 


io6 


Dr.  Alexander  Peez. 


Deutschen  Reiche,  und  Spanien  mit  Frank- 
reich. Beide  Halbinseln  verfügen  über  je 
zwei  Anschlüsse.  Dabei  ist  Dänemark 
mit  seinem  schmalen  Leib  und  seinen 
vielen  Inseln  in  hohem  Grade  auf  den 
Seeverkehr  angewiesen  und  gegenüber 
dem  grossen  Nachbarlande  Deutschland 
immerhin  freier  gestellt,  als  Spanien,  das 
eine  schwere  Masse  bildet  und  seinen 
Landverkehr  ganz  durch  Frankreich  ver- 
mittelt sieht. 

Italien  ist,  Dank  der  Verbreiterung 
seines  Gebietes  im  Norden,  insofern  besser 
daran,  als  es  sieben  Anschlüsse  besitzt, 
davon  zwei  nach  Frankreich,  zwei  nach 
der  Schweiz  und  drei  nach  Oesterreich- 
Ungarn. 

Die  Balkanhalbinsel  wird  durch  fünf 
Verkehrsknoten  mit  den  übrigen  Ländern 
verbunden,  wovon  einer  nach  Russland 
und  vier  nach  Oesterreich- Ungarn  zeigen. 

Aus  allen  diesen  Thatsachen  kann 
nicht  nur  die  Volkswirthschaft,  sondern 
auch  die  Politik  wohlbegründete  Schlüsse 
ziehen. 

Was  die  Länder  des  Mittel- 
stammes von  Europa  betrifft,  so  sind 
von  den  zehn  Anschlüssen  Russlands 
einer  nach  der  Balkanhalbinsel,  fünf  nach 
dem  Deutschen  Reiche  und  vier  nach 
Oesterreich  -  Ungarn  gerichtet,  während 
Frankreich  durch  zwei  Anschlüsse  mit 
Spanien  und  durch  nicht  weniger  als 
fünfunddreissig  Anschlüsse  mit  dem  Westen 
verkehrt,  und  zwar  durch  zwei  mit  Italien, 
sechs  mit  der  Schweiz,  neun  mit  dem 
Deutschen  Reiche  und  vollen  achtzehn 
mit  Belgien. 

Das  Deutsche  Reich  zeigt  sich  als  das 
wahre  Land  der  Mitte,  indem  es  nach 
Russland  fünf,  nach  der  Schweiz  fünf, 
nach  Dänemark  zwei,  nach  Frankreich 
neun,  nach  Belgien  sechs,  nach  den 
Niederlanden  zwölf  und  nach  Oesterreich- 
Ungarn  dreiunddreissig,  zusammen  zwei- 
undsiebzig Anschlüsse  besitzt. 

W^as  endlich  Oesterreich-Ungarn  be- 
trifft, führen  von  seinen  sechsundvierzig 
Anschlüssen  vier  nach  Rumänien  und  den 
Balkanländem,  zwei  nach  der  Schweiz, 
drei  nach  Italien,  vier  nach  Russland  und 
dreiunddreissig  nach  dem  Deutschen 
Reiche.  Dass  das  Schwergewicht  des 
Handelsverkehres  unseres  Reiches  im  Aus- 


tausche mit  dem  Deutschen  Reiche  liegt, 
wird  aus  dieser  einzigen  Zahl  sehr  deutlich. 


VII. 

Die  Anschlüsse  der  Eisenbahnen  er- 
möglichen, dass  man  jetzt  von  einem 
»  europäischen  Eisenbahnnetze  «  reden  kann. 
Sie  sind  es,  welche  insbesondere  dem 
Durchzugs  verkehre  dienen  und  da- 
her den  internationalen  Landhandel  pflegen 
und  begünstigen.  Dieser  grosse, 
internationale  Durchzugsver- 
kehr der  Bahnen  wird  aber  in 
steter  Concurrenz  gehalten  durch 
die  in  alle  grossen  Buchten  ein- 
dringende Schifffahrt.  Die  Gestalt 
Europas,  das  »Platanenblatt«,  der  Cha- 
rakter eines  ausgezackten  und  buchten- 
reichen Halbinsellandes,  macht  sich  hier 
ftlr  den  Bahnverkehr  nachtheilig  geltend, 
erschwert  die  Tarifirung,  nöthigt  zu 
grosser  Wohlfeilheit  der  Tarife  sowie  auch, 
wegen  der  öfteren  Schwankungen  der  See- 
fracht, zu  stets  wachsamer  Beobachtung 
und  zeitweisem  Wechsel  der  Tarife. 

In  diesem  Concurrenzkampfe  hat  über- 
all die  Seefracht  die  Führung.  So  grosse 
Fortschritte  die  Eisenbahn  auch  gemacht 
hat,  so  ist  ihr  der  Seedampfer  den- 
noch an  Billigkeit  voraus.  Mehr  als 
lo.ooo  Dampfer  und  25.cx>o  Segelschiffe 
Europas  umgürten  unsem  Erdtheil  mit 
einer  Zone  von  wohlfeiler  Fracht,  die 
sich  längs  der  schiffbaren  Ströme  mehr 
oder  weniger  tief  in  das  Binnenland 
erstreckt.  Je  weiter  die  einzelnen  Län- 
der vom  inneren  Austausch  zwischen 
der  einheimischen  Landwirthschaft  und 
Industrie  zum  internationalen  Austausche 
zwischen  überseeischer  Landwirthschaft 
und  europäischer  Industrie  vorgeschritten 
sind,  umso  grösser  werden  zunächst  die 
Vorzüge  der  Länder  mit  langer  Küste, 
schiffbaren  Strömen  und  ausgebildetem 
Canalwesen ;  um  so  wichtiger,  zugleich  aber 
auch  desto  schwieriger,  wird  die  Rolle  der 
Bahnen,  welche  in  den  Binnenländern 
jenem  Wasser  verkehre  die  Stange  zu 
halten  berufen  sind.  Je  näher  an  der 
Küste  die  Bahnen  liegen,  je  mehr  sie 
derselben  parallel  laufen,  vun  so  grösser 
die  Concurrenz,  die  sie  bestehen  müssen. 


Die  Stellung  unserer  Eisenbahnen  im  Welthandel. 


107 


Die  Schnelligkeit,  die  für  die  Eisen- 
bahn spricht,  kommt  im  grossen  Güter- 
verkehre nicht  auf  gegenüber  der  Wohl- 
feilheit der  Seefracht. 

Daher  trachtet  die  grosse  Masse  aller 
Güter  aus  den  binnenländischen  Produc- 
tionsstätten  auf  kürzestem  Wege  nach 
den  Seehäfen  zu  gelangen.  Noch  nie 
ist  es  geschehen,  dass  russisches  Mehl, 
das  nach  Brasilien  bestimmt  ist,  und 
etwa  in  Moskau  lagert,  von  dort  über 
den  Leib  Europas  hin,  auf  den  Eisenbahnen 
nach  Lissabon  oder  Cadix  geführt  worden 
wäre,  um  auf  das  Seeschiff  überladen  zu 
werden.  Vielmehr  sucht  man  von  Mos- 
kau, auf  der  kürzesten  Linie,  entweder 
St.  Petersburg  oder  aber  Odessa  auf. 
Möglichst  schnelles  Erreichen  der  See 
ist  in  diesem  Falle  für  den  Kaufmann 
ausserordentlich  viel  wichtiger,  als  der  aus 
der  Landversendung  etwa  entspringende 
Zeitgewinn.  Ebenso  mag  es  noch  nie 
vorgekommen  sein,  dass  nordamerika- 
nische Baumwolle,  für  Russland  be- 
stimmt, in  Cadix  oder  Lissabon  abge- 
liefert worden  wäre,  um  von  dort  mit 
der  Eisenbahn  in  die  Moskauer  Spinne- 
reien zu  gelangen.  Allerdings  gab  es 
eine  Zeit,  wo  indische  Baumwolle,  durch 
den  Suezcanal  kommend,  über  Triest 
nach  Russland  ging.  Aber  das  währte 
nicht  lange.  Sehr  bald  hatte  die  Con- 
currenz  den  wohlfeileren  Weg  gefunden, 
und  die  Baumwollsendungen  von  Suez 
nach  Moskau  schlagen  nunmehr  den 
Weg  über  Odessa  ein.  Also  überall  das 
Bestreben  durch  Eindringen  in  die  euro- 
päischen Buchten,  die  Wohlfeilheit  der 
Seefracht  möglichst  auszunützen. 

Die  Seefrachten  waren  in  jüngster  Zeit 
bedeutenden  Schwankungen  ausgesetzt, 
sind  aber  im  Ganzen  stark  herunter- 
gegangen. Im  Jahre  1895  führte  man 
[nach  dem  Jahresberichte  des  österr.-ung. 
General-Consulates  in  Liverpool]  Getreide 
von  der  Sulina  oder  von  Odessa  nach 
Liverpool  oder  London  die  Tonne  [20 
englische  Centner]  zu  9  Schilling  6  pence. 
Dies  ergäbe  als  Seefracht  von  der  Sulina 
durch  den  Bosporus,  die  Dardanellen, 
die  Meerenge  von  Gibraltar  und  den 
Canal  nach  London  oder  Liverpool  für 
I  Metercentner  Getreide  rund  47  Kreuzer 
Gold. 


Vergleicht  man  diesen  Satz  zur 
See  mit  dem  Porto  einer  vielbefahrenen 
Eisenbahnstrecke,  so  erhalten  wir  folgen- 
des Bild : 

Fracht    für    i    Metercentner   Getreide  in 

Kreuzern  Gold: 
Seefracht  Odessa-Liverpool  .  47  Kreuzer 
Bahnfracht  Budapest- Wien  .  49        » 

Der  ungarische  Weizen  kommt  also 
von  Budapest  mit  ungefähr  dem  gleichen 
Satze  auf  den  Wiener  Markt,  wie  der 
'  rumänische  oder  südrussische  Weizen  aus 
den  Seehäfen  des  Schwarzen  Meeres 
nach  Liverpool.  Die  Entfernung  in  Rech- 
nung gezogen,  stellt  sich  für  die  Eisen- 
bahn in  diesem  Falle  etwa  die  zehnmal 
höhere  Fracht  heraus. 

Oder  vergleichen  wir  die  Donauroute. 
Hier  ergibt  sich  Folgendes: 

Fracht   für    i    Metercentner    Getreide   in 
I  Kreuzern  Gold: 

Seefracht  Galatz- Liverpool  .     47  Kreuzer 
Donaufracht  Galatz- Wien    .104        » 

Sowohl  gegenüber  der  Bahn  als  auch 
der  Donaustrasse  zeigt  sich  also  die 
weitaus  grosse  Ueberlegenheit  der  See- 
strasse. 

Solche  Beispiele  werfen  ein  über- 
raschendes Licht  auf  die  inneren  Gesetze, 
mit  denen  die  Tarifpolitik  unserer  Bahnen 
zu  rechnen  hat. 

Der  Halbinsel-Charakter  Europas,  aul 
welchem  wir  diese  Skizze  aufbauten, 
zeigt  sich  hier  in  voller  Klarheit.  Zahllose 
Seedampfer  schwärmen  durch  die  Meeres- 
wogen, die  auf  drei  Seiten  unseren  Welt- 
theil  umgürten,  dringen  in  alle  Buchten 
I  ein  und  locken  die  Frachtgüter  an  sich. 
Die  Eisenbahnen  können  auf  langer  Linie 
bezüglich  Massengüter  nicht  mit  jenen 
,  concurriren. 

Die  aus  Amerika  kommenden  Waaren 
betreten  europäischen  Boden  nicht  in 
Cadix  oder  Nantes,  sondern  in  Ham- 
burg oder  Genua  und  Triest.  Das- 
selbe zeigt  sich  auch  im  Handel  mit 
Asien.  Wäre  die  Eisenbahn,  und  nicht 
der  Seedampfer,  das  wohlfeilere  Trans- 
portmittel, so  würden  alle  für  den  Con- 
tinent  bestimmten   und  durch  den  Suez- 


io8 


Dr.  Alexander  Peez. 


canal  heranziehenden  indischen  und 
australischen  Waaren  auf  Vorgebirgen 
oder  in  deren  nächsten  Häfen,  also  im 
Piräus  bei  Athen,  oder  in  Salonichi 
oder  Brindisi  anlanden  und  auf  die  Bah- 
nen tibertreten.  Da  aber  die  Seefracht 
wohlfeiler  ist  als  die  Landfracht,  bleiben 
die  nach  Europa  bestimmten  Waaren  so 
lange  wie  möglich  auf  der  See,  vermeiden 
die  äusseren  Häfen,  um  in  die  inneren 
Häfen,  wie  Odessa,  Fiume,  Triest,  Genua, 
Marseille,  Havre,  Bremen  und  Hamburg 
einzudringen.  Dadurch  werden  die  Land- 
routen der  Bahnen,  sobald  sie  an  den 
Einflusssphären  dieser  Häfen  vorüber- 
rollen, in  der  Flanke  gefasst  und  zurück- 
geschlagen. Ihre  Frachtrouten  werden 
dadurch,  sofern  sie  Trans versallinien  von 
West  nach  Ost  sind,  verkürzt  und  zer- 
stückelt. 

Um  so  besser  gedeihen  einzelne 
Nord-Süd-Linien,  als  Radien  zur  Küste 
und  den  Häfen.  Die  Bahnen  finden  dann 
ihren  Vortheil  darin,  Zubringer  für  die 
Seeschifffahrt  zu  werden. 

In  den  Vorzügen  der  Seefahrt,  unter 
welchen  kleineres  Anlagecapital,  günstige 
Rückfrachtgelegenheit  und  fast  völlige 
Steuerfreiheit  zu  der  grösseren  Wohl- 
feilheit mitwirken,  liegt  auch  der  Grund, 
warum  beispielsweise  der  Suezcanal 
für  die  wirthschaftlichen  Interessen 
Oesterreich-Ungams,  wie  überhaupt  des 
südlichen  Europas,  so  geringe  Folgen 
gehabt  hat. 

Wieviel  Vortheile  versprach  man  sich 
einst  von  dieser  Weltstrasse  in  allen 
Häfen  und  Ländern  des  Mittelmeeres! 
Welche  Hoffnungen  begleiteten  das  Unter- 
nehmen, und  mit  wie  zuversichtlichen 
Reden  ward  dessen  Vollendung  gefeiert! 
Wie  freudig  dachte  man  an  die  ostasia- 
tischen, indischen  und  australischen  Güter, 
die,  auf  dem  Wege  nach  Grossbritannien, 
auf  den  weit  nach  Süden  vorgeschobe- 
nen Küsten  von  Italien,  Dalmatien  oder 
Griechenland  alle  Häfen  füllen  und  von 
dort  den  Ueberlandweg  gegen  England 
antreten  würden !  Und  heute?  Was  ward 
erreicht  ? 

Der  Suezcanal  hat  wenig  oder  nichts 
an  den  früheren  Verhältnissen  geändert. 
Die  Eisenbahnen,  welche  Europa  in  der 
Richtung  auf  England  durchziehen,  waren 


nicht  im  Stande,  die  indisch-australischen 
Güter,  von  den  Dampfern  weg,  auf  ihre 
Linien  zu  locken.  Grossbritannien  sandte 
seine  Schiffe  früher  um  das  Cap  der 
guten  Hoffnung,  heute  sendet  es  sie 
durch  den  Suezcanal.  Die  Ersparung  an 
Zeit,  Zins,  Versicherung,  folglich  auch 
an  Fracht  fallt  allein  Grossbritannien  zu. 
Die  Mittelmeerhäfen  Italiens,  Frankreichs 
und  Oesterreich-Ungams  haben  das  Ver- 
gnügen, die  nach  Grossbritannien  be- 
stimmten Rohstoffe  Indiens  und  Austra- 
liens vorüberziehen  zu  sehen.  Nur  der 
Personen-  und  Postverkehr,  bei  welchem 
Schnelligkeit  wichtiger  ist  als  Wohlfeil- 
heit, sucht  den  Schienenweg  auf  und  be- 
dient sich  ItaUens  als  einer  zwischen  Eng- 
land und  dem  Suezcanal  vorgeschobenen 
Landbrücke.  Die  indische  Post  schlägt 
diesen  Weg  über  Italien  ein.  Der  grosse 
Güterverkehr  jedoch  [und  ein  steigender 
Percentantheil  der  Reisenden]  bleibt  auf 
der  grossen  Seestrasse;  er  zieht  aus 
Indien  und  Australien  durch  das  Rothe 
Meer  und  den  Suezcanal  über  Gibraltar 
in  die  Atlantis  nach  Frankreich,  Holland, 
Belgien,  Deutschland,  vor  Allem  aber 
nach  England,  wo  das  Gentrum  der  Welt- 
industrie liegt. 

Und  diese  ungeheure  Entwicklung  der 
Industrie  hat  auch  den  Handel  der  Welt 
nach  Grossbritannien  gezogen.  Im  Ver- 
trauen auf  den  enorm  aufnahmsfähigen 
Markt,  welchen  die  Industrie  in  England 
geschaffen  hat,  strebt  ein  grosser  Theil 
der  besten  Frachtgüter,  die  Baumwolle, 
die  Schafwolle,  die  Cerealien  fremder 
Welttheile,  auch  wenn  sie  für  den  Ver- 
brauch des  Festlandes  bestimmt  sind, 
zunächst  nach  den  britischen  Inseln,  imd 
doch  ist  es  eigentlich  unnatürlich,  dass 
so  grosse  Mengen  von  überseeischen 
Waaren,  wie  noch  immer  geschieht, 
in  England  vorerst  absteigen  und  dann 
erst,  nachdem  sie  an  Englands  Schiffe, 
Häfen,  Speicher,  Eisenbahnen,  an  Kauf- 
leute, Finanzmänner  und  Arbeiter  ihre 
Tribute  gezahlt  haben,  nach  dem  Conti - 
nente  übersetzen  und  in  den  Verbrauch 
gelangen. 

An  dem  mächtigen  Zwischenhandel 
Grossbritanniens  sieht  man  deutlich,  mit 
welcher  Gewalt  der  Seeverkehr,  von  eng- 
lischem Capital  und  dem  Massenverkehr 


Die  Stellung  unserer  Eisenbahnen  im  Welthandel. 


109 


der  englischen  Industrie  unterstützt,  die 
aus  fremden  Welttheilen  kommenden 
Frachten  festhält.  Es  kann  aber  keinem 
Zweifel  unterliegen,  dass  dieser  Zwischen- 
handel auf  die  Dauer  sich  schwer  wird 
halten  lassen  und  dass  der  europäische 
Continent  sich  mehr  und  mehr  von  dem 
englischen  Zwischenhandel  befreit,  indem 
er  directe  Dampferlinien  nach  Uebersee 
eröffnet.  Hier  zeigt  sich  der  enge  Zu- 
sammenhang zwischen  Seeroute  und  Eisen- 
bahn, und  nächst  entschiedener  Pflege 
der  Industrie  gibt  es  für  Förderung  des 
Gedeihens  unserer  Bahnen  kaum  ein  wirk- 
sameres Mittel,  als  die  Pflege  vieler  und 
guter  Seeverbindungen. 

Aber  nicht  blos  der  Seedampfer  be- 
drängt unaufhörlich  die  Bahnen,  sondern 
die  Bahnen  suchen  auch  ihrerseits  dem 
Seeverkehre  Raum  abzugewinnen.  Das 
grossartigste  Beispiel  für  letzteres  bietet 
die  Sibirische  Bahn.  Abgesehen  von 
ihrem  »Local verkehre«,  der  sich  freilich 
über  zwei  Welttheile  erstreckt,  ist  sie  ein 
gewaltiger  Versuch,  den  ostasiatischen 
Handel  von  China,  Japan,  allenfalls  auch 
von  Tonking  und  den  Philippinen  mit 
Europa  wieder  auf  den  Landweg  zu 
lenken.  Wieweit  der  Seeweg  [um  Indien, 
Arabien,  durch  den  Suezcanal  und  die 
Meerenge  von  Gibraltar]  sich  behaupten, 
wie  viel  oder  wie  wenig  Verkehr  er  ge- 
zwungen sein  wird,  an  die  Ueberlandbahn 
abzutreten,  das  wird  die  nächste  Zukunft 
zeigen.  Aber,  auch  wenn  dieser  Con- 
currenzkampf  zunächst  schwierig  und  der 
Erfolg  der  neuen  Bahn  in  Bezug  auf 
Ablenkung  des  Seehandels  kein  allzu 
grosser  sein  sollte,  würde  dennoch  die 
Sibirische  Bahn  eines  der  merkwürdigsten 
und  folgenreichsten  Unternehmen  der 
Neuzeit  sein.  Nachdem  Amerika  bereits 
drei  Ueberlandbahnen  nach  dem  Stillen 
Meere  gezogen  hat,  war  es  hohe  Zeit, 
dass  auch  Europa  seine  eisernen  Arme 
nach  Ostasien  erstreckte. 

Im  Nordosten  hat  Russland  dies  grosse 
Werk  begonnen,  —  sollte  da  nicht  die  Zeit 
gekommen  sein,  dass  Oesterreich-Ungam 
und  das  verbündete  Deutsche  Reich  auch 
im  Südosten  —  vermittelst  der  Euf rat- 
bahn —  alte  Landwege  nach  Ostasien 
wieder  zu  eröffnen  trachten?  Wie  durch 
die  Sibirische  Bahn  ein  nordösthcher,  so 


würde  durch  die  bereits  von  reichs- 
deutschen  Unternehmern  ziemlich  weit 
geführten  kleinasiatischen  Bahnen,  wenn 
sie  die  Eufratlande  und  Indien  erreichen, 
ein  südöstlicher  Flügel  Europas  seine 
Schwingen  ausspannen.  Die  Balkanhalb- 
insel würde  dann  in  ihre  natürhche  geo- 
graphische Aufgabe  einrücken :  die  Land- 
brücke nach  Innerasien  und  Indien  zu 
sein,  und  Oesterreich-Ungam  würde  an- 
nähernd wieder  jene  Gunst  der  Lage 
vor  sich  sehen,  die  sich  ihm  verschloss, 
als  Vasco  da  Gama  den  Seeweg  nach 
Indien  fand. 

VIII. 

Durch  die  scharf  erkannte  geogra- 
phische Lage  eines  Landes  in  Verbindung 
mit  seiner  Culturentwicklung  wird  das 
Eisenbahnnetz  des  Landes  bestimmt,  ge- 
fördert und  getragen,  und  durch  das 
Eisenbahnnetz  hinwiederum  wird  die 
geographische  Lage  [zumal  die  binnen- 
ländische] in  ihren  Schwächen  ergänzt 
und  verbessert. 

Durch  das  Eisenbahnnetz  werden  aber 
auch  die  Länder  und  Reiche  zu  bestimm- 
ten Individualitäten  zusammengefasst.  Man 
hat  Oesterreich-Ungarn  oft  einen  Donau- 
staat genannt.  Mit  Recht,  denn  die  Donau 
war  in  der  Vorbahnenzeit  für  das  Binnen- 
land Oesterreich-Ungam  eine  höchst  wich- 
tige Verkehrsstrasse,  eine  Ader  der  Cultur, 
ein  Faden,  an  den  sich  die  staatliche 
Gestaltung  reihte.  Diese  Bezeichnung  er- 
fährt jedoch  durch  die  Eisenbahnen  eine 
Einschränkung  und  zugleich  eine  Erweite- 
rung :  die  Einschränkung,  indem  das  Eisen- 
bahnnetz durch  die  natürlichen  Vorzüge 
seines  Betriebes  und  seine  Erstreckung  bis 
in  die  letzten  Winkel  des  Reiches  hinein  die 
Donaustrasse  an  Wichtigkeit  w-eit  über- 
ragt; die  Erweiterung,  indem  das  Eisen- 
bahnnetz sich  vielfach  an  die  Donau 
anlehnt,  sich  des  von  der  Donau  ge- 
schaff'enen  ebenen  Thalweges  mit  Vor- 
liebe bedient,  sie  ergänzt  und  somit 
auf  der  von  der  grossen,  ehrwürdigen 
östlichen  Verkehrsstrasse  Europas  ge- 
legten Grundlage  weiter  baut.  Oesterreich- 
Ungam  bleibt  Donaureich,  bleibt  das 
Culturland  des  europäischen  Südostens 
mit  der  Richtung    auf  den    Orient,    ver- 


HO 


Dr.  Alexander  Peez. 


bindet  aber  zugleich  durch  sein  Hin- 
einragen in  das  Gebiet  der  Elbe  [Böh- 
men], der  Oder  [Schlesien]  und  des 
Rheines  [Vorarlberg]  eine  beachtens- 
werthe  Stellung  in  Mitteleuropa;  es  hat 
einen  Fuss  an  der  Weichsel  und  der 
grossen  osteuropäischen  Ebene,  und  be- 
trat mit  der  Occupation  von  Bosnien  und 
der  Herzegowina  die  Balkanhalbinsel,  wo- 
zu noch  kommt,  dass  es  die  günstigsten 
Pässe  nach  Italien  besitzt,  und  durch 
Istrien,  Tri  est,  Fiume  und  Dalmatien  an 
den  Geschicken  des  Mittelmeeres  mitzu- 
wirken berufen  ist.  Hiemach  ist  Oester- 
reich-Ungam  ein  Uebergangsland. 
Um  die  Donau  gereiht,  dabei  zwischen 
dem  eigentlichen  Lande  der  Mitte,  dem 
Deutschen  Reiche,  und  dem  halborienta- 
lischen Südosten  sowie  zwischen  dem 
grossen,  productenreichen  rauhen  Nord- 
osten und  dem  lauen  Mittelmeer  und  den 
hesperischen  Gefilden  gelegen,  ausserdem 


kein  einheitlicher  Nationalstaat,  sondern 
ein  musivisch  zusammengesetzter  Völker- 
staat, empfangt  es  Strömungen  aus  allen 
diesen  Richtungen,  und  seine  schwierige, 
aber  auch  lohnende  Aufgabe  ist  es, 
allgemeiner  Ausgleicher,  Puffer  und  Aus- 
weichgeleise, Vermittler  aller  dieser 
Strömungen,  Wirbel,  Stösse,  aber  auch 
Interessen  und  Verkehrsbeziehungen  zu 
sein. 

Das  sicherste  Mittel,  bei  dieser  ebenso 
wichtigen  als  schwierigen  europäischen 
Mission  zu  einem  tröstlichen  Ergebnisse 
zu  gelangen,  liegt  in  der  möglichsten  Be- 
friedigung der  allen  Völkergruppen  ge- 
meinsamen wirthschaftlichen  Interessen, 
in  der  Blüthe  von  Handel  und  Industrie, 
in  der  kraftvollen  Theilnahme  am  Welt- 
handel und  Weltverkehre ;  und  alle  diese 
Aufgaben  weisen  auf  ein  hochentwickeltes, 
energisch  und  einheitlich  geleitetes  Eisen- 
bahnnetz als  eine  Nothwendigkeit  hin. 


Unsere  Eisenbahnen  im  Kriege. 


Vom 


Eisenbahnbureau  des  k.  u.  k.  Generalstabes. 


DIE  Commimicationen  haben,  wie 
ungezählte  Blätter  in  der  Ge- 
schichte bezeugen,  bei  den  Kriegs- 
zQgen  aller  Zeiten  eine  massgebende 
Rolle  gespielt.  Diesem  Umstände  wurde 
wohl  nicht  bei  allen  Völkern  und  nicht 
immer  im  gleichen  Masse  Rechnung  ge- 
tragen, wir  begegnen  sogar  in  dieser 
Beziehung  in  verschiedenen  Zeitperioden 
und  Ländern  schreienden  Gegensätzen. 
Während  z.  B.  bei  den  Römern  der 
Strassenbau  ein  strategisches  Postulat 
erster  Ordnung  bildete,  und  vornehmlich 
aus  militärischen  Rücksichten  mit  gross- 
artigem Kraftauf  wände  und  in  für  alle 
Zeiten  beispielgebender  Art  betrieben 
wurde,  sehen  wir  im  Mittelalter  den 
Com municat Jonen  eine  entgegengesetzte 
kriegerische  Bedeutung  beilegen,  und 
geradezu  in  der  Vernachlässigung  der 
Verkehrsmittel  beziehungsweise  in  der 
dadurch  erzielten  Abschliessung,  die 
militärische  Präponderanz  suchen.  Diese 
Gegensätze  finden  in  den  Verschieden- 
heiten der  Kriegführung,  in  dem  Vor- 
herrschen des  offensiven  oder  defensiven 
Elementes,  in  der  culturellen  und  speciell 
technischen  Entwicklung  ihre  Erklärung ; 
übereinstimmend  sehen  wir  aber,  dass 
allzeit  und  überall  von  militärischer  Seite 
den  Communicationen  volle  Aufmerksam- 
keit zugewendet  wird. 

Kein  Wunder  daher,  dass  mit  dem 
Augenblicke,  als  die  Eisenbahnen  als 
neues  Verkehrsmittel  aus  bescheidenen 
und  unsicheren  Anfängen  ihren  Siegeslauf 


durch  die  Welt  beginnen,  die  militärischen 
Geister  sich  der  Frage  bemächtigen,  ob 
und  unter  welchen  Bedingungen,  dann 
in  welchem  Masse  diese  neue  Errungen- 
schaft der  Technik  in  den  Dienst  der 
Kriegskunst  gestellt  werden  könnte. 

Anfänge  der  Eisenbahnaera. 

Bei  den  politischen  und  culturellen 
Verhältnissen  des  deutschen  Bundes  vor 
dem  Kriege  1866  lässt  sich  eine  militä- 
rische Betrachtung  de.s  Eisenbahnwesens  in 
Oesterreich  von  jenem  in  Deutschland 
nicht  immer  ganz  trennen,  und  so  sollen 
im  Nachfolgenden  manche  gemeinsame 
Verhältnisse  Erwähnung  finden. 

Die  Entwicklung  der  Eisenbahnen  hatte 
anfangs  der  Vierziger-Jahre  kaum  be- 
gonnen; die  Frage  ich  die  Vermehrung  des 
Maschinenwesens  und  der  Eisenbahnen 
überhaupt  zum  V  ort  heile  oder  Nachtheile 
der  Menschheit  gereiche,  da  es  schon  jetzt 
in  vielen  bevölkerten  Gegenden  an  Arbeit, 
folglich  an  Unterhalt  fehle»,  war  noch 
actuell;  —  auf  dem  Continent  hatte  sich 
nur  Belgien,  den  anderen  Staaten  vor- 
aneilend, ein  ziemlich  ausgebreitetes,  zu- 
sammenhängendes Bahnnetz  auf  Staats- 
kosten geschaffen,  in  Frankreich  war  der 
Eisenbahnbau  wenig  fortgeschritten. 

In  Oesterreich  begann  man  gleich  nach 
Eröffnung  der  ersten  Locomotiv-Eisenbahn, 
der  Strecke,  Fl oridsdorf- Wagram  der 
>A.  pr.  Kaiser  Ferd  inands- Nord  bahn  > ,  am 
23.  November  1837,  dem  Baue  von  Eisen- 


114 


Vom  Eisenbahnbureau  des  k.  u.  k.  Generalstabes. 


bahnen    seitens    des    Staates    volle   Auf- 
merksamkeit zu  widmen. 

Mit  Cabinetsschreiben  vom  25.  Novem- 
ber 1837  wurde  erklärt,  dass  sich  die 
Staatsverwaltung  das  Recht  vorbehalte, 
selbst  Eisenbahnen  zu  bauen.*)  Mit  Hof- 
kanzleidecret  vom  18.  Juni  1838  wurden 
bereits  »Allgemeine  Bestimmungen  über 
das  bei  den  Eisenbahnen  zu  beobach- 
tende Concessions-System«  erlassen. 

In  den  nächsten  Jahren  machte  der  Bau 
von  Eisenbahnen  langsame  Fortschritte, 
so  dass  Ende  1841  die  Nordbahnstrecken 
von  Wien  nach  Olmütz  und  Brunn,  dann 
die  Linien  Wien- Neunkirchen,  Floridsdorf- 
Stockerau  und  Mailand-Monza,  zusammen 
kaum  350  Am,  in  Betrieb  standen.  Im 
übrigen  Deutschland  waren  bis  dahin  nicht 
ganz  icxx)  km  Eisenbahnen  eröffnet 
worden.  [Vgl.  Karte  Abb.   12.] 

Trotz  dieser  Verhältnisse  sehen  wir 
zur  Zeit  schon  eine  ansehnliche  gegen- 
ständliche Militär-Literatur  heranwachsen. 

Im  Jahre  1836  erscheint  in  Friedrich 
List's  »Eisenbahn-Journal«  ein  Aufsatz 
unter  dem  Titel  » Deutschlands  Eisenbahn- 
system in  militärischer  Beziehung«,  ferner 
bei  Mittler  &  Sohn  in  Berlin  eine  Schrift 
»lieber  die  militärische  Benützung  der 
Eisenbahnen«,  welcher  1841  nach  Pole- 
miken in  der  »Allgemeinen  Militär- 
Zeitung«,  eine  zweite  Schrift  desselben 
Autors  folgt,  unter  dem  Titel  »Dar- 
legung der  technischen  und  Verkehrs- 
Verhältnisse  der  Eisenbahnen,  nebst  darauf 
gegründeter  Erörterung  über  die  mili- 
tärische Benützung  derselben,  und  über 
die  zur  Erleichterung  dieser  Benützung 
zu  treftenden  Anordnungen«. 

Im  gleichen  Jahre  publicirt  der 
hannoveranische  Ingenieur  -  Hauptmann 
von  Dämmert  einen  Auszug  aus  seinem 
Berichte  über  die  von  ihm  besichtigten 
englischen  Bahnen,  und  der  französische 
General  Graf  Kumigny  —  General- Adjutant 
des  Königs  Ludwig  Philipp  -  -  eine  Ab- 


*)  Vgl.  Bd.  T,  H.  St  räch,  »Die  ersten 
Privatbahnen«,  S.  162.  Ueberhaupt  sei  hier 
bezüglich  der  eisenbahnhistorischen  Daten, 
die  zur  übersichtlichen  Darstellung  des  je- 
weiligen Standes  unserer  Eisenbahnen  in  ' 
verschiedenen  Zeitperioden  aus  der  all- 
gemeinen Kntwicklun^s-Geschichte  hier  kurz 
wiederholt  werden,  auf  die  betretitenden  C-a- 
pitel  des  I.  Bandes  ein  für  allemal  hingewiesen. 


handlung  über  den  Einfiuss  des  Dampfes 
auf  Land-  und  Seekrieg. 

Im  Jahre  1842  erscheint  »Teutschlands 
Vertheidigung  und  das  sie  befördernde  Sy- 
stem der  Eisenbahnen  <  von  »einem  Officier 
und  Inhaber  der  österreichischen  grossen 
goldenen  Verdienstmedaille«,  femer  das 
auf  Grundlage  ernster  Studien  und  mit 
scharfer  Voraussicht  verfasste  Werk : 
»Die  Eisenbahnen  als  militärische 
Operationslinien,  nebst  Entwurf  zu 
einem  militärischen  Eisenbahnsystem  für 
Deutschland«,  des  vielseitigen  Militär- 
Schriftstellers  Pönitz,  welcher  schon 
früher  mit  einzelnen  Aufsätzen  über  Eisen- 
bahnen in  den  Federkrieg  getreten  war. 

Wie  überall  bei  weltbewegenden 
Fragen,  solange  noch  keine  Klärung  der 
Ansichten  eingetreten,  sehen  wir  auch 
in  diesem  Falle  die  widerstreitendsten 
Meinungen  hervortreten.  Während  über- 
spannte Köpfe  im  Geiste  bereits  »zahl- 
reiche feindliche  Heerschaaren  wie  die 
Windsbraut  auf  der  Eisenbahn  dahereilen 
und  plötzlich  in  die  eigene,  friedliche 
Heimat  einfallen  sehen«,  eine  gänzliche 
Umwälzung  der  Kriegskunst  prophezeien, 
oder  gar  das  Kriegführen  als  durch  die 
Eisenbahnen  unmöglich  gemacht  erklären, 
dociren  die  militärischen  Skeptiker,  von 
kurzsichtigen  und  willkürlichen  Voraus- 
setzungen ausgehend,  »dass  ein  Truppen- 
corps aus  allen  Waffen  und  von  nam- 
hafter Stärke  ein  sehr  entferntes  Operations- 
ziel zu  Fuss  eben  so  schnell,  ja  selbst 
noch  schneller  erreichen  werde,  als  wenn 
es  sich  der  Eisenbahnen  und  Dampfwagen 
bediene«,  daher  »dieses  Beweg^ungsmittel 
höchstens  zur  Fortschaffung  von  Kriegs- 
material, nicht  aber  zu  militärischen 
Operationen«  tauge. 

Andere  behaupten  schlankweg,  dass 
»diese  Verbindungsart  ihrer  Natur  nach 
fast  ausschliesslich  der  Vertheidigung  zu- 
statten kommt,  dagegen  den  Angriff 
äusserst  erschwert,  folglich  die  Invasions- 
kriege fast  unmöglich  macht«. 

Zu  diesen  gehörte  auch  der  Militär- 
Schriftsteller,  welcher  1836  in  List's  Eisen- 
bahn-Journal Nr.  30  sich  wie  folgt  äusserte : 

»Nun  erst  kann  man  sich  die  Stellung 
einer  mit  solcher  Maschinenkraft  ausge- 
rüsteten Nation  denken.  In  der  kür- 
zesten Frist  kann  sie  aus  den    entfernte- 


Unsere  Eisenbahnen  im  Kriege. 


115 


sten  Gegenden   im  Centrum   Streitkräfte 
sammeln    und    dieselben    nach    den  vom 
Feinde  bedrohten  Punkten   werfen.     Mit 
ebenso  grosser  Leichtigkeit  wird  sie  Ar- 
tillerie, Munition  und  Proviantvorräthe  con- 
centriren    und  den  verschiedenen  Armee- 
corps nachsenden.  Die  Heerzüge  werden 
das  Innere  des  Landes  durch  Einquartie- 
rungen, Vorspann  u.  s.  w.  nicht  erschöpfen 
oder  die  Strassen  ruiniren,  bevor  sie  zur 
Grenze     gelangen.     Die    Truppen    selbst 
werden     ihre    besten    Kräfte     nicht    auf 
Märschen  erschöpfen,  bevor  sie  ins  Treffen 
kommen.     Auf   dem    Wagen    ausgeruht, 
werden  sie  im  ersten  Moment  ihrer  An- 
kunft am  besten  im  Stande  sein,  sich  mit 
dem  Feinde  zu   messen.    Und  haben  sie 
ihn    auf  ejnem  Punkt   lahm    geschlagen, 
so    können    sie   am  zweiten  oder  dritten 
Tag  nach  der  Schlacht  auf  einem  anderen 
50  bis   100  Meilen  entfernten  Punkt  mit 
gleichem  Erfolge  verwendet  werden,  denn 
sie    werden    sich    während   des    Trans- 
portes von  ihren  Strapazen  erholt  haben. « 

»Im  schönsten  Lichte  stellen  sich  uns 
aber  diese  Wirkungen  dar,  wenn  wir 
bedenken,  dass  alle  diese  Vortheile  fast 
ausschliesslich  der  Vertheidigung  zu- 
statten kommen,  dass  es  zehnmal  leichter 
ist  defensiv,  und  zehnmal  schwerer  als 
bisher  offensiv  zu  agiren.« 

»Die  erste  und  grösste  Hauptwirkung 
der  Eisenbahnsysteme  in  dieser  Beziehung 
ist  demnach  die,  dass  die  Invasionskriege 
aufhören;  es  kann  nur  noch  von  Grenz- 
kriegen die  Rede  sein.« 

»So  wird  das  Eisenbahnsystem  aus 
einer  Kriegsmilderungs-,  Abkürzungs- 
und Verminderungsmaschine  am  Ende 
gar  eine  Maschine,  die  den  Krieg  selbst 
zerstört  und  alsdann  der  Industrie  der 
Continentalnationen  dieselben  Vortheile 
gewährt,  welche  England  seit  vielen  Jahr- 
hunderten aus  seiner  insularischen  Lage 
erwachsen  sind,  und  denen  jenes  Land 
zum  grossen  Theil  den  jetzigen  hohen 
Stand  seiner  Industrie  zu  verdanken  hat.« 

In  wohlthuendem  Gegensatze  zu  vor- 
stehenden Uebertreibungen  steht  eine 
Aeusserung  des  Feldmarschalls  Grafen 
Radetzky  aus  dem  Jahre  1 839,  welche 
wir  aus  einem  Gutachten  desselben  betreffs 
der  projectirten  Eisenbahn  Venedig- 
Mailand  entnehmen. 


»Vor  allem  andern«  —  führt  der  Feld- 
marschall aus  —  » muss  ich  bemerken,  dass, 
wenn  es  sich  um  eine  Unternehmung  von 
solchem  Einflüsse  auf  die  industriellen 
Interessen,  nicht  blos  einer  Provinz,  son- 
dern der  Monarchie  handelt,  alle  klein- 
lichen und  einer  ängstlichen  Festhaltung 
von  Begriffen  über  Landesvertheidigung 
entlehnten  Rücksichten  schwinden  müssen, 
die  einer  solchen  Unternehmung  nur  eng- 
herzige Fesseln  anlegen  würden«  .... 
»Ich  habe  nie  eine  Eisenbahn  gesehen  und 
kenne  diese  grossartigen  Beförderungs- 
mittel der  heutigen  Industrie  nur  der 
Theorie  nach,  ich  glaube  jedoch,  dass 
eine  Eisenbahn,  in  deren  Besitz  wir  uns 
befinden,  militärischen  Zwecken 
nur  förderlich  sein  kann,  weil  sie 
uns  die  Möglichkeit  gewährt,  grosse 
Transportmittel  mit  unglaublicher  Schnel- 
ligkeit in  Bewegung  zu  setzen.« 

Der  k.  k.  Hof-Kriegsrath  sprach  sich  in 
einer  an  die  vereinte  Hofkanzlei  gerichteten 
Note  vom  17.  Februar  1841  bei  Begutach- 
tung des  in  Aussicht  genommenen  Bahn- 
netz-Programmes    folgendermassen    aus : 

»Der  Hof-Kriegsrath  hat  die  Ehre, 
die  schon  zum  öfteren  abgegebene  Aeus- 
serung zu  wiederholen,  dass  Eisenbahnen, 
welche  Ausdehnung  sie  auch  immer  er- 
halten mögen,  auf  Kriegsuntemehmungen 
nie  nachtheilig  einwirken  können,  indem 
der  einzige,  bei  dem  gesetzten  Falle  er- 
folgenden Rückzuges  der  eigenen  Armee, 
durch  die  Ueberlassung  an  den  Feind 
entstehen  könnende  Nachtheil  durch  die 
Leichtigkeit  der  Entfernung  von  Trans- 
portsmitteln und  Schienen,  sowie  durch 
die  Benützbarkeit  des  Bahnkörpers  als 
Strasse  beinahe  gänzlich  verschwindet. 
Dagegen  ist  es  nicht  in  Abrede  zu  stellen, 
dass  Eisenbahnen,  solange  sie  im  Be- 
reiche der  eigenen  Armee  liegen,  zur 
Erleichterung  und  Beschleunigung  des 
Transportes  von  Lebensmitteln,  Kriegs- 
material und  selbst  Truppenkörpem  mit 
Vortheil  zu  benützen  sind,  und  dass 
transversale  Eisenbahnen,  im  Fall  sie 
zwei  Operationslinien  verbänden,  und  man 
die  eine  mit  der  anderen  verwechseln 
wollte,  sich  von  entschiedenem  militäri- 
schen Nutzen  bewähren  müssten.« 

Gleichfalls  frei  von  sanguinischem 
Optimismus  wie  von  unfruchtbarer  Skep- 

8* 


ii6 


Vom  Eisenbahnbureau  des  k.  u.  k.  Generalstabes. 


sis,  sehen  wir  P  Ö  n  i  t  z  in  seinem  grund- 
legenden Werke,  von  mehrjährigen,  viel- 
seitigen Beobachtungen  ausgehend,  eine 
Reihe  von  scharfsinnigen  Untersuchungen 
über  das  Wesen  des  Militär-Eisenbahn- 
Transportes  durchführen,  um,  »künftige 
Zeiten  und  Zustände  ins  Auge  fassend«, 
Grundsätze  für   den  Einfluss   der  Eisen- 


lagen :  1840  wurden  3000  Personen  von  3, 
ein  Infanterie-Regiment  —  1500  Mann 
stark  —  von  2  Locomotiven  auf  der 
Strecke  Paris  -  Versailles  mit  je  einem 
Zuge  befördert;  1841  brachte  eine  Loco- 
motive  das  12.  Jäger  -  Bataillon  — 
800  Mann  in  22  Wagen,  —  dann 
1 1  Wagen   mit  Reisenden,    Pferden  und 


o}fümhf\ 


Jassx 


Bukarest 


Stand  Ende  184-1 


Mafsstab  -1-10.000.000. 


100 


f""i""j 


aoo 


aoo 


500 


Abb.  12. 


bahnen  auf  die  kriegerischen  Operationen 
aufzustellen,  welche  nach  der  Ansicht 
des  Verfassers  »auch  noch  in  fünfzig 
Jahren  ihre  Geltung  nicht  einbüssen 
durften«.  —  Und  damit  dies  umso  sicherer 
der  Fall  sei,  zieht  Pönitz  sogar  die 
Möglichkeit  der  Einführung  elektrischer 
Locomotiven  und  die  Folgen  derselben 
in  den  Kreis  seiner  Untersuchungen. 

Ciering  waren  die  Erfahrungen,  welche 
bis  dahin  an  grösseren,  namentlich  an 
militärischen   Transportbewegungen    vor- 


Gepäck —  im  Ganzen  66  Achsen  — 
von  Hradisch  nach  Brunn.  Daten  über 
Fortbewegung  grösserer  todter  Lasten  mit- 
tels Eisenbahnen  lagen  aus  England  vor. 
Es  waren  dies  Kraftäusserungen, 
welche  —  so  wenig  sie  uns  auch 
gegenwärtig  zu  imponiren  geeignet  sind 
—  damals  immerhin  Maximalleistungen 
darstellten  und  einen  Schluss  darauf 
zuliessen,  was  die  Eisenbahnen  bei  Vor- 
handensein des  erforderlichen  Fahrparkes 
und  bei    forcirtem    Betriebe     zu    leisten 


Unsere  Eisenbahnen  im  Kriege. 


117 


vermöchten.  Auf  diesen  Erfahrungen 
basirt,  und  bei  Einhaltung  einer  richti- 
gen Mitte  zwischen  übermässiger  und 
zu  geringer  Anforderung  an  die  Bahnen, 
entwickelte  Pönitz  Grundsätze  für  die 
militärische  Benützung  des  neuen  Ver- 
kehrsmittels, von  welchen  einige  that- 
sächlich  auch  noch  in  unseren  Tagen 
massgebend  sind. 

Was  die  Leistungen  der  Eisen- 
bahnen im  Allgemeinen  anbelangt, 
so  gab  man  sich  mitunter  wohl  über- 
triebenen Illusionen  hin.  So  gehörte  Graf 
Rumigny  zu  denjenigen,  welche  50.000 
Mann  auf  einer  Eisenbahn  200  Lieus 
[900  km]  weit  in  20  bis  30  Stunden 
fortschaffen  zu  können  glaubten.  In  jenen 
nüchternen  Kreisen  hingegen,  zu  welchen 
Pönitz  gehörte,  dachte  man  an  die  Mög- 
lichkeit der  Durchführung  des  strategi- 
schen Aufmarsches  mittels  derselben 
nicht;  die  Phantasie  verstieg  sich  doch 
noch  nicht  so  weit,  ein  derartiges 
Eisenbahnnetz  zu  denken,  wie  es  zu 
diesem  Zwecke  gehört.  Auch  andere 
Bedenken  lähmten  den  Flug  der  Phan- 
tasie: der  Fussmarsch  aus  den  Garni- 
sonen nach  dem  Kriegsschauplatze  wurde 
als  ein  unentbehrliches  Abhärtungs-  und 
Disciplinirungs  -  Mittel  für  unerlässlich 
erklärt;  für  grössere,  namentlich  rasche 
Transportbewxgungen  sollte  eine  Ent- 
fernung von  etwa  400  km  die  Maximal- 
grenze bilden,  denn  »will  man  die  Vortheile 
der  Eisenbahnen  als  Operationslinien 
richtig  würdigen,  so  muss  man  nicht 
Armeen  von  100.000  Mann  aus  allen 
Waffen  und  mit  allem  Zubehör  auf 
Strecken  von  100  Meilen  fortschaffen 
wollen« ;  die  Cavallerie  würde  —  des 
grossen  Wagenbedarfes  sow-ie  der  gesund- 
heitsschädlichen Folgen  der  Bajinfahrt 
auf  das  Pferdematerial  wegen  -—  »auf 
dieses  Bewegungsmittel  für  immer  ver- 
zichten müssen«,  u.  A.  m.  —  Immerhin 
aber  wurden  den  Eisenbahnen  schon 
grosse  Aufgaben  zugedacht:  nicht  nur 
Zufuhr  von  Kriegsmaterial  und  Vorräthen 
aller  Art,  Abschub  der  Impedimenta 
sowie  schnelle  Beförderung  von  Nach- 
richten und  Befehlen,  sondern  auch  haupt- 
sächlich Massentransporte  von  Heeres- 
körpem  zu  allerlei  Vertheidigungszwecken 
und    selbst    zu    unerwarteten    ^Offensiv- 


Operationen«.  Eine  gänzliche  Umgestal- 
tung der  Kriegskunst  wollte  man  daraus 
nicht  ableiten,  wohl  aber  erblickte  man 
in  den  Eisenbahnen  einen  mächtioren 
Kraftfactor  für  die  Vertheidigung,  indem 
durch  dieselben  »das  Mittel  geboten 
wird,  einzelne  Linien  und  Punkte  des 
Kriegsschauplatzes  schnell  zu  verstärken, 
überhaupt  die  grossen  Infanterie- Reserven 
mit  ihrer  Artillerie  früher  als  der  Feind 
es  ahnen  kann,  dahin  zu  bringen,  wo 
sie  den  Ausschlag  geben  sollen«.  Und 
man  stellte  sich  darunter  schon  grosse 
Massen  vor,  der  Ausbau  eines  wohl- 
erdachten  Eisenbahnnetzes  sollte  es  er- 
möglichen, »mit  160.000  Mann  Infanterie 
und  350  Geschützen  zu  fahren,  wohin  es 
beliebt,  und  es  würde  nur  weniger  Tage 
bedürfen,  um  das  Doppelte  dieser  Streit- 
macht  an  Ort   und   Stelle   zu    bringen«. 

Dass  den  Militärbehörden  im 
Kriegsfalle  das  uneingeschränkte  Be- 
nützungsrecht aller  Bahnen  zufallen  müsse 
--  mögen  Letztere  auf  Staats-  oder  auf 
Privatkosten  gebaut  worden  sein  —  wird 
bereits  als  unerlässlich  erkannt,  speciell 
sollte  das  gesammte  Fahrbetriebsmateriale 
vertragsmässig  oder  im  Wege  der  Requisi- 
tion zur  Verfügung  der  Militär-Verwaltung 
gestellt  werden.  So  sehen  wir  in  den 
»Allgemeinen  Bestimmungen  über  das  bei 
Eisenbahnen  zu  beobachtende  Concessions- 
System«  den  Satz  enthalten,  dass,  »wenn 
die  Militär- Verwaltung  zur  Beförderung 
von  Truppen  oder  Militär-Effecten  von 
den  Eisenbahnen  Gebrauch  zu  machen 
wünscht,  die  Unternehmer  verpflichtet 
sind,  derselben  hiezu  alle  zum  Trans- 
porte dienlichen  Mittel  gegen  Vergütung 
der  sonst  allgemein  für  Private  be- 
stehenden Tarifpreise  sogleich  zur  Ver- 
fügung zu  stellen«. 

Für  die  Feldarmee  bezeichnet  es 
Pönitz  als  nothwendig,  dass  ein  Stabs- 
officier  des  General-Quartiermeisterstabes 
dem  Oberfeldherm  für  die  Leitung  der 
Eisenbahntransporte    beigegeben    werde. 

Was  bezüglich  der  Anlage  und 
Einrichtung  der  Bahnen  als  mass- 
gebend gelten  sollte,  lässt  sich  in  wenigen 
Worten  zusammenfassen :  Gleichmässigkeit 
in  Spur  und  Ausführung  bei  allen  Bahnen, 
doppelgeleisige  Herstellung  bei  den  Haupt- 
linien,   geräumige,    mit    zahlreichen   Ge- 


Ii8 


Vom  Eisenbahnbureau  des  k.  u.  k.  Generalstabes. 


leisen,  Drehscheiben  und  anderen  Aus- 
weichungsmitteln versehene  Bahnhof- 
anlagen, Vermeidung  von  Kopfstationen, 
leistungsfähige  Wasserfördenmgsanlagen 
[der  Handbetrieb  wurde  dem  »kost- 
spieligen und  nicht  empfehlenswerthen 
Dampfpumpenbetriebe«  vorgezogen],  kräf- 
tige Maschinen   und    geräumige  Wagen. 

Die  Einflussnahme  der  Militär- Ver- 
waltung auf  Eisenbahn- Projecte  wurde 
in  Oesterreich  von  allem  Anfange  an 
ausgeübt ;  schon  Ende  der  Dreissiger-Jahre 
erscheinen  Generalstabs-Officiere  als  Mili- 
tär-Vertreter bei  den  zur  Würdigung  von 
solchen  Projecten  zusammengesetzten 
Commissionen ;  speciell  für  Ungarn  be- 
stimmte die  Allerhöchste  Entschliessung 
vom  5.  März  1839,  dass  Bahnprojecte, 
vor  deren  Behandlung  dem  General- 
Commando  zur  Begutachtung  zuzustellen 
seien. 

Für  die  Durchführung  der  Trans- 
portbewegungen finden  wir  in  Pönitz' 
Werke  bereits  concrete  Grundsätze  aus- 
gesprochen: Im  Allgemeinen  wurde  der 
Vorzug  dem  Echellon- Verkehre  gegeben, 
nämlich  der  Beförderung  mittels  rasch 
aufeinander  folgenden  Zügen,  ohne  Ab- 
warten der  rückkehrenden  Trains,  was 
dem  Zwecke  der  raschen  Verschiebung 
kleinerer  Körper  eben  entspricht.  Man 
zog  zwar  auch  den  Turnus- Verkehr  in 
Betracht,  nämlich  jene  auf  regelmässigen 
Verkehr  in  beiden  Richtungen  berechnete 
Beförderungsweise,  bei  welcher  auf  die 
rückkehrenden  Leerzüge  reflectirt  wird, 
aber  man  hielt  die  Ausführung  desselben 
noch  für  eine  »sehr  schwierige  Aufgabe« 
—  begreiflicherweise,  weil  die  Nothwen- 
digkeit  und  Zweckmässigkeit  regelmäs- 
siger und  fester  Fahrordnungen  noch  nicht 
zum    vollen  Bewusstsein    gelangt  waren. 

Die  Dichte  und  Intensität  des  Bahn- 
verkehres, die  allein  grosse  Erfolge  ver- 
bürgen, bildeten  noch  keinen  Factor  im 
Massentransporte.  Die  Fahrgeschwindig- 
keit war  wohl  mit  3  Meilen  [23  km]  per 
Stunde  festgesetzt,  aber  schier  idyllisch 
stimmt  es  uns,  wenn  wir  in  den  von  Pönitz 
ausjrearbeiteten  Beispielen  lesen:  »Hier« 
[nach  fünfstündiger  Fahrt]  »wird  ein 
dreistündiger  Halt  gemacht.  Die  Mann- 
schaft verlässt  ihre  Wagen,  lagert  batail- 
lons-    und   batterieweise    an    schicklichen 


Plätzen,  verzehrt  die  mitgebrachten  Lebens- 
mittel und  füllt  die  Feldflaschen  mit 
frischem  Trinkwasser.  Da  die  Mannschaft 
fast  fünf  Stunden  still  gesessen  hat,  wird 
ihr  die  kleine  Bewegimg  sehr  wohl  thun. 
Die  Pferde  werden  gefüttert  und  zur 
Tränke  geritten  oder  geführt . .  . « .  Dann 
wird  wieder  aufgebrochen  und  bis  4,  5, 
6  Uhr  Nachmittags,  ja  bis  7  Uhr  Abends 
gefahren:  »Das  ist  allerdings  schon  etwas 
»spät«,  denn  es  soll  in  der  Station  ge- 
nächtigt werden,  und  dort  *gibt  es 
noch  Mancherlei  zu  thun«. 

Auch  verschiedene,  scharfsinnige  Com- 
binationen  werden  da  vorgeschlagen: 
Vormittags  marschiren  die  Truppen  zu 
Fuss,  damit  dem  Momente  der  Abhärtung 
Rechnung  getragen  werde,  Nachmittags 
wird  die  Bewegung  per  Bahn  fortgesetzt; 
bei  Mangel  an  Locomotiven  werden  die 
Bahnzüge  durch  Truppen-  oder  durch 
requirirte  Landespferde  gezogen,  oder 
es  wird  ein  gemischtes  Tractions-Sj'stem 
[Locomotive    und  Pferde]  eingeleitet. 

Der  Fassungsraum  der  Fahrbe- 
triebsmittel ist  ein  sehr  zutrefl'ender, 
u.  zw.  per  Waggon  40  Mann  oder  6  [ge- 
sattelte oder  beschirrte  und  gefesselte] 
Pferde  mit  3  Mann,  oder  ein  Geschütz 
mit  der  zugehörigen  Bedienungsmann- 
schaft, oder  ein  Fuhr\verk.  Die  Mann- 
schaftswagen waren  offen;  für  Pferde- 
wagen bestand  zwar  keine  zweckmässige 
Type,  doch  wurde  in  Oesterreich  die  Mini- 
malhöhe gedeckter  Güterwagen  seit  Ent- 
stehen der  Eisenbahnen  mit  6'i"  [i"93  w] 
festgesetzt  und  dadurch  die  Frage  über  die 
Pferdeverladung  principiell  entschieden, 
während  noch  1858  der  Deutsche  Eisen- 
bahnverein bei  der  Wagendimensionirung, 
für  die  Güterwagen  keine  bestimmte  Höhe 
vorschrieb,  und  somit  vorstehendem  Be- 
dürfnisse nicht  Rechnung  trug.  An 
Locomotiven  wurden  zwei  auf  eine  Meile 
[7  •  5  km]  Doppelgeleise  gerechnet. 

Für  dieZugsordnung  war  mass- 
gebend, dass  »eine  in  gutem  Stande 
befindliche  Locomotive  mit  einem  Zuge 
von  10  bis  12  Wagen,  welche  mit 
300  Personen  und  vielem  Reisegepäck 
belastet  sind«,  mehrere  Tage  hinterein- 
ander bei  einer  Fahrgeschwindigkeit  von 
30  km  die  vStunde,  einschliesslich  Betriebs- 
und    Wasseraufenthalte,      eine     tägliche 


Unsere  Eisenbahnen  im  Kriege. 


119 


Leistung  von  230  km  [7 — 8  Fahrstunden] 
bewältigen  könne.  Da  nun  weiters  die 
Ansicht  herrschte,  dass  »durch  Kuppelung 
zweier  Locomotiven  eine  besondere  Kraft- 
erhöhung entsteht«,  und  da  man  Zugs- 
intervalle ersparen  wollte,  so  befürwortete 
man  sogenannte  »Doppelzüge«,  nämlich 
Züge  mit  2  Maschinen,  und  zwar  zu 
24  Wagen,  welche  so  befähigt  seien, 
ein  Infanterie-Bataillon  [8cx)Mann  sowie 
die  nöthigsten  Wagen  und  Pferde]  mit 
der  vorbezeichneten  Leistung  mehrere 
Tage  hintereinander  zu  befördern.  Die 
Doppelzüge  sollten  einander  mit  1 200  w 
Abstand  folgen  und  zu  6  in  taktische 
Echellons  für  etwa  brigadestarke  Körper 
zusammengefasst  werden.  Diese  Grösse 
der  Echellons  war  nach  den  Speisewasser- 
Verhältnissen  bemessen.  An  Reserve- 
Locomotiven  rechnete  man  circa  30%, 
an  Reparaturstand  20^/q  für  Locomotiven, 
und  25%  für  Wagen. 

Es  benöthigten :  eine  Infanterie- 
Brigade  mit  4800  Mann,  66  Pferden  und 
12  Fuhrwerken  [der  Train  sollte  mög- 
lichst restringirt  werden]  6  Doppelzüge; 
eine  6pfündige  Fussbatterie  zu  150  Mann, 
96  Pferden,  8  Geschützen  und  12  Fahr- 
zeugen 1V2,  andere  Batterien  2  bis  27« 
Doppelzüge ;  ein  Corps  von  20.cx>0  Mann 
und  48  Geschützen  34  Doppelzüge  mit 
100  Locomotiven  [darunter  32  Reserve], 
84  Personenwagen,  168  Lastw^agen  [für 
Fuhrwerke],  160  Pferdewagen.  Soviel 
Betriebsmaterial  besassen  1842  Oesterreich 
sowie  das  ausserösterreichische  Deutsch- 
land noch  nicht. 

Bezüglich  der  Cavallerie  rechnete 
man  folgend ermassen : 

Ein  Cavallerie  -  Regiment  von  750 
Reitern  mit  830  Pferden  benöthigt 
150  Wagen  oder  6  fünfzigachsige  Dop- 
pelzüge, d.  i.  soviel  wie  eine  Infanterie- 
Brigade  von  fast  5000  Mann  oder  32 
Geschütze.  Da  nun  »selbst  die  genialste 
Verwendung  von  750  Reitern  in  keinem 
Falle  mit  der  Wirksamkeit  von  5CX)0  Mann 
Infanterie  oder  32  Geschützen  in  Ver- 
gleich kommen  kann«,  so  ist  der  Bahn- 
transport dieser  Waffe  in  der  Regel  nicht 
begründet.  Dazu  kommen  noch  die  vor- 
erwähnten Bedenken  wegen  der  schäd- 
lichen Einwirkung  der  Bahnfahrt  auf  die 
Gesundheit   der   Pferde.     In    besonderen 


Fällen  sollte  der  Eisenbahntransport  bei 
der  Cavallerie  immerhin  platzgreifen, 
man  erfand  sogar  eine  combinirte  Be- 
förderungsweise, bei  welcher  die  Mann- 
schaft per  Eisenbahn,  die  Pferde  aber  mit 
Fussmärschen,   instradirt   werden  sollten. 

Die  Einwaggonirung  sollte  nicht  in 
den  Hauptbahnhöfen  allein,  sondern  des 
Raumbedarfes  zur  Aufstellung  der  Leer- 
garnituren wegen  —  selbst  bei  nicht 
sehr  grossen  Echellons  —  auch  in  den 
kleineren  Nachbarstationen  stattlinden. 
»Die  Truppen  marschiren  dicht  an  der 
Eisenbahnstrecke  auf,  die  Generalstabs- 
Officiere  und  Adjutanten,  welche  ein 
genaues  Verzeichnis  von  der  Zahl  der 
Plätze  jedes  einzelnen  Wagens  besitzen, 
theilen  hiernach  die  Mannschaft  ab,  und 
ernennen  die  Commandanten  für  jeden 
Wagen.  Eine  halbe  Stunde  vor  der  Ab- 
fahrtszeit marschiren  die  Bataillone  an 
ihre  Wagenzüge  und  es  formiren  sich 
nun  die  Abtheilungen  ihren  Wagen 
gegenüber,  wo  sie  Gewehr  beim  Fuss 
nehmen  und  das  Signal  zum  Aufsitzen 
erwarten.  —  Da  die  Aufnahme  der  den 
Truppen  zugehörigen  Pferde  und  Wagen 
die  meiste  Zeit  in  Anspruch  nimmt,  auch 
mancherlei  besondere  Vorkehrungen 
nöthig  macht«  [Rampen  werden  nicht 
speciell  erwähnt],  »so  muss  sie  sobald 
als  möglich  bewirkt  werden.« 

Um  Militärbehörden  und  Truppen  in 
der  Eisenbahninstradirung  einzuüben, 
wird  empfohlen,  die  Zusammenziehungen 
zu  den  grösseren  Manövern  mittels 
Eisenbahn  zu  bewirken. 

Dass  bei  der  gewissenhaften  Unter- 
suchung aller  massgebenden  Factoren  auf 
das  Personal  nicht  vergessen  wurde, 
ist  begreiflich.  Da  die  vorhandenen 
Maschinenftihrer  —  einer  auf  3  Maschi- 
nen —  für  aussergewQhnliche  Verhält- 
nisse nicht  genügen  können,  wird  eine 
Aushilfe  durch  im  Frieden  auszubildende 
Mannschaft  der  Artillerie-  und  Genie- 
Waife  vorgeschlagen. 

Hinsichtlich  der  Ausgestaltung 
des  Bahnnetzes  war  in  Oesterreich 
erst  in  letzter  Zeit  ein  planmässiges  Vor- 
gehen in*s  Auge  gefasst  worden.  Während 
noch  die  österreichischen  Eisenbahn-Con- 
cessions-Bestimmungen  vom  Jahre  1838 
feststellten,    dass    »die   Wahl    der   Rieh- 


I20 


Vom  Eisenbahnbureau  des  k.  u.  k.  Generalstabes. 


tung  und  Reihenfolge  der  zu  erbauen- 
den Eisenbahnen  den  Privaten  überlassen 
wird«,  allerdings  »mit  der  Beschränkung, 
welche  wichtigere  öffentliche  Interessen 
erheischen«,  erscheint  im  December  1841 
über  Anregung  des  Freiherrn  von  Kübeck 
—  Präsidenten  der  k.  k.  Allerhöchsten 
Hofkammer  —  ein  Hofkanzleidecret,  mit 
welchem  die  Eintheilung  der  Bahnen  in 
Staats-  und  Privatbahnen  erfolgt,  und 
als  zur  ersteren  Kategorie  gehörig,  die 
zu  erbauenden  Linien  »von  Wien  über 
Prag  nach  Dresden,  von  Wien  nach 
Triest,  von  Venedig  über  Mailand  nach 
dem  Gomersee,  dann  jene  in  der  Richtung 
über  Bayern«,  erklärt  werden. 

In  dem  Gutachten  über  dieses  Pro- 
gramm sprach  sich  der  Hofkriegsrath 
dahin  aus,  dass  militärischerseits  dagegen 
nichts  einzuwenden  sei,  sondern  dasselbe 
»viel  eher  als  militärisch  nützlich  aner- 
kannt werden  müsse«. 

Viel  weitergehend  war  naturgemäss 
das  Programm  über  ein  strategisches 
Bahnnetz,  welches  Pönitz  als  Grundlage 
seiner  Untersuchungen  und  concreten 
Vorschläge  aufstellte.  Dasselbe  war  einer- 
seits gegen  Frankreich  und  andererseits 
gegen  Russland  gerichtet,  und  bestand 
in  seinem  österreichischen  Theile  aus 
folgenden  Linien: 

1.  »Als  vordere  Hauptopera- 
tionsbasis« und  zugleich  auch  als 
künstliche  »Hauptvertheidigungs- 
linie*  gegen  Russland  die  Bahn  Lem- 
berg-Krakau-Oderberg,  zum  Anschlüsse 
an  die  Oderbahn; 

2.  »als  hintere  Hauptopera- 
tionsbasis« die  Bahn  Komom  [oder 
Raab]-Wien-Stockerau-  im  Donauthale 
bis  Grafen  wörth-Gmünd-Bud  weis- Prag- 
Dresden  [Berlin-Stettin] ; 

dazwischen  die  Verbindungen: 

3.  Komom  [oder  Pressburg]  bis  Trent- 
schin  als  Dampfbahn,  dann  als  Pferde- 
bahn mit  der  Einrichtung  für  leere 
Dampfwagenzüge  nach  F'reistadt  zur 
Krakauer  Bahn ; 

4.  Wien-Ohnütz-Oderberg,  wovon  die 
Strecke  bis  Olmütz  schon  bestand; 

5.  Olmütz-Pardubitz-Kolin-Prag ; 

6.  Pardubitz-Josefstadt-Breslau  [in  der 
Strecke  Josefstadt-Schweidnitz  als  Pferde- 
bahn]. 


Femer  die  Bahnen: 

7.  Wien-Linz; 

8.  Wien-Triest  mit  Abzweigung  von 
Strass  nach  Essegg; 

9.  Wien-Raab-Ofen. 

Die  Kosten  dieses  Bahnnetzes  wurden 
in  Thalem  zwischen  70.000  für  schweren 
und  theueren  und  25.000  für  leichten 
und  wohlfeilen  Boden,  im  Durchschnitte 
mit  40.000  Thaler  per  Kilometer  ver- 
anschlagt. 

Truppen  sollten,  in  wenig  bevölkerten 
Theilen  zum  Bahnbaue  verwendet,  Mili- 
tär-Colonien  mit  Standlagern  an  den 
Eisenbahnen,  zum  Schutze  der  Grenzen 
errichtet  werden. 

Auch  das  Zerstören  von  Eisen- 
bahnen wurde  in  Betracht  gezogen  und 
in  einer  objectiven,  ebenso  von  leicht- 
sinnigem Optimismus  wie  von  klein- 
müthigem  Pessimismus  freien  Auffassung 
gewürdigt.  Die  Zerstöning  kann  erfolgen 
durch  Entfernung  oder  Sprengung  des 
Geleises,  durch  Untergraben  des  Unter- 
baues, durch  Sprengung  von  Brücken, 
endlich  durch  Vernichtung  von  Stations- 
einrichtungen. Alle  diese  Zerstörungen 
erfordern  eine  gewisse  Zeit,  und  können 
durch  die  Anlage  der  Bahn  selbst  sowie 
durch  entsprechende  Bewachung  vielfach 
verhindert,  mindestens  aber  rasch  ent- 
deckt und  —  wenn  Vorsorgen  hiefür 
getroffen  sind  —  aufgehoben  werden, 
denn  »selbst  der  Bau  einer  hölzernen 
Nothbrücke  erfordert  nur  einen  halben 
Tag,  wovon  man  Beispiele  auf  englischen 
und  amerikanischen  Eisenbahnen  hat«. 

Die  schärfste  Bewachung  —  welche 
nicht  nur  durch  Bahnwächter  —  sondern 
durch  Truppenabtheilungen  erfolgen  sollte, 
verlangte  Pönitz  für  Bahnen,  welche  längs 
der  Grenze  hinziehen,  und  er  schlug  hiezu 
ein  dichtes  System  von  Doppelvedetten 
und  Feldwachen  vor,  welches  mit  circa 
100  Mann  per  Kilometer  berechnet 
wurde.  Für  Bahnstrecken  im  Rücken  der 
Armee  forderte  er  auch  einen  gewissen 
Schutz,  »weil  die  Zerstörung  derselben 
künftig  eine  Hauptaufgabe  für  Partei- 
gänger werden  wird« ;  dieser  Schutz 
sollte  am  zweckmässigsten  durch  kleine 
fahrende  Colonnen  erfolgen.  Zum  Schutze 
gegen  nachhaltigere  Zerstörungen  —  so 
von    Bahnhofeinrichtungen,  W^erkstätten, 


Unsere  Eisenbahnen  im  Kriege. 


121 


Wasseranlagen  etc.  —  an  Eisenbahn- 
knotenpunkten, dann  von  wichtigen  Eisen- 
bahnbrücken, sollte  die  Fortification  die 
Mittel  an  die  Hand  geben.  Der  Be- 
schiessung  fahrender  Züge  durch  Artillerie 
legte  Pönitz  der  geringen  Präcision  wegen, 
nicht  allzu  grosse  Bedeutung  bei;  er 
beantragte    aber,    die    exponirten    Bahn- 


decretes  vom  23.  December  1841  zum 
Theile  auf  den  Ausbau  der  schon  con- 
cessionirten  Privatbahnen,  hauptsächlich 
aber  auf  die  Anlage  der  als  Staatsbahnen 
in  Aussicht  genommenen  Linien  ver- 
wiesen. Auch  war  bereits  mit  der  Ein- 
lösung von  Privatbahnen  sowie  mit  der 
Uebernahme  des  Betriebes  durch  den  Staat 


oy itmb^.\ 


Jassv 


Bukarest 


misch 

o 


Mafsstab  -MO.000.000. 


Sfand  Ende  1850. 


0  100 


aoo 

-4— 


aoo 


400 

-4- 


600 


Abb.  13. 


Strecken  durch  Anpflanzungen  zu  mas- 
kiren.  Im  Allgemeinen  sollte  der  Schutz 
der  Eisenbahnen  die  Aufgabe  nicht  der 
Feldarmee,  sondern  der  »Milizen  oder 
Landwehren«  bilden. 


184I 1850. 

Im  Decennium  1841  bis  1850  war 
die  Bauthätigkeit  auf  dem  Eisenbahn- 
gebiete   auf  Grundlage   des    Hofkanzlei- 


begonnen  worden.  Im  Ganzen  war  der 
Fortschritt  in  der  Ausgestaltung  der 
Eisenbahnen  nicht  auf  der  Höhe  der  be- 
deutenden Anstrengungen  der  Staatsver- 
waltung; die  in  der  Terraingestaltung 
sowie  in  den  eigenthümlichen,  politisch 
administrativen  Verhältnissen  liegenden 
Schwierigkeiten,  später  die  Revolutions- 
Ereignisse,  hatten  besonders  seit  1846 
ein  Zurückbleiben  in  der  Verkehrsent- 
wicklung verursacht.  Ende  1850  umfasste 
das  österreichische  Bahnnetz  [excl.  Pferde- 


122 


Vom  Eisenbahnbureau  des  k.  u.  k.  Generalstabes. 


Eisenbahnen]  nach  einem  durchschnitt- 
lichen, jährlichen  Zuwachs  von  circa 
130  km  im  Ganzen  1500  km.  [Vgl. 
Karte  Abb.   13.] 

Die  militärische  Benützung 
der  Eisenbahnen  war  vorerst  auf  ein- 
zelne Fälle  beschränkt  geblieben.  Im 
März  1846  fuhr  ein  Bataillon  [900  Mann] 
mit  einem  28  Wagen  zählenden  Zuge  in 
14Y2  Stunden  von  Prag  nach  Wien,  und 
Tags  darauf  ein  Regiment  [1500  Mann] 
sammt  Gepäck  und  Pferden  mittels  zweier 
Züge  auf  der  seit  wenigen  Monaten  er- 
öffneten »nördlichen  Staatsbahn«  nach 
Olmütz.     Die    Nordbahn    beförderte    mit 

2  Zügen  zu  64  und  zu  15  W^agen  2000 
Mann  von  Ostrau  nach  Wien,  So  gering 
auch  diese  Leistungen  erscheinen,  so  er- 
munterten selbe  doch  zur  Verallgemeinung 
des    Eisenbahntransportes    für    Truppen. 

MitHofkammerdecretvom  iQ.Mai  1846 
wird  im  Einvernehmen  mit  dem  k.  k. 
Hofkriegsrathe  bestimmt,  dass  der  Trans- 
port von  Militär-  Assistenz  -  Commanden 
künftig  auf  den  Eisenbahnen  zu  bewirken 
sei,  und  dass  den  Staatseisenbahnen  hiefür 
das  mit  der  Kaiser  Ferdinands-Nordbahn 
schon    1842    vereinbarte  Meilengeld  von 

3  Kreuzer  C.-M.  per  Officier  oder  Mann 
und  1^4  Kreuzer  C.-M.  per  Centner 
Gepäck  zu  vergüten  sei. 

Die  ereignisreichen  Jahre  1848  und 
1849  zeigen  keine  Beispiele  militärischer 
Benützung  der  Eisenbahnen;  alle  Ver- 
schiebungen finden  mittels  Fussmärschen 
statt. 

Dagegen  bot  die  Belagerung  von 
Venedig  im  Jahre  1848  Gelegenheit,  Er- 
fahrungen bei  Zerstörung  grösserer  Bau- 
objecte  der  Eisenbahnen  zu  sammeln,  da 
es  sich  darum  handelte,  die  grosse  Eisen- 
bahnbrücke über  die  Lagunen  betriebs- 
untauglich zu  machen.  [Vgl.  Abb.  14.] 

Im  März  1850  wurde  mit  a.  h.  Ent- 
schliessung  eine  Stelle  creirt,  welcher  es 
im  Zusammenhange  mit  dem  Studium 
der  Reichsbefestigungsfrage  obliegen  sollte, 
alle  Eisenbahnprojecte  vom  militärischen 
Standpunkte  zu  prüfen  und  zu  beurtheilen ; 
es  war  dies  die  permanente  Central- 
Befestigungs-Commission. 

Noch  im  Herbste  desselben  Jahres 
sehen  wir  aus  Anlass  der  drohen- 
den   Lage    im    Verhältnisse    der 


Monarchie  zu  Preussen  die  Eisen- 
bahnen zum  ersten  Male  eine  bedeutende 
strategische  Rolle  spielen.  Binnen  26 
Tagen  wurden  im  Monate  November 
75.000  Mann,  8000  Pferde,  1800  Fuhr- 
werke und  Geschütze  und  4000  Tonnen 
Militärgut  aus  W^ien  und  Ungarn  aut 
der  Nordbahn  und  der  nördlichen  Staats- 
bahn über  Brunn  und  Olmütz  gegen  die 
nördliche  Grenze  der  Monarchie  befördert. 
Durchschnittlich  fuhren  täglich  von  Wien 
auf  der  damals  eingeleisigen,  wenig 
leistungsfähigen  Strecke  6  bis  7  Z\SigQ 
mit  zusammen  3000  Mann,  300  Pferden, 
70  Fuhrwerken  und  Geschützen  und  150 
Tonnen  Militärgut  ab. 

Die  grösste  Leistung  war  jene  am 
29.  November:  8000  Mann,  550  Pferde 
und  180  Fuhrwerke  in  8,  durchschnittlich 
hundertzwanzig-achsigen  Zügen. 

Zur  Anwendung  gelangte  der  Tumus- 
verkehr,  welcher  später  von  Frankreich 
[1854]  und  Preussen  [1859]  adoptirt 
wurde. 

So  sehr  auch  diese  Leistung  an  und 
für  sich  geeignet  war,  in  und  ausserhalb 
Oesterreichs  zu  imponiren,  so  traten  doch 
dabei  die  Mängel  der  unausgebildeten 
Massentransport-Technik  zu  Tage.  Das 
Resultat  war  schliesslich  ein  bedenkliches ; 
denn  trotz  der  hingebenden  Aufopferung 
des  Personals,  trotz  des  verhältnismässig 
bedeutenden  Fahrparks  der  betheiligten 
Bahnen,  wurde  eine  Beschleunigung  des 
Aufmarsches  gegenüber  einer  Fussmarsch- 
bewegung  kaum  erzielt.  Zahlreiche  Stock- 
ungen, Verstopfung  der  Stationen,  Auf- 
enthalte und  Unregelmässigkeiten  aller 
Art  waren  hemmend  eingetreten,  und  der 
Grund  von  alledem  war  die  mangelnde 
Vorbereitung,  das  Fehlen  fester  Fahrpläne, 
das  Instradiren  von  Fall  zu  Fall.  Immer- 
hin konnte  diese  Erfahrung  nicht  er- 
mangeln, den  militärischen  Nutzen  eines 
rationellen  Eisenbahnnetzes  —  namentlich 
für  Transporte  auf  weite  Entfernungen  — 
aufs  Neue  zu  bekräftigen,  und  so  trat 
denn  schon  im  Mai  des  nächsten  Jahres 
die  » Permanente  Central  -  Befestigungs- 
Commission«  mit  einem  Entwürfe  für  die 
systematische  Ausgestaltung  der  Schienen- 
wege der  Monarchie  hervor,  welcher  — 
im  Einvernehmen  mit  dem  Kriegs- 
ministerium verfasst  —  die  Grundlage  für 


Unsere  Eisenbahnen  im  K riegle. 


den  1854  von  der  Regierung  veröffentlich- 
ten. Allerhöchst  genehmigten  Plan  des 
'Eisenbahnnetzes  für  den  öster- 
reichischen Kaiserstaat'  bildete. 
Der  strategische  Bahnnetzentwurf  um- 
fasste  nachstehend  verzeichnete  Linien, 
welche  je  nach  ihrer  Wichtigkeit  vom  mili- 
tärischen Standpunkte,  sei  es  auf  Staats- 
kosten oder  durch  Privatuntemehmungen, 
zu  erbauen  waren,  undzwar:  i.  Wien-Linz- 
Salzburg;  2.  Prag  über  Pilsen  nach  Bayern; 


Klausenburg;     19.    Pilsen-Eger    und    20. 
Kaschau-Przemysl. 

Wenn  man  diese  Projectslinien  im 
Zusammenhange  mit  den  zur  Zeit  im 
Betrieb  gestandenen,  im  Bau  befindlichen 
und  zur  Concessionirung  gelangten  Linien 
betrachtet,  so  zeigt  sich  das  Bestreben 
der  Heeresverwaltung,  aus  dem  Herzen 
des  Reiches  je  zwei  bis  drei  Schienenwege 
gegen  die  voraussichtlichen  Kriegsschau- 
plätze zu  schalfen.  Leider  blieb  die  that- 


Abb.  M-    Sprtngung  d«  EJeeDbabnbrUcke  Über  dl 
2c[<:bnuDg  Ton  SandmuiD.    Litboet.  Ii 

3.  Debica-Lemberg-Czemowitz;  4.  Lai- 
bach-Nabresina-Triest;  5.  Temesvdr-Arad- 
Heimannstadt,  mit  einer  Verbindungslinie 
von  Karlsburg  nach  Klausenburg;  6.  Neu- 
häusel-Komom ;  7.  M  an  tua-Borgo  forte ; 
8.  Szegedin  -  Baja  -  Mohäcs  -  Fünf  kirchen- 
Gr.  Kanizsa-Agram;  9.  Pest-Miskolcz- 
Kaschau-Leutschau-Tamöw;  10.  Sissek- 
Agram  mit  einer  Flügeliinie  nach  Karl- 
stadt; II.  Bozen-Innsbruck;  12.  Budweis- 
Pilsen ;  1 3.  Pardubitz-Reichenberg ;  14.  Her- 
mannstadt-Kronstadt; 15.  Temesviir- 
Weisskirchen ;  lö.Mohäcs-Essegg;  ly.Sze- 
gedin-Peterwardein;      18.    Grosswardein- 


eilae  * 


n  L    T.  Neu 


in  Jahn  iS<a    (Nach  einet 
unn  In  Wien.] 


sächliche  Entwicklung  der  Eisenbahnen 
hinter  den  militärischen  Forderungen 
zurück,  was  sich  in  späteren  Tagen  schwer 

rächen  sollte. 


1851 1861. 


In  den  vier  Jahren  1851  bis  1854  fanden 
nennenswerthe  Erweiterungen  des  Bahn- 
netzes nur  in  Ungarn  und  in  Italien,  zu- 
sammen um  317  km  statt.  Im  Hbrigen 
Theile  der  .Monarchie  wurden  in  dieser 
Zeit  blos  76  km  [darunter  allerdings  die 


124 


Vom  Eisenbahnbureau  des  k.  u.  k.  Generalstabes. 


Semmeringbahn],  d.  i.  durchschnittlich 
19  ktn  per  Jahr  eröffnet. 

Die  Ende  185 1  ausgegebene  und  noch 
gegenwärtig  giltige  Eisenbahn-Be- 
triebs-Ordnung brachte  unter  An- 
derem auch  die  Bestimmung  [§  69],  dassr 
für  den  Transport  von  Truppen  oder  Mili- 
tär-Effecten,  der  Militär-Verwaltung  über 
Verlangen  »alle  dienlichen  Betriebsmittel 
gegen  eine  angemessene,  im  wechsel- 
seitigen Einvernehmen  festzusetzende  Ver- 
gütung [welche  jedoch  die  gewöhnlichen 
Tarifpreise  niemals  übersteigen  darf],  so- 
gleich und  mit  Bevorzugung  vor  jedem 
anderweitigen  Transporte  zur  Verfügung 
zu  stellen  seien  c.  Weiters  [§  70],  »dass 
in  Belagerungs-  und  Kriegszeiten  der 
hiezu  berufenen  Militärbehörde  das  Recht 
zusteht,  soweit  es  strategische  oder  sonst 
militärische  Rücksichten  gebieten,  gegen 
angemessene  Entschädigung  den  Bahn- 
betrieb ganz  oder  zum  Theile  zu  mili- 
tärischen Zwecken  zu  benützen  oder 
auch  einzustellen«. 

Auf  die  Erfahrung  von  1850  basirt, 
hatte  die  Technik  des  Massentrans- 
portes für  militärische  Zwecke 
indessen  Fortschritte  gemacht. 

Mit  einer  Circular- Verordnung  vom 
26.  Juni  1851  [K.  4368]  wurde  angeordnet, 
dass  Mannschaftstransporte,  wo  Eisen- 
bahnen oder  Dampfschiife  bestehen,  auf 
diesen  dann  zu  befördern  seien,  wenn  der 
entsprechende  Fussmarsch  über  drei  Tage 
beanspruchen  würde.  Zur  ähnlichen  Be- 
förderung von  Pferden  und  F'uhrwerken 
sei  hingegen  jederzeit  eine  specielle  Aller- 
höchste oder  Kriegs-Ministerial-Bewilli- 
gung  unbedingt  nothwendig. 

Die  Verschiebung  der  Truppen  ins 
Olmützer  Lager  1853  sehen  wir  mittels 
Eisenbahn  in  einer  bisher  nicht  gekannten 
Ordnung  durchführen.  Siebzehn,  auf  Ma- 
schinen-Wechselstrecken vertheilte  Loco- 
motiven  beförderten  anstandslos  täglich 
2000  Mann,  430  Pferde  und  30  Fuhrwerke 
—  ca.  drei  hundertachsige  Züge;  eine 
kleine,  aber  immerhin  einen  Fortschritt 
bedeutende  Leistung. 

Umsomehr  erscheint  es  daher  be- 
fremdend, in  der  1854  zur  Ausgabe  ge- 
langten »Provisorischen  Vorschrift 
für  den  Dienst  des  General- 
Quartiermeisterstabes  im  Felde« 


die  Eisenbahnen   mit   keinem  Worte  er- 
wähnt zu  sehen. 

Als  im  Jahre  1854  der  Orientkrieg 
Oesterreich  zum  Beziehen  einer  Armee- 
Aufstellung  in  Galizien  und  Siebenbürgen 
und  zur  Besetzung  der  Donaufürsten- 
thümer  veranlasste,  da  machten  sich 
die  Mängel  des  Bahnnetzes  [vgl.  Karte 
Abb.  15]  schwer  fühlbar.  Die  nur  bis 
Krakau  reichende  Linie  nach  Galizien  war 
von  Oderberg  bis  Trzebinja  unterbrochen 
und  fand  ihre  Verbindung  nur  über  das 
Ausland ;  gegen  Osten  waren  Szolnok  und 
Szegedin  die  Endpunkte;  so  musste  man 
sich  entschliessen,  die  Massenverschiebun- 
gen mittels  Fussmärsche  durchzuführen. 
Eben  so  sehr  litt  unter  dem  Mangel  an 
Eisenbahnen  die  Verpflegung  und  das  Sani- 
tätswesen, was  —  nebst  den  wüthenden 
Epidemien  —  mit  eine  Ursache  der  riesigen 
Verluste  an  Mann  und  Pferd  ward. 

Diese  Erfahrungen  trugen  zum  Theile 
bei,  jene  Massnahmen  zu  beschleunigen, 
welche  das  Wiederaufleben  der  Eisenbahn- 
Bauthätigkeit  herbeizuführen  bestimmt 
waren.  Im  September  1854  erschien  das 
noch  heute  giltige  Eisenbahn-Concessions- 
Gesetz,  welches  von  der  Hoffnung  auf 
eine  lebhafte  Heranziehung  des  Privat- 
capitals  und  der  Privatthätigkeit  inspirirt 
worden  war.  Indem  dieses  Gesetz  namhafte 
Erleichterungen  für  das  Zustandekommen 
von  Bahnverbindungen  gewährte,  schuf 
es  auch  andererseits  die  Möglichkeit,  im 
Staatsinteresse  besondere  Forderungen  an 
die  Bahnen  zu  stellen,  indem  es  die 
Bestimmung  enthielt  [§  10],  »in  ganz 
besonderen  Fällen,  z.  B,  wenn  von 
der  Staatsverwaltung  eine  Zinsengarantie 
für  das  Unternehmen  übernommen  wird 
etc.,  die  Erfüllung  noch  anderweitiger 
Verbindlichkeiten  zur  Bedingung  zu 
machen«. 

Der  militärischen  Einflussnahme  auf 
die  Verwirklichung  von  Bahnprojecten  er- 
scheint in  diesem  Gesetze  dadurch  Rech- 
nung getragen,  dass  vor  der  Bewilligung 
zur  Vornahme  der  Vorarbeiten  das  Ein- 
vernehmen mit  dem  Armee- Obercom- 
mando  zu  pflegen  ist  [§  2],  ferner  in  die 
zur  Prüfung  der  Projecte  an  Ort  und 
Stelle  zu  entsendende  Commission  auch 
Vertreter  der  Militärbehörden  zu  be- 
stimmen sind  [§  6]. 


Unsere  Eisenbahnen  im  Kriege. 


Endlich  verhält  das  Gesetz  die 
Unternehmer,  für  die  Beförderung  von 
Truppen  und  Militäreffecten  »alle  zum 
Transporte  dienlichen  Mittel«  nach  den 
für  diese  Beförderung  bei  den  Staats - 
eisen  bahnen  festgesetzten  Tarifen  bei- 
zustellen. 

Im  darauffolgenden  Monate  erging 
im  Zusammenhange  mit  dem  Concessions- 


zielle  Lage  bedingt  war.  Als  letztes 
Ghed  in  dieser  Kette  wurde  der  vorhin 
[Seite  123]  erwähnte  «Plan  eines  Eisen- 
bahnnetzes für  den  österreichischen  Kaiser- 
Staat«  veröffentlicht.  In  demselben  waren 
bezeichnet:  als  vorwiegend  strategi- 
sche Linien  in  westlicher  Richtung : 
Wien -Linz- Salzburg-bayerische  Grenze, 
Linz- Passau   und    Prag -Pilsen-bayerische 


Gesetze  die  a.  h.  Entschli essung,  womit  I 
genehmigt  wurde,  »dass  die  auf  Staats-  ■ 
kosten  erbauten  oder  eingelösten  und  I 
bisher  in  eigener  Regie  betriebenen  Eisen-  j 
bahnen  gegen  eine  entsprechende  Ab-  ' 
lösungssumme  an  Privatunternehmer  auf  | 
eine  gewisse  Reihe  von  Jahren  zum  | 
Betriebe  überlassen  werden«,  was  aller- 
dings nicht  im  militärischen  Interesse  lag,  I 
jedoch  durch  die  ungünstigen  Ergebnisse 
des  Staatsbetriebes  und  durch  die  finaii-  ' 


Grenze;  in  östlicher  Richtung:  Dgbica- 
Przemysl-Czemowitz  und  Lemberg-Brody; 
in    südöstlicher    Richtung;    Agram-Karl- 

stadt,  Agram -Sissek,  Bergamo  -  Monza, 
Mailand-Piacenza,  Mailand- Pavia,  Man- 
tua-Borgoforte  und  vom  Tagliamento  nach 
Nabresina;  als  strategiscb-commer- 
ziell  wichtig:  Innsbruck  Bozen,  Mar- 
burg-Klagenfurt-Villach-Udine;  als  poli- 
tisch wichtig  für  die  Östlichen  Länder: 
Oedenburg-Kanizsa-Fünfkircben,    Agram- 


126 


Vom  Eisenbahnbureau  des  k.  u.  k.  Generalstabes. 


Kanizsa-Ofen,  Pest-Tamöw,  Mohäcs-Baja- 
Szegedin  und  Temesvär-Hermannstadt. 

Dieser  hochbedeutenden  Staatsaction 
folgte  eine  Periode  lebhaften  Aufschwun- 
ges, ja  krankhafter  Ueberspeculation,  so 
dass  das  österreichische  Bahnnetz  in  den 
sechs  Jahren  von  1856  bis  1861  um  durch- 
schnittlich 500  ^m  jährlich  anwuchs,  leider 
nicht  in  jenen  Richtungen,  welche  die 
militärisch  dringendsten  waren.  Für  den 
Bau  der  eminent  wichtigen  Verbindung 
Casarsa-Nabresina  zwischen  der  lombardo- 
venetianischen  und  der  südlichen  Staats- 
eisenbahn wurde,  laut  eines  im  März  1856 
abgeschlossenen  Uebereinkommens  des 
Staates  mit  einem  Gonsortium  von  Capita- 
listen,  erst  das  Ende  des  Jahres  1859  als 
Eröffnungstermin  festgestellt.  Gleichzeitig 
mit  dem  lebhaften  Fortschritte  in  der  Ent- 
wicklung des  Bahnnetzes  spielt  sich  — 
1855  bis  1858  —  die  Veräusserung  nahezu 
des  gesammten  Staatsbahnnetzes  ab. 

Mit  dem  eingetretenen  Aufschwünge 
hatte  auch  das  militärische  Interesse  an 
dem  Eisenbahnwesen  zugenommen,  und  so 
sehen  wir  gegen  Ende  des  Decenniums 
jene  gründliche  Erkenntnis  dieses  Wesens 
heranreifen,  aus  welcher  in  stetiger  Fort- 
entwicklung die  rationellen  Grundsätze 
der  modernen  militärischen  Benützung 
dieses  mächtigsten  aller  Verkehrsmittel 
entspringen  sollten. 

Im  Jahre  1857  wurde  die  per- 
manente Central-Befestigungs- 
Gommission  wieder  aufgelöst,  und  die 
Agenden  derselben  —  worunter  sich  be- 
kanntlich auch  die  Prüfung  und  Beur- 
theilung  von  Bahnprojecten  befand  — 
dem  Armee-Ober-Commando  übertragen. 

Im  gleichen  Jahre  wurde  den  Bahnen 
die  Verpflichtung  auferlegt,  strategisch 
wichtige  Brücken  mit  permanenten 
Demolirungsminen  nach  Angabe  des 
Kriegs  -  Ministeriums  zu  versehen.  Die 
Auferlegung  dieser  Verpflichtung  schon 
bei  der  Goncessions-Ertheilung  wurde  fest- 
gesetzt, imd  eine  Instruction  für  die  An- 
lage dieser  Minen  ausgegeben.  [Armee- 
Ober-(2ommando-Erlass  vom  23.  April, 
Abtheilung  11,  Nr.  184.]  Als  Erläute- 
rung zur  letztgenannten  Instruction  er- 
scheint 1858  in  den  Mittheilungen  des 
k.  k.  Genie-Gomitcs,  3.  Band,  ein  Aufsatz 
über   Anlage    von    Demolirungsminen    in 


Brücken  und  Viaducten  sowie  über  die 
Sprengung  dieser  Objecte.  Im  gleichen 
Jahre  wurde  eine  Vorschrift  über 
die  Anlage  von  Demolirungs- 
minen bei  Neubauten  von  Brücken 
mit  Eisenconstructionen  ausgege- 
ben. [Erlass  des  Armee-Ober-Commandos 
vom  20.  März  1858,  Abtheilung  5, 
Nr.  209.] 

Der  Standpunkt,  welchen  die  Te  c  h  n  i  k 
der  militärischen  Eisenbahn- 
benützung bis  Ende  1858  erreicht 
hatte,  lässt  sich  in  den  Hauptpunkten 
wie  folgt  charakterisiren: 

Was  zunächst  die  den  Eisenbahnen 
zukommenden  Leistungen  und  Aufgaben 
anbelangt,  so  hatte  sich  nach  den  ge- 
machten Erfahrungen  sowie  nach  der 
Entwicklung,  welche  das  Bahnnetz  ge- 
nommen hatte  und  weiters  zu  nehmen 
sich  anschickte,  schon  die  Erkenntnis 
Bahn  gebrochen,  dass  die  Eisenbahnen 
zu  Grossem  berufen  seien  :  zur  Durch- 
führung des  strategischen  Aufmarsches. 
Hiebei  w^urde  aber  auch  die  Rolle  nicht 
ausser  Acht  gelassen,  welche  die  Eisen- 
bahnen bei  kleineren  Operationen,  gleich- 
sam aut  taktischem  Gebiete  zu  spielen 
berufen  sein  können.  —  Mit  der  Ansicht, 
dass  es  nicht  vortheilhaft  sei,  Caval- 
1  e  r  i  e  mit  Eisenbahn  zu  verschieben, 
war  zu  dieser  Zeit  bereits  gebrochen 
worden. 

Ueber  die  Leistungsfähigkeit 
derBahnlinien  hatten  schon  deutliche 
Begriff'e  Wurzel  gefasst;  man  schätzte 
bereits  klar  nach  ihrem  Werthe  die  hiefür 
massgebenden  Elemente,  nämlich:  die 
Anzahl  der  Geleise  in  der  laufenden 
Strecke ; 

den  nahezu  alle  Vortheile  der  Doppel- 
spur aufhebenden  Einfluss  von  einzelnen 
eingeleisigen  Strecken  innerhalb  von  sonst 
doppelgeleisigen  Linien ; 

die  Berechnung  der  Leistungsfähigkeit 
eingeleisiger  Linien  nach  der  der  Zeit 
nach  längsten  Stationsentfemung,  so  dass 
diese  Entfernung  im  Zeitmasse  ausge- 
drückt, mit  Rücksicht  auf  die  zwei  Gegen- 
züge doppelt  genommen,  und  mit  Zugabe 
eines  kurzen  Sicherheitsintervalles  in  der 
Dauer  eines  Tages  dividirt,  die  Anzahl 
der  binnen  24  Stunden  im  Maximum  nach 
einer   Richtung   möglichen  Züge    angibt; 


Unsere  Eisenbahnen  im  Kriege. 


127 


die  Berechnung  der  Leistungsfähigkeit 
doppelspuriger  Linien  nach  den  Ein- 
richtungen auf  der  Strecke,  namentlich 
jener  zur  Speisung  der  Locomotiven, 
somit  nach  der  Ergiebigkeit  der  Brunnen 
imd  Leistungsfähigkeit  der  Pumpen; 

die  Bedeutung  der  Ausgestaltung  der 
Stationen  mit  Geleiseanlagen  für  die  Ein- 
und  Auswaggonirung  und  für  den  Ver- 
kehr etc. 

Die  Unerlässlichkeit  einer  E  i  n  f  1  u  s  s- 
nahme  der  Militär -Verwaltung 
aufdie  Eisenbahnen  im  Frieden,  um 
selbe  rechtzeitig  kennen  zu  lernen  und 
noth  wendige  militärische  Forderungen 
geltend  zu  machen,   war  ausgesprochen. 

Bezüglich  der  Verkehrsarten  finden 
wir  die  klare  Unterscheidung  der  dem 
Echellon-  und  dem  Turnus  verkehr  zu- 
kommenden Aufgaben  herangereift.  Er- 
sterer  erschöpft  bald  die  materiellen  und 
personellen  Kräfte  der  Bahn,  ist  daher 
nur  für  kurze  Beanspruchung  und  kleinere 
Transportmengen  geeignet;  letzterer  ist 
die  ausgiebigste  Beförderungsart  für 
grössere  und  länger  andauernde  Trans- 
portbewegungen. Demgemäss,  und  weil 
die  Regelmässigkeit  die  Seele  des  Eisen- 
bahnbetriebes ist,  so  seien  für  den  Tumus- 
verkehr  die  Fahrordnungen  bei  Annahme 
der  Aufhebimg  des  Frachtenverkehrs 
schon  im  Frieden  zu  entwerfen  und 
evident  zu  halten,  im  Kriege  aber  über 
Aviso  in  Kraft  zu  setzen. 

Dass  bei  grösseren  Transportbe- 
wegungen der  Civilverkehr  ganz  oder 
theilweise  einzustellen,  dass  der  Massen- 
verkehr und  die  Einwaggonirung  bei 
Tag  und  Nacht  —  ersterer  ohne  Wagen- 
wechsel bis  zur  Endstation  —  fortzusetzen 
seien,  wird  schon  bestimmt  ausgesprochen. 

Die  Fahrgeschwindigkeit  der 
Militärzüge  finden  wir  zu  dieser  Zeit,  trotz 
eines  sechszehnjährigen  Fortschrittes  der 
Eisenbahntechnik,  gleich  wie  bei  Pönitz 
veranschlagt,  3  Meilen  per  Stunde. 
Dasselbe  gilt  betreff  des  Fassungs- 
raumes der  Wagen  für  Mannschaft, 
Pferde  und  Fuhrwerke;  nur  wird  für  die 
Unterbringung  des  Gepäckes  in  den 
Mannschaftswagen  Y^q  der  Sitzplätze  in 
Abzug  gebracht. 

Bei  Berechnung  des  Wagen- 
bedarfes werden  schon  die  Schwierig- 


keiten, welche  in  der  Ungleichheit  der 
Wagen  und  in  der  HerbeischafTung  des 
Leermateriales  liegen,  gebührend  gewür- 
digt ;  ebenso  der  Einfluss  des  Reparatur- 
standes. 

Hinsichtlich  der  Zugsordnung  wird 
die  Anwendung  von  Zwillingszügen  zwar 
in  Betracht  gezogen,  aber  der  Nachtheil 
derselben  für  die  Anlage  der  Bahn  sowie 
für  die  Einfachheit  und  Sicherheit  des 
Verkehres  erkannt. 

Als  eigentliche  Militärzugsmaschine 
wird  die  Lastzugslocomotive  bezeichnet; 
als  zweckmässigste  Verwendung  der 
Locomotiven  nach  den  —  auch  1853  — 
gemachten  Erfahrungen,  die  Stationirung 
derselben  an  den  Enden  von  Maschinen- 
wechselstrecken  erkannt. 

Hinsichtlich  der  Einwaggonirung 
werden  stabile  Verladevorrichtungen  ge- 
fordert. Die  jetzt  normirte  Vornahme  von 
Einwaggonirungsübungen  sehen  wir  schon 
zu  dieser  Zeit  beantragt. 

Die  Schwierigkeiten  der  Personalfrage, 
der  Verwendung  fremden  Materiales  und 
Personales,  die  Berücksichtigung  des 
Tumusdienstes  für  letzteres,  werden  schon 
ins  Calcul  gezogen. 

Gegenüber  diesen  wissenschaftlichen 
Untersuchungen  und  Folgerungen  der 
Fachmänner  waren  die  Massnahmen  der 
Heeresverwaltung  gerade  so  weit  zurück- 
geblieben, wie  in  so  umfassenden  und 
complicirten  Dingen  die  Ausführimg  von 
der  Erkenntnis  entfernt  ist,  und  so  sehen 
wir  die  Ereignisse  desJahres  1859 
hereinbrechen,  ohne  dass  bezüglich  der 
militärischen  Eisenbahnbenützung  ent- 
sprechende Vorsorgen  getroffen  worden 
wären. 

Tirol  war  mit  dem  Herzen  der 
Monarchie  gar  nicht  verbunden,  von 
Böhmen,  Mähren,  Schlesien  aber  nur  mittels 
weiter  Umwege,  durch  Bayern  und  Sachsen 
über  Kufstein  bis  Innsbruck,  zu  erreichen. 
(Vgl.  Karte  Abb.  16.)  Von  Innsbruck  nach 
Bozen  war  eine  Schienenverbindung  kaum 
erst  sichergestellt  worden;  die  weitere 
Fortsetzung  bis  Verona  befand  sich  im 
Bau,  und  wurde  die  Strecke  Trient- Verona 
wohl  am  23.  März,  jene  Bozen-Trient 
aber  erst  am  16.  Mai  1859  [am  24. 
April  Ueberschreitung  der  Grenze  seitens 


128 


Vom  Eisenbahnbureau  des  k.  u.  k.  Generalstabes. 


der  österreichischen  Armee]  eröffnet.  In 
der  hochwichtigen  Verbindung  Wien- 
Laibach -Verona -Mailand  war  die  Lücke 
Nabresina-Casarsa  [102  km]  noch  nicht 
geschlossen.  Die  durch  die  nothwendigen 
Ein-  und  Auswaggonirungen,  dann  Ein- 
und  Ausschiffungen  an  den  Zwischen- 
punkten Innsbruck,  Bozen,  Nabresina, 
Casarsa,  Triest  und  Venedig  hervor- 
gebrachten Verzögerungen,  dann  die 
Ueberfüllung  solcher  Bahnhöfe  mit  einem 
unentwirrbaren  Chaos  von  nicht  weiter- 
zubringenden Heeresbedürfnissen  aller 
Art  waren  nur  natürliche  Folgen  dieser 
Verhältnisse. 

Diese  Umstände,  die  dadurch  her- 
vorgebrachten Verpflegsschwierigkeiten 
sowie  das  Verderben  der  in  Casarsa  und 
Nabresina  angehäuften  Verpflegsvorräthe 
waren  die  Veranlassung,  dass  vom  Aller- 
höchsten Armee-Ober-Commando  die  Auf- 
stellung eines  Eisenbahn-Comit6s  ange- 
ordnet wurde,  welches  den  gesammten 
Betrieb  zu  leiten  hatte. 

Da  concrete  Kriegsvorbereitungen  für 
die  Bahnbenützung  nicht  bestanden  hatten, 
so  wurden  die  Massenbewegungen  ad  hoc 
durchgeführt,  mit  jenem  Vorbedachte 
und  jener  Ueberlegung,  welche  die  durch 
die  momentane  Lage  gestattete  Vorbe- 
reitungszeit den  Bahnen  eben  ermöglichte. 

Die  in  der  Zeit  von  Anfangs  Januar 
bis  Ende  Juli  [am  li.  Juli  Friedensprä- 
liminarien von  Villafranca]  vollzogene 
Eisenbahn-Transportbewegung  erscheint 
in  der  nachstehenden  Tabelle  angegeben. 

Angesichts  der  damaligen  Ausdehnung 
des  Gesammtnetzes  der  Monarchie  — 
ca.  4200  km  [gegen  ca.  33.600  ktn  mit 
Ende   1897]    —    ist    diese    Transportbe- 


wegung eine  imposante  zu  nennen.  —  Die 
Transportkosten  [einschliesslich  Schiffs- 
transport] beliefen  sich  auf  nahezu  36  Mil- 
lionen Gulden. 

Besonders  interessant  und  lehrreich 
war  zu  Beginn  dieses  Feldzuges  der 
Transport  des  II I.  [Schwarzenberg'schen] 
Corps. 

Bekannt  ist,  wie  die  herausfordernde 
Neujahrskundgebung  des  Kaisers  Napo- 
leon III.  am  I.  Januar  1859  das  Alarm- 
signal geworden  war,  welchem  alsbald 
die  Kriegsfanfare  nachfolgen  sollte. 

Schon  am  6.  desselben  Monats  10  Uhr 
Vormittag  traf  bei  der  Betriebsleitung  der 
Südbahn  der  Auftrag  ein :  am  7.  Januar 
einen  Truppentransport  in  der  beiläufigen 
Stärke  von  9000  Mann  Infanterie  von  Wien 
nach  Laibach  zu  befördern;  wahrschein- 
lich würde  der  Transport  von  dort  über 
Weisung  des  II.  Armee-Commandos  aus 
Verona  weiter  zu  transportiren  sein ;  vor- 
aussichtlich würden  auch  in  den  folgenden 
Tagen  grössere  Transporte  stattfinden. 
Die  Südbahn,  obwohl  durch  diese  Weisung 
in  hohem  Grade  überrascht,  sagte  zu, 
unter  der  Voraussetzung  jedoch,  dass  am 
8.  Januar  keine  Einwaggonirung  statt- 
finden, und  dass  auch  mit  Bänken  ein- 
gerichtete Güterwagen  zum  Mannschafts- 
Transporte  benützt  werden  dvurften. 

Hinsichtlich  der  Fahrordnung  konnte 
fürs  Erste  nur  der  7.  Januar  ins  Auge 
gefasst  werden,  und  dann  war  die  Vor- 
bereitungszeit eine  äusserst  kurze  —  bis 
zum  ersten  Transporte  nur  20  Stunden. 
Man  griff  daher  zu  dem  Auskunftsmittel, 
die  zwei  in  der  gewöhnlichen  Fahrordnung 
vorgesehenen  Militärzüge  [Früh  und 
Abends]    durch    Hinzufügung    je    zweier 


1                                                                                                                                                                           t 

Es   beförderten  Alles   in                         i                      r^  ^ 
Allem,  Hin-  und    Rück-       ;     Mann       Pferde        ^^^^' 

1           fahrten  eingerechnet                                                   werke 

1 

Rinder 

Zu- 
Tonnen    sammen 
Güter      Wagen- 
ladungen 

.     Die  Südbahn 716.631       56.952         7.46S 

1       •>     Xordbalin 625  252      74.423         7.751 

;       »     Staatsbahn 777-241      96.533         5.287 

>     Westbahn 117-387       12.IÖ2          I.797 

'       >     Carl-Ludwigbahn  .     .     .         119.657       11.S8S         1.508 

20.042    '     12.478 

22.172          3.387 

20.852          5.321 

4-506   .         933 

428 

40.619 

40.354 
46.104 

7.740 
6.855 

'                 Totale 2,356.168     251.95S       23.S11          67-572    '     22.547       141.672 

Unsere  Eisenbahnen  im  Kriege. 


129 


Nachtrains  auf  sechs  zu  ergänzen  und 
eine  Fahrordnung  für  einen  ebensolchen 
Mittags-Drillingszug  auszuarbeiten ;  so 
hatte  man  die  für  den  Transport  nöthigen 
neun  Züge  beisammen.  Damit  der  tak- 
tische Verband  nicht  zerrissen  werde, 
hatten  drei  Züge  je  zwei,  die  übrigen 
Züge  je  ein  Bataillon  aufzunehmen,  wo- 
durch sich  eine  grosse  Ueberlastung  ein- 


Nachtheile  von  Zwillingszügen  kannte 
man  wohl,  wie  fatal  daher,  dass  man  gar 
zu  Drillingszügen  seine  Zuflucht  zu  nehmen 
bemüssigt  war ;  die  Aufenthalte  wuchsen 
bedenklich;  auf  dem  Semmering,  wo  die 
Maschinen  die  überlasteten  ZiXge  nicht 
fortbrachten,  mussten  die  9  Militärzüge  in 
29  Theile  zerlegt  werden.  Der  Umstand, 
dass  der  Frachtenverkehr  nicht  schon  am 


oyümbf.\ 


Jassv 


Bukarest 


Mafsstab  -MO.000.000. 


Stand  Ende  I85B. 


100 


JOO 


-f- 


400 

-4— 


500 

■H 


Abb.  16. 


zelner  Züge  ergeben  musste.  Der  Frachten- 
verkehr wurde  erst  vom  7.  an  —  jedoch 
nicht  officiell  —  nahezu  eingestellt. 

Die  Personenzüge  [täglich  drei  in  jeder 
Richtung]  sowie  die  Localzüge  verkehrten 
weiter.  Ein  Betriebs-Inspector  wurde  nach 
Laibach  entsendet,  um  wenigstens  ein 
Organ  für  die  Einleitung  des  eventuellen 
Weitertransportes  an  Ort  und  Stelle  zu 
haben.  Die  aus  der  übereilten  und  unregel- 
mässigen Einleitung  entspringenden  Ucbel- 
stände    konnten    nicht    ausbleiben.     Die 

Geschichte  der  Eisenbahnen.  II. 


6.  eingestellt  wurde,  bewirkte  es,  dass  die 
für  den  Abend-Echellon  am  7.  nöthigen 
Wagen  erst  im  letzten  Momente  — 
zwischen  4  und  7  Uhr  Nachmittags  — 
eintrafen;  und  als  man  auch  in  den 
späteren  Tagen  die  Einstellung  nicht 
officiell  aussprach,  verursachte  dies  manche 
schwere  Unzukömmlichkeit,  —  wie  Be- 
anspruchung des  so  dringend  benöthigten 
Wagenmaterials,  Erschwerung  der  Be- 
wegung auf  der  Strecke  und  Ueberfüllung 
der  Magazine. 


I30 


Vom  Eisenbahnbureau  des  k.  u.  k.  Generalstabes. 


Am  7.  trafen  der  Auftrag  für  den  Trans- 
port am  9.,  und  in  ähnlichen  Intervallen, 
die  Weisungen  für  die  folgenden  Tage 
ein,  so  dass  bei  Mangel  einheitlicher 
Uebersicht  über  die  Transportbewegung, 
für  die  einzelnen  Tage  eine  i  bis  3tägige 
Vorbereitungszeit  erübrigte. 

Am  9.  verblieb  man  noch  bei  den 
Drillingszügen,  nur  entfiel  jener  der 
Mittagszeit;  später  sah  man  von  selben 
als  höchst  nachtheilig  ab,  und  beförderte 
nie    mehr  als  zwei  ZiXgc   hintereinander. 

Infanterie  wurde  innerhalb  und  zunächst 
des  alten  Frachtbahnhofes,  Cavallerie  am 
Matzleinsdorfer  Bahnhof  an  einer  1 50  m 
langen  Militär-Rampe  einwaggonirt. 

Die  Reihenfolge  und  Stärke  der  Trans- 
porte zeigt  die  nachstehende  Tabelle. 

In  Laibach  musste  die  Weiterbeför- 
derung sämmtlicher  Züge  neu  eingeleitet 
werden,  was  einen  Aufenthalt  von  ^4 
bis  zumeist  7«  Tag  bedingte,  während 
dessen  auswaggonirt  und  gerastet  wurde. 
Sieben  Bataillone   fuhren  bis  Triest,    wo 


sie  eingeschifft  wurden,  Alles  Uebrige  ver- 
liess  die  Südbahn  in  Nabresina  oder 
Sessana.  Die  Dauer  der  Fahrt  bis  dahin 
[574  Aw],  eingerechnet  des  Aufenthaltes 
in  Laibach  sowie  der  i  ^/^  bis  2-stündigen 
Verpflegs-  und  der  nöthigen  Betriebsaufent- 
halte, betrug  nach  den  rationelleren  Fahr- 
ordnungen der  späteren  Tage  36  bis 
42  Stunden. 

Diese  Zeit  erscheint  zwar  mit  Rück- 
sicht auf  den  nun  schon  unvermeidlich 
gewordenen  bedeutenden  Aufenthalt  in 
Laibach  nicht  übermässig  lang,  anders 
aber  ist  das  Resultat,  wenn  man  den 
Rücklauf  der  Leerzüge  nach  Wien  be- 
trachtet, auf  welchen  sich  natürlich  all 
die  Reibungen  geltend  machten.  Die 
Leergamituren  langten  nach  120  bis  140 
Stunden  in  der  Anfangsstation  wieder 
ein,  obwohl  der  ganze  Turnus  für  die 
Hin-  und  Rückfahrt  bei  einer  Revisions- 
zeit von  12  Stunden  für  die  Maschine 
nicht  länger  als  80  bis  90  Stunden  hätte 
dauern  sollen. 


ctf    , 


II. 
12. 

13 

15. 
16. 

17 

18. 

19. 
20. 


Truppengattung 


7.      9  Infanterie-  und  3  Jäger- Bataillone 
8.'  -  - 

9. 

IG. 


6  Infanterie-  und  i  Jäger-Bataillon 

Corps  -  Hauptquartier,      Sanitätscompagnie     und 
2  Batterien 

2  Batterien 

2  Batterien 

Stab  und  4  Escadronen  Preussen-Husaren  .    .    . 

4  Escadronen  Preussen-Husaren 

Pulver-Transport    und    3    grösstentheils    Militär- 
Frachtenzüge , 

Artillerie-Bespannungs-Transport  von  Wien  und   , 
Graz 

Artillerie-Bespannungs-Transport  von  Wien   und 
Graz 

5  Artillerie-Compagnien 

4  Escadronen  Civalart-Uhlanen 

Stab  und  4  Escadronen  Civalart-Uhlanen         .     . 


s 


730 

475 

443 
928 

803 


310 

759 

693 
820 


9) 

u 


I  0)  V 

N        M 


8568  107  31 


5125  67 


358 
247 
282 

836 
746 


553 

4 
681 

750 


20 

80 

48 

49 
II 

4 


437     731        16 


2 
7 


u 


5 

4 

4 
8 

8 


6 
I 

8 
8 


o  CO 


Summa 


20.091    5362      27S        77 


22 

I 

22 

» 

22 
21 
21 

18 

n 
18 

17 

17 
20 

17 
17 


19 


Unsere  Eisenbahnen  im  Kriege 


131 


Der  Transport  spielte  sich  ohne  Un- 
fall ab.  Es  wurden  binnen  14. Tagen 
77  Militärzüge,  oder  täglich  5V2  Militär- 
und  3  Personenzüge  befördert,  eine 
Leistung,  welche  infolge  der  vorgeschil- 
derten Begleitumstände  die  Inanspruch- 
nahme der  Bahnmittel  und  des  von 
Patriotismus  und  regstem  Pflichtgefühle  | 
beseelten  Personals  fast  bis  zur  äussersten 
Grenze  steigerte,  während  in  den  späteren 
Perioden  auf  derselben  Bahn  bei  regel- 
mässiger Einleitung  des  Verkehres  — 
12  Militärzüge  täglich  [darunter  1  —  2 
Verpflegszüge]  anstandslos  verkehren 
konnten. 

Von  Eisenbahn  -  Zerstörungen  wurde 
in  diesem  Kriege  vielfach  Gebrauch 
gemacht : 

Bei  der  Vorrückung  der  österreichi- 
schen Armee  an  die  Dora  baltea  wurde 
die  Eisenbahnstrecke  Vercelli-S.  Germano 
[gegen  Turin]  an  zahlreichen  Stellen  ab- 
gegraben vorgefunden;  die  Brücke  über 
den  kleinen  Naviglio  [Langosco]  war 
von  den  Piemontesen  schon  am  26.  April 
gesprengt  worden  als  diese  gewahr 
wurden,  dass  die  Grenzbrücke  über  den 
Ticino  bei  Buffalora  von  den  Oester- 
reichem  zur  Sprengung  hergerichtet 
wurde.  Die  Brücke  über  die  Sesia  bei 
Vercelli  war  ebenfalls  mit  Minen  ver- 
sehen worden ;  letztere  wurden  aber  von 
den  Oesterreichern  rechtzeitig  entdeckt 
und  ausgeladen  [3.  Mai].  Die  Po-Brücke 
bei  Valenza  in  der  rechten  Flanke  der 
Vorrückungslinie  der  Oesterreicher  wurde 
am  8.  Mai  von  diesen  gesprengt.  Beim 
Rückzuge  in  die  Lomellina  und  an  den 
Ticino  wurde  die  Eisenbahn .  von  Novara 
gegen  Vercelli  und  Mortara  bis  30.  Mai 
zerstört,  und  die  wichtige  Bahn-  und 
Strassenbrücke  über  den  Ticino  bei  Buf- 
falora —  jedoch  nur  unvollständig  — 
gesprengt.  Beim  Rückzug  an  den  Chiese 
wurde  die  Chiese-Brücke  bei  Ponte  S. 
Marco,  nach  Bergung  des  von  da  bis 
Bergamo  gestandenen  Betriebsmateriales 
nach  Verona,  am  12.  Juni  gesprengt. 

Für  eventuelle  rasche  Truppenver- 
schiebungen hatte  das  Armee-Commando 
in  Itahen  schon  Anfangs  1859  verfügt, 
dass  in  den  an  der  Eisenbahn  liegenden 
Gamisonsorten  mindestens  eine,  in  Mai- 


land, Venedig  und  Mantua  wenigstens 
2  geheizte  Locomotiven  mit  einer  ent- 
sprechenden Anzahl  Waggons  in  Bereit- 
schaft gehalten  werden. 

Interessant  ist  auch  die  in  diesem 
Feldzuge  vorgekommene  Verwendung  von 
Locomotiven  zu  Aufklärungszwecken : 
Nach  der  Schlacht  von  Magenta  consta- 
tirten  zweimal  Generalstabs-Officiere, 
welche  auf  Recognoscirungsmaschinen 
auf  der  Linie  Peschiera-Mailand  vorge- 
sendet worden  waren,  die  Anwesenheit 
des  Feindes  zuerst  in  Senate,  dann  in 
Desenzano. 

Erwähnenswerth  ist  auch,  dass  beim 
Transport  des  i .  Armee-Corps  aus  Böhmen 
nach  Italien  auf  der  Nord-Tiroler  Bahn 
die  Hälfte  der  Züge  mit  fremden  [bsLyri- 
sehen]  Maschinen  befördert  wurde.  Die 
Vorbereitung  und  Einübung  des  Personals 
hatte  zwei  Tage  beansprucht. 

Infolge  des  Friedensschlusses  gelang- 
ten Eisenbahnen  der  Lombardei  in  der 
Länge  von  220  km  zur  Uebergabe  an 
Sardinien.  Der  Artikel  10  des  Friedens- 
Tractates  mit  Sardinien  bestimmte  die 
Anerkennung  und  Bestätigung  der  von 
der  österreichischen  Regierung  auf  dem 
abgetretenen  Gebiete  ertheilten  Eisen- 
bahn -  Concessionen  durch  den  König 
von  Sardinien,  und  die  Einsetzung  der 
sardinischen  Regierung  in  alle,  aus  vor- 
stehenden Concessionen  hervorgehenden 
Rechte  und  Verbindlichkeiten. 

Im  Jahre  1860  wurde  endlich  die  so 
schwer  entbehrte  Verbindungr  Nabresina- 
Casarsa  vollendet. 


1862 1866. 

Während  seit  dem  Concessions-Gesetze 
vom  Jahre  1854  bis  Ende  1861  die  Ent- 
wicklung der  Eisenbahnen  im  lebhaften 
Tempo  weiter  schritt,  begannen  auf 
diesem  Gebiete  schon  mit  dem  Jahre  1862 
die  Nachwirkungen  der  europäischen 
Geldkrise  von  1857,  dann  der  politischen 
Ereignisse  des  Jahres  1859  sich  äusser- 
lich  fühlbar  zu  machen,  wozu  noch  widrige 
Conjuncturen  der  Landwirthschaft  traten. 
Von  475  km  im  Jahre  1861  eröffneten 
Linien    fiel    diese  Ziffer    1862    auf  245, 

9* 


132 


Vom  Eisenbahnbureau  des  k.  u.  k.  Generalstabes. 


1863  aut    197    und    im   darauffolgenden 
Jahre  1864  gar  auf  38  km. 

Angesichts  dieser  Sachlage  dachte 
die  Regierung  etwas  zur  Sanirung  der 
Verhältnisse  zu  unternehmen,  indem  sie 
in  der  zweiten  Hälfte  des  Jahres  1864 
die  »Denkschrift  zum  Entwürfe  eines 
Eisenbahnnetzes  der  österreichischen 
Monarchie«  veröffentlichte,  zugleich  den 
Unternehmern  die  Unterstützung  des 
Staates  als  Beitragsleistung  oder  als 
Garantie  in  Aussicht  stellend.  Bei  dem 
Entwürfe  dieses  Bahnsystems  waren  die 
Linien  nach  nationalökonomischen,  han- 
delspolitischen und  strategischen  Gesichts- 
punkten gewählt.  Die  wichtigsten  der- 
selben waren: 

Wien-Bud  weis  -Pilsen-  Grenze,  Arad- 
Alvincz-Rothenthurmpass,  Alvincz-Karls- 
burg,  Kaschau  -  Oderberg,  Locara  -  Le- 
gnago,  Szegedin-Essegg,  Kanizsa-Fünf- 
kirchen-Essegg,  Essegg-Fiume,  Essegg- 
Semlin,  Prag-Karlsbad-Eger,  Innsbruck- 
Feldkirch- Dombim,  Brixen- Villach,  Vil- 
lach-Udine,  Debreczin  -  Sziget  -  Suczawa, 
Hom-Znaim-Brünn-Prerau,  Brück  a.  Mur- 
Steyer-Haag. 

Im  Ganzen  waren  6913  ktn  Eisen- 
bahnen mit  einem  Kostenaufwande  von 
684  Millionen  Gulden,  bei  Vertheilung 
auf  einen  Zeitraum  von  10  bis  15  Jahren 
in  Aussicht  genommen. 

Wohl  noch  nicht  durch  Einwirkung 
dieser  Massregel,  gegenüber  welcher  die 
Bevölkerung  sich  überhaupt  theilnahms- 
los  verhielt,  doch  infolge  der  allnvählich 
gebesserten  wirthschaftlichen  Verhältnisse, 
sehen  wir  schon  1865  das  Bahnnetz  sich 
um  über  300  km  erweitem,  und  blieb 
dieser  Zuwachs  auch  in  den  nächst- 
folgenden zwei  Jahren  aut  der  gleichen 
Höhe. 

In  militärischer  Beziehung  war  diese 
Periode  eine  ereignisreiche. 

Im  Jahre  1862  erschien  die  »Vor- 
schrift für  den  Militär-Trans- 
port auf  Österreichischen  Eisen- 
bahnen« als  Ergänzung  und  Erweiterung 
der  im  Dienst  -  Reglement  enthaltenen 
diesbezüglichen  Hauptbestimmungen. 

Laut  Einleitung  bezweckte  diese  Vor- 
schrift »den  geregelten  und  gesicherten 
Bahnbetrieb  selbst    bei  Anforderung  der 


höchsten  Leistungsfähigkeit  einer  Eisen- 
bahn zu  verbürgen « 

Normirt  wurden  hiemit :  Die  Einstellung 
von  Militärzügen  mit  einer  Fahrgeschwin- 
digkeit von  3  Meilen  per  Stunde  in  die 
Friedensfahrordnung  nach  Vereinbarung 
mit  dem  General  -  Quartiermeisterstabe ; 
die  Einsendimg  aller  Fahrordnimgs- 
behelfe  und  Mittheilung  erheblicher  Aen- 
derungen  derselben  an  das  Kriegs-Mini- 
sterium und  an  den  General-Quartier- 
meisterstab sowie  an  die  instradirenden 
Militärstellen;  endlich  die  Ausarbeitung 
von  Maximal-Kriegsfahrordnungen  im  Ein- 
vernehmen mit  dem  General  -  Quartier- 
meisterstabe nach  den  zwei  Annahmen: 
Einstellung  des  ganzen  gewöhnlichen 
Verkehres  oder  Aufrechthaltung  der  Post- 
und  Eilzüge. 

Einrichtungsgamituren  für  den  Mann- 
schafts-Transport sollten  die  Bahnen  für 
7io  der  vorhandenen  geeigneten  gedeckten 
Güterwagen  bereithalten,  der  Rest  sollte 
im  Bedarfsfälle  —  eventuell  mit  Zuhilfe- 
nahme von  Militärkräften  —  eingerichtet 
werden.    [Vgl.  Abb.  17.] 

Der  Fassungsgehalt  der  Wagen  war 
nach  den  Bahnen  ein  ganz  verschiedener: 
Personenwagen  III.  Classe  28  bis  64 
Mann,  Güterwagen  28  bis  56  Mann  oder 
6  Pferde  nebst  3  Mann,  Lowries  i  bis  3 
Geschütze  oder  Fuhrwerke. 

Für  Kranke  hatte  man  mit  Stroh- 
säcken einzurichtende  Güterwagen  in 
Aussicht  genommen. 

Instradirende  Stellen  waren  die  Landes- 
General-Commanden  im  eigenen,  bei  ent- 
sprechendem Einvernehmen  auch  im 
fremden  Bereiche. 

Zur  Instradirung  gewöhn- 
licher Transporte  waren  Personen- 
und  gemischte  Züge,  Lastzüge  [aus- 
nahmsweise auch  für  Mannschaft],  end- 
lich für  Transporte  über  400  Mann 
Militärzüge  zu  benützen,  und  die  An- 
ordnungen mittels  tabellarischer  Marsch- 
pläne nach  einem,  der  Vorschrift  beige- 
gebenen Muster  zu  treffen.  Für  die  am 
häufigsten  vorkommenden  22  Routen  war 
in  einer  Beilage  zur  Vorschrift  die  Marsch- 
eintheilung  ausgearbeitet. 

Für  die  »Instradirung  grösserer 
Transporte«  gab  die  Vorschrift  nach- 
folgende Bestimmungen: 


Unsere  Eisenbahnen  im  Kriege. 


133 


Bei  Einstellung  des  öffentlichen  Ver- 
kehres hatten  die  in  Bewegung  befind- 
lichen Züge  ihren  Lauf  bis  an  den  Be- 
stimmungsort 2u  vollenden;  seitens  der 
Bahnen  war  —  nach  gehöriger  Verlaut- 
barung —  die  Annahme  von  Frachten 
zu  verweigern. 

Zur  Durchführung  der  Transporte 
verfügte  das  Kriegs-Ministerium  die  Auf- 
stellung einer  »Central-Leitung  für 
Transporte  auf  Eisenbahnen«  am 
Ausgangsorte  oder  an  einem  Hauptknoten- 
punkte der  Transportlinien.  Dieselbe  hatte 
zu    bestehen:     aus    einem    Officier    des 


port  betreffenden  Vorsorgen  sein  und  nur 
dem  Kriegs-Ministerium  unterstehen.  Der 
Militär-Commissär,  welchem  von  den  in- 
stradirenden  Stellen  der  Ausweis  über 
die  zu  befördernden  Transporte  nebst 
einem  Entwürfe  über  die  beiläufige 
tageweise  Gruppirung  einzusenden  war, 
hatte  die  Detaileintheilung  der  Truppen 
für  die  ZVige  zu  treffen  und  den  Be- 
triebsleitern bekannt  zu  geben.  Ge- 
statteten aber  die  militärischen  Rück- 
sichten eine  solche  frühzeitige  Eröffnung 
nicht,  so  war  die  Detaileintheilung  bei 
der    instradirenden   Behörde    selbst,    im 




.   11 

i    ix 

1 

IS 

j     14 

15 

1 

21 

1 

* 
1 

25 

:    ^ 

25 

.t 

«'-* 


Abb.  17.  Wa^eneinrichtuos^  für  den  Mannschafts-Transport  oach  der  Eisenbahn-Transport- Vorschrift 


vom  Jahre 


General-Quartiermeisterstabes  als  Militär- 
Commissär,  dann  aus  je  einem  Vertreter 
der  General- Inspection  und  der  betheiligten 
Bahnverwaltungen. 

Die  erste  Aufgabe  der  Central-Leitung 
war:  Entscheidung  ob  Turnus  oder 
Echellonverkehr  einzuleiten,  dann  ob  ZügG 
zu  theilen  und  Umladungen  vorzunehmen 
seien;  Feststellimg  der  täglich  in  Ver- 
kehr zu  setzenden  ZiXge\  Bestimmung  der 
höchsten  Zugsbelastung;  Festsetzung  der 
Fahrordnung  für  sämmtliche  Militär-  und 
leeren  Gegenzüge  auf  Grundlage  der  vor- 
erwähnten von  den  Bahnen  vorbereiteten 
Maximal- Fahrordnungen ;  Vorkehrungen 
hinsichtlich  Einrichtung  der  Bahnhöfe  und 
Beistellung  des  Wagenparkes  bei  Rück- 
sichtnahme auf  die  Verpflichtung  der 
Bahnen  zur  gegenseitigen  Wagenaushilfe. 
Die  Central-Leitung  sollte  »die  alleinige 
Vermittlungsstelle«    für  alle,   den  Trans- 


Beisein des  Militär-Commissärs  und  wo- 
möglich auch  des  Betriebsleiters  der 
Ausgangsbahn  vorzunehmen.  Dieser, 
eine  lange  Vorbereitungszeit  bedingende 
Vorgang  entsprach  den  damaligen  Ver- 
hältnissen hinsichtlich  Mobilisirung  und 
Aufmarsch. 

Das  Beisammenbleiben  ganzer  Batail- 
lone, Escadronen  und  Batterien  durfte 
nur  nach  Zulässigkeit  der  Belastimg  ver- 
langt werden,  der  taktische  Verband  war 
aber  innerhalb  der  etwaigen  Theile  zu 
berücksichtigen. 

Auf  langen  Eisenbahnstrecken  war  an 
wichtigen  Punkten  je  ein  Officier  als 
» Local-Commissär «  aufzustellen. 

Für  die  Einwaggonirung  gab  die  Vor- 
schrift das  Zeiterfordernis  an,  so  zum  Bei- 
spiel für  einen  Bahnzug  mit  Artillerie- 
oder Train  abtheilungen,  bei  entsprechenden 
Voranstalten,   i  Yj  ^Js  2  Stunden 


134 


Vom  Eisenbafanbureau  des  k.  u.  k.  Generalstabes. 


Die  Eintheilung  der  verschiedenen 
Wagengruppen  bei  Infanterie-,  Cavallerie-, 
dann  Artillerie-  und  Trainzügen  war 
[nahezu  ganz  nach  den  heutigen  Be- 
stimmungen] fixirt. 

Auf  dem  Kriegsschauplatze  hatte 
das  Armee-Commando  vom  Beginne  der 
Operationen  an  das  Verfligungsrecht  über 
die  dortigen  Eisenbahnen  im  Wege  einer 
>Eisenbahn-Transportleitung  des 
Kriegsschauplatzes«  auszuüben, 
welche  ähnlich  zusammenzusetzen  war, 
wie  die  Central  -  Eisenbahn  -  Tran  sport  - 
leitung.  Ebenso  waren  daselbst  »Local- 
Commissäre«  aufzustellen. 

Schon  ein  Jahr  nach  der  Ausgabe  der 
vorbesprochenen  Vorschrift  veröffentlichte 
der  im  Landesbeschreibungs-Bureau  des 
Generalstabes  eingetheilte  k.  k.  Haupt- 
mann des  General-Quartiermeisterstabes 
Panz  »Das  Eisenbahnwesen  vom 
militärischen  Standpunkte,  Wien 
1863«. 

Dieses  grundlegende  Werk,  welches, 
alle  bisher  gemachten  Erfahrungen  er- 
schöpfend und  sorgfältig  benutzend,  selbe 
in  ein  wissenschaftlich  und  praktisch 
vollkommen  ausgebautes  System  brachte, 
hatte  zur  Aufgabe,  Officiere,  welche  in 
die  Lage  gelangen  konnten,  bei  der 
Durchführung  grösserer  militärischer 
Eisenbahn  -  Transporte  verwendet  zu 
werden,  also  namentlich  Generalstabs- 
Officiere,  über  den  Gegenstand,  in  Er- 
gänzimg der  Vorschrift,  gründlich  zu 
unterrichten. 

Daraus  wollen  wir  als  besonders  in- 
teressante Nova  Nachfolgendes  hervor- 
heben: Die  Bahnen  geben  zehn  Tage  als 
Termin  für  allmähliche  Einstellung  des 
Frachtenverkehres,  dann  Sammeln  und 
Einrichten  des  Wagenmateriales  an;  im 
Bedarfsfalle  müssen  —  bei  kleineren 
Tagesleistungen  zu  Beginn  —  auch  zwei 
bis  drei  Tage  genügen.  Berechnung  der 
Leistungsfähigkeit  der  Locomotiven.  Re- 
paratiu*stand  bei  Maschinen  25®/^,  bei 
Wagen  15%.  Berechnungsmodus  betreffs 
des  erforderiichen  Personals.  Eingehend 
befasste  sich  das  Werk  auch  mit  dem 
Unbrauchbarmachen  und  Zerstören  sowie 
mit  dem  provisorischen  Bau  und  der 
Wiederherstellung,    dann  mit  der  militä- 


i  rischen  Recognoscirung  von  Bahnen, 
endlich  mit  der  Telegraphie  und  dem 
Signal wesen.  Ein  Capitel  beschäftigte 
sich  mit  den  »militärischen  Vorkehrungen, 
um  Bahnhöfe  sowohl  gegen  feindliche 
Angriffe  im  Kriegsfalle,  als  auch  bei 
Volksaufständen  zu  sichern  und  ver- 
theidigen  zu  können«. 

Die  Kriegsbegebenheiten  des 
Jahres  1864  bedingten  wohl  keine  sehr 
bedeutenden  Truppenverschiebungen.    — 
Für   die  Ende    1863    vereinbarte  ge- 
meinsame Action  Oesterreichs,  Preussens, 
,  Sachsens  und  Hannovers  gegen  Dänemark 
wurden    seitens    Oesterreichs    in     erster 
Linie  die  Brigade  Gondrecourt,  in  zweiter 
,  Linie  aber  weitere  drei  Brigaden  und  eine 
'  Cavallerie-Brigade  nebst  Artillerie,  dann 
.  technische  Truppen  und  Trains  bestimmt, 
I  welche     zusammen      mit     der     Brigade 
Gondrecourt     das    6.    Corps     [Gablenz] 
,  formiren  sollten. 

Einheitliche  Bestimmungen  über  die 
Beförderung  von  Truppen  auf  Eisen- 
I  bahnen  innerhalb  des  Deutschen  Bundes 
gab  es  bei  Ausbruch  des  Krieges  nicht, 
es  wurde  daher  zwischen  den  Vertretern 
der  betheiligten  Staaten  und  Bahnen  am 
10.  December  1863  ein  Protokoll  abge- 
schlossen, welches  betreffs  Oesterreichs 
nachfolgende  Punkte  enthielt: 

>i.  Hinsichtlich  der  zuerst  zur  Ver- 
wendung kommenden  Truppen: 

Die  k.  k.  österreichischen  Truppentrans- 
porte erfolgen  von  Prag  her  mit  8  Zügen 
derartig,  dass  der  letzte  Zug  spätestens 
am  19.  Abends  oder  20.  Früh  in  Harburg 
anlangt,  so  dass  also  die  österreichischen 
Truppen  am  20.  December  in  ihren 
Quartieren  auf  Hamburgischem  Gebiete 
vereinigt  sind. 

Die  Ausarbeitungen  der  speciellen 
Fahrordnungen  und  Fahrtdispositionen, 
insoweit  sie  noch  nicht  erfolgt  sind,  werden 
Vorstehendem  gemäss  sofort  erfolgen, 
und  erklären  die  anwesenden  Herren  Ver- 
treter der  betheiligten  Eisenbahnen,  dass 
der  Durchführung  obigen  Resultats  keine 
technischen  Schwierigkeiten  entgegen- 
stehen. « 

>2.  Hinsichtlich  des  später  etwa  noth- 
wendig  werdenden  Transportes  wird  es  sich 
auf  der  Strecke  Lehrte  -  Harburg  um  einen 


Unsere  Eisenbahnen  im  Kriege. 


135 


'  Lehrte-Harburg 


Transport  von  50 — 60  k.  k.  österreichischen 
Truppenzügen  handeln,  welche  theils  von 
Prag  über  Magdeburg,  theils  durch  das 
Königreich  Bayern  über  Kassel  kommen.« 
»Die  Ausarbeitung  der  Fahrpläne  für 
die  demzufolge  in  Betracht  kommenden 
Transportlinien : 

Emmerich- 

Linz-Bamberg-Kassel- 
Prag-M  agdeburg- 

—  und  zwar  zu  8  Zügen  pro  Tag  auf  jeder 
Linie  —  wird,  insoweit  sie  nicht  schon 
geschehen  ist,  sogleich  in  Angriff  ge- 
nommen werden,  auch  die  Vertheilung 
der  Truppentheile  auf  die  Wagenzüge 
erfolgen,  so  dass  es  dann  später  nach 
ergangenem  Befehle  nur  noch  der  Be- 
stimmung des  Datums  bedarf. 

Die  Herren  Vertreter  der  Eisenbahnen 
erachten  für  diesen  Fall  eine  Frist  von 
5  Tagen  zwischen  der  an  sie  ergehenden 
Benachrichtigung  und  dem  Beginne  der 
Transporte  für  ausreichend.« 

Die  Brigade  Gondrecourt  wurde  am 
17.  und  18.  December  in  Prag  ein- 
waggonirt,  und  war  am  21.  December 
Vormittags  in  Hamburg  vereinigt. 

Die  Bahnbefbrderung  der  übrigen 
österreichischen  Truppen,  deren  Aufstel- 
lung schon  Anfangs  December  angeordnet 
worden  war,  konnte  jedoch  nicht  auf  den 
im  Protokolle  bezeichneten  Linien  statt- 
finden, weil  Bayern  und  Sachsen  den 
Durchzug  —  der  Weigerung  des  Deut- 
schen Bundes  zur  Theilnahme  an  der 
Besetzung  Schleswigs  gemäss  —  nicht 
gestatten  wollten.  Es  wiu'de  demnach 
festgesetzt,  dass  die  Beförderung  von  Wien 
und  Ungarn  aus  am  21.  Januar  1864  in 
der  Richtung  auf  Breslau  beginnen  und 
von  hier  am  24.  Januar  nach  Hamburg 
fortgesetzt  werden  sollte.  Thatsächlich 
trafen  die  Truppen  zwischen  dem  25. 
und  dem  31.  Januar  über  Breslau  und 
Wittenberg  in  Hamburg  ein,  setzten  aber 
zum  grossen  Theile  die  Vorrückung  unter 
theilweiser  Benützung  der  Holsteinischen 
Bahn  bis  Neumünster   und  Nostorf  fort. 

Im  Ganzen  wurden  693  Officiere, 
19.785  Mann,  5079  Pferde  und  673 
Fuhrwerke  in  46  Zügen  ohne  Unfall  und 
mit  nur  unwesentlichen  Verspätungen 
befördert. 


Der  Rückmarsch  der  österreichischen 
Truppen  in  die  Heimat  wurde  Mitte 
November  1864  angetreten. 

Im  Jahre  1864  gelangte  die  Instruc- 
tion für  die  Aufstellung  von 
Militär -Eisenbahn -Transport- 
Behörden  ziu-  Ausgabe,  mit  welcher 
eine  namhafte  Abänderung  der  Bestimmun- 
gen des  Jahres  1862  im  Sinne  der  Er- 
weiterung des  Wirkungskreises  sowie 
die  Vermehrung  dieser  Behörden  erfolgte. 

Die  Central-Leitung  wurde  in 
ihrer  Zusammensetzung  durch  Officiere 
und  Mannschaft  verstärkt,  hiebei  der 
Militär-Commissär  als  »Geschäftsleiten- 
der« ausdrücklich  bezeichnet  und  an  den 
Vorstand  der  5.  Abtheilung  des  Kriegs- 
Ministeriums  gewiesen.  Die  Mitglieder 
sollten  schon  im  Frieden  bestimmt  wer- 
den; als  Sitz  der  Behörde  war  Wien 
angegeben. 

Das  Verhältnis  der  Militär-Transport- 
Behörden  auf  dem  Kriegsschauplatze  zur 
Gentral-Leitimg  vor  und  nach  beendetem 
Aufmarsche  wird  im  Sinne  einer  einheit- 
lichen Durchführung  der  Mobilisirungs- 
und  Aufmarsch-Instradirung  bei  der 
letzteren  schärfer  präcisirt. 

Den  Transport -Entwurf  sollte  die 
Central-Leitung  nunmehr  nicht  von  den 
» instradirenden  Stellen «  [Landes-Gene- 
ral-Commanden],  sondern  vom  Kriegs- 
Ministerium  erhalten. 

Der  Central-Leitung  obliegt  auch  die 
Bestimmung  der  für  die  Transenen-Trans- 
porte  den  instradirenden  Behörden  frei- 
zustellenden Züge  sowie  die  Instradirung 
der  Nachschübe  und  der  rückzubeför- 
demden  Kranken. 

Eine  neue  Unterbehörde  der  Central- 
Leitung  sollten  die  »Linien-Com- 
missionen«  bilden,  welche  aus  je  einem 
General-Quartiermeisterstabs-Officier  und 
aus  je  einem  höheren  Bahnbeamten  der 
betreifenden  Bahnanstalten  nach  Bedarf 
zu  bilden  waren.  Als  etwaige  Standorte 
derselben  wurden  Brunn,  Prag,  Krakau, 
Linz,  Ofen,  Pest,  Gzegled,  Laibach, 
Mestre  und  Bozen  bezeichnet. 

Für  den  »Transport -Entwürfe,  den 
»Militär- Fahrplan«  und  die  aus  beiden 
hervorgehende  »Fahr-Disposition«  waren 
Muster  beigelegt. 


136 


Vom  Eisenbahnbureau  des  k.  u.  k.  Generalstabes. 


Die  »Eisenbahn-Transport- 
leitungen auf  dem  Kriegsschau- 
platze« wurden  ähnlich  verstärkt  wie 
die  Central- Leitung  und  im  Wege  des 
Generalstabschefs  dem  Armee-Commando 
unterstellt.  Auch  für  diese  Behörde  wurde 
die  Creirung  von  Linien-Commissionen 
vorgesehen,  welchen  speciell  auch  die 
Vorsorgen  für  die  Sicherung,  Zerstörung, 
Wiederherstellung  sowie  für  den  Bau  von 
Eisenbahnen  obliegen  sollte. 

Als  Instradirungs-Behelfe  sollten  die- 
nen: Fahrordnungen  sammt  Graphica, 
Ausweise  über  Bahnverhältnisse  und 
Betriebsmittel,  Evidenz- Rapporte  über  die 
tägliche  Vertheilung  der  letzteren,  endlich 
das  Dispositions-Protokoll  über  die  An- 
meldimg und  Auftheilung  der  Transporte. 

Statt  der  >Local-Commissäre«  wurden 
»Etappen-Commissionen«  —  be- 
stehend aus  einem  Oberofficier  als  Etap- 
pen-Commandanten  und  einem  Bahn- 
beamten sammt  deren  Stellvertretern, 
dann  nach  Bedarf  aus  sonstigem  Per- 
sonale [Kriegs-Commissäre,  politische 
Beamte,  Koch-Commanden]    —    normirt. 

Die  Standorte  der  etwaigen,  vom 
Kriegs-Ministerium,  beziehungsweise  vom 
Armee-Commando  aufzustellenden  Etap- 
pen-Commissionen waren  in  einer  Bei- 
lage zur  Instruction  verzeichnet.  Den 
Bedarf  an  Commissionen  hatte  die  be- 
treffende »Transportleitung«  festzustellen, 
und  zwar  nach  dem  Grundsatze,  dass  auf 
Entfernungen  von  circa  8  Stunden  für  Ver- 
köstigung, und  nach  je  24  bis  48  Stunden 
für  Bequartierung  zu  sorgen  sei.  Die 
Aufgaben  der  Commissionen  auf  einem 
Abfahrt-  oder  Ankunftsbahnhofe,  Knoten- 
punkte oder  einer  Verpflegsstation  etc. 
waren  genau  präcisirt. 

Im  Februar  1866  gab  das  Kriegs- 
Ministerium  den  »Anhang«  zu  den 
vorbezeichneten  Vorschriften  vom  Jahre 
1862  und  1864  heraus,  welcher  nähere 
Bestimmungen  betreffs  Verköstigung  der 
Transporte,  .Gebühren  des  Personals  der 
Militär  -  Eisenbahn  -  Behörden,  Transport 
von  Kranken,  endlich  Beförderung  von 
Verpflegs- Gegen  ständen  enthielt. 

Für  Transporte  in  »aussergewöhn- 
lichen  Fällen«  wurde  die  Verköstigung 
mit  Frühstück,   Mittagessen  und  Abend- 


'  kost,  verschieden  für  die  kalte  und  warme 
Jahreszeit,  fixirt. 

Für  Kranken  -  Transporte  sollten 
Kranken  -  Haltstationen  mit  imd  ohne 
Nachtunterkünften,  mit  eigenem  ärzt- 
lichen Personale,  etablirt  werden. 

Das  Jahr  1865  hatte  eine  Reorgani- 
sation des  General-Quartiermeisterstabes 
[fortan  »Generalstab«]  gebracht.  [A.  V. 
Bl.  25.  Stück.]  Bei  diesem  Anlasse  wurde 
ein  eigenes  Generalstabs-Bureau  zur  Be- 
sorgung der  in  das  Eisenbahn-,  Dampf- 
schifffahrts-  und  Telegraphenwesen  ein- 
schlagenden Geschäfte  creirt  und  Major 
Panz  des  Generalstabes  zum  Vorstand 
ernannt.  — 

Den  Kriegsereignissen  des  Jah- 
res 1866  sollte  es  beschieden  sein,  die  Un- 
zulänglichkeit des  Bahnnetzes  der  Mon- 
archie in  militärischer  Beziehung  abermals 
vor  Augen  zu  führen.  [Vgl.  Karte  Abb.  18.] 
Wohl  besass  man  in  der  geschlossenen 
Linie  Wien-Nabresina- Verona  endlich  eine 
durchgehende  Verbindung  nach  dem  ita- 
I  lienischen  Kriegsschauplatze,  welche  in  der 
1  neuen  Bahn  Marburg- Villach  eine  hoch- 
!  wichtige  Abzweigung  erhalten  hatte ;  be- 
;  züglich  des  Landes  Tirol  aber  waren  die 
Verhältnisse  gleich  wie  1859  geblieben. 
Dem  nördlichen  Kriegsschauplatze 
stand  —  entgegen  dem  reichgegliederten 
Bahnnetze  Preussens  —  nur  die  eine,  fast 
durchwegs  eingeleisig  fortlaufende  Linie 
Wien  -  Brunn  -  Prag  -  Bodenbach  mit  der 
Abzweigung  Lundenburg-Olmütz  zur  Ver- 
fügung. Die  Bahnverbindung  von  Olmütz 
gegen  die  obere  Elbe  war  von  so  geringer 
Leistungsfähigkeit,  dass  man  sie  bei 
der  Vorrückung  gegen  die  Iser  nur  für 
den  Transport  einiger  technischer  Truppen 
und  für  den  Nachschub  ausnützte.  Die 
längs  der  Grenze  führende  Theilstrecke 
Oderberg  -  Krakau,  die  einzige  durch- 
gehende Verbindung  nach  Galizien,  war 
äusserst  exponirt,  und  als  im  Verlaufe 
des  Krieges  die  Preussen  die  genannte 
Strecke  in  Besitz  genommen  hatten,  war 
Galizien  vom  Centrum  abgeschnitten, 
so  dass  die  Verbindung  dahin  über 
Kaschau  als  letzte  Eisenbahnstation  ge- 
sucht werden  musste.  Siebenbürgen  end- 
lich hatte  keine  Verbindung  mit  dem 
Innern  des  Reiches. 


Unsere  Eisenbahnen  im  Kriege. 


137 


So  wenig  nun  das  Bahnnetz  den 
strategischen  Anforderungen  entsprach, 
so  sehr  muss  anerkannt  werden,  dass 
die  Vorbereitungen  sowie  die  Einleitung 
der  Massentransporte  auf  der  Höhe  der 
Situation  standen,  welchem  Umstände  die 
trotz  des  mangelhaften  Netzes  erzielten 
erstaunlichen  Leistungen  der  Bahnen  in 
dieser  Epoche  zu  verdanken  sind. 


Dresäm 


hierauf  folgten  die  Anordnungen  für  die 
Mobilisirung  der  Nordarmee. 

Am  I.  Mai  wurde  beim  Krieffs-Mini- 
sterium  die  Central-Leitung  für  Eisenbahn- 
und  Dampfschifftfansporte  unter  Major 
Panz  des  Generalstabes  activirt. 

Der  Massentransport  der  Südarmee 
—  für  den  i.  Mai  festgesetzt  —  begann 
thatsächlich    an   diesem   Tage   und   war 


Bukarest 


Nisrh 

o 


Mafsstab  -MO.000.000. 


Stand  Ende  März  tSBB 


too 


ll f  Illlll tf 


200 


300 

-h- 


MO 

-4— 


MO 


Abb.  18. 


Die  Heeresverwaltung  hatte  alle  Mobili- 
sirungs-,  Marsch-  und  Transport- Entwürfe 
bereits  am  1 5.  April  ausgegeben ;  dieselben 
waren  auf  den  gleichzeitigen  Aufmarsch 
beider  Armeen  basirt  und  derart  berechnet, 
dass  der  Aufmarsch  binnen  sieben  Wochen 
nach  Ausgabe  des  Mobilisirungsbefehles 
beendet  sein  konnte.  Als  nun  aus  poli- 
tischen Gründen  beschlossen  wurde,  die 
Südarmee  zuerst  aufzustellen,  wurden  die 
Entwürfe  umgearbeitet  und  am  25.  April 
für    die    letztere    neu    ausgegeben ;    erst 


im  grossen  Ganzen  bis  19.  Mai  be- 
endet. 

Die  Eisenbahn -Transportleitung  aui 
diesem  Kriegsschauplatze  wurde  aufge- 
stellt, und  der  Major  Adalbert  Sametz 
des  Generalstabes  zum  Militär-Commissär 
bestimmt. 

Für  die  Nordarmee  gelangten  am 
II.  Mai  die  Transport-Entwürfe  zur  Aus- 
gabe. Die  Massenbewegung  hatte  am 
20.  Mai  zu  beginnen.  Zur  Leitung  der 
Transporte  wurden  in  Prag,  Brunn,  Prerau, 


138 


Vom  Eisenbahnbureau  des  k.  u.  k.  Generalstabes. 


Pest  und  Wien  Linien-Commanden  activirt. 
Etappen -Commanden  waren  weiters  auf- 
gestellt: in  Lundenburg,  Brunn,  Olmütz, 
Prerau,  Ostrau,  Böhm.-Trübau,  Pardubitz, 
Prag,  Kralup,  Reichenberg,  Jungbunzlau, 
Theresienstadt,  Josefstadt,  Gänsemdorf, 
Neuhäusel,  Miskolcz,  Czegled,  Szegedin, 
Uj-Szöny  und  Steinamanger.  Den  Landes- 
General-Commanden  waren  auf  den  Haupt- 
linien i'/j  Züge  täglich  zur  Verfügung 
gestellt. 

Schon  Mitte  Mai  wurden  je  zwei  Briga- 
den zur  Deckung  der  Bahnstrecken  Hohen- 
stadt-Böhm.-Trübau  und  Ostrau-Oswi^cim 
bereit  gestellt ;  die  Bewachung  der  Strecke 
Oswiecim-russische  Grenze  war  der  Garni- 
son Krakau  übertragen.  Im  Zusammen- 
hange damit  wurde  die  Bereithaltung 
je  eines  Eisenbahnzuges  für  Infanterie 
und  2  bis  3  Geschütze  —  vom  18.  Mai  an 
—  in  den  Stationen  Krakau,  Oswiecim, 
Ostrau,  Olmütz  und  Böhm.-Trübau  ange- 
ordnet. 

Die  Massenbewegung  der  Nord- 
armee, programmmässig  am  20.  Mai 
begonnen,  war  am  9.  Juni  beendet.  Mit 
10.  Juni  wurde  die  Transportleitung  des 
Kriegsschauplatzes,  bestehend  aus  Oberst- 
lieutenant Josef  Edlen  v.  N^methy  des 
Generalstabes,  dann  aus  zwei  anderen 
Generalstabs  -  Officieren  und  aus  Ver- 
tretern der  betreifenden  Bahnen  —  activirt, 
und  derselben  die  Eisenbahnlinien-Com- 
missionen  in  Prag  und  Prerau  mit  den 
zugewiesenen  Etappen-Commanden  unter- 
stellt. 

Die  Ausnützung  der  Eisenbahnen  in 
diesem  Kriege  lässt  sich  der  Zeit  nach 
in  vier  Perioden  th eilen,  von  welchen  in 
die  erste  Periode,  die  Ansammlung  der 
Truppen  auf  den  beiden  Kriegsschau- 
plätzen, in  die  zweite  die  mit  den  Kriegs- 
operationen in  Verbindung  stehenden 
Nachschubtransporte,  in  die  dritte  die 
Transporte  zur  Concentrirung  der  Armee 
bei  Wien,  und  in  die  vierte  die  Ab- 
schiebung eines  Theiles  der  Armee  auf 
den  südlichen  Kriegsschauplatz  fallen. 


Erste  Periode, 

Dieselbe     währte     vom     i.    Mai    bis 
9.  Juni    und    theilte   sich : 


a)  In  die  Zeit  vom  i.  bis  19.  Mai,  in 
welcher  Truppen,  Ergänzungen  undKriegs- 
bedürfhisse  auf  den  Linien  der  Südbahn 
nach  dem  Kriegsschauplatze  in  Italien 
gesandt  und  gleichzeitig  aus  den  südlichen 
Ländern  die  für  die  Nordarmee  bestimmten 
Truppen  nach  Kärnten,  Steiermark  und 
Ungarn  herangezogen  wurden. 

In  diesen  ig  Tagen  kamen  in  beiden 
oberwähnten  Richtungen  179.409  Mann, 
7386  Pferde,  917  Geschütze  und  Fuhr- 
werke und  25.228  Tonnen  Verpflegsgüter 
in  ca.  427  Zügen  zur  Beförderung. 

Die  Tagesleistung  [Verkehr  nach  beiden 
Richtungen]  betrug  daher  22  bis  23  Z^gt^ 
welche  circa  9440  Mann,  442  Pferde, 
48  Geschütze  und  Fuhrwerke  und 
1328  Tonnen  Verpflegsgüter  beförderten. 

Gleichzeitig  wurden  auch  auf  der 
Nordbahn  und  der  nördlichen  Linie  der 
Staatseisenbahn-Gesellschaft65.88oMann, 
7074  Pferde  und  648  Fuhrwerke  beiläufig 
in   110  Zügen  befördert. 

6)  In  die  Massenbewegung  der  Nord- 
armee, welche  vom  20.  Mai  bis  9.  Juni 
währte. 

Während  dieser  21  Tage  wurden  auf 
der  Kaiser  Ferdinands-Nordbahn,  in  welche 
alle  anderen  Transportlinien  einmündeten, 
mit  ca.  458  Zügen  191. 513  Mann, 
28.641  Pferde,  4280  Geschütze  und  Fuhr- 
werke und  15.174  Tonnen  Verpflegs- 
güter befördert. 

Die  Tagesleistung  bestand  daher  im 
Durchschnitte  in  der  Beförderung  von 
9120  Mann,  1364  Pferden,  203  Geschützen 
und  Fuhrwerken  und  723  Tonnen  Ver- 
pflegsgütem  mittels  21 — 22  Zügen  [nach 
einer  Richtung]. 

Die  Cavallerie  begab  sich  grössten- 
theils  zu  Pferd  an  ihre  Bestimmungsorte. 

Beide  Armeen  waren  in  einem  Zeit- 
räume von  40  Tagen  concentrirt  und 
mit    allen    Kriegsbedürfnissen    versehen. 

Diese  Leistung  erscheint  umso  gross- 
artiger, wenn  in  Betracht  gezogen  wird, 
dass  bei  der  damaligen  Organisation  der 
österreichischen  Armee  die  Annahme  der 
neu  zusammengesetzten  Ordre  de  bataille 
eine  sehr  complicirte  Zusammenstellung 
der  Züge  erforderte,  da  selbst  einzelne 
Bestandtheile  von  Truppenkörpem  und 
Armee-Anstalten  erst  beim  Transporte 
vereinif^t  werden  mussten. 


Unsere  Eisenbahnen  im  Kriege. 


139 


Zweite  Periode. 

In  der  zweiten  Periode  wurden  die 
Eisenbahnen  hauptsächlich  zum  Nach- 
schübe von  Heeresergänzungen  und  zum 
Transporte  grosser  Massen  von  Ver- 
pflegs-Gegenständen  sowie  zum  Rück- 
transporte von  Verwundeten  und  theil- 
weise  auch  zu  Truppenverschiebungen 
benützt  Die  Leistungen  der  Bahnen  in 
dieser  Periode  waren  folgende: 

Auf  der  Südbahn,  theils  für  die  Süd- 
armee theils  für  die  Nordarmee,  vom 
20.  Mai  bis  inclusive  13.  Juli:  1 1 1.2  28  Mann, 
12.967  Pferde,  2430  Fuhrwerke  und 
43.401  Tonnen  Militärgüter  und  Ver- 
pflegs-Gegenstände. 

Auf  der  Nordbahn  und  der  nördlichen 
Linie  der  Staatseisenbahn-Gesellschaft 
vom  10.  Juni  bis  inclusive  6.  Juli: 
30.700  Mann  Ergänzungen  und  Transene, 
28.500  Tonnen  Verpflegs-Gegenstände  für 
die  Xordarmee,  und  der  Rücktransport 
von   50.000  Kranken,    Verwundeten   etc. 

In  diese  Periode  fällt  auch  der  am 
23.  Juni  von  Rovigo  nach  Verona  be- 
wirkte Eisenbahn-Transport  der  Brigade 
Scudier,  welche  behufs  Theilnahme  an 
der  Schlacht  [Gustozza]  herangezogen 
wurde. 

Dritte  Periode, 

Diese  umfasst  den  Transport  eines 
Theiles  der  Nordarmee  hinter  die  Donau, 
dann  die  Beförderung  des  Gros  der  Süd- 
armee aus  Italien  nach  Wien. 

Bei  der  Nordarmee  begann  am  8.  Juli 
der  Rücktransport  des  10.  Armee-Gorps 
von  Lettowitz  gegen  Wien,  und  es  wurden 
trotz  der  schwierigen  Einladeverhältnisse 
in  der  erstgenannten  sehr  kleinen  Station 
und  des  Nachdrängens  des  Feindes  binnen 
38  Stunden  in  20  Zügen  ca.  19.000  Mann, 
880  Pferde,  220  Geschütze  und  Fuhrwerke 
und  ausserdem  1000  Kranke  und  Ver- 
wundete und  2000  Transene,  u.  zw.  das 
Gros  des  Gorps  nach  Floridsdorf,  eine 
Brigade  nach  Lundenburg,  die  Kranken 
und  Transenen  nach  Brünn,  Ungarn  und 
Wien  befördert. 

Jeder  Zug  fasste  somit  ca.  1000  Mann, 
43  Pferde  und  11  Geschütze  oder  Fuhr- 
werke. 


Am  II.  Juli  begann  der  Rücktransport 
des  III.  österreichischen  und  des  säch- 
sischen Armeecorps  von  Olmütz  nach 
Wien. 

Mit  dem  Aufgebote  von  täglich  9  bis 
10  Zügen  [je  über  200  Achsen]  standen 
das  III.  Armeecorps  und  der  grösste  Theil 
der  Sachsen,  zusammen  ca.  40.000  Mann, 
4100  Pferde,  700  Geschütze  und  Fuhr- 
werke binnen  37ji  Tagen  bei  Wien. 

Gleichzeitig  wurden  noch  bei  2000 
Kranke  aus  Olmütz,  viele  Hundert  Tran- 
sene und  Privatreisende  und  grosse  Ver- 
pflegs-Vorräthe  aus  Prerau,  Göding,  Ung.- 
Hradisch  und  Brünn,  ferner  eine  grosse 
Menge  Eisenbahnbetriebsmittel  der  böhmi- 
schen und  sächsischen  Bahnen  [im  Ganzen 
1000  Locomotiven  und  16.000  Wagen] 
nach  Wien  und  Ungarn  zurückgeschafft. 

Am  1 5.  Juli  Abends  traf  bei  der  Brigade 
Mondel  in  Lundenburg  der  Auftrag  ein, 
per  Bahn  überGänsemdorf  nach  Marchegg 
abzugehen.  Um  i  Uhr  derselben  Nacht 
war  bereits  der  fünfte  und  letzte  Zug  mit 
den  Truppen  der  Brigade  von  Lundenburg 
abgegangen  —  ihr  nach  das  massenhaft 
angehäufte,  zur  Bergung  nach  Pressburg 
abgeschobene  rollende   Material. 

Am  5.  Juli  waren  die  Preussen  in  den 
Besitz  der  durchlaufenden  Bahnverbindung 
Dresden  -  Turnau  -  Kralup  -  Prag  -Pardubitz 
gelangt,  weichefür  dieselben  grösstenWerth 
besass,  weil  die  Linie  Dresden-Prag  durch 
die  Festung  Theresienstadt,  und  jene  Dres- 
den-Josefstadt-Pardubitz  durch  Königgrätz 
gesperrt  waren. 

Unterdessen  befand  sich  auch  das 
Gros  der  Südarmee  auf  .der  Fahrt  nach 
W^ien. 

Am  3.  Juli  war  die  Entscheidung  bei 
Königgrätz  gefallen.  Schon  am  Abende  des 
nächsten  Tages  erhielt  die  Südarmee  den 
telegraphischen  Befehl,  4  Infanterie-  und 
eine  Gavallerie-Brigade  per  Eisenbahn 
nach  Wien  abzusenden.  Am  11.  folgte, 
zugleich  mit  der  Ernennung  des  Feld- 
marschalls Erzherzog  Albrecht  zum  Ober- 
Commandanten  der  gesammten  operiren- 
den  Armee,  der  Auftrag,  alle  noch  dis- 
poniblen Kräfte  an  die  Donau  nachzu- 
senden. 

Das  V.  Armeecorps,  25.000  Mann, 
3000  Pferde,  267  Geschütze  und  Fuhr- 
werke, kam  vom  9.  bis  inclusive   13.  Juli 


1  Eisenbahnbureau  des  k.  u.  k.  Generalstabs. 


von  Verona  nach  Bozen,  passirte  in  Eil-  I 
märschen  den    Brenner  und   wurde  vom 
15.  Juli  in  sieben  Tagen  mittels  47  Zügen 
von  Innsbruck  über  Bayern   nach   Wien 
befördert. 

Gleichzeitig  aber  gelangten  sächsische 
Depots  und  Armee- An  stalten  von  Linz 
nach  Wien  zur  Beförderung. 

Das  IX,  Armee-Corps  und  2  Brigaden 
des  VII.  Corps,  die  Armee- Geschütz- 
reserve, der  Armee- Munitions park,  eine 
Ca  valier  ie- Brigade,  der  Armee- Brück  en- 
train  und  das  Hauptquartier  der  Süd- 
armee  —  im  Ganzen  57.000  Mann, 
10.500  Pferde,  2000  Geschütze  und  Fuhr- 


Uj-Szöny-Oten  als  Rokadehnie  längs  der 
Donau  im  ausgedehntesten  Masse  ver- 
wenden zu  können. 


Vierte  Periode. 

Während  die  Nordarmee  unter  Benedek 
aus  OlmUtz,  infolge  Mangels  einer  Bahn- 
verbindung, auf  langem  Umwege  durch 
das  Waagthal  an  die  Donau  rückte,  tiess 
Erzherzog  Albrecht  bedeutende  Trans- 
portmittel auf  allen  Stationen  zwischen 
Wartberg  und  Dioszeg,  dann  bei  O-Szöny 
bereitstellen,    um    die    Beförderung    der 


Abb.  i».  EiHnbabnb 


Vclchicl  (Strecka  Oiwli;clin-MyaIawltz]  n. 


D  aj.  Jonl  1906  «tfoljten 


werke  ^    wurden  auf  den  Südbahnlinien  | 
Wien-Triest,  Villach-Marburg  und  Prager-  ■ 
hof-Kanizsa-Oedenburg,  in    I18    Zügen  ' 
vom    13.  bis  inclusive  26.  Juli  nach  Wien 
geschaift.     Dabei    verursachten    die    Be- 
schränktheit    des     Fahrparkes     [da    ein  1 
grosser  Theil    in  Ungarn    infolffe  Unter- 
brechung   der  einzigen  Verbindung  über  ' 
Gänsemdorf    durch     den    Feind     abge-  ' 
schnitten    war],    sowie    das  Zusammen-  ' 
treffen  der    Züge    von  Villach    und    von 
Görz   in  Marburg   und   die   dadurch  be- 
dingte Absendung  von  Zügen  von  Prager- 
hof     über      Oedenburg    bedeutende     Er- 
schwernisse    in     der     Transport  -  Durch- 
führung. I 

Der  grösste  Theil  der  beiden  Armeen,  1 
von  Norden  und  Süden  mittels  Eisen-  1 
bahn  kommend,  war  innerhalb  18  Tagen  i 
an  der  Donau  vereinigt, 

.■\uf   der  Kaiserin  Elisabethbahn  und  ' 
der  Raaberbahn  wurde  alles  Nöthige  vor- 
bereitet, um  die  Linie  Passau-Linz-Wien-  1 


Truppen  nach  Wien  per  Bahn  durchführen 
zu  können.  Doch  kam  es  nicht  dazu, 
denn  es  wurde  der  Uebergang  bei  Press- 
burg bewirkt 

Ende  Juli,  als  die  Verhandlungen  mit 
Italien  zu  keinem  rechten  Erfolge  führten, 
beschioss  man,  einen  Theil  der  Armee 
wieder  mittels  Eisenbahn  nach  dem  Süden 
in  Bewegung  zu  setzen,  um  den  eigenen 
Forderungen  Nachdruck  zu  verleihen. 

Diese  Tran  Sportbewegung  begann  am 
29.  Juli  und  endete  am  17,  August.  Am 
29.  Juli  wurde  eine  Brigade  in  der  Stärke 
von  7835  Mann,  393  Pferden,  80  Ge- 
schützen und  Fuhrwerken  in  acht  Zügen 
von  Wien  über  Salzburg  nach  Innsbruck 
abtransportirt. 

In  den  nächsten  drei  Tagen  fuhren 
vom  Armee-Brückentrain  3348  Mann, 
1194  Pferde,  274  Fuhrwerke  in  18  Zügen 
von  Wiener-Neustadt  nach  Adelsberg. 

Am  2.  August  begannen  nach  einer 
36stündigen  Vorbereitungsfrist  die  Haupt- 


Unsere  Eisenbahnen  im  Kriege. 


141 


transporte  auf  der  Südbahn,  und  zwar 
des  V.  und  IX.  Corps  nach  Görz,  des 
III.  Corps  nach  Villach,  dann  des  II. 
Corps,  welches  ebenfalls  nach  Görz 
rücken  sollte,  aber  infolge  des  inzwischen 
eingetretenen  Waffenstillstandes  mit  Ita- 
lien uminstradirt  wurde,  nach  Graz. 

Die  Beförderung  dieser  Truppenmasse 
[155.808  Mann,  20.929  Pferde,  3.633  Ge- 
schütze und  Fuhrwerke  nebst  1937  Ton- 
nen Verpflegsartikeln]  nahm  400  Züge 
in  Anspruch  und  dauerte  bis  inclusive 
17.  August,  somit  15  Tage. 

Die  Südbahn  wurde  hiebei  nach  den 
beiden  Linien  Wien-Neustadt-Graz-Mar- 
burg-Villach und  Wien-Neustadt-Kanizsa- 
Pragerhof-Görz  benützt 

In  den  ersteren  Tagen  verkehrten  auf 
beiden  Linien,  deren  tägliche  Leistungs- 
fähigkeit unter  gewöhnlichen  Verhält- 
nissen damals  nur  zu  21  Zügen  nach 
jeder     Richtung  -  angenommen     werden 


konnte,  täglich  27— 29  Züge,  und  über 
den  Semmering,  wo  die  Züge  getheilt 
werden  mussten,  täglich  80 — 90  Züge. 
Dieser  Transport  war  ein  umso  kühneres 
Wagstück,  als  die  Betriebsverhältnisse 
der  Südbahn  ganz  besondere  Schwierig- 
keiten darbieten. 

Diesen  Gesammtleistungen  war  es  zu 
verdanken,  dass  nicht  nur  der  Aufmarsch 
der  Armeen  im  Norden  und  im  Süden 
mit  Hilfe  der  Schienenwege  vollzogen, 
sondern  auch  das  Erstaunliche  aus- 
geführt werden  konnte,  die  siegreiche 
Südarmee  rasch  zur  Unterstützung  der 
geschlagenen  Nordarmee  heranzuziehen, 
und  dann  zum  zweitenmale  rechtzeitig 
am  südlichen  Kriegsschauplatze  mit 
einer  imposanten  Heeresmacht  aufzu- 
marschiren. 

Nach  Bahnen  gegliedert,  stellen  sich 
die  Leistungen  in  dieser  372  monatlichen 
Periode  wie  folgt  dar: 


ß  a  h  n  e  n 


Mann 


Pferde 


Ge- 
schütze 

und 
Fuhr- 
werke 


Tonnen 
Güter 


Wagen- 
ladungen 


Züge 


Südbahn  

Nordbahn 

Tiroler     und    Elisabeth- 
bahn   

Raaberbahn 

Bahnen        Deutschlands 
und  böhm.  Westbahn. 

Bahnen        Deutschlands 
und  Elisabethbahn  .   . 


546.130 
490.803 

52.800 
9.000 

4.230 

21.763 


55.030 
53.607 

3732 
350 

515 
1331 


8.958 
7754 

600 
130 

88 
345 


95.205 
61.174 

45-201 
37.969 

1.782 
1.568 

5.000 

3.319 
438 

140 
13 

291 

8 

1.171 

35 

61379 

88.389 

3.546 

SO 

48 

48 
68 

72 

68 


Zusammen  . 


1,124.726 


114  565 


50 


Diese  ganze  Transportmasse  wurde 
bewältigt,  ohne  dass  ein  einziger  Eisen- 
bahn-Unfall vorgekommen  wäre.  Die 
Einnahmen  der  Bahnen  für  den  Massen- 
transport betrugen  nahezu  21,000.000  fl. 

Für  die  Ausführung  von  Bahn- 
Arbeiten  hatte  das  Commando  der 
Nordarmee  zu  Beginn  des  Feldzuges 
beantragt,  eine  eigene  Abtheilung,  be- 
stehend aus  2  Ingenieuren,  6  Polieren 
und  12  Arbeitern  zu  bilden  und  dem 
Armee-Commando  zu  unterstellen.  Das 
Kriegs-Ministerium   bestimmte  hingegen. 


dass  für  Bahnzerstörungen  und  Wieder- 
herstellungen die  Thätigkeit  des  bei 
der  Transportleitung  des  Kriegsschau- 
platzes eingetheilten  Vertreters  der  Ge- 
neral-Inspection  in  Anspruch  genommen 
werde.  Die  betheiligten  Bahnerhaltungs- 
Chefs  sollten  Arbeitskräfte  zur  Verfügung 
des  bezeichneten  Beamten  bereit  halten, 
weiters  sollten  zu  den  Arbeiten  auch  das 
ständige  Bahnpersonale  und  technische 
Truppen  herangezogen  werden.  Ausser- 
dem wurden  Stationen  bestimmt,  wo 
Wiederherstellungs-Materiale  und  Werk- 


142 


Vom  Eisenbahnbureau  des  k.  u.  k   Generalstabes. 


zeuge  —  zum  Theile   auf  Lowries   ver- 
laden —  bereitzustellen  waren. 

Bei  beiden  Armeen  ergaben  sich 
vielfache  Anlässe  zu  Bahnzerstörun- 
gen; die  Arbeiten  wurden  fast  aus- 
schliesslich durch   die  Genie-Truppe   — 


mitimter  bei  Mithilfe  des  Bahnpersonales 
—  bewirkt. 

Die  erfolgten  Unbrauchbarmachungen 
von  Bahnen  [vgl.  Abb.  19 — 22]  zeigt  die 
nachstehende  Tabelle: 


1 

Datum 

1 
1 

Bahnlinie 

1 
1 

Object 
[Strecke— Station]         j 

Art  der 
Unbrauchbar-    1 
machung 

'  Veranlassung 

1 
'                            1 
1 

1 

Südarmee 

,23- 

1 

Juni 

Rovigo-Ferrara    "    ^^^^"IS  ^''^Jf.^  ^^^"^  ^^"^ 
^                                  Canal  bianco 

1 
1 

1 

gesprengt 

1 
1 

1 
zur  Deckung  1 
gegen  Ferrara 
[Corps  Cialdinijj 

9 

10. 

Juli 

1 

Rovigo-Padua 

1 

Eiserne  Etschbrücke  bei 
Boara 

1 

1 

Unterbrechung 
der  Communi- 

cationen  im 

Rücken  der  an 

die  Donau  ab- ' 

gehenden 

Südarmee 

1 

Eiserne  Brücke  über  den 
Gorzone  bei  Stanghella 

Eiserne  Brücke  über  den 
Bachiglione  bei  Padua 

1 
1 

1 
Treviso-Udine 

Hölzerne      Piave-Brücke 
bei    Conegliano     [Ponte 
j               della  Priula] 

i 

verbrannt 

18. 

1 

24.! 

1 

1 

Eiserne  Tapliamento- 
Brücke  bei  Casarsa 

gesprengt 

1 

Udine-Görz      '        ^^^^"^^Jf  >;?!?^^- 

j          Brücke  bei  Görz 

1 
zur  Sprengung 
hergerichtet 

2.  Augustj 

1 

Görz— Nabresina 

Tunnel  von  Sagrado 

Nordarmee 

23. 

1 

1 

1 

1 

Oswi§cim-Mys- 
lowitz 

Szczakowa-Mys- 

lowity 

Eiserne  Gitterbrücke  über 
die  Weichsel  [Grenzbrücke] 

1 

1 
Drei  Pfeiler  ge- 
sprengt.      [Die 
Freussen  hatten  1 
einen       Pfeiler 
schon     am     18. 
Juni  gesprengt.]    ^^  ^^^^^  ^^^ 

27.1 

i  — 

i  Juni 

Hölzerne  Weichsel-Inun- 
1             dations- Brücke 

I        verbrannt 

1 

Feldzuges 

Durchlass  bei  Dlugoczin 

.28. 

1 
1      1 

1    Oswiecim-Trze-   1 

fcinia 

1 

Eiserne  Gitterbrücke  über 

die  Weichsel 

1 

gesprengt 

18.1 
bis 

23.' 

i 

Reichenberg- 

Turnau-Kralup 

1 

Einschnitt  bei  Liebenau 

auf  45  m  ver- 
legt 

1 

gegen  die 
Vorrtickung 
,    des  Prinzen 
1       Karl  von 
1      Preussen 

1 _J 

1 
'  24. 

25. 

Oberbau       und  I 
Turnauer  Bahnhof         1    Einrichtungen    , 
1                                                  il        beseitigt 

Unsere  Eisenbahnen  im  Kriege. 


143 


Datum 


Bahnlinie 


Object 
^Strecke— Station] 


Art  der 
Unbrauchbar- 
machung 


Veranlassung 


26.  Juni 

bis 

2.  Juli 


5.; 


9. 


10. 


II. 


12. 


M- 


16. 


18. 


17. 


28. 


Juli 


Reichenberg- 
Turnau-Kralup 


Josefstadt- 
Starkotsch 


Pardubitz- Wilden- 
schwert 


Wildenschwert- 
Olmütz 

Prerau-Oderberg 

Böhm.-Trübau- 
Brünn 


Brünn- 
Lundenburg 


Prerau-Oderberg 


Lundenburg 


Gänsern  dorf- 
Lundenburg 


Marchegg-Press- 
bürg 


Olmütz 


Tumau-Kralup 
[damals  im  preus- 
sischen*  Betriebe] 


Nordarmee 


Eiserne 
Gitter- 
brücke 

über  die 


Iser  bei  Podol 


Iser  bei  Bakow 


Elbe  bei   Neta- 
towitz 


Moldau  bei 
Kralup 


Holzbrücke  über  die  Elbe 
bei  Josefstadt 


Tunnel  bei 


Wasser-Station 


Chotzen 


Hölzerne  Marchbrücke  bei 
Hohenstadt  [Müglitz] 


Holzbrücke  über 
die  Oder  bei 


D.  Jassnik 
""pöhT" 


Tunnel  bei  Blansko 


Offene  Strecke 


Viaduct  von 


Jessernik 


Holinec 


2  hölzerne  Brücken 

4  ■    ■       ■ 

3  hölzerne  Brücken 


Brunnen  und  Pumpen  auf 
der  Strecke 


Gemauerte  Marchbrücke 
bei  Marchegg 


Bahn-Einschnitt  bei 
Blumenau 


Gemauerte  Brücke  vor 
Lagerfort  7 


Eiserne  Gitterbrücke  über 
die  Elbe  bei  Neratowitz 


ungangbar  ge- 
macht. [Abneh- 
men des  Bela- 
ges, der  Lang- 
schwellen und 
Querträger.] 


gesprengt 


verbarricadirt 


unbrauchbar 
gemacht 


verbrannt 


durch  Spren- 
gung verlegt 


Abtragung  des 
Geleises  auf  240 
w  Länge  u.  meh- 
rerer Brücken- 
felder von  12  m 
Spannung 


gesprengt 


verbrannt 


unbrauchbar 
gemacht 


gesprengt 

zur   Sprengung 
hergerichtet 


gesprengt 


gegen  die 

Vorrückung 

des  Prinzen 

Karl  von 

Preussen 


Rückzug  der 
Armee  von 
Königgrätz 

nach  Olmütz 


Zurücknahme 
der  Brigade 
Mondel  von 
Lundenburg 

gegen  Press- 
burg 


Vertheidi- 

gungsinstand- 

setzung  der 

Festung 


im  Rücken  der 
preussischen 
Armee  durch 
die  Festungs- 
besatzung von 
Theresienstadt  I 


Vom  Eisenbahnbureau  des  k.  u.  k.  General  Stabes. 


14.  lull  leu  erfolEtcD  SprcOEUne,  m«  dem  von  dea 

heiBCMllttn  Proviiordum, 
[N»ch  einer  Photoeraphie  aui  dem  hir—    " '■ 


In  den  Friedenstractaten  nahm  die 
Regelung  der  Eisen  bahn  Verhältnisse  eine 
besondere  Stelle  ein:  In  der  Conven- 
tion mit  Preussen,  betreffend  die 


bahn 

Verbindungen  [Prag,  23.  August  1866], 
verpflichtete  sich  O esterreich  die  Her- 
stellung der  Bahn  Wilden  seh  wert  — 
preussische  Grenze  bei  Mitte)  walde  zu 
tördem.  In  dem  zwischen  Oesterreich  und 
Preussen  abgeschlossenen  Protokolle  Ober 
die  gegenseitige  Auslieferung  der  Kriegs- 
gefangenen [Prag,  33.  August  1866]  wurde 
unter  Anderem  festgesetzt,  dass  der 
preussischen  Armee  zum  Rücktransporte 
die  uneingeschränkte  Verfügung  tlber  die 
Eisenbahnen  des  Besatzungsrayons  zu- 
stehen solhe,  nur  hatte  auf  jeder  Linie 
ein  Zug  für  den  öffentlichen  Verkehr 
frei  zu  bleiben.  Im  Fried  en  stractat 
mit  Italien  wurden  unter  Artikel  X  bis 
Xir  die  Modalitäten  hinsichtlich  Ueber- 
gabe  der  Eisenbahnen  auf  dem  abgetre- 
tenen Gebiete  festgesetzt,  mit  Artikel  XIII 
aber  vereinbart,  gegenseitig  den  Bahn- 
verkehr zu  erleichtern  und  den  Bau  neuer 
Verbindungen  der  bezüglichen  Bahnnetze 
zu  begünstigen ;  desgleichen  versprach 
die  österreichische  Regierung  die  Vollen- 
dung der  BrennerHniü  soviel  als  möglich 
zu  beschleunigen. 

Kurz    nach     Beendigung     des    Feld- 
zuges,  im  Herbste  1866,  wurde  mit  Aller- 


höchster EntSchliessung 
vom  15.  September  die 
Aufstellung  eines 
Armee-Ober-Comman- 
dos  verfügt  und  hiebei  an- 
geordnet, dass  die  Central- 
leitung  für  das  Eisenbahn- 
Transportwesen  in  Bezie- 
hung auf  das  Letztere  der 
Operations- Kanzlei  dieses 
Commandos,  in  jeder  an- 
deren Hinsicht  aber  dem 
General  Stabe  zu  unter- 
stehen habe.  Es  möge 
schon  an  dieser  Stelle  be- 
merkt werden,  dass  bereits 
im  Jahre  1868  infolge  Auf- 
lösung des  Armee-Ober- 
Commandos  die  bisherige 
Operations>Kanzlei  des- 
selben in  die  5.  Abtheilung 
des  Reichs-Kriegs-Ministeriums  einverleibt 
wurde,  und  hiemit  die  Eisenbahn- Ange- 
legenheiten an  die  letztgenannte  Central- 
stelle  wieder  übergingen. 


im  der  k.  k,  StsiiibaliaeD.] 


1867—1876. 


Die  Kriegsereignisse  der  letzten  acht 
Jahre,  namentlich  aber  jene  des  Jahres 
1866,  hatten  die  strategische  Wichtig- 
keit eines  guten  Eisenbahnnetzes  in  einer 
Weise  hervortreten  lassen,  dass  sich  die 
rationelle  Entwicklung  desselben  als  eine 
nicht  abzuweisende  Staatsnoth wendigkeit 
von  selbst  aufnöthigte.  Dieser  Umstand 
sowie  der  Abschluss  neuer  Handelsver- 
träge mit  den  darin  bedingten  Bahnan- 
schlüssen und  die  durch  die  Verfassung 
des  Jahres  1867  erfolgte  Neubelebung 
des  staatlichen  Organismus  brachten  einen 
bedeutenden  Aufschwung  des  Eisenbahn- 
wesens in  Oesterreich-Ungam  hervor, 
welcher  bis  zum  Jahre  1872  sich  stets  in 
aufsteigender  Richtung  bewegte.  So  be- 
trug die  Länge  der  eröffneten  Bahnen  in 
Oesterreich-Ungam  1867  —313  km;  in 
den  folgenden  Jahren  736,  843,  1577, 
3i'6o,    und    im  Jahre    1872   —    2131   km. 

Die  Krise  des  Jahres  1873  bewirkte 
allmählich  einen  Rückfall.  Nicht  nur  die 
Einstellung  von  begonnenen  Bauten  und 
die  mangelnde  Lust  zu  neuen  Unterneh- 


Unsere  Eisenbahnen  im  Kriege. 


■nun gen,  sondern  auch  eine  förmliche 
Nothlage  bei  den  bestehenden  Bahnen 
waren  die  Folgen  davon.  Während  noch 
1873:  1714  km  Bahnen  eröffnet  wurden, 
sank  diese  Ziffer  in  den  nächsten  Jahren 
auf  499,  669,  717,  537,  185,  331  und 
endlich  auf  75  km  herab. 

Die  gleichen  Verhältnisse,  welche  das 
allgemeine  Interesse  nach  den  Jahren 
1866  und  1867  für  die  Eisenbahnen  luid 
deren  Ausbau  in  Anspruch  nahmen,  spä- 
ter auch  der  durch  zielbewusste  Aus- 
gestaltung und  detaillirteste  Vorsorge 
musterhaft  vorbereitete  und  dann  er- 
staunlich rasch  durchgeführte  Aufmarsch 
der  Deutschen  im  Jahre 
1870  sowie  die  damit 
verknüpften  kriegeri- 
schen Erfolge  bewirk- 
ten, dass  der  Eisenbahn- 
frage auch  militäri- 
scherseits  eine  er- 
höhte Aufmerksamkeit 
zugewendet  wurde. 

Der  Verfasser  einer, 
1870  anonym  erschiene- 
nen Schrift:  »Das  Jahr 
1870  und  die  Wehrkraft 
der  Monarchie*,  als  wel- 
cher kein  Geringerer  wie 
Erzherzog  Albrecht  ge- 
nannt wird,  scheute  es 
nicht,  den  Finger  auf  die 
Wunde  zu  legen,  indem  ^^^  j,     Eiienbai 

er  auf  die  Mängel  des  h-  Juu  '«*  erfolgt« 
Bahnnetzes  der  Mon-  [Nach  einer  pboiagiap 
archie  hinwies. 

•  In  der  Richtung  einer  Vorbereitung  1 
des  Bahnnetzes  für  den  Kriegsfall*  —  I 
führte  die  Schrift  aus,  —  »ist  bei  uns  noch  | 
unendlich  viel  nachzuholen.  Es  ist  noch  | 
Alles  zu  viel  Stückwerk.  Namenthch  sind 
die  Hauptbahnen  nicht,  wie  es  für  den 
grossen  Verkehr  und  den  Krieg  unbedingt 

nöthig    wird,    doppelspurig 1 

Doppelgeleise    aber  verdoppeln  nicht  nur  1 
die  LeistungsiMigkeit  einer  Strecke,  sie  , 
sichern    sie    auch,    was    im  Kriege  noch  f 
mehr  Werth  hat,  da  sonst  jede  noch  so 
geringe  Verspätung  — Achsenbrüche,  Ent-  1 
gleisungen,  Zusammenstösse  u.  dgl.  gar  ; 
nicht  gerechnet,  —  den  ganzen  Fahrplan 
bei     grossen     Truppenbewegungen     über 
den  Haufen  wirft  und  dadurch  jede  Com- 


bination  unsicher  macht.  In  Deutschland 
und  Frankreich  sind  alle  Hauptbahnen 
doppelspurig«. . .  . 

Ebenso   wies   der   aus  derselben  Zeit 
stammende    Motivenbericht   des    Reichs- 
Kriegs-Ministeriums   zur   Errichtung   der 
Territorial-Divisionen    auf    »die    Unvoll- 
ständigkeit   des    —    auch  noch  meistens 
einspurigen    und   zum  Theile  den  strate- 
gischen Bedingungen  wenig  entsprechen- 
den Eisenbahnnetzes«   hin,    und  im   glei- 
I  eben    Sinne     forderten    Fachmänner     in 
I  mehrfachen    Publicationen   eine   Vervoll- 
i  ständigung   des  Letzteren  nach  strategi- 
[  sehen  Gesichtspunkten. 


i  Sp«D(tung,  mil  dem  von  den  prEusslicfaen  Truppen 
hie  aut  dem  faltlaiiBCben  Mugeom  der  k.  k.  Staailbahn.] 

Das  Jahr  1870  war  insoferne  für  das 
Mihtär- Eisenbahnwesen  ein  denkwürdiges, 
als  in  diesem  zum  erstenmale  in  Oester- 
reich-Ungam  Eisenbahn-  Truppen 
organisirt  wurden.  Das  Verordnungsblatt, 
42.  Stück,  brachte  die  Creirung  von  10 
Feld-Eisenbahn-Abtheilungen,  welche  je- 
doch erst  im  Kriege  zur  Aufstellung  zu 
gelangen  hatten. 

Im  gleichen  Jahre  kam  eine  neue 
Vorschrift  für  den  Militär-Trans- 
port auf  Eisenbahnen  zur  Ausgabe. 
Diese  Neubearbeitung  stellt  sich  als  eine 
Detail- Ausgestaltung  jener  Vorsorgen  dar, 
welche  sich  1866  in  ihren  Grundsätzen  so 
trefflich  bewährt  hatten.  In  derselben  er- 


scheinen die  Bestimmungen  der  gleichbe- 


^ 


146 


Vom  Eisenbahnbureau  des  k.  u.  k.  Generalstabes. 


zeichneten  Vorschrift  vom  Jahre  1862, 
dann  der  Instruction  ftlr  die  Militär-Eisen- 
bahn-TransportsbehÖrden  vom  Jahre  1864, 
endlich  des  Anhanges  zu  beiden  aus  dem 
Jahre  1866  zusammengefasst.  Wir  finden 
darin  nachstehende,  wesentliche  Neue- 
rungen: 

Den  von  den  Bahnen  schon  im  Frie- 
den für  plötzlich  eintretende  grössere 
Anforderungen  auszuarbeitenden  Maxi- 
mal-Fahrordnungen  ist  nunmehr  eine 
dritte  Alternative  zugrunde  zu  legen, 
nämlich  Einstellung  blos  eines  Theiles 
der  Frachtzüge. 

Bei  den  Militär-Eisenbahn-Transports- 
behörden erscheinen  auch  Vertreter  der 
beiden  Landwehren. 

Die  Zusammensetzung*  der  Centrallei- 
tung  erfährt  eine  Erweiterung  und  wird 
der  Vorstand  des  Bureaus  des  General- 
stabes für  Eisenbahnwesen  ausdrücklich 
als  Militär-Gommissär  bezeichnet. 

Die  »  Eisenbahn  -  Transportsleitungen 
auf  dem  Kriegsschauplatze«  erhalten  den 
Namen  » Feld  -  Eisenbahn  -  Transportslei- 
tungen« und  wird  auch  bei  diesen  das 
Personal  vermehrt. 

Für  den  Transport  von  Kranken  und 
Verwundeten  wird  die  Einrichtung  der 
Güterwagen  mit  auf  den  Boden  zu  stel- 
lenden Tragbetten  normirt. 

Zu  den  Beilagen  der  Vorschrift  ge- 
hören auch  die  Uebereinkommen  der  Bah- 
nen betreff  der  gegenseitigen  Aushilfe 
mit  Wagen  [24.  Mai  1864]  und  Locomo- 
tiven  [6.  Februar  1866]. 

Von  dieser  Vorschrift  wurde  1872  ein 
»Auszug   für   die  Truppen«   auisgegeben. 

Die  Abb.  23  und  24  stellen  die  Ver- 
ladungsweise von  Feldgeschützen  und 
Fuhrv^^erken  dar. 

In  den  187 1  hinausge^ebenen  neuen 
Organischen  Bestimmungen  für  den  Gene- 
ralstab [N.  V.-Bl.  13.  Stück],  wird 
das  Eisenbahn-Bureau  desselben  als  *  Bu- 
reau für  Eisenbahn-,  DampfschifFfahrts-, 
Post-  und  Telegraphenwesen  im  In-  und 
Auslande,  zugleich  Central-Leitung  hei 
Massentransporten  auf  Eisenbahnen  oder 
mittels  Dampfschiffen«  bezeichnet.  — 

Ueber  die  Fortschritte,  welche  in  den 
letzten  Jahren  die  Technik  der  Benützung 


der  Eisenbahnen  im  Kriege  gemacht 
hatte,  gibt  uns  das  vom  Major  Hugo 
Obauer  und  Hauptmann  Emil  Ritter  von 
Guttenberg  des  k.  k.  Generalstabes  187 1 
veröffentlichte  Werk  »Das  Train-,  Com- 
munications- und  Verpfiegswesen  vom 
operativen  Standpimkte«  Aufschluss,  in 
welchem  den  Erfahrungen  aus  den  letz- 
ten Kriegsjahren  —  einschliesslich  jener 
aus  1870,  Rechnung  getragen  ward. 
Auch  in  diesem  Werke  wird  das  öster- 
reichisch-ungarische Bahnnetz  einer  ein- 
gehenden Würdigung  unterzogen  und 
daraus  abgeleitet,  dass  dasselbe  auf 
»jedem  Kriegsschauplatze,  mit  Ausnahme 
desjenigen  gegen  die  Türkei,  dem  des 
eventuellen  Gegners  nachsteht«.  Als 
besonders  fehlerhaft  werden  hiebei  be- 
zeichnet :  Die  Verbindung  mit  Tirol  durch 
fremdländisches  Gebiet,  die  Führung 
der  Nordbahn  von  Ostrau  bis  Trzebinia 
unmittelbar  an  der  Landesgrenze  und 
der  Mangel  einer  Eisenbahnbrücke  bei 
Pest-Ofen. 

187  a  kam  zwischen  dem  Reichs- 
Kriegs-Ministerium  und  den  Bahnverwal- 
tungen ein  Uebereinkommen  [vom 
15.  Mai]  zu  Stande,  mit  welchem  sich 
dieselben  verpflichteten,  schon  im  Frieden 
für  I5"/q  der  Kastenwagen  Einrich- 
tungen für  den  Mannschafts-  und  eben- 
soviel für  den  Pferde-Transport  in  Vor- 
rath  zu  halten,  im  Bedarfsfalle  aber  diese 
Einrichtungen  binnen  3  Tagen  [eventuell 
mit  Zuhilfenahme  von  Militär-Kräften] 
auf  je  45®/o  ^^  ergänzen. 

Im  selben  Jahre  gelangte  ein  »Leit- 
faden des  Eisenbahnwesens«  zur 
Ausgabe  [N.  V.-Bl.  63.  Stück],  welcher 
bei  Benützung  der  besten  neueren  W^erke 
über  Eisenbahnen  sowie  der  wichtigsten 
Erfahrungen  aus  den  letzten  Feldzügen, 
die  technischen  Offi eiere,  namentlich  jene 
der  Feld-Eisenbahn- Abtheilungen,  mit  den 
Arbeiten  vertraut  machen  sollte,  die  im 
Kriege  zur  Zerstörung,  Wiederherstellung 
oder  Neuanlage  von  Eisenbahnlinien  nöthig 
werden  können. 

Das  Jahr  1873  brachte  »infolge  der 
Erweiterung  des  Bahnnetzes«  die  Ver- 
mehrung der  1870  creirten  Feld-Eisen- 
bahn-Abtheilungen von  10  auf  15,  sowie 
die  Activirung  von  5  derselben  schon 
im  Frieden.  [W  V.-Bl.   15.  Stück.] 


Nachdem  die  Wiener  Weltausstellung 
1873  Vorbilder  fllr  Kranken -Transports- 
Anstalten  auf  Eisenbahnen  brachte,  stellte 
der  souveräne  Malteser- Ritter-Orden  1874 
einen  Eisenbahn- Sanitätszug  als  >Schiil- 
jug.    h=r. 

Im  Jahre  1875  erschienen  [N.  V.- 
Bl.  24.  StQck]  die  organischen  Be- 
stimmungen  für  die  freiwillige  Unter- 


Wagen,  d.  j.  1  Zugs-Commandanten-  und 
Aerzte-,  i  Vorraths-,  i  KUchen-,  1  Speise-, 
I  Magazins-,  dann  i  Monturs-  und  ROs- 
tungswagen.  Alles  auf  das  Zweck  massigste 
und  Fürsorglichste  eingerichtet,  Locomo- 
tive  und  Conducteur wagen  werden  von 
den  Bahnen  beigestellt.  [Vgl.  Abb.  25 
und  26]. 

Im  Frieden  besteht  nur  ein  vollkommen 


[K-c 


einer  pbologra] 


iilBefoiideneii  Spreuguoc. 


Stützung  der  Militär-Sanitätspflege 
durch    den    souveränen  Malteser- 
Ritter-Orden,  Grosspriorat  von  Böh- 
men. Damach  sollte  der  Orden  im  Kriegs- 
fälle sechs  Eisenbahn-SanitätszUge  sammt  . 
Personal  dem  Reichs- Kriegs -Ministerium 
zur    Verfügung    stellen,    welches    deren  1 
Dirigirung     auf     den     Kriegsschauplatz, 
beziehungsweise  Zuweisung  an  die  Feld- 
Eisen  bahn -Transportsleitung     der     operi-  1 
renden  Armee  zu  veranlassen  hatte.  1 

Ein    Zug   besteht    aus    10  Ambulanz-  1 
Wagen   für    104   Kranke   und    6   Extra-  : 


eingerichteter  Zug  als  »Schulzugäj  für 
die  übrigen  Züge  ist  die  complete  Ein- 
richtung für  die  von  den  Bahnen  beizu- 
stellenden Wagen  deponlrt. 

Schon  im  darauffolgenden  Jahre  wurde 
die  Anzahl  der  Züge  von  6  auf  1 2  erhöht 
{Präs.  3310  vom  10.  Juli  1876]  und 
zwischen  dem  Orden  und  den  Bahnver- 
waltungen ein  Ue hereinkommen  [vom 
27.  März]  für  die  Beistellung  dernöthigen 
Wagen  seitens  der  Letzteren  abge- 
schlossen, weiches  im  März  1SS2  ent- 
sprechend ergänzt  wurde. 


148 


Vom  Eisenbahnbureau  des  k.  u.  k.  Generalstabes. 


Gleichfalls  im  Jahre  1876  wurde  auch 
seitens  des  Reichs  -  Kriegs  -  Ministeriums 
mit  den  Eisenbahnen  ein  Uebereinkommen 
hinsichtlich  Einrichtung  imd  Verwendung 
von  Eisenbahnwagen  zu  Militär-Sanitäts- 
zwecken abgeschlossen.  —  Die  Einrichtung 
bestand  hauptsächlich  in  der  Anbringung 
von  Thüren  auch  an  der  Stirnseite  von 
Kastenwagen. 

Bei  der  Neuorganisation  des  General- 
stabes 1875  [N.  V.-Bl.  49.  St.]  wurden  die 
dem  neuerrichteten  Telegraphen-Bureau 
zugewiesenen  Angelegenheiten  aus  den 
Agenden  des  Eisenbahn-Bureaus  ausge- 
schieden und  letzteres  als  »Eisenbahn- 
Bureau,  zugleich  Bureau  für  DampfschifF- 
fahrts-  und  Postwesen«  bezeichnet. 


1877 1896. 

Die  nach  dem  Krisenjahre  1873  ein- 
getretene Stockung  in  der  Entwicklung 
derEisenbahnen,und  namentlich  die  infolge 
der  Nothlage  der  staatlich  garantirten 
Bahnen  immer  unerträglicher  werdende 
Belastung  der  Staatsfinanzen  brachten 
die  Erkenntnis  zur  Reife,  dass  ein  Ein- 
greifen des  Staates  zur  Sanirung  dieser 
Verhältnisse  nothwendig  sei. 

In  Oesterreich  entschloss  man  sich 
zu  einem  entscheidenden  Schritte  in  dieser 
Beziehung  im  Jahre  1877,  indem  man  mit 
dem  sogenannten  Sequestrationsgesetze 
die  Staatsverwaltung  .zur  Betriebsüber- 
nahme solcher  garantirter  Bahnen  er- 
mächtigte, welchen  ein  Vorschuss  für  die 
Bedeckung  eines  Betriebskosten-Deficits 
gewährt  worden  war,  oder  von  welchen 
durch  fünf  Jahre  mehr  als  die  Hälfte  des 
garantirten  Reinerträgnisses  beansprucht 
wurde. 

Hiemit  war  die  Verstaatlichungsaction 
eröffnet.  Diese,  mit  der  Sequestration  der 
Kronprinz  Rudolfsbahn  1879  thatsächlich 
begonnen,  machte  von  da  an  ununter- 
brochene Fortschritte,  während  gleichzeitig 
auch  der  Bau  neuer  Linien  auf  Staats- 
kosten betrieben  wurde,  so  dass,  während 
1879  von  dem  Österreichischen  Gesammt- 
netze  8*35^/0  im  Staatsbetriebe  standen, 
diese  Ziffer  1880  auf  17*23,  1882  auf 
25-20,  1884  auf  38-53,  1889  auf  43-44, 
1892  auf  48-34   und    1896  auf  53*41% 


stieg.  Den  Schlussstein  dieses  Gebäudes 
bildete  die  in  der  Schaffung  eines  k.  k.  Ei- 
senbahn -  Ministeriums  gipfelnde  Neu- 
organisation der  staatlichen  Eisenbahn- 
Verwaltung,  welche  mit  19.  Januar  1896  in 
Kraft  trat. 

Von  einschneidender  Wichtigkeit  auf 
die  Entwicklung  der  dem  localen  Be- 
dürfnisse dienenden  Eisenbahnen,  von 
welchen  manche  auch  militärische  Bedeu- 
tung besitzen,  war  das  im  Jahre  1880  er- 
schienene Localbahngesetz  [vom  25.  Mai]. 
Die  durch  dasselbe  gewährten  Erleich- 
terungen bewirkten  bis  Ende  1896  ein 
Anwachsen  der  Localbahnen  auf  3128 /?fw. 

In  Ungarn  ging  man  im  Jahre  1 876 
daran,  in  Ausführung  der  schon  1848 
vom  Grafen  Szechdnyi  aufgestellten 
richtigen  Principien,  die  begonnenen 
Linien  zum  Anschlüsse  an  das  Ausland 
auszubauen  [Fiume,  Predeal,  Ruttka, 
Brück,  Semlin],  femer  die  schon  1868 
begonnene  Verstaatlichung  der  Bahnen 
ernstlich  fortzusetzen.  Seither  fand  Ungarns 
Bahnnetz  eine  gedeihliche  Entwicklung; 
die  Länge  desselben  wuchs  von  6671  kvr, 
Ende  1876  auf  14.965  km  Ende  1896, 
wobei  von  den  Letzteren  7903  ktn  auf 
die  Staatseisenbahnen  entfielen. 

Gleichzeitig  mit  Oesterreich,  wurde 
auch  in  Ungarn  die  Gründung  von  Local- 
bahnen gesetzlich  [Art.  XXI  vom  J.  1880] 
geregelt  und  erleichtert,  so  dass  der 
Umfang  derselben  von  63  km  mit  Ende 
1 880,  auf  5997  ktn  mit  Ende  1 896  anwuchs. 

Vieles  wurde  in  dieser  Periode  auf 
dem  Gebiete  des  Militär-Eisenbahnwesens 
geschaffen. 

1877  erschien  das  »Normale  für 
Eisenbahn-Sanitätszüge«,  womit  die 
Aufstellung  von  mindestens  26  solchen 
Zügen  für  je  104  Kranke  und  Verwundete 
behufs  Abschubs  vom  Kriegsschauplatze, 
geregelt  wurde.  Die  ZWge  bestehen  aus 
19  Wagen  d.  i.  13  mit  Hängetragbetten 
eingerichteten  Krankenwagen,  dann  je 
einem  Arzt-,  Personal-,  Küchen-,  Küchen- 
vorraths-,  Magazins-  und  Gepäcks- 
[Sicherheits-]  Wagen. 

Im  gleichen  Jahre  [N.  V.-Bl.  66.  St.] 
gelangte  ein  einheitlicher  Gebühren- 
Tarif  für  Militär-Transporte  auf 
den    österr.-ungar.    Eisenbahnen 


Unsere  Eisenbahnen  im  Kriege. 


zur    Ausgabe,    wodurch    die    bis    dahin  1 
fallweise    mit    den     einzelnen    Bahnver- 
waltungen abgeschlossenen  Tarife  ausser 
Kraft     traten.     Festgesetzt    wurden    per 
Kilometer  nachfolgende   Preise,    u.   zw.:  I 
Personen:  I.  GL  lö  kr.,    II.  Cl.    12  kr.,  j 
III.    Cl.   08  kr.    per    Kopf;    Pferde    mit  j 
Personenzügen:  3'3   kr,,   mit  Lastzügen  ] 
27  kr.  per  Kopf.  Fuhrwerke  mit  Personen-  | 
Zügen:    8  kr.,   mit    Lastzügen    53    kr.  | 
per    Stück ;     Güter    mit    Personenzügen : 
08  kr.,  mit  Lastzügen  0-32  kr.,  bei  Aus-  ' 
nützung  der  Waggon tragfähigkeit  ä  10  t:  j 
025  kr.  per  100  kg,;  Separatzug  3' 16  fl.   ; 
pro  fem. 

Anfangs  1S78 
wurden  in  Ergän- 
zung des  Vorste- 
henden die  B  e- 
stimmungen 
fürdieBenÜtz- 
ungderWagen- 
classen,  durch 
Mi  11  tär- P  erson  en 
[N.  V.-Bl.  1.  St.] 
sowie  jene  über 
dieCredilirung 
der  Bahnaus- 
lagen   im  Mo- 

bilisirungsfalle  [N.  V.-BL  6.  St.] 
verlautbart.  Im  Monate  Juli  gelangte  die 
Instruction  für  die  Zerstörung 
der  Eisenbahnen  und  Telegraphen 
durch  die  Pionnierzüge  der  Cavallerie- 
Regimenter  zur  Ausgabe. 


Im  gleichen  Monate  erschien  eine 
Neubearbeitung  der  Vorschrift  für 
den  Militär-Transport  auf  Eisen- 
bahnen [zweite  und  dritte  Auflage]. 
An  wesentlichen  Abänderungen  gegen- 
über der  Auflage  vom  Jahre  1870  be- 
merken wir  darin : 

Für  die  Ausarbeitung  der  Kriegsfahr- 
ordnungen  werden  nicht  mehr  drei,  sondern 
—  analog  wie  in  der  Vorschrift  vom 
Jahre  1862  —  blos  zwei  Alternativen  nor- 
mirt,  nämlich  gänzliche  Aufhebung  oder 
theilweise  Beschränkung  des  gewöhnlichen 
Verkehres,  begreiflicherweise  eine  we- 
sentliche Verein- 
fachung. 

Der  Fassungs- 
raum  der  Güter- 
wagen für  Mann- 
schaft    erscheint 
nicht   mehr  nach 
]   Bahnen      specifi- 
cirt,    sondern  mit 
28   bis  40  Mann 
pr.  Wagen  ange- 
n,  wobei  für 
den      beiläufigen 
Calcul     mit     36 
Mann  pro  Wagen 
zu  rechnen  ist. 
>Für  aussergewöhnliche  Ver- 
hältnisse' wird  ein  neuer  Functionär  — 
der  Chef  des  Feld- Eisenbahnwesens  —  nor- 
mirt,  welcher  anfangs  als  Präses  der  Cen- 
tralleitung  ein  Organ  des  Reichs-Kriegs- 


^'om  Eisenbahnbureau  des  k.  u,  k.  Generalstabes 


Ministeriums,  später  ein  Organ  des  Armee- 
Ober-  [Armee-]  Commandos  ist;  eine  in 
dem  Streben  nach  einheitlicher  Leitung 
der  Eisen  bahn- Angelegenheiten  auf  dem 
Kriegsschauplatze  begründete  Massregel. 

Präses  der  Central -Leitung  ist  ein 
General  oder  Stabsofficier  des  General- 
stabes [Chef  des  Feld -Eisenbahnwesens 
oder  dessen  Stellvertreter], 

Der  Generalstabs-Officier  bei  den 
Linien- Com missionen  wird  als  »Linien- 
Commandant<  bezeichnet. 

In  den  Haupt  -  Kranken -Abschub- 
stationen  werden  die  Etappen -Co  mm  is- 
■  sionen  durch  Militär- Aerzte  verstärkt  und 
fungiren  dann  erstere  gleichzeitig  als 
■  Kranken-Transports-Commissionen«. 


einander  [vom  i.  März  1878],  zur  gegen- 
seitigen Aushilfe  mit  Wagen,  Locomotiven 
und  Personale.  [Abb.  37  stellt  die  in 
dieser  Vorschrift  angeordnete  Verladungs- 
weise der  Feldgeschütze  dar.] 

Die  Occupations -Ereignisse 
des  Jahres  1S78  brachten  abermals  eine 
ausgiebige  militärische  Inanspruchnahme 
der  Eisenbahnen  mit  sich. 

Am  13.  Juli  wurde  der  Berliner  Ver- 
trag abgeschlossen,  zufolge  dessen  Artikel 
XIV  O  esterreich -Ungarn  das  Mandat  er- 
hielt, die  Provinzen  Bosnien  und  Herze- 
gowina zu  besetzen  und  zu  verwalten; 
die  Heeresleitung  hatte  aber  schon  vor- 
her ihre  Vorbereitungen  getroffen. 


Den  Generat-  und  Militär-Commanden 
wird  auch  im  Kriege  eine  Instradirungs- 
befugnis  eingeräumt,  u.  zw.  für  Transporte 
innerhalb  des  eigenen,  oder  für  kleinere 
Transporte  aus  dem  eigenen  in  einen 
fremden  Bereich. 

Für  den  Transport  von  Schwerkranken 
ist  durch  die  »SanitätszUge«,  dann  even- 
tuell noch  durch  »Krankenzüge»  vorge- 
sehen, letztere  mit  der  bisherigen  Ein- 
richtung [Tragbetten  zum  Stellen]. 

Unter  den  Beilagen  befindet  sich  das 
U  eberein  kommen  mit  den  Bahnen  vom 
15.  Mai  1872,  betreff  der  Einrichtung 
der  Kastenwagen  für  den  Mannschafts- 
und Pferde- Transport,  fem  er  ein  neues 
Ueherein  kommen  der  Bahnen  mit  dem 
Keichs  ■  Kriegs  -  Ministerium    und    unter- 


Derselben  war  es  klar,  dass  operirende 
Armeekörper  jenseits  derSave  vorwiegend 
auf  den  Nachschub  ans  dem  Innern  an- 
gewiesen sein  würden,  deshalb  wurde 
auch  der  Ausgestaltung  der  Communi- 
cationen  ein  Hauptaugenmerk  zugewendet. 
Die  seit  Jahren  mijitärischerseits  ange- 
strebte Führung  von  Bahnverbindungen 
zu  den  Save-Uebergangspunkten  Alt- 
Gradisca,  Brod  und  Öamac  wurde  erneuert 
angeregt.  Der  energischen  Einwirkung  des 
Reichs- Kriegs- Ministeriums  gelang eszwar 
die  Inangriffnahme  des  Baues  der  Eisen- 
bahnlinie von  Dalja  über  Vukovär  nach 
Brod  mit  einem  Zweige  (Schotterbahn] 
von  Vrpolje  nach  Samac,  unter  Mitwir- 
kung militärischer  Kräfte  zu  erzielen,  doch 
erfolgte  dieselbe  erst  Ende  August,  während 


Unsere  Eisenbahnen  im  Kriege. 


der  Uebergang  der  k.  k.  Truppen  Über  die  \ 

Save  schon  am  39.  Juli  stattgeÄinden  hatte,  j 

Behufs  einheitlicher  Durchführung  des  1 

Eisenbahn-     und    Dampfschifftransportes  | 

nach  dem  Aufmarschraume  an  der  Save  | 

und    in    Dalmatien    wurde    in  Wien    die  | 

•  Central- Leitung«  unter  Oberst  Hilteprand  | 

des  Generalstabs- Corps  aufgestellt.     Für  i 

Essegg,    Sissek,    Bares    und    SteinbrUck  | 

waren  Eisenbahn-Etappen-Commissionen  1 

activirt  worden.  | 

Die    Massentransporte,    welche    sich  1 
stets    ohne    Störung    des    gewßhnlichen 

Verkehres  abspielten,  theilen  sich  —  ge-  j 

mäss    der    successiven   Aufstellungen  —  1 

in  drei  Perioden:  1 


Essegg,  jenes  der  7,  Infanterie- Truppen- 
Division  [17.700  Mann,  3180  Pferde]  vom 
10.  bis  14.  Juli  aus  dem  KUstenlande 
und  Krain  auf  der  Linie  Triest-Laibach- 
Steiiibrück-Agram  nach  Sissek,  endlich 
der  grösste  Theil  der  Reserven  und  An- 
stalten des  13.  Corps  vom  10.  bis  18.  Juli 
auf  beiden  genannten  Linien.  Die  Er- 
gänzungen für  die  20.  Infanterie- Truppen - 
Division  waren  schon  zwischen  dem 
38.  Juni  und  dem  3.  Juli  per  Bahn  nach 
Vukovär  und  Essegg,  jene  für  die  18.  In- 
fanterie -  Truppen  -  Division  in  derselben 
Zeit  nach  Tri  est  abgegangen. 

Bei  der  6.  und  7.  Infanterie- Truppen 
Division    konnte     der    Eisenbahn-Tran  s- 


I.  3«.  ZuEB-CommaDdaDlci 


Erste  Periode. 

In  der  Zeit  bis  5.  Juli  wurden,  um 
für  alle  Eventualitäten  bereit  zu  sein, 
das  13.  Corps  mit  der  6.,  7.  und  20., 
dann  die  18.  Infanterie-Truppen-Division 
—  letztere  speciell  für  die  Herzegowina  — 
mobilisirt,  von  welchen  das  Gros  der 
20.  Infanterie-Truppen -Division  in  Croa- 
tien-Slavonien,  jenes  der  18.  Infanterie- 
Truppen-Division  in  Dalmatien  bereits 
dislocirt  waren. 

Der  Eisenbahn-Transport  begann  am 
10.  Juli.  Befördert  wurden:  das  Gros  der 
6.  Infanterie -Truppen -Division  [16.600 
Mann,  2050  Pferde]  vom  13.  bis  18.  Juli 
aus  Steiermark  und  Kämthen  auf  der 
Linie  Graz-Pragerhof-Gross-Kanizsa  nach 


port   schon 
ginnen. 


,  Mobilisirungstage    be- 


Zweife  Periode. 

Als  sich  bald  nach  dem  Einmärsche 
gezeigt  hatte,  welcher  Widerstand  zu  be- 
wälti(jen  war,  sah  man  sich  genöthigt, 
die  Occvipations  -  Truppen  bedeutend  zu 
verstärken;  es  wurden  daher  in  der  Zeit 
vom  5.  bis  19.  August  die  an  der  Grenze 
stehende  36.  und  1.,  dann  die  4.  Infanterie- 
Truppen-Division,  endlich  die  20.  Infan- 
terie-Brigade, letztere  für  die  Herzegowina, 
mobilisirt,  weiters  die  25.  Infanterie- 
Brigade  zum  Ersatz  für  die  zum  Ein- 
märsche bestimmte  36.  und  I.  Truppen- 
Division  an  die  Grenze  verlegt.  Von  den 
genannten  Heereskörpern  wurden  per  Bahn 


152 


Vom  Eisenbahnbureau  des  k.  u.  k.  Generalstabes. 


befördert:  die  4.  Infanterie- Truppen - 
Division  aus  Mähren  nach  Essegg  und 
Vukovär  vom  22.  bis  30.  August  [8.  bis 
16.  Mob. -Tag],  dann  die  25.  Infanterie- 
Brigade  aus    Ungarn  an  die  Save. 


Dritte  Penode, 

Der  Verlauf  der  Occupation  in  den 
ersten  Wochen  August  Hess  die  Noth- 
wendigkeit  einer  imposanten  Machtentfal- 
tung erkennen;  daher  wurden  auf  Aller- 
höchstes Befehlsschreiben  vom  19.  August 
die  Commanden  des  3.,  4.  und  5.  Ar- 
mee-Corps, die  13.,  14.,  31.  und  33.  In- 
fanterie-Truppen-Division und  die  1 4.  Ca- 
vallerie-Brigade  mobilisirt  und  das  II.  Ar- 
mee-Commando  aufgestellt.  Als  erster 
Mobilisirungstag  war  der  21.  August 
angegeben. 

Der  Massentransport  fand  wie  folgt 
statt:  13.  und  31.  Infanterie-Truppen-Di- 
vision aus  Budapest  und  West-Ungarn  auf 
den  Linien  der  Staatsbahn  -  Gesellschaft, 
dann  der  Alföld-Fiumaner  Bahn,  endlich 
mittels  der  Schiffe  der  Donau-Dampf- 
schifffahrts-Gesellschaft  vom  28.  August 
bis  4.  September  [8.  bis  15.  Mob.-Tag], 
nach  Essegg  imd  Vukovär; 

14.  Infanterie  -  Truppen  -  Division  vom 

28.  August  bis  7.  September  [8.  bis 
18.  Mob.-Tag]  aus  Oedenburg  [28.  Inft.- 
Brig.]  über  Zakany,  Agram,  Karlstadt 
nach  Touin  und  aus  Pressburg  nach 
Sissek ; 

33.    Infanterie- Truppen-Division   vom 

29.  August  bis  4.  September  [9.  bis 
15.  Mob.-Tag]  aus  Komorn,  Gran  imd 
Raab  mittels  Bahn  und  Dampfschiff  nach 
Essegg  und  Vukovär. 

Die  dem  Armee-  und  dem  Armee- 
General-Commando  unterstehenden  Kör- 
per wurden  in  der  ersten  Decade  des 
September  theils  mit  Bahn,  theils  zu 
Wasser  befördert.  Das  Transports-Quan- 
tum betrug  demnach  während  dieser  Pe- 
riode rund  68.500  Mann  und  10.700 
Pferde. 

Beim  IL  Armee-Commando  wurde 
die  Feld  -  Eisenbahn  -  Transportsleitung 
aufgestellt  und  Oberstlieutenant  Anton 
Ritter  von  Pitreich  des  Generalstabs - 
Corps  zum  Vorstande  derselben  bestimmt. 


Grössere  Transportsbewegungen 
ergaben  sich  bei  der  Reduction  der 
Truppen  im  Occupations- Gebiete:  die 
4.,  14.,  31.,  33.,  dann  die  20.  Infanterie- 
Truppen  -  Division  mit  Ausschluss  der 
39.  Infanterie-Brigade,  die  14.  Cavallerie- 
Brigade,  endlich  einzelne  Körper  und  die 
meisten  Ergänzungen  wurden  von  Mitte 
October  bis  Mitte  November  in  das 
Innere  der  Monarchie  rückdirigirt. 

Bei  der  Occupation  spielten  Bahn- 
herstellimgen    eine    hervorragende  Rolle. 

Der  Bau  einer  schmalspurigen 
Schleppbahn  von  Brod  über 
Dervent,  Doboj  und  Maglai  nach 
Zenica  wurde  einer  Privat-Untemeh- 
mung  übertragen  und  Mitte  September 
in  Angriff  genommen.  Ungünstige  Ver- 
hältnisse verzögerten  den  Bau  und  machten 
die  Mitwirkung  von  Militärkräften  erfor- 
derlich. Die  Eröffnung  konnte  nicht  — 
wie  präliminirt  —  3  Monate  nach  Beginn, 
sondern  erst  Anfangs  Juni  1879  statt- 
finden. Mit  der  Herstellung  einer 
Strassen-  und  Eisenbahnbrücke 
über  die  Save  bei  Brod  wurde  An- 
fangs October  1878  begonnen;  im  No- 
vember und  December  trat  wegen  Hoch- 
wasser eine  vollständige  Einstellung  der 
Arbeiten  ein.  Im  Juli  1879  wurde  die 
Brücke  zugleich  mit  der  im  September 
1878  begonnenen,  3  knt  langen,  normal- 
spurigen  Broder  Verbindungsbahn, 
dem  Verkehre  übergeben. 

Der  Bau  der  Bahnstrecke  Dalja- 
Brod  wurde  mit  aller  Anstrengung  be- 
trieben, machte  aber  ebenfalls  nur  lang- 
same Fortschritte,  und  wurde  erst  An- 
fangs März  1879  vollendet.  Bei  diesem 
Bahnbau  waren  die  Feld  -  Eisenbahn - 
Abtheilungen  Nr.  i,  2,  3,  6  und  11  ver- 
wendet. 

Die  102  ktn  lange,  normalspurige, 
seit  1875  aufgelassene  Bahn  Banjaluka- 
Doberlin,  welche  bei  der  Occupation 
im  deroutesten  Zustande  vorgefunden 
worden  war,  wurde  unter  militärischer 
Bauleitung  durch  neun  Feld-Eisenbahn- 
Abtheilungen  [Nr.  4,  5,  7,  8,  9,  IG,  12, 
13  und  15]  im  September  1878  in  An- 
griff genommen.  Die  Strecke  bis  Prjedor 
wurde  —  ausschliesslich  durch  militäri- 
sche Kräfte  —  schon  bis  i.  December  des 
Occupationsjahres,   die   restliche   Strecke 


;  Eisenbahnen  im  Kriege. 


bis  6.  März  1879  in  Stand  gesetzt  und 
der  Betrieb  durch  die  Feld-Eisenbahn- 
Abtheilungen  aufgenommen.  Die  Eröff- 
nung der  Anschlussstrecke  Doberlin- 
Sissek  fand  erst  am  10.  April  1882  statt. 

Für  den  Transport  derKranken 
und  Verwundeten  in  das  Innere  der 
Monarchie  waren  die  Eisenbahn-Sanitäts- 
züge Xr.  I  und  2  vom  27.  Juli  bis  2.  De- 
cember,  jene  Nr.  3  und  4  vom  16.  Sep- 
tember bis  10.  Februar  activirt;  des- 
gleichen richtete  der  souveräne  Matteser- 
Ritter-Orden   im  Laufe   des  Monats  Juli 


Die  beschränkte  Action  zur  Be- 
kämpfung des  Aufstandes  im  Süden  der 
Monarchie  1881/83  hatte  keine  besonders 
erwähnenswerthe  Benützung  der  Eisen- 
bahnen für  militärische  Zwecke  im 
Gefolge. 

Im  Jahre  1883  [Allerhöchste  Ent- 
schliessung  vom  8.  Juli]  wurde  das 
Eisenbahn-  und  Telegraphen- Re- 
giment —  im  Frieden  mit  2  Bataillonen 
zu  4  Compagnien  —   errichtet. 

Im  gleichen  Jahre  [N.  V.-Bt.  61.  Stück] 
wurden  für  die  Creditirung  der  Bahn- 


zwei Eisenbahn -Sanitätszüge  [A  und  B] 
für  je  100  Kranke  ein,  welche  bis  Ende 
October  in  Verwendung  blieben.  —  Erstcre 
standen  im  Durchschnitte  138  Tage  in 
Verwendung  und  beförderten  zusammen 
auf  65  Fahrten  1776  Verwundete  und 
462 1  Kranke ;  die  letzteren  während 
90  Tagen  auf  33  Fahrten  II99  Ver- 
wundete und  2059  Kranke.  Mit  den, 
den  Sanitäts-,  beziehungsweise  Malteser- 
Zügen  angeschlossenen  Personenwagen 
wurden  weiters  1084,  beziehungsweise 
590,  mit  Krankenzügen  8876  Kranke  und 
Verwundete  transportirt.  — 

Im  Jahre  1880  erschien  die  zweite 
Auflage  des  »Normale  für  Eisenbahn- 
Sanitätszüge*. 


«enbahn-Trimpon-Vors^hri«  vom  Jahre  i»?«. 

ausiagen  im  Mobilisirungsfalle 
neue,  einheitliche  Bestimmungen  an  Stelle 
derjenigen  vom  Jahre  1 878  verlautbart. 
Die  letzte  Ausgabe  dieser  Bestimmungen 
erfolgte  im  Jahre  1891.  [\.  V.-Bl.  27. 
Stück.] 

Im  Jahre  1886  wurde  eine  Vor- 
schrift für  die  zu  Eisenbahnpro- 
jects-Commissionen  als  Vertreter 
des  Keichs-Kriegs-Ministeriums  bestimm- 
ten Officiere,  an  Stelle  der  analogen  1879 
im  Verordnungswege  erlassenen  Instruc- 
tion, ausgegeben. 

Im  Jahre  1887  gelangten  neue  orga- 
nische Bestimmungen  für  das  Eisen- 
bahn- und  Telegraphen -Regi- 
ment zur  Ausgabe,  welche  1892  durch 
neuere  Bestimmungen  ersetzt  wurden. 


Vom  Eisenbahnbureau  des  k.  u.  k.  Generalstabes, 


In  Jedermanns  Erinnerung  steht  die 
hohe  politische  Spannung,  welche  im 
Winter  1887/88  die  Eventualität  eines 
Krieges  mit  unserem  mächtigen  nor- 
dischen Nachbar  nahe  rückte.  Dieses 
Ereignis  traf  den  Staat  auch  auf  dem 
Gebiete  der  Eisenbahnen  nicht  unvorbe- 
reitet. In  fürsorglicher  Voraussicht  hatte 
die  Heeresverwaltung  die  Verbesserung 
auch  unserer  Verbindungen  nach  und  in 
Galizien  in's  Auge  gefasst,  und  ihre 
Bemühungen  waren  nicht  ohne  Erfolg 
geblieben.     Es  waren  vollendet  worden : 


Diese  Thätigkeit  wurde  nach  dem 
Jahre  1888  fortgesetzt,  und  so  gelangten 
während  der  darauf  folgenden  Periode  in 
gleicher  Berücksichtigung  der  volkswirth- 
schaftlichen  wie  der  militärischen  Bedürf- 
nisse zur  Vollendung: 

1889  das  zweite  Geleise  in   der  Strecke 
Oderberg-Oswiecim, 

1890  die  Linie  JasJo-Rzesiuw, 

1S91  das   zweite  Geleise   auf  der   Linie 

Krakau-Lemberg, 
1893  jenes  in  der  Strecke  Gran-Waitzen, 


I.  18.  Mllitäi-Zue.  [Original- Aurnlbm< 


,.  Hub«.] 


1874  die  Linie  Miskolcz-PrzemyM, 
1876  jene  Kaschau-Eperies-Tamiw, 

1884  die  Linien  Oswi^cim-Podgörze-Kra- 

kau  und   Pressburg-Sillein-Krakau, 
dann  die  galizische  Transversal  bahn, 

1885  das  zweite  Geleise  der  Linie  Wien- 
Pressburg- Budapest  [mit  .'Ausnahme 
der  Strecke  Gran-Waitzen], 

1887  die  Linie  Munkacs-Stryj  und  das 
zweite  Geleise  in  der  Strecke  Neu- 
Sandec-Ströze, 

1888  die  Städtebahn  Hullein  -  Teschen- 
Kalwarja,  sowie  das  zweite  Geleise 
auf  der  Linie  Budapest-Miskolcz- 
Przcmyi^f  und  auf  jener  Oswiecim- 
Podgörze-PIaszow. 


I  1895  die    Karpathenbahn   Marmaros-Szi- 
!  get-Stanislau,  endlich 

I  1896  das  zweite  Geleise  in   der  Strecke 
I  Lemberg-Zloczöw. 

I         Auch  manche  andere  Vorsorge  sehen 
wir  in  dieser  Zeit  reifen : 

I  Mit   1.  April  1889  wurden  die  »Eisen- 

bahnlinien-Com  mandanteni  auch  für  den 
Frieden  normirt  und  zu  diesem  Zwecke 
dem  I.  bis  14.  Corps-Commando  Officiere 

j  dauernd  zugewiesen.   — 

I         Der  I.Januar  1890  brachte  die  Auf- 
stellung eines  3.  Bataillons  des  Eis enb ah  11- 
I  und  Telegraphen-Regimentes. 


:  Eisenbahnen  i 


i8g2  gelangte  die  4.  Auflage  der 
Vorschrift  für  den  Militär-Trans- 
port auf  Eisenbahnen  zur  Ausgabe, 
welche  folgende  wesentliche  Verschieden- 
heiten gegen  die  Auflage  vom  Jahre  1878 
[3.  und  3.  Auflage]  zeigt; 

Die  Unterschiede  zwischen  der  Bahn- 


henützung   im    Frieden    und    im    Kriege     im  Wirkungskreise. 


Unter  den  im  Kriegsfalle  aufzustellen- 
den   Militär- Eisenbahn- Behörden    finden 

wir  statt  der  Linien-,  beziehungsweise 
Etappen- Com missionen,  die  Eisenbahn- 
linien-, beziehungsweise  Bahnhof- Com- 
manden ,  Übrigens  ohne  wesentliche 
Aenderung  in  der  Zusammensetzung  und 


I.  ]».    Einwaseonlning  von  FetilunK)-Gelebau.    [Oilginal-Auf 


von  J.  1 


werden  —  unter  Vermeidung  der  früheren 
Umschreibung :  ibei  aussergewöhnlichen 
Verhältnissen«  —  direct  ausgesprochen. 
Die  Einflussnahme  der  Militärbehör- 
den auf  die  Eisenbahnen  im  Frieden  wird 
als  in  der  Durchführung  von  Militär- 
Transporten  und  in  der  Vorbereitung  der 
Ausnützung  im  Kriege  bestehend,  präcisirt. 
Die  Verpflichtung  der  Bahnen  zur  gegen- 
seitigen Aushilfsleistung  behufs  Durch- 
führung von  Militär-Transporten  wird 
auch  fir  den  Frieden  ausgesprochen. 


Die  Fahrgeschwindigkeit  der  Mihtär- 
züge  erscheint  von  .19  bis  23«  auf  >20 
bis  30  kmt  in  der  Stunde  —  einschliess- 
lich der  kleinen,  bis  5  Minuten  währen- 
den Aufenthalte  erhöht. 

Die  Kriegs -Fahrordnungen  sind  nur  für 
einen  Fall,  nämlich  für  jenen  der  gänz- 
lichen Aufhebung  des  Civil  Verkehres, 
auszuarbeiten  und  in  reservirtester  Weise 
zu  behandeln.  Bei  denselben  verkehren 
die  Züge  in  gleich  schneller  Fahrt,  u.  zw. 
einzelne    davon    regelmässig   als    »Post- 


Vom  Eisenbahnbureau  des  k,  u.  k.  Generalstabes. 


und  Transenen-c,  die  anderen  nach  Be- 
darf als  »Militärzüge*.  Ein  Theil  der 
Züge  wird  als  >Facultativzüge<  für  un- 
vorhergesehene Bedarfsfalle  und  Regie- 
zwecke reservirt. 

Die  auf  militärische  Ausnützung  der 
Bahnen  bezughabenden  Angelegenheiten 
sind  geheim  zu  halten. 

Die  neue  Einrichtung  der  Wagen  für 
den  Mannschaftstransport  erscheint  durch 
die  Anbringung  von  Thürvorlegern,  so- 
wie von  Gewehrrechen  und  Gepäck s - 
leisten  verbessert. 


vereinfacht;  an  Stelle  der  früher  aus 
Frühstück-,  Mittag-  und  Abendessen  be- 
stehenden und  für  die  kalte  und  warme 
Jahreszeit  verschieden  bemessenen  Ver- 
köstigung tritt  die  Eisenbahn -Mittagskost 
mit  einer  —  binnen  34  Stunden  minde- 
stens einmaligen  —  »Zubusse«,  bestehend 
aus  schwarzem  Kaffee  u.dgl.,  während  aus 
dem  Relutum  für  das  Frühstück  und  Abend- 
essen kalte  Esswaaren  einzukaufen  sind. 
Für  die  Schulung  im  Ein-  und  Aus- 
waggoniren werden  eigene  Uebungen 
vorgeschrieben.  [Vgl.  Abb.   28  bis  31.] 


Zur  Auswaggonirung  von  Pferden, 
Geschützen  und  Fuhrwerken  auf  offener 
Strecke  sind  den  Militär-Zügen  nach 
Bedarf  transportable  Rampen  mitzu- 
geben. 

Der  Benützung  der  Eisenbahnen  für 
Etappenzwecke  im  Kriege  wird  ein  eige- 
nes Capitel  gewidmet. 

Als  neue  Instradirungs- Behörde  im 
Frieden  erscheint  das  Reichs-Kriegs- 
Ministerium,  u.  zw.  für  grössere  Trans- 
porte, welche  drei  oder  mehr  Territorial- 
bezirke zu  berühren  haben. 

Das  Formular  für  Marsch  plane  ist 
abgeändert  und  durch  eine  graphische 
Skizze  vervollständigt. 

Die  Bestimmungen  für  die  Kriegsver- 
pflegung in  natura  erscheinen  wesentlich 


Für  den  Transport  von  Kriegsgefan- 
genen sind  specielle  Bestimmungen  auf- 
genommen. 

Für  die  baulichen  Anlagen  der  Eisen- 
bahn-Verköstigungs-  und  Trärtkanstälten 
und  für  den  Betrieb  der  Verköstigungsan- 
stalten  wurden  hingegen  die  nöthigen  >  An- 
leitungen» im  folgenden  Jahre  ausgegeben. 

Eine  besondere  Thätigkeit  auf 
militärischem  Gebiete  sehen  wir  die 
Bahnen  in  letzter  Zeit  anlässlich  der 
grossen  Herbst-Manöver  ent- 
wickeln, um  die  auf  dem  Manöverplatze 
vereinten  Truppen  th unliebst  rasch  in 
ihre  Garnisonsorte  zurUckzube fördern.  So 
wurden  beispielsweise  nach  den  Manövern 
im  Waldviertel   1891    bei  Einhaltung  des 


t  Eisenbahnen  im  Kriege. 


ungemein  lebhaften  Civil  -  Personenver- 
kehres 58.880  Mann,  ins  Pferde  und 
200  Fuhrwerke  binnen  36  Stunden  aus  den 
Stationen  Göpfritz,  Schwarzenau,  Vitis 
und  Pürbach-Schrems  der  eingeieisigen 
Staatsbahniinien  [Wien]-Absdorf- Gmünd 
und  der  Station  Sigmundsherberg  der  eben- 
falls eingeieisigen  Localbahn  Sigmunds- 
herberg-Hom- Haders  dorf  abtran  Sport  irt. 

Nach  den  grossen  Armee-Manövern 
bei  GUns  gelangten,  bei  Einhaltung  des 
vollen  Personen-  und  nur  theü weiser 
Einschränkung  des  Frachten  Verkehres, 
zum  Abtransporte : 

a)  817  Officiere,  23.676  Mann,  1298 
Pferde    und    45    Fuhnverke    binnen    21 


terhäza  und  Kapuvär  der  Raab-Oeden- 
burg- Ebenfurther  Eisenbahn  in  der  Rich- 
tung gegen  Pressburg. 

Im  Ganzen  3740  Officiere,  89,52 1 
Mann,  5451  Pierde,  548  Fuhrwerke  aus 
13  Stationen  von  durchaus  eingeieisigen 
Linien    in   durchschnittlich    30   Stunden. 

Auch  diese  Friedens-Transporte  sind 
Leistungen,  welche  angesichts  der  bei 
denselben  zu  beobachtenden,  im  Kriege 
ganz  entfallenden  Rücksichten,  gewiss 
volle  Beachtung  verdienen. 


Ueberblickt     man     — 
dieser  Blätter  angelangt  - 


am     Schlüsse 
die  Entwick- 


,    ElDwaKgoalnme  von  lofanlei 


.    (0[<etial-Auf nähme  vud  J.  Pabit.] 


Stunden     aus    den    Stationen    Reschnitz,  l 
Kis-Uniom,  V^p  und  Porpäc  der  k.  ung. 
Staatseisenbahnen  in  der  Richtung  gegen 
Graz  und  Stuhlweissenburg ; 

b)  954  Officiere,    21.779   Mann,    893   I 
Pferde  und   119  Fuhrwerke  innerhalb  26 
Stunden   ans   den   Stationen  Oedenburg, 
Zinkendorf    und    Schützen    der    Südbahn  ! 
in  der  Richtung  gegen  Wien;  | 

c)  1166  Officiere,  23.600  Mann,  1829  ! 
Pferde  und  340  Fuhrwerke  binnen  37  I 
Stunden  aus  den  Stationen  Bück,  Acsäd  I 
und  Steinamanger  der  Sudbahn  in  der  ! 
Richtung  gegen  Agrara,  endlich  | 

dj  803  Officiere,  20.466  Mann,   1431   : 
Pferde  und  144  Fuhrwerke  innerhalb  27 
Stunden  aus  den  Stationen  Pinnye,  Esz- 


lung  unseres  Militär- Eisenbahnwesens,  so 
kann  man  in  derselben  drei  deutlich  aus- 
gesprochene Phasen  constatiren.  Die 
Periode  bis  gegen  das  Ende  der  Fünf- 
zigerjahre kann  als  jene  der  theoretischen 
Speculationen  bezeichnet  werden.  In  der 
zweiten  Periode,  welche  bis  zum  Jahre 
1866  reicht,  entwickeln  die  massgebenden 
Factoren  —  durch  die  Erfahrungen  des 
Jahres  1859  veranlasst  —  eine  intensive 
und  fruchtbringende  organisatorische  Thä- 
tigkeit,  um  das  vorhandene  Bahn  netz 
Kriegszwecken  dienstbar  zu  machen.  Die 
Erfolge  dieser  Bemühungen  treten  in  der 
geordneten  Durchführung  der  .Massen- 
transporte im  Jahre  1866  zu  Tage. 
Später,    und    besonders  nach  Beginn  der 


158 


Vom  Eisenbahnbureau  des  k.  u   k.  Generalstabes. 


Siebzigerjahre,  sehen  wir  die  grosse  Be- 
deutung der  Eisenbahnen  für  die  mili- 
tärische Machtstellung  des  Staates  zum 
vollen  Bevvusstsein  aller  Kreise  gelangen, 
und  findet  dies  darin  seinen  Ausdruck, 
dass  nicht  nur  die  Vorsorgen  für  die 
Ausnützung  der  Schienenwege  erweitert 
und  vertieft  werden,  sondern  auch  die 
Ergänzung  des  Bahnnetzes  im  strategi- 
schen Sinne  ernstlich  in  Angriff  ge- 
nommen wird,  wodurch  die  dritte  Periode 
charakterisirt  erscheint. 

Je  weiter  nun  in  der  Neuzeit  die  Ver- 
vollkommnung des  Militär  -  Eisenbahn- 
wesens schreitet,  desto  mehr  festigt  sich 


die  Erkenntnis,  dass  die  Eisenbahnen  ein 
strategisches  Mittel  erster  Ordnung  bilden, 
welches  im  Kriege  berufen  ist,  eine  aus- 
schlaggebende Rolle  zu  spielen.  Dieses 
Bewusstsein  hat  traditionell  unsere  Eisen- 
bahnkreise durchdrungen  und  zur  äussersten 
Anspannung  aller  Kräfte  angespornt, 
wenn  es  galt,  an  der  Vertheidigung  des 
geliebten  Vaterlandes  mitzuwirken.  Möge 
das  gleiche  stolze  Gefühl  auch  in  Hin- 
kunft das  Heer  der  Eisenbahnmänner 
erfüllen  und  zur  treuesten  aufopfernden 
Hingabe  an  seine  militärischen  Aufgaben 
des  Friedens  und  des  Krieges  im  Dienste 
unseres  erhabenen  Monarchen  begeistern. 


Unsere  Eisenbahnen  i 


Zweck,  Gründung  und  Wirksamkeit  des  k.  u.  k.  Eisenbahn- 
und  Telegraphen-Reginventes. 


Die  ungeahnt  rasclie  Entwicklung  der 
Eisenbahnen  in  allen  civilisirten  Ländern 
der  Welt  mussteauch  einen  entscheidenden 
Einfluss    auf  die  Kriegführung  'ausüben. 

Das  Jahrhundert  ist  noch  nicht  zur 
Neige,  seit  die  Heere  Napoleon  I,  Monate 
lang  unter  Strapazen  und  Mühen  aller 
Art  marschiren  mussten,  bevor  sie  mit 
dem  Feinde  in  Fühlung  traten,  und  heute 
eilen  zehnfache  Mengen  von  Streitkräften 
auf  dem  Schienenwege  dem  fernen  Ziele 
in  wenigen  Tagen  entgegen.  Wie  ganz 
anders  musste  sich  hiedurch  der  Opera- 
tionsplan gestalten,  wie  wesentlich  wird 
er  durch  das  Bahn  netz  des  eigenen 
Landes  beeinflusst;  liegt  doch  in  der 
vollkommensten  Ausnutzung  dieses  wich- 
tigsten Verkehrsmittels  das  erste  Moment 
fUr  ein  glückliches  Gelingen  der  eigenen 
Untemehmurig. 

Mit  dem  Bewusstsein  des  eminenten 
Einflusses  der  Bahnen  auf  die  moderne 
KriegfÖhrung  musste  sich  von  selbst  das 
Bedlir^is  herausstellen,  eigene  Truppen 
zu  besitzen,  welche  sowohl  entsprechend 
geschult,  als  auch  gerüstet  seien,  um  ein es- 
theils  dem  Feinde  das  wichtige  Hilfs- 
mittel der  Bahnen  so  nachhaltig  als 
möglich  zu  zerstören,  anderntheils  vom 
Feinde    zerstörte    Linien     so    rasch    als 


j  möglich  wieder  in  Stand  zu  setzen,  wenn 
I  nöthig  auch  Verbindungslinien  eliestens 
I  zu  erbauen,  sowie  den  Verkehr  auf  derlei 
feldmässigen  Bahnen  einzuleiten  und  zu 
'  führen. 

I  Wenngleich    im    engeren    Sinne    nur 

eine  Hilfstruppe,  so  ist  dieselbe  doch  ein 
wesentlicher  Factor  für  das  Gelingen  der 
Operationen     eines     modernen     Heeres. 
I  Denn,  iällt  die  möglichst  rasche  Concen- 
I  trirung  eines  Millionenheeres  den  bereits 
t  bestehenden  Bahnen  zu,  so  obliegt  dieser 
i  Hilfstruppe    die    nicht    minder    wichtige 
Aufgabe,  die  stete  Verbindung  der  sieg- 
i  reich     vordringenden     Armee     mit     dem  . 
'  Bahnnetze   der   Heimat,  und  den   Nach- 
1  schub    air    der   Tausende    von    Gütern, 
welche    die    Armee    zu    ihrem    täglichen 
Bedarfe    nöthig    hat,    durch    Wiederher- 
stellung  und   Inbetriebsetzung   zerstörter 
Linien,    Herstellung    einzelner    Vollbahn- 
strecken, Bau  flüchtiger  Feldbahnen  etc. 
zu  besorgen. 

Dass  heutzutage  die  Aufgabe  der 
Eisenbahn -Truppen  keine  leichte  ist,  und 
ein  unausgesetztes  Studium  und  Ueben 
seitens  aller  Organe  derselben  erheischt, 
will  selbe  den  stelig  wachsenden  An- 
forderungen entsprechen,  wird  insbeson- 
ders  dem  Faehmanne  klar  sein,  wenn  er 


i6o 


Vom  Eisenbahnbureau  des  k.  u.  k.  Generalstabes. 


in  Betracht  zieht,  dass  nur  aus  dem  voll- 
kommenen Beherrschen  des  ganzen  Eisen- 
bahnwesens und  vornehmlich  der  auf 
den  Bau  bezughabenden  Erfahrungen  die 
Möglichkeit  eines  raschen  und  sicheren 
Bahnbaues  gewonnen  werden  kann.  Zum 
Probiren  und  Studiren  lässt  eben  die 
heutige   Kriegführung    keine  Zeit   mehr. 

Wie  aber  das  gesammte  Eisenbahn- 
wesen erst  in  neuerer  Zeit  mit  Riesen- 
schritten der  heutigen  Vollendung  ent- 
gegeneilte, so  waren  auch  in  allen 
europäischen  Staaten  die  für  den  Eisen- 
bahnbau eigens  geschulten  militärischen 
Kräfte  bis  in  die  letzten  Decennien  gänzlich 
unzulängliche.  Erst  die  Erfahrungen  der 
letzten  Kriege  haben  auch  in  dieser 
Richtung  Klarheit  geschaffen  und  die 
unbedingte  Noth  wendigkeit  möglichst 
starker  und  geschulter  Eisenbahntruppen 
dargethan. 

In  Oesterreich-Ungarn  waren  es  vor- 
erst nur  die  bereits  bestandenen  technischen 
Truppen,  welche  angewiesen  wurden, 
einzelne  Abtheilungen  mit  dem  Wesen 
des  Eisenbahnbaues  und  Dienstes  vertraut 
zu  machen. 

Diese  Anfänge  datiren  vom  Jahre 
1868;  doch  erst  die  Einführung  der 
allgemeinen  Wehrpflicht  in  Oesterreich  im 
Jahre  1869  machte  die  Aufstellung  eigener 
Abtheilungen  für  den  Bahnbau  —  der 
Feld-Eisenbahn-Abtheilungen  —  möglich, 
deren  factische  Creirung  im  Jahre  1870 
durchgeführt  wurde. 

Diese  Feld-Eisenbahn- Abtheilungen, 
welche  aus  einem  Militär-Detachement 
und  einem,  bereits  im  Frieden  nominativ 
bestimmten  und  sichergestellten  Civil- 
Detachement  bestanden,  waren  vorerst 
nur  für  den  Kriegsfall  designirt,  während 
im  Frieden  nur  einzelne  technische 
Officiere,  welche  für  Posten  bei  diesen 
Abtheilungen  ausersehen  waren,  durch 
Commandirungen  bei  Bahnbauten,  beim 
executiven  Bahndienst  etc.  eine  geeignete 
Specialbildung  erhalten  sollten. 

Im  Jahre  1873  wurden  die  Militär- 
Detachements  der  Feldeisenbahn  -  Ab- 
theilungen Nr.  I,  II,  III,  IV  und  V  that- 
sächlich  aufgestellt,  und  es  kamen  dieselben 
vielseitig  auch  bei  Friedens-Bahnbauten  in 
Verwendung,  so  z.  B.  beim  Baue  der 
Bahnstrecken  Braunau-Strasswalchen,  der 


Salzburg -Tirolerbahn,  der  Linie  Chotzen- 
Braunau,  der  Istrianerbahn,  der  Linie 
Temesvar  -  Orsova,  der  Budapester  Ver- 
bindungsbahn,   der    Salzkammergutbahn 


u.  s.  w. 


Gelegentlich  der  theilweisen  Mobili- 
sirung  anlässlich  der  Occupation  von 
Bosnien  im  Jahre  1878  wurden  die  Militär- 
Detachements  sämmtlicher  15  systemisir- 
ten  Feld  -  Eisenbahn  -  Abtheilungen  mit 
Ausnahme  jener  Nr.  XIV  nach  und  nach 
aufgestellt.  Die  ressourcenarmen  Länder 
Bosnien  und  Herzegowina  mit  ihrem 
gänzlichen  Mangel  an  Bahnverbindungen 
mit  dem  Hinterlande,  mit  ihren  schlech- 
ten, oft  unpassirbaren  Strassen  und  Wegen 
erforderten  die  angestrengteste  Thätig- 
keit  aller  in  Verwendung  gestandenen 
technischen  Kräfte,  wobei  die  Feld- 
Eisenbahn- Abtheilungen  infolge  der  eigen- 
thümlichen  Verhältnisse  auch  in  sonstigen 
Zweigen  des  technischen  Dienstes  vielfach 
verwendet  wurden. 

An  eigentlichen  Eisenbahnarbeiten 
führten  dieselben  aus: 

1.  die  Linie  Dälja  -  Brod,^  welche 
inclusive  des  Flügels  Vrpolje-Samac  in 
einer  Länge  von  ca.  1 10  ktn  von  den 
Feld-Eisenbahn- Abtheilungen  Nr.  I,  II,  III, 
VI  und  XI  im  Vereine  mit  einer  Civil- 
unternehmung  ausgeführt  wurde; 

2.  die  Wiederherstellung  der  circa 
100  km  langen,  normalspurigen  Bahn  von 
Banjaluka  bis  Doberlin,  welche  seinerzeit 
unter  der  türkischen  Regierung  von  dem 
bekannten  Bauunternehmer  Baron  Hirsch 
gebaut  worden  war  und  zu  Beginn  der 
Occupation  gänzlich  verlassen  und  ver- 
wahrlost, theilweise  zerstört  vorgefunden 
wurde,  so  zwar,  dass  diese  Bahn  beinahe 
neu  hergestellt  werden  musste.  Diese 
schwierige  Arbeit  fiel  den  Feld-Eisenbahn- 
Abtheilungen  Nr.  IV,  V,  VII,  VIII,  IX, 
X,  XII,  XIII  und  XV  zu.  Nachdem  es  mit 
dem  Aufgebote  aller  Kräfte  gelungen  war, 
in  kürzester  Zeit  Strecke  und  Fahrbetriebs- 
mittel wieder  in  brauchbaren  Zustand 
zu  setzen,  übernahmen  die  genannten 
Feld-Eisenbahn-Abtheilungen  auch  deren 
Betrieb. 

In  diese  Zeit  der  Thätigkeit  der  Feld- 
Eisenbahn-Abtheilungen  fällt  auch  der 
Bau  der  Schmalspurbahn  von  Brod  nach 
Zenica  [Bosnabahn],  welche  vom  Reichs- 


:  Eisenbahnen  im  Kriege 


Kriegs-Miiiisterium  der  Bauuntemehmung 
Hügt.')  und  Sager  unter  Leitung  und  Be- 
aufsichtigung einer  Militär-  Bauleitung 
übertragen  wurde  und  welche  bis  zu  dem 
Momente  ihrer  Abtretung  an  die  bosnisch- 
herzegowinische  Landesregierung  im 
Jahre  1895  unter  der  Leitung  des  Reichs- 
Kriegs- Ministeriums  stand  und  sich  in 
dieser  Zeit  von  einer,  ursprOnghch  nur 
dem  Nachschübe  dienenden  Schleppbahn 


Regiment  zu  2  Bataillonen  ä  4  Com- 
pagnien  errichtet  werden  sollte.  Nach 
Beendigung  der  betreffenden  Detailver- 
handlungen erhielten  die  hienach  aus- 
gearbeiteten organischen  Bestimmungen 
am  8.  Juli  1883  die  Allerhöchste  Sanction 
und  kann  somit  dieser  Tag  als  der  eigent- 
liche Geburtstag  des  Eisenbahn-  und  Tele- 
graphen-Regimentes betrachtet  werden. 
Das  erste  Bataillon  sowie  der  Regiments- 
stab wurden  in  Komeuburg 


auch  in  unserem  Vaterlande 
die  Heeresverwaltung  nicht  Abb.  n  Fiidmi 
ruhen  und  nicht  rasten,  in 
diesem  Sinne  vorwärts  zu  schreiten.  Den 
btaOglichen,  auf  Reorganisation  abzielen- 
den Arbeiten  verdankt  auch  das  heutige 
Eisenbahn-  und  Telegraphen-Regiment 
sein  Entstehen. 

Am  2.  September  1882  wurde  ein 
Organ  isations- Entwurf  für  dieses  neu  zu 
errichtende  Regiment  Sr.  Majestät  unter- 
breitet, wonach  aus  den  bestandenne 
Feld-Eisenbahn-Abtheilungen  ein  eigenes 


Die  technische  Ausrüstung  des  Regi- 
mentes, welche  grosse  Summen  erforderte, 
konnte  nur  successivedurchgeführt  werden. 

Die  vielseitigen  und  schwierigen  Ar- 
beiten, welche  dem  jungen  Regimente 
einestheils  durch  die  Errichtung  eines  fdr 
die  technischen  L'ebungen  geeigneten 
Platzes,  andemtheils  durch  die  Schulung 
der  Mannschaft  in  einen  ganz  eigen- 
artigen Dienst  sowie  durch  die  Bearbeitung 


102 


Vom  ^senbahnbureau  des  k.  u.  k.  Generalstabes. 


vorläufig  nur  provisorischer  Instructionen 
im  Anfange  erwuchsen,  erforderten  die 
ganze  Thatkraft  des  aus  den  verschie- 
densten Abtheilungen  zusammengestellten  I 
Officierscor^^^Trptzdem  erschieneii  in 
kurzer  Zdf?  die  Verhältnisse  gefestigt 
und  war  ein  wohlflurchdachtes,  festes 
Fundament  für  die  ^gedeihliche  Fortent- 
wicklung des  Regimentes  geschaffen. 

Noch  im  Jahre  1883  ging  das  erste 
Arbeits-Detachement  des  Regimentes  zu 
einem  Civilbahnbaue  ab.N>pi^  Bauleitung  . 
der  Localbahn  Bisenz  -  Gaya  hatte  an 
das  Reichs-Kriegs-Ministerium  die  Bitte 
um  Commandirung  einiger  Leute  des  Re- 
gimentes zur  Aufstellung  eiserner  Brücken 
und    zum  Legen  von  Oberbau  gerichtet. 

Mit  dieser  Commandirung  war  der 
Anfang  zu  einer  Reihe,  später  noch  näher 
zu  erörternder  Verwendungen  einzelner 
Detachements  des  Regimentes  bei  fac- 
ti sehen  Bahnbauten  gemacht.  Diese  Com- 
mandirungen  können  durch  den  bleiben- 
den Charakter,  durch  welchen  sich  die 
hiebei  auszuführenden  Arbeiten  von  den 
analogen  Uebungen  auf  dem  Uebungs- 
platze  wesentlich  unterscheiden,  als  eine 
sehr  erspri essliche  Schulung  von  Offi- 
cieren  und  Mannschaft  angesehen  wer- 
den, welche  namentlich  den  Eisenbahn- 
Officier  in  die  Lage  versetzen,  reiche 
Erfahrungen  zu  sammeln,  aus  denen  er 
im  Ernstfalle  jeweilig  das  beste  und  vor 
Allem  das  schnellste  Mittel  zur  Lösung  der 
an  ihn  gestellten  Aufgabe  wählen  kann. 

Namentlich  in  der  Uebung  des  Tra- 
cirens  von  Bahnlinien  erschien  es  vortheil- 
haft,  einen  möglichsten  Wechsel  des 
Terrains  und  der  Verhältnisse  anzustreben, 
um  dem  Officier  die  Möglichkeit  zu  bieten, 
sich  den-  freieren  Blick,  die  rascheste 
und  zugleich  genaueste  Arbeit  eines  voll- 
endeten Traceurs  anzueignen. 

Es  wurde  denn  auch  jede  sich  bietende 
Gelegenheit  wahrgenommen,  um  diesen 
wichtigen  Zweig  der  technischen  Aus- 
bildunj^:  entsprechend  zu  üben.  Zu  diesem 
Zwecke  ordnete  die  Heeresverwaltung 
sowohl  jährlich  gr()ssere  Uebunt^straci- 
riin<^en  an,  welche  stets  bis  zur  vollstän- 
digen Fertigstellung  eines  Vorprojectes 
durchgeführt  wurden,  sowie  auch  Traci- 
runo^en  von  in  Aussicht  genommenen 
Localbahnen    durchgeführt    wurden,  wie 


z.  B.  bereits  im  Jahre  1885  die  Tracirung 
einer  Localbahn  von  Komeuburg  nach 
Emstbrunn. 

Auch  im  Telegraphenbaue  wurden 
schon  im  Jahre  1884  grössere  Uebungen 
vorgenommen,  indem  eine  Feld-Tele- 
graphenleitung von  Komeuburg  über 
Hainfeld  nach  Pressbaum  in  der  Zeit 
vom  16.  bis  28.  Juni  durchgeführt  wurde, 
sl^ie  Hauptübungen  des  Regimentes 
bildeten  vom  Anfange  an  nebst  der  schon 
erwähnten  Vornahme  von  Tracirungen: 
der  Bau  normalspuriger  Bahnen,  von 
Stationsanlagen  sammt  dem  für  den  Betrieb 
unbedingt  nöthigen  Zugehör,  der  Bau 
von  Eisenbahn-Brückenprovisorien  über 
trockene  und  nasse  Hindemisse,  der  halb- 
permanente wie  auch  feldmässige  Tele- 
graphenbau [Abb.  35],  sowie  das  Spreng- 
wesen in  allen  seinen  Details,  an  welche 
Hauptanforderungen  stets  die  rein  mili- 
tärischen Exercitien  und  Uebungen  analog 
der  Infanterie  angereiht  werden  mussten. 

Für  die  ebenfalls  wichtige  Ausbildung 
eines  Theiles  der  Mannschaft  im  executiven 
Verkehrsdienste,  inclusive  des  Zugförde- 
rungs-  und  Werkstättendienstes  hatte 
das  2.  Bataillon  auf  der  Militärbahn 
Banjaluka-Doberlin  zu  sorgen.  Da  jedoch 
der  Verkehr  auf  dieser  Bahn  zufolge  der 
localen  Verhältnisse  im  Anfange  ein  ganz 
minimaler  und  zu  geringer  war,  um 
namentlich  die  Ausbildung  einer  ge- 
nügenden Anzahl  von  LocomotivfÜhrem 
zu  ermöglichen,  so  wurden  im  Einver- 
nehmen mit  dem  k.  k.  Handelsministerium 
vom  Jahre  1 884  angefangen  stets  acht  Mann 
des  Regimentes  auf  die  Dauer  von  sechs 
Monaten  bei  verschiedenen  Bahnen  zu 
diesem  Zwecke  in  Zutheilung  gegeben, 
wo  diese  Lehrlinge  auch  die  staatsgilti- 
gen  Prüfungen  abzulegen  hatten. 

Das  2.  Bataillon,  welches,  wie  bereits 
erwähnt,  in  Banjaluka  aufgestellt  worden 
war,  hatte  den  gesammten  Dienst  auf 
der  Militärbahn  zu  versehen,  wobei  die 
Officiere,  unbeschadet  ihres  militärischen 
Compagnie-Dienstes,  sowohl  die  Bahn- 
erhaltung, als  den  Zugförderungs-  und 
den  Stationsdienst  zu  versehen  hatten, 
während  die  Mannschaft  theils  zum  Zug- 
förderungsdienste, theils  zur  Strecken- 
bewachung und  als  Oberbaupartieen,  so- 
wie in  den  Werkstätten  verwendet  wurde. 


Unsere  Eisenbahnen  im  Kriege. 


163 


104 


Vom  Eisenbahnbureau  des  k.  u.  k.  Generalstabes. 


Sowohl  die  hiedurch  bedingte,  zer- 
streute Bequartirung,  als  auch  die  Art 
des  Dienstes  machte  die  nicht  ausser  Acht 
zu  lassende,  rein  militärische  Ausbildung 
der  Mannschaft  sehr  schwierig.  Dieser 
Umstand  sowie  der  bereits  berührte, 
durch  die  localen  Verhältnisse  bedingte 
minimale  Verkehr  auf  der  Militärbahn  ver- 
anlassten das  Reichs-Kriegs-Ministerium, 
im  März  1885  das  2.  Bataillons-Commando 
mit  2  Compagnien  von  der  Militärbahn 
abzuziehen  und  ebenfalls  nach  Korneuburg 
zu  verlegen. 

Nachdem  Verhandlungen  mit  den 
betreffenden  beiderseitigen  Ministerien 
wegen  Uebergabe  der  Militärbahn  an 
die  Staatsbahnen  zu  keinem  Resultate 
führten,  musste  der  Betrieb  dieser  Bahn 
auch  weiter  von  militärischen  Kräften 
geführt  werden,  und  wurden  hiefür  die 
in  Bosnien  verbliebenen  2  Compagnien 
bestimmt  und  einem  militärischen  Com- 
mandanten,  als  Director  der  Bahn,  unter- 
stellt ;  diese  Compagnien  wurden  zeitweise 
gewechselt.  Da  mittlerweile  beim  Regi- 
mente  rastlos  gearbeitet  wurde,  um  die 
Compagnien  für  ihren  eigentlichen  Zweck, 
den  feldmässigen  Eisenbahnbau,  auszu- 
bilden, welchen  Uebungen  die  in  Bosnien 
verwendeten  Compagnien  naturgemäss 
entzogen  waren,  andemtheils  der  Verkehr 
noch  nicht  derart  gestiegen  war,  um 
durch  eine  gründliche  Ausbildung  der 
Compagnien  im  executiven  Bahndienste 
auf  der  Militärbahn  eine  Entschädigung 
hiefür  zu  finden,  zog  das  Reichs-Kriegs- 
Ministerium  im  Juni  1888  noch  eine 
Compagnie  [4.]  von  der  Militärbahn  ab 
und  ordnete  an,  dass  die  noch  verbleibende 
[5.]  Compagnie  Civilarbeitskräfte  heran- 
ziehe und  für  den  executiven  Bahndienst 
schule.  Mit  vieler  Mühe  und  mancher 
vergeblicher  Probe  wurden  die  geeignetsten 
Elemente  aus  der  Bevölkerung  zum  Dienste 
als  Aufsichtspersonal,  für  den  Strecken- 
dienst und  auch  zum  Zugförderungsdienst 
ausgebildet,  und  hiebei  nach  kurzer  Zeit 
so  überraschend  gute  Resultate  erzielt, 
dass  schon  im  October  1888  die  letzte 
Compagnie  aus  dem  Occupationsgebiete 
einrücken  konnte. 

Die  Militärbahn  verblieb  auch  weiter- 
hin dem  Reichs-Kriegs-Ministerium  unter- 
stellt   und    unter  militärischer  Direction ;  i 


die  Organe  der  Zugförderung,  die  Strecken- 
ingenieure, Maschinenführer  und  ein  Stamm 
von  Werkstättenarbeitem  wurden  noch 
weiterhin  vom  Regimente  beigestellt,  die 
übrigen  Stellen  jedoch  mit  Civilpersonen 
besetzt,  wobei  mehrere  ausgediente  Unter- 
officiere  zu  Unterbeamten  ernannt  wurden. 
Nach  und  nach  wurde  der  Stamm  an 
activen  Officieren  und  Mannschaft  immer 
mehr  reducirt,  bis  schliesslich  nur  der 
Director  und  der  Zugförderungs-  und 
Werkstättenchef,  sowie  ein  kleines  De- 
tachement  Arbeiter  dem  Regimente  ent- 
nommen wurden. 

Hingegen  wurd  jährlich  eine  Compagnie 
des  Eisenbahn-  und  Telegraphen-Regi- 
mentes an  die  Militärbahn  commandirt, 
um  den  alten  Oberbau  successive  gegen 
neuen  Stahlschienen  -  Oberbau  umzu- 
wechseln, wobei  gleichzeitig  die  gröbsten 
Fehler  des  Unterbaues  corrigirt  werden. 
Ebenso  wurden  nach  und  nach  neue 
moderne  Hochbauten  aufgeführt,  die 
Objecte  ausgewechselt,  ausser  dem  3  ktn 
von  der  Stadt  Banjaluka  entfernten  Bahn- 
hofe ein  neuer  Bahnhof  im  Weichbilde 
der  Stadt  angelegt,  Werkstätten  gebaut, 
so  dass  die  k.  k.  Militärbahn  trotz  ihrer 
noch  manches  zu  wünschen  übrig  lassen- 
den Frequenz  sich  heute  in  Beziehung  auf 
ihre  moderne  Ausgestaltung  den  Bahnen 
des  Inlandes  anzureihen  vermag:. 

Kehren  wir  aber  zurück  zu  dem 
eigentlichen  Entwicklungsgange  des  Re- 
gimentes selbst. 

Dank  der  Förderung,  welche  die  Inter- 
essen des  Regimentes  stets  durch  die 
hohen  und  höchsten  Vorgesetzten  fanden, 
dank  dem  unermüdlichen  Eifer  und  dem 
Streben  der  Commandanten  und  Officiere, 
die  Verhältnisse  so  rasch  als  möglich  zu 
consolidiren  und  vorwärts  zu  schreiten 
in  der  kriegsmässigen  Ausbildung  einer 
allen  Anforderungen  entsprechenden 
Eisenbahntruppe  —  konnte  das  junge 
Regiment  schon  in  der  kürzesten  Zeit 
mit  Stolz  auf  eine  Reihe  von  einschnei- 
denden Verbesserungen  und  Erfolgen 
blicken. 

Es  würde  zu  weit  führen  und  den 
engen  Rahmen  dieses  Capitels  zu  sehr  über- 
schreiten, wollte  man  in  Einzelheiten  alle 
die  Versuche,  die  Uebungen  und  Stu- 
dien anführen,   welche  für  den  Entwick- 


;  Eisenbahnen  im  Kriege. 


■65 


lungsgang  des  Regimentes  von  Wichtig- 
keit waren,  und  es  sollen  im  folgenden 
nur  jene  einschneidenden  Aenderungen 
\iUTz  erwähnt  werden,  welche  nicht  nur 
von  besonderer  Bedeutung  filr  die  Ge- 
schichte des  Regimentes  selbst,  sondern 
auch  von  Interesse  für  den  Eisenbahn- 
techniker im  Allgemeinen  sein  dürften. 
In  erster  Linie  strebten  naturgemäss 
die  L'ebungen  des  Regimentes  auf 
die  Erzielung  einer  möglichst  grossen 
Leistung  im  Baue  feldmässiger,  normal- 
spuriger     Eisenbahnen     hin.       In    dieser 


Im  Sommer  1886  hatte  das  junge 
Regiment  zum  erstenmale  das  Glück, 
vor  Sr.  Majestät  auch  in  technischer 
Beziehung  Proben  von  den  bisherigen 
Leistungen  ablegen  zu  dürfen.  Bei  dieser 
Allerhöchsten  Inspicirung  wurde  neben 
rein  militärischen  Exercitien  das  feld- 
mässige  Legen  einer  circa  i  km  langen 
Oberbaustrecke,  der  Bau  mehrerer  höl- 
zerner Eisenbahnprovisorien  sowie  der 
Bau  und  Betrieb  einer  Feldtelegraphen- 
Linie  vorgenommen. 

Das  huldvolle  Lob  des  Allerhöchsten 
Kriegsherrn  gab  Zeugnis 
von   dpn  Fnrtsr.hrittpn  dps 


f 


beitspartieen  und  Functio- 
nen gipfelten,  sondern  es  Atb.  js-  FcidteitKraphi 
wurde  auch  jede  Gelegen- 
heit benutzt,    um    auch    ausserhalb    des 
Uebungsplatzes  Ofliciere  und  Mannschaft 
beim    Baue    von  Bahnen    zu   verwenden 
und      hiedurch       weiter      praktisch      zu 
schulen. 

So  ging  beispielsweise  im  November 
1886  ein  Detachement  unter  Commando 
eines  Officicrs  zum  Baue  der  von  der 
Firma  Soenderop  &  Comp,  concessio- 
nirten  Zahnradbahn  auf  den  Gaisberg 
bei  Salzburg  ab,  welches,  mit  den  un- 
günstigsten Witterungs Verhältnissen  käm- 
pfend, nicht  nur  die  Fertigstellung  des 
Oberbaues  bewirkte,  sondern  auch  im 
ersten  Halbjahre  des  Bestehens  dieser 
Bahn  theilweise  den  Betrieb  besorgte. 


auch  eine  einschneidende  Aenderung  in 
der  Organisation  insofeme  angebahnt, 
als  durch  Errichtung  eines  eigenen  Ofti- 
ciers-Telegraphenc  Urses  eine  grössere 
Abtrennung  des  reinen  Eisenbahndienstes 
von  dem  Telegraphendienste  [welche 
Dienstesobliegenheiten  bisher  vollkommen 
vereint  waren],  angebahnt  wurde. 

In  rein  technischer  Beziehung  brachte 
das  Jahr  1S87  einen  bedeutenden  Fort- 
schritt in  der  kriegs massigen  Ausbildung 
und  Ausrüstung.  Die  Erkenntnis  der 
grossen  Schwierigkeit,  welche  die  Ueber- 
brückung  grösserer  Hindemisse  mittelst 
Holzconstructionen  dem  raschen  Fort- 
schritte   eines     feldmässigen     Bahnbaues 


i66 


Vom  Eisenbahnbureau  des  k.  u.  k.  Generalstabes. 


entgegenstellen,  veranlassten  die  Heeres- 
verwaltung, zerlegbare,  möglichst  einfache 
eiserne  Kriegsbrücken  zu  beschaffen.  Die 
Wahl  fiel  vorerst  auf  die  von  dem  be- 
kannten französischen  Eisenconstructeur 
Eiifel  construirte  Kriegsbrücke.  Parallel- 
versuche, welche  in  dieser  Richtung  in  der 
Eisenconstructions-Werkstätte  der  Firma 
Schlick  in  Budapest  zwischen  diesem 
Systeme  und  jenem  des  ungarischen  In- 
genieurs Feketehäza  durchgeführt  wur- 
den, fielen  zu  Gunsten  des  ersteren  aus 
und  es  sah  sich  demgemäss  die  Heeres- 
verwaltung veranlasst,  vorerst  eine  »Eiffel- 
brücke«  zu  weiteren  Versuchszwecken 
anzuschaffen.  [Vgl.  Abb.  36.] 

Diese  Brücke,  ein  Parallelträger,  kann 
bis  zu  einer  Spannweite  von  30  m  ein- 
gebaut werden,  und  setzt  sich  aus  ein- 
zelnen Elementen  zusammen,  welche  mit 
Ausnahme  der  Endelemente  congruent 
sind  und  je  3  w  Länge  besitzen.  Die 
einzelnen  Theile  der  Brücken  werden 
durch  Schrauben  miteinander  verbun- 
den. Die,  durch  die  hohen  Patent- 
gebühren bedingten,  bedeutenden  Kosten 
dieses  Systems  sowie  der  Umstand,  dass 
die  Construction  einem  zu  geringen 
Sicherheitscoefficienten  entsprach,  ver- 
anlassten die  Heeresverwaltung,  den  da- 
maligen Lehrer  der  Mechanik  und  des 
Brückenbaues  am  höheren  Geniecurse, 
Hauptmann  Bock,  zu  beauftragen,  sich 
ebenfalls  mit  dem  Studium  einer  zerleg- 
baren eisernen  Kriegsbrücke  zu  befassen. 
Als  Resultat  dieser  Studien  wurde  eine, 
aus  verschiedenen  Elementen  zusammen- 
gesetzte Brücke  in  der  Eisenconstructions- 
Werkstätte  der  Firma  Gridl  in  Wien  er- 
zeugt, welche,  abweichend  von  dem  Sy- 
steme Eiffel,  die  Lage  der  Fahrbahn 
variabel,  als  Bahn  unten,  oben  und  in 
der  Mitte  gestattet.  [Vgl.  Abb.  37.] 

Gleichzeitig  trat  der,  als  Constructeur 
vielfach  verdiente  k.  u.  k.  Pionnier-Haupt- 
mann  Herbert  mit  seiner  vollkommen 
originellen,  eisernen  zerlegbaren  Strassen- 
brücke  hervor,  welche,  unwesentlich  mo- 
dificirt,  als  Gerüst-  und  Montirungsbrücke 
sehr  gut  entsprach.  [Vgl.  Abb.  38.] 

Die  bereits  erwähnten  Nachtheile  der 
Eiffelbrücke  veranlassten  den  die  Brücken- 
bauabtheilung der  Firma  Schlick  leiten- 
den Oberingenieur  Kohn,  sich  ebenfalls 


in  der  Construction  zerlegbarer,  eiserner 
Kriegsbrücken  zu  versuchen. 

Die  von  demselben  construirte  Brücke 
lehnt  sich  im  Allgemeinen  dem  Principe 
Eiffel  an,  und  entsprach,  sowohl  was 
Festigkeit,  als  auch  leichte  Montirung, 
Handlichkeit  der  einzelnen  Elemente 
anbelangt,  vorzüglich,  und  wurde  daher 
nach  vielfachen  einschlägigen  Versuchen 
für  die  Ausrüstung  der  Eisenbahn- Com- 
pagnien  normirt. 

Die  Beigabe  eines  Lancierschnabels 
ermöglicht  deren  Einbau  ohne  Monti- 
nmgsboden.  Die  Abbildungen  Nr.  40 
und  39  zeigen  diese  Brücke  während 
des   Baues    und   im  fertigen  Zustande.*) 

Gleichzeitig  mit  den  im  Vorherge- 
henden näher  besprochenen  Versuchen 
wurde  im  Jahre  1887  auch  mit  der  Er- 
probung flüchtiger  Feldbahnen 
begonnen.  Das  Bewusstsein  der  unge- 
heuren Schwierigkeiten,  welche  sich  in 
einem  Zukunftskriege  der  Verpflegung 
eines  modernen  Heeres  entgegenstellen 
werden,  die  Unmöglichkeit,  dem  Vor- 
marsche einer  Armee  mit  dem  Baue 
einer  normalspurigen,  wenngleich  noch 
so  feldmässig  erbauten  Vollbahn  auf 
dem  Schritt  folgen  zu  können,  ver- 
anlassten die  Heeresverwaltung  über  An- 
regung des  Chefs  des  Generalstabes, 
ihr  Augenmerk  auf  leicht  transportable, 
rasch  herzustellende  Schienenwege  zu 
lenken,  welche  geeignet  wären,  bei  denk- 
bar grösster  Schnelligkeit  des  Vorbaues 
eine  genügende  Leistungsfähigkeit  zu 
ergeben. 

In  dieser  Hinsicht  schienen  schmal- 
spurige Pferdebahnen  die  geeignetesten. 
Nur  durch  den  Umstand,  dass  durch  den 
Entfall  von  Maschinen  verhältnismässig 
nur  geringe  Achsdrücke  zu  gewärtigen 
sind,  ist  es  möglich,  ein  System  zu 
wählen,  welches  sich  bei  entsprechender 
Biegsamkeit  sowohl  in  der  Horizontal-, 
als  auch  Verticalrichtung  allen  Terrain- 
formationen anschliesst  und  dadurch 
einen  langwierigen,  Zeit  und  Arbeits- 
kräfte absorbirenden  Unterbau  ent- 
behren kann. 


*)  Die  in  diesem  Abschnitte  enthaltenen 
Abbildun2;en  sind  sämmtlich  nach  photogr. 
Original-Aufnahmen  von  A.  Hub  er  m  Wien 

hergestellt. 


Diese  Feldbahnen  repräsentiren  somit, 
weil  dieselben  soweit  als  möglich  auf 
militärisch  minder  wichtige  Communica- 
tionen  einfach  aufgelegt  werden,  im 
gewissen  Sinne  die  eiserne  Spur  der 
Strassen. 

Die  Versuche  mit  den  verschiedensten 
Systemen  solcher  Feldbahnen  wurden 
beim  Eisenbahn-  und  Telegraphen-Kegi- 


lich  der  durchgeführten  Versuche  ergeben, 
dass  die  Anschmiegungsfähigkeit  dersel- 
ben an  das  Terrain,  namentlich  in  ver- 
ticaler  Richtung  noch  nicht  den  gestellten 
Anforderungen  entspreche. 

Es  wurden  deshalb  in  der  Folge  mit 
verschiedenen  Systemen  sogenannter 
Wald-  und  Industriebahnen  Versuche 
durchgeführt,  deren  Endresultat  zu  Gun- 


mente,  welches  ausschliesslich  für  deren 
Bau  in  Aussicht  genommen  wurde,  vor- 
erst mit  einem  gewöhnlichen  schmal- 
spurigen Querschwellen-Oberbau  durch- 
geführt. Die  einzelnen  Felder,  bestehend 
aus  4-2  »(  langen  Schienen  leichten  Pro- 
fils, waren  vollkommen  zusammengesetzt, 
d,  h.  an  den  hölzernen  Querschwellen 
mittels  Hakenschrauben  befestigt,  und 
wurden  durch  einfache  Lasch  enverb  in  düng 
mit  einander  verbunden.  Die  Spurweite 
wurde  aus  praktischen  Gründen  mit  70  cm 
gewählt. 

Sowohl  die  Länge  der  Geleiserahmen, 
als  die  Immerhin  starre  Längs  Verbindung 
dieses   Systemes  haben  jedoch  gelegent- 


I  sten  des  Systems  Dollberg  ausfiel,  wel- 
ches damals  für  Oester  reich -Ungarn  von 
der  Prager  Maschinenbau- Actien-Gesell- 

schaft  [vorm.  Ruston  &  Co.]  palentirt 
war. 

Nach  jahrelangen  Versuchen  und  Ver- 
besserungen, namenthch  in  Beziehung  auf 
Construction  der  Wagen,  Weichen  etc., 
entwickelte  sich  nach  diesem  Systeme 
das  heute  normirte  Feldbahnsystem. 

Die  Feldbahn -Elemente  bestehen  aus 
Jochen,  welche  dem  Principe  nach  aus 
einem  l'5w  langen  Geleisepaar  zusam- 
mengesetzt werden,  welches  an  einem 
Ende  auf  einer  Holz  seh  welle  mittels 
Haken  seh  rauben  montirt  ist,  am  anderen 


Vom  Eisenbahnbureau  des  k.  u.  k.  Generalstabes. 


Abb.  J7.    Bockbrückc. 

Ende  mit  einer  eisernen  Spurstange  in 
seiner  Spurweite  von  70  ctn  erhalten 
wird.  [Vgl,  Kopfleiste  Abb.  32,] 

An  der  Aussenseite  der  Schienen  sind, 
u.  2W.  am  Schwellenende,  Stifte,  am  ent- 
gegengesetzten Ende  Haken  angenietet. 
Durch  Ein  heben  der  Haken  unter  die 
Stifte  eines  schon  liegenden  Joches,  wird 
eine  genügend  feste  Längs  Verbindung 
erzielt.  Dank  dem  hiedurch  entstehenden 
Spielräume  in  der  Längs  Verbindung, 
schmiegt  sich  diese  Feldbahn  allen  Ter- 
ra! nformationen  wie  eine  Kette  an,  erfor- 
dert somit  verhältnismässig  nur  eine 
geringfügige  Planirung  des  Terrains. 
Durch  Hinzugabe  verschiedener  Nebenbe- 
standtheile,  als  Bogenstücke,  Weichen  etc., 
wurde  dieses  System  in  jeder  Beziehung 
ausgestaltet. 

Der  Wagenpark  besteht  aus  sogenann- 
ten Doppel  wagen,  d.  h.  jeder  Wagen 
setzt  sich  aus  zwei  Unterwagen  zusam- 
men, welche  mit  einer  grossen  Plattform 
durch  einfache  Reihbolzen  verbunden 
sind.  Die  Kader  sind  Rillenräder.  Die 
Wagen  werden  durch  ein  Paar  seitwärts, 
mittels  eigener  Ein  spann  ketten  ange- 
spannter Pferde  vorwärts  gebracht. 

Diese  Feldbahn ,  als  erstes  Nach- 
schubmittel betrachtet,  befriedigt  sowohl 
was  die  Schnelligkeit  des  Baues  als  auch 
die  Leistungsfähigkeit  der  fertigen  Bahn 
anbelangt,  vollständig  die  in  dieser  Hin- 
sicht gestellten  Anforderungen. 

Gleichzeitig  mit  den  eingehenden 
Versuchen  mit  den   oberwähnten  kriegs- 


technischen Ausrüstungen 
wurden  unermüdlich  die 
verschiedensten  Uebmigen 
im  normalen  Bau  von 
Bahnen,  Holzprovisorien, 
Spreng  versuche  u.  s.  w. 
durchgeführt. 

Versuche    mit    einem 
transportablen  elektrischen 
Bei euchtungs wagen,  führ- 
ten zur  Anschaffung  eines 
solchen     von     der    Firma 
Kfizik  in  Prag  gelieferten 
Wagens,  mit  welchem  seit- 
her fast  jährlich  bei  ver- 
schiedenen    Bahnverwal- 
tungen    gelegentlich    der 
Ein-  und  Auswaggoninin- 
I  gen    zu     den     grossen    Manövern     auch 
I  ausserhalb  des  Standortes  des  Regimentes 
Proben  unternommen  wurden. 

Auch  in  betriebstechnischer  Beziehung 
wurde  im  Jahre  1888  ein  sehr  günstiger 
Modus  der  Ausbildung  von  Officieren 
und  Mannschaft  eingeführt.  Wie  schon 
erwähnt,  war  die  damalige  Frequenz  aut 
der  Militärbahn  Banjaluka-Doberlin  nicht 
geeignet,  eine  genügend  intensive  Aus- 
bildung für  das  Regiment  in  dieser  Hin- 
sicht zu  gewährleisten.  Dem  freundlichen 
Entgegenkommen  der  damaligen  k.  k. 
General  -  Direction  der  österreichischen 
Staatsbahnen  war  es  zu  danken,  dass  das 
Reichs- Kriegs- Ministerium  über  Antrag 
des  Chefs  des  Generalstabes  einen  Ver- 
trag zur  Führung  des  Betriebes  auf  der, 
unter  Leitimg  der  k.  k.  General-Direction 
stehenden  Localbahn  St.  Pölten-Tulln 
abschloss,  zu  welcher  Linie  später  noch 
die  Abzweigung  Herzogenburg  -  Krems 
hinzukam.  Zufolge  dieser  Abmachungen 
hat  ein  Detachement  des  Eisenbahn-  luid 
Telegraphen -Regimentes  mit  Ausnahme 
I  des  Stations-  und  Cassendienstes,  den  ge- 
sammten  Verkehr  einschhesslich  der  Bahn- 
erhaltung auf  diesen  frequenten  Linien 
unter  Aufsicht  der  k.  k.  Staatsbahnen  zu 
besorgen.  Die  Stärke  des  Detachements 
beträgt  zwei  Officiere,  von  welchen  der 
rangsältere  gleichzeitig  der  militärische 
Commandant  des  Detachements  ist,  und 
88  Männer.  Um  eine  möglichst  grosse 
Zahl  von,  im  Verkehrsdienste  ausgebil- 
deten Personen  zu  erhalten,  andenitheils 


unsere  Eisenbahn« 


169 


die  Mannschaft   nicht  zu  lange  von  den 
übrigen   Verrichtungen,    vor  Allem   dem 
rein   militärischen  Dienste   zu   entziehen, 
verfilgte  das  Reichs -Kriegs -Ministerium 
einen    eigenen    Ablösungsmodus    derart, 
dass  stets  der  Ablösende  durch   eine  ge- 
wisse Zeit  von  seinem  Vorgänger  in  die 
speciellenObliegenheiteneingeführtwerde. 
Ebenso  werden  alljahrHch  zwei  Offi' 
eiere  auf  die  Dauer  von  sechs  Monaten, 
und    alle    zwei  Jahre    ein   Officier 
zwei  Jahre   zur   Erlernung   des    Betriebs' 
dienstes,     beziehungsweise    des    Werk- 
stätten- und  Zug- 
fÖrderungsdien- 
stes     den    k.    k. 
Staatsbahnen  zu- 
getheilt.nachwel- 
chemTerminedie- 
selben  die  öffent- 
lichen Prüfungen, 
analog  den  Bahn- 
beamten   abzule- 
gen haben.  Dank 
dem  ausserordent- 
lichen  Entgegen- 
kommen, welches 
die  instruirenden 
Bahn  Organe    die- 
sen Officieren  ge- 
genüber stets  an 
den   Tag    legten, 
ist    das   Resultat 
dieser  verhältnis- 
mässig  kurzen 
Lehrzeit  ein  aus- 
serordentlich gün- 
stiges gewesen. 

Auch  die  Commandirungen  von  Ab- 
theilungen und  Detachements  zu  aus- 
wärtigen Verrichtungen,  mehrten  sich 
jährlich.  In  Folgendem  sollen  die  wich- 
tigsten dieser  Venvendungen  von  Theilen 
des  Regimentes  angeführt  werden :  Im 
Jahre  1885  betheiligte  sich  ein  Detache- 
ment  an  dem  Bahnbaue  der  Dampftram- 
way  von  Wien  nach  Floridsdorf;  1886 
bis  1887  an  dem  Baue  des  zweiten 
Geleises  der  Carl-Ludwigbahn.  1887  an 
der  Tracirung  der  Zahnradbahn  von 
Vordemberg  nach  Eisenerz,  1887  und 
1888  an  der  Tracirung  einer  Schleppbahn 
auf  dem  Gubaczer  Hotter  bei  Budapest. 
Im  Jahre    1889  wurde  die  selbstständigc 


Tracirung  einer  circa  100km  langen  Voll- 
bahnlinie von  Przeworsk  nach  Rozwadow 
mit  Variante  von  Jaroslau,  1889  der  Bau 
einer  Waldbahn  in  Kis-Tapolczan  durch- 
geführt, 1889  und  1890  betheihgte  sich  ein 
Detachement  an  der  Tracirung  der  Linie 
Schrambach- Neuberg,  im  Jahre  1 889 
wurde  ausserdem  der  vollständige  Bau 
einer  circa  3  km  langen  Schleppbahn 
zum  Eisenwerke  Komorau  bewerkstelligt. 
1890  wirkte  ein  Detachement  beim  Baue 
der  Localbahn  Laibach-Stein  mit,  1891 
wurde  selbstständig  der  Bau  eines  Brems- 


berges und  einer  Telephonleitung  in 
Weissenbach  a,  d.  Triesting  durchgeführt ; 
1891  ausserdem  an  der  Detailtracirung 
einer  Schleppbahn  bei  Blansko,  der  Linie 
Halicz-Tarnopol  und  der  Linie  KOrös- 
mezö-Stanislau  mitgewirkt.  Im  selben 
Jahre  wurde  durch  eine  Compagnie  der 
Bahnhof  in  Banjatuka  mit  der  3  km  entfern- 
ten Stadt  Banjaluka  durch  ein  Geleise 
verbunden  und  der  Stadtbahnhof  ange- 
legt. Im  Jahre  1892  führte  ein  Detache- 
ment über  Ersuchen  der  k.  k.  General- 
Inspection  selhstständig  die  Tracirung  der 
Linie  Bischoflack-Görz  aus. 

Ausser    diesen    zahlreiclien    Verwen- 
dungen    von     Theilen     des     Regimentes 


Vom  Eisenbahnbureau  des  k,  u  k.  Generalstabes. 


wurden  sowohl  in  diesen  als  den  fol- 
genden Jahren  noch  viele  Detachements 
zum  Zwecke  rein  militärischer  Recognos- 
cirungen,  Traciningen  und  Bauten  ver- 
wendet, deren  detaillirte  Anführung  hier 
zu  weit  führen  würde.  Es  sei  an  dieser 
Stelle  nur  der  Schleppbahnen  Erwähnung 
gethan,  welche  von  der  Station  Felixdorf 
an  der  Südbahn  sowohl  zu  der  Pulver- 
fabrik nächst  Blumau,  als  auch,  abzwei- 
gend von  dieser  Hauptlinie  zu  den  ein- 
zelnen zerstreut  auf  dem  sogenannten 
■  Steinfelde«  liegenden  Objecten  führen, 
und  fast  ausschliesslich  mit  Kräften  des 
Regimentes   tracirt   und  ausgeführt  wur- 


den. So  kurz  diese  Linie  auch  ist,  so 
wichtig  ist  sie  für  den  Betrieb  der  am 
Steinfelde  liegenden  militärischen  Ob- 
jecte  und  so  complicirt  gestaltet  sich 
auch  ein  regelmässiger  Betrieb  auf  dem 
vielfach  verästelten  Schienennetze.  Aus 
letzterem  Grunde  wird  demnach  auch 
darangegangen ,  eine  eigene  Betriebs- 
leitung für  diese  Bahn  vom  Regimente 
aufzustellen. 

In  rein  militärischer  und  organisato- 
rischer Beziehung,  brachte  das  Jahr  iSgo 
einen  wichtigen  Wendepunkt  in  der  Ge- 
schichte des  jungen  Regimentes, 

Von  der  Bedeutung  und  vielfachen 
Verwendung  des  Regimentes  überzeugt, 
wurde  in  diesem  Jahre  ein  drittes  Bataillon 
ans  den  im  gleichen  Jahre  aufgelösten  vier 
Rcserve-Genie-Compagnienaufgestellt. 

Da  die  bestehenden  zwei  Kasernen 
Komeuburgs   für   die  Unterbringung  des 


3.  Bataillons  keinen  Raum  boten,  hing 
die  Frage  über  die  Dislocirung  dieses 
Bataillons  von  dem  Verhalten  der  Stadt- 
gemeinde Komeuburg  gegenüber  dem 
Neubau  einer  weiteren  entsprechend 
grossen  Kaserne  ab.  Dank  dem  Ent- 
gegenkommen der  Stadt  gemeinde,  wurde 
auch  diese  Frage  zu  Gunsten  des  Regi- 
mentes gelöst  und  von  der  Stadt  eine, 
den  weitestgehenden  und  modernsten 
Ansprüchen  genügende  Kaserne  mit  einem 
eigenen  Stabsgebäude  erbaut.  Von  diesem 
Momente  an  hatte  das  Regiment  eigentlich 
erst  seine  eigene  Scholle. 

Während  des  Baues  der  neuen  Kaserne 
wurde  das  zweite 
Bataillon  proviso- 
risch nach  Kloster- 
neuburg verlegt, 
von  wo  es  nach 
Fertigstellung  des 
Baues  1892  wieder 
nach  Komeuburg 
zurückkehrte. 

.Mit  der  Aufstel- 
lung eines   3,  Ba- 
taillons und  Verei- 
nigung des  ganzen 
Regimentes  musste 
naturgemäss   auch 
I    eine  Vergrösserung 
des  Uebungsplatzes 
Hand  in  Hand  ge- 
hen. Durch  den  Bau  grösserer  Werkstätten 
mit  Gattersäge  und  Dampfbetrieb,  durch 
die  Herstellung  eines  kleinen  Heizhauses, 
ferner  durch  die  Errichtung  von  Baracken 
für  die  Unterbringung  des  im  Laufe  der 
Jahre    sich    immer    mehr    ansammelnden 
Uebungsmateriales  —  entstand  eine  förm- 
liche   Ansiedlung    auf    dem    Platze,    wo 
noch    vor    Kurzem   Felder    waren.     Ein 
eigener,  permanent   angelegter  Bahnhof, 
welcher    sich     mit    seinen     verschieden- 
artigsten Oberbauconstructionen  wie  eine 
Ge.schichte  des  Eisen  bah  nbaues  der  jüng- 
sten Jahre  ansieht,  befindet  sich  an   und 
zwischen  den  erwähnten  Hochbau- Objec- 
ten und  ist  mit  dem  Bahnhofe  der  Nord- 
westbahn  durch    ein  Geleise   in  Verbin- 
dung gebracht. 

Von  diesem  Uebungsbahnhofe  aus 
beginnt  alljährlich,  wenn  der  Schnee 
geschmolzen    und    die    ersten    Frühlings- 


Unsere  Eisenbahnen  im  Kriege. 


172 


Vom  Eisenbahnbureau  des  k.  u.  k.  Generalstabes. 


stürme  das  Donauthal  durchbrausen,  ein 
geschäftiges  Treiben  von  Früh  bis  Abend. 
Heute,  wetteifernd  mit  der  Infanterie  im 
strammen  Exerciren,  morgen  Oberbau- 
legen bis  an  die  Donau  und  weit  hinauf 
längs  dem  Ufer,  dann  wieder  der  Bau 
hölzerner  und  eiserner  Eisenbahnbrücken 
über  die  vielen  Arme  der  Donau,  welche 
die  Au  durchziehen,  oder  über  die  künst- 
lichen Hindemisse,  welche  in  das  Terrain 
eingebaut  wurden,  ein  Netz  von  Telegra- 
phen- und  Telephon-Linien  —  all  dies 
im  bunten  und  doch  streng  geregelten 
Durcheinander,    das   sich   da  täglich  auf 


dem  Räume  zwischen  Donau  und  Nord- 
westbahn abspielt. 

Den  Schluss  der  jährlichen  Sommer- 
übungen bildet  eine  grössere  feldmässige 
Uebung,  welche,  zumeist  zusammen- 
hängend, alle  Zweige  der  Ausbildung 
umfasst,  und  unter  vollkommen  feld- 
mässigen  Annahmen   durchgeführt  wird. 

Die  Vielseitigkeit  dieser  Uebungen 
wird  wohl  am  besten  durch  die  Wieder- 
gabe eines  Uebungsprogrammes  für  die 
Zeit  der  Sommerübungen  illustrirt,  wie 
z.  B.  durch  das  nachstehende,  für  das 
Jahr  1895  ausgegebene  Programm. 


C 

I 
2 

3 
4 

5 

Zeitraiun 

Arbeitstage  | 

I. 

2. 

1 

3- 

4. 

1 

1 
1    5. 

6. 

7. 

8. 

9. 

10. 

II.          12. 

von 

bis 

1 

c 

I    0    m    p    a    g    n    i 

e 

1 

1/4 

7/4 

14/4 
21/4 

128/4 

1 

6/4 

13/4 
20/4 

27/4 

6 

3 

4 

r6 

Reisigarbeiten                                                      1 

1 

1                      1 

Flüchtige  j  Eisenbahn- 
Feldbahn  ,    Oberbau 

Hölzerne  Brücken 

1 
1 

1 

1  Eisenbahn- 
Oberbau 

1 

Eiserne 
Brücken 

1 

Hölzerne 
Brücken 

4/5    6" 

Eisenbahn- 
Oberbau 

1 

Flüchtige 
Feldbahn 

1 

erne 

Eiserne 
Brücken 

6 

5/5 

II/5 

18/5 

25/5 

1/6 

8/6 

1  6 

1 

6 

|6 

|5 

ii     £is< 

«-•  •       «    « 

Eisenbahn- 
Oberbau 

7 
8 

9 

10 

12/5 
19/5 
26/5 
2/6 

ii    Brücken     i^isenoann- 
1                          Oberbau 

flüchtige 
Feldbahn 

1 
1 

Eisenbahn- 
!    Oberbau 

Eiserne  Brück 

1 . 

Hölzerne  Brticl 

en 

Eiserne 
Brücken 

Hölzerne 
1    Brücken 

Flüchtige 
Feldbahn 

11  9/6 

12  16/6 

15/6  i  5 
22/6    6 

cen 
ahn 

1     Flüchtige  Feldbi 

1 

ahn 



bau 

Hölzerne 
Brücken 

13 
14 

23/6 

i30/6 

29/6 

6/7 

13/7 
20/7 

27/7 

5 
6 
6 
16 
^6 
6 
6 

Flüchtige  Feldb 

^1 

Eisenbahn -Ober 

1' 
1 

1            Brück 

1 

enbau 

15'    7/7 

16  14/7 

17  21/7 

1            _   _    . 

1 

Eisen 
Bahi 

bahn-( 
ihofeir 

Dberbau  und 
irichtungen 

1            Brück 

11 
1' 

enbau 

,  Bahnhofeir 

irichtungen 

18 1  28/7     3/« 
19'    4/8    10/8 

1 

Flüchtige 

1 

Feldbahn 

Brückenbau 

1,  rJannnoteinnüiuu 

ahn 

1 

Eisenbahn 

i-Oberbau 

20   Ji/8 

17/8  i  5 ' 

1     Flüchtige  Feldb 

21 1  18/8   24/8 

6 

1 

1 

V orberei 

tungen  für  die  grossen  l 

Jebungen 

22  1 25/8 

23  1/9 

1 

31/8 

7/9 

;  6 

1 

Gemeinschaftliche  gi 

1 

össere  Uebungen  [feldmi 
Programui. 

issig]  nach  s 

peciellem 

Unsere  Eisenbahn« 


Es  braucht  nicht  erläutert  zu  werden, 
ilass  für  die  im  Vorhergehenden  kurz 
skizzirten  Verrichtungen  des  Regimentes, 
welche  fast  das  gesammte  Gebiet  des 
Eisenbahnwesens  umfassen,  eine  gründ- 
liche theoretische  Schulung  sowie  eine 
stete  Weiterbildung  von  unbedingter  Noth- 
wendigkeit  sind. 

Dieser  technischen  Vorbildung  ist 
sowohl  für  die  Officiere  als  auch  ftlr  die 
Mannschaft  der  Winter  gewidmet. 

Nach  beendeter  Recrutenausbildung, 
welche  ganz  analog  wie  bei  der  Infanterie 


I  so    dass   sie    in   Stand    gesetzt    werden, 

i  kleinere  technische  Arbeiten  auch  selbst- 
ständig auszuführen,  bei  grösseren  Ver- 
richtungen einzelne  Arbeitsparlieen  zu 
leiten  und  zu  überwachen.  Die  Mann- 
schaftsschulen  müssen,  da  das  Regiment 
sich    aus   allen    Theilen    der    Monarchie 

j  ergänzt,   auch   in  der  Muttersprache  der 

I   Leute  abgehalten  werden. 

I         An  diese,  bei  jeder  Compagnie  selbst- 

j  ständig  aufgestellten  Schulen  schliessen 
sich    Specialschulen    fUr   den    Bau    und 

I  Betrieb  der  Telegraphen-  und  Telephon- 


durchgefUhrt  wird,  öffnen  sich  die  ver- 
schiedenen Schulen  des  Regimentes, 
welche  bezüghch  der  Schulung  des  Mannes 
je  nach  den  geistigen  Fähigkeiten  und 
Vorkenntnissen  in  Mannschafts-  und  Unter- 
ofliciers-ßildungsschulen  zerfallen. 

Während  in  den  ersteren  —  abgesehen 
von  den,  jedem  Soldaten  zu  wissen 
nöthigen  reglementarischen  Kenntnissen 
-  die  speciellen  technischen  Verrich- 
tungen des  Regimentes  nur  in  jenem 
Umfange  beigebracht  werden,  welche  den 
Mann  zu  einer  verwendbaren  technischen 
Hilfskraft  befähigt,  werden  inderCliargen- 
schule  die  fähigsten  Leute  zu  Unter- 
officieren  und  Partieführem   ausgebildet, 


linien,  für  den  Verkehrsdienst,  eine  spe- 
cteile Zimmermanns  schule  u.  s,  w.  Bei 
allen  diesen  Schulen  gilt  als  erster  päda- 
gogischer Grundsatz  eine  möglichst  aus- 
gedehnte Anwendung  des  Anschauungs- 
Untemchtes,  zu  welchem  Zwecke  das 
Regiment  sich  im  Laufe  der  Jahre  eine 
sehr  reichhaltige  Modellsammlung  aus 
eigenen  Mitteln  und  zumeist  mit  eigenen 
Kräften  sowie  ein  nach  dem  Muster  der 
Kaiser  Ferdinands-Xordbahn  eingerich- 
tetes Betriehszimmer  [vgl.  Abb,  41],  ein 
Telegraphenzimmer  u.  s.  w.  einrichtete. 
Die  Einjährig-Freiwilligenschule  zer- 
fallt in  zwei  Gruppen,  u.  zw.  in  eine 
für    den    reinen    Eisenbahndienst    und   in 


174 


Vom  Eisenbahnbureau  des  k   u.  k.  Generalstabes. 


eine  für  den  Telegraphendienst,  wobei 
die  rein  militärischen  Gegenstände,  deren 
Kenntnis  allen  Officieren  der  Reserve 
gleichmässig  zu  eigen  sein  müssen,  ge- 
meinschaftlich vorgetragen  werden. 

Wie  auf  diese  Weise  Alles  aufgeboten 
wird,  um  die  Wintermonate  möglichst 
für  die  Schulung  der  Mannschaft  aus- 
zunützen, so  wird  auch  für  das  Officiers- 
corps  nebst  Fecht-,  Schiess-  und  Reit- 
übungen jährlich  auch  eine  Reihe  von 
Specialcursen  errichtet,  während  in  allwö- 
chentlichen Vorträgen  specielle,  theils  rein 
technische,  theils  militärische  Fragen  er- 
örtert werden.  Einzelne  Officiere  wer- 
den auch  an  die  technische  Hochschule 
nach  Wien  entsendet,  um  sich  während 
einer  zweijährigen  Dauer  dieser  Com- 
mandirung  in  bestimmten  Fächern  noch 
intensiver  ausbilden  zu  können.  Nach  dem 
allgemein     giltigen   Grundsatze    »Reisen 


bildet«,  der  wohl  am  zutreffendsten  auf 
jeden  Techniker  seine  Anwendung  findet, 
werden  jährlich  Officiere  auf  4 — 5  Wo- 
chen ins  Ausland  entsendet,  um  hervor- 
ragende technische  Unternehmungen  zu 
Studiren,  und  wird  überdies  jede  Gelegen- 
heit benützt,  um  interessante  Bauten  des  In- 
landes, vor  Allem  die  stets  den  Stempel  der 
Feldmässigkeit  an  sich  tragenden  Wie- 
derherstellungen zerstörter  Bahnstrecken 
zu  besichtigen  und  zu  studiren. 

Auf  diese  Weise  schreitet  das  Regi- 
ment unverdrossen  auf  den  eingeschlage- 
nen Bahnen  vorwärts,  von  der  Hoffnung 
beseelt,  dass  dasselbe,  sei  es  im  Frieden, 
sei  es  im  Kriege,  jene  huldvollsten  Worte 
der  Anerkennung  seitens  Seiner  Majestät 
abermals  zu  verdienen  wisse,  die  ihm  zu 
seinem  Glücke  vmd  zu  seinem  Stolze  bei 
den  Allerhöchsten  Inspicirungen  bisher 
zutheil  geworden. 


Tracirung. 


Karl  Werner, 

Gepcral-Impecilan  der  Oitcii 


WIE  die  Entwicklungs-Geschichte 
der  Eisenbahn- Technik  über- 
haupt, so  steht  auch  die  Tra- 
ctrun^  in  ihren  einzelnen  Stadien  in  eng- 
ster Wechselbeziehung  mit  der  jeweiligen 
Wahl  der  Tractions mittel  und  mit  den 
auf  diesem  Gebiete  erzielten  successiven 
Fortschritten. 

Wenn  wir  jene  elementaren  Anfänge, 
wo  einzelne  Vehikel  mittels  menschlicher 
oder  animalischer  Kräfte  bewegt,  und  zur 
leichteren  Ueberwindung  der  rollenden 
Reibung  die  rauhe  nachgiebige  Boden- 
oberfläche mit  Brettern,  Pfosten  oder 
Bohlen  belegt  und  solcherart  kürzere  oder 
längere  Wegstrecken  für  specielle  Privat- 
zwecke geebnet  wurden,  übergehen,  und 
unsere  Beobachtung  erstmitjenemAugen- 
blicke  beginnen,  wo  unter  Vorsteckung 
eines  allgemeineren  Zieles  die  regel- 
mässige Nutzbarmachung  ausgedehnter 
Wegstrecken  für  den  öffentlichen  Verkehr 
angestrebt  wurde,  so  dUrfen  wir  den  Be- 
ginn der  Eisenbahn-Geschichte  Oester- 
reichs  mit  dem  Jahre  1824  ansetzen,  um 
welche  Zeit  durch  Seine  Majestät  Kaiser 
Franz  I.  dem  Professor  Anton  Ritter  von 
Gerstner  ein  Privilegium  zum  Bau  einer 
Holz-  und  Eisenbahn  ertheilt  wurde,  welche 
die  directe  Verbindung  der  Donau  mit  der 
Moldau  bezweckte.  Wie  schon  die  Be- 
zeichnung »Holz-  und  Eisenbahn-  deut- 
lich sagt,  sollte  dieser  Verkehrsweg  nach 
Art  der  in  Bergwerken  gebräuchhchen 
Förderbahnen  aus  hölzernen,  mit  Eisen- 
schienen belegten  Langschwellen  gebildet 


werden;  die  Fahrbetriebsmittel  sollten 
von  Pferden  bewegt  werden.*) 

Dieses  auf  eine  Zeitdauer  von  50 
Jahren  lautende  Privilegium  concedirte 
zunächst  den  Bau  und  Betrieb  einer  von 
.Mauthausen  bis  Budweis  reichenden  Linie 
und  hatte  ausser  dem  Transport  von 
Personen  und  Sachen  aller  Art  auch  die 
leichtere  Verfrachtung  der  Salinenpro- 
ducte  aus  dem  Salz  kammergut  gegen 
Norden  hin  im  Auge.  Den  technischen 
Bedingungen  dieser  Urkunde  zufolge 
sollten  bei  Erbauung  der  Bahn  imd  den 
hiebei  wahrzunehmenden  öffenthchen 
Rücksichten,  die  allgemeinen  Normen  des 
Strassenbaues  zur  Richtschnur  genommen 
werden. 

Als  Spurweite  war  das  Mass  von 
3'/,  Schuh  [!■!  m],  als  grösste  Steigung 
I  :  100  und  als  kleinster  Bogenradius  der 
von  100  Klaftern  [iSg'ö  m]  in  Aussicht 
genommen,  wobei  die  Absicht  massgebend 
war,  den  Pferdebetrieb  später  durch  den 
Locomotivbetrieb  zu  ersetzen. 

Trotz  der  anspruchslosen  und  schlich- 
ten Form,  in  der  dieser  erste  Repräsen- 
tant der  Eisenbahnen  auf  dem  Continent 
uns  entgegentritt,  verdient  derselbe  gleich- 
wohl in  Bezug  auf  die  Tracenfühning 
unsere  volle  Aufmerksamkeit.  Mit  der 
Meeres  -  Cöte  von  257  tn  an  der 
Donau   beginnend,     hatte    die  Linie    die 

•)  Vgl.  Bd.  I,  1.  Theil,  H.  Strach,  Ge- 
schichte der  Eisenbahnen  in  Oesterreich- 
Ungarn  von  den  ersten  Anfängen  bis  zum 
Jahre  1867,  S.  91  "■  ff- 


^ 


178 


Karl  Werner. 


Wasserscheide  zwischen  dem  Schwarzen 
Meere  und  der  Nordsee,  beziehungsweise 
zwischen  Donau  und  Moldau  zu  über- 
steigen. Nachdem  die  zwischen  den  süd- 
östlichen Ausläufern  des  Böhmerwald- 
Gebirges  und  dem  Weinsberger  Walde 
sich  darbietende  Einsattlung  bei  Kersch- 
baum  eine  Meeres-Cöte  von  675  w 
aufweist  und.  das  nördliche  Endziel  bei 
Budweis  in  einer  Meereshöhe  von  390  #« 
liegt,  musste  die  Linie  von  ihrem 
Anfangspunkte  aus  zuerst  die  Höhen- 
differenz von  418  m  ersteigen  und 
hierauf  wieder  bis  Budweis  285  m 
tief  herabsinken.  Zur  Entwicklung  der 
Trace  mit  den  oben  genannten  Steigungs- 
verhältnissen boten  auf  der  Südseite  der 
Kerschbaumer  Einsattlung  die  mannigfach 
gewundenen  Seitenthäler  und  Mulden  der 
Aist,  auf  der  Nordseite  die  wellenförmig 
gegliederten  Gelände  des  Maischfluss- 
gebietes   eine    überaus   reiche   Auswahl. 

Mit  der  im  Jahre  1828  erfolgten  Voll- 
endung des  Baues  der  Nordstrecke  Bud- 
weis-Kerschbaum  war  im  ursprünglichen 
Programm  insofeme  eine  Aenderung  ein- 
getreten, als  die  südliche  Fortsetzung 
nicht  mehr  gegen  Mauthausen,  sondern 
direct  gegen  Urfahr  hin  erfolgen  sollte, 
um  eine  bequemere  Verbindung  mit  der 
mittlerweile  intendirten  Pferdebahnlinie 
Linz  -  Wels  -  Lambach  -  Gmunden  zu  ge- 
winnen. Der  südliche  Tracentheil  folgte 
demnach  nicht  mehr  dem  Gebiete  der 
Aist,  sondern  entwickelte  sich  von  Kersch- 
bäum  abwärts  über  Lest  längs  der  Gusen 
und  über  Gallneukirchen,  TrefFling  und 
Sf.  Magdalena  bis  Urfahr,  wobei  das 
Gefällsverhältnis  bis  Lest  auf  i  :  90,  der 
Bogenradius  auf  30  Klafter  [56*9  w], 
zwischen  Lest  und  Bürstenbach  sogar 
bis  auf  I  :  46,  respective  auf  20  Klafter 
[37*9  m]  verschärft  werden  musste;  hie- 
mit  war  auch  die  Hoffnung  auf  seiner- 
zeitige Einführung  des  Locomotivbetrie- 
bes  geschwunden.  Die  ursprünglich  für 
ein  Pferd  berechnete  Nutzlast  von  45  Cent- 
nem  musste  streckenweise  auf  die  Hälfte 
reducirt  werden. 

Auf  Grund  des  im  Jahre  1832  an  die 
Handlungshäuser  Geymüller,  Rothschild 
und  Stametz  ertheilten  Privilegiums  wurde 
die  Linie  von  Linz  über  Wels  und  Lam- 
bach   nach    Gmunden    miter     ähnlichen 


Anlage  Verhältnissen  gebaut.  Die  Länge 
der  Linie  Urfahr-Budweis  war  67.940 
Klafter  [128*847  ^^]^  2^^^  ^^r  Linie  Linz- 
Gmunden  35.820  Klafter  [67*932  k^n]. 

Bekanntlich  wurde  diese  »Erste  öster- 
reichische Eisenbahn«  auf  Grund  der  der 
Kaiserin  Elisabeth-Bahn  im  Jahre  1857  er- 
theilten Concession  successive  in  eine 
Locomotivbahn  umgestaltet.  Die  Strecke 
Budweis-Kerschbaum  bestand  noch  bis 
zum  I.  April  1870  als  Pferdebahn. 

Den  weiteren  Fortschritt  der  Eisen- 
bahn-Technik können  wir  nicht  mehr  auf 
dem  Gebiete  der  Pferdebahnen  verfolgen, 
wir  müssen  uns  zurückwenden  zu  den 
Anfängen  des  Locomotivbaues,  denn  mit 
dem  allmählichen  Bekanntwerden  und  mit 
der  Vervollkommnung  dieses  Tractions- 
mittels  vollzog  sich  im  gesammten  Ver- 
kehrswesen eine  totale  Umwälzung. 

Wie  schon  früher  erwähnt,  datirt  der 
Gebrauch  eisenbeschlagener  Holzschienen, 
auf  welchen  sich  die  bei  Bergbauten  ver- 
wendeten Vehikel  bewegten,  in  die  frühe- 
sten Zeitperioden  zurück  und  lief  auch 
der  schon  im  Jahre  18 14  von  Stephenson 
construirte  erste  Dampfwagen  auf  einer 
ähnlich  gebildeten  Fahrbahn.  Der  eigent- 
liche Beginn  des  Locomotivbaues  und 
somit  auch  der  Beginn  der  modernen 
Eisenbahn-Technik  kann  jedoch  erst  mit 
dem  Jahre  1829  angesetzt  werden,  um 
welche  Zeit  Georg  Stephenson  mit  seiner 
nach  dem  Röhren-System  gebauten  Loco- 
motive  »Rocket«  auf  der  Liverpool-Man- 
chester Bahn  einen  so  ungeahnten  Er- 
folg   erzielte. 

Aber  nicht  etwa  nur  für  die  englische, 
sondern  ganz  speciell  auch  für  die  öster- 
reichische Entwicklungs  -  Geschichte  der 
Eisenbahnen  hat  dieser  Zeitpunkt  als 
Markstein  zu  gelten,  denn  jenen  ersten 
Erfolgen,  welche  in  England  gefeiert 
wurden,  war  mit  durchdringendem  Blicke 
und  scharfem  Verständnisse  Schritt  für 
Schritt  ein  österreichischer  Denker  und 
Gelehrter  gefolgt:  der  seit  dem  Jahre 
18 19  an  das  Wiener  Polytechnicum  für 
die  Lehrkanzel  der  Mineralogie  und 
Waarenkunde  berufene  Professor  Franz 
Xaver  Riepl. 

Schon  damals,  also  im  Jahre  1829, 
erfasste  Riepl  angesichts  der  in  England 
erzielten  Erfolge  die  mächtige  Idee,   zu- 


Tracirung. 


179 


nächst  das  Ostrau-Karwiner  Kohlenbecken 
durch  eine  Locomotiv-Eisenbahn  mit  Wien 
zu  verbinden,  und  diese  Linie  dann  bis 
zu  den  Salzwerken  Bochnias  zu  verlän- 
gern. Um  seine,  für  die  damalige  Zeit 
gewiss  grossartig  kühne  Idee  zu  con- 
cretiren,  unternahm  Riepl  irri  Jahre  1830 
eine  Studienreise  nach  England  und  war 
seit  jener  Zeit  unablässig  bemüht,  die  Vor- 
theile  des  neuen  Communications-Mittels 
seinem  Vaterlande  nutzbar  zu  machen. 
Aber  erst  nach  sechs  Jahren  unermüd- 
lichen Studiums  und  nach  Ueberwältigung 
zahlloser  Schwierigkeiten  war  es  ihm 
im  Vereine  mit  thatkräftigen  Männern 
gegönnt,  seine  dem  Zeitgeiste  weit  vor- 
auseilende Idee  auf  Grundlage  des  im 
Jahre  1836  erflossenen  Nordbahn- Privi- 
legiums, welches  die  Erbauung  und  den 
Betrieb  der  Linie  Wien-Bochnia  mit 
Nebenlinien  nach  Brunn,  Olmütz,  Troppau, 
Bielitz-Biala  und  zu  den  Salz  werken 
Dwory,  Wieliczka  und  Bochnia  concedirte, 
verwirklichen  zu  können. 

Wie  es  nicht  anders  sein  konnte,  wurde 
zunächst  eine  Versuchslinie  [Floridsdorf- 
Wagram]  hergestellt,  um  alle  jene 
Erfahrungen  zu  sammeln,  welche  für 
den  weiteren  Ausbau  grundlegend  sein 
sollten. 

Nach  dem  damaligen  Stande  des 
Locomotivbaues  und  nach  der  primitiven 
Construction  des  Oberbaues,  der  gleich 
jenen  der  Bergwerksbahnen  aus  eisen- 
beschlagenen hölzernen  Langschwellen 
bestand,  musste  auch  die  Bahntrace  die 
denkbar  einfachste  sein:  die  möglichst 
gerade,  horizontale  Linie. 

Dass  die  Aussteckung  einer  geraden 
Linie  dem  Ingenieur  keine  besonderen 
geodätischen  Aufgaben  zu  lösen  gibt,  ist 
insolange  selbstverständlich,  als  auch  das 
Terrain,  über  welches  die  Trace  führt, 
eine  so  günstige  Gestaltung  aufweist, 
wie  dies  bei  den  von  den  ersten  Bahn- 
linien durchzogenen  Gebieten  eben  der 
Fall  war.  Die  Aufgaben  der  damaligen 
Tracirungsarbeiten  überschritten  demnach 
kaum  die  Sphäre  eines  Feldgeometers. 
Dabei  konnte  auch  mit  den  einfachsten 
Messrequisiten  und  Instrumenten  das  Aus- 
langen gefunden  werden.  Im  Uebrigen 
hatte  derTracirungs-Ingenieur  sein  Augen- 
merk allenfalls  auf  die  richtige  Wahl  der 


Uebersetzungsstelle   eines  Flusses,    einer 
Strasse  oder  dergleichen  zu  richten. 

Diese  elementaren  Verhältnisse  hatten . 
insolange  ihre  volle  Berechtigung,  als 
das  Gestänge  des  Oberbaues  in  seiner 
primitiven  Constructionsweise  einen  ver- 
lässlichen Widerstand  gegen  seitliche  Ver- 
schiebung nicht  zu  leisten  vermochte  und 
angesichts  der  geringen  Fahrgeschwindig- 
keit der  Bahnzüge  auch  nicht  zu  leisten 
hatte.  Nur  nothgedrungen  wurden  Krüm- 
mungen angewendet,  dabei  aber  der 
Curven-Radius  von  1000  Klaftern  [1896m] 
als  Minimum  des  Zulässigen  angesehen. 

Unter  steter  Nutzanwendung  der  auf 
der  ersten  Versuchsstrecke  gewonnenen 
Erfahrungen  wurde  stückweise  an  die 
Weiterführung  der  Nordbahnlinien  ge- 
schritten. 

Im  Allgemeinen  bietet  bereits  das  erste 
Stadium  der  Entwicklung  des  Locomotiv- 
Eisenbahnbaues  in  Oesterreich  auch  vom 
speciellen  Standpunkte  der  Tracirung 
mannigfaches  Interesse. 

Die  Männer,  welche  die  neue  Aufgabe 
erhielten,  die  Trace  für  die  Nordbahn 
aufzusuchen  und  das  bezügliche  Project 
zu  verfassen,  hatten  ihre  Befähigung 
bereits  bei  der  Ausmittlung  und  dem 
Baue  schwieriger  Gebirgsstrassen  erprobt. 
Sie  sollten  den  Bahnkörper  vorbereiten 
für  den  aus  England  gelieferten  Tractions- 
Apparat,  bei  -welchem  die  Locomotive 
mit  einem  Adhäsionsgewichte  von  kaum 
6  t  Achsdruck  die  erforderliche  Leistungs- 
fähigkeit nur  bei  sehr  schwach  geneigten 
Tracen  [wie  die  ersten  englischen  Bahnen 
aufwiesen]  ermöglichte. 

Die  zunächst  zum  Baue  gelangenden 
Theilstrecken  Wien-Brünn  und  Lunden- 
burg-Prerau  wurden  daher  mit  sehr 
günstigen  Neigungs-  und  Richtungs- 
verhältnissen projectirt  und  ausgeführt. 
Die  Maximalsteigung  war  bis  zu  Y300 
[3*333 7oo]  ^^^  ^^^  schwierigen  Terrain- 
verhältnissen in  Anwendung  gebracht, 
und  die  gerade  Richtung  nur  sehr  selten 
durch  Bahnkrümmungen  mit  sehr  grossen 
Radien  unterbrochen.  Der  kleinste  Radius 
von  759  w  wurde  nur  einmal  an  der  Ueber- 
setzungsstelle der  March  bei  Napagedl 
angewendet. 

Während  der  ersten  Zeit  des  Betriebes 
der  Strecke  Wien-Brünn,  zur  Zeit  als  die 


i8o 


Karl  Werner. 


Theilstrecke  Prerau-Oderberg  noch  in 
Vorbereitung  sich  befand,  war  man  zur 
Bewältigung  des  Verkehrs  genöthigt  ge- 
wesen, Locomotiven  grösserer  Leistungs- 
fähigkeit mit  einem  Achsdrucke  von  12  t 
und  eine  stärkere  Geleise-Construction  zu 
beschaffen. 

Die  dadurch  erzielte  grössere  Leistimgs- 
fähigkeit  der  Betriebsanlage  ermöglichte 
für  die  Weiterführung  der  Linie  von 
Prerau  gegen  Oderberg,  insbesondere  be- 
hufs Ersteigimg  der  europäischen  Wasser- 
scheide bei  Mährisch-Weisskirchen  an  den 
Gehängen  des  rechten  Ufers  der  BeCva 
die  Anwendung  stärkerer  Neigungen  und 
häufiger  Krümmungen. 

Mit  der  Steigerung  des  Neigungs- 
verhältnisses blieb  man  trotz  der  erheb- 
lichen Bauschwierigkeiten,  welche  die 
Theilstrecke  zwischen  Prerau  und  Zauchtel 
darbot,  in  bescheidenen  Grenzen  —  man 
überschritt  nicht  die  Maximalsteigung  von 

V240  [4'^77oo]*  Selbst  in  dem  weiteren 
Zuge  der  Bahn  bis  Oswiecim  hielt  man 
an  den  fUr  die  ersten  Theilstrecken  auf- 
gestellten Grundsätzen  fest.  Erst  in  der 
Strecke  von  Oswiecim  bis  Trzebinia, 
welche  von  Staatswegen  gebaut,  und  bei 
der  Strecke  von  Trzebinia  nach  Krakau, 
welche  in  dem  ehemaligen  Krakauer 
Gebiete  von  der  Oberschlesischen  Bahn- 
gesellschaft hergestellt  wurde,  steigern 
sich  die  Neigungsverhältnisse  auf  57oo> 
beziehungsweise  6*66 7oo>  ^^^  ^^^  kleinste 
Halbmesser  verringert   sich  auf  660  w. 

Das  bei  derProjectverfassung  der  Kaiser 
Ferdinands-Nordbahn  festgehaltene  Prin- 
cip,  möglichst  günstige  Neigungs-  und 
Krümmungsverhältnisse  zu  erzielen,  hat 
sich  bei  diesem  Unternehmen  vortreif- 
lich  bewährt,  und  dessen  hohe  Leistungs- 
fähigkeit und  Prosperität  begründet. 

Bekanntlich  war  die  Linie  von  Wien 
bis  Brunn  im  Jahre  1839  bereits  dem 
öffentlichen  Verkehr  übergeben. 

Ermuntert  durch  die  günstigen  Erfolge, 
welche  die  Nordbahn-Gesellschaft  auf 
ihren  Linien  erzielte,  trat  die  Unter- 
nehmung der  Wien-Gloggnitzer  Bahn 
ins  Leben  und  wurden  im  Jahre  1841 
nacheinander  die  Strecken  Baden- Wiener- 
Neustadt,  Mödling-Baden,  Wien-Mödling, 
Wiener-Neustadt- Neunkirchen,  und  im 
Jahre    1842    die    Strecke    Neunkirchen- 


Gloggnitz  dem  öffentlichen  Verkehre  über- 
geben. Hiebei  kamen  in  den  Einzel- 
strecken Wien-Baden,  Baden  -  Wiener- 
Neustadt  und  Wiener-Neustadt-Gloggnitz 
correspondirend  die  Maximalsteigungen 
von  2 '5,  3*5  und  7*7  ^Jqq^  beziehungsweise 
die  Minimal-Radien  von  1896*5,  265*5 
und  796*5  nt  in  Anwendung.  Der  Zug 
dieser  Linie  bewegt  sich  bekannt- 
lich von  Wien  ab  zunächst  am  West- 
rande des  Wiener  Beckens,  tritt  bei 
Solenau  in  die  Ebene  des  Steinfeldes 
und  erreicht,  sich  allmählich  dem  linken 
Ufer  der  Schwarza  nähernd,  mit  sanfter 
Ansteigung  Gloggnitz. 

Auch  die  Entwicklung  dieser  Linie 
bietet  relativ  noch  wenig  Interessantes 
für  den  tracirenden  Ingenieur;  an  dem 
Ideale  der  geraden  Linie  wurde  auch 
zu  jener  Zeit,  wo  der  schwankende 
Holz-Oberbau  -schon  längst  von  der 
eisernen  breitbasigen  Schiene  verdrängt 
war,  selbst  mit  Aufopferung  bauöcono- 
mischer  Vortheile  noch  immer  festge- 
halten, und  als  ein  markantes  Zeichen 
jener  Zeit  sehen  wir  noch  heute  am 
Nordportale  des  Gumpoldskirchner  Tun- 
nels in  goldenen  Lettern  den  Wahlspruch 
leuchten:  RECTA  SEQUI. 

Indessen  war  der  unternehmende  Geist 
des  zum  Baue  der  vorerwähnten  Wien- 
Gloggnitzer  Bahn  berufenen  Mathias 
Schönerer  dem  nächsten  Ziele  dieser  Bahn- 
linie weit  vorausgeeilt, durch  die  fürjeneZeit 
staimenswerthe  Idee  der  Fortsetzungslinie 
über  den  Semmering.  Schon  im  Jahre  1839 
hatte  Schönerer  generelle  Studien  für  eine 
Bahnlinie  begonnen,  welche  von  der 
Station  Gloggnitz  aus,  nach  Ueber- 
setzung  des  Schwarzaflusses  mit  der 
Steigung  von  i :  28  an  den  nördlichen 
Lehnen  des  Raachberges,  des  Jäger- 
brandes und  des  Sonnwendsteines  sich 
erhebend,  die  Höhe  des  Semmering  er- 
reichen und  mit  Anlage  eines  circa 
1900  tn  langen  Haupttunnels  durch  den 
Rücken  des  Gebirgspasses  in  das 
Fröschnitzthal  oberhalb  Spital  gelangen 
sollte.  Den  Ansporn,  so  steile  Anlage- 
verhältnisse zu  wagen,  gab  ihm  die 
nach  seiner  Rückkehr  von  der  Studien- 
reise aus  Amerika  probeweise  ausgeführte 
Rampe  am  Südbahnhofe  in  Wien,  wo- 
selbst   die  Möglichkeit    erwiesen  wurde, 


Tracirung. 


I8l 


derartige  Steigungen  mit  Adhäsions- 
maschinen zu  befahren. 

Der  Gedanke,  die  norischen  Alpen 
mittels  einer  Eisenbahnlinie  zu  über- 
queren, erlangte  jedoch  erst  eine  con- 
crete  Gestalt  durch  die  im  Jahre  1841 
ediossene  a.  h.  Resolution,  wonach  die 
Fortsetzung  der  Linie  Wien-Gloggnitz 
nach  Süden  bis  an  das  Adriatische 
Meer  durch  den  Staat  selbst  erfolgen 
sollte. 

An  der  Spitze  der  technischen  Rath- 
geber  bei  diesem  grossartigen  Unter- 
nehmen stand  der  k.  k.  Ministerialrath 
Karl  Ritter  von  Ghega,  welcher  schon 
bei  Erbauung  der  ersten  Nordbahnlinien 
seinen  schöpferischen  Geist  bekundet 
hatte. 

Wenn  wir  den  bisher  gekennzeich- 
neten Fortschritt  in  der  Geschichte  des 
österreichischen  Eisenbahnwesens  über- 
blicken, so  müssen  wir  trotz  Anerkennung 
des  mächtigen  Unternehmungsgeistes, 
welcher  die  bis  zu  diesem  Zeitpunkte 
erstellten  Bahnlinien  ins  Leben  rief, 
doch  billigerweise  bekennen,  dass  diesem 
Unternehmungsgeiste  ein  leicht  begreif- 
licher Empirismus  zur  Seite  ging,  der 
umso  gerechtfertigter  erschien,  als  die 
dem  Eisenbahn-Techniker  bis  dahin  ge- 
stellten Aufgaben  ein  ganz  successives 
Fortschreiten  erlaubten.  So  lag  denn  auch 
die  von  der  Nordbahn-Untemehmung  er- 
baute, in  Wien  mit  der  Höhen- Cöte  von 
160  m  über  dem  Meeresspiegel  be- 
ginnende Linie  nach  Krakau,  welche 
hinter  Weisskirchen  mit  der  Meereshöhe 
von  286  nt  ihren  Culminationspunkt 
erreichte,  vollkommen  im  Bereiche  der 
Leistungsfähigkeit  der  damals  bekannten 
Tractionsmittel ;  desgleichen  auch  die 
Linie  Wien-Gloggnitz.  Mit  dem  Vor- 
dringen der  letzteren  aus  dem  Flach- 
lande in  die  enge  Gebirgsfalte  des 
Schwarzaflusses  war  jedoch  der  bis  dahin 
stetige  und  allmähliche  Entwicklungsgang 
der  Eisenbahn-Technik  mit  einem  Male  zu 
einer  rapiden  Steigerung  gedrängt. 

Gleichwie  der  Wanderer,  der  aus  der 
Neustädter  Ebene  in  das  Reichenauer  Thal 
bei  Glogjg^itz  eintritt,  die  Fortsetzung 
seines  Weges  plötzlich  von  majestätischen 
Bergriesen  rings  umstellt  sieht,  ebenso 
thürmten    sich  dem  Techniker,    welcher 


die  Frage  der  Ueberschienung  jenes  zwi- 
schen dem  Reichenauer  und  dem  Mürz- 
thale  gelagerten  Gebirgsmassives  zu 
lösen  hatte,  ringsum  Schwierigkeiten  aller 
Art  entgegen.  Die  verwickelten  topogra- 
phischen und  geologischen  Verhältnisse  des 
zu  übersteigenden  Gebirgsstockes,  die 
infolgedessen  zu  bewältigenden  Colossal- 
bauten,  die  mit  den  damaligen  Tractions- 
mitteln,  selbst  bei  Verzichtleistung  auf 
jede  Nutzlast  kaum  zu  bewältigende  Er- 
steigung der  zwischen  Gloggnitz  und 
dem  Semmering  -  Passe  bestehenden 
Höhendifferenz  von  circa  500  w  auf 
eine  relativ  so  geringe  Länge  und  unter 
so  ungünstigen  klimatischen  Bedingungen 
—  alle  diese  Momente  bedurften  des 
eingehendsten  Studiums  und  der  inten- 
sivsten Anstrengung  aller  geistigen  imd 
körperlichen  Kräfte,  sollte  der  gestellten 
Riesenaufgabe  eine  glückliche  Lösung 
werden. 

Nicht  nur  die  Summe  der  genannten 
Schwierigkeiten  an  und  für  sich,  sondern 
in  erster  Reihe  die  epochale  Bedeutung 
jenes  Stadiums  in  der  Entwicklungs- 
Geschichte  der  gesammten  Eisenbahn- 
Technik,  wo  Oesterreich  auf  diesem  Gebiete 
alle  anderen  Länder  weit  überholte,  lässt 
es  mehrfach  gerechtfertigt  erscheinen,  die 
Spuren  jener  ernsten  Geistesarbeit  näher 
zu  verfolgen. 

Naturgemäss  waren  die  ersten  Vor- 
arbeiten zu  diesem  grossen  Werke  zunächst 
auf  das  Studium  des  zu  überschreiten- 
den Terrains  gerichtet,  und  mussten 
sich  dieselben  bei  der  Vielgestaltigkeit 
des  zwischen  dem  Schwarzaflusse  und 
dem  Mürzthale  sich  erhebenden  Gebirgs- 
reliefs  auf  ein  sehr  ausgedehntes  Gebiet 
erstrecken,  zumal  dem  damaligen  Tech- 
niker noch  kein  so  verlässliches  Karten- 
materiale  zu  Gebote  stand  als  heutigen 
Tages.  Besonders  die  generellen  Erhebun-  • 
gen  und  Terrainstudien  durften  sich  an- 
fangs in  nicht  allzuengen  Grenzen  be- 
wegen. Hiebei  musste  jedoch  der  eigent- 
liche Zweck  der  gestellten  Aufgaben 
stets  im  Auge  behalten,  und  wie  dies 
bei  jeder  schwierigen  Bahntracirung  und 
Projectirung  der  Fall  ist,  die  Lösung 
einer  ganzen  Reihe  von  Fragen  allge- 
meiner Natur  mindestens  in  den  Haupt- 
umrissen vorbereitet  werden. 


l82 


Karl  Werner. 


Der  weitreichende  Zweck  der  inten- 
dirten  Linie  Hess  über  den  Charakter  der 
Bahnanlage,  über  die  von  ihr  verlangte 
Leistungsfähigkeit  sowie  auch  darüber 
keinen  Zweifel  übrig,  dass  die  Bahn 
zweigeleisig  anzulegen  sei;  Erhebungen 
und  Erwägungen  commerzieller  Art  über 
die  zu  gewärtigenden  und  zu  bewältigen- 
den Massentransporte  hatten  die  Grundlage 
für  die  Wahl  der  Tractionsmittel  sowie  für 
die  Beurtheilung  der  Anzahl  der  täg- 
lichen ZWgQ  zu  bilden;  hiemach  waren 
die  baulichen  Anlageverhältnisse  der 
künftigen  Bahn,  ihre  Steigungsverhält- 
nisse, das  Mass  des  kleinsten  Krümmungs- 
halbmessers der  Bogen,  die  Länge  der 
einzelnen  Bahnzüge,  die  Länge  der  Sta- 
tionsplätze und  Ausweichstellen  zu  be- 
urtheilen ;  die  gegenseitige  Entfernung 
der  letzteren  von  einander  war  nach  der 
Anzahl  und  Geschwindigkeit,  respective 
nach  dem  Zeitintervall  der  verkehrenden 
Züge  zu  bemessen;  die  gleichen  Gnmd- 
lagen  dienten  bei  Ermittlung  des  Speise- 
wasser-Bedarfes für  die  Locomotiven  oder 
sonstigen  Motoren,  woraus  die  Entfer- 
nung der  Wasserstationen,  der  W^asser- 
beschaffungs- Anlagen,  der  Kohlen-Depots, 
der  Locomotivremisen,  Drehscheibenan- 
lagen sowie  die  übrigen  allgemeinen 
Bedürfnisse  der  einzelnen  Zweige  des 
Eisenbahndienstes,  der  Hochbauten  und 
Betriebseinrichtungen  abzuleiten  waren. 
Die  Detailfragen  über  die  meisten  der 
letzterwähnten  Anlagen  gehören  aller- 
dings erst  der  eigentlichen  Bauausführung 
an,  jedoch  musste  mit  Rücksicht  auf  den 
organischen  Zusammenhang  aller  ange- 
führten Momente,  die  allgemeine  Dispo- 
sition derselben  schon  im  ersten  Projectsent- 
wurfe  enthalten  sein,  sollte  der  künftige 
Bahnbetrieb  den  gestellten  Anforderungen 
nach  jeder  Richtung  entsprechen  können. 

Wenn  dem  heutigen  Projectanten  und 
Traceur  zur  einheitlichen  Beurtheilung 
und  gegenseitigen  Abwägung  aller  aufge- 
zählten Momente  an  den  bereits  aus- 
geführten Bahnlinien  eine  reiche  Summe 
von  Erfahrungen  zu  Gebote  steht,  so 
waren  die  damaligen  Bahn-Ingenieure  auf 
ihr  eigenes  Intellect  und  auf  ihre  Er- 
findungsgabe allein  angewiesen. 

Leber  das  wichtigste  der  oben  erwähn- 
ten   Momente,    über    das    zu    wählende 


Tractionsmittel,  waren  zu  jener  Zeit  die 
Ansichten  der  massgebenden  Techniker 
sehr  verschieden.  Trotz  der  überraschen- 
den Resultate,  welche  Stephenson  auf  dem 
Gebiete  des  Locomotivbaues  bereits  er- 
zielt hatte,  standen  der  Bewältigung 
grosser  Steigungen  doch  noch  mannig- 
fache Schwierigkeiten  entgegen,  nament- 
lich da,  wo  es  sich  um  grosse  Massen- 
transporte handelte;  für  diesen  letzteren 
Zweck  waren  in  Frankreich,  England, 
Belgien,  Deutschland  und  Amerika  zu- 
meist schiefe  Ebenen  mit  Seilbetrieb, 
d.  i.  also  mit  stabilen  Motoren  in  An- 
wendung. Wenn  der  Locomotive  schon 
bei  ihrem  ersten  Erscheinen  die  atmosphä- 
rischen Bahnen  verschiedener  Systeme 
als  Rivalen  gegenüberstanden,  so  er- 
blickten nunmehr  auch  die  Vertreter  der 
Seilebenen  einen  W'iderpartner  in  der 
Locomotive,  sobald  deren  vervollkomm- 
nete Constructionsweise  der  Hoffnung 
Raum  gab,  auch  stärkere  Steigungs Ver- 
hältnisse zu  bewältigen.  Dem  zwischen 
den  Vertretern  der  verschiedenen  Trac- 
tionsmittel rege  gewordenen  Wettkampfe 
hatte  Ghega  schon  gelegentlich  einer  in 
den  Jahren  1836  und  1837  i^^ch  Deutsch- 
land, Belgien,  Frankreich  und  England 
unternommenen  Studienreise  seine  Auf- 
merksamkeit zugewendet,  und  war  an  der 
Hand  der  gewonnenen  Erfahrungen,  ins- 
besondere aber  auf  der  untrüglichen  Basis 
mathematischer  Forschung  schon  damals 
zur  Ueberzeugung  gelangt,  dass  die  Ent- 
wicklungsfähigkeit der  Lovomotive  geeig- 
net sei,  diesem  Tractionsmittel  auf  dem 
Gebiete  des  Eisenbahn-Betriebes  die  sou- 
veräne Alleinherrschaft  zu  sichern.  Aber 
nicht  nur  aus  den  angeführten  Gründen 
allein  blieb  Ghega  ein  entschiedener  Ver- 
fechter der  Locomotive;  seinem  fein- 
fühligen praktischen  Sinne  widerstrebte 
es,  bei  Uebersteigung  des  Semmering 
die  Seilebene,  also  ein  heterogenes  Be- 
triebsmittel als  Zwischenglied  in  die 
grosse,  sonst  durchwegs  für  Locomotiv- 
betrieb  bestimmte  Verkehrsader  einzu- 
schalten. 

Unbeirrt  von  dem  inzwischen  an- 
dauernden Wettkampfe  zwischen  Seil- 
ebenen und  Locomotiven  wurden  schon 
im  Jahre  1842  die  Terrainstudien  unter 
der  Cynosur  des    künftigen    ausschliess- 


Tracirung. 


183 


liehen  Locomotiv- Betriebes  begonnen  und 
derart  fortgesetzt,  dass  alle  Möglichkeiten 
derTracenführung  in  gründliche  Erwägung 
gezogen  werden  konnten. 

Wenn  wir  den  rein  geodätischen  Theil 
der  Tracirung  etwas  näher  betrachten, 
so  sehen  wir,  dass  angesichts  der  com- 
plicirten  Terrain-Configuration  mit  der 
Ijis  zu  jenem  Zeitpunkte  gebräuchlichen 
•Methode  der  Feldarbeiten  nicht  mehr  das 
Auslangen  gefunden  werden  konnte.  Bei 
den  bis  dahin  erbauten  Bahnlinien  geschah 
die  Ausmittlung  der  Bahntrace  gewöhn- 
lich in  der  Art,  dass  unmittelbar  auf  dem 
Terrain  selbst,  zuerst  versuchsweise,  eine 
den  gegebenen  Neigungsverhältnissen 
entsprechende  Linie  mittels  Auspflockung 
markirt,  die  gegenseitige  Entfernung  und 
Höhendifferenz  der  bezeichneten  Punkte 
mittels  directer  Messung  und  durch 
Nivellement  bestimmt,  imd  mit  Hilfe  von 
Querprofilen,  welche  meist  senkrecht  zur 
Hauptrichtung  standen,  die  Configuration 
der  Bodenoberfläche  charakterisirt  wurde. 
Nach  Uebertragung  aller  dieser  Daten 
auf  die  mit  den  sonst  noch  erforderlichen 
Details  ausgestatteten  Situationspläne, 
konnte  dann  die  Bahnlinie  mit  ihren 
Kunstbauten  und  sonstigen  Anlagen  pro- 
jectirt,  und  diese  letzteren  wieder  durch 
Einmessen  auf  das  Terrain  übertragen 
werden. 

Bei  der  hiebei  in  Betracht  kommenden, 
relativ  günstigen  Bodengestaltung,  welche 
einerseits  ein  Betreten  derTrace  gestattete, 
andererseits  infolge  des  geringen  Höhen- 
unterschiedes zwischen  Anfangs-  und 
Endpunkt  bei  entsprechender  Zwischen- 
länge ein  relativ  sanftes  Steigungsver- 
hältnis der  directen  Verbindungslinie  zu- 
liess,  war  die  Lösung  der  gestellten  Auf- 
gabe in  der  Regel  eine  ziemlich  leichte. 

Wie  ganz  anders  gestalteten  sich  die 
Verhältnisse  bei  der  Ueberquerung  der 
norischen  Alpen  auf  dem  Semmering !  Die 
Höhendifferenz  zwischen  der  Station 
Gloggnitz  und  dem  Semmering- Passe  be- 
trägt 540m  bei  einer Horizontal-Entfemung 
dieser  beiden  Punkte  von  kaum  i  i.cxmd  tn. 
Es  hätte  demnach  die  directe  Verbindungs- 
linie ein  Steigungsverhältnis  von  i  :  20 
oder  50^/qq  ergeben;  bei  Anwendung 
eines  um  circa  80  tn  tiefer  gelegenen 
Scheiteltunnels  hätte  sich  dieses  Verhältnis 


nur  bis  auf  i  :  24  reducirt,  selbst  ohne 
Rücksichtnahme  auf  die  nöthigenZwischen- 
horizontalen  für  Stationen.  Es  musste 
daher  ausser  der  Tunnelirung  auch  noch 
eine  ausgiebige  Längenentwicklung  ein- 
treten, zu  welcher  die  tief  eingeschnittenen 
Falten  des  Reichenauer  Thaies,  der  Adlitz- 
und  Göstritz-Gräben,  des  Aue-  und  Sün- 
baches  allerdings  ein  sehr  mannigfaltiges, 


Abb.  42.    Kleines  Nivellir- Instrument. 

aber,  wie  das  classische  Bild  der  Wein- 
zettelwand zeigt,  mitunter  auch  sehr 
schwierig  zu  besteigendes  Gelände  dar- 
boten. Infolgedessen  mussten  an  Stelle 
der  directen  Längen-  und  Höhenmessungen 
sehr  häufig  trigonometrische  und  optische 
Distanzmessungen  treten,  womit  gleich- 
zeitig auch  der  Anstoss  zur  höheren 
Ausbildung  und  Vervollkommnung  der 
geodätischen    Hilfsmittel    gegeben    war; 


Abb.  43.    Stampfer'sches  Nivellir-  und  Höhenmess- 

Instrument. 

das  weltbekannte  und  bis  auf  den  heutigen 
Tag  noch  immer  in  hohen  Ehren  stehende 
Stampfer'sche  Nivellir- Höhen-  und  Längen- 
mess-Instrument  [vgl.  Abb.  43  und  44] 
ist  eine  jener  Zeit  entsprungene  specifisch 
österreichische  Errungenschaft  auf  dem 
Gebiete  technischer  Kunst  und  Wissen- 
schaft. 

Ausgerüstet  mit  allen  der  damaligen 
Technik  zu  Gebote  gestandenen  Hilfs- 
'  mittein  wurden  unter  reger  Betheiligung 
I  aller     namhaften     Fachgenossen     nach- 


i84 


Karl  Werner. 


einander  die  zum  Zwecke  tauglich  er- 
scheinenden Bahnlinien  in  Erwägung 
gezogen  und  insbesondere  folgende  Va- 
rianten studirt  [Siehe  Abb.  246  auf 
Seite  262  des  I.  Bandes]: 

1.  Die  schon  im  Vorhergehenden  all- 
gemein erwähnte,  seinerzeit  schon  von 
Schönerer  geplante  Linie  von  der  Sta- 
tion Gloggnitz  ausgehend  und  mit  dem 
Steigimgs Verhältnisse  von  i :  28  an  den 
Nordhängen  des  Raachberges  und  Jäger- 
brandes über  Mariaschutz  bis  zum  Cul- 
minationspunkte  von  904  m  sich  er- 
hebend, worauf  dieselbe  mittels  eines 
circa  1900  m  langen  Tunnels  die  Sem- 
meringhöhe  unterfahren  und  derart  in  das 
Fröschnitzthal  gelangen  sollte.  Deren 
Länge  zwischen  Gloggnitz  und  Mürz- 
zuschlag  betrug  25*6  km, 

2.  Eine  Linie,  ausgehend  von  der 
Station  Neunkirchen  der  Wien-Glogg- 
nitzer  Bahn,  unter  Annahme  einer  Maxi- 
malsteigung  von  i :  50 ;  nach  lieber- 
Setzung  des  Schwarzaflusses  sollte  sich 
diese  Trace  über  Dunkelstein,  Landschach, 
Gräfenbach  und  Kranichberg  bewegen 
und  von  dort  nach  einer  vollen  Wen- 
dung aus  dem  Sünbachthale  zurück- 
kehren und,  ungefähr  der  Richtung  der 
Linie  i  folgend,  den  Semmeringsattel 
mit  einem  circa  1520  f»  langen  und 
in  der  Meereshöhe  von  907  m  culmi- 
nirenden  Tunnel  durchsetzen.  Deren  Länge 
zwischen  Neunkirchen  und  Mürzzuschlag 
hätte  46*3  km  betragen. 

3.  Eine  Linie,  ausgehend  von  der 
Station  Gloggnitz  und  nach  Ueber- 
setzung  auf  das  rechte  Schwarza-Ufer 
mit  einer  durchschnittlichen  Steigung 
von  1 :  50  über  Payerbach  und  Reichenau 
gegen  die  Prein  sich  erhebend,  das 
Gschaid  mittels  eines  circa  5000  w 
langen,  in  der  Höhen-Cote  von  860  m 
culminirenden  Tunnels  durchbrechen  und 
zunächst  in  der  Thalrinne  des  Raxen- 
baches  bis  Kapellen,  von  dort  w^eiter  am 
linken  Ufer  der  Mürz  bis  Mürzzuschlag 
führend;  dieselbe  hätte  eine  Länge  von 
32*3  km,  erhalten. 

4.  Eine  Linie,  welche  von  der  Station 
Gloggnitz  aus  zunächst  ungefähr  der- 
selben Richtung  wie  die  vorhergehende, 
jedoch  mit  einer  Ansteigung  von  l :  40 
bis  Prein  folgen,    hier    aber,  nach  links 


abschwenkend,  die  Kamp-  [oder  Königs-] 
Alpe  mittels  eines  circa  5600  m  langen,  in 
der  Höhen-Cote  von  825  tn  culminirenden 
und  bei  Spital  ausmündenden  Tunnels 
durchbrechen  und  unmittelbar  in  das 
Fröschnitzthal  und  längs  desselben  nach 
Mürzzuschlag  führen  sollte;  die  Länge 
derselben  hätte  25*5  km  betragen. 

5.  Eine  Linie,  welche  von  der  Station 
Gloggnitz  ausgehend,  längs  des  Silber-- 
berges  mit  i :  50  ansteigend  am  linken 
Schwarza-Ufer  bis  Reichenau  führen, 
dort  in  einer  das  Thal  überbrückenden 
vollen  Wendung  auf  das  linke  Schwarza- 
Ufer  übergehen  und,  gegen  Payerbach 
zurückkehrend  über  Eichberg,  Klamm, 
Weinzettelwand,  das  Falkensteinloch 
und  die  Adlitzgräben  ausfahrend,  sodann 
an  den  Hängen  des  Kamtnerkogels 
sich  gegen  den  Semmering  wenden 
und  diesen  mittels  eines  1379  ***  ^^i"" 
gen  Tunnels  in  einer  Meereshöhe  von 
907  w  unterfahren  sollte.  Diese  im 
weiteren  Zuge  dem  Fröschnitzthale 
bis  Mürzzuschlag  folgende  Linie  hätte 
zwischen  der  letztgenannten  Station  und 
Gloggnitz  eine  Länge  von  59  km  erhalten. 

6.  Eine  Linie,  welche  gleich  der  vor- 
hergehenden, jedoch  mit  i :  40  ansteigend, 
längs  des  Silberberges  und  schon  bei 
Payerbach  mit  nahezu  voller  Wendung 
das  Thal  übersetzend,  gegen  Eichberg 
zurückkehren  und  bis  zum  Semmering 
nahezu  dieselben  Gehänge  benützen  sollte 
wie  die  Linie  5,  wobei  der  mit  der 
Höhen-Cote  von  908  f«  culminirende 
Scheiteltunnel  eine  Länge  von  1430  »i, 
die  ganze  Linie  Gloggnitz-Mürzzuschlag 
eine   solche  von  41*8  km  erhalten  sollte. 

Im  Gegensatze  zu  den  topographischen 
Schwierigkeiten,  welche  sich  der  Linien- 
entwicklung der  Nordrampe  entgegen- 
stellten, ergab  sich  für  die  Südrampe 
zwischen  demCulminationspunkte  auf  dem 
Semmering  und  der  Station  Mürzzuschlag 
ein  Höhenunterschied  von  218  m  bei 
einer  directen  Zwischenlänge  von  1 2  km^ 
woraus  ein  Durchschnittsgefälle  von 
I  :  50  resultirt,  so  dass  nach  Abrechnung 
der  Zwischenhorizontsden  für  Stationen, 
thatsächlich  mit  dem  Maximalgefälle 
von   I  :  45  das  Auslangen  zu  finden  war. 

Die  bisher  aufgezählten  Terrain-  und 
Tracestudien  hatten  vom  Jahre  1842  bis 


Tracirung. 


185 


1845  gewährt,  in  welche  Zeitperiode  auch 
die  Vorarbeiten  für  die  südliche  Fort- 
setzungslinie fallen.  Im  Jahre  1844  war 
die  Theilstrecke  Mürzzuschlag-Graz  dem 
öffentlichen  Verkehr    übergeben  worden. 

Für  die  richtige  Wahl  des  Steigungs- 
verhältnisses der  eigentlichen  Semmering- 
Strecke  war  in  erster  Reihe  der  bis  zu 
jenem  Zeitpunkte  gediehene  Fortschritt 
im  Locomotivbau  massgebend,  und  hatte 
Ghega  bei  der  im  Jahre  1842  speciell  zu 
diesem  Zwecke  in  Amerika  unternom- 
menen Studienreise  seine  Ueberzeugung 
endgiltig  dahin  gefestigt,  dass  auf  Stei- 
gungen von  I  :  50  [20  ^Iqq]  und  selbst 
noch  auf  solchen  von  i  :  40  [25  ®/oo] 
die  Bewältigung  namhafter  Nutzlasten 
mit  entsprechender  Geschwindigkeit 
möglich  ist.  Gleichzeitig  konnte  er  zu 
seiner  Genugthuung  constatiren,  dass 
die  Amerikaner  schon  vielfach  mit  der 
Eliminirung  des  Seilbetriebes  begonnen, 
und  an  dessen  Stelle  den  Locomotiv- 
betrieb  eingeführt  hatten. 

Nachdem  Ghega  das  Steigungsver- 
hältnis I  :  50,  höchstens  i  :  40  als  das 
äusserste  zulässige  Mass  erkannt  hatte, 
konnte  bei  Auswahl  der  oben  aufge- 
zählten Varianten  die  unter  i  beschrie- 
bene mit  dem  Gradienten  von  i  :  28 
nicht  mehr  in  näheren  Betracht  kommen. 
Variante  2  wäre,  nachdem  dieselbe  mit 
dem  Steigungsverhältnisse  i  :  50  ent- 
wickelt war,  in  dieser  Hinsicht  wohl 
brauchbar  gewesen,  jedoch  lag  dieselbe 
zum  grossen  Theil  ihrer  Länge  auf  geolo- 
gisch ungünstigem  Gebiete,  was  bei  der 
Fundirung  der  vielen  grossen  Viaducte, 
namentlich  aber  bei  den  unvermeidlichen 
Tunnelirungen  von  ganz  besonderer  Be- 
deutung sein  musste.  Zudem  ging  die 
Linie  von  Neunkirchen  anstatt  von 
Gloggnitz  aus,  so  dass  die  bereits  er- 
baute Strecke  Gloggnitz  -  Neunkirchen 
als  todter  Seitenarm  verloren  gegangen 
wäre. 

Die  Linien  3  und  4  konnten  wegen 
der  mit  5cxx>,  beziehungsweise  5600  m 
bemessenen  Länge  der  Scheiteltunnele 
nach  dem  damaligen  Stande  der 
Tunnelbaukunst,  welche  noch  keinen  ma- 
schinellen Bohrbetrieb  kannte,  schon  wegen 
der  übermässigen  Verlängerung  der 
nöthigen  Bauzeit  nicht  acceptirt  werden. 


Unter  dem  Eindrucke  der  eben  auf- 
gezählten Gründe  hatte  Ghega  zunächst 
die  Linie  5,  welche  sowohl  wegen  ihrer 
Steigungsverhältnisse  und  ihrer  ge- 
sicherten Lage  im  Grauwackengebiete, 
als  auch  in  bau-  und  betriebstechnischer 
Hinsicht  die  meisten  Chancen  vereinigte, 


Abb.  44.    Latte  zum  Nivelliren  und  Höhenmessen. 

zur  Ausführung  ausersehen,  und  die  Aus- 
arbeitung des  Detailprojectes  hiefür  ein- 
geleitet. Um  ein  thunlichst  inniges  An- 
schmiegen der  Bahnlinie  an  die  sehr 
coupirte  Bodengestaltung  zu  ermöglichen, 
wurde  für  den  Krümmungsradius  der 
Bogen  das  Mass  von  189-6  w  [100 Klaftern] 
als  Minimum  gewählt. 

Angesichts  der  enormen  baulichen 
Schwierigkeiten  vmd  der  damit  verbun- 
denen Kosten  waren  die  schon  seit  dem 


i86 


Karl  Werner. 


Jahre  1844  von  Seite  der  Widersacher 
Ghega's  bei  der  Regierung  erhobenen 
Vorstellungen  gegen  ein  so  kühnes  Unter- 
nehmen immer  laifter  geworden,  und 
wurde  das  Gelingen  dieses  als  waghalsig 
bezeichneten  Experimentes  selbst  von  nam- 
haften Fachgenossen  entschieden  in  Abrede 
gestellt.  Der  Mangel  einer  Locomotive, 
welche  auf  so  steilen  und  langen  Rampen 
eine  entsprechende  Nutzlast  mit  hin- 
reichender Geschwindigkeit  zu  befördern 
im  Stande  wäre,  —  die  Gefahren  und 
Hindemisse,  welche  dem  Bahnbetriebe  in 
solcher,  allen  klimatischen  Unbilden  aus- 
gesetzen  Höhenlage  unter  allen  Umständen 
drohen  müssten,  —  die  unabsehbaren 
Folgen,  welche  jeder  Unfall,  namentlich 
bei  der  Thalfahrt,  nach  sich  ziehen  würde, 

—  die  Schwierigkeit,  wenn  nicht  Un- 
möglichkeit, in  so  ungünstigem  Terrain 
einen  baulich  richtigen  und  soliden  Bahn- 
körper zu  erstellen,  . —  die  für  den  Bau 
und    Betrieb    erforderlichen    Unsummen, 

—  alle  diese  Bedenken  bildeten  ebensoviele 
Angriffspunkte  im  Kampfe  gegen  den 
unerschütterlich  auf  seiner  Idee  beharren- 
den Meister.  Die  Bedrängnisse,  unter 
welchen  derselbe  stand,  erhielten  ein 
hochbedeutsames  Relief  durch  die  sich 
um  jene  Zeit  vorbereitenden  politischen 
und  finanziellen  Krisen,  welche  nur  den 
einen  Vortheil  mit  sich  brachten,  dass 
Ghega  Zeit  fand,  die  von  seinen  Gegnern 
selbst  in  öffentlichen  Blättern  erhobenen 
Anfeindungen  und  Verdächtigungen  in 
allen  Punkten  sachlich  zu  widerlegen  und 
seine  Studien  nach  jeder  Richtung  hin 
zu  vertiefen. 

Um  die  Kostensumme  thunlichst  zu 
reduciren,  fasste  er  den  Entschluss,  die 
Linie  6,  das  ist  also  mit  dem  Steigungs- 
verhältnisse von  I  :  40,  zur  Ausführung 
zu  bringen.  Obwohl  dieselbe  noch  immer 
15  Tunnels  mit  einer  Gesammtlänge  von 
4530  m  und  ebensoviele  Viaducte  bis  zu 
einer  Höhe  von  45*8  tn  und  einer  Ge- 
sammtlänge von  1465  w  erforderte,  wurde 
dieselbe  endlich  im  Jahre  1847  seitens 
der    Regierungs-Commission    genehmigt. 

Damit  war  der  Kampf  gegen  alle 
Widersacher  siegreich  beendet;  die  poli- 
tischen Ereignisse  des  kommenden  Jahres 
drängten  zur  sofortigen  Inangriffnahme 
des  Baues. 


Es  bedarf  nur  noch  eines  Rückblickes 
auf  die  Frage,  ob  und  inwieweit  jene 
Voraussetzungen  in  Erfüllung  gingen, 
welche  Ghega  in  Bezug  auf  die  Leistung 
der  erst  zu  schaffenden  Tractionsmittel 
seiner  Tracenführung  zugrunde  gelegt 
hatte. 

Zur  Erlangung  von  Locomotiven, 
welche  zur  Bewältigung  der  auf  der 
Semmering-Bahn  zu  führenden  Z\XgQ  ge- 
geeignet wären,  hatte  Ghega  eine  öffent- 
liche Preisausschreibung  vorbereitet,  worin 
die  Constructions-Bedingungen  festge- 
setzt waren,  dass  der  Raddruck  von 
6*88  t  nicht  überschritten  und  eine 
Bruttolast  von  2500  Centnern  [138  t] 
auf  der  Steigung  von  i  :  40  mit  einer 
Geschwindigkeit  von  1*5  österreichischen 
1  Meilen  [11*4  km]  pro  Stunde  beför- 
dert werden  soll.*)  Die  Preisausschrei- 
bung erlangte  im  Mai  des  Jahres  1850 
die  Approbation  Seiner  Majestät  Kaiser 
Franz  Joseph  I. 

Im  October  1851  wurde  mit  der  Er- 
probung der  gelieferten  Concurrenz-Loco- 
motiven  und  jener  der  zwei  Locomotiven 
»Save«  imd  »Quarnero«,  welche  auf 
der  mittlerweile  fertig  gestellten  südlichen 
Staatsbahnlinie  in  Verwendung  standen, 
begonnen,  und  als  Probestrecke  der  zu 
jener  Zeit  bereits  vollendete  Theil  der 
Bergrampe  Payerbach- Breitenstein  ge- 
wählt, woselbst  die  Steigung  von  1  :  40 
und  der  Bogenradius  von  1 89*6  tn 
häufig  zur  Anwendung  gelangt  waren. 
Aus  diesen,  mit  grosser  Umsicht  imd  Ge- 
'  nauigkeit  vorgenommenen  Probefahrten 
gingen  die  Locomotiven  »Bavaria«,  »Neu- 
stadt« und  »Seraing«  als  preisgekrönt 
hervor.  —  Allerdings  hafteten  diesen 
Locomotiv-Typen  noch  mancherlei  con- 
structive  Mängel  an,  jedoch  boten  die 
angestellten  Versuche  gleichzeitig  auch 
den  nöthigen  Fingerzeig,  wie  diese  Män- 
gel zu  beheben  seien.  Eine  neuerlich  aus- 
geschriebene Concurrenz  führte  schliess- 
lich zu  der  unter  dem  Namen  der  En- 
gerth'schen  Locomotive  allgemein  bekann- 
ten Type,  mit  welcher  im  Jahre  1854 
der  Verkehr  der  Linie  Gloggnitz-Mürz- 
zuschlag  eröffnet  wurde. 


*)  Vgl.  Bd.  I,  I.  Theil,  H.  St  räch,  Die 
ersten  Staatsbahnen,  Seite  273  u.  ff. 


187 


Mit  dieser  Errungenschaft  war  auch 
der  letzte  Zweifel  Über  das  Gelingen 
des  grossen  Meisterwerkes  geschwunden 
und  hat  die  Praxis  die  Richtigkeit  der 
von  Ghega  mit  wahrhaft  prophetischem 
Geiste  entwickelten  Grundgedanken  auf 
das  Glänzendste  bestätigt. 

Es  wäre  Vermessen  hei  t,  an  den  Einzel- 
heiten dieses  stolzen  grandiosen  Colossal- 
baues  mit  dem  Massstabe  der  heutigen 
Technik  kleinliche  Kritik  üben  zu 
wollen. 

Mit  dem  Regieningsantritte  Seiner 
Majestät  Kaiser  Franz  Joseph  I.  begonnen, 
repräsentirt  der  Semmeringbau  in  der 
Entwicklungs-Geschichte  der  Eisenbahnen 
eine  so  gewaltige  Stufe  des  Fortschrittes, 
dass  er  vermöge  seiner  technischen  Voll- 
endung und  Solidität  auch  in  unserer, 
vom  Geiste  der  technischen  Errungen- 
schaften getragenen  Zeitperiode  noch  Be- 
wunderung und  Nachahmung  verdient: 
ein  erhabenes,  unvergängliches  Wahr- 
zeichen   österreichischer  Baukunst. 

Während  der,  die  Tracirung  und  den 
Bau  der  Semmering-Bahn  umfassenden 
Zeitperiode  waren  auch  die  Arbeiten  für 
die  Fortsetzung  der  Staatsbahnlinien 
gegen  Süden  in  Angriff  genommen  und 
mächtig  gefördert  worden.  Für  die 
nächste  Fortsetzungslinie  Mürzzuschlag- 
Graz  Hess  das  natürliche  Thalgefälle 
längs  des  Mürzflusses  bis  Brück  a.  M. 
sowie  auch  jenes  längs  der  Mur  von 
Brück  bis  Graz  vortheilhafte  Steigungs- 
verhältnisse zu;  auch  die  Configuration 
des  Thalbodens  war  der  Bahnanlage 
günstig  bis  gegen  Krieglach,  von  wo 
ab  die  näher  an  den  Flusslauf  heran- 
tretenden Bergrippen  einen  strecken- 
weisen, bis  gegen  Peggau  reichenden 
Lehnenbau  bedingten.  Beachtenswerth  er- 
scheint die  Linienführung  längs  der  soge- 
nannten Badelwand  [vgl,  Abb.  45],  durch 
die  dort  ausgeführte,  flussseits  offene,  363  m 
lange  Galerie,  auf  deren  Gewölbsdecke 
die  durch  den  Bahnkörper  verdrängte 
Reichsstrasse  führt.  Der  weitere  Verlauf 
der  Trace  durch  die  Ebene  über  Graz 
bis  Ehrenhausen,  ebenso  die  Durch- 
brechung der  Windischen  Büheln  mittels 


zweier  kleiner  Tunnele  und  die  Fort- 
führung der  Linie  über  Marburg  durch 
die  Ebene  von  Kranichsfeld  und  Prager- 
hof  bis  Windisch -Feistritz  bietet  vom 
Gesichtspunkte  der  Tracirung  kein  be- 
sonderes Interesse.  Die  östlichen  Aus- 
läufer des  Fache rgebirges  überquerend, 
tritt  die  Linie  in  das  Gebiet  tJes  Sann- 
flusses über  und  folgt  letzterem  von  Cilti 
bis  Steinbrück  abwärts,  von  dort  aber 
dem  Saveflusse  aufwärts  zum  grössten 
Theile  als  Lehnenbau  durch  die  an 
grotesken  Formen'  reichen  Gelände  über 


•)  Vgl.  Bd.  1,  1.  Theil,  S.  243,  Abb.  Z28 


Alib.  ii.    Profi]  d«  Badclnand. 

Hrastnigg,  Sagor  und  Sava,  bei  Salloch 
in  das  Gebiet  des  Laibacher  Moores 
eintretend.  Die  geheimnisvollen  und  auch 
bis  auf  den  heutigen  Tag  noch  nicht 
ganz  erforschten  Verhältnisse  dieses 
Moores,  seine  unterirdischen  Zu-  und 
Abflüsse,  sein  trügerischer  Untergrund 
und  das  ihn  umgebende  unwirthliche 
Karstgebiet  stellten  dem  tracirenden  In- 
genieureine ganze  Reihe  wichtiger  Fragen 
entgegen.  Dem  flüchtigen  Beobachter  mag 
wohl  scheinen,  als  sei  die  directe  Durch- 
querung des  Moores, .  wie  er  sie  that- 
sächtich  ausgeführt  sieht,  einem  leicht* 
fertigen  Entschlüsse  entsprungen.  Dem 
entgegen  spricht  jedoch  die  Thatsache, 
dass  die  Frage  der  Umgehung  des  Moores 
Gegenstand  umfassender  und  wiederholter 
Studien  war,  und  dass  bei  der  Ausmitt- 


i88 


Karl  Werner. 


lung  der  Strecke  Laibach -Franzdorf- 
Loitsch  verschiedene  Varianten  in  Er- 
wägung gezogen  wurden.  Nach  einer 
dieser  Varianten  hätte  die  Bahnlinie  das 
Moor  an  dessen  südlichen  und  südöst- 
lichen Rändern,  also  über  Pianzbühel, 
Braundorf,  Tomischel  und  Seedorf  um- 
fahren sollen;  diese  Variante  hätte  jedoch, 
ohne  die  Berührung  des  Moores  gänzlich 
vermeiden  zu  können,  eine  Verlängerung 
der  Linie  um  circa  19  km  ergeben.  Eine 
zweite  Variante  tendirte  die  Umgehung 
des  Moores  an  dessen  Nordgrenze,  also 
über  Bresowitz,  Log  imd  Podlipa  mit 
einer  Entwicklung  an  den  Hängen  des 
Zaplana- Berges  oberhalb  Altlaibach  gegen 
Unter-Loitsch  hin.  Diese  letztere  Variante 
wurde  wegen  der  damit  verbundenen 
Bauschwierigkeiten  und  angesichts  der 
Unhaltbarkeit  der  zu  passirenden  Berg- 
lehnen fallen  gelassen.  Erst  nach  lang- 
jährigen vielseitigen  Studien  und  Er- 
wägungen entschloss  man  sich,  als  der 
Uebel  kleinstes,  die  Durchquerung  des 
Moores  zu  wählen.  Die  hieran  sich  an- 
schliessende Ansteiguhg  der  Linie  gegen 
Franzdorf  erforderte  die  Uebersetzung 
des  dortigen  Seitenthaies  mittels  eines 
grossen  Viaductes,  der  in  seiner  äusseren 
Erscheinung  sofort  den  Baustil  des  Sem- 
mering  verräth.*)  Thatsächlich  steht  auch 
die  Ersteigung  des  Karstplateaus  über 
Loitsch  und  Adelsberg  sowie  die  Weiter- 
führung der  Linie  über  Nabresiila  bis 
Triest  mit  der  Geschichte  des  Semmering- 
baues  in  mehrfachem  innigem  Zusammen- 
hange; erst  nach  der  Errungenschaft 
der  Engerth'schen  Tenderlocomotive  und 
nur  mit  dem  Vorsatze  auf  Einführung 
besonderer  Wasserwagen,  konnte  eine 
derartige  Tracenführung  und  Bahnanlage 
mit  Aussicht  auf  eine  geregelte  Betriebs- 
führung unternommen  werden.  Mit  dem 
Eindringen  in  die  vegetations-  und 
wasserlose  Karstregion  steigerten  sich 
die  Schwierigkeiten  der  Linienführung. 
Die  verworrenen,  von  unzähligen  Dolinen- 
bildungen  und  Schluchten  zerrissenen 
Felsenlabyrinthe  dieses,  im  Winter  von 
der  Bora  und  gefährlichen  Schneestürmen 
heimgesuchten,  im  Sommer  vom  Sonnen- 


*)  Vgl.  Bd.  I,    I.  Theil,  Abb.  272  u.  273, 
S.  288  u.  ff. 


brande  versengten  Hochplateaus,  nicht 
minder  der  Abstieg  an  den  aus  gebrächen 
Taselloschichten  gebildeten  Lehnen  zwi- 
schen Grignano  und  Triest  angesichts 
des  Meeres,  erschwerten  dem  traciren- 
den  Ingenieur  die  Ermittlung  der  rich- 
tigen Linie  in  hohem  Masse.  Die  wich- 
tigste und  schwierigste  der  zu  lösenden 
Fragen  blieb  jedoch  die  einer  ausreichen- 
den Wasserbeschaffung.  Die  Anlage  einer 
Wasserleitung  von  Ober-Lesece  nach 
Divaöa  war  nur  ein  partieller  Behelf; 
erst  durch  die  Anlage  der  Auresina- 
Wasserleitung,  wodurch  die  Wässer, 
welche  am  Fusse  des  Berges  bei  Santa 
Croce  und  bei.  dem  Berge  Auresina 
oder  Nabresina  emporsteigen,  für  Zwecke 
der  Bahn  nutzbar  gemacht  werden 
konnten,  fand  diese  hochwichtige  Ange- 
legenheit ihre  endgiltige  Lösung. 

So  war  denn  endlich  das  Ziel  der 
südlichen  Staatsbahnen,  das  Handels- 
emporium  Triest,  erreicht  und  ging  der 
Schienenweg,  welcher  das  Herz  der 
Monarchie  mit  dem  Meere  verbinden 
sollte,  im  Jahre  1857  seiner  Vollendung 
entgegen. 

Von  unserer  Excursion  im  Süden 
wenden  wir  uns  nun  wieder  der  mittler- 
weile im  Norden  der  Monarchie  erzielten 
Fortschritte  in  der  Entwicklung  der  Bahn- 
tracen  zu. 

Anknüpfend  an  den  von  der  Nord- 
bahn-Gesellschaft bis  Olmütz  ausgebauten 
und  im  Jahre  1841  dem  öffentlichen 
Verkehr  übergebenen  Schienenweg,  wurde 
durch  den  Staat  die  Fortsetzung  der 
Bahnlinie  in  der  Richtung  gegen  Nord- 
westen hin  über  Böhmisch-Trübau  nach 
Prag  unternommen. 

Mit  der  Meeres-Cöte  von  214  nt 
bei  Olmütz  beginnend,  folgt  diese  Linie 
zunächst  dem  Laufe  der  March,  sodann 
jenem  der  Sazawa  aufwärts,  erreicht  in 
der  zwischen  der  Mährischen  Höhe  und 
den  Sudeten  gelegenen  Einsattlung  bei 
Landskron  die  Wasserscheide  zwischen 
Donau  und  Elbe  im  Culminationspunkte 
von  413  t»  über  dem  Meere,  worauf  die 
Trace  bis  Kolin  [197  m  über  dem  Meere] 
sich  senkt,  um,  nach  Ueberschreitung  der 
Terrainwelle  bei  Bömisch-Brod  [262  m 
über  dem  Meere],  sich  noch  weiter  sen- 
kend,   die    Hauptstadt    Böhmens    zu   er- 


lad'ii'UA 


w^ 


r-\ 


Tracirung. 


189 


reichen.  Im  Weiterzuge,  zunächst  der 
Moldau  und  von  Melnik  ab  der  Elbe 
folgend,  dringt  die  Linie  in  die  Region 
der  mit  Bergproducten  gesegneten  Gegen- 
den Nordböhmens  und  gewinnt  längs 
des  zwischen  dem  Erzgebirge  und  der 
Lausitzer  Höhe  von  der  Natur  gegebenen 
Elbedurchbruches  den  Anschluss  gegen 
Sachsen  hin. 

Die  Vorbereitung  des  Baues  der 
südlichen  Staatsbahnlinie  Wien-Triest 
stellte  die  österreichischen  Ingenieure  vor 
die  grosse  Aufgabe,  in  schwierigem 
Terrain  und  unter  wechselnden  Betriebs- 
verhältnissen Bahntracen  aufzusuchen  und 
Projecte  zu  studiren. 

Unter  der  tüchtigen  Leitung  hervor- 
ragender Fachleute  bildete  sich  sohin 
die  Tracirung  und  Projectverfassung 
von  Bahnen  zu  einer  selbständigen  tech- 
nischen Wissenschaft  aus. 

Ein  literarisches  Denkmal  des  hohen 
Grades  der  Ausbildung,  welche  dieser 
junge  Wissenszweig  damals  in  Oester- 
reich  schon  erreicht  hatte,  bietet  die 
äusserst  bemerkenswerthe  Publication,  be- 
titelt: »Systematische  Anleitung  zum 
Traciren  der  Eisenbahnen«  vom  k.  k. 
Ober- Ingenieur  Eduard  Heider  [nach- 
maligem technischem  Director  der  Arsenal- 
bauten des  österreichischen  Lloyd],  welche 
in  erster  Auflage  bereits  im  Jahre  1856 
erschienen  ist. 

Dieses  Buch  behandelt  den  Gegen- 
stand überhaupt  das  erste  Mal.  Die 
darin  niedergelegten  Grundsätze  und  be- 
schriebenen Verfahrungsarten  sind  bei 
der  Verfassung  der  Projecte  für  die 
k.  k.  Staatsbahnen  ausgebildet  und  er- 
probt worden,  sie  sind  also  direct  aus 
der  Erfahrung  geschöpft  und  haben  heute 
noch  volle  Geltung  und  Anwendung, 
unbeschadet  jener  Modificationen,  welche 
durch  die  seither  erreichte  Vervoll- 
kommnung der  Instrumente  bedingt  er- 
scheinen. 

Der  gleichen  Zeitperiode  verdankt 
auch  das  seither  jedem  Eisenbahn-Inge- 
nieur zum  unentbehrlichen  Vademecum 
gewordene  Werkchen  »Die  Strassen- vmd 
Eisenbahn- Curve«,  verfasst  von  dem  da- 
maligen Ingenieur  der  Süd-norddeutschen 
Verbindungsbahn  Moriz  M  o  r  a  w  i  t  z,  sein 
Entstehen. 


Angesichts  der  hohen  technischen 
Schule,  welche  die  südlichen  Staatsbahn- 
linien und  namentlich  der  Semmeringbau 
herangebildet  hatte,  erscheinen  die  Fort- 
schritte im  Aufsuchen  neuer  Bahntracen 
in  der  nun  folgenden  Periode  weniger 
intensiv  als  extensiv,  indem  die  Interessen 
des  Handels,  der  Industrie  und  des 
gegenseitigen  Verkehres  die  neuen  Er- 
rungenschaften ihrem  Zwecke  nutzbar 
zu  machen  suchten.  So  erwarb  die 
Erste  österreichische  Eisenbahn- Gesell- 
schaft noch  im  Jahre  1855  die  Be- 
willigung, ihre  Linie  Linz-Budweis  mit 
kleinen,  entsprechend  gebauten  Loco- 
motiven  zu  betreiben.  Zwar  hatte  im 
selben  Jahre  die  BuschtÖhrader  Eisen- 
bahn-Gesellschaft noch  eine  Concession 
erworben  für  eine  mit  Pferden  zu  be- 
treibende Holz-  und  Eisenbahn,  welche 
von  Wejhybka  in  das  BuschtÖhrader 
Kohlenrevier  führen  sollte,  jedoch  wurde 
diese  letzte  Regung  des  Pferdebahn-Be- 
triebes durch  den  lebhaften  Aufschwung, 
welchen  die  Einführung  des  Locomotiv- 
betriebes  allenthalben  mit  sich  brachte, 
gar  bald  überflügelt.  Durch  das  im  Jahre 
1855  mit  der  k.  k.  priv.  Staatseisenbahn- 
Gesellschaft  abgeschlossene  Ueberein- 
kommen,  wonach  mit  dem  Ausbau  der 
von  Wien  nach  Südosten  führenden  Linie 
gleichzeitig  auch  eine  Verbindung  mit 
den  nördlichen  Staatsbahnen  erfolgen 
und  diese  in  den  Betrieb  der  Staatseisen-" 
bahn  -  Gesellschaft  überzugehen  hatten, 
sowie  durch  die  im  selben  Jahre  der 
Graz-Köf  lacher  Eisenbahn  und  Bergbau- 
Gesellschaft  ertheilte  Concession  zur 
Erschliessung  der  Voitsberger,  Lanko- 
witzer  und  Köflacher  Kohlenreviere  mit- 
tels einer  von  Graz  nach.  Köflach  und 
von  Lieboch  nach  Wies  zu  führenden 
Eisenbahn  nebst  Zweiglinien,  wurde  die 
Entwicklung  der  Eisenbahn-Privatunter- 
nehmungen inaugurirt.  In  diese  und  die 
nächstfolgende  Zeitperiode  fallen  die 
Herstellung  und  Eröffnung  der  Linien 
Brünn-Rossitz,  Linz-Lambach-Gmunden, 
Oderberg  -  Dzieditz  -  Bielitz,  Schönbrunn- 
Troppau,  Krakau  -  Dembica,  Dzieditz- 
OÄwi^cim  und  Trzebinia  sowie  das 
Entstehen  der  Aussig  -  Teplitzer  Bahn, 
die  Erweiterung  der  Südbahn-Concession 
für  die  Kaiser  Franz-Josef-Orientbahn  und 


igo 


Karl  Werner. 


dieConcessionirung  der  Kaiserin  Elisabeth- 
Bahn,  welch  letztere  auf  die  Verbindung  der 
Metropole  mit  den  westlichen  Provinzen 
des  Reiches  sowie  auf  den  Anschluss 
an  die  bayerischen  Bahnen  bei  Salzburg 
abzielte.  Die  Tracenflihrung  dieser  letz- 
teren Linie  verdient,  namentlich  in  ihrem 
ersten  Theile  von  Wien  ab,  einige  Be- 
achtung. Auf  den  ersten  Blick  möchte 
es  scheinen,  als  ob  die  directe  Verbindungs- 
linie zwischen  Wien  und  Linz  durch  die  • 
oro-  und  hydrographischen  Verhältnisse 
unzweifelhaft  gegeben  sei,  und  dass  die 
Linie  am  günstigsten  durch  das  regelmässig 
ansteigende  Donauthal  zu  führen  wäre. 
Bei  näherem  Eingehen  zeigt  sich  jedoch, 
dass  zwar  die  Uferenge  bei  Nussdorf  und 
Kahlenbergerdorf  sowie  das  Tullnerfeld 
der  Bahnführung  keine  nennenswerthen 
Schwierigkeiten  bereite,  dagegen  die  Fort- 
setzung durch  die  Wachau  durchaus  keine 
günstige  wäre.  Es  war  daher  schon  in 
der  Concessions-Urkunde  vom  Jahre  1856 
die  Bestimmung  enthalten,  dass  die  Trace 
über  St.  Polten  zu  führen  sei.  Für  die 
Entwicklung  dieser  Linie  bot  das  Wien- 
thal mit  seinen  sanften  Geländen  bis 
Rekawinkel  bei  einer  Maximal- Ansteigung 
von  iO'5%Q  günstige  Verhältnisse  dar; 
auf  der  Westseite  des  mit  einem  Scheitel- 
tunnel von  307  tn  Länge  durchbrochenen 
Wienerwaldes  musste  bei  Einhaltung  des 
Maximalgefälles  von  lO^oo  angesichts  des 
tief  eingeschnittenen  Eichgrabens  und 
des  coupirten  Terrains  eine  kunstvollere 
Linien-Entwicklung,  welche  ausser  der 
Ueberbrückung  dieses  Grabens  auch  noch 
die  Anlage  eines  zweiten,  247  m  langen 
Tunnels  bedingte,  gesucht  werden.  Die 
Weiterführung  der  Linie  machte  die 
Ueberbrückung  der  rechten  Nebenflüsse 
der  Donau,  das  ist  der  Laben,  Traisen, 
Ybbs,  JEnns  und  Traun,  sowie  die  Ueber- 
schreitung  der  relativ  niedrigen,  zwischen 
den  genannten  Flüssen  gelegenen  tertiären 
Wasserscheiden  noth wendig.  Die  Zeit- 
punkte für  die  Eröffnung  der  einzelnen 
Theilstrecken  waren  folgende:  Linz- 
Lambach  1855,  W^ien-Linz  1858,  Lam- 
bach  -  Frankenmarkt  -  Salzburg  -  Reichs- 
grenze 1860. 

Mit  dem  Jahre  1858  trat  die  Südbahn- 
Gesellschaft  in  den  Vordergrund  der 
Unternehmungen   durch  die  Uebemahme 


des  Betriebes  der  Linie  Wieu-Triest 
sammt  Nebenlinien  und  der  Tiroler 
Bahnen  sowie  durch  den  Ankauf  des 
Projectes  der  Kärntner-Bahn  und  der 
Brenner-Bahn.  Mit  dieser  letzteren  ist 
ein  neuer  bedeutender  Fortschritt  auf 
dem  Gebiete  der  Alpenbahnen  zu  ver- 
zeichnen. Nachdem  die  Strecken  Inns- 
bruck-Kufstein und  Bozen-Trient-Ala  im 
Jahre  1858,  respective  1859  zur  Er- 
öffnung gelangt  waren,  erübrigte  noch 
das  Zwischenglied  Innsbruck -Brenner- 
Bozen,  um  die  süd-nördliche  Durchzugs- 
linie durch  das  Land  Tirol  zu  schliessen. 
Bei  Betrachtung  der  topographischen  Ver- 
hältnisse des  zwischen  Innsbruck  und 
Bozen  gelegenen  Alpenstockes  fällt  sofort 
das  tief  eingefurchte  Thal  des  Eisack  im 
Süden  und  ebenso  das  Flussgebiet  der 
Sill  auf  der  Nordseite  des  Brennerpasses 
in  die  Augen.  Diese  von  der  Natur 
gebildete  Rinne  entspricht  auch  dem 
Zuge  der  schon  von  altersher  bekannten 
Brennerstrasse.  Bei  Vergleichimg  der 
relativen  Höhenlagen  von  Bozen,  Fran- 
zensfeste, Sterzing,  Gossensass,  Brenner- 
höhe, Matrei  und  Innsbruck  mit  den  diese 
Orte  trennenden  Horizontal-Entfernungen 
ergibt  sich,  dass  die  Schwierigkeiten  der 
TracenfÜhrung  in  der  Strecke  Gossensass- 
Innsbruck  gelegen  sind.  Zwischen  Inns- 
bruck mit  der  Höhen-Cöte  von  583  m  über 
dem  Meere  und  dem  Brennerpasse  mit 
137 1  fH  Höhe  liegt  eine  Horizontaldistanz 
von  32.000  tn  [vgl.  Abb.  46],  woraus  für 
die  Bahnnivellette  eine  Durchschnitts-Stei- 
gung von  25^0^  resultirt;  der  Höhendiffe- 
renz zwischen  Brenner  [137 1  m]  und 
Gossensass  [1064  tn]  entspricht  jedoch 
in  der  directen  Verbindungslinie  von  nur 
8000  m  Länge  ein  Durchschpittsgefälle 
von  38®/qq.  Diese  Durchschnitts-Neigungen 
sind  jedoch  ohne  Rücksichtnahme  "auf  die 
nöthigen  Zwischenhorizontalen  für  Sta- 
tionsanlagen ermittelt ;  die  zur  Gewinnung 
der  letzteren  noch  erforderlich  werdenden 
Mehrlängen  konnten  auf  der  Nordseite  rela- 
tiv leicht  eingebracht  werden ;  dagegen  war 
auf  dem  Südhange  eine  sehr  weit  reichende 
Längenentwicklung  nöthig,  um  das  Ver- 
hältnis von  38®/oQ  auf  das  seit  dem 
Semmeringbau  durch  die  Praxis  sanctio- 
nirte  Maximalmass  von  25  %q  zu  reduciren. 
Zu  dem  bei  Gebirgsübergängen  sonst  ge- 


Abb.  47.    Gossensa 


Tracirung. 


191 


wohnlich  gebrauchten  Auskunftsmittel,  den 
Culminationspunkt  durch  Tunnelirung  des 
Scheitels  herabzudrücken,  konnte  beim 
Brenner  angesichts  der  flachen  Gestaltung 
des  Sattels  nicht  gegriffen  werden.  Schon 
eine  Tieferlegung  der  Nivellette  um  nur 
IOC  m  hätte  eine  Tunnellänge  von  10  km 
ergeben.  So  musste  denn  der  Sattel  in 
seiner  ganzen  Höhe  überschient  werden. 
Die  Folge  dessen  war  auf  der  Nord- 
seite eine  Entwicklung  der  Trace  im 
Schmimthale  bei  St.  Jodok  mit  einem 
Wendetunnel  und  die  Rückkehr  der 
Linie  an  der  Lehne  des  Walserthaies 
gegen  die  heutige  Station  Gries.  Auf 
der  Südseite  wurde  die  Linie  über 
Schelleberg  an  die  Südlehne  unterhalb 
der  Rothspitze  in  der  Richtung  gegen 
das  Pflerschthal  geführt,  und  mittels  eines 
vollen  Kehrtunnels  an  dieselbe  Lehne 
zurückgewendet,  so  dass  dieser  Theil  der 
Linie  das  vollendete  Bild  einer  an  dersel- 
ben Lehne  entwickelten  Kehrschleife  bietet 
[vgl.  Abb.  47  und  48].  Auf  diese  Weise 
ist  die  Bahnlänge  Innsbruck-Brenner  auf 
36  knty  die  Länge  Brenner- Gossensass 
auf  16  kfn  künstlich  ausgestreckt.  Die 
durch  Kunstbauten  aller  Art  interessante 
Bahnlinie  führt  zum  gross ten  Theile  im 
Chloritschiefer-Gebirge,  nächst  Matrei 
jedoch  auf  eine  Strecke  im  Dachstein- 
kalk ;  desgleichen  liegt  der  Wendetunnel 
der  Südseite  in  einer  Kalkzone.  Von 
Gossensass  abwärts  führt  die  Bahn  über 
Sterzing  und  Freienfeld  auf  nahezu  flachem 
Terrain ;  zwischen  Grasstein  und  Franzens- 
feste führt  die  Trace  durch  Granit.  Unter- 
halb Brixen  tritt  die  Linie  in  die  zwischen 
mächtigen  Porphyrgebilden  tief  einge- 
furchte Eisack-Schlucht,  aus  der  sie  erst 
bei  Bozen  in  das  offene  Etschland  tritt 
Durch  die  infolge  der  Terraingestal- 
tung zur  Nothwendigkeit  gewordene 
Ueberschienung  des  Brennersattels  ohne 
Anwendung  eines  Scheiteltunnels  kommt 
der  Brenner-Bahn  ein  besonderer  typi- 
scher Charakter  unter  den  übrigen 
Gebirgsbahnen  zu.  Ihr  Culminations- 
punkt liegt  in  einer  Meereshöhe  [1371  m], 
welche  weder  durch  die  bisher  in 
Oesterreich  erbauten  Alpenübergänge 
auf  dem  Semmering  [898  tw],  Arlberg 
[131 1  m]  und  Prebichl  [1205  im],  noch 
durch    die    Zukunftslinien    der    Tauem- 


bahn  [1225«/],  des  Predil  [903  w]  oder 
des  Loibl  [81377/]  übertroffen  wird.  [Vgl. 
Abb.  46  und  58.] 

In  dem  folgenden  Zeiträume,  bis  zu 
der  im  Jahre  1867  erfolgten  Eröffnung 
der  Brenner-Bahn,  begegnen  wir  in  der 
Tracen-Entwicklung  neuer  Bahnlinien, 
wozu  insbesondere  die  Erzherzog  Carl 
Ludwig  -  Bahn  [Krakau  -  Przemysl  und 
Wieliczka-Niepolomice],  die  Böhmische 
Westbahn  [Prag- Pilsen],  die  Lemberg- 
Czemowitzer  Bahn,  die  Turnau-Kraluper 
Bahn,  die  Kaiser  Franz  Josef- Bahn 
[Wien-Eger  und  Gmünd-Prag],  die  Böh- 
mische Nordbahn,  die  Kaschau-Oderberger 
Bahn  und  die  Kronprinz  Rudolf-Bahn  ge- 
hören, abermals  einem  grossen,  jedoch 
mehr  vom  speculativen  und  commerziellen 
Interesse  getragenen  Fortschritte. 

Dem  Zeitgeiste  jener  Periode  Rech- 
nung tragend,  hatte  sich  die  Regie- 
rung entschlossen,  die  Tracirung  und 
Projectirung,  namentlich  aber  die  Kosten- 
präliminarien jener  Bahnen,  welche  den 
Genuss  irgend  einer  finanziellen  Staats- 
beihilfe in  Anspruch  nahmen,  eingehend 
zu  überprüfen,  und  aus  jener  Zeit  datirt 
die  Creirung  eines  besonderen  Tracirungs- 
Bureaus  bei  der  k.  k.  General-Inspection 
der  österreichischen  Eisenbahnen. 

Unter  den  oben  aufgezählten  Linien 
verdient  die  Kronprinz  Rudolf-Bahn  wegen 
ihrer  Durchquerung  des  Alpengebietes 
vom  Standpunkte  der  Tracirung  eine 
besondere  Beachtung.  Von  der  Station 
St.  Valentin  abzweigend,  führt  uns  die- 
selbe längs  der  Enns  aufwärts  über 
Steyr,  Klein-Reifling  und  Hieflau,  an 
den  theils  aus  Schuttablagerungen,  theils 
aus  Conglomeratbänken  gebildeten  Steil- 
ufern vorüber,  welche  mitunter,  so  ins- 
besondere bei  Gross-Reifling  und  Hieflau, 
sehr  umfangreiche  Fluss-  und  Lehnen- 
bauten nothwendig  machten.  Von  Hief- 
lau aufwärts  tritt  die  Bahn  in  das  wegen 
seiner  grossartigen  Naturschönheiten  all- 
bekannte »Gesäuse«,  durch  die  von 
steilen  Felswänden  eingeengte  Schlucht 
in  vielfachen  künstlichen  Krümmungen 
ihren  Weg  suchend,  bald  dem  schäumen- 
den Ennsflusse,  bald  der  steilen  Fels- 
lehne den  nöthigen  Raum  abzwingend. 
Dem  Ennsthale  über  Admont  noch 
bis    Selzthal   folgend,     wendet    sich    die 


Karl   Werner. 


Trace  von  dort  aus  in  das  Paltenthal 
über  Rotten  mann  gegen  die  Wasser- 
scheide bei  Wald  und  fällt  dann  gegen 
St.  Michael  an  die  Mur  ab,  der  sie  bis 
Unzmarkt  aufwärts  folgt,  auf  diese 
Weise  die  östlichen  Ausläufer  der  Tauem- 
kette  umfahrend.  Mit  dem  Aufstieg  über 
Scheifling  bis  zur  Wasserscheide  bei 
St  Lamprecht  verlässt  sie  das  Murthal 
und  fahrt  zunächst  längs  des  Olsabaches, 
sodann  entlang  der  Gurk  und  weiter 
Ober  Glandorf,  St.  Veit  und  Ossiach 
nach  Villach. 


dort  weiter  bis  Abfaltersbach  hin  gestaltete 
sich  jedoch  infolge  der  von  den  Berg- 
hängen herab  bis  in  das  Fiussbett  vor- 
geschobenen massenhaften  Schuttablage- 
rungen die  Bahnanlage  als  schwieriger 
Lehnenbau.  Unter  vielfacher  Anwendung 
des  Minimalradius  von  284  m  und  der 
Maximal  Steigung  von  25"/u  erreicht  die 
Linie  den  Sattel  bei  Toblach  in  einer 
Meereshöhe  von  121 1  ni.  Noch  grössere 
Schwierigkeiten  als  der  Aufstieg,  bot 
der  Abstieg  längs  der  Rienz  Über  Nieder- 
dorf, Welsberg  und  Olang  bis  Bnineck. 


-.1  Biconei-BabD 


Die  Fortsetzung  der  Kronprinz  Rudolf- 
Bahn  gegen  Süden  erfolgte  stückweise 
durch  die  im  Jahre  1868  erflossene 
Concessionirung  der  Linie  Tar vis- Laibach 
und  im  Jahre  1869  durch  die  Concessio- 
nirung der  Zwischen  strecke  Villach- 
Tarvis. 

Vor  das  Jahr  186g  fallen  noch  die 
technischen  Vorarbeiten  für  die  zur  Aus- 
gestaltung des  Südbahnnetzes  höchst 
wichtige  Fortsetzung  der  Kämtnerlinie 
von  Villach  durch  das  Pusterthal  bis 
zum  Anschlüsse  an  die  Sildtirolerlinie 
bei  Franzens  feste.  Von  Vülach  aus  dem 
Laufe  des  Drauflusses  aufwärts  folgend, 
begegnet  die  Linienführung  bis  Lienz 
keinen  besonderen  Schwierigkeiten  und 
konnte  mit  der  Maximalsteigung  von  S'/oo 
das    Auslangen    gefunden    werden.    Von 


Colossale,  aus  den  beiderseitigen  Hoch- 
gebirgszügen stammende,  durch  Wild- 
bäche dem  Hauptthale  zugefiihrte  Schutl- 
ablagerungen, deren  katastrophenreicher 
Umgestaltungs-Process  noch  heute  fort- 
dauert, bilden  fast  ausschliesslich  den 
Typus  der  unteren  Thalgelände,  auf 
welchen  die  Bahn  mit  ihren  mannigfachen, 
mitunter  im  grossartigen  Stile  angelegten 
Kunstbauten  hinführt.  Vom  Lamprechts- 
berger  Tunnel  gegen  Bruneck  hin  ist  die 
Linie  mit  dem  Gefälle  von  ao^/oo  '■*  einer 
weitausgreifenden,  die  Stadt  Bruneck 
umkreisenden  Schleife  entwickelt.  [Vgl. 
Abb.  49.] 

Auch  in  der  Fortsetzung  bis  Franzens- 
feste ist  der  Lehnenbau  vorherrschend, 
doch  bewegt  sich  die  Bahn  nicht  mehr 
ausschliesslich  im  Schuttgebjete,  sondern 


der  BlHDbabnea.  II. 


194 


Karl  Werner. 


ist  zumeist  auf  dem  felsigen  Grund- 
gestelle des  Gebirges  fundirt. 

Inzwischen  nahm  der  jene  Zeit 
charakterisirende  Aufschwung  auf  allen 
Gebieten  der  finanziellen  und  namentlich 
der  Eisenbahn-Gründungen  seinen  weite- 
ren Fortgang  und  dieser  Periode  ver- 
danken die  Oesterreichische  Nordwest- 
bahn, die  Buschtßhrader  Bahn,  die  Vorarl- 
berger Bahn,  die  Leoben- Vordemberger 
Bahn,  die  Linien  Hohenstadt  -  Zöptau 
und  Salzburg  -  Hallein,  Ebensee  -  Ischl- 
Steg,  die  Dux-Bodenbacher  Bahn,  die 
Erste  ungarisch-galizische  Bahn ,  die 
Ostrau- Friedlander  Bahn,  die  Dniester 
Bahn,  die  Pilsen-Priesener  Bahn,  die 
Mährisch-schlesische  Centralbahn,  die  Un- 
garische Westbahn  und  viele  zwischen 
den  Hauptbahnen  eingeschaltete  Ver- 
bindungs-  und  Nebenlinien  ihr  Ent- 
stehen. 

In  welch  rapider  und  bis  zur  Ueber- 
hastung  reichender  Weise  sich  die  Privat- 
unternehmungen damaliger  Zeit  bei 
Aufstellung  und  Verwerthung  neuer 
Bahnprojecte  zu  überbieten  suchten,  ist  aus 
nachstehender     Tabelle     zu     entnehmen. 


Anzahl 

Anzahl 

Im 

der  ertheilten 

Im 

der  ertheilten 

Jahre 

Bewilligungen 

Jahre 

Bewilligungen 

zu  technischen 

zu  technischen 

1866 

Vorarbeiten 

Vorarbeiten 

6 

1882 

68 

1867 

l6 

1883 

64 

1868 

72 

1884 

89 

1869 

146 

1885 

83 

1870 

121 

1886 

94 

1871 

83 

1887 

78 

1872 

99 

1888 

40 

1873 

61 

1889 

53 

1874 

II 

1890 

68 

i«75 

8 

1  1891 

55       • 

1876 

7 

1892 

67 

1877 

8 

!  1893 

86 

1878 

IG 

1894 

105 

1879 

8 

1895 

137 

1880 

60 

1896 

82 

1881 

95 

1 

1897 

115 

worin  die  von  der  Regierung  pro 
Jahr  ertheilten  Bewilligungen  zur  Vor- 
nahme technischer  Vorarbeiten  verzeichnet 


sind.  Diese  bis  auf  die  neuere  Zeit  fort- 
gesetzte Tabelle  gibt  auch  Aufschluss 
über  die  der  Ueberproduction  folgende 
Reaction  sowie  über  die  späteren  Fluctua- 
tionen  der  Unternehmungslust. 

Ein  höchst  wichtiges  und  im  Allge- 
meinen sehr  nothwendiges  Correctiv  der 
oben  erwähnten  Ueberhastung,  mit  welcher 
an  die  Verfassung  und  Vorlage  der  Traci- 
rungs-Operate  seitens  der  speculirenden 
Privatunternehmungen  geschritten  wurde, 
lag  in  der  vom  4.  Februar  1871  datirten 
Handelsministerial- Verordnung,  in  wel- 
cher nicht  nur  die  äussere  Form  der  zu 
erstattenden  Projects-Vorlagen,  sondern 
insbesondere  auch  der  Vorgang  bei  der 
Verfassung  der  Projecte  sowie  der  sach- 
liche Inhalt  der  dazu  gehörigen  Behelfe 
in  fester  Norm  vorgeschrieben  wurde. 

Von  jener  Zeit  datirt  auch  ein  allge- 
meiner Fortschritt  in  der  geodätischen 
Methode  der  Terrain-Aufnahme.  Der  bis 
dahin  allgemein  gebräuchliche  Vorgang, 
wonach  zunächst  eine  dem  Durchschnitts- 
gefölle  entsprechende  Entwicklungslinie 
in  der  Natur  ausgemittelt  und  dann  durch 
entsprechende  Querprofile  die  Terrain- 
gestaltung charakterisirt  wurde,  lieferte 
jedesmal  nur  das  topographische  Bild  eines 
relativ  schmalen  Terrainstreifens.  Wo  es 
sich  demnach  um  die  Aufnahme  eines 
ausgebreiteten  Territoriums  handelte,  wie 
dies  bei  complicirter  Bodengestaltung 
und  steiler  geneigten  Lehnen,  insbeson- 
dere aber  überall  dort  der  Fall  ist,  wo 
die  Möglichkeit  sehr  verschiedener  Tracen- 
führungen  [Varianten]  vorliegt,  erscheint 
die  frühere  Methode  sehr  zeitraubend 
und  vielfach  auch  unzulänglich.  Ueber 
die  Schwierigkeiten,  welche  das  directe 
Messen  mit  Kette,  Stäben  oder  Bändern 
in  gefährlich  zu  betretendem  Terrain 
mit  sich  brachte,  half  man  sich  schon 
in  früherer  Zeit  durch  trigonometrische 
und  optische  Distanzmessungen  verschie- 
dener Art.  Eine  rationellere  und  für  alle 
Fälle  verwendbare,  überdies  auch  viel 
schneller  zum  Ziele  führende  Methode 
kam  vom  Jahre  1871  an  in  allgemeinen 
Aufschwung.  Die  verschiedenen  Einzel- 
arbeiten, welche  diese  neue  Methode, 
von  den  Feldarbeiten  angefangen  bis 
zur  Vollendung  der  planlichen  Darstel- 
lung  des  Terrains  umfasst,    werden  mit 


dem  \amen  »Tachytnetrie«  bezeichnet.  ' 
Diese  Methode  der  Terrainaufnahme  be-  ' 
ruht  auf  dem  Principe,  dass  von  einem 
seiner  Höhenlajre  und  Situirung  nach 
bekannten  Punkte  aus  mit  Hilfe  eines 
sojrenannten  Universal -Instrumentes  [vgl. 
Abb.  50  und  52],  welches  durch  ein  mit 
Doppelfäden  adjustirtes  Femrohr  als 
optischer  Distanzmesser  und  gleichzeitig 
zur  Ablesung  von  Horizontal-  und 
Verti  calwin  kein  verwendbar  ist,  jeder 
beliebige  andere  Punkt  des  Terrains 
gleichfalls  seiner  Höhenlage  und  Situi- 
rung nach  fixirt  werden  kann,  sobald 
diesen     Punkt     eine     gleichmässig 


Messoperatiunen  durchgefdhrt  werden, 
welche  früher  der  Ingenieur  mit  seinen 
Gehilfen  auf  dem  Terrain  selber  von 
Fall  zu  Fall  verrichten  musste.  Mit 
Zirkel,  Lineal  und  einer  Auswahl  von 
Curven-Schablonen  lassen  sich  daher  in 
solchen  Schichtenplänen  auch  alle  Va- 
rianten der  neuen  Bahntrace  studiren, 
welche  irgendwie  in  Betracht  kommen 
können,  ohne  dass  für  jede  neue  Variante 
abermalige  Terrainaufnahmen  nöthig 
wären,  wie  dies  bei  der  früher  gebräuch- 
lichen Aufnahm smethode  so  häufig  der 
Fall  war. 

Die  erste    grosse  Arbeit,    welche    in 


eingetheilte  und  bezifferte  [sogenannte  |  Oesterreich  mit  Anwendung  dieser  neuen 
ablesbare]  Latte  [vgl.  Abb.  51J  postirt  '  Methode  durchgeführt  wurde,  ist  die 
Tracirung  der  Arlberg-Bahn,  welche 
über  Auftrag  des  k.  k.  Handels- 
ministeriums durch  die  k.  k.  General- 
Inspection  der  österreichischen  Eisen- 
bahnen im  Jahre  1871  begonnen 
wurde. 
ä  Bei    Lösung     der    gestellten    Auf- 

1^  gaben,  Innsbruck  und  Bludenz  mit  einer 
S  directen,  ausschliesslich  auf  österrei- 
It  chischem  Gebiete  liegenden  Bahnlinie 
1  zu  verbinden,  musste  zunächst  von  der 

1  allgemeinen  Frage  ausgegangen  wer- 
den, welche  Wege  bei  Ueberquerung 
des  zwischen  Tirol  und  Vorarlberg  ge- 


wird. Mittels  dieses,  noch  durch  einige 
Hilfsinstrumente  [Rechenschieber  etc., 
vgl.  Abb.  53—55]  unterstützten  Ver- 
fahrens, lässt  sich  aus  den  zu  Papier 
gebrachten  und  mit  Höhen-Cöten  be- 
schriebenen Punkten  in  jedem  be- 
liebigen Massstabe  ein  sogenannter 
Schichtenplan  verfassen,  welcher  die 
Terra!  n-Configuration,  je  nach  Be- 
dürfnis mit  mehr  oder  weniger  Ge- 
nauigkeit durch  Isohypsen,  das  ist 
durch  Linien  gleicher  Höhenlage,  zur 
Darstellung  bringt.  Nachdem  diese 
Darstellungs weise  stets  derart  einge- 
richtet wird,  dass  die  Schichtenlinien 
durchaus  gleichen  Vertica labständen 
entsprechen,  so  können  in  solchen 
Plänen,  welche  überdies  auch  alle 
Grenzlinien  der  Feld-  und  Waldcul- 
turen,  alle  Gebäude,  Gräben,  Flüsse 
etc.  enthalten,  unter  Zuhilfenahme 
von    Zirkel    und   Massstab   alle  jene 


196 


Karl  Werner. 


H 
»1 
o 

er 

5 

n 


o 


» 

n 
o 

BT 
n 

9 
o 

D" 
»«• 
a 
er 
o 
•1 


ä 


.»-t-t 


rt^^ 


H 


••- 


--        I      --L 


-  ■ 


.9    . 

:  ■ 
f 


^i^ 


•tis 


•I 


'K 


•i4n 


I 


* 


«1:: 


1! 


I»i: 


-(-. 


J# 


i! 


:>- 


li 


■ii 


!! 

I 

H 


:i 


)-.: 


li. 


»1 


lagerten  Gebirgsstockes 
überhaupt  in  Betracht 
kommen  können.  Nach 
den  allgemeinen  topogra- 
phischen Verhältnissen 
war  sofort  zu  erkennen, 
dass  die  Hauptschwierig- 
keiten sich  zwischen  Blu- 
denz  und  Landeck  häu- 
fen. In  diesem  Bereiche 
boten  sich  bei  näherer 
Betrachtung  nur  zwei 
Hauptübergänge:  entwe- 
der durch  das  Montafon- 
thal  und  nach  Ueberstei- 
gung  des  Zeynes-Joches 
durch  das  Patznauner- 
thal,  oder  durch  das 
Klosterthal  über  den  Arl- 
berg  und  weiter  durch 
das  Stanzerthal.  Die  Ent- 
scheidung dieser  Vorfrage 
bedurfte  zunächst  eines 
generellen  Studiums,  wel- 
ches die  Höhenlage  der 
Culminationspunkte,  die 
Länge  der  beiden  Linien 
und  namentlich  jene  der 
Scheiteltunnel e,  die  zu 
be  w  älti  genden  S  teigun  gs- 
verhältnisse,  ausserdem 
aber  auch  die  geologi- 
schen, klimatischen  sowie 
alle  die  allgemein  bau- 
lichen Schwierigkeiten 
beeinflussenden  Momente 
für  beide  Altemativfälle 
in  Vergleich  zu  ziehen 
hatte.  Um  die  zur  Be- 
antwortung der  erwähn- 
ten Vorfragen  erforder- 
lichen Daten  zu  erlangen, 
wurden  unter  Zuhilfe- 
nahme der  besten  vorhan- 
denen kartographischen 
Werke  sowie  durch  baro- 
metrische Aufnahmen  und 
Vomivellements  die  relativen  Höhenlagen 
der  massgebenden  Punkte  ermittelt; 
ebenso  wurden  die  geologischen  und 
klimatischen  Verhältnisse  durch  zahl- 
reiche Recognoscirungen  und  Beobach- 
tungen für  beide  Alternativen  eingehend 
studirt. 


-i> 


Ein  hierauf  basirter  gegenseitiger 
Vergleich  gab  folgende  Resultate: 

L  Für  den  Arlberg: 

Länge  der  directen  Linie  zwischen 
Landeck  und  Bludenz  69  kni]  Höhen- 
lage des  Arlbergsattels  1780  m  über 
dem  Meere;  Länge  des  Scheiteltunnels 
5*5  bis  12*4  km  je  nach  Wahl  der 
Höhenlage  der  Nivellette  von  1453  bis 
1200  m  über  dem  Meere. 

IL  Für  das  Zeynes-Joch: 

Länge  der  directen  Linie  zwischen 
Landeck  imd  Bludenz  74  k^n\  Höhen- 
lage des  tiefsten  Sattels  1865  tn  über 
dem  Meere;  Länge  des  Scheiteltunnels 
im  Minimum  16  km\  Höhenlage  der 
Nivellette  1390  tn  über  dem  Meere. 

Wenn  schon  diese  ziffermässigen 
Daten  für  die  Wahl  der  Arlberglinie 
sprachen,  so  Hessen  die  ungünstigen  geo- 
logischen und  klimatischen  Verhältnisse 
des  Zeynes-Joches  sowie  die  durch 
häufige  Murbrüche  und  Lawinengänge 
gefährdeten  Lehnen  des  Montafoner  und 
Patznaunerthales  in  unserer  Vorfrage 
keinen  weiteren  Zweifel  mehr  übrig; 
bei  den  weiteren  Studien  konnte  nur 
mehr  die  Arlberglinie  in  Betracht 
kommen. 

Die  mit  grosser  Energie  unternomme- 
nen tach3rmetrischen  Terrainaufnahmen 
im  Kloster-  und  Stanzerthale  wurden 
über  beide  Lehnen  und  den  zwischen- 
liegenden Thalgrund  ausgedehnt;  den- 
selben gingen  detaillirte  geologische 
Studien  sowie  eingehende  Erhebungen 
über  die  Niederschlags-  und  Schnee- 
verhältnisse, über  Muren  und  Lawinen- 
gänge und  über  die  Ergiebigkeit  der 
Wasserzuflüsse  zur  Seite.  Auf  Gnmd 
dieses  umfangreichen  Materials  erfolg- 
ten sodann  die  eigentlichen  Tracestudien, 
bei  welchen  für  die  offene  Rampen- 
strecke Bludenz- Arlberg  drei,  für  die 
Ostrampe  zwei  Varianten  in  Betracht 
gezogen  werden  mussten.  Die  Steigungs- 
verhältnisse auf  der  Ostseite  erwiesen 
sich  schon  durch  das  natürliche  Thal- 
gefälle relativ  günstig,  so  dass  nur 
zwischen  der  sonn-  und  schattseitigen 
Lehne  die  Wahl  zu  treffen  war.  Dagegen 
erwiesen  sich  die  Gefällsverhältnisse  des 
Rosanathales    sehr    ungünstig,     weshalb 


drei  ganz  verschiedene  Varianten  studirt 
und  in  gegenseitigen  Vergleich  gezogen 
wurden,  und  zwar : 

1.  Eine  Linie  an  der  sonn s eiligen 
Lehne  mit  SS^/oo  Ansteigung  und  einer 
Länge  von  29*3  km  zwischen  Bludenz 
und  Stuben. 

2.  Eine  um  4  km  längere  Linie 
zwischen  denselben  Anschlusspunkten, 
jedoch  mit  Anwendung  von  Kreiskehren 
bei  einer  Steigung  von  ag^/jn,. 

3.  Eine  Linie  mit  29"/^^  Ansteigung 
in  directer  Richtung,  wobei  jedoch  die 
Tunnel -Nive  11  ette  um  circa  2C»  m  tiefer 
als  bei  den  Linien  i  und  2,  daher  auch 
der  Tunneleingang  nicht  bei  Stuben, 
sondern  bei  Langen  gedacht  war. 

Für  die  Trace  des  Scheiteltunnels 
wurden  fUnf  verschiedene  Fälle  studirt, 
und  zwar : 

a)  Mit  Anlage  des  Tunneleinganges 
nächst  Stuben  [1406  m  über  dem  Meere] 
und  des  Tunnelausganges  im  Arlthale 
[1451  m  Über  dem  Meere]  bei  einer 
geraden  Länge  von  5'5  km  und  einer 
Bauzeit  von  elf  Jahren ; 

b)  mit  Beibehaltung  derselben  Tunnel- 
Fortale  wie  früher,  jedoch  gebrochener, 
6'4  km  langer  Trace,  welche  die  Anlage 
zweier  Hilfsschächte,  und  somit  die 
Keducirung  der  Bauzeit  auf  sieben  Jahre 
ermöglichen  sollte; 


c)  mit  Anlage  des  Tunnel -Portal  es 
nächst  Stuben  in  der  Meereshöhe  von 
1410  in  und  des  Tunnel ausganges  in 
der  Marchthalschlucht  oberhalb  St. 
Anton  [1368  m  über  dem  Meere]  bei 
gebrochener,  6-8  km  langer  Trace,  wel- 
che die  Anlage  zweier  Hilfsschächte  er- 
möglichte und  für  7'/i  Jahre  Bauzeit 
berechnet  war; 


d)  mit  dem  Tunneleingange  bei  Stu- 
ben [1410  in  über  dem  Meere]  und  dem 
Ausgange  in  der  Moccaschlucht  bei 
St.  Anton  [1330  m  über  dem  Meere] 
in  gerader,  7 '6  km  langer  Trace  mit 
einem  Hilfsschachte  und  einer  Bauzeit 
von  8 '/,  Jahren  ; 

e)  mit  dem  Tunnelein  gange  bei 
Langen  [1210  m  über  dem  Meere]  und 
dem  Ausgange  bei  St.  Jacob  [1260  m 
über  dem  Meere],  bei  einem  i2'4  km 
langen ,  in  seiner  Richtung  zweimal 
gebrochenen  Tunnel,  dessen  Bauzeit  mit 
Zuhilfenahme  von  drei  Schächten  auf 
8 '/»  Jahre  veranschlagt  war. 

Bei  Berechnung  der  obigen  Bauzeiten 
waren  die  beim  Baue  des  Mont  Cenis- 
Tunnels  mit  maschineller  Kraft  betriebenen 
Gesteinsbohrer  und  die  beiderseits  des 
Arlberges  zu  diesem  Zwecke  zu  Gebote 
stehenden  Wasserkräfte  als  Grundlage  an- 
genommen. Wiederholte,  aus  Männern 
der  Bau-  und  Betriebspraxis  zusammen- 
gesetzte Expertisen  sprachen  sich  im 
Interesse  des  künftigen,  möghchtt  unge- 
störten Bestandes  und  Betriebes  der  Bahn 
für  die  tiefste,  somit  längste  Tunnelanlage 
aus;  bezüglich  der  Zufahrtsrampen  wurde 
die  westliche  mit  29"/ooi  die  östliche  mit 
^S'/oo    Maximal  Steigung,     und    für    den 


Minimal -Curvenradius     das    Mass     von 
250  *"  gewählt. 

Bekanntlich  gelangte  bei  dem  im 
Jahre  1880  begonnenen  Bau  ein  zwischen 
den  Tunnel- Portalen  bei  St.  Anton  und 
Stuben  gelegener,  10.240  m  langer,  in 
vollkommen  gerader  Richtung  führender 
zwei  gel  eisiger  Tunnel  zur  Ausführung. 
Die  bei  den  Zufahrtsrampen  Ihatsächlich 
in  Anwendung  gekommenen  Maximal- 
Neigungs Verhältnisse  betragen  auf  der 
Westseite  so'j^^,  auf  der  Ostseite  257nn- 


Der  Inangriffnahme  des  Tunnelbaues 

hatte  noch  eine  besondere  geodätische 
Arbeit  voranzugehen,  d.  i.  die  Absteckung 
und  Fiximng  der  Tunnelaxe.  Die  bei  ge- 
ringeren Tnnnellängen  und  unter  günsti- 
geren Terrain  Verhältnissen  sonst  übliche 
Methode  der  Tunnelaxen-Fixirung  durch 
directe  Absteckung  oder  mit  Hilfe  eines 
relativ  kurzen  Polygonzuges  auf  Grund 
einer  gemessenen  Basis  konnte  beim 
Arlberg  nicht  in  Anwendung  kommen ; 
vielmehr  musste  angesichts  der  bedeuten- 
den Tunnellänge  von  mehr  als  10  ktn 
sowie  auch  in  Anbetracht  der  ungünstigen 
Terrainge staltung  des  zwischen  den  bei- 
den, in  rtefen  Thalfalten  gelegenen  Tunnel- 
Portalen  sich  erhebenden,  mitunter  sehr 
schwer  gangbaren  Gebirgsstockes,  zur 
Triangulirung  geschritten  werden,  wozu 
das  vom  k.  k,  milititr-geo graphischen 
Institute  behufs  einer  Landesvermessung 


angelegte  Triangulirungsnetz  eine  sehr 
willkommene  und  sichere  Basis  darbot. 
Mittels  wiederholter  VVinkelmessungen 
wurden  zunächst  nach  dem  Pothenot'schen 
Probleme  die  geographische  Breite  und 
Länge  der  beiden  Tunnel- Anschlagpunkte, 
beziehungsweise  deren  Lage  im  Triangu- 
lirungsnetze  durch  Coordinaten  festgestellt, 
hieraus  der  Richtungswinkel  der  Tunnel- 
axe sowie  deren  Länge  berechnet.  Behufs 
schärferer  Controle  dieser  Arbeit  wurde, 
von  der  Ostseite  aus  beginnend,  die 
Richtung  der  Tunnelaxe  über  das  Gebirge 
hinweg  bis  zum  Westportale  und  darüber 
hinaus  verlängert,  durch  Ausstecken  der 
geraden  Linie  über  das  Gebirge  hinweg 
nach  erzielter  Coincidenz  der  Resultate 
die  beiderseitigen  Observatorien  fixirt  und 
mittels  Rep&re punkten  versichert. 

Bei  der  Berechnung  der  Kosten  und 
der  Bauzeit  für  diesen  tiefliegenden  Tunnel 
wurden  die  mittlerweile  beim  Bau  des 
G Ott hard- Tunnels  gewonnenen  günstigen 
Erfahrungen  zugrunde  gelegt,  nach 
welchen  sowohl  mit  der  durch  com- 
primirte  Luft  betriebenen  Percussions- 
Bohrmaschine  von  Ferroux,  als  auch  mit 
der  seit  1877  bekannt  gewordenen,  durch 
einen  Wasserdruck  von  80—100  Atmo- 
sphären bewegten  Drehbohrmaschine  von 
Brandt  ein  durchschnittlicher  Fortschritt 
des  St  ollen  vortriebe  3  von  3  «t  pro  Tag 
erzielt  werden  konnte. 

Als  ein  Fortschritt  auf  dem  Gebiet 
der  Tracenlegung  ist  die  bei  der  Aus- 
führung der  Arlberg-Bahn  in  Anwendung 
gekommene  und  in  der  Folge  für  alle 
Bahnanlagen  zur  Norm  erhobene  Aus- 
gleichung der  Nivellette  zu  verzeichnen. 
Ausgehend  von  der  Thatsache,  dass  die 
Bewegung  der  Fahrbetriebsmittel  in  den 
BahnkrUmmungen  wegen  der  vermehrten 
Reibung  und  in  den  Tunnelstrecken  wegen 
der  feuchten  Schienenoberfläche  einen 
grösseren  Widerstand  ertUhrt  als  in  den 
geraden  offenen  Strecken,  verfolgt  die 
erwähnte  Ausgleichung  der  Nivellette 
bekanntlich  den  Zweck,  die  Schwankungen 
der  Zugs  widerstände  auf  Grund  eines 
speciellen  CalcUls  dadurch  möglichst  aus- 
zugleichen, dass  die  auf  die  Gesammt- 
länge  entfallende  Durch  Schnittssteigung 
in  den  Bogenstrecken  nach  dem  Masse 
des    Curvenradius    und    in    den  Tunnel- 


strecken  entsprechend  deren  Länge  er- 
mässigt,  dagegen  in  den  geraden  Strecken 
im  proportionalen  Verhältnisse  verg^össert 
wird.  Ein  weiterer  Fortschritt  lag  auch  in 
der,  den  ruhigeren  Gang  der  Fahrbetriebs- 
mittel  bezweckenden  Anordnung  parabo- 
lischer Uebergangs-Curven  bei  den  Bogen- 
Ein-  und  Ausläufen  an  Stelle  der  schon 
viel  früher  gebräuchlichen  Korbbogen. 

Derselben   Zeitperiode,    wie  die  Vor- 
arbeiten    für    die    Arlberg  -  Bahn,     ent- 


übte ihre  verhängnisvolle  Rückwirkung 
auch  auf  die  Bahnuntemehmungen  aus. 
Zwar  nahm  der  Ausbau  der  damals 
schon  concessionirten  und  finanziell 
sichergestellten  Bahnlinien,  worunter  die 
Salzburg-Tiroler  Bahn,  die  Mährisch- 
schlesische  Centralbahn,  die  Wien-Potten- 
dorf-Wiener-Neustädter Bahn  und  ver- 
schiedene Nebenlinien  grösserer  Bahn- 
untemehmungen zählen,  seinen  unge- 
störten Verlauf;    für  die  Creirung   neuer 


stammt  auch  die  Localbahn  von  Nuss- 
dorf  auf  den  Kahlenberg,  der  erste  Re- 
präsentant einer  Zahnradbahn  in  Oester- 
reich.  Dieselbe  ist  nach  dem  System 
Riggenbach,  mit  normaler  Spurweite, 
einer  Maximal-Steigung  von  iOO%o  und 
dem  Minimal-Curvenradius  von  i8o  tn 
angelegt. 

Mittlerweile  dauerte  der  schon  im 
Vorhergehenden  erwähnte  allgemeine 
Aufschwung  auf  dem  Gebiete  neuer 
Bahnuntemehmungen  noch  bis  gegen 
das  Jahr  1873  an.  Die  um  diese  Zelt 
■in  allen  Zweigen  industrieller,  wirth- 
schaftlicher  und  namentlich  finanzieller 
Thätigkeit    eingetretene    schwere    Krisis 


Linien  war  jedoch  jede  Unternehmungs- 
lust geschwunden,  so  dass  sich  die  Re- 
gierung veranlasst  fand,  die  Mittel  für 
Eisenbahnbauten  unter  Benützung  des 
Öffentlichen  Credltes  zu  beschaffen.  ^ 
Auf  Grund  des  im  Jahre  1873  erlassenen 
Gesetzes  wurden  zunächst  Special-Cre- 
dite  für  den  Bau  der  Istrianer  Bahn,  der 
Tarn6w-Leluch6wer  Bahn,  der  Dalma- 
tiner Bahnen  und  der  Linie  Rakonitz- 
Protivin  bewilligt.  In  den  bis  zum  Jahre 
1876  reichenden  Zeitraum  fällt  noch  die 
Erweiterung  der  Concession  der  Kron- 
prinz Rudolf-Bahn  für  die  Linien  Villach- 
Tarvis,  Hieflau-Eisenerz  und  Salzkammer- 
gut-Bahn,  ausserdem  für  Leobersdorf-St. 


2CO 


Karl  Werner. 


Polten  mit  Zweiglinien  nach  Gutenstein  und 
Gaming ;  in  das  Jahr  1878  fällt  die  Conces- 
sions- Verleihung  für  die  Eisenbahn  Wien- 
Aspang.  —  Das  Jahr  1879  bezeichnet  ein 
vollkommener  Stillstand  der  Privatbestre- 
bungen und  beschränkte  sich  der  Zuwachs 
neuer  Tracen  auf  die  in  Staatsregie  unter- 
nommene Herstellung  von  Tarvis-Pontafel, 
Unterdrauburg- Wolfsberg,  Mürzzuschlag- 
Neuberg,  Kriegsdorf-  Römerstadt  und 
Ebersdorf-Würbenthal. 

Ein  neues  Feld  der  allmählichen  Ent- 
wicklung fanden  die  Privatunternehmun- 
gen erst  wieder  mit  dem  im  Jahre  1879 
erflossenen  Localbahn- Gesetze,  welches 
sowohl  für  die  Concessionirung  als  auch 
für  Anlage,  Ausführung  und  Betrieb  von 
Localbahnen  umfassende  Erleichterungen 
gewährte.  Diesem  zunächst  nur  für  drei 
Jahre,  nachher  jedoch  für  eine  längere 
Giltigkeitsdauer  erstreckten  Gesetze  ver- 
dankt eine  sehr  grosse  Anzahl  theils 
normal-,  theils  schmalspuriger  Local- 
bahnen in  fast  allen  Ländern  der 
Monarchie  ihr  Entstehen. 

Inzwischen  hatte  der  allmähliche 
Wiederaufschwung  der  Eisenindustrie  das 
schon  früher  gefühlte  Bedürfnis,  die  um 
die  Gewinnung  und  Verhüttung  der 
Bergproducte  des  steirischen  Erzberges 
beflissenen  Orte  Eisenerz  und  Vordem- 
berg mittels  eines  directen  Schienenweges 
zu  verbinden,  zur  unabweislichen  Noth- 
wendigkeit  gesteigert.  —  Wohl  waren 
zur  Herstellung  dieser  Verbindung  schon 
wiederholt  Tracenstudien  unternommen 
worden,  die  Realisirung  einer  Adhäsions- 
bahn scheiterte  jedoch  'an  der  Ungunst 
der  örtlichen  Verhältnisse.  Zwischen  der 
in  einer  Meereshöhe  von  692  m  gelegenen 
Ausgangsstation  Eisenerz  und  der  in  der 
Meeres-Cote  von  768  m  gelegenen  An- 
schlussstation Vordemberg,  welche  eine 
directe  Horizontal-Entfemung  von  kaum 
13  km  trennt,  erhebt  sich  der  Prebichl- 
pass   mit   der   Höhenlage   von    1230  w. 

Die  bei  Anwendung  des  Adhäsions- 
Systems  relativ  günstigste  Trace  hätte 
ihren  Aufstieg  von  Eisenerz  aus  zimächst 
mit  einer  Entwicklung  in  der  Ramsau 
und  im  hinteren  Erzbergthale,  und  nach 
Durchbrechung  des  Reichensteines  mittels 
eines  4000  m  langen  Tunnels  ihren 
Abstieg  mit  einer  Entwicklung  im  Göss- 


bach- und  Krumpenthal  gefunden.  Diese 
circa  26  ktn  lange  Linie  hätte  an  die 
Leoben- Vordernberger  Bahn  bei  Hafaing 
angeschlossen  und  sonach  ihren  eigent- 
lichen Zweck,  die  Einbeziehung  der 
Vordernberger  Werke,  gänzlich  verfehlt, 
weshalb  auch  die  Oesterreichisch-alpine 
Montan -Gesellschaft  von  dieser  Aus- 
führung abstand. 

Die  unterdess  in  anderen  Ländern 
mit  dem  Abt'schen  gemischten  Betriebs- 
systeme erzielten  günstigen  Erfahrungen, 
welche  bei  gleichzeitiger  Nutzbarmachung 
der  Adhäsion  und  der  Zahnstange  die 
Bewältigung  grosser  Nutzlasten  auf  sehr 
starken  Steigungen  gewährleistete,  führten 
endlich  zur  rationellen  Lösung  der  ge- 
stellten Aufgabe. 

Auf  Gmnd  der  im  Jahre  1888  er- 
flossenen Concession  wurde  die  normal- 
spurige  Verbindungslinie  für  gemischtes 
Betriebssystem  hergestellt;  dieselbe  er- 
hebt sich  von  Eisenerz  aus  unter  wieder- 
holter Anwendung  des  Steigungsverhält- 
nisses von  7 1  ^Iqq  .  imd  des  Minimal- 
Krümmungshalbmessers  von  180  f«  an 
den  Hängen  der  Ramsau,  durchfährt 
nach  einer  vollen  Wendung  im  hinteren 
Erzbergthale  den  Erzberg  mittels  eines 
1394  m  langen  Tunnels  und  nach  weiterer 
Ansteig^ung  im  Hochgerichtsgraben  den 
Prebichlpass  mit  einem  591  w  langen 
Tunnel,  worauf  sie  sich  an  der  linken 
Lehne  des  Vordernberger  Thaies  zur  An- 
schlussstation Vordemberg  herabsenkt. 
Die  Länge  der  Linie  beträgt  20  km^  der 
Culminationspunkt  im  Prebichl-Tunnel 
liegt  in  der  Meeres-Cote  von  1205  m. 

Zur  Abwehr  der  dem  Bahnbetriebe 
aus  dem  Lawinengebiete  des  Reichen- 
steines drohenden  Gefahren  erschien  die 
Anlage  umfassender  Schutzbauten  nöthig, 
woraus  sich  die  Nothwendigkeit  einer  bis 
in  die  Hochregion  reichenden  Terrain- 
aufnahme ergab;  hiebei  kam  ausser 
dem  tachymetrischen  auch  das  photo- 
grammetrische  Verfahren  in  Anwendung. 
Das  Wesen  der  gegenwärtig  noch  im 
Entwicklungsstadium  befindlichen  Photo- 
grammetrie  besteht  bekanntlich  darin, 
dass  von  zwei  oder  mehreren  ihrer 
Situirung  und  Höhenlage  nach  bekannten 
Punkten  aus  photographische  Bilder  des 
betrefl'enden  Gebietes  hergestellt  werden, 


Tracirung. 


201 


2)11«  \ir*»lr»li«»n   cir^Vi   «or»!!    TH<»nfi-fir»imi' 


•  .1  ■!<,■      ■;■ 


jL.;» 


900» 


QmlMnänk-j. 


0 


* 


w 


^ 


mit      uci       xTidAiiuaistciguiig       vuil       j^^'Jqq    ■    uciii   4W0W  //»    laiigcii   ociiciicituiiiicx    wai\^ 


2CO 


Karl  Werner. 


Polten  mit  Z  weiglinien  nach  Gutenstein  und  '  _bj 


firefundaa.  Dum» 


Tradrung. 


201 


aus  welchen  sich  nach  Identificirung  mar- 
kanter Terrainpunkte,  auf  ähnliche  Weise 
wie  bei  der  Messtischaufnahme,  durch 
Rayoniren  und  Schneiden  oder  auf 
sonstigem  graphischen  Wege  eine  mehr 
oder  minder  präcise  Charakterisirung  der 
Bodengestaltimg  entwickeln  und  in  Form 
von  Schichtenplänen  darstellen  lässt. 

Dem  bisher  im  retrospectiven  Sinne 
verfolgten  Theile  des  Entwicklungsganges 
der  österreichischen  Eisenbahnlinien  reiht 
sich  noch  die  Betrachtung  über  die  der 
nächsten  Zukunft  vorbehaltenen  Fragen 
jener  Bahntracen  an,  welche  die  Ver- 
bindung des  Seehafens  von  Triest  mit 
den  nördlichen  und  nordwestlichen  Pro- 
vinzen des  Reiches  bezwecken.  Bei 
Betrachtung  der  allgemeinen  geographi- 
schen Lage  dieses  Emporiums  öster- 
reichischen Seehandels  fällt  sofort  in  die 
Augen,  dass  die  directe  Schienenverbin- 
dung gegen  Norden  durch  mehrere 
mächtige  Gebirgssysteme  erschwert  wird, 
deren  Hauptrichtung  von  Ost  nach  West 
verläuft.  Es  sind  dies  zunächst  die 
Ketten  der  Julischen  Alpen  und  der 
Karawanken,  weiter  nördlich  die  Tauern. 

Die  im  Laufe  der  letzten  Jahre  seitens 
der  Regierung  unternommenen  Tracen- 
studien  und  Projectirungsarbeiten  um- 
fassten  ein  sehr  vielseitiges  und  reich- 
haltiges Materiale  für  die  Lösung  der 
gestellten  technischen  Fragen.  Bei  der 
Aufstellung  der  Projecte  wurde  an  dem- 
Grundgedanken  festgehalten,  dass  die 
intendirten  Bahnlinien  nicht  den  Local- 
bedürfhissen  der  durchzogenen  Länder- 
gebiete, sondern  den  Zwecken  eines 
grossen  Durchzugsverkehres  zu  dienen 
haben  werden. 

Für  die  Ueberquerung  der  Tauem 
wurden  zehn  verschiedene  Varianten 
studirt,  welche  in  ihren  Hauptrichtungen 
den  Thalbildungen  von  Feiben,  Fusch, 
Rauris,  Gastein,  Gross-Arl,  Flachau  und 
Taurach  am  Nordhange,  und  jenen  von 
Isel,  MöU,  Fragant,  Malta  und  Lieser- 
bach am  Südhange  sowie  den  inzwischen 
möglichen     Combinationen    entsprechen. 

Unter  diesen  zehn  Varianten  nehmen 
insbesondere  zwei  ein  hervorragendes 
Interesse  in  Anspruch,  und  zwar: 

I.  Jene  für  reines  Adhäsions-System 
mit    der     Maximalsteigung     von     25  %o 


entwickelte,  circa  77  ktn  lange  Linie, 
welche,  von  der  Station  Schwarzach-St. 
Veit  der  k.  k.  Staatsbahnlinie  Salzburg- 
Wörgl  ausgehend,  sich  über  Loibhorn 
durch  das  Gasteinerthal  bis  Böckstein 
erhebt,  den  Gebirgskamm  mittels  eines 
8470  nt  langen,  in  der  Meeres- Co te  von 
1225  m  culminirenden  Scheiteltunnels 
durchbricht  und  sodann  über  Malnitz 
und  Obriach,  längs  dem  Möllthale  ab- 
fallend, ihren  Anschluss  an  die  Puster- 
thal-Bahn bei  Möllbrücken  [nächst  Sach- 
senburg] findet. 

2.  Die  mit  40%o  Maximalsteigung 
für  gemischtes  [Adhäsions-  und  Zahnrad-] 
System  projectirte,  83  km  lange  Linie, 
die,  von  der  Station  Eben  der  k.  k.  Staats - 
bahnlinie  Selzthal  -  Bischofshofen  ausge- 
hend, zunächst  durch  das  Flachauthal 
bis  gegen  die  Gasthofalpe  ansteigt,  den 
Gebirgskamm  unter  der  Permut  oder 
Grosswand  mittels  eines  in  1253  w  cul- 
minirenden, 8710  tn  langen  Tunnels 
durchfährt,  hierauf  dem  Zeder  haus  thale 
bis  gegen  Schellgaden  folgt  und  nach 
Durchbrechung  des  Katschberges  mittels 
eines  5050  in  langen  Tunnels,  über 
Rennweg,  Eisentratten  und  Gmünd  durch 
das  Lieserthal  zum  Anschluss  an  die 
Station  Spital  an  der  Drau  führt. 

Für  die  weitere  Fortsetzung  dieser 
Linie  gegen  Süden  kommen  drei  grosse 
Alternativprojecte  in  Betracht,  und  zwar 
[vgl.  Abb.   100]: 

a)  Eine  Linie  von  Tarvis  ausgehend 
über  den  Predil  und  längs  des  Isonzo- 
flusses  bis  Görz. 

Die  Baulänge  Tarvis-Görz  würde 
99  Äw,  die  Schienenlänge  zwischen 
Tarvis  und  Triest  181  k^n  betragen. 
Der  in  790  m  Höhe  culminirende  Scheitel- 
tunnel würde  eine  Länge  von  3550  ^'^ 
erhalten. 

b)  Eine  Linie  von  Klagenfurt  be- 
ginnend und  nach  Ueberquerung  des 
Rosenthaies  über  den  Loibl-Pass,  Neu- 
marktl,  Bischoflack,  sodann  längs  des 
Sayrachthales  aufwärts  über  die  Höhen 
des  Bimbaumer  Waldes  nach  DivacSa. 

Die  Baulänge  dieser  Linien  würde 
162  km^  die  Schienenlänge  zwischen 
Klagenfurt  und  Triest  195  hn  betragen. 
Der  Culminationspunkt  auf  dem  Loibl,  in 
dem  4680  m  langen  Scheiteltunnel  wäre 


Karl  Werner. 


813    tn,   jener    des  Bimbaumer  Waldes  ; 
780  tn  hoch  gelegen.  1 

c)  Eine  Linie  von  Klagenfurt  be- 
ginnend durch  das  Bärenthal,  nach  Tunne- 
lirung  des  Karawankenzuges  über  Veldes  > 
und  Wocheiner- Feistritz,  sodann  nach 
Durch qiierung  der  Julis chen  Alpen  längs 
des  Bafathales  abwärts  bis  St.  Lucia 
[bei  Tolmein]  und  weiter  im  Isonzothale 
bis  Görz. 

Die  Baulänge  dieser  Linie  würde 
125  km,  die  Schienenlänge  Klagenfurt- 
Görz-Triest  182  km  betragen.  Die  beiden 
Haupttunnele  würden  zusammen  eine 
Länge  von  16.235  *"  repräsentiren.  Der 
Culminationspunkt  im  Karawanken- 
Tunnel  läge  602  wi  über  dem  Meeres- 
niveau. 

Bezüglich  dererforderlichen Baukosten  ' 
weist  die  Predil-Linie  die  niederste,   die 
Wocheiner  Linie  die  höchste  Summe  auf. 

Ein  gegenseitiger  Vergleich  der  alt- 
gemeinen Neigungsverhältnisse  fUhrt  bei 


Einrechnung  der  durch  Gegen  gefalle, 
beziehungsweise  Gegensteigungen  ver- 
lorenen Hohen  zu  dem  Resultate,  dass 
in  der  Richtung  Tri  est- Klagen  fürt  von 
der  Wocheiner  Linie  880  m,  von  der 
Predil-Linie  1080  m,  von  der  Loibl-Lack- 
DivaCa-Linie  1600  «i  zu  ersteigen,  da- 
gegen in  umgekehrter  Richtung  in  cor- 
respondirender  Ordnung  die  Hfthen  von 
420,  650  und  ifjom  zu  bewältigen  sind. 
Für  die  zwischen  den  genannten 
drei  Altemativ-Tracen,  beziehungsweise 
zwischen  den  einzelnen  Tauern- Varianten 
zu  treffende  Wahl  lässt  sich  jedoch  aus 
den  angeführten  bau-  und  betriebstech- 
nischen Daten  eine  peremptorische  Ent- 
scheidung nicht  ableiten,  nachdem  ange- 
sichts des  weitausgreifenden  Zweckes 
dieser  grossen  Durchzugslinie,  den 
nationalöconomischen,  commerziellen, 
eisenbahnpolitischen  und  militärischen 
Interessen  ein  prävalirender  Eintluss  auf 
die  Tracewahl  eingeräumt  werden  muss. 


Unter-  und  Oberbau. 


Von 

dipl.  Ingenieur  Alfred  Birk, 

().  ö.  Professor  an  der  k.  k.  deutschen  techaUchen  Hochschule  in  Pragf,  Eisenbahn-Obering^enieur  a.  I). 


Aus  zwei  streng  gesonderten  Theilen 
baut  sich  der  Weg  der  Locomo- 
^  tive  auf.  Bezeichnend  nennt  sie 
der  Fachmann  Unterbau  und  Oberbau. 
Der  Unterbau  gleicht  die  Höhen  und 
Tiefen  des  Geländes  aus,  überbrückt 
Thäler,  Flüsse  und  Strassen,  unterfährt 
Wege  und  Canäle,  durchquert  Sümpfe 
und  durchbricht  das  Gebirge,  um  eine 
ebene  und  solide  Grundlage  für  den 
Oberbau  zu  schaffen,  der  durch  sein 
starres  GefUge  die  Fahrzeuge  in  vorge- 
schriebene Bahnen  zwingt  und  der  uner- 
schütterlich Stand  halten  soll  der  Wucht, 
mit  der  Locomotive  und  Wagen  an  den 
unscheinbaren  Fesseln  rütteln. 

Dämme  und  Einschnitte,  Tunnels, 
Brücken  und  Durchlässe,  Wegüb erfuhrun- 
gen und  Wegekreuzungen  in  Schienen- 
höhe, Schutzbauten  gegen  Schnee-  und 
Sandstürme,  gegen  Lawinen  und  Fels- 
stürze, gegen  das  Wasser,  es  mag  nun 
im  Innern  der  Erdkörper  heimtückisch  an 
deren  Bestände  wühlen  oder  offen  seine 
Fluthen  zerstörend  gegen  die  Dämme 
wälzen  —  alle  diese  Einzelheiten  des 
Locomotivweges  umschliesst  das  weite 
Gebiet  des  Unterbaues,  während  der 
metallene  Strang,  über  den  die  Räder 
rollen,  die  Schwellen,  die  ihn  stützen, 
das  Schotterbett,  auf  dem  diese  ruhen, 
sich  in  den  Begriff  des  Oberbaues 
fügen. 

Die  Aufgabe,  eine  Entwicklungs- 
geschichte des  Unter-  und  Oberbaues  zu 


schreiben,  ist  nicht  leicht.  Die  Gebilde 
des  Bau- Ingenieurs  üben  auf  den  Fem- 
stehenden nicht  jene  Anziehungskraft 
aus,  wie  die  von  Leben  durchströmten 
Schöpfungendes  Locomotiv-Constructeurs. 
Aber  auch  die  U eberfülle  des  Stoffes 
erschwert  dessen  Sichtung,  dessen 
genaue  Darstellung.  Auf  zahlreichen 
Wegen  stiegen  die  Ingenieure  von  den 
Anfängen  des  Eisenbahnbaues  zu  der 
hohen  Stufe  der  Ausbildung  empor,  auf 
der  sie  heute  stehen;  aber  auf  diesen 
steilen  Pfaden  erreichten  sie  einzelne, 
mächtig  hervortretende  Höhepunkte,  wel- 
che sprungweise  die  allmähliche  Entwick- 
lung kennzeichnen;  es  sind  die  kühnen 
Gebirgsbahnen,  deren  Bau  den  Ruhm 
der  österreichischen  Ingenieure  begrün- 
dete. Die  Alpen,  die  den  schönsten 
natürlichen  Schmuck  unseres  Vaterlandes 
bilden,  bergen  zugleich  jene  Wunder- 
werke der  Baukunst,  die  den  Ruhm 
unserer  Ingenieure  verkünden. 

Die  Boden gestaltung  unserer  Mon- 
archie hatte  dem  österreichischen  Bahn- 
baue grosse  Schwierigkeiten  entgegen- 
gestellt. Aber  gerade  deren  Bekämpfung 
erweckte  seine  besten  Kräfte,  und  seine 
Erfolge  machten  ihn  zur  Schule  für  den 
ganzen  Conti nent. 

An  jene  Meisterwerke  des  öster- 
reichischen Bahnbaues  wird  unsere  Ge- 
schichte immer  wieder  anknüpfen  müssen, 
um  dem  Leser  ein  thunlichst  vollendetes 
Bild  vor  Augen  zu  führen. 


^ 


Aus  zwei  streng  gesonderten  Theilen 
baut  sich  der  Weg  der  Locomo- 
^  tive  auf.  Bezeichnend  nennt  sie 
der  Fachmann  Unterbau  und  Oberbau. 
Der  Unterbau  gleicht  die  Höhen  und 
Tiefen  des  Geländes  aus,  überbrückt 
Thäler,  Flüsse  und  Strassen,  unterfährt 
Wege  und  Canäle,  durchquert  Sümpfe 
und  durchbricht  das  Gebirge,  um  eine 
ebene  und  sohde  Grundlage  für  den 
Oberbau  zu  schaffen,  der  durch  sein 
starres  GefUge  die  Fahrzeuge  in  vorge- 
schriebene Bahnen  zwingt  und  der  uner- 
schütterlich Stand  halten  soll  der  Wucht, 
mit  der  Locomotive  und  Wagen  an  den 
unscheinbaren  Fesseln  rütteln. 

Dämme  und  Einschnitte,  Tunnels, 
Brücken  und  Durchlässe,  Wegüberführun- 
gen und  Wegekreuzungen  in  Schienen- 
höhe, Schutzbauten  gegen  Schnee-  und 
Sandstürme,  gegen  Lawinen  und  Fels- 
stürze, gegen  das  Wasser,  es  mag  nun 
im  Innern  der  Erdkörper  heimtückisch  an 
deren  Bestände  wühlen  oder  offen  seine 
Fluthen  zerstörend  gegen  die  Dämme 
wälzen  —  alle  diese  Einzelheiten  des 
Locomotivweges  umschliesst  das  weite 
Gebiet  des  Unterbaues,  während  der 
metallene  Strang,  über  den  die  Räder 
rollen,  die  Schwellen,  die  ihn  stützen, 
das  Schotterbett,  auf  dem  diese  ruhen, 
sich  in  den  Begriff  des  Oberbaues 
fügen. 

Die  Aufgabe,  eine  Entwicklungs- 
geschichte des  Unter-  und  Oberbaues  zu 


schreiben,   ist  nicht  leicht.     Die  Gebilde 

des  Bau-Ingenieurs  üben  auf  den  Fern- 
stehenden nicht  jene  Anziehungskraft 
aus,  wie  die  von  Leben  durchströmten 
Schöpfungen  des  Locomotiv-Constructeurs. 
Aber  auch  die  Ueberfülle  des  Stoffes 
erschwert  dessen  Sichtung,  dessen 
genaue  Darstellung.  Auf  zahlreichen 
Wegen  stiegen  die  Ingenieure  von  den 
Anfängen  des  Eisenbahnbaues  zu  der 
hohen  Stufe  der  Ausbildung  empor,  auf 
der  sie  heute  stehen;  aber  auf  diesen 
steilen  Pfaden  erreichten  sie  einzelne, 
mächtig  hervortretende  Höhepunkte,  wel- 
che sprungweise  die  allmähliche  Entwick- 
lung kennzeichnen:  es  sind  die  kühnen 
Gebirgsbahnen,  deren  Bau  den  Ruhm 
der  österreichischen  Ingenieure  begrün- 
dete. Die  Alpen,  die  den  schönsten 
natürlichen  Schmuck  unseres  Vaterlandes 
bilden,  bergen  zugleich  jene  Wunder- 
werke der  Baukunst,  die  den  Ruhm 
unserer  Ingenieiu'e  verkünden. 

Die  Bodengestaltung  unserer  Mon- 
archie hatte  dem  österreichischen  Bahn- 
baue grosse  Schwierigkeiten  entgegen- 
gestellt. Aber  gerade  deren  Bekämpfung 
erweckte  seine  besten  Kräfte,  und  seine 
Erfolge  machten  ihn  zur  Schule  für  den 
ganzen  Conti  nent. 

An  jene  Meisterwerke  des  öster- 
reichischen Bahnbaues  wird  unsere  Ge- 
schichte immer  wieder  anknüpfen  müssen, 
um  dem  Leser  ein  thunhchst  vollendetes 
Bild  vor  Augen  zu  führen. 


Aus  zwei  streng  gesonderten  Theilen 
baut  sich  der  Weg  der  Locomo- 
^  tive  auf.  Bezeichnend  nennt  sie 
der  Fachmann  Unterbau  und  Oberbau. 
Der  Unterbau  gleicht  die  Höhen  und 
Tiefen  des  Geländes  aus,  überbrückt 
Thäler,  Flüsse  und  Strassen,  unterfährt 
Wege  und  Canäle,  durchquert  Sümpfe 
und  durchbricht  das  Gebirge,  um  eine 
ebene  und  solide  Grundlage  für  den 
Oberbau  zu  schaffen,  der  durch  sein 
starres  GefUge  die  Fahrzeuge  in  vorge- 
schriebene Bahnen  zwingt  und  der  uner- 
schütterlich Stand  halten  soll  der  Wucht, 
mit  der  Locomotive  und  Wagen  an  den 
unscheinbaren  Fesseln  rütteln. 

Dämme  und  Einschnitte,  Tunnels, 
Brücken  und  Durchlässe,  Weg  Überführun- 
gen und  Wegekreuzungen  in  Schienen- 
höhe, Schutzbauten  gegen  Schnee-  und 
Sandstürme,  gegen  Lawinen  und  Fels- 
stürze, gegen  das  Wasser,  es  mag  nun 
im  Innern  der  Erdkörper  heimtückisch  an 
deren  Bestände  wühlen  oder  oifen  seine 
Fluthen  zerstörend  gegen  die  Dämme 
wälzen  —  alle  diese  Einzelheiten  des 
Locomotivweges  um  seh  lies  st  das  weite 
Gebiet  des  Unterbaues,  während  der 
metallene  Strang,  über  den  die  Räder 
rollen,  die  Schwellen,  die  ihn  stützen, 
das  Schotterbett,  auf  dem  diese  ruhen, 
sich  in  den  Begriff  des  Oberbaues 
fügen. 

Die  Aufgabe,  eine  Entwicklungs- 
geschichte des  Unter-  und  Oberbaues  zu 


schreiben,  ist  nicht  leicht.  Die  Gebilde 
des  Bau-Ingenieurs  üben  auf  den  Fem- 
stehenden nicht  jene  Anziehungskraft 
ans,  wie  die  von  Leben  durchströmten 
Schöpfungendes  Locomotiv-Constructeurs. 
Aber  auch  die  Ueberfülle  des  Stoffes 
erschwert  dessen  Sichtung,  dessen 
genaue  Darstellung.  Auf  zahlreichen 
Wegen  stiegen  die  Ingenieure  von  den 
Anfängen  des  Eisenbahnbaues  zu  der 
hohen  Stufe  der  Ausbildung  empor,  auf 
der  sie  heute  stehen ;  aber  auf  diesen 
steilen  Pfaden  erreichten  sie  einzelne, 
mächtig  hervortretende  Höhepunkte,  wel- 
che sprungweise  die  allmähliche  Entwick- 
lung kennzeichnen:  es  sind  die  kühnen 
Gebirgsbahnen,  deren  Bau  den  Kuhm 
der  österreichischen  Ingenieure  begrün- 
dete. Die  Alpen,  die  den  schönsten 
natürlichen  Schmuck  unseres  Vaterlandes 
bilden,  bergen  zugleich  jene  Wunder- 
werke der  Baukunst,  die  den  Ruhm 
unserer  Ingenieure  verkünden. 

Die  Bodengestaltung  imserer  Mon- 
archie hatte  dem  österreichischen  Bahn- 
baue grosse  Schwierigkeiten  entgegen- 
gestellt. Aber  gerade  deren  Bekämpfung 
erweckte  seine  besten  Kräfte,  und  seine 
Erfolge  machten  ihn  zur  Schule  für  den 
ganzen  Conti nent. 

An  jene  Meisterwerke  des  öster- 
reichischen Bahnbaues  wird  unsere  Ge- 
schichte immer  wieder  anknüpfen  müssen, 
um  dem  Leser  ein  thunlichst  vollendetes 
Bild  vor  Augen  zu  führen. 


ALS  zwei  streng  gesonderten  Theilen 
baut  sich  der  Weg  der  Locomo- 
^  tive  auf.  Bezeichnend  nennt  sie 
der  Fachmann  Unterbau  und  Oberbau. 
Der  Unterbau  gleicht  die  Höhen  und 
Tiefen  des  Geländes  aus,  überbrückt 
Thäler,  Flüsse  und  Strassen,  unterfährt 
Wege  und  Canäle,  durchquert  Sümpfe 
und  durchbricht  das  Gebirge,  um  eine 
ebene  und  soHde  Grundlage  für  den 
Oberbau  zu  schaffen,  der  durch  sein 
starres  GefÜge  die  Fahrzeuge  in  vorge- 
schriebene Bahnen  zwingt  und  der  uner- 
schütterlich Stand  halten  soll  der  Wucht, 
mit  der  Locomotive  und  Wagen  an  den 
unscheinbaren  Fesseln  rütteln. 

Dämme  und  Einschnitte,  Timnels, 
Brücken  und  Durchlässe,  WegOberführun- 
gen  und  We gekreuzungen  in  Schienen- 
höhe, Schutzbauten  gegen  Schnee-  und 
Sandstürme,  gegen  Lawinen  und  Fels- 
stürze, gegen  das  Wasser,  es  mag  nun 
im  Innern  der  Erdkörper  heimtückisch  an 
deren  Bestände  wühlen  oder  offen  seine 
Fluthen  zerstörend  gegen  die  Dämme 
wälzen  —  alle  diese  Einzelheiten  des 
Locomotivweges  umachliesst  das  weite 
Gebiet  des  Unterbaues,  während  der 
metallene  Strang,  über  den  die  Räder 
rollen,  die  Schwellen,  die  ihn  stützen, 
das  Schotterbett,  auf  dem  diese  ruhen, 
sich  in  den  Begriff  des  Oberbaues 
ftigen. 

Die  Aufgabe,  eine  Entwicklungs- 
geschichte des  Unter-  und  Oberbaues  zu 


schreiben,  ist  nicht  leicht.  Die  Gebilde 
des  Bau-Ingenieurs  üben  auf  den  Fem- 
stehenden nicht  jene  Anziehungskraft 
aus,  wie  die  von  Leben  durchströmten 
Schöpfungen  des  Locomotiv-Constructeurs. 
Aber  auch  die  Ueb  erfülle  des  Stoffes 
erschwert  dessen  Sichtung,  dessen 
genaue  Darstellung.  Auf  zahlreichen 
Wegen  stiegen  die  Ingenieure  von  den 
Anfilngen  des  Eisenbahnbaues  zu  der 
hohen  Stufe  der  Ausbildung  empor,  auf 
der  sie  heute  stehen ;  aber  auf  diesen 
steilen  Pfaden  erreichten  sie  einzelne, 
mächtig  hervortretende  Höhepunkte,  wel- 
che sprungweise  die  allmähliche  Entwick- 
lung kennzeichnen:  es  sind  die  kühnen 
Gebirgsbahnen,  deren  Bau  den  Ruhm 
der  österreichischen  Ingenieure  begrün- 
dete. Die  Alpen,  die  den  schönsten 
natürlichen  Schmuck  unseres  Vaterlandes 
bilden,  bergen  zugleich  jene  Wunder- 
werke der  Baukunst,  die  den  Ruhm 
unserer  Ingenieure  verkünden. 

Die  Boden  ges taltun g  unserer  Mon- 
archie hatte  dem  österreichischen  Bahn- 
baue grosse  Schwierigkeiten  entgegen- 
gestellt. Aber  gerade  deren  Bekämpfung 
erweckte  seine  besten  Kräfte,  und  seine 
Erfolge  machten  ihn  zur  Schule  für  den 
ganzen  Continent, 

An  jene  Meislerwerke  des  Öster- 
reichischen Bahnbaues  wird  unsere  Ge- 
schichte immer  wieder  anknüpfen  müssen, 
um  dem  Leser  ein  thunhchst  vollendetes 
Bild  vor  Augen  zu  führen. 


2o6 


Alfred  Birk. 


Eisenbahn-Unterbau . 


Erdball, 


Zu  jener  Zeit,  da  in  Oesterreich  die 
ersten  Schienenwege  gebaut  wurden, 
war  der  Erdbau  bereits  —  in  Praxis 
wie  in  Theorie  —  durch  die  hervor- 
ragenden Leistungen  auf  dem  Ge- 
biete des  Strassenbaues  auf  einer  ver- 
hältnismässig hohen  Stufe  der  Entwicklung 
angelangt.  Und  wenn  auch  die  damalige 
Constructionsweise  und  Bauausführung 
uns  heute  bescheiden  erscheinen  mag,  so 
gentigte  sie  doch  den  Anforderungen, 
welche  der  Bau  der  ersten  Bahnen  an 
sie  stellte.  Aber  die  Unvertrautheit  mit 
dem  künftigen  Verhalten  der  Bauten  unter 
den  schweren  und  rascher  bewegten 
Lasten  trug  ein  neues  Moment  in  den 
Erdbau  hinein,  indem  sie  anfangs  zu 
besonderer,  ja  vielfach  übertriebener  Vor- 
sicht bei  dem  Baue  der  Erdkörper  im 
Hinblick  auf  ihre  Widerstandsfähigkeit 
Veranlassung  gab.  So  erachtete  Franz 
Anton  Ritter  von  Gerstner,  der  Schöpfer 
der  ersten  Eisenbahn  Oesterreichs,  die 
Erdprofile  der  Landstrassen  bei  den  hohen 
Dämmen  der  Linz-Budweiser  Bahn  nicht 
für  genügend,  um  den  Senkungen  der 
Bahn  vorzubeugen,  sondern  baute  in  den 
Erdkörper  unter  jedes  Geleise  eine  mäch- 
tige Steinmauer  ein,  die  auf  dem  gewach- 
senen Boden  ruhte  und  die  er  bei  be- 
sonders hohen  Dämmen  bis  zum  Geleise 
hinaufreichen  Hess.*)  [Abb.  59—61.]  Diese 
kostspielige  Bauweise  wurde  bereits  von 
Schönerer,  der  den  Weiterbau  der  Linie 
übernahm,  verlassen,  und  bald  bildeten  sich 
jene  Damm-  und  Einschnittsprofile  heraus, 


*)  Um  allzuhäufige  Hinweise  auf  die 
allgemeine  Geschichte  der  österreichischen 
Eisenbahnen  zu  vermeiden,  sei  hier  ein  für 
allemal  auf  die  »Geschichte  der  Eisen- 
bahnen in  Oesterreich-Ungarn  von 
den  ersten  Anfängen  bis  zum  Jahre  1867« 
von  Hermann  St  räch  und  auf  die  »Ge- 
schichte der  Eisenbahnen  Oester- 
reichs von  1867  bis  zur  Gegenwart«  von 
Ignaz  Konta  im  I.  Bande  dieses  Werkes  hin- 
gewiesen. Diese  Abschnitte  enthalten  nebst 
der  Baugeschichte  und  Tracenbeschreibung 
der  einzelnen  Bahnen  auch  zahlreiche  Ab- 
bildungen der  wichtigsten  Bauwerke,  die 
vielfach  auch  in  diesem  Abschnitte  zur 
Spraclie  kommen. 


deren  Formen  zu  den  heutigen  hinüber- 
führten. Lange  Zeit  erachtete  man  es 
aber  noch  für  noth wendig,  die  Dämme 
nur  in  6"  [16  cm]  hohen  Lagen  aufzu- 
tragen und  auszugleichen  und  sie  durch 
Feststossen  vor  künftigen  Setzungen  zu 
bewahren,  bis  die  Erfahrung  auch  diese 
Massregeln  als  überflüssig  über  Bord 
warf. 

Die  erste  Locomotiv-Eisenbahn  Oester- 
reichs, die  Linie  von  Wien  nach  Brunn, 
erforderte  —  da  ihre  Erbauer  ängstlich 
dem  Vorbilde  englischer  Bauweise  folgten 
—  trotz  der  günstigen  Gestaltung  des 
Geländes  bemerkenswerthe  Unterbau- 
Objecte  und  die  bedeutende  Erdbewe- 
gung von  47i  Millionen  Cubikmetem, 
die  in  der  relativ  kurzen  Zeit  vom 
Jahre  1837  bis  1839  ausgeführt  wurde. 
Vgl.  Abb.  62 — 64.]  Zur  raschen  Erd- 
jeförderung  wurden  schon  damals  Kipp- 
wagen, die  auf  Nothbahnen  liefen,  be- 
nützt. Ungleich  grössere  Schwierig- 
keiten bot  der  Bau  der  Nordbahn 
zwischen  Leipnik  und  Pohl  in  den 
Jahren  1845  bis  1848,  wo  der  2800  m 
lange,  bis  17  w  tiefe  Einschnitt  durch 
die  dortige  Wasserscheide  in  wasser- 
reichem, von  Sand-  und  Schotterschichten 
durchzogenem  Lehmboden  zu  bedeutenden 
Rutschungen  Anlass  gab. 

Auch  der  Bau  der  Staatsbahn- 
linien Olmütz-Prag,  Brunn  -  Mährisch- 
Trübau  und  Mürzzuschlag-Triest  stellte 
den  Erdbau  vor  grosse  Aufgaben.  Dämme 
von  10  bis  20  m  Höhe  in  quellenreichem 
Gelände,  Einschnitte  von  5  bis  10  t«  Tiefe 
in  thonigem  Boden  oder  in  felsigem  Ge- 
stein, Flussverlegungen,  Durchstiche  von 
Flussarmen,  hohe  Stütz-  und  Wandmauem, 
Uferschutzbauten  und  Galerien  waren  hier 
auszuführen  und  boten  mannigfachen  An- 
lass zu  neuen  Constructionen.  In  jener 
Zeit  wurden  die  ersten  Steinbankette  in 
scharfen  Bögen,  die  ersten  gemauerten 
Gräben  in  wasserreichen  Felseinschnitten 
zur  Anwendung  gebracht.  Die  grossen 
Erdmassen  verschiedener  Festigkeitsgrade 
führten  zu  neueren  Gesichtspunkten  bezüg- 
lich der  Ausführung  des  Erdbaues  wie  der 
Arbeitsauftheilung  und  der  Verwendung 
der  Arbeitskräfte.    In  der  Strecke  Olmütz- 


Eisenbahn-Unterbau. 


207 


CJ, 


Prag  waren  über  1,100.000, 
in  jener  von  Mürzzuschlag 
nach  Graz  an  600.000  nt^ 
Felsen  zu  sprengen;  das 
Plateau  des  Bahnhofes 
Steinbrück  am  Zusammen - 
fluss  der  San  mit  der  Save 
bot  besondere  Schwierig- 
keiten, da  sein  Plateau 
theils  dem  Felsen  abge- 
rungen, theils  durch  mäch- 
tige Anschüttungen  gewon- 
nen werden  musste ;  die  tief- 
gehende Umwandlung  aller 
Localverhältnisse  erforderte 
an  Abgrabung  20.000  m^^ 

an  Felsensprengung 
200.000  wi^  an  Stein  würfen 
fast  160.000  fn^\  eine  nam- 
hafte Felsenabsitzung  nö- 
thigte  zu  Abscarpirungen 
bis  10  und  15  m  Höhe  über 
den  Geleisen.  [Vgl.  Abb.  65.] 

Bei  der  Kostenberech- 
nung der  Erdarbeiten  wur- 
den zu  jener  Zeit  die  Ein- 
heitspreise in  Rücksicht  auf 
die  neuen  unbekannten  Ver- 
hältnisse vielfach  unge- 
wöhnlich hoch  angesetzt,  so 
dass  Verdienst  und  Bau- 
kosten nicht  immer  mit  der 
Leistung  selbst  harmonirten. 
Erst  allmählich  lernte  man 
auch  hier  die  richtigen 
Coefficienten  ermitteln. 

Der  Bau  der  Eisen- 
bahn über  den  Semme- 
ring-Pass  lenkte  den  Unterbau,  wie 
fast  alle  Zweige  des  Bahnwesens,  auf 
neue  Pfade  des  Fortschrittes.  Dem  Stre- 
ben Ghega's,  den  kühnen  Bau  aus 
technischen  und  öconomischen  Grün- 
den möglichst  den  gegebenen  Formen 
des  Geländes  anzuschmiegen,  stellten 
die  zerrissenen  und  steilen  Felsen,  die 
aussergewöhnliche  Unruhe  des  Terrains, 
die  eigenartige  geologische  Beschaflfenheit 
des  Gebirges  die  grössten  Hindernisse 
entgegen.  Indem  Ghega  siegreich  alle 
Schwierigkeiten  überwand,  gelang  es 
ihm,  jenen  stolzen  Bau  zu  schaffen,  der 
sich  dem  Auge  darbietet,  als  wäre  er 
mit   dem   Gebirge   selbst   erstanden   und 


.^W  ^\^ 


Abb.  5g— 61. 


Profile  der  ersten  üsterreichiscben  Eisenbabn. 
[Linz-Budweis.] 

hätte  ihn  nicht  erst  Menschenhand  in 
das  Werk  der  Schöpfung  gefügt.  Ueber 
Thäler  und  Abgründe  spannen  sich  lange 
und  hohe,  meist  im  Bogen  liegende  Brücken 
aus  Stein;  die  Erdkörper  der  Dämme 
lehnen  sich  an  kräftige  Mörtelmauern, 
die  dem  Boden  zu  entwachsen  scheinen, 
Futter-  und  Wandmauern  schützen  die 
Böschungen  der  An-  und  Einschnitte  gegen 
Rutschung  und  Einsturz.  Der  Erdbau  tritt 
fast  ganz  zurück ;  auf  Mauern,  die 
ununterbrochen  folgen,  gründet  sich  der 
Oberbau  der  Bahn.  Darum  hat  Henz  die 
Semmering-Bahn  nicht  mit  Unrecht 
eine  gemauerte  Bahn  genannt.  Die  ge- 
sammte  Tunnellänge    der   Bahn    beträgt 


'/lo-  ^'^  gesammte  Viaductlänge  '/»g  ^^^ 
ganzen  Länge.  Auf  jedes  Meter  der 
zweige)  eisigen  Bahn  entfallen  15  w* 
Mört  elm  a  uenmg. 

Bei  allen  Bauten  wendete  Ghega 
weitgehende,  oft  zu  weitgehende  Vor- 
sicht an.  Wo  der  Oberbau  auf  Felsen 
zu  ruhen  kam,  Hess  er  das  Gestein 
bis  60  cm  Tiefe  unter  den  Schwellen 
aussprengen  und  das  ausgehobene  Ma- 
terial wieder  zum  Trockenmauerwerk 
als   Seh  wellen  unterläge    aufpacken.    Den 


j  wurde  hier  jeder  Felsvorsprung  und  jede 

I  Vertiefung     und     KlUftung     der    steilen 

!  Wand     zur    Gründung    von    stützenden 

I  Mauern  verwerthet;    unter    den  grössten 

j  Gefahren,  denen  nur  muthige  Savojarden 

I  zu  trotzen  wagten,    musste  zunächst  ein 

I  schmaler    Steig     für     die    Arbeiter    der 
Felswand   abgerungen  werden    und  erst 

1  dann  konnte  der  Ausbruch  der  Galerien 

:  beginnen. 

I  In    die    Zeit    des    Baues    der    ersten 

I  Gebirgsbahn  fällt  auch  ein  anderer  her- 


Abb.  6j.    Dammprofil 

Mauerstärken  gab  er  aus  Sicherheits- 
rUcksichten  und  im  Hinblick  auf  die 
geringe  Lagerhaftigkeit  des  Baumaterials 
öfter  ein  Mass,  das  die  durch  die  Er- 
fahrung gebotenen  Grenzen  überstieg. 

Den   schwersten   Theil   der   Arbeiten 
bildete    die  Schaffung    des    Bahnkörpers 
entlang  der  etwa  1200  nt  langen  Wein- 
zettelwand, jenes  steilen  Felsens,  der  aus 
der  Tiefe    des  Adlitzgrabens    fast    senk-  1 
recht  bis  auf  die  Hohe  von  250  m  empör-  ^ 
steigt.     Die     Bedenken,     welche     gegen 
einen  Tunnel  wach  wurden,  zwangen  zu  > 
einer    Umgehung    der    Wand,    wodurch  [ 
theilweise    ein    Durchhruch    von   Felsen,  i 
theilweise  der  Einbau  überwölbter  Gale-  ' 
rien  nothwendig  erschien.  Mit  peinlicher 
Sorgfalt  und  doch  mit  grosser  Kühnheit  ; 


lei  NoidbabD.  [I8j7.j 

vorragender  Bau:  die  Durchquerung  des 
Laibacher  Moores,  jenes  berüchtig- 
ten Sumpfes  von  weit  über  400  km' 
Ausdehnung  und  stellenweise  unergründ- 
licher Tiefe.  Es  schien  ein  allzu  kühnes 
Unternehmen,  mitten  in  diese  breiige 
Masse  einen  Damm  zu  stellen  von  jener 
bedeutenden  Tragfähigkeit  und  grosser 
Solidität,  welche  der  Schienenweg  einer 
Locomotive  erheischt.  Hier  musste  erst 
der  trag  fähige  Untergrimd  für  den 
Damm  geschaffen  werden.  Um  den 
Bruch  zunächst  zu  entwässern,  wurde 
in  dessen  höher  hegendem  Theil  ein 
Netz  von  Canälen  angelegt,  die  das 
Wasser  durch  vier,  die  Bahnachse  recht- 
winklig kreuzende  Hauptcanäle  der  Lai- 
bach   zuführen.    Um    das    seitliche  Aus- 


Eisenbahn-Unterbau. 


Abb.  64.    Prolll  mit  StUUmAU 

weichen  des  künftigen  Dammes  unter  der 
Last  zu  verhindern,  befrrenzte  man  ihn 
durch  zwei  fortlaufende  versenkte  Wände 
aus  Trockenmauerwerk,  57  m  hoch  und 
47  tn  stark,  zwischen  welche  das  Damm- 
materia] eingebracht  wurde.  Diese  7  bis 
10  m  hohe  Schüttung  musste  mit  Rück- 
sicht auf  kommende  Setzungen  um  1*5  bis 
3  m  das  künftige  Niveau  überragen.  Erst 
unter  diesem  mächtigen  Druck  der  Stein- 
und  Erdmassen  erhielt  das  Moor  die 
nöthige  Widerstandsfähigkeit. 

Eine  grosse  Leistung  technischen 
Könnens  forderte  die  gegen  Ende  der 
Fünfziger-Jahre  fallende  Ueberschreitung 
des  rauhen  Karstgebirges  im  Zuge 
der  Bahnhnie  Laibach-Triest.  Die 
tiefe  Schlucht  bei  Ober-Lesece  bot  wohl 
das  schwierigste  Hindernis.  Da  die  ersten 
Fundirungs- Arbeiten  für  den  ursprünglich 
projectirten  Viaduct  grosse  Erdbewegun- 
gen befürchten  liessen,  so  wurde  die 
Uebersetzung  mittels  eines  Dammes  aus- 
geführt, der  bis  45  m  Höhe  erreicht  und 
dessen  Anschüttung  eine  Erdmasse  von 
216.000  m*  verschlang.  Die  AusfUhnings- 
bedingnisse  schrieben  dem  Unternehmer 
besonders  sorgfältige  Auswahl  und 
schichten  weise  Ausgleichung  des  An- 
schüttungsstoffes vor;  da  aber  die  Voll- 
endung der  Arbeit  drängte,  so  wurde  hievon 
bald  abgesehen,  dagegen  durch  Anlage 
von  Bermen  und  durch  einen  kräftigen 
Steinsatz  an  den  Böschungen  fiir  die 
Standfestigkeit  des  Dammes  ausreichend 
gesorgt.  Den  Schutzmassregeln  gegen 
Schneeverwehungen  musste  hier 
in  der  Region  der  steinigen  kahlen  Höhen 
des  Karstes  besondere  Aufmerksamkeit  zu- 


[Nordbabn,  lSj7-1 

gewendet  werden,  da  die  eisige  Bora 
die  entwaldeten  Flächen  in  wenigen 
Stunden  vom  Schnee  entblösst,  um  ihn 
in  den  natürlichen  Mulden  wie  in  den 
künstlichen  Ein-  und  Anschnitten  haufen- 
weise abzulagern.  Eingehende  Beob- 
achtungen führten  zur  Anwendung 
jener  bis  za  $  m  hohen  schützenden 
Trockenmauem,   welche   die   Einschnitte 


Abb.  65    Quetprofil  der  södUchcn  SUaHbahucn.  [1841. | 

auf  der  von  Verwehungen  gefährdeten 
Seite  begleiten  und  durch  die  8  — 15  m 
langen  Flügel  beim  Nullpunkte  der  Ein- 
schnitte bemerkenswerth  sind.  [Vgl.  Abb. 
66  und  67.] 

Das  Abgehen  von  der  bis  dahin  ge- 
pflogenen künstlichen  Dichtung  des  Dam- 
mes bei  der  Uebersetzung  der  Schlucht  bei 
Ober-Lesece  ist  ein  deutliches  Zeichen 
von  der  Klärung  der  Anschauungen, 
14 


der   die  Forderun- 
gen   der    Oecono- 
mie:    Billigkeit 
und     Raschheit 
'      des  Baues,    in  den 
Vordergrund  stellt. 
Die  zweite  Ge- 
birgsbahn,   die    in 
Oesterreich        zur 
Ausführung       ge- 
langte, die  Bren- 
nerbahn,      ver- 
räth  schon  deutlich 
die  neue  Richtung, 
welche  damals  die 
Bauweise        nahm 
und  die  seither  im- 
mer     beharrlicher 
ausgebildet  wurde. 
Die    Tendenz    der 
für     die    Brenner- 
bahn      gewählten 
Baumethode,  deren 
s^       Grundsätze        von 
Etzel       aufgestellt 
und     von     Presse! 
nach  Etzel' s  Tode 
und     vervollkommnet 
.. — >..,,    lag    in    der    weitest- 
gehenden     Vereinfachung 
aller     Bauarbeiten     bei     voller 
Wahrung    der    Sicherheit    und 
Gate    der   Anlage.     Man    war 
ängstlich    bemUht,    den    Bahn- 
körper unter  Verwendung  der  in 


imiD  bei  Obcr.I.eti 


laecaica 


1871.) 


welche  zum  Schluss    des    sechsten  Jahr-  ' 

zebnts  auf  dem  Gebiete    des  Eisenbahn-  , 

baues  bemerkbar  wird.    Ein  Umschwung  ' 

in    der    Baumethode    tritt    ein,    der   vor  j 
Allem      an      die     Namen     Etzel      und 
Pressel*)   [Abb.  GH]    geknüpft  ist    und 

•)  Wilhelm  Pressel,  geboren   iSzi  in 

Stuttgart,   studirte  petzen  den  Willen  seines  ' 

Vaters    in    England,    wurde    iXjs    Professor  ; 


am  Stuttgarter  Polytechnicum, 
nahm  als  Bau-lnspector  am  Bau 
der  Steigbahn  bei  Geisslingen  und 

der    Eisenbahn    von   Basel    nach 
Bruchsal  regen  Antheil,  leitete  den 
Bau   dea   Hauenstein -Tunnels   auf 
,  der  Schweizer    Centralbahn    und 

cbitcben  folgte  im  Jahre  1862  einem  Rufe 
zur  Südbahn,  deren  massgebende 
Kreise  vor  Allem  auf  seine  Mit- 
wirkung beim  Baue  der  Brennerbahn  re- 
flectirten.  Im  Jahre  1868  übernahm  Pressel 
die  Tracirung  der  türkischen  Bahnen.  Einer 
Einladung  zum  Bau  des  G  Ol thard -Tunnels 
[1877]  konnte  er,  von  den  >Orientprojecten' 
vollauf  in  Anspruch  genommen,  nicht  Folge 
leisten.  Nach  der  Occupatlon  Bosniens  hatte 
ihn  das  Österreich  Ische  Kriegs  ministen  um  als 
Baudirector  für  Strassen-  und  Eisenbahnbau 
daselhst  in  Aussicht  genommen.  Pressel  ist 
auch  vielfach  hervorragend  literarisch  thätig 
Kewesen. 


Eisenbahn-Unterbau. 


nächster  Nähe, 
womöglich  in  den 
Bahneinschnit- 
ten sich  vorfin- 
denden Boden - 
massen  herzu- 
stellen und  die 
Anlage  von  Mau- 
ern, Bi1lcl<cii  und 
Viaducten  einzu- 
schränken. »Es 
wird  auf  diese 
Weise,«  sagt 
Pressel  in  einer  Mtt- 
theilung     über    den         i 

Bau  von  Thalsperren  . 1 — * 

an  der  Breniierbahn, 
•das  System  des 
Rohbaues  und  der 
Vereinfachung  der 
Ausdlhrung  auf  die 
Spitze  getrieben  im 
Gegensatze  zu  der 
leider  so  häufig  an- 
gewendeten Metho- 
de der  Benützung 
der  schwierigeren 
Form  des  Terrains 
zur  Anlage  impo- 
santer aber  kostspie- 
liger Bauobjecte.« 

Der  Erdbau  tritt 
also  bei  der  Brenner- 
bahn in  reinen  und 
gewaltigen  Formen 
auf.  Massige  An- 
schnitte undAufdäm- 
mungen  ersetzen,  be- 
günstigt durch  die 
flachere  Neigung  der 
Lehnen,  die  sonst  Üb- 
lichen Futtermauem, 

mauern  durch  Steinsätze  verdrängt 
sind,  die  durch  blosses  Aufschlichten  der 
Steine  gebildet  werden.  Diese  Steinsätze, 
die  übrigens  schon  in  den  Jahren  1861  bis. 
1863  auf  der  Montanbahn  von  Oravicza 
nach  Steyerdorf  Anwendung  gefunden 
hatten,  wurden  in  ihrer  Construction  mit 
grosser  Sorgfalt  den  verschiedenen  ört- 
lichen Verhältnissen  angepasst  und  bilden 
eine  beachte nswerthe  Eigenheit  dieser 
Bahn.  Sie  ermöglichten  die  Herstellung 
steilerer  Dammböschungen  und  förderten 


SO  wesentlich  die  Oeconomie  des  Baues. 
[Abb.  69—71., 

Die  Brennerbahn  führt,  im  Gegensatze 
zur  Semmeringbahn,    durch    ein  wasser- 
reiches   Gebiet,    ein    Umstand,    der    für 
die    ganze    Anlage    des    Unterbaues   be- 
stimmend   wurde.    Wir    finden    Wasser- 
läufe aus  ihrem  natürlichen  Bett  in  neue 
Ufer  gedrängt,    als   1  Bachtunnel«    durch 
Felsen  geleitet  oder  in  Aquäducten  über 
die    Bahn    weggeführt.    Wir    begegnen 
aber    nicht    nur    horizontalen    Verschie- 
bungen   der  Wasserläufe,    sondern  auch 
Correctionen    der    Flüsse    im    verticaten 
Sinne,    bewirkt    durch   die   Hebung    der 
Thalsohle.    [Abb.  72.]     Durch  neuartige 
Drainirungen     werden    die    Böschungen 
gegen    die  Einwirkung   der  Atmosphäre, 
namentlich    des 
Regens,         ge- 
schützt,    durch 
grosse  Entwäs- 
£  tc       serungs-Anla- 
<■"      gen     die      Ein- 
g5     schnitte    gegen 
ll      das    höher    lie- 
2:^_  gende,  reichlich 
sEs   Wasser   führen- 
|B-   de  Gelände  ge- 
.S   sichert.     Durch 
■S|   Schächte      und 
1^   Stollen,  in  wel- 
Sj   che  Drainröhren 
^5  in     Sand-     und 
l  B     Kiesbettungen 
■S      eingelegt    sind, 
ä     wird    dem    um- 
1      gebenden      Ge- 
3      birge  das  Was- 
^      ser  entzogen  und 
g      werden     natür- 
"      liehe,     trockene 
1^      Widerlager   ge- 
—        schaffen,  die 
dem  Druck  des 
von  Regen  und 
Schnee  erweich- 
;,'ten     Materiales 
;,     widerstehen. 
/(  [Abb.  73  u.  74.] 
/.  Um  bei  den 

,'  '.       zahlreichen 
J   Flussbauten  die 
Wasserläufe    in 


ihren  neuen  Ufern   festzuhalten,  bedurfte  ] 
es  oft  gewaltiger  Mittel;  so  wurden  u.  A.  | 
mächtige  Porphyrblöcke  aus  dem  Eisack-   ! 
thale,  vono-Sbis  1-9»»' Massgehalt,  durch  I 
starke  schmiedeeiserne  Ketten  mit  einge-  j 
gossenen  Steinkloben  zu  Reihen  von  10  bis  I 
20    Stück     verbunden     an    jenen    Stellen  1 
versenkt,     die    dem    Wasserandrang   be-  ] 
sonderen  Widerstand    zu    leisten    hatten.   ' 
Im    Siüflusse,    zwischen    Innsbruck    und  ! 
Matrei,    wurde 
über    Pressel's 
Anregung     ein 
grosses      Stau- 
wehr     erbaut, 
das    die    Mög- 
lichkeit bot, eine 
wilde   Schlucht 
mit  einer  einfa- 
chen  Anschüt- 
tung ohne  An- 
wendung    von 
Ufermauem  zu 
scWiessen    und 
zugleich       den 

Bewegungen 
der  zunächst  ge- 
fährJichenThal- 
wand  vorzubeu- 
gen. 

Der  Bau  der 

Brennerb  ahn 
blieb  nicht  blos 
der  vielen  neuen 

baulichen 
Grundsätze  we- 
gen,     sondern 
auch    hinsicht- 
lich der   Bau- 

durchfüh-  ^^^_.^ 

rung,  der  Ar- 
beits-Disposition auf  Jahre  hinaus  fUr  | 
die  Gestaltung  der  Unterbau- Arbeiten  1 
der  österreichischen  Bahnen  von  grund-  | 
legendem  Einfluss.  Beim  Bau  der  Futter-  I 
mauern  und  anderer  Bauwerke  in  dem  | 
rutschenden  Lehnenterrain  gewinnt  das  ' 
bergmännische  Verfahren  mit  1 
seinen  charakteristischen  Zimmerungen 
Bedeutung  und  für  den  Bau  grosser  Ein-  | 
schnitte  wurde  durch  T  h  o  m  m  e  n  und  1 
Pressel  in  Oesterreich  der  sogenannte  1 
englische  Einschnittsbetrieb  ein-  1 
gcbtirgert,  [Abb.  75.]  Bei  diesem  wird  auf  , 


.lugiapWi 


der  Sohle  des  Einschnittes  ein  entsprechend 
weiter  Stollen  mit  einer  Rollbahn  angelegt 
und  an  mehreren  Stellen  desselben  Schächte 
bis  zur  Oberfläche  des  Geländes  emporge- 
trieben; diese  werden  allmählich  zu  Trich- 
tern erweitert,  indem  das  gelöste  Erdreich 
in  die  im  Stollen  bereit  gehaltenen  Roll- 
wagen   hinabfällt.       Der    englische     Ein- 
schnittsbetrieb  gestattet  bei  bedeutenden 
Einschnittsmassen  die  rascheste  und  bil- 
ligste    Lösung 
und  Förderung 
der  Massen  und 
verbürgt        zu- 
gleich die  beste 
Entwässerung 
des      abzugra- 
benden  Gebir- 
ges.  Beim  Bau 
der       Brenner- 
bahn wurde  der 
etwa      1 50    m 
lange  und  20  in 
tiefe        Lavan- 
einschnitt,   der 

95.000  m* 
Masse  enthielt, 
die  über  300  m 
weit  verführt 
werden  musste, 
mit  Hilfe  von 
drei  Schächten 
in  sechs  Mona- 
ten, der  Ein- 
schnitt bei  Ma- 
trei mit  dem 
halben  Massen- 
gehalt auch  in 
der  Hälfte  die- 
'vTn^L^AnEotr  wLeni  ser  Zeit  herge- 

stellt. 
Die  raschere  Lösung  der  Massen  be- 
dingte auch  die  rasche  Entladung  der 
Fördergefässe.  Zu  diesem  Zwecke  wur- 
den hohe  SchüttgerOste  aufge- 
stellt, welche  die  Aufstellung  längerer 
Züge  und  die  Entleerung  aller  Wagen 
nach  beiden  Seiten  gestatteten  und  im 
Dammkörper  belassen  wurden.  Solche 
Schüttgerüste,  aus  1 5  bis  20  cm  starken 
Holzstangen  in  Gitterform  erbaut,  er- 
reichten auf  der  Brennerbahn  Höhen  bis 
zu  50  m.  Natürlich  wirkte  die  Be- 
schleunigung der  Schüttungsarbeit    auch 


Eisenbahn-Unterbau. 


auf  die  weitere  Ausbildunir  der  Con- 
struction  der  Kipp 
Das  Verfahren 
gung  fand  bei  de; 
lithe  Förderung 
durch  die  An- 
wendung des  elek- 
trischen Funkens 
zur  Entzündung 
grosser,  in  •Pul- 
verkammern« un- 
tergebrachter Pul- 
vermassen. So 
wurden  bei  der 
Abtragung  des 
Sprechensteines 
bei  Sterzin g  im 
Jahre  1867  in  einer 
einzigen  Spren- 
gung, zu  der  Ma- 
schinen und  Pa- 
tronen nach  dem 
System  des  k.  k. 
Obersten  Ebner 
benutzt      worden 

waren,  9'500  m'  Fels  gebrochen,  wobei 
sich  die  Kosten  auf  66  kr.  pro  Cubikmeter 
und  gegenüber  dem  alten  Verfahren  um 
Vi   billiger  stellten.   [Abb.  76.] 

Die  Massnahmen,  welche  die  Regie- 
rung gegen  Ende  der  Sechziger- 
Jahre  zur  Hebung  des  stockenden  Unter- 
nehmungsgeistes und  zur  Entwicklung 
des  Eisenbahn baues  getroffen  hatte  und 
die  in  der  Gewährung  von  Betriebs- 
garantien und  in  der  Einräumung  weit- 
gehender Erleichterungen  bezüglich  der 
baulichen  Fragen  ihren  Ausdruck  fanden, 
weckten  auf  dem  Gebiete  des  Bahnbaues 
eine  äusserst  fruchtbare  Thätigkeit.  Den 
vielen  Lichtseiten  dieser  Epoche,  der  die 
Monarchie  ein  grosses  Netz  von  Linien 
verdankt,  fehlte  es  auch  nicht  an 
Schattenseiten,  indem  der  wirth schaftliche 
Grundsalz:  schnell  und  billig  zu 
bauen, manch- 
mal zu  einem 
falsch  gedeu- 
teten Losungs- 
worte wurde.  In 
der  fieberhaf- 
ten Bauthätig- 
keit  schränkte 
man    zuweilen 


Bauzeit  und  Baukosten  übermässig  ein 
und  erzielte  auf  solche  Weise  bei  der 
Anlage  Ersparnisse,  die  sich  in  der  Be- 
triebsfUhrung  als  dauernde  Lasten  fühl- 
bar machten.  Es  fehlte  nicht  an  Stimmen, 
welche  gegen  diese  trügerische  Oeco- 
nomie  laut  wurden.  So  beklagte  der 
O  esterreich  i  sc  he  Ingenieur-  und  Archi- 
tekten-Verein in  dem  Motiven- 
berichte zu  den  von  ihm  aufge- 
stellten >GrundzUgen  für  eine 
billige  Herstellung  der  Eisen- 
bahnen behufs  Belebung  des 
Eisenbahnbaues  in  Oesterreich 
[i868]'  lebhaft  diese  Erscheinun- 
gen, deren  letzte  Ursache  er  in 
dem  unvertilgbar  prlncipiellen 
Unterschiede  zwJschenBauunter- 
nehmungund  Bahn  Unternehmung 
erblickte.     Der  genannte  Verein 


t[:-4l 


rofil  mtt  Vcckicli 


nahezu  700.000  Mi'  Material  zu  liefern 
hatte,  bot  die  Verführung  des  Anschüt- 
tung smaterials  mit  Locomotiven  auf 
Transportgerüsten,  die  nach  dem  Vorbilde 
auf  dem  Brenner  verschüttet  wurden, 
grosse  Vortheiie. 

Der  Bau  der  Linie  Wien-Brünn  der 
Staatseisenbahn  bildet  auch  noch  in  an- 
derer Beziehung  ein  geschichtlich  denkwür- 
diges Moment  durch  die  erstmalige  Anwen- 
dung des  Nobel'schen  Dynamits  für 
die  Lösung  harter  Felsmassen.  Schon  im 
Jahre  1868  hatte  Oberlieutenant  Trauzl 
die  Einführung  des  Dynamits  empfohlen ; 
es  mag  seinen  Anregungen  zugeschrieben 


den  öconomischen  Erfolg  dieser  Betriebs- 
weise, 

Nachdem  die  fieberhafte  Bauthätig- 
keit  der  ersten  Siebziger-Jahre  infolge 
der  finanziellen  Krisis  des  Jahres  1873 
plötzlichen  Abbruch  gefunden  hatte,  sah 
sich  der  Staat  genöthigt,  den  Bau  neuer 
Linien  selbst  in  die  Hand  zu  nehmen, 
um  Bahnverbindungen  zu  schaffen,  die  ein 
dringendes  Bedürfnis  geworden  waren. 
Hiedurch  kamen  auch  Linien  zur  Aus- 
führung, deren  Bau  mehr  im  allgemeinen 
wirth  Schaft  liehen  Interesse  lag  und  infolge 
der  voraussichtlich  geringen  Rentabilität 
und    grossen   finanziellen  Opfer  selbst  in 


Abb.  7O.    SpreaguDg  di 


werden,  dass  man  bei  der  Herstellung  des 
Einschnittes  durch  den  Buchenberg,  dessen 
innerer  Kern  unerwartet  Schichten  aus 
Feldspath  und  reinem  Quarz  von  kaum 
geahnter  Härte  aufwies,  die  Anwendung 
des  Schwarzpulvers  verliess  und  einen 
Versuch  mit  Dynamit  wagte.  Die  zu 
lösende  Masse  betrug  mehr  als  40.000  m*. 
Die  Arbeiten  wurden  von  A,  K  ö  s  1 1  i  n  und 
M.  Pischof  geleitet.  Zur  Entzündung 
dienten  elektrische  Maschinen  und  Zünd- 
schnüre von  dem  um  das  Sprengwesen 
verdienten  Civil-Ingenieur  Ab  egg  aus 
Bistritz  in  Böhmen.  Das  Kostenersparnis 
der  Materiallösung  stellte  sich  auf  45% 
im  Vergleiche  zu  den  Ersparnissen  bei 
der  älteren  Sprengmethode. 

Die  englische  Betriebsweise  fand  in 
jener  Zeit  allgemeine  Anwendung.  Der 
275  m  lange  Einschnitt  der  Elisabeth- 
Bahn  bei  Bitlowschitz  in  hartem  Gneis 
und  der  1069  wi  lange  Einschnitt  der 
Nordwestbahn  bei  Gastorf  im  Pläner- 
kalk    bieten    her%-orragende  Beispiele    für 


günstigeren  Zeitläuften  das  Privatcapital 
nicht  für  sich  gewonnen  hätte.  Die 
damals  vom  Staate  erbauten  Linien  hegen 
zerstreut  über  das  wette  Gebiet  der  ganzen 
Monarchie,  und  so  kommt  es,  dass  der 
Eisenbahnbau  dieser  Zeit  ein  wechselndes 
Bild  von  Aufgaben  bot,  welche  durch  die 
verschiedene  Bodengestaltung  und  die 
sonstigen  ungleichen  Verhältnisse  der 
einzelnen  Länder  verschiedene  Voraus- 
setzungen schufen  und  verschiedenartige 
Lösungen  verlangten.  Der  Bahnbau  in 
den  Alpen  und  in  den  Beskiden,  auf  dem 
Hochplateau  des  Karstes  und  in  den 
Ebenen  Galiziens,  die  hiemit  zusammen- 
hängende Verbauung  der  Wildbäche  und 
Correction  der  Flüsse,  die  möglichste 
Ausnutzung  aller  gegebenen  Umstände 
zur  Erzielung  solider  und  öcono- 
m  i  s  c  h  e  r  Bauten  führten  in  der  Bau- 
methode, in  der  Wahl  der  Construction 
und  in  der  Durchführung  der  Arbeiten 
selbst  schrittweise  zu  weiteren  Vervoll- 
kommnungen. 


Eisenbahn-Unterbau. 


Im  Zuge  der  latrianer  Staats-  ! 
bahn,  die,  von  Diva£a  ausgebend,  das 
Karstgebiet  auf  dem  Wege  nacb  Pola  j 
überschreitet,  wurde  der  mächtige,  25  m  : 
tiefe,  im  oberen  Eocän  gelegene  Felsen-  1 
und  Erdeinschnitt  zwischen  Lupoglava 
und     Cerovglie      mittels      vorgetriebener 


Stollen  und  englischen  Einschnittsbetriebs 
abgebaut,  während  man  diese  Arbeit  zum 
Theile  durch  die  Combination  mit  einem 
Etagenbau  beschleunigte,  der  10  m  ober- 
halb des   Stollens  in  Angriff   genommen 

Die    Schwierigkeiten,    die    beim  Bau 
der  blos  25  ktn  langen  grossartigen  Ge- 
birgsstrecke     von    Tarvis     nach    Pon- 
tafel  zu  Überwinden  waren,  sta: 
jenen      der     Brenn  erb  ahn     auf 
Höhe.     Zahlreiche   Stütz-   und 
Futtermauern     längs     der     zu 
Rutschungen  geneigten  Lehnen 
geben    dem    ersten    Theil    der 
Bahn    ein  besonderes  Gepräge, 
während  der  kostspielige  Leh- 
nenbau,   zu    welchem    sich  die 
Linie  unterhalb  der  Feste  Malborghet 
entwickelt,  durch  mächtige  Trocken-   .. 
mauern  und  die  Uebersetzung   einer 
Reihe  ge  schiebe  führender  Wildbäche 
gekennzeichnet   ist.     Um   diese  letz- 
teren   unschädlich    zu    machen,    be-.'. 
durfte  es  umfassender  Schutzbauten. 
Beim  Entwurf  der  Brücken  über  die 
Wildbäche  wurde  grundsätzlich  daran 
festgehalten,    an    der  L'ebersetzungs- 


stelle  weder  die  Richtung  noch  die 
Höhenlage  des  Bachbettes  zu  ändern, 
dessen  Breite  jedoch  derart  trichter- 
förmig einzuengen,  dass  die  gesteigerte 
Kraft  des  abfliessenden  Wassers  wohl  im 
Stande  ist,  das  Geschiebe  aus  dem  Be- 
reich der  Brücke  mit  sich  zu  reissen, 
nicht  aber  das  Bauwerk  selbst  zu  unter- 
waschen. So  erhielten  sechs  der  gefähr- 
lichsten Wildbäche  je  ein  30  m  breites 
Bett,  die  Brücken,  die  sie  übersetzen,  aber 
nur  12  m  Lichtweite  —  eine  wirthschaft- 
liche  Massregel,  die  sich  bisher  in  jeder 
Richtung  bewährte. 

Unter  den  zahlreichen  partiellen  Fluss- 
regulirungen,  die  mit  dem  Bau  gaUzischer 
Bahnen  verbunden  waren,  ist  jene  der 
Kamionica  und  der  Kamionka  bei  Neu- 
Sandec  im  Zuge  der  Tarnöw-Lelu- 
c  h  ö  w  e  r  Bahn  von  Interesse.  Durch 
die  unmittelbar  vor  der  Vereinigung 
beider  Flüsse  vorgenommene  Correction, 
die  einen  Aufwand  von  14.000  fl.  erfor- 
derte, wurden  die  wesentlich  höheren 
Kosten  eines  weiteren  BrUckenfeldes  er- 
spart, dessen  Bau  anderenfalls  nicht  zu 
vermeiden  gewesen  wäre.  Zu  diesem 
Vortheile  gesellte  sich  der  eines  geregelten 
Flusslaufes  und  der  durch  die  Correction 
gewonnenen  grossen  Culturfläche.  Für  den 
Kern  der  zahlreichen  Buhnen  konnten 
Flechtwerke  und  die  massenhaft  vorhan- 
denen Klaubsteine  in  billiger  Weise  ver- 
wendet  werden,   während  Pflasterungen, 


Eisenbahn-Unterbau. 


SelUufiue  beim  Schmkdti 
>Zclt>cbiJ?i  dei  OcitciKlcl 


eventuell    auch    SteinwUrfe    die    äussere 
widerstandsfähige      Hulle      der      Buhne 

bildeten. 

Solche  Flechtwerke  [Abb.  79]  wie  auch 
Pflanzungen  werden  von  der  einheimi- 
schen Bevülkerung  Galiziens  mit  beson- 
derer Sachkenntnis  und  billig  ausgeführt; 


sie  kommen  daher  beim  Bau  dortiger 
Bahnen  namentlich  für  den  Uferschutz- 
bau neben  den  Stein-  und  Faschinen- 
bauten vielfach  in   Verwendung. 

Die     G alizische    Tra 
bahn,    die    mit    ihren    Zweiglinien 
Netz  von  555  km  umfasst,  war  im 


ien   sm^^^ß 


^ 


Satze  zu  ihren  Vorläufern  in  Galizien  im 
westlichen  und  mittleren  Theiledes  Landes 
auf  die  mehr  gedeckte  Lage  im  Gebirge 
verwiesen  und  überschritt  im  Osten  des 
Landes  ein  tief  gefurchtes  Plateau  senk- 
recht zu  dessen  Furchen ;  sie  durchquert 
eine  grosse  Zahl  bedeutender  Flüsse  und 
gab  daher  zum  Bau  zahlreicher  Brücken, 
ausgedehnter  Lehnen-  und  Uferschutzbau- 
ten Veranlassung.  Das  eigentlich  erschwe- 
rende Moment  dieses  Bahnbaues  lag  in 
dem  Manget  geeigneter  Baumaterialien, 
Das  vorhandene  Erdmaterial  liess  sich 
vielfach  ohne  Anwendung  künstlicher 
Mittel  nicht  zu  bestands fähigen  Dämmen 


dem  Bau   der   meisten  Karpathen bahnen 

in   Galizien,    Ungarn   und   Siebenbürgen 

verknüpft      ist    und    das,     wie     Ludwig 

Hu  SS  berichtet,  bei  der  Transversalbahn 

trotz    Allem    noch    in     verhältnismässig 

geringerem  Masse  auftrat.    Die  Sanirung 

der    Dämme    erfolgte    in   üblicher    Weise 

durch  Einlegen  von  Steinrippen  oder  durch 

I  Vorlage  von  Bermen,  die  der  Einschnitte 

I  durch  Abflachen    oder   Rücksetzung   der 

;  Böschungen.  Die  umfangreichen  Arbeiten 

i  —  die  Erdbewegung   betrug    17.000  bis 

[   19.000  w*  für  einen  Kilometer  Bahn  — 

I  waren  in  der  Zeit  von  kaum  I  '/j  Jahren 

1  beendet. 


Abb.  81.    Anlasen  mm  Schulic  gegen  kleEr 

verwenden,  entsprechendes  Steinmaterial 
musste  mitunter  aus  weiter  Ferne  herbei- 
geholt werden,  Mauersand  war  hie  und 
da  schwer  zu  beschaffen  und  an  Stelle  des 
Schotters  für  das  Geleise  musste  nicht  selten 
Grubensand  in  Gebrauch  treten.  Zu  diesen 
Erschwernissen  kam  noch  die  äusserst 
kurze  Zeit,  die  für  den  Bau  festgesetzt 
war.  Die  Umstände  zwangen  dazu,  bei  der 
Schüttung  der  Dämme  trotz  des  ungün- 
stigen, thonigen  Erdmaterials  an  der 
Methode  mittels  Schüttger Usten  festzu- 
halten und  die  Arbeit  auch  im  Winter 
nach  längerem  Regen  nicht  einzustellen. 
Die  verschiedenen  Setzungen,  Ausschä- 
lungen und  Abgänge,  die  man  eben  mit 
Rücksicht  auf  die  Beschleunigung  des 
Baues  wohl  zu  erwarten  gehabt  hatte, 
blieben  nicht  aus   —   ein  Uebel,  das  mit 


Alle  Erfahrungen,  welche  die  Technik 
des  Eisen b ahnbaue s  durch  vier  Decennien 
hindurch  gewonnen,  alle  Fortschritte,  die 
sie  bezÜglicH  der  Construction  der  Bau- 
objecte    und    bezüglich    der    Disposition 

!  grosser    Bauausführungen    gemacht,    er- 

I  hielten   in    der    Arlbergbahn    gleich- 

j  sam  verkörperten  Ausdruck.  Nach  jahre- 
langen Studien  und  vielseitiger  Erörterung 

j  der  Frage,  wie  den  Schwierigkeiten  dieser 
Gebirgsbahn  in  verlässlicher  und  öcono- 
mischerWeise  beizukommen  wäre,  konnten 
endlich  im  Jahre  1880  Oesterreichs  Inge- 

'  nieure  an  der  Spitze  einer  Armee  von 
9000    Arbeitern    das    epochale    Bauwerk 

I   mit  Zuversicht  auf  vollen  Erfolg  in  An- 

I  griff  nehmen. 

Während  die  Strecke  auf  der  Ostseite 

I  zwischen  Innsbruck  und  Landeck  und  auf 


Eisenbahn-Unterbau. 


der  Westseite  zwischen  Bratz  und  Blu- 
denz  als  Flachland-  und  Thalbahn  nur  an 
einigen  Stellen  Schwierigkeiten  bot  — 
so  dort,  wo  das  von  Felsen  eingeschlos- 
sene Innthal  dazu  zwang,  den  Bahnkörper 
in  das  Bett  des  Flusses  zu  verlegen  — 
gehörte  die  zwischenliegende  Gebirgs- 
strecke  zu  den  kühnsten  und  schwierig- 
sten Bauten.  Sie  erinnert  —  schreibt  Huss, 


strecken  hier  ein  imposanterer,  wogegen 
die  Semmeringbahn  in  dieser  Beziehung 
unerreicht  bleiben  niuss.< 

Grössere  concentrirte  Erdbewegungen 
kamen  nur  vereinzelt  vor.  Auch  die  Zahl 
der  grossen  Fels  einschnitte  ist  eine  ver- 
hältnismässig geringe.  Die  Herstellung 
von  Steinsätzen  wurde  gleichfalls  wesent- 
lich eingeschränkt,  weil  das  durch  den  Aus- 


der  als  Vorstand  des  Bureaus  für  Unter-  j 
bau  bei  der  General-Inspection  an  der  Aus-  ! 
bildung  der  Unterbauten  in  den  letzten  20  ( 
Jahren  bahnbrechend  thätig  war  —  rück-  i 
sichtlich  des  Geländes    an    die    SiUthal- 
strecke    der  Brennerbahn,    während    sich 
die     Bauart     derselben     zwischen     jener  1 
der  Brenner-    und   Semmeringbahn    be- 
wegt,    indem    namentlich    an     manchen  | 
Stellen     Viaducte    zur    Anwendung     ge-  , 
langen,    wo  die  Brennerschule  Erdwerke  i 
mit      hoch  übers  chatteten,       sogenannten  | 
Schlauchobjecten  angeordnet  haben  würde.  I 
•  Ohne   grossartiger  zu  sein  als  die  Siil-  ' 
iinie    wird    der    Eindruck     der    Gebirgs-  I 


hub  verfügbare  Steinmaterial  hinter  den  Er- 
wartungen zurückblieb  und  sich  hiefUr  eine 

kostspielige  Steinbeschaffung  als  nothwen- 
dig  zeigte.  Eine  umso  grössere  Rolle  wurde 
dagegen  dem  Mauerwerk  zugewiesen. 
Mächtige  Wandmauern,  die  in  der  Pla- 
numshöhe bis  3'/g  m  Stärke  besitzen, 
schützen  das  Geleise  gegen  angeschnittene 
Lehnen;  Stützmauern  und  Viaducte  und 
das  diese  beiden  verbindende  Mittelglied: 
die  Mauer  mit  Sparbögen  tragen  das 
Planum  über  Schluchten  und  steile 
Hänge.  Die  Trockenmauern,  die  Stütz- 
und  Wandmauem,  endhch  das  die  Grä- 
ben   sichernde    Mauerwerk    verursachten 


pro  Kilometer  schon  in  der  Thalstrecke 
Kosten  von  über  looo  fl.,  welcher  Be- 
trag in  der  Gebirgsstrecke  auf  das 
22fache  stieg.  Die  Erd-  und  Felsbewe- 
gung, die  in  der  Thalstrecke  pro  Kilo- 
meter 23.000  m'  ausmachte,  war  da- 
gegen in  der  Rampenstrecke  nur  doppelt 
so  gross. 

Die  Durchführung  der  mannigfachen 
Bauten  auf  dem  Arlberg  bot  ein  gross- 
artigea  Bild  moderner  Bauweise  durch 
das  reiche  Aufgebot  von  Hilfsmitteln  für 
eine  rasche  und  sachgemässe  Arbeit  und 
durch  den  bewundernswerthen  Arbeits- 
plan, den  das  erfolgreiche  Zusammen- 
wirken und  die  möglichste  Ausnutzung 
aller  Kräfte,  die  gleichzeitige  Vorbereitung 
und  Inangriffnahme  der  Arbeiten  forderte. 

Schon  die  Vorbereitung  der  Erd- 
arbeiten, die  Herstellung  der  Verkehrs- 
wege in  den  unwirth lieben  Gegenden, 
die  Zurichtung  des  Baugrundes  zeigten 
packende  Einzelheiten,  Drei  provisorische 
Brücken  für  Locomolivbetrieb  mussten 
über  den  Inn  errichtet,  zahlreiche  Schutt- 
gerüste erbaut,  viele  Kilometer  Arbeits- 
geieise  verlegt  und  für  die  Wieder- 
verwendung abgetragen  werden.  Für 
die  Beischaffung    von    Kalk,     Sand    und 


1.1    [Kach  claCT  pholDEiaphltchcD  Aufiubme 
u  Pabit  I 

I  Holz    wurden    besondere    Seilbahnen    — 

'.  Bremsberge  —  angelegt,  welchen  das 
gewonnene  und  nicht  weiter  verwendbare 
Erdmaterial,  vereinzelt  auch  Wasser,  als 
I  treibende  Kraft  diente.  [Abb.  80.]  Zur 
Entwässerung  der  Dammunterlagen  ge- 
langten Sickerschlitze,  zur  Verhütung  von 
Rutschungen  an  Lehnen  Schlitz-  und 
Stollenbauten  zur  Ausführung.  Die  Stütz- 
und  Wandmauem  wurden  an  Stellen,  die 
besondere  Vorsicht  erforderten,  schritt- 
weise in  Stücken  von  4  bis  10  m  Länge, 
oft  auch  nach  streng  bergmännischem 
Verfahren  erbaut. 

Ganz  ausserge wohnliche  Mittel  forderte 
die  Bekämpfung  der  Lawinenstürze. 
Sehutzbauten  gegen  Felsen-  und  Geröll- 
stücke finden  sich  wohl  auf  allen  Gebirgs- 
bahnen.    [Vgl,    Abb.    81.]     Der    Kampf 
gegen  Lawinen  ist  ungleich  schwieriger; 
auf      der      Salzkammergut  -  Bahn     war 
es    mögUch    gewesen,     den    gefahrbrin- 
I  genden    Zug     der    Schneemassen    durch 
hölzerne  Leitwerke    von    der  den  Bahn- 
I  körper  gefährdenden  Richtung  abzulenken. 
r  Die    von    den    Höhen     in    das    Thal    — 
}  dort  der  Traun  —  abstürzenden  Massen 
'  verursachen    dann    höchstens   Stauungen 
I  des  Flusses,    die    wohl    den  Bahnkörper 


Eisenbahn-Unterbau. 


gefährden,  die  aber  durch  die  Her- 
stellung von  tiefen  und  breiten  Gerinnen, 
also  durch  einen  erleichterten  Abfluss, 
unschädlich  gemacht  werden  können. 
[Abb.  82.] 


Auf  der  Arlbergbahn  bedrohen  aber 
die  Schneelawinen,  die  an  Gewalt  und 
Furchtbarkeit  ihres  Gleichen  suchen,  fast 
ausnahmslos  den  Schienenweg  selbst.  Es 
wurden  daher  schon  beim  Bau  der  Bahn 
durch  Herstellung  von  L  a  w  in  en-S  c  h  u  tz- 
däch-ern  [Abb,  83]  auf  der  Westrampe 


Flächen,  welche  der  Bewegung  der  rollen- 
den Schneemassen  kein  Hindernis  ent- 
gegenstellen und  die  man  daher  ver- 
meiden oder  iimstalten  muss.  Durch  ent- 
sprechende Verbauung  konnte  am  besten 
das  Anbrechen  der  Schneemassen  auf 
diesen  Flächen  verhindert,  konnten  die  in 
Bewegung  kommenden  Schneemassen 
zertheilt  und  die  aus  höher  Ifegenden 
Stellen  abrutschenden  Massen  in  ihrem 
verderblichen  Gang  aufgehalten  werden. 
Freilich  waren  auch  hier  dem  künsthchen 
Eingreifen  durch  die  Steilheit  der  Wände 
I  oder  durch  den  Mangel  cultivirbarer 
I  Flächen  oft  Grenzen  gesetzt.  Holzver- 
I  pfählungen  erwiesen  sich  für  die  Ver- 
I  bauung  nicht  als  genügend;  es  mussten 
I  Trockenmauern,  Schnee  rechen  undSchnee- 
brücken  zur  Anwendung  kommen.  [Abb. 
84  und  85.]  Die  so  geschützten  Flächen,  die 
sich  oft  bis  zu  Neigungen  von  50'  erheben, 
wurden  durch  Aufforstung  dauernd  ge- 
sichert.*) Vorwiegend  finden  Fichten,  in 
höheren  Lagen  geradstämmige  Bergkie- 
fern, die  Lärche  und  der  Ahorn,  und  in 
Höhen  von  1900  bis  2000  m  auch  Zirben 
Anwendung.  Eigene  Saat-  und  Pflanz- 
gärten in  Höhen  von  1200  m  liefern  das 
geeignete  Pflanzungsmaterial.  Die  Anlage 
solcher  H och gebirgs forste  ist  natürlich 
eine  schwierige    und  kostspielige  —  ein 


Abb.  85.    Typen  fDr  Lawinen 

die  meist  gefährdeten  Stellen  zwischen 
Klösterle  und  Danöfen  gesichert.  Während 
des  Betriebes  erkannte  man  indessen  bald 
die  Nothwendigkeit  weitergehender  Mass- 
nahmen. Zunächst  musste  man  darnach 
streben,  die  Bildung  der  Lawinen  selbst 
zu  verhindern,  indem  man  dem  Hang 
die  zu  ihrer  Entstehung  und  ihrem  An- 
wachsen nöthigen  Bedingungen  entzieht, 
dies      sind     die     grossen     ungetheiltcn 


V'eibauungcn.     [Ailbeiebabn.] 

Hektar  erfordert  einen  Kostenaufwand 
von  etwa  130  fl.  Der  günstige  Erfolg 
rechtfertigt  aber  die  aufgewendeten  Mittel. 
Im  Jahre  1890  wurden  die  ersten  Bauten 

•)  In  einem  vortrefflichen  Werke,  das  die 
k,  k.  Staatsbahn-Directiün  in  Innsbruck  über 
die  Betriebsergebnisse  der  Arlbergbahn  in 
den  ersten  zehn  Betriebsjahren  veröffentlicht 
hat,  werden  diese  Anlagen  ausführlich  be- 
schrieben. 


nach  diesen  Grundsätzen  auf  den  Höben 
des  Benediktertobels  im  Blasegebiet,  im 
Simastobel,  Gipsbruchtobel  und  Laub- 
rechen hergestellt,  und  schon  in  den 
Jahren  1892  und  1893  wurden  die  gerade 
hier  so  gefUhrlichen  und  gefürchteten 
Lawinen  gebrochen  und  von  dem  Bahn- 
körper abgehalten.  Dieser  Erfolg  er- 
muthigte  zu  weiterem  Vorgehen.  Daneben 
werden  auch  eifrige  Studien  und  Er- 
hebungen gepflogen,  um  die  verlässlichen 
Unterlagen  filr  eine  praktisch  verwerth- 
bare  Formel  zu  finden,  welche  es  ermög- 
licht, jene  Schneehöhe,  jene  Temperatur 

Holzpro  vi  I 


gegenzu  wirken  und  die  auftretenden 
Mängel  zu  beheben.  Aber  die  sorg- 
lichen systematischen  Vorkehrungen,  die 
zum  Schutze  der  Bahn  jahraus  jahr«n 
gepflogen  werden,  können  das  Menschen- 
werk nicht  vor  der  Zerstörungswuth  ent- 
fesselter Elemente  schützen.  Unsere 
Gebirgsbahnen  liefern  eine  fesselnde 
Chronik  solcher  Katastrophen  und  der 
hiedurch  bedingten  Wiederherstellungs- 
arbeiten,  die  durch  den  unterbrochenen 
und  nachdrängenden  Verkehr  besonders 
erschwert  werden  und  oft  die  höchste 
Anspannung  aller  Kräfte  erfordern.  Einige 

(Brennerb  ahn.] 


factor  in  den  Eisen  bahn- Betrieb  ^^^,  , 

einführen. 

In  dem  letzten  Jahrzehnt  ist  im  Baue  | 
der  Hauptbahnen  ein  gewisser  Stillstand  1 
eingetreten.      Dieser     Zeitraum     gehört 
bereits  einer  neuen  Epoche  an,  die  durch 
das  Aufblühen  des  Localbahnwesens  ge-  j 
kennzeichnet  erscheint. 

Die  feindlichen  Naturgewalten,  welche 
den  Bestand  der  Bauwerke  unaus- 
gesetzt bedrohen,  bringen  es  mit  sich, 
dass  mit  dem  Bau  der  Bahn  die  Bau- 
thatigkeit  auf  dieser  noch  nicht  erschöpft 
ist.  Von  den  umfassenden  Vorkehrungen 
gegen  die  Gefahren  der  Lawinenstürze 
bis  hinunter  zur  Reinigung  der  unschein- 
baren Abzugsgräben,  welche  die  Beltung 
und  den  Erdkörper  entwässern,  zieht  sich 
die  Reihe  wechselnder  Aufgaben,  die  der 
Bahnerhaltung  obliegen,  um  allen 
schädlichen     Einflüssen     rechtzeitig    ent- 


oder  künstlich  aufgeführten  Bodens 
sind  auf  österreichischen  Bahnen 
nicht  selten.  Es  dürfte  kaum  eine  grössere 
Bahnanlage  geben,  die  nicht  mit  solchen 
unliebsamen  Vorkommnissen  mehr  oder 
weniger  oft  zu  thun  hat.  Nicht  selten  wird 
hiebet  die  Herstellung  eines  provisorischen 
Bahnkörpers  nothwendig;  bei  manchen 
Bahnen  bestehen  eigene  Normalien  für 
solche  Bauten,  um  den  expomrten  Inge- 
nieuren die  Möglichkeit  einer  raschen  In- 
angriffnahme derselben  zu  bieten.  [Abb. 
S6.]  Ueber  eine  interessante  Einschnitts- 
rutschung  berichtet  L.  E.  Tiefenbacher  in 
seinem  Werke i  »Die  Rutschungen,  ihre 
Ursachen,  Wirkungen  und  Behebungen«, 
nämlich  über  die  Rutschungen  im  Ebener 
Einschnitt  der  Linz-Budweiser  Bahn,  die 
ihrer  ganzen  Länge  nach  eine  auf  Granit 
aufgelagerte  Thonmasse  durchzieht,  also 
sehr    ungünstige   Bodenverhältnisse   auf- 


Eisenbahn-Unterbau. 


weist.  Der  Ebener  Einschnitt,  von  jeher 
etwas  unruhig,  gerieth  im  Jahre  1877, 
also  vier  Jahre  nach  der  Betriebs-Eröff- 
nung der  Strecke  Linz-Gaisbach,  in 
mächtige  Bewegung.  Ein  Probeschacht, 
6  m  von  der  Bahnachse  entfernt,  traf 
die  verhängnisvolle  Rutsch  schichte  in 
einer  Tiefe  von  6  m  unter  der  Einschnitts- 
sohle; ein  Stollen,  der  von  ihm  aus 
senkrecht  zur  Bahn,  der  Rutsch  fläche 
folgend,  vorgetrieben  wurde,  musste  nach 
einem  Vordringen  von  26  m  aufgegeben 
werden,  weil  der  Wassereinbruch  mit 
unbezwingbarer  Heftigkeit  erfolgte.  Man 
teufte  in  der  Entfernung  von  45  m  von 
der  Bahnmitte  einen  zweiten  Schacht  ab, 
der  die  Rutschfläche  i'im  überSchwellen- 


Abb.  87.  Hultchurca- Abbau 


GcKhlcbte  der  Efienbabae 


höhe  durchschnitt.     Von   ihm  aus  führte  1 
man    nun     den   Entw äs serungss tollen    in  I 
solcher    Weise,     dass     die     Rutschfläche  ' 
stets     gefasst     blieb ;      gleichzeitig    ent- 
wässerte man  das  Terrain  und  den  erst- 
gelegten Schacht  durch  mehrere  Stollen. 
[Abb.  87.] 

Ein  Ereignis,    das    seiner  Zeit    umso 
grösseres  Aufsehen    erregte,    als  die  mit 
ihm    verbundene    grosse  Gefahr   für  das  ! 
Leben  zahlreicher  Reisenden  und  Arbeiter,  ! 
nur    durch     die     opfermüthige     Pflicht-  | 
erfüUung    eines    Bahnwächters,    Namens  1 
Wenzel     R  e  u  s  c  h  1,     abgewandt    wurde, 
bildete    der    > Bergsturz'    bei  SteinbrUck  | 
[Wien-Trie.st]  am  15.  und  19.  Januar  1877, 
der  über  eine   halbe  Million  Cubikmeter 
Felsmaterial  niedertrug.    Der  Bahnkörper 
war  in  einer  Länge  von  200  m  mit  Durch- 
fahrt und  Stutzmauer  spurlos  verschwun- 
den.   Das  Sannthal,  dessen  Sohle  mehrere 
Meter    unter    dem    Bahngeleise    lag,  war 
auf  200  m  Länge  und  120  m  Breite  mit 
Sturzmassen  derart  erfüllt,    dass    sie  das 
Bahnniveau     um    7    tn    überragten,    das 
Wasser    bis   zur   Bahnnivellette    stauten 
und  das  Flussbett  oberhalb  bis  zur  Ein- 
mündung in  die  Save  vollkommen  trocken 
legten. 

Die  Reconstructions- Arbeiten  begannen 
mit  der  Herstellung  eines  Durchstiches, 
""  der  den  zu  bedrohlicher  Höhe  ansteigen- 
den Gewässern  der  Sann  einen  Abfluss  zu 
schaffen  hatte.  Die  Arbeit  war  in  wenigen 
Stunden     vollendet.     Hierauf    wurde    für 


^  .         die   Bahn    durch    die 

Kalk-  und  Kiesmassen 
ein  Einschnitt  mit 
halbwegs  günstigen 
Neigungsverhältnissen 
ausgehoben  und  be- 
reits vier  Tage  dar- 
nach, innerhalb  wel- 
cher Zeit  eine  Erdbe- 
wegung von  3200  Hj* 
unter  schwierigen  Ver- 
hältnissen bewirkt  war,  fuhren  die  ersten 
Züge  über  das  provisorische  Geleise. 

Im  Herbste  des  Jahres  1882  wurden 
die  Südbahnlinien  Tirols  und  Kärntens 
von  einer  Wasserkatastrophe  heimgesucht, 
die  durch  ihre  Gewalt,  wie  durch  ihre 
Ausdehnung  wohl  ohne  Gleichen  dasteht. 
Es  war  kein  locales  Ereignis,  das  sich 
in  so  trauriger  Weise  abspielte;  die 
Ueberschwemmungen,  die  den  Südbahn- 
körper von  Villach  an  über  Franzens- 
feste und  Bozen  bis  A!a  an  vielen  Stellen 
vollkommen  zerstört  hatten,  zeigten  sich 
als  ein  liefgreifendes  und  lange  Jahre 
in  seinen  herben  Folgen  nachwirkendes 
Unglück  für  ganz  Tirol  und  einen 
Theil  Kärntens.  In  der  Strecke  Oher- 
Drauburg- Franzensfeste  wurden  an  1 2  km 
Bahn  vollständig  zerstört,  weit  über 
eine  Million  Cubikmeter  Material  ab- 
gebrochen, fünf  Wächterhäuser,  ein  Auf- 
nahmsgebäude und  23  andere  Bauwerke 
durch  das  verheerende  Element  ver- 
nichtet. Zwischen  Bozen  und  BranzoU 
hatte  die  Etsch  den  Damm  auf  200  m 
Länge  zerstört.  Die  furchtbarsten  Ver- 
wüstungen jedoch  zeigte  die  Strecke 
Atzwang-Blumau,  wo  die  wilde  Eisack 
den  Stegerdamm,  der  eine  Cubatur  von 
135.000  t«'  besass,  in  einer  Länge  von 
570  in  vollständig  weggerissen  .  hatte. 
Hier  war  die  Herstellung  eines  Holz- 
provisoriums von  468  m  Länge  erforder- 
lich, um  die  Bahn  wieder  benutzbar  zu 
machen ;  die  Schaffung  einer  Cunette 
für  die  Ableitung  des  Flusses  erforderte 
allein  den  Aushub  von  1 2.000  hi' 
Material.  Die  Arbeiten  nahmen  viele 
Monate  in  Anspruch  und  waren  in  ihrer 
raschen  und  trefflichen  Ausführung  be- 
redte Zeugen  für  die  grosse  Tüchtigkeit 
und  den  hohen  Pflichteifer  der  Bahn- 
erhaltungs-Ingenieure. 


Eisenbahn-Tunnelbau. 


Der  Tunnelbau 
fand  schon  bei  den    ersten  Eisenbahn- 
bauten in  Oesterreich    seine  Anwendung 
und   Förderung.     Im   Jahre  1839    wurde 
nämlich    auf   der  Eisenbahn    von    Wien 
nach    Gloggnitz,     zwischen    Gumpolds- 
kirchen  und  Baden,  ein  Gebirgsvorsprung, 
der  sich  hemmend  der  geraden  Richtung 
der     Bahn    entgegensteUte,     mit     einem 
Tunnel  durchbrochen.  Bei  diesem  Tunnel- 
baue,   den  Ingenieur  Keissler    leitete, 
wurde  das  Zimmenings-System,  das  man 
wenige  Jahre    vorher  bei  dem  Baue  des 
Oberaue  r  Tunnels 
im      Zuge       der 
Leipzig- Dresde- 
ner Bahn  befolgt 
hatte,  in   verbes- 
serter Weise    zur 
Anwendung     ge-    . 
bracht    und    hie- 
durch  das  eigent- 
liche   österrei- 
chische    Zim- 
merungs-Sy- 
stem geschaffen. 
Unabhängig   von 
allen  übrigen  Vor- 
gängern, liess 
Keissler  zunächst 


(■Udl.  Sla 


in  der  Sohle  des  **>"■  *■  ^"'J 

Tunnels  einen 
•  Sohlen Stollen«  —  auch  RichtstoUen  ge- 
heissen  —  vortreiben  und  sodann  im  Schei- 
tel des  Tunnels  einen  •Firststollen«  auf- 
fahren, in  den  er  sogleich  Theile  des 
künftigen,  für  den  Vollausbruch  des 
Tunnels  zur  Verhütung  von  Einbrüchen 
oder  Verdrückungen  erforderhchen  Holz- 
einbaues, der  sogenannten  definitiven 
Zimmerung,  einstellte.  Nachdem  der  First- 
stollen in  entsprechender  Länge  vorge- 
trieben war,  begann  man  denselben  nach 
beiden  Seiten  zu  erweitern  und  diepolygon- 
artig  aneinandergereihten  Traghölzer 
einzubauen,  die  in  ihrer  Verbindung  mit 
den  sie  stützenden  Stempeln  und  mit 
den  diese  letzleren  tragenden  Gesperren 
das  Wesen  des  lösterreichischen 
Systems«    bilden. 

Bei  dem  Baue  des  510  »1  langen 
Tri  ebitzer  Tunnels  in  Mähren  [Linie 
Olmütz-Prag],  des  zweiten  Eisenbahn- 


\  Tunnels   in   Oesterreich,    entschied  man 

sich     nach    längeren    Studien     für    das 

•  Kernbau-System«,    das   zuerst  bei 

Königsdorf[i837]  zur  Anwendung  gelangt 

war  und  die  Grundlage  des  deutschen 

Systems  wurde  [Abb.  88].  Dieses  System 

ist  durch  das  Bestreben  gekennzeichnet,  das 

Lieh  träum -Profil    des  Tunnels   thunlichst 

wenig  aufzuschliessen ;   es  werden  daher 

die  Arbeiten  mit  dem  Vortreiben  zwfeier 

Sohlenstollen  zur    Rechten    und    Linken 

der  Tunnelachse  eröffnet   und  durch  die 

Auffahrung  von  Mittelstollen    und   eines 

Firststollens  fortgesetzt;  hiebei  verbleibt 

in  der  Mitte   des 

Tunnelprofils  ein 

Erdkörper,  gegen 

densichdieTheile 

der     Zimmerung 

stützen    und    der 

erst  entfernt  wird, 

nachdem       auch 

schon    die    Aus- 

des 


Beim  Baue  des 
Triebitzer  Tun- 
nels hatte  man  mit 
gewaltigen  Ge- 
birgs  drücken  zu 
ilbahn]''"  ''^"'""''  kämpfen.  Das  Ge- 

birge bestand  aus 
Thon,  Letten  und  schwimmendem  Sand ; 
die  Wasserzuflüsse  waren  sehr  bedeutend 
und  bei  der  geringen  Höhe  des  Geländes 
über  dem  Tunnelfirste  reichten  alle  Felsen- 
risse bis  zu  Tage.  Der  ganze  Berg  schien 
durch  die  Tunnelarbeiten  in  Aufruhr  ver- 
setzt; der  Kern  gerieth  in  Bewegung, 
die  Widerlagsmauern  wurden  verdrückt, 
die  Fundamente  verschoben,  die  Sohlen- 
gewölbe emporgepresst.  Auch  als  der  Bau 
schon  vollendet  war,  ruhten  die  aufge- 
rüttelten Massen  nicht;  bereits  im  Jahre 
1847  zwang  die  Bewegung  der  Tunnel- 
gewölbe zu  weitgehenden  Reconstruc- 
tionen  und  schliesslich  selbst  zum  Einbaue 
eines  definitiven  Holzgerüstes. 

Während  der  Triebitzer  Tunnel  im 
vollen  Baue  stand,  wurden  im  Zuge  der 
österreichischen  Südbahn  zwischen  Mürz- 
zuschlag  und  Laibach  mehrere  Tunnels, 
ebenfalls  nach  dem  deutschen  Systeme, 
15* 


Alfred  Birk. 


ausgeführt.    Man  begann    hier  aber    die  [  Arbeit   in  den  Stollenräumen  ermöglicht 

Aufschliessung     des     Tunnelprofils     mit  i  wurde.  [Vgl.  Abb.  89.] 

dem     Vortrieb      des     Firststollens,     den  |  Bei    den  Tunnelbauten    der  nächsten 

man  nach  rechts  und  links  unter  Erhal-  1  Jahre,    namentlich  bei  jenen  der  Strecke 


tung  eines  Mittelkörpers  bis  auf  den  '  von  Prag  nach  Dresden  und  auch  auf  der 
Grund  der  Tunnelgewölbe  erweiterte.  1  Ungarischen  Centralbahn  [vgl.  Abb.  90], 
Bemerke nswerth  bei  den  steierischen  ;  begann  allerdings  das  österreichische 
Tunnelbauten  war  die  (geringere  Breite  ,  System  festeren  Fuss  zu  fassen  und 
des  Mittelkörpers,  durch  die  eine  leichtere   1  sich    zu    entwickeln.      Mit    dieser    Aus- 


Eisen  bah  n-Tunnelbai 


SITUATION  SrLAX 


bildung  des  Systems  bleibt  der  Name 
M  e  i  s  s  n  e  r's  ,  des  Obersteigers  der 
Bau  Unternehmung  Gebrüder  Klein,  als 
des  thatkräftigsten  Förderers  desselben 
innig  verbunden.  Auf  den  Höhen  des 
Semmerings  und  wenige  Jahre  später 
auch  in  den  Steingebieten  des  Karstes 
gelangte  das  österreichische  System  zur 
weiteren  Anwendung  und  Vervollkomm- 
nung. Bei  beiden  Bahnen  bestanden  die 
mannigfachsten  Verhältnisse;  es  galt  nicht 
allein,  grossen  Gebirgsdrack  zu  über- 
winden, sondern  nicht  selten  genug  auch 
die  Zimmerung  in  weichem  Gebirge  und 
gar  häufig  sogar  im  sogenannten  schwim- 
menden Gebirge  durchzuführen.  Die 
hiebei  auftretenden  riesigen  Drück- 
erscheinungen  führten  die  theilweise  Un- 
zulänglichkeit des  österreicHlschenSystems 
beängstigend  vor  Augen;  sie  kennzeich- 
nete sich  sowohl  durch  gewaltige  Nieder- 
setzungen der  Tunnel firste,  als  auch 
durch  bedeutende  Knickungen  der  Hol- 
zungen  im    Quer-    und  Längsprofil    des 


Tunnels.  Der  reguläre  Baubetrieb  ging 
unter  solchen  Verhältnissen  vollständig 
verloren  und  die  Baukosten  erhöhten 
sich  ungebührlich.  Deshalb  geschah 
es,  dass  noch  bei  dem  Baue  der 
Semmeringbahn  und  des  Karstüber- 
ganges einzelne  Ingenieure  sich  dem 
Kernbau-Systeme  zuwandten  oder 
andere  Zimmerungen  erdachten.  Die 
meisten  Ingenieure  blieben  aber  in  Anbe- 
tracht der  grossen  sonstigen  V ortheile 
des  österreichischen  Systems  diesem  treu 
und  strebten  nach  Abhilfe  innerhalb  der 
Grenzen  der  Baumethode;  so  wurde 
denn  auch  der  1430  vi  lange  Haupt- 
tunnel der  Semmeringbahn,  für  dessen 
Bau  man  durch  sechs  verticale  und  drei 
geneigte  Schächte  18  Angriffspunkte, 
ausser  den  beiden  Mündungen,  geschaffen 
hatte,  nach  dem  österreichischen  Systeme 
ausgeführt.  [Vgl.  Abb.  91  und  92.]  Jene 
Constructions-Methode,  durch  welche  das 
eben  genannte  System  zu  dem  für  druck- 
reiches und  schwimmendes  Gebirge  voll- 


Fie   6.  Fig.  s. 

.01.    Bau  de  ScniraL.rint;-lUurl-Tiiniii:l<.     Fig.!.    Vorhrui^h.    Vit;    ''-'>■    Allinabllchi  Erweiterung  m 
viillen  Tuauclpriinl.    l'i^^.  7.   Läiit-cuicbDlu  iiri.:b  Vig-  s  "ui^  ^     l'ig-  '^    LÜDKcnichDlII  dei  StolUo». 


Eisenbahn-Tunnelbau. 


kommcnsten  sich  ent- 
wickelt hat,  ist  eine 
Schöpfung  R  i  i  h  a's*) 
und  fügst  vor  Allem  auf 
dem  Bestreben  der 
gründlichen  Entwässe- 
rung des  abzubauenden 
Gebirges  und  auf  der 
in  allen  Theilen 
bergmännisch  richtigen 
Zimmerung  des  Längs- 
verbandes, 

•)  Franz  Ritter  von 
Riiha,f!;eb.28,Märzi83i 
zu  Hainspach  in  Böhmen, 
besuchte  bis  185t  die 
technische  Hochschule  zu 
Prag,  zeichnete  sich  schon 
beim  Bau  der  Semmering- 
bahn  und  der  Karst- 
bahn bei  der  Ausführung 
schwieriger  Tunnelbau- 
ten in  solcher  Weise  aus, 
dass    er    1856   zum     Bau 

des  Tunnels  bei  Czemitz  A» 

nächst    R atibor    berufen 

1857  erbaute  er  mit  Knäbel   mehrere  ] 


Stollen  in  Eisen  nach  seinem  eigenen  Entwürfe 
an,  und  führte  dieses  System,  wesentlich  ver- 
vollkommnet, bei  den  schwierigsten  Turnel- 
bauten der  Bahn  von  Kreiensen  nach  Holz- 
minden, und  zwar  auch  beim  Ausbaue  der 
Tunnels,  mit  grossem  Erfolge  durch.  Er 
trat  sodann  [18(16]  in  den  braunschweigischen 
Staatsdienst,  tracirte  und  baute  mehrere 
Linien,  und  verwaltete  als  Oberbergmeister 
die  tiscalischen  Braunkohlengruben,  bis  die- 
selben verkauft  wurden.  Nachdem  er  in 
Böhmen  und  Sachsen  mehrere  Bahnbauten 
durchgeführt  hatte,  wurde  er  [1874]  als 
Ober-Ingenieur  ins  österreichische  Handels- 
minislenum  und  1876  als  Professor  an  die 
technische  Hochschule  in  Wien  berufen.  1883 
wurde  ihm  der  Adel  verliehen.  Riiha  starb 
am  22.  Juni  1897  an  dem  Orte  seines 
ersten  technischen  Wirkens  —  auf  dem 
Semmering,  und  der  Ortsfriedhof  von  Maria- 
Schutz  bildet  die  letzte  Ruhestätte  des  ver- 
dienstvollen österreichischen  Technikers.  Er 
schrieb:  »Lehrbuch  der  gesammten  Tunnel- 
baukunsti  [Berlin  1864— 1S74,  2Bände;  2.Aufl. 
1874];  .Die  neue  Tunnelbau- Methode  in 
Eisen"  IBeriin  1864];  »Der  englische  Ein- 
schnittsbetrieb« [Berhn  1872] ;  .Die  Bedeutung 
des  Hafens  von  Triest  für  O esterreich  ■  [Wien 
■  :h];  .Eisen- 
of  hei  eilen 

Ausstellungsbericht,  Wien  1876,  3  Bände], 
und  zahlreiche  fach  wissenschaftliche  Ab- 
handlungen, die  in  Zeitschriften  veröffent- 
licht wurden. 


I.  g).    BogUache«  Tunaelbau-Syitcm. 

Dennoch  fand  das  österreichische 
System  bei  den  Tunnelbauten  der  Eisen- 
bahn über  den  Brenner  keine  allge- 
meine Anwendung. 

Das  Bausystem,  das  nördlich  der 
Brennerhöhe  befolgt  wurde,  war  das 
englische  System,  gekennzeichnet  durch 
den  Ausbruch  des  vollen  Tunnelprofiles 
in  kleinen  Längen  und  durch  die  Stützung 
des  aufgeschlossenen  Raumes  mit  Hilfe 
von  Längsbalken,  die  sich  einerseits  auf 
die  vollendete  Mauerung,  andererseits 
auf  ein  »vor  Ort«  aufgestelltes  Bock- 
gerüste stutzen.  [Vgl,  Abb,  93.]  Das  System 
bewährte  sich  aber  nicht;  den  starken 
Seitendrucken  setzten  die  nicht  unter- 
stützten Längsbalken  zu  geringen  Wider- 
stand entgegen.  Man  baute  deshalb  die 
Tunnels  der  Südstrecke,  die  später  in 
Angriff  genommen  wurden,  nach  dem 
österreichischen  Systeme. 

Die  Tunnelarbeit  bot  übrigens  bei 
der  Brennerbahn  wegen  der  spröden  und 
festen  Gebirgsmassen  keine  besonderen 
Schwierigkeiten ;  immerhin  aber  findet 
sich  manche  interessante  Einzelheit,  die 
nicht  unbeachtet  bleiben  kann. 

Da  die  Mehrzahl  der  Tunnels  der 
Brennerbahn  nahe  der  Berglehne  liegen, 


so  wurde  ihr  Bau  nicht  allein  von  den 
beiden  Enden,  sondern  auch  von  mitt- 
leren Punkten  aus  in  Angriff  genommen  ; 
zu  diesem  Zwecke  drang  man  durch 
Seitenstollen  von  der  Lehne  aus  zur 
Tunnelachse  vor,  so  dass  i.  B.  der 
MOhlthaler  Tunnel,  der  mit  872  hi  der 
längste  der  Brennerbahn  ist,  gleichzeitig 
von   14  Punkten    aus    angebrochen    und 


gegen  die  Bahnachse  gerichteten  Stollen 
in  die  Felsenmasse  des  Berges  ein,  teufte 
am  Ende  dieses  Ganges  einen  Schacht 
in  das  Niveau  des  Tunnels  und  suchte 
sodann  durch  gabelförmig  auseinander 
gehende  Stollen  die  Tunnelachse  zu 
erreichen,  auf  solche  Weise  je  vier  An- 
griffsstellen gewinnend. 

Viele     Sorgen     und     Kosten     verur- 
des 


liegt 

heile 
;rten 
ngen 


n  de*  Mlihlthalei  Tunncli 


[Bre. 


mithin  ziemlich  schnell  gefördert  werden 
konnte.  Grössere  Schwierigkeilen  hatten 
die  Ingenieure  bei  den  beiden  Tunnels 
im  Jodocus-  und  im  Pflerschthale  zu 
überwinden,  denn  einerseits  stiessen  sie 
hier  bei  der  Durchfahrung  des  Gebirges 
auf  sehr  festen,  von  Quarzadeni  durch- 
setzten Thonschiefer  und  andererseits 
zieht  sich  die  Achse  der  Linie  tief  in 
den  Berg  hinein.  Letzterer  Umstand 
zwang  —  da  man  ja  doch  mehrere  An- 
griffspunkte gewinnen  wollte  —  zu  ganz 
eigenartigen  Anlagen  ;  man  drang  nämlich  1 
in  einer  Höhe  von  etwa  50  tn  über  dem  | 
Niveau    des   Tunnels    mit    einem    radial  , 


zu  befürchten  ;  man  füllte  daher  thunlich 
rasch  die  gefährdeten  Tunnelringe  voll- 
ständig mit  Trockenmauerwerk  aus  und 
üess  nur  einen  stollenähnlichen  Raum 
für  den  Verkehr  frei;  die  Quelle 
wurde  in  beträchtlicher  Höhe  über  dem 
Tunnel  Scheitel  aufgefangen  und  der  Sill 
zugeleitet.  Dann  erst  begann  die  Ver- 
stärkung der  Widerlager,  zu  welchem 
Behufe  1 5  Stollen  in  drei  Etagen  von  der 
Berglehne  aus  senkrecht  zur  Tunnelachse 
bis  hinter  das  Widerlager  getrieben  wurden. 
Während  des  Betriebes  der  Bahn  musste 
dieser  Tunnel  neuerlich  reconstruirt  wer- 
den. [Abb.  94.] 


Eisenbahn -Tunnelbai 


Aus  der  Bauperiode  der  Brennerbahn 
ist  auch  noch  der  sogenannten  Bach- 
tunnels  zu  gedenken,  welche  dazu  be- 
rufen sind,  aus  ihren  alten  Betten  abge- 
lenkte Wasserbäche  durch  die  Lehnen 
der  Thalgehänge  zu  (Uhren,  Bauliche 
Schwierigkeiten  waren  hiebei  hauptsäch- 
lich nur  bei  jenem  Tunnel  zu  überwinden, 
welcher  vor  der  Station  Matrei  die  Sill 
durch  die  Felsen  hindurch  leitet.  Hier 
traten  nämlich  sehr  bald  Erscheinungen 
auf,  die  auf  eine  Auskolkung  der  ge- 
pflasterten Tunnel  sohle    hinwiesen.     Und 


köwer  Tunnel,  mit  welchem  diese  Gebirgs- 
bahn die  Einsattlung  des  Grenzkammes 
durchsetzt,  besitzt  eine  sehr  interessante, 
von  dem  Baudirector  Rudolf  R.  v.  Gunescb 
veröffentlichte  Baugeschichte.  Nach  dem 
definitiven  Projecte  erhielt  der  Tunnel 
eine  Länge  von  416  m  und  eine  Stei- 
gung von  25%,.  Vier  in  den  Tunnel 
und  fünf  in  die  beiden  Voreinschnitte 
abgeteufte  Schächte  dienten  zur  Eröffnung 
eines  Sohlenstollens,  von  welchem  aus 
denn  auch  zuerst  mit  12  und  späterhin 
mit  14  Aufbrüchen  die  eigentliche  Tunnel- 


thatsächlichzeigtesichnachder  Ablenkung 
der  Sill  von  den  gefährdeten  Stellen  das 
Sohlenpflaster  arg  zerstört.  [Abb.  95.]  Die 
Reconstructions- Arbeiten  richteten  sich  auf 
die  Anlage  eines  liegenden  Quader- 
mauerwerks an  Stelle  des  unregelmässigen 
Sohlenpflasters  und  auf  die  Beseitigung 
der  Abstürze  am  Einlaufe. 

Durch  die  Vollendung  der  Brenner- 
bahn hatte  die  Eisenbahn-Technik  einen 
neuen  glänzenden  Beweis  ihrer  Leistungs- 
fähigkeit abgelegt  und  bewiesen,  dass 
auch  der  Ueberschienung  der  Karpathen, 
der  natürlichen  und  geographischen  Grenze 
zwischen  Ungarn  und  Galizien,  kein  ernst- 
hches  technisches  Hindernis  mehr  im  Wege 
steht.  Und  so  wurde  schon  wenige  Jahre 
.  darnach  die  >  Erste  u ngari seh -gali zische 
Eisenbahn'  in  Angriff  genommen.  Der  Lup- 


arbeit begonnen  wurde.  Die  Erweiterung 
zum  vollen  Tunnelprofile  und  die  Zim- 
merung desselben  erfolgte  nach  dem  in 
einigen  Theilen  abgeänderten  engtischen 
System. 

Auf  der  galizischen  Seite  ging  der 
Baufortschritt  ziemlich  normal  vor  sich; 
auf  der  ungarischen  Seite  erwuchsen  aber 
durch  die  Aufblähung  des  weichen  und 
drückenden  Gebirges,  durch  langandau- 
ernde Kalle,hoehliegenden  Schnee,  Ver- 
wendung schlechten,  stark  verwitternden 
Materials  für  einen  hohen,  dem  Vor- 
einschnitt vorgelegenen  Damm,  durch 
Rutschungen  in  den  Einschnitten  so 
ausserordentliche  Schwierigkeiten,  dass  die 
Situation  schon  im  Jahre  1872,  also  ein  Jahr 
nach  demBaubeginne,injederHinsieht  sehr 
bedenklich  wurde.  Hiezu  trat  die  geringe 


Eignung  des  Karpathen-Sandsteines,  die 
eine  neuerliche  Aenderung  des  Tunnel- 
profils und  eine  Verstärkung  der  Maue- 
rung nothwendig  machten.  Der  Spätherbst 
desselben  Jahres  brachte  neue  Calami- 
täten  hinzu;  es  trat  ganz  gegen  alle  bis- 
herigen Erscheinungen  keine  Kälte  ein; 
bedeutende  atmosphärische  Niederschläge 
brachten  alle  Dämme  und  Einschnitte 
in  Bewegung,  ein  namhafter  TheÜ  der 
Tunnelringe  wurde  deformirt,  die  Funda- 
mente senkten  sich,  die  Steine  der  Seiten- 
niauerung  zerfielen  in  Sandkörner.  Es 
blieb    nichts    anderes    übrig,    als    Steine 


I  man     in     weiten     technischen     Kreisen 

I  eine  gewisse  Abneigung  entgegenbrachte. 

I  Dieses  System    war    gewählt  worden  in 

I  richtiger   und    genauer    Erwägung    aller 

I  bezugnehmenden  Verhältnisse  und  in  der 

I  Ueberzeugung,  dass  die  ungünstige 
Anschauung    über    dasselbe    nur    auf 

I  einzelne    baulich    oder    finanziell  ungOn- 

I  stige      Ergebnisse      zurückzuführen      ist. 

j  Bei     dem     Bischofsh ofener    Tunnel    war 

■  das  zu  durchfahrende  Gebirge  ein  gutes 

I  und    gleichförmiges     und    die    mit    den 

I  Arbeiten  betrauten  Subunternehmer,  Ge- 

I  brüderSandino,  hatten  tüchtige,  auf  das 


FlB-  1 


härtester  Gattung:  Granit,  Trachyt,  Por-  ! 
phyr    und    Kalkstein    mit    Aufwand    be-   | 
deutender    Kosten    zur    Verwendung    zu  , 
bringen    und     eine     Verbreiterung     der 
Fundamente    und  Widerlager  durch  eine 
üntermauerung    des    ganzen    Ringes    zu 
bewerkstelligen.     Nach   alledem  erschei- 
nen   die   hohen  Baukosten  des  im  Jahre  ' 
1874  vollendeten  Tunnels,    die  sich    auf  | 
2,585.500  fl.    beliefen,    ganz    begreiflich.  I 
Der  Bau  des  Lupköwer  Tunnels  war  , 
noch    nicht  vollendet,    als  auf  der  Salz- 
burg-Tiroler Bahn  der  Bau  des  Tunnels 
hei  Bischofshofen  [vgl.  Abb.  96a  u.  96b] 
in  Angriff  genommen  wurde.  Dieser  Bau 
erscheint  deshalb  erwähnenswerth,  weit  er 
nach    dem     beljrischen    System     aus- 
geführt  wurde,  das  bis  dahin  in  Oester- 
reich   —  unseres  Wissens  —  noch  keine 
Anwendung    gefunden    hatte    und     dem 


belgische  System  eingeschulte  piemon- 
tesische  Mineure  zur  Verfügung,  Und 
so  bewährte  sich  dieses  System,  dessen 
Wesen  in  den  die  Baumethode  bei 
Bischofshofen  darstellenden  Abbildungen 
flüchtig  markirt  erscheint,  in  diesem 
Falle  sehr  gut. 

Bald  nach  Vollendung  des  Tunnels 
bei  Bischofshofen,  dessen  Bau  vom 
10.  August  1873  bis  Mitte  Juni  1875 
währte  und  rund  630. ooo  fl.  kostete, 
vollzog  sich  in  nächster  Nähe  ein  fOr 
die  Entwicklung  des  Tunnelbaues  nicht 
nur  in  Oesterreich,  sondern  überhaupt 
wichtiges  Ereignis  :  Die  erstmalige  defini- 
tive Anwendung  des  Bohrmaschinen- 
Betriebes.  Bei  allen,  bis  gegen  die 
Mitte  des  achten  Decenniums  in  Oester- 
reich ausgeführten  Tunnels  wurden  die 
Löcher  zur  Aufnahme  des  Sprengmittels, 


Eisenb  ahn-Tunnel  bau. 


236 


Alfred  Birk. 


durch  dessen  kräftig  lösende  Wirkung 
der  Tunnelausbruch  beschleunigt  wird, 
von  Hand  aus,  mittels  Fäustel  und  Bohrer 
in  die  Gesteinsmasse  getrieben.  Nur  bei 
dem  Baue  der  Tunnels  im  Zuge  der 
Karstbahn  [1853— 1857]  hatte  der  Bau- 
meister K  r  a  n  n  e  r  versuchsweise  zur  Her- 
stellung von  Sprenglöchern  in  Kalk- 
gestein Drehbohrer  angewandt,  die  man 
füglich  den  Maschinenbohrern  zuzählen 
kann.  Er  bewirkte  nämlich  die  Rotation 
durch  einen  Mechanismus,  der,  ungefähr 
wie  bei  einem  Spinnrade,  mit  dem  Fusse 
des  Arbeiters  bewegt  wurde,  wobei  eben- 
falls der  vorgebeugte  Körper  des  letzteren 
die  nöthige  Andrticklast  bot.  Für  die 
Länge  der  Zeit  war  ein  solches  Bohren 
ungemein  ermüdend ;  auch  gestattete  es 
nur  gewisse  Lagen  der  Löcher  und  setzte 
ein  sehr  weiches  Bohrgestein  voraus. 
Als  man  anlässlich  des  Baues  der  Salz- 
kammergut-Bahn sich  anschickte,  den  am 
Traun see  zwischen  Ebensee  und  Traun- 
kirchen  steil  emporsteigenden  Sonnstein 
zu  durchfahren,  da  zwangen  unerwartet 
eintretende  Verhältnisse,  das  anfangs 
angewandte  System  des  Handbohrens 
zu  verlassen  und  den  Maschinenbetrieb 
einzuführen.  Angesichts  der  nicht  un- 
bedeutenden Länge  des  Sonnstein-Tun- 
nels —  er  misst  1428*36  m  —  sowie 
der  harten  Gesteine,  welche  zu  durch- 
setzen waren,  kam  die  rechtzeitige  Fertig- 
stellung des  Tunnels  ernstlich  in  Frage. 
Zu  jener  Zeit  nun  hatte  Alfred  Brandt 
bei  dem  Pfaffensprung-Tunnel  auf  derGott- 
hardbahn  sein  Bohrmaschinen  -  System 
mit  rotirendem  Kernbohrer  und  hydrau- 
lischer Kraftübertragung  wohl  nur  vor- 
übergehend, nämlich  bis  zur  Einstellung 
aller  Arbeiten  auf  der  Gotthardbahn, 
aber  mit  grossem  Erfolge  in  Anwendung 
gebracht.  [Vgl.  Abb.  97.]  Die  Bauunter- 
nehmung des  Sonnstein-Tunnels,  Karl 
Freiherr  von  Schwarz,  entschied  sich, 
rasch  entschlossen,  zur  Fortsetzung  der 
Arbeiten  mit  Brandt's  Maschine.  Gebrüder 
Sulzer  in  Winterthur  lieferten  die  Ma- 
schinen und  Brandt  nahm  die  Durch- 
führung der  Einrichtung  selbst  in  die 
Hand.  Am  ii.  April  1877  war  die 
Maschinenbohrung  auf  dem  Sonnstein  in 
vollem  Gange. 

Die  Wirkung  des  Brandt'schen  Bohrers 


nähert  sich  jener  eines  Stossbohrers 
wobei  aber  die  intermittirende  Stoss- 
kraft  durch  ruhige,  stetig  wirksame 
Druckkräfte  ersetzt  ist;  der  Brandt'sche 
Bohrer  zermalmt  das  Gestein,  zerbröckelt, 
zersägt  es.  Das  Andrücken  und  das 
Drehen  des  Bohrers,  wie  überhaupt  das 
Feststellen  der  ganzen  Bohrvorrichtung 
wird  ausschliesslich  durch  Wasserdruck 
bewirkt.  Der  Bohrer  ist  nämlich  4n  dem 
Kopfe  einer  hydraulischen  Presse  befestigt, 
die  an  einer  »Spannsäule«  durch  Stell- 
ringe und  Spannschrauben  festgestellt 
werden  kann.  Das  Druckwasser  wird 
durch  eine  enge  Rohrleitung  zugeführt. 
Bei  einem  Betriebs- Wasserdruck  von  75 
Atmosphären  kann  bei  geeigneter  Dimen- 
sionirung  aller  Theile  eine  Schneidekraft 
bis  zu  6000  kg  pro  Zahn  des  Bohrers 
erreicht  werden,  eine  Kraft,  die  auch 
dem     härtesten    Granit    gewachsen    ist. 

Bei  dem  Baue  des  Sonnstein-Tunnels 
hat  die  Maschinenbohrung  in  den  gleichen 
Gesteinen  gegen  die  Handbohrung  einen 
circa  zweimal  so  grossen  Stollenfort- 
schritt ergeben.  Die  Maschinenanlage  für 
den  Betrieb  der  Bohrmaschinen  und  die 
Lüftung  des  Tunnels  war  auf  einer 
Plattfläche  am  Ufer  des  Sees  errichtet. 
Eine  Circularpumpe  hob  das  Betriebs- 
wasser aus  dem  See;  ein  Paar  direct 
wirkender  Dampfpumpen  diente  zur  Pres- 
sung des  Wassers.  Im  Betriebe  standen 
vier  Bohrmaschinen.  Die  gesammte  Ein- 
richtung für  den  Bohrbetrieb  hatte  einen 
Kostenaufwand  von  38.700  fl.  verursacht. 

Ein  hervorragendes  Bauwerk,  das  in 
der  Geschichte  des  Tunnelbaues  eine 
markante  Stelle  einnimmt,  und  Oester- 
reichs  Ingenieuren,  ihrem  Wissen  und 
Können  einen  bleibenden  Ruhm  sichert, 
wurde  schon  wenige  Jahre  darnach  in 
Angriff  genommen  und  glänzend  voll- 
endet:  die  Durchbohrung  desArl- 
berges. 

Die  Literatur  über  den  Arlberg- 
Tunnel  ist  überaus  reichhaltig  und  gibt 
über  alle  Detailfragen  dieses  grossar- 
tigen Baues  Aufschluss.  Unsere  Aufgabe 
kann  wohl  nur  darin  bestehen,  aus  der 
Baugeschichte  des  [über  10  km  langen] 
Arlberg- Tunnels  jene  besonderen  Momente 
hervorzuheben,  welche  sich  als  nennens- 
werthe  Errungenschaften  im  Tunnelbaue 


Eisenbahn-Tunnelbau. 


darstellen  und  dieses  auf  vaterländischem  | 
Boden    durchgeführte    Werk    zu    einem 
bedeutsamen    Merkzeichen    in     der     Ge- 
schichte    des  Tunnelbaues  erheben.     Als 
solche  Momente  erscheinen  einerseits  die 
concurrirende  Anwendung   zweier   Bohr- 
systeme    beim  Stollenausbruche,  nämlich  i 
des  Fercussions-Systems  [Feiroux,  Seguin  i 
und  Welker]   und  des  Drehbohr- Systems  i 


einwirkenden  Umstände  mit  den  gestei- 
gerten Leistungen  der  maschinellen 
Stollenbohrung  gleichen  Schritt  zu  halten. 
Das  Percussions-  oder  Stossbohr- 
system,  bei  welchem  der  Bohrer  durch 
comprimirte  Luft  in  den  Felsen  ge- 
stossen  wird  und  beim  RUckgange  eine 
drehende  Bewegung  erhält,  war  für  die  Ost- 
seite des  Tunnels  (St.  Anton]  bestimmt.  Die 


[Brandt]  und  andererseits  die  Förderung 
der  ausgebrochenen  Massen  aus  dem 
Tunnel  und  der  zur  Ausmauerung  nolh- 
wendigen  Materialien  in  denselben.  [Vgl. 
Abb.  98]. 

Förderte  die  Parallelarbeit  zweier 
grundverschiedener  Bohrsysteme  Wissen- 
schaft und  Kenntnis  der  Bohrtechnik  in 
eminenter  Weise,  so  bewies  die  geniale 
Lösung  der  Förderungsfrage,  dass  es 
müghch  ist,  durch  zweckmässige  Dis- 
positionen in  den  Vollausbruch-  und 
Maurerarbeiten   trotz  mancher  ungünstig 


j  Kraft  zum  Betriebe  der  Motoren,  die  sowohl 
j  die  comprimirte  Luft,  wie  auch  die  Venti- 
I  lationsluft  zu  eraeugen  hatten,  lieferte  die 
Rosanna,   aus  der  zwei  Wasserleitungen 
,  von   100  m   und  4250  m    Länge  zu  den 
I  Maschinen  führten  und  an  diese  je  nach 
■  Jahreszeit  und  Wasserreichthum  der  Ro- 
sanna 800  bis  1700  Pferdekräfte  abgaben. 
Die    Bohrluft    wurde    von    sechs    Com- 
pressoren,    die    Venti lationsluft    von    vier 
Gebläsecy lindem  geliefert.  Der  gesammte 
Luftbedarf  stellte  sich  auf  nahezu  i  i.ooom' 
in  der   Stunde.      Für    das    Anbohren    der 


238 


Alfred  Birk. 


Stollenbrust  dienten  anfangs  sechs,  spä- 
ter acht  Maschinen,  die  jedesmal  ein  bis 
sechs  Stunden  in  Arbeit  standen. 

Auf  der  Westseite  des  Arlberg-Tunnels, 
wo  der  Schienenweg  aus  dem  Felsen 
heraus  in  das  Thal  der  Alfenz  tritt, 
hatte  Brandt  seine  Maschinen  [vgl.  Abb.  99] 
installirt;  die  erforderhche  Wasserkraft, 
einschliesslich  jener  für  Erzeugung  der 
Ventilation,  wurde  dem  Niederschlags- 
gebiete der  Alfenz  entnommen ;  die  Wässer 
desZürs-  und  Alfenzbaches,  des  Hopenland- 
und  Sacktobeis,  wie  auch  jene  des  Moos- 
baches wurden  gemeinsam  herangezogen 
und  boten  gegen  800  Pferdekräfte.  Zwölf 
Hochdruckpumpen,      von      drei     Girard- 


zehn  einfahrende  und  ebenso  viele  aus- 
fahrende Züge  zu  je  75  Wagen  von  129, 
beziehungsweise  230  t.  Eine  solche  Ver- 
kehrsmenge zu  bewältigen,  war  auf  dem 
Arlberge  nur  durch  eine  mit  pünktlicher 
Genauigkeit  geregelte  Förderung  möglich. 
Der  vor  dem  Tunnel  rangirte  Zug  wurde 
von  zwei  feuerlosen  Locomotiven  nach 
Francq's  System  bis  zum  Ende  der  fer- 
tigen Tunnelstrecke,  wo  sich  eine  ver- 
legbare Station  befand,  befördert;  von 
hier  aus  schoben  besondere  Schlepper, 
welche  die  vollen  Bergwagen  aus  dem 
Stollen  brachten,  die  einzelnen  Wagen 
auf  einer  Rampe  von  2®/^^  Steigung  zu 
den  verschiedenen  Arbeitsstellen. 


Flg.  I. 


Fig.  3. 


Abb.  98.    StangenforderuDg  im  Arlberg-Tunnel. 
Fig.  I.    Ei  nzelnheiten  des  Gestänges.    Fig.  a.    LäDgenprofil.   Fig.  3.   Tunnelstation. 


turbinen  bewegt,  deckten  den  Kraftbedarf 
der  vier  Brandt'schen  Maschinen,  die  auf 
einer  gegen  die  Stollenwände  mit  loo 
Atmosphären  Wasserdruck  verspreizten 
Spannsäule  befestigt  waren. 

Im  Allgemeinen  glich  die  Installation 
an  dieser  Seite  des  Tunnels  der  Anlage 
auf  dem  Sonnstein-Tunnel ;  sie  unterschied 
sich  von  ihr  im  Wesentlichen  durch  die 
Lagerung  des  ganzen  Apparates  auf 
Achsen  und  Rädern,  durch  die  kräftigere 
Bauart  der  Maschine  und  Spannsäule 
und  durch  die  bewegliche  Montirung 
zweier  Bohrmaschinen    auf    einer   Säule. 

Von  grosser  Wichtigkeit  war  die 
Disposition  der  Förderung.  Ein  täglicher 
Tunnelfortschritt  von  5*5  ;w,  wie  er  beim 
Arlberg-Tunnel  erzielt  wurde,  beanspruchte 


Mit  dieser  einfachen,  aber  gut  functio- 
nirenden  Anordnung  war  jedoch  die 
Frage  der  Förderung  auf  der  O  s  t  s  e  i  t  e 
des  Arlberg-Tunnels  noch  nicht  gelöst. 
Hier  war  nämlich  bei  dem  Umstände, 
dass  der  Culminationspunkt  des  Tunnels 
circa  1000  tn  östlich  der  Tunnelmitte 
liegt,  eine  gewisse  Strecke,  deren  Länge 
mit  dem  Baufortschritte  zunahm,  im  Ge- 
fälle von  i5%o  vorzutreiben.  Der  Gedanke, 
diesen  Rampenbetrieb  mit  Menschen 
oder  Pferden  zu  bewerkstelligen,  wurde 
sehr  bald  aufgegeben;  auch  von  der 
Seil-  oder  Kettenförderung  musste  ab- 
gesehen werden,  da  ihre  Anwendung 
eine  tiefgehende  Aenderung  des  ganzen 
Bausystems  bedingt  hätte.  In  einfacher 
und  gelungener  Weise  löste    schliesslich 


Ei  se  n  bah  n -T  u  n  tiel  ba  u. 


Alfred  Birk. 


Bauunternehmer  Ceconi  die  dringend 
gewordene  schwierige  Frage.  Die  von  ihm 
vorgeschlagene  Anordnung  besteht  in 
Wesenheit  aus  einem  Gestänge,  das,  auf 
Rädern  laufend,  durch  die  im  fertigen 
Tunnehheile  verkehrenden  rauch-  und 
feuerlosen    Locomotiven    in    den    Stollen 


geschoben  und  dann  mit  den  hier  an- 
gehängten Wagen  wieder  heraufgeholt  ] 
wird.  Das  Gestänge  wurde  aus  einzelnen  i 
hölzernen  Stangen  von  "jt  m  Länge, 
21  cm  Höhe  und  12  ctn  Breite  gebildet. 
Jede  Stange  hatte  an  ihren  Enden  zwei 
über  die  Stangenköpfe  vortretende  Flach- 
schienen angeschraubt,  mittels  welcher  sie 
auf  kleine  vierrädrige  Wagen  gelagert  und 
derart  befestigt  wurde,  dass  eine  grössere 
Beweglichkeit  im  horizontalen  undvertica- 
len  Sinne  gewahrt  erschieh.  [Vgl,  Abb.  98.] 


ab,  die  zwischen  den  Bedürfnissen  des 
Tunnelbetriebs  und  den  Bedingungen 
eines  geordneten  Zugsverkehrs  die  vollste 
Uebereinstimmung  zeigte. 

Der  Arlberg- Tunnel  ist  mit  einer 
Länge  von  IO.2475  nt  der  drittlängste 
der  Alpen.  Das  Tuniielportal  in  St.  .\nton 
hat  die  Seehöhe  von  13024,  der  Tunnel - 
ausgang  in  Langen  jene  von  1216-84  »1, 
[Vgl.  Abb.  icxiund  loi.]  Das  Geleise  steigt 
gegen  Langen  zu  auf  4100  »t  mit  2''/o, 
und  lallt  sodann  mit  I5%0'  I'^''  Tunnel 
ist  seiner  ganzen  Länge  nach  ausge- 
mauert. Sein  Ausbruch  erfolgte  nach  dem 
englischen  Systeme,  jedoch  mit  einigen, 
durch  die  Verhältnisse  bedingten  Aende- 
rungen,  die  namentlich  auf  der  Westseite 
wiederholt  modificirt  werden  mussten, 
weil  hier  gewaltige  Druckerscheinungen 
auftraten. 

Ueber  die  Leistungen  beim  Bau  des 
Arlberg -Tunnels  seien  hier  noch  einige 
Daten  angeführt,  welche  die  grossen 
Fortschritte  kennzeichnen  mögen,  welche 
die  Tunnel  bau -Wissen  Schaft  in  der  Zeit 
vom  Bau  des  Mont  Cenis-Tunnels  bis 
zu  jenem  des  Arlberg-Tunnels,  also  in 
rund  25  Jahren  gemacht  hat.  Im  Sohl- 
stoilen  wurde  die  grösste  tägliche  Lei- 
stung auf  der  Westseite  mit  8'4  m,  auf  der 
Ostseite  mit  82  m  erreicht.  Der  Durch- 


Zur  Beförderung  eines  Zuges  mit  Hilfe 
dieser  starren,  viele  hundert  Meter  langen 
-Kupplung-  auf  der  Steigung  von  15%^ 
mussten  drei  feuerlose  Locomotiven 
mit  einer  gesammten  Zugkraft  von 
5900  kff  in  Action  treten.  Der  Zugver- 
kehr wickelte  sich  sodann,  unterstützt 
durch  eine  sehr  zweckmässige  Anlage 
der  in  der  Nähe  des  Culminationspunktes 
liegenden  Tunnelslation,    in  einer  Weise 


schlag  dieses  Stollens,  der  in  einer  Länge 
von  10.260  m  aufgefahren  wurde,  er- 
forderte einen  Arbeitsaufwand  von  drei 
Jahren,  fünf  Monaten  und  vier  Tagen.  Nach 
den  Bestimmungen  des  Vertrages  sollte 
der  Tunnel  180  Tage  nach  erfolgtem 
Durchschlage  des  Stollens  vollendet  und 
betriebsfähig  sein.  »Von  der  Grösse  der 
hier  verlangten  Leistung  erhält  man  eine 
Vorstellung*     —    sagt    Ritiha    in     einer 


Eisenbahn -Tunnel  bau. 


Studie  Über  die  Stangenßirdening  auf  dem 
Arlberg-Tunnel  —  »wenn  man  berück- 
sichtigt, dass  die  Vollendungsarbeiten 
beim  Mont  Cenis- Tunnel  [12.233  *"  l^ig] 
beiläufig  e  i  n  Jahr,  beim  St.  Gotthard- 
Tunnel  [14.900  tn  lang]  gegen  zwei  Jahre 
beanspruchten,  dass  sonach  gegenüber 
dem  letzteren  Alpentunnel  eine  Abkürzung 
dieser  Schlussphase  des  Baues  auf  ein 
Viertel  der  Zeit  gefordert  wird.  Diese 
Anforderung  erscheint  noch  durch  den 
Umstand  verschärft,  dass  ein  ungeahnt 
rascher  Stollenfortschritt  stattgefunden 
hat,  der  den  bei  Festsetzung  des  obigen 
Termines  in  Aussicht  genommenen  weit 
hinter  sich  lässt  und  der  demgemäss 
ein  ebenso  rasches  Nacheilen  der  Aus- 
bruch- und  Vollendungsarbeiten  zur  Be- 
dingung machte.« 

Es  zeugt  von  der  trefflichen  Ein- 
richtung aller  Anlagen,  von  der  fach- 
männisch richtigen  Durchführung  der  All- 
heiten, von  der  glücklichen  Verwerthung 
aller  Errungenschaften  der  vorhergegan- 
genen technischen  Schöpfungen  auf  dem 
Gebiete  des  Tunnelbaues,  dass  dieser 
kurze  Termin  von  180  Tagen  nicht 
überschritten  wurde. 

Die  monatliche  Baugeschwindigkeit 
hatte  im  Arlberg-Tunnel  219  *«  betragen; 


bei  dem  Gotthard-Tunnel  stellte  sich  diese 
Geschwindigkeit  auf  149,  bei  dem  Tunnel 
durch  den  Mont  Cenis  auf  rund  70'3  tn. 
Welcher  gewaltige  Fortschritt  kommt 
in  diesen  Zahlen  zum  Ausdrucke  und 
welche  namhafte  Förderung  der  Tunnel- 
bau-Wissenschaft bedeutet  also  der  Durch- 
bruch des  Arlberg- Tunnels ! 

Was  seit  der  Vollendung  der  Arlberg- 
Bahn  auf  Österreichischen  Eisenbahnen 
an  Tunnelbauten  bisher  geschaffen  wurde, 
tritt  weit  zurück  hinter  den  Thaten  der 
Ingenieure,  der  Tunnel  bau meister  in  jenen 
Tagen.  Es  hat  bei  den  Tunnelbauten 
der  jüngeren  Bahnen  auch  an  Schwierig- 
keiten nicht  gefehlt,  es  ist  auch  hier 
manch  guter  Griff  geschehen,  manch 
geistreicher  Gedanke  verwirklicht,  manch 
prächtige  Arbeit  vollendet  worden;  doch 
tritt  kein  Moment  so  bedeutsam  hervor, 
dass  es  in  dieser  Abhandlung,  die  ja 
doch  nur  einen  flüchtigen  Ueberblick 
über  die  allgemeine  Entwicklung  des 
Eisenbahn-Tunnelbaues  bieten  soll,  be- 
sonders hervorgehoben  zu  werden  ver- 
dient. Das  jüngste  Bauwerk  aber,  das 
der  Wissenschaft  des  Tunnelbaues  neue 
Förderung  bietet  —  die  Wiener  Stadtbahn 
—  wird  an  anderer  Stelle  seine  gerechte 
Würdigung  finden. 


Oberbau. 


Auf  leichten  eisernen  Flachschieiien,  j 
von  hölzernen,  auf  Schotter  gebetteten  | 
l.angschwellen  gelragen,  rollten  die  Wa- 
gen der  Pferde- Eisenbahn  von  Budweis  , 
nach  Linz  und  rollten  auch  die  ersten  1 
Locomotiven  Oesterreichs ;  denn  die  Kai-  ! 
ser  Ferdinands-Nordbahn  war  durch  die  | 
Verspätung  der  in  England  bestellten  | 
Schienen  darauf  angewiesen  worden,  ihren  i 
Oberbau  nach  dem  Muster  der  Pferde-  ' 
bahnen  herzustellen :  eiserne  Flachschie-  ' 
nen,  mit  Holzschrauben  auf  hölzernen  ' 
Langschwcllen  befestigt,  die  auf  einem  I 
in  parallele  Gräben  unter  den  Schwellen 
eingebrachten  Schotter-  oder  Steinsatz-  j 
körper  lagerten.  [Vgl.  Abb.  102.]  1 

Diese  Geleise-Construction  hielt  unter  I 
den  Angriffen  des  Locomotiv- Betriebes  | 
nicht  lange  Stand;  die  Befestigung  der  j 
Flachschienen  auf  den  Langschwellen  ' 
erwies  sich  als  nicht  genügend  dauerhaft  | 
und  die  mittlerweile  aus  England  ein-  | 
getrotfenen  Oberbau  -  Bestandtheile  er-  y 
inöglichten  der  Nordbahn  den  Ersatz  ; 
dieses  Geleises  und  den  Weiterbau  der  1 
Bahn  nach  Brunn  mit  einer  Oberbau-  [ 
Construction   nach    englischer    Bauweise. 

Die  Thatsache,  dass  die  Kaiser  Fer- 
dinands-Nordbahn bei  ihrer  ersten  Ein- 
richtung genüthigt  war,  ihre  Fahrzeuge 
aus  England  zu  beziehen,  hatte  zur  Folge, 
dass  die  in  England  sowohl  für  Strassen- 
fuhrwerkv  als  für  Eisenbahnen  eingeführte 
Spurweite  von  4'  8"  engl.  [=  1-435  «'] 
nach  Oestcrrcich  übertragen  und  bei  allen 
spater  erbauten  Bahnen  beibehalten  wurde. 


Das  von  der  Nordbahn  gewählte 
englische  Geleise  war  ein  Querschwellen- 
Oberbau  ;  die  Schienen  mit  pilzförmi- 
gem Querschnitte  wogen  igVj  ^Ä"  pi"** 
Meter,  waren  in  gusseisernen,  auf  den 
Querschwellen  aufgenagelten  Stuhlen  ge- 
lagert und  mit  Holzkeilen  befestigt.  [Vgl. 
Abb.  103 — 104.]  Anordnung  und  Dimen- 
sionirung  der  Bestandtheile  erwiesen  sich 
für  die  damaligen  Verhältnisse  als  muster- 
giltig;  das  Geleise  bot  einen  ausreichenden 
Widerstand  gegen  die  Wirkungen  der 
darauf  verkehrenden  Locomotiven,  deren 
stärkster  Achsendruck  allerdings  nur 
6  /  betrug. 

Auch  andere  Bahnen  jener  Zeit  folg- 
ten dem  englischen  Vorbilde,  so  die  lom- 
bardisch -  venetianische  Ferdinands -Bahn 
[1837],  die  Linie  Mailand-Monza  [1839], 
die  Österreichischen  Staatsbahnen  Olmütz- 
Prag  und  Mürzzuschlag-Cilli.  Auf  der 
Eisenbahn  von  Mailand-Monza  kamen 
statt  der  Holzschwellen  das  erste  Mal 
auf  einer  Locomotivbahn  in  Qesterreich 
Steinwürfel  zur  Anwendung,  auf  wel- 
chen die  gusseisernen  Schienenstühle 
befestigt  wurden.  Von  grosser  Be- 
deutung für  die  Entwicklung  des  Ober- 
baues erscheint  der  Bau  der  Eisenbahn 
von  Wien  nach  Gloggnitz.  Auf  der 
Theilstrecke  derselben  von  Neustadt  nach 
Neunkirchen  finden  wir  nämlich  [1842] 
eine  Art  Flachschiene  verlegt,  deren  Quer- 
schnitt etwa  in  einem  Drittel  der  Höhe 
eine  schwache  Einschnürung  aufweist. 
Dieses  Profil  ist  der  Vorläufer  der  breit- 


Eisenbahn-Oberbai. 


fUssigen  Schiene  in  Oesterreich.  Es  ist 
wie  die  Verkörperung  der  ersten  auf- 
flackernden, noch  nicht  ausgereiften 
Idee  der  letztgenannten  Schiene,  der 
wir  auch  thatsächlich  schon  im  selben 
Jahre  noch    auf    der  Strecke  Wien-Neu- 


ist nahezu  gleichmässig  hoch,  der  Steg 
kurz,  der  Kopf  niedrig;  Kopf,  Steg  und 
Fuss  gehen  mit  sanften  Curven  ineinander 
Über.  Die  Schiene  war  5  m  lang,  hatte 
ein  Gewicht  von  26-5  kg  pro  Meter  und 
besass    bei    einer  Entfernung    der  Stütz- 


Stadt  begegnen.  Das  ist  ein  Moment,  das 
umsomehr  hervorgehoben  zu  werden  ver- 
dient, als  wir  gleichzeitig  auch  die  Quer- 
schwellen, allerdings  noch  durch  eine 
Langschwellen-Constructionverstärkt,also 
eine  Art  hölzernen  Rostes  als  Unterlage 
der  Schienen  bei  diesem  Oberbaue  an- 
treffen. Die  Gestalt  dieser  ersten  breit- 
basigen  Schiene  Oesterreichs  ist  im  All- 
gemeinen ziemlich  gedrungen.  Der  Fuss 


I  punkte  von     1 26  cm    eine  Tragfähigkeit 

von  3-8  t.     (Vgl.  Abb.   ,o5.')] 
i  Infolge  der   mächtigen   Zunahme  des 

'   Verkehrs    in    dem   Zeiträume    von    1839 
!  bis     1843,    in   dem    sich    das   Bahnnetz 


•)  Die  Abbildungen  105,  106,  117,  I18  und 
1 19  sind  mit  Genehmigung  des  Verfassers  und 
Verlegers  nacli  Abbißungen  aus  dem  Werke 
•  Geschichte  des  Eisenbahn-Oberbaues«  von 
A.   Haarmann  angefertigt  worden. 


i 


a 


n 


BTF 


«].    [K.i«rl 


,  1838.] 


auf  eine  Länge  von  mehr  als  300  km 
erweitert  hatte,  war  das  BedUrfiiia  aufge- 
treten, die  Leistungsfähigkeit  der  Loco- 
motiven  zu  erhöhen.  Dieser  Forderung 
liess  sich  nur  durch  eine  Gewichtsver- 
mehrung  der  Locomotiven  entsprechen. 
Und  so  traten  nun  Locomotiven  in  Betrieb, 
welche  auf  das  Geleise  einen  Achsdruck 
von    13  t  ausübten. 

Selbstverständlich  wurden  die  Wir- 
kungen dieser  neuen  Fahrzeuge  für  die  vor- 
handene Gel  eise- Construction  verhängnis- 
voll. Der  Ingenieur  Stöpsel,  der  Chronist 
der  Nordbahn,  schrieb  zu  jener  Zeit:  »Die 
Sicherheit  und  Regelmässigkeit  des  Ver- 
kehrs waren  gefährdet,  die  Abnützung 
des  Geleises  und  der  Fahrzeuge  zeigten 
sich  in  allzustarkem  Masse,  es  sind  viele 
Brüche  an  Schienen  und  an  Chairs  vor- 
geki 


Unter  diesen  Umständen  kam  das 
Geleise  nach  englischer  Bauweise  eigent- 
lich Unverdientermassen  in  Verruf  und 
fand  das  Beispiel  der  Wien-Gloggnitzer 
Bahn  unisomehr  Anklang,  als  man 
mittlerweile  in  -Deutschland  bei  der 
Leipzig-Dresdener  Bahn  mit  einem  Quer- 
sch w ei len  -  Oberbau,  bei  dem  breit- 
fUssige  Schienen  ohne  Vermittlung  von 
Stühlen  direct  auf  den  Querschwellen  mit 
Nägeln  befestigt  waren,  gute  Ergebnisse 
erzielt  hatte. 

Im  Jahre  1846  finden  wir  auf  öster- 
reichischen Bahnen  die  erste  Anwendung 
der  breitfüssigen  Schiene  in  Verbindung 
mit  Querschwellen  ohne  Langschwel  len - 
Unterstützung,  und  zwar  auf  der  Linie 
von  Wien  nach  Brück  a.  d.   Leitha. 

Diese  Bauweise  ging  allmählich  auf 
alle   heimatlichen    Bahnen    über,    wobei 


Eisenbahn- Oberbai 


die  Versuche  des  preussischen  Ministerial- 
Directors  Weisshaupt,  welche  die 
Ueberlegenheit  derselben  in  Rücksicht  auf 
Tragfähigkeit  nachwiesen,  nicht  ohne  Ein- 
fiuss  blieben.    [Vgl.  Abb.   io6.] 


Für  jede  Eisen  bahn- Gesellschaft,  ja 
fast  für  jede  einzelne  Theilstrecke  wurden 
andere  Verkehrs  Verhältnisse  vorgesehen 
und  andere  Betriebsmittel  mit  anderen 
Ge\vichts  Verhältnissen  beschafft.  An- 
knüpfend wurden  nun  theils  praktische, 
theils  theoretische,  theils  subjective  Er- 
wägungen ins  Feld  geführt,  um  da  und 
dort  eine  grössere  oder  geringere  Anzahl 
von  Stutzen  oder  eine  grössere  oder 
geringere  Abmessung  der  Geleise-  Bestand - 
theile  zu  begründen. 


War  nun  in  dieser  Hinsicht  eine 
gewisse  Stabilität  für  das  System  des 
Geleise baues  geschaffen,  so  gaben  die 
damaligen  Besitz  Verhältnisse  der  öster- 
reichischen Eisenbahnen  und  der  Um- 
stand, dass  das  Eisenbahnnetz  aus  einer 
grösseren  Anzahl  isolirter  Theils  trecken 
sich  zusammensetzte,  doch  mannigfalti- 
gen Anlass  zu  Veränderungen  im  Ein- 
zel) 


ititm 


Die  Schiene. 

Im  Jahre  1848  hat  die  breitfüssige 
Schiene  in  Oesterreich  bereits  die  Ober- 
hand über  die  Pilzschiene  gewonnen. 
An  der  Hand  der  Erfahrungen,  die  von 
Jahr  zu  Jahr  gesammelt  wurden,  unter 
dem  Einflüsse  der  Theorie,  die  sich  stetig 
vervollkommnete,  und  namentlich  unter 
der  bedeutsamen  Einwirkung,  welche  die 
HUttentechnik  ausübte,  erfuhr  die  Gestalt 
der  Schiene  zahlreiche  Abänderungen. 
Auch  das  wirthschaftliche  Moment  trat 
hiebe!  stark  hervor;  die  Schiene  bildet 
ja  doch  den  weitaus  kostspieligsten  Be- 
standtheil  des  Geleises  und  eine  Erspar- 
nis an  Gewicht  verringert  wesentlich  die 
Bau-  und  Enieuerungsk Osten.  Und  so 
bildet  zu  Ende  der  Vierziger-  und  zu 
Anfang  der  Fünfziger -Jahre  das  Bild  der 
Schienenprofile  eine  sehr  formenreiche 
Musterkarte! 

Der  Zusammenschluss  der  einzelnen 
Linien,    der  Bau    von  Bahnstrecken  über 


246 


trennende  Gebirgsrücken,  die  hiebe!  noth- 
wendige  Anwendung  von  grösseren  Nei- 
gungen und  schärferen  Bögen,  die  durch 
letztere  Verhältnisse  bedingte  Erhöhung 
des  Locomotiv- Achsdruckes  bis  zu  14  t, 
drängten  mehrere  Bahn  Verwaltungen,  ihre 
Schienen  von  ungenügender  Tragfähig- 
keit durch  Schienen  zu  ersetzen,  die  den 
neuen  erhöhten  Ansprüchen  gewachsen 
waren. 

Auf  solche  Weise  vollzog  sich  all- 
mählich eine  ansehnliche  Vermehrung 
des  Einheitsgewichtes  der  Schienen.  So 
waren  verlegt : 


I  Mit  der  Verstärkung  des  Gestänges 
I  war  aber  noch  nicht  Alles  gethan.  Die 
I  Schienen  waren  ausschliesslich  aus  Eisen 
j  gewalzt  —  aus  einem  Materiale,  dessen 
I  begrenzte  Festigkeit  bei  den  grossen 
'  Druckwirkungen  der  Fahrzeuge  selbst 
I  bei  stärkeren  Geleise-Constructionen  zu 
I  auffäUigen,  nicht  durch  die  regel- 
I  massige  Abnützung  entstandenen  Zer- 
störungen an  der  Lauffläche  führte. 

Alle  Berichte  damaliger  Zeit  stimmen 
darin  überein,  dass  der  Verschleiss  an 
Schienen  durch  Spaltung  und  Trennung 
ganzer  Theile  an  der  Lauffläche  des  Kopfes 


Oberbau 

der  Seimtisringbahit 

1854. 


auf  der  Kaiser  Ferdinands- Nordbahn   im  ' 
Jahre  1839  Schienen  von    19-5  kg  pro 
Meter  [pilzförmiges  Profil],  1 

auf  der  Gloggnitzer  Bahn  im  Jahre  1841  I 
Schienen  von  265  kg  pro  Meter  [breit-  I 
füssiges  Profil],  j 

auf  den  k.  k.  Staatsbahnen  im  Jahre  j 
1844  Schienen  von  21 '2  kg  pro  Meter  , 
[pilzförmiges  Profil],  | 

auf   den    k.    k.   Staatsbahnen    im    Jahre 
1849  Schienen  von  29-6  kg  pro  Meter 
(breitfüssiges  Profil], 
auf    den    k.    k.    Staatsbahnen     im    Jahre 
1856    Schienen    von    37'275    kg    pro 
Meter  [breitfüssiges  Profil]. 
Bemerkenswerth  ist  der  Oberbau  der 
Semmeringbahn       mit       Schienen       von 
42'5  kg  pro  Meier  und  mit  einem  wohl- 
gefUgten  Holzroste  aus  Lang-  und  Quer-   | 
schwellen,      [Abb.    107.]  1 


ein  ungewöhnlich  hoher  war ;  die  Schienen- 
dauer sank  in  einzelnen  Strecken  bis  auf 
kaum  vier  Jahre  —  und  dies  bei  einer 
Verkehrsdichte,  die  bei  weitem  nicht  an 
jene  unserer  Tage  heranreichte. 

Ueber  diese  Nothlage  half  nun  der 
Gedanke  hinweg,  für  die  Schienen- 
erzeugung anstatt  des  Schweisseisens 
das  festere  Stahlmateriale  zu  verwenden 
—  die  Eisenbahnen  in  Stahlbahnen  zu 
verwandeln.  In  Rücksicht  auf  die  um- 
ständliche Herstellungsweise  des  Stahles 
im  Puddelofen  und  die  hiedurch  bedingte 
Kostspieligkeit  desselben  beschränkte  man 
seine  Verwendung  zunächst  auf  die  Her- 
stellung einer  härteren  Fahrfläche.  Der 
erste  Versuch  wurde  von  der  Buschte- 
hrader  Bahn  unternommen,  die  1855 
Eisenschienen  mit  Stahlkopf  in  Verwen- 
dung nahm. 


Eisenbahn-Oberbau 


'heilweise  auf  der  Flügelbahn  nach  Brunn. 
Dieser  Versuch  gelang  glänzend,  denn 
iie  betreffenden  Schienen  sind  heute,  d.  i. 
lach  33  Jahren,  noch  in  der  Bahn  in 
/ollkommen  gebrauchsfähigem  Zustande 
ind  weisen  ledighch  eine  Auswechslungs- 
tiffer  von  87o  auf.  Es  ist  daher  begreif- 
ich,  dass  sich  die  Nordbahn- Verwaltung 
ieinerzeit  entschloss,  unverzüglich  zur 
lusschliesslichen  Verwendung  solcher 
Schienen  überzugehen.  Die  Durchführung 
Jes  Entschlusses  fand  aber  in  dem  hohen 
r'reise  des  Materials  ein  leicht  erklär- 
iches  Hindernis,  dessen  Beseitigung 
edoch  schliesslich  dadurch  gelang,  dass 
nan  das  für  Eisenmaterial  construirte 
Schienenprofil  mit  dem  Einheitsgewichte 
lon  37-2  kg  verliess  und  ein  schlankeres, 
eichteres  Profil  von  31  kg  entwarf. 
[Abb,  108.]  Das  Widerstandsmoment 
h  und  mithin  auch  die  Tragfähigkeit 
^dieser  Stahlschienen  waren  bedeutend 
grösser,  als  jene  der  Eisenschienen, 
U""^'jröit»fla™=''»"^*«."Gt-i"f^  denn  die  Massen  waren  richtiger  ver- 

«ahi  =  jcrs«**^.  Gtwkht  pro'iw  lo  FiuuMihi  =  jic«6*r;  theilt,  die  Form  war  eine  gunstigere 
TiiebciumomcDt  T  =  706  lÄofur  f«  wideriuod.monieni  T^  Und  die  Festigkeit  des  Materials  eine 

Da  aber  die  Erzeugung  solchei 
Schienen  nicht  viel  von  jener  der  Eisen- 
schienen abwich,  so  war  das  Ablfiser 
der  Stahllamelle  von  der  Eisenschiene  eint 
häufig  auftretende  Erscheinung.  Man  grifl 
deshalb  zu  Schienen  aus  Puddelstahl, 
Schienen,  die  aus  einzelnen  Stahlplatter 
durch  Schweissung  und  nachfolgende  Aus- 
walzung erzeugt  wurden. 

Die  erste  Verwendung  und  Ausbreitung 
derselben  ging,  begünstigt  durch  das  vor- 
zügliche Rohmaterial,  von  Oesterreich 
aus,  und  zwar  war  es  die  Kaiser  Fer- 
dinands-Nord  bahn,  welche  durch  den  zu- 
folge ihres  starken  Verkehrs  überaus 
bedeutenden  Verschleiss  der  Eisensehie- 
nen  und  die  dadurch  hervorgerufenen 
hohen  Bahnerhaltungs  kosten  zunächst 
dazu  gedrängt  wurde,  unter  S lockert 
Versuche  mit  Schienen  aus  Puddelstahl 
in  grösserem  Massstabe  durchzufilhren.  . 
Sie  Hess  im  Jahre  1865  eine  grössere* 
Zahl  solcher  Schienen  nach  ihrem  für 
Eisenschienen    im    Gebrauche    befind-   ,-.    ,^    s  >.■       ^    m  o  j     v    jk  i.     f  1      .m. .  .&...> 

1-   L         r>      .ei       ■        T--    I     -.  -    L.  *''*'■  '?'■.  ^-•'""«"Profil  B  der  Nordbjhn    l^lni[<:™h"  '^']. 

hchen  Profile  im  Etnheitsgewichte  von  yiitmcbniiiMidcin^^jTTOf-»';  Ot.vitM  pro  1  win  scnwei«- 
373  kg  pro  Meter  walzen  und  verlegte  '"'"  ~'"^  ""'■  """""  ^"'  ' '"  '""  *■''"■■*"'"  -  «^i»*^; 
dieselben  theilweise  auf  der  Hauptlinie,  T"Kh«,™.,nent  t  „  htt^-^w  ™;jvid.r.ti.nd.™on„„t  ^-.. 


248 


Alfred  Birk. 


höhere  als  bei  dem  früheren  Profile. 
Der  Preis  stellte  sich  bei  gleicher  Länge 
der  Schienen  auch  gleich  mit  jenem  der 
Eisenschiene,  denn  die  Grössen  der 
Querschnittflächen  und  mithin  der 
Massen  verhielten  sich  umgekehrt  wie 
die  Preise  des  Puddelstahls  und  des 
Eisens. 

Dieses  Schienenprofil,  das  also  eben- 
falls der  gesteigerten  Inanspruchnahme  der 
Schienen  Rechnung  trug,  wurde  von  den 
Eisenhüttenmännern  als  besonders  ge- 
eignet für  den  Schweissungsprocess  be- 
funden und  fand  Eingang  bei  vielen 
Bahnen  Oesterreichs  und  Deutschlands ; 
auch  die  französische  Nordbahn  wählte 
es  als  Muster  für  ihre  Schienenprofil- 
Anordnung. 

Unterdessen  hatte  sich  in  der  Hütten- 
technik ein  Ereignis  von  weittragender 
Bedeutung  vollzogen,  indem  die  Erfindung 
Bessemer's  zur  Herstellung  eines  homo- 
genen Flussstahles  ihre  Vervollkommnung 
für  Massenerzeugung  erhalten  hatte.  Der 
grosse,  unschätzbare  Vortheil  der  Stahl- 
schienen-Erzeugung nach  dem  System 
Bessemer's  oder  auch  nach  jenem  Martinas 
besteht  in  der  Herstellung  der  Schienen 
aus  Gussblöcken  anstatt  aus  zusammen- 
geschweissten  Packeten.  Der  Unterschied 
der  beiden  eben  genannten  Stahl-Erzeu- 
gungs-Processe  liegt  nur.  in  der  ver- 
schiedenartigen Reinigung  und  Ent- 
kohlung des  Roheisens,  das  zum  Stahle 
verarbeitet  wird.  Bessemer  bringt  das  vor- 
her flüssig  gemachte  Roheisen  in  grosse 
schmiedeeiserne,  mit  feuerfestem  Material 
ausgekleidete  Retorten  und  lässt  die 
atmosphärische  Luft  mit  bedeutender 
Gewalt  durch  die  glühende  Masse  hin- 
durchpressen. Martin  mengt  Roh-  und 
Schmiedeeisen  in  bestimmtem  Verhält- 
nisse und  setzt  dieses  Gemenge  in 
eigenen  Schmelzöfen  der  Einwirkung  von 
Verbrennungsgasen  und  der  atmosphäri- 
schen Luft  aus.  Das  Product  ist  in  beiden 
Fällen  jenes  Metall,  das  wir  in  Rück- 
sicht auf  seine  besondere  Gewinnung 
als  flüssiges  Metall  mit  dem  Namen 
Flusseisen    oder    Flussstahl    bezeichnen. 

Als  nun  im  Jahre  1865/66  auf  Grund- 
lage des  üben  erwähnten  Schienenprofils 
die  erste  Lieferunos-Ausschreibung  für 
den  ganzen  Bedarf  der  Kaiser  Ferdinands- 


Nordbahn  an  Puddelstahl-Schienen  er- 
folgte, waren  eben  in  England,  und  zwar 
auf  Veranlassung  einiger  österreichischer 
Eisenwerke  Versuche  über  die  Verwend- 
barkeit von  kämtnerischem  und  ober- 
ungarischem Roheisen  für  den  Bessemer- 
Process  durchgeführt  worden;  diese 
hatten  so  gute  Ergebnisse  geliefert,  dass 
diese  Eisenwerke  sofort  die  Lieferung 
von  Bessemer-Stahlschienen,  und  zwar 
zu  dem  gleichen  Preise  wie  Puddelstahl- 
Schienen  und  mit  fünf-,  sieben-  und 
achtjähriger  Haftzeit  offerirten.  Das  An- 
gebot wurde  angenommen  und  während 
zu  Ende  des  Jahres  1867  auf  der  Kaiser 
Ferdinands -Nordbahn  schon  57  km  Ge- 
leise mit  Puddelstahl-  und  22  ktn  mit 
Bessemer-Stahlschienen  belegt  waren, 
hatten  alle  anderen  Bahnen  Oesterreichs 
und  Deutschlands  zusammengenommen 
noch  nicht  die  gleiche  Länge  Geleise 
aus  Stahlschienen  hergestellt. 

im  Jahre  1871  hatte  die  Kaiser 
Ferdinands-Nordbahn  bereits  418  km 
Geleise  mit  Puddelstahl,  Bessemer-  und 
Maitinstahl  belegt,  deren  Verwendungs- 
ergebnisse alle  Erwartungen  weit  über- 
trafen und  zur  raschen  Einführung  solcher 
Schienen  auch  auf  den  übrigen  Bahnen 
nicht  unwesentlich  beitrugen.  Im  Jahre 
1872  sah  die  Nordbahn  sich  genöthigt, 
den  zunehmenden  Raddrücken  und  Zugs- 
geschwindigkeiten durch  Einführung  einer 
schwereren  Stahlschiene  [Profil  B]  von 
35*2  kff  Einheitsgewicht  für  die  Haupt- 
linien Rechnung  zu  tragen.     [Abb.   109.] 

Schon  im  Jahre  1865  hatte  der  Oester- 
reichische  Ingenieur -Verein  ein  Normal- 
schienen-Profil ausgearbeitet,  das  auf  die 
Verwendung  des  Stahls  anstatt  des  Eisens 
Rücksicht  nahm.  [Abb.  iio.]  Der  Vorschlag 
blieb  unbeachtet ;  jede  Bahnverwaltung  stu- 
dirte  undexperimentirte  an  dem  Schienen- 
profil. Auf  die  verschiedenen  Ergebnisse 
nahm  die  Steigung  der  Locomotiv- Rad- 
drücke, der  Geschwindigkeit  und  Belastung 
der  Züge  grossen  Einfluss.  Die  Anschauun- 
gen über  die  bei  der  Construction  der 
Schienen  in  Betracht  kommenden  Fragen 
waren  noch  nicht  ganz  geklärt ;  subjective 
Ansichten,  aber  auch  das  Bestreben  der 
Bahnverwaltungen,  selbständige  Norma- 
lien zu  besitzen,  machten  sich  geltend, 
und  so  kam  es,  dass  im  Jahre  1881  auf 


!l 


Eisenbahn-Oberbai 


österreichischen  Bahnen  nicht  weniger  als 
31  verschiedene  Schiene nprofile  vorhanden 
waren,  welchen  Gewichte  von  291  bis 
3g'8  kg  pro  Meter  entsprachen. 

Bei  dem  Bestreben,  für  die  stets  zu- 
nehmende Vergrösserung  der  Locomotiv- 
Gewchte  und  der  Geschwindigkeiten 
ein  haltbares  Gestänge  festzulegen,  und 
in  Würdigung  der  Vortheile  wirthschaft- 
lieber    Natur,    welche    eine    einheitliche 


j  11.  Ranges  [Nordbahnprofil  A],  während 
•  für  Localbahnen  bis  auf  23-3  kg  herab- 
I  gegriffen  wurde.  Als  normale  Schienen- 
lange  war  7'5  in  angenommen,  nachdem 
man  bereits  in  der  Slitte  der  Sechziger- 
Jahre  von  18'  =  5'689  m  Länge  auf 
21'  =  6-636  m  und  später  auf  jene  von 
24'  ~  7'584  m  übergegangen  war. 

Diese  Normalien  fanden  längere  Zeit 
wenig  Anwendung,    sie  sind  aber  heute 


Abb.  HO.    Normalprofil  des  OulcriElcblicbei 

Durchbildung  des  Geleises  für  die  Eisen-  ' 
Industrie  und  für  die  Bahngesellschaften 
bieten  würde,  Hess  das  k.  k.  Handels- 
ministerium im  Jahre  1883  durch  eine 
Commission  hen'orrag ender  Fachmänner 
Normalien  für  einen  Holzquerschwellen- 
Oberbau,  und  zwar  für  Hauptbahnen  L 
und  11.  Ranges  und  für  Localbahnen  auf- 
stellen. Diese  Schienenprofile  erhielten 
die  gleichen  Gewichte  wie  die  beiden 
Profile  A  und  B.  welche  die  Kaiser 
Ferdinands-Nordbahn  im  Jahre  1 866,  be- 
ziehungsweise 1872  construirt  hatte,  und 
zwar  35'2  kg  für  die  Bahnen  I.  Hanges 
[Nord  bahn  pro  fil  B]  und  3i'i   kg  für  jene 


auf  dem  grc-isen  Netze  der  k.  k,  Staats- 
bahnen im  vollen  Gebrauche  und  werden 
sich,  wenn  an  den  seitherigen  Grenzen 
des  Achsdruckes  der  I.ocomotive  fest- 
gehalten wird,  wohl  noch  auf  eine  lange 
Periode  mit  Erfolg  behaupten  können. 

Wie  sehr  aber  auch  in  den  letzten 
Jahren  die  Anschauungen  der  Geleise- 
techniker  auseinander  gingen,  beweist 
wohl  die  Darstellung  der  bei  den  ver- 
schiedenen (isterrei  Chi  sehen  Hauptbahnen 
im  Jahre  1888  geltenden  Normaltypen  für 
Stahlschienen.  [Vgl.  Abb.  1 1  la  und  1 1  ib.] 

Die  im  Auslande  mehrfach  befür- 
wortete    Einführung     der      sogenannten 


250 


Alfred  Birk. 


Goliathschienen  mit  einem  Einheits- 
gewichte von  50  /?^  und  darüber,  kam 
auch  in  Oesterreich  zur  Discussion  und 
veranlasste  den  Ingenieur-  und  Archi- 
tekten-Verein [1890]  über  Antrag  des 
Regierungsrathes  C.  Ritter  von  Horn- 
bostel  ein  Comit6  aus  den  obersten  Bau- 
beamten der  in  Wien  mündenden  Bahnen 
einzusetzen,  um  die  Frage  einer  etwa 
nothwendig  werdenden  Oberbau -Ver- 
stärkung zu  Studiren, 

Diese  Versammlung  erhob  sich  in 
ihren  eingehenden  Berathungen  über  die 
bis  dahin  vielfach  beobachtete  einseitige 
Behandlung  des  Gegenstandes,  indem 
sie  nicht  die  Schiene  allein,  sondern 
auch  die  anderen  Geleise-Bestandtheile 
und  die  gesammte  Anordnung  der 
Oberbau-Construction  in  der  gegensei- 
tigen    Abhängigkeit     und     Wirksamkeit 


K.  F.  N.  B. 

1886.    r.Suhl 
Itoupdinifn. 


Oc.  U.  St.  G. 

1I»8  Citcn      1868  rSUM 
Briiiin-8»dMb4cli. 


der  einzelnen  Theile  in  ernste  Betrach- 
tung zog.*) 

Die  hier  gewonnenen  Erkenntnisse 
haben  viel  dazu  beigetragen,  die  Er- 
höhung der  Leistungsfähigkeit  der  vor- 
handenen Oberbau-Constructionen  in 
rationeller  Weise  durchzuführen,  ohne 
zunächst  wieder  im  Wege  kostspieliger 
Versuche  mit  neuen  Geleise-Profilen  sich 
von  dem  Ziele  der  wirklichen  Verstär- 
kung des  Geleises  zu  entfernen. 

Man  war  sich  namentlich  darüber 
klar  geworden,  dass  die  Schiene  vorzugs- 
weise massgebend  ist  für  die  Tragfähigkeit 
des  Geleises,  für  die  Sicherheit  des  Ver- 


*)  Den  in  diesem  Comitö  empfangenen 
Anregungen  verdankt  die  bekannte  Abhand- 
lung A  s  t's  über  Beziehungen  zwischen  dem 
Geleise  und  den  darüber  rollenden  Lasten 
ihre  Entstehung. 


. .'.« ^. 


A.  T.  B. 

1878        r^SUhl 
Ant.KwMiM  «.TVrmli  -  Bilia . 


B.  B. 

188%    F.StihI 

Smichtw  -  N«sU«rtt|. 


T«  9SI-3I5  cm* 


r»<i%-»oic»' 
«•6-»i  cm 
Li  rom 


?«8i  t 
-96tfem 


ai.C.OMka  G.r.rSt.-88ola 
r.iiTMCm^        T«919cm^ 
l*i-o»cm  0«  7.9    t 

l-tUin  [«SS  cm 


- — s 


0r.RSl.«3S.3k| 
[•St«  l«l05cfli 


—  ....  110 

Q.rr.st«  31-711 


F«  SO-W  cm* 
•«  b-n  cm 
1*7  f  m 


1*7  ko 
.  TtO  tm* 


?:i 


»Ol 

•0  cm 


K.  k.  St.  B. 

188t     F.Suhl 
M«uptbahiiin  1.  Ranges. 


K.   k.   St.   B. 

^      1883    F.5Uhl 
Nauptbahntn  l.RansM. 


B.  W.   B 

1881    F.StaM 
A-ag-rurlk. 


C*    Li.    B. 

1881     F.Stahl 
KraliaM  -  ^d«v«l»cxyska. 


G.r.r.st.«3Si»k9 

F«(iS-Htm*        T-tTOcm** 
C*(-orm  0af-3lt 

l«7-Sm  U90cm 


C.r.r.St.«3lr2kf 

F.CiOticm*        T.ttOcm^ 
«•  St»  cn         0*7  3^t 
L-7»in  («»Oem 


IM  s .M 

G.rrSt.-Strskg 
F«42-acm*       T>8il  »cm^ 
t  >  k-iS  cm         Q  '  t  S  C 
l>8oin  l'ftkcm 


— - II«  . 

G.f.Fit.>33ukt 
F«kMscm^      T*8T«eai« 
c-koicm        Q>fsi 
L*lo  ffl  l-85cn 


Abb.  III  a.     Schicncnprofile  der  österreichischen  Eisenbahnen  [am  I.  Januar  1888]. 


Eisenbahn-Oberbau. 


251 


Oe.  N.  W.  B. 
1SS2    r.Stahl 


1881      r.Slabl 


B.  N.  B. 

1879     rStahl 
Xreibiti-Warniderr. 


S.   B. 
1887    F.  Suhl 

alminUiclM  linitn. 


»T-  - 


G^^.st.•lf•n^• 

f«C*otc»       Q«9->l 

l«9'TSIII 

Ciitmc  langcckwtllrA. 

Jj.   C/.  J.    0. 

1877    F^lthl 
Itmbf  r3  -SttCiow». 


r. 


Q.r. 

3911 

7«ii 


t»" 


30s  kg 

l«SScm 


G.r.Mt.«33ok| 
■  9m 


{•7*1 


cm 


K.  0.  B. 

1873     rSUhl 
Odtrbtrg  -  landrsgrinit. 


I.  U.  G.  B. 

1883    rStahl 
Pnrmjrsl-Cbyrtw. 


G.r.rst«3'»«k8 

r«^3'B3ra*       T>9?0CM^ 
t>»-acm'        9-fSl 
IvtO-ooffi  l«Mui 


M.   S.   C.   B. 

188S     F.Stahl 

MSkr.scMM.Ciiitr«lbh 


G.f.r.Sl.-33okg 

T«8Mcm 


F-4l*Mcm* 
f  •  6*15«  cm 
l»f'Om 


>8Scm 


G.r.r.st.«3i-8iM  ^ 

f«bO-lcm*      T-7S0cm^ 
foS-fcm        0*7s(. 
U8<9m  U8S( 


»cm- 


I 

.  — .   .    ..  >  i(« ....„ 

G.r.r.st.*3i72k9 

r.<.0»c«*        T.78»cm* 
C-&I  cm  0«'7  s  I 

L-7&  [•90  cm 


W-. "• -  1 

G.r.Ut.-3S%k9 
r*M«cm*      T- 910  cm* 
t«f**cm         9*8St 
1.7»  m         l-80«m 


Abb.  III  b.    Schienenprofile  der  österreichischen  Eisenbahnen  [am  i.  Januar  188S]. 


kehres;  dass  dagegen  für  die  Steifigkeit 
des  Oberbaues,  von  welcher  die  Oecono- 
mie  der  Geleise-Erhaltung  und  die  An- 
nehmlichkeit des  Fahrens  abhängt,  weit 
mehr  die  Bettung  und  die  Schwelle  und 
bei  Querschwellen  auch  die  Stützen- 
entfemung  in  Betracht  kommen. 


Die  Schotterbettung, 

in  w'elche  das  Geleise  gelagert  ist,  der 
am  wenigsten  beständige  Factor  im 
Oberbau-Gefüge,  hat  im  Laufe  der  Zeit 
grössere  Wandlungen  durchgemacht.  Bei 
den  ersten  Bahnen  mit  Langschwellen 
lagerte  man  —  wie  schon  berichtet 
wurde  —  das  Geleise  bei  Dämmen  auf 
zwei  parallele  Mauerkörper,  um  dasselbe 
von  den  Setzungen   der    Dammschüttung 


unabhängig  zu  macTien;  anderwärts  hob 
man  —  auch  dessen  geschah  schon  Er- 
wähnung —  aus  Ersparnisrücksichten 
unterhalb  der  Schienen  Gräben  aus, 
welche  man  mit  einem  Schotterkörper 
ausfüllte,  der  die  Langschwelle  zu  tra- 
gen hatte. 

Bei  den  weiteren  Bahnbauten  ver- 
senkte man  den  Schotterkörper,  dessen 
Breite  der  Länge  der  Querschvvellen  ent- 
sprach, in  den  Erdkörper,  so  dass  jener 
beiderseits  von  Erdbanketten  oder  auch 
Steinbanketten  begrenzt  war;  letztere 
fanden  besonders  in  scharfen  Bögen  An- 
wendung und  sollten  Verschiebungen  des 
Geleises  verhüten. 

Gegenwärtig  wird  die  Schotterschichte 
allgemein  auf  das  Erdplanum  aufgebracht 
und  aus  Grubenschotter  oder  Kleinge- 
schläge  gebildet. 


Dem  Schotterbette  kommt  bekanntlich 
die  Bedeutung  des  Geleise-Fundamentes 
zu,  das  sich  beim  Befahren  nicht  wie 
ein  starrer  Körper,  sondern  als  elastische 
Unterlage  verhält,  welche  die  Druckwir- 
kungen der  Schwellen  auf  den  Unterbau 
der  Bahn  derart  zu  übertragen  hat,  dass 
letzterer  ebensowenig  wie  die  Bettung 
eine  Zerstörung  oder  Deformation  er- 
leidet. 

Andererseits    hat     die    Bettung    auch 
die    Aufgabe    der     Wasserableitung    aus 
dem     Geleise-Gefüge     und     schliesslich 
dient    sie    zur     Aufholung     und     Unter- 
st opfung      gesenkter       Stützen,         Diese 
mannigfaltigen     Functionen     erfüllt     die 
Schotterbettung    umso    besser,   je 
stärker    sie    bemessen,    je    reiner 
und  härter    ihr  Material    ist.     Bei         .•  ' 
den      ersten      Locomotiv  -  Bahnen       •' ' 
war     die     Stärke     der     Schotter - 
schichte  sehr  reichlich  bemessen; 
im    Laufe    der   Zeit    wurde    aber 
die      Bedeutung      derselben      ge- 
ringer  geachtet   und  die   bei   der 
ersten  Bauherstellung  geschatfene 
Bettungsschichte    bis    auf    kaum 
015    m    Stärke     herabgemindert. 
Erst     in    neuerer    Zeit     wird     bei 
stark  beanspruchten   Bahnen    die 
Schotterschichte   bei    Verwendung 
von     Kleingeschläge      wieder     in 
grösseren    Abmessungen,    bis    zu 
0'5  in  und  darüber,   mit  Vortheil 
ausgeführt.  *' 


Die  Schwelle 

bildet  ebenfalls  einen  wichtigen  Be- 
stand! heil  des  Geleises. 

Oesterreichs  grosser  Holzreich- 
thum  Hess  schon  von  allem  Anfang 
an  dieses  Material  als  besonders  ge- 
eignet fllr  Schwellen  erscheinen,  so 
dass  Gusseisen-  und  Stein  unterlagen 
hier  nur  wenig  in  Betracht  kamen. 
Das  am  meisten  verwendete  Holz 
war  und  ist  noch  heute  wegen  seiner 
Festigkeit  und  Dauerhaftigkeit  das 
Eichenholz;  daneben  finden  sich 
Schwellen  aus  Kiefern-,  Tannen-  und 
Fichtenholz  und  in  der  Neuzeit  auch 
Lärchen-  und  Buchen  seh  wellen. 
*■  Die  Abmessungen  der  Schwellen 

waren  von  jeher  sehr  verschieden ; 
sie  wechselten  nach  den  Anschauungen 
der  Constructeure  fast  ebenso  wie  die 
Sc  hien  en  p  rofi  I  e . 

Die  Querschnittsform  der  Holz- 
schwellen war  ursprünglich  eine  recht- 
eckige; auch  halbkreisförmige  Schwellen 
wurden  verlegt;  später  begann  man  die 
oberen  Kanten  abzufasen  und  gelangte 
zu  dem  heute  gebräuchlichen  trapez- 
förmigen Querschnitte. 

Die  Breiten-  und  Längendimensionen 
haben  im  Laufe  der  Zeit  eine  rückläufige 
Bewegung  gemacht  —  in  der  ersten  Zeit 
grosse  Dimensionen  nach  englischem 
Muster,  dann  allmähliche  Abminderung 
dieser  Abmessungen  und  in  neuester  Zeit 


Eisenbahn-  Ob  erbau. 


strebt  man  nach  Einführung  der 
oberen  Grenzwerthe  von  0'26  m 
Breite,  o-i6  m  Höhe  und  27  m 
Länge.*) 

Die  Entfernung  der 
Schwellen  als  der  Schienen- 
stutzpunkte machte  ebenfalls  eine 
rUcklaufende  Bewegung.  Bei  dem 
alten  Stuhl  schienen -Geleise  der 
Nordbahn  [1837  bis  1850]  lagen 
die  Schwellen  0770  m  von  Mitte 
zu  Mitte.  Nach  Einführung  stär- 
kerer Schienenprofile  glaubte 
man  diese  Entfernung  auf  1  m 
erweitern  zu  können,  doch  rieth 
Paulus  in  seinem  Werke  Über 
den  »Eisenbahn -Oberbau  in  seiner  ^^j^ 

Durchführung  auf  den  Linien  der  I^ 

k.  k.  priv.  Sudbahn-Gesellschaft" 
[1869],  bei  Gebirgsbahnen  mit  KUcksicht 
auf  das  grössere  Gewicht  der  Locomo- 
tiven  und  auf  deren  grössere  dynamische 
Einwirkungen  auf  das  Geleise, 
den  Schwellcnabstand  auf  o'870  m  zu 
verringern. 

Die  tiefere  Erkenntnis  der  Functionen 
von  Schwelle  und  Bettung  im  Geleise- 
GefUgehat  in  neuerer  Zeit  die  Nothwendig- 
keit  einer  noch  geringeren  Schwellen- 
entfemung  —  höchstens  O'Soo  m  —  vor 
Augen    gefuhrt;   die   k.  k.  Staatsbahnen 


•)  Siehe  W.   , 


Die    Schwelle 


an.] 


sowie  die  Kaiser  Ferdinands -Nordbahn 
haben  dieses  Ausmass  auch  bereits  in 
ihre  neuen  Normalien  aufgenommen. 

Die  Schwellen  aus  Holz  unterliegen 
einer  verhältnismässig  raschen  Zerstörung 
mechanischer  und  chemischer  Naiur.  Der 
mechanischen  Zerstörung  suchte  man 
schon  frühzeitig  durch  Verwendung  von 
Unterlagsplatten  entgegenzuwirken ;  die 
auf  chemischem  Wege  hervorgerufene 
Zerstörung,  das  rasche  Verfaulen  der 
Schwellen,  ist  man  bemüht,  durch  das 
Tränken  derselben  mit  an  ti  septischen 
Stotfen  zu  verzögern. 

Die  ersten  von  der  Kaiser  Ferdinands- 
Nordbahn  mit  grossen  Opfern  im 
Jahre  1852  vorgenommenen  Ver- 
suche mit  Eisenvitriol,  Schwefel- 
baryum  und  Zinkchlorid  mussten 
wegen  ungenügender  Ergebnisse 
im  Jahre  1858  aufgegeben  wer- 
den. Auch  die  in  jener  Zeit 
mit  Kupfervitriol  vorgenommenen 
Versuche  blieben  ohne  nachhal- 
tigen Erfolg. 

Die  mittlerweile  in  Deutsch- 
land mit  Chlorzink  und  creosot- 
haltigem  Theeröl  erzielten  gün- 
stigen Ergebnisse  regten  zu  neuen 
Versuchen  in  Oesterreich  [1862] 
an.  Diesmal  blieb  der  Erfolg 
nicht  aus.  Zur  Zeit  ist  mehr  als 
ein  Drittel  aller  Schwellen  ge- 
tränkt, während  vor  zehn  Jahren 
I     ■  dies    Verhältnis    nur   ein  Fünftel 


254 


Alfred  Birk. 


betrug.  Als  Tränkungsmittel  dienen  Zink- 
chlorid, Kupfervitriol  und  Theeröl  mit 
Creosot.  Bei  gut  construirten  Geleisen 
wird  durch  die  Tränkung  die  Dauer  der 
Schwellen  aus  Eichenholz  durchschnitt- 
lich von  12  auf  i8  Jahre,  jener  aus 
Kiefernholz  von  5  auf  13   Jahre  erhöht. 

Die  Möglichkeit,  dem  Holzmateriale 
eine  so  grosse  Lebensdauer  zu  verleihen, 
bedeutet  einen  grossen  wirthschaftlichen 
Erfolg.  Trotzdem  erscheint  aber  der 
Gedanke,  in  den  Geleisen,  die  grossen 
Verkehren  dienen,  möglichst  wenig  ver- 
gängliche Materialien  zu  verwenden,  aus 
Sicherheitsrücksichten     sehr     begründet. 

Es  ist  daher  begreiflich,  dass  der 
Ersatz  der  hölzernen  Schwelle  durch  die 
eiserne  für  solche  Geleise  allerwärts 
ernstlich  angestrebt  wird. 

In  wirthschaftlicher  Hinsicht  liegen 
in  Oesterreich  die  Verhältnisse  für  die 
Eisenschwelle  nicht  günstig,  weil  die 
Beschaffung  hölzerner  Schwellen  infolge 
eines  grossen  Waldreichthums  sehr 
billig  ist,  dagegen  jene  der  Eisen- 
schwellen sich  unter  dem  Einflüsse  eines 
hohen  Schutzzolles  sehr  kostspielig 
stellt.  Daher  ist  auch  Oesterreich  ver- 
hältnismässig spät  in  die  Reihe  der 
Staaten  eingetreten,  deren  Eisenbahn- 
Verwaltungen  Versuche  mit  eisernen 
Schwellen  unternommen  haben,  obwohl 
österreichische  Ingenieure  an  der  Con- 
struction  des  eisernen  Oberbaues  sich  sehr 
rege  und  im  Einzelnen  mit  grossem  Erfolge 
betheiligten. 

Im  Jahre  1862  traten  zwei  öster- 
reichische Ingenieure,  K  ö  s  1 1  i  n  und 
B  a  1 1  i  g ,  mit  einem  Eisen-Langschwellen- 
Systeme  in  die  Oefl"entlichkeit.  Dasselbe 
fand  wohl  im  Auslande,  aber  nicht  in 
Oesterreich  Anwendung.  Hier  verlegte  den 
ersten  eisernen  Oberbau  die  Südbahn, 
welche  das  System  ihres  Baudirectors 
Paulus  im  Jahre  1865  im  Bahnhofe  zu 
Graz  auf  20  w  Länge  versuchsweise  zur 
Anwendung  brachte.  Das  System,  das 
auf  der  Verwendung  alter  Schienen  be- 
ruhte, verhielt  sich  nicht  günstig  und 
wurde  im  Juli   1872  wieder  entfernt. 

Zur  Zeit  der  Wiener  Weltausstellung 
[1873]  wies  das  Schienennetz  Oesterreichs 
noch  gar  keinen  eisernen  Oberbau  auf. 
Die  Weltausstellung    scheint    aber  durch 


die  Vorführung  einschlägiger  Con- 
structionen  erneute  Anregungen  gegeben 
zu  haben,  denn  schon  im  Jahre  1876 
liegen  vier  verschiedene  Systeme :  Lazar, 
Hagenmeister  &  Wagner,  Hohenegger, 
Battig-De    Serres,   auf   zusammen  5  km. 

Von  diesen  Systemen  haben  sich  bis 
heute  die  beiden  letzteren  —  beides  Lang- 
schwellen-Systeme —  in  der  Praxis  dauernd 
erhalten. 

Bei  dem  System  Hohenegger's, 
das  auf  der  Nordwestbahn  im  Juli  1876 
zum  ersten  Male  verlegt  wurde  und  be- 
friedigende Erhaltungsresultate  aufweist, 
ruhen  die  Fahrschienen  auf  gewalzten 
Langträgem  von  trapezförmigem,  unten 
offenem  Profile.  [Abb.  113  und  114.] 
Beide  sind  durch  starke  Schrauben  ver- 
bunden; unter  den  Stössen  der  Lang- 
träger liegen  Querträger  von  2*4  w 
Länge  und  gleichem  Profile  mit  ersteren ; 
überdies  werden  die  Enden  jener  durch 
je  zwei  den  Querträgem  aufgenietete 
Eisenbügel  unterstützt.  Zur  Verbindung 
der  beiden  Geleisestränge  dienen  ausser 
den  Querträgem  noch  zwei  Spurbolzen 
pro  Schienenlänge,  die  in  nahezu  gleichen 
Abständen  und  symmetrisch  zur  Schienen- 
mitte angebracht  sind. 

Das  System,  das  Ober  -  Ingenieur 
Battig  im  Vereine  mit  dem  damaligen 
Baudirector  der  k.  k.  priv.  Staatseisenbahn- 
Gesellschaft  DeSerres  erdacht  hat  und 
das  ebenfalls  im  Jahre  1876  im  Wiener 
Bahnhofe  dieser  Gesellschaft  zum  ersten 
Male,  und  zwar  sofort  auf  eine  Länge 
von  über  800  w  verlegt  wurde,  zeigt 
eine  ganz  eigenartige  Construction. 
[Abb.  115.]  Die  Fahrschiene  wird  von 
einer  aus  zwei  Theilen  bestehenden 
Tragschiene  gestützt,  welche  die  lang- 
schwellenartige  Basis  der  Fahrschiene 
abgibt  und  durch  Unterstopfung  mittels 
Bettungsmaterial  tragfähig  gemacht  wird. 
Den  Zusammenhalt  der  Fahrschiene  und 
der  Tragschienentheile  und  die  Ver- 
bindung beider  Schienenstränge  zu  einem 
einheitlich  wirkenden  Gestänge  gibt  ein 
das  ganze  Geleise  durchgreifender  Quer- 
riegel, der  an  dem  Orte,  wo  die  Fahr- 
schiene liegt,  ausgeklinkt  ist  und  durch 
besondere  Oeffnungen  in  den  Tragschienen 
hindurchgesteckt  wird.  Zwischen  je  zwei 
benachbarten  durchgreifenden  Querriegeln, 


Eisenbahn-Oberbau. 


255 


die  2*2  m  entfernt  liegen,  sind  noch  in 
jedem  Strange  drei  kurze  Querriegel  und 
sechs  federnde  Sperrdome,  welche  Fahr- 
und  Tragschiene  zusammenhalten,  zur 
Erhöhung  der  Innigkeit  des  ganzen  Ge- 
füges  eingeschaltet. 

Die  eben  erwähnten  Systeme  eisernen 
Oberbaues  blieben  in  den  nächsten  Jahren 
auf  Oesterreichs  Eisenbahnen  fast  ganz 
vereinzelt;  einige  Systeme,  welche  auf- 
tauchten, gelangten  entweder  gar  nicht 
oder  nur  versuchsweise  zur  Anwendung 
—  keines  vermochte  sich  zu  behaupten. 
Erst  das  Jahr  1882  brachte  in  die  Praxis 
eine  neue  Construclion  und  mit  ihr  zugleich 


einen  bedeutsamen  Fortschritt,  indem  in 
diesem  Jahre  zum  ersten  Male  der  eiserne 
Querschwellen-Oberbau,  System  Hein  dl 
Abb.  116],  auf  mehreren  Strecken  der 
c.  k.  österreichischen  Staatsbahnen,  der 
Nordbahn,  der  Aussig- Teplitzer  und  der 
Dux-Bodenbacher  Bahn  in  einer  Ge- 
sammtlänge  von  5*1  km  gelegt  wurde. 
Bis  Ende  1897  sind  in  Oesterreich 
80  km  Geleise  und  5146  Garnituren 
Weichen,  dagegen  im  Auslande  bereits 
1270  km  Geleise  nach  diesem  Systeme 
ausgeführt  worden,  dessen  Verwendung 
und  allmähliche  Erweiterung  die  nach- 
folgende Uebersicht  kennzeichnet. 


Anwendung  des   eisernen  Querschwellen- Oberbaues,    System    Heindl,    in   den 

currenten  Geleisen  [km]. 


In  Oesterreich-Ungarn: 

In  Deutschland: 

Jahr  '    K.  k.     Königl. 

Bosn.- 

Aussig- 

Teplitz. 

Eisenb.- 

Gesell. 

Kaiser 

K.  k. 

1                             1 
!  Königl. ;  Königl. 

Reichs- 

Königl. 

'  österr.  .  ungar. 

herzeg. 

Ferd.- 

privil. 

'  bayer.  !  preuss. 

in  Eis  - . 
Lothr 

württbg. 

IStaatsb.  1  Staatsb. 

Staatsb 

Nordb. 

Südb.    Staatsb.  Staatsb.  1 

Staatsb. 

1           '                I 

1883          2  IG     , 

• 

I 

00 

200 

• 

1 

027 

■ 

• 

. 

1884'     1170 

• 

054 

1 

• 

• 

1885  \     1070 

• 

• 

1     37-51 

• 

• 

1886  ,     2100 

• 

• 

2080 

■ « 

• 

1887  .          . 

. 

• 

• 

• 

'     2383 

• 

• 

1888  1          .          1          . 

• 

^ 

• 

'     86-37 

• 

• 

1889'          .          1          . 

• 

• 

3878;       . 

. 

1890  ' 

18-90 

■ 

5664 

• 

189I   ^      1500     1 

• 

1     lOOOI  1 

. 

1892  ,          .                    . 

• 

. 

• 

• 

17104  1 

• 

1893  1          . 

• 

• 

126-37;     511 

. 

1894 

600 

678 

65-96    15-00 

1000 

" 

1 

1895 

1 

1 

• 

174-54 1    987 

• 

4550 

1896 

5-84 

• 

• 

101-41  1     870 

• 

64-20 

1897 

1 

• 

» 

40-11  j     508 

1'          1 

• 

62-40 

^Z'\    ^-50        5-84 

1               1 

25-68 

1  00 

2-00 

054     104364    4376 

1; 

10-00 

172-10 

Im  Ganzen  wurden 
also  verlegt: 

•56  km  ii 

1  Oesteri 

eich  unc 

l  .     .    .     .     1269-50  km  in 

Deutscl 

iland. 

Hievon  ab  die  1893 

u  1894  im  Arlberg- 

1 

Tunnel  wegen  star- 

1 

1    ker  Rostbildung 

21 

•40     X      j 

>            » 

* 

.       .       .       .              —             »         V 

» 

1 

durch  Holzschwel- 

1 

'  len  -  Oberbau     er- 

1 
1 

setzten  Geleise    ] 

0    km  ii 

eich  und 

schland. 

1 

1 
1 

1 

Somit  waren  Ende     « 
1897  im  Betr.  rund:      ° 

1  Oe 

sterr 

...  1 

270  km 

in  Deut 

1 

256 


Das  Geheimnis  des  Gelingens  dieser 
Erfindung,  die  vom  »Vereine  Deutscher 
Eisenbahn  -  Verwaltungen»  mit  einem 
Preise  ausgezeichnet  wurde,  liegt  in  der 
vorzüglichen  Befestigung  der  Schienen 
auf  den  eisernen  Schwellen,  welche  hier 
eine  auf  streng  mechanischen  Grundsätzen 
gegründete  Durchbildung  erfahren  hat. 
Für  diese  Construction  erschienen  dem 
Ertinder  massgebend:  Vermeidung  jeder  , 
unmittelbaren  Einwirkung  des  Schienen-  ' 


Ansatz  der  Süssere  Rand  des  Schienen- 
fusses  sich  lehnt;  beide  —  Unterlagskeil 
wie  Schienenfuss  —  werden  mit  Hilfe 
von  Beilagen,  Klemmplatten  und  Fuss- 
schrauben  auf  den  Schwellen  befestigt. 
Die  Beilagen,  die  in  Rücksicht  auf  die 
erforderlichen    Abstufungen     der     Spur- 


Vsritie  AKSichl. 


[Syst. 


Baltig-Dc  : 


:.,] 


fusses  auf  die  Befestigungsmittel  an  der 
Aussenseite  der  Schiene  sowie  auf  die 
Schwelle  si;lbst;Hcrstellung  einer  innigen, 
durch  kräftigen  Druck  zu  gewinnenden 
Verbindung  zwischen  Schienenfuss  und 
Schwelle,  und  Erhaltung  der  Schienen- 
lage gegenüber  der  Einwirkung  der  Ho- 
ri/(jntalkrafte. 

Entsprechend  diesen  I'rincipien  ist 
zwischen  Schienenfuss  und  Schwelle  ein 
Unterlafjskeil  eingeschaltet,  gegen  dessen 


weite  in  den  Bögen  verschiedene  Längen 
besitzen,  haben  die  beiden  Schienen- 
stränge in  richtiger  Enfenmng  von  einan- 
der zu  hallen  und  die  seitlichen  Angriffe 
der  Schiene  auf  die  Schwellen  zu  Über- 
tragen ;  zu  diesem  Zwecke  stossen  die 
aussen  liegenden  Beilagen  gegen  die 
Unterlagskeile,  die  innen  liegenden  gegen 


Eisenbahn-Oberbau. 


den  Schienenfuss,  und  finden  * 
diese  wie  jene  mittels  der  in 
die  Schweilendecke  versenk- 
ten Ansätze  an  den  von  der 
Schiene  entfernten  Stirn- 
flächen der  Schwellen  schlitze 
ihren  Halt. 

Die  Kaiser  Ferdinands- 
Nordbahn  hat  im  Jahre  1883  , 
eine  Probestrecke  von  2  km  ' 
Geleise  nach  dieser  Bauweise 
in  einer  stark  befahrenen 
Linie  zur  Ausführung  ge- 
bracht; zu  gleicher  Zeit*""'"' 
wurde  aber  ein  Probegeleise 
mit  Holzschwellen-Oberbau 
unter  gleichen  Verkehrsver- 
hällnissen  verlegt.  Ueber  das 
Verhalten  dieser  beiden  Ge- 
leise und  aber  die  Kosten 
ihrer  Erhaltung  wurden  ge- 
naue Aufschreibungen  ge- 
führt, denen  wir  folgende 
Ziffern  entnehmen: 

Ueber  jedes   der  beiden 
Versuchsgeleise    sind  in  der      Abb  11 
Zeit  von  1884—1897  155.500 
Züge   mit   einem    Bruttogewi 
von  85,000.000^  gerollt.     Die  Er 
tungskosten     betrugen     in 
14J  ährigen     Periode     pro     K 
meter  bei  dem 


für  Arbeitslohn  .  .  3.2489. —  fl. 2420.29 
für  Materiaie    excl. 

Schienen  u.  Schotter  •  140.71  »  1458.20 
für  Schotter  .  .  .  •  34.29  »  28.12 
im  Ganzen  .  fl.  2664. oofl. 3906.61 
sonach 

für  I  Jahr  und  i  km  fl.  190.30  fl.  279.04 
Trotzdem  das  eiserne  Geleise  um  32*'/(, 
weniger  in  der  Erhaltung  gekostet  hat, 
befindet  sich  dasselbe  noch  in  allen  Theilen 
in  voller  Frische  und  Gehrauchsfähigkeit 
und  ohne  auffällige  Abnützung. 


Der  Schienciistoss. 

Der  schwache  Punkt  aller  Gcleise- 
Constructionen  ist  jene  Stelle,  wo  die 
Schienen  eines  Stranges  — ■  in  diesem  eine 
Lücke  bildend   —  aneinander  stossen. 


Norabähn.  [.SW..J 

Beim  Stuhlschienen- Oberbau  der  ersten 
österreichischen  Eisenbahnen  nahm  ein 
kräftiger  Schienenstuhl  die  beiden 
Schienenenden  auf,  wobei  zwischen  die 
Schienen  und  die  Stuhlbacken  eiserne 
Keile  eingetrieben  wurden.  Als  die 
ersten  breitfüssigen  Schienen  zur  Ein- 
führung gelangten,  lagerte  man  beide 
Schienenenden  auf  eine  stärkere 
Schwelle  und  befestigte  sie  da  sorg- 
fältig mit  Nägeln  oder  Schraubennägeln. 
Die  Wien-Gloggnitzer  Bahn  verwendete  bei 
ihren  Breitfussschienen  auf  Langschwellen 
an  den  Schienenenden  bereits  gusseiserne 
Unterlagsplatten,  die  mit  Schrauben  und 
Nägeln  auf  die  Langschwellen  befestigt 
wurden.  Der  Vortheil,  den  solche  Stoss- 
platten  sichtlich  gewährten,  Hess  dieselben 
fast  allgemeine  Verbreitung  finden,  doch  er- 
zeugte man  sie  später  aus  Schmiedeeisen 
und  vervollkommnete  sie  durch  Anbrin- 
gung von  Randleisten ,  welche  der 
Schienenfuss  festhielt.  In  den  Fünf/iger- 
Jnhren  fanden  auf  den  österreichischen 
Hahnen  Unterlagsplatten  mit  zwei  Rän- 
dern ,  die  über  die  Schienenfussenden 
griffen  und  also  gleichsam  den  Stoss  ver- 
17 


25« 


laschten,  vielfach  Anwendung^;  auch  ver- 
ringerte man  die  Entfernung  der  Schwel- 
len in  der  Nähe  des  Stosses  oder  lagerte 
die  Schienenstösse  auf  Langhölzer  von 
rund   r6  m  Länge. 

Aber  alle  diese  Anordnungen  genügten 
nicht,  der  mangelhaften  Erhaltung  der 
Schienen  in  einer  der  Fahrrichtung 
parallelen  Richtung  abzuhelfen,  und  so 
gelangten  die  Techniker  dahin,  die 
Verbesserung  der  Stossconstruction  durch 
die  Anbringung  von  Laschen  zu  ver- 
suchen. 


Die  Kaiser  Ferdinands-Xordbahn,  im 
Jahre  184g  vor  die  Nothwendigkeit  des 
Umbaues  ihrer  Geleise  gestellt,  wendete 
die  Bauweise  mit  Laschen  am  Stosse  bei 
ihren  neuen  breitfüssigen  Schienen  an ; 
ihrem  Beispiele  folgten  angesichts  der 
günstigen  Erfolge  sehr  bald  die  übrigen 
Verwaltungen, 

Die  ersten  Laschen  waren  nur 
Flachstäbe,  welche  mit  zwei  oder  vier 
Schrauben  die  Schienenenden  in  der  ge- 
wünschten Richtung  erhielten,  da  die 
vorhandenen  birnförmigen  Schienenpro- 
file ein  innigeres  Anschmiegen  der  La- 
schen unmöglich  machten.  [Abb.  117 
und  118.) 

Bei  den  nach  Einführung  der  Laschen 
construirten  Schienenprofilen  gab  man 
diesen  eine  solche  Form,  dass  der 
Laschenanschluss    nicht    allein  am  Steg, 


sondern  auch  am  Kopfe  und  am  Fusse 
der  Schienen  erfolgte.  In  dieser  Be- 
ziehung konnte  die  für  die  Semmering- 
bahn  vorgesehene  Stossverbindung  mit 
voll  anschliessenden  Laschen  und  vier 
Seh  rauben  bolzen  seinerzeit  als  muster- 
giltig  bezeichnet  werden.  [Vgl.  Abb.  107.] 

Trotz  dieser  Verbesserung  des  Stosses 
durch  die  Laschen  verbin  düng  machte 
man  doch  die  Erfahrung,  dass  die 
Schienenenden,  welche  auf  die  Stoss- 
sch  welle  gelagert  waren,  durch  die 
darüber  rollenden  Lasten  wie  auf  einem 
Ambos  gehämmert  und  in  kurzer  Zeit 
schadhaft  wurden. 

Es  lag  nahe,  zurSchonung  der  Schienen- 
enden den  Ambos  zu  beseitigen,  indem 
man  die  Schienenenden  zwischen  den 
benachbarten  Schwellen  freischwebend 
anordnete;  wir  begegnen  den  ersten  in 
dieser  Richtung  unternommenen  Schrit- 
ten in  Oesterreich  beim  Baue  der  Carl 
Ludwig-Bahn  im  Jahre  1856.  Aber  erst 
im  Jahre  1871  trat  diese  Bauweise  aus 
dem  Versuchsstadium,  indem  das  k.  k. 
Handelsministerium  damals  der  Mährisch- 
Schlesischen  Centralbahn  die  Genehmi- 
gung zur  Ausrüstung  des  Oberbaues 
ihres  ganzen  Liniennetzes  mit  schwe- 
benden Stössen  ertheilte. 

Mit  der  Einführung  des  schwebenden 
Stosses  wurden  die  Laschen  nicht  allein 
für  die  Herstellung  der  Continuität  des 
Gestänges  in  der  Geleiserichtung  bean- 
sprucht, sondern  sie  wurden  auch  zum 
Mittragen  der  darüberlaufenden  Fahr- 
zeuge herangezogen,  sie  wurden  Trag- 
laschen.  Infolgedessen  erhielten  die 
Laschen  ebene  und  genauer  passende 
Anschlussfiächen  an  Kopf  und  Fuss  der 
Schiene,  ausserdem  einen  Winkel-  oder 
U-förmigen  Querschnitt  von  grösserem 
Tragvermögen.  [Vgl.   Abb.    II9.J 

Auch  diese  Traglaschen  erfüllen  ihren 
Zweck  nur  unvollkommen,  da  nach  theil- 
weiser  Abnützung  der  Anschlussflächen, 
das  Zusammenpassen  der  letzteren  selbst 
durch  Nachziehen  der  Schrauben  un- 
möglich ist.  Man  hat  daher  auf  andere 
Mittel  zur  Herstellung  von  neuen  Stoss- 
verbindungen  gesonnen.  Von  den  in 
Oesterreich  derzeit  noch  im  Versuchs- 
stadium  befindlichen  Vorrichtungen  nen- 
nen wir  u.  A.  den  Blattstoss  und  die  Stoss- 


Eisenbahn-Oberbau. 


259 


fangschiene,  bei  welch  letzterer  —  in 
Anwendung  bei  der  Wiener  Stadtbahn 
—  ein  entsprechend  geformtes,  von  den 
Stossschwellen  getragenes  Schienenstück 
das  Rad  über  die  Stosslücke  leitet.*) 

Die  Befestigungsmittel. 

Ausserordentlich  mannigfaltig  waren 
von  jeher  die  zur  Befestigung  der  Schiene 
auf  ihren  Unterlagen  dienenden  Bestand- 
theile.  Bei  den  ersten  Eisenbahnen  war 
die  Befestigung  mittelbar  und  sehr  voll- 


befestigung  —  bei  welcher  die  Befesti- 
gung der  Schiene  unabhängig  von  jener  der 
Schwelle  erfolgt  —  wurden  durch  diese 
Nägelbefestigung  allerdings  nicht  er- 
reicht. Es  trat  sohin  in  Oesterreich,  wo 
schnelle  und  schwere  Züge  auf  stark 
gekrümmten  Bahnen  zu  befördern  sind, 
das  Bedürfnis  nach  Vervollkommnung  der 
Befestigungsmittel  in  grösserem  Masse 
hervor,  als  zum  Beispiel  in  England,  und 
wir  finden  daher  bei  unseren  Ingenieuren 
die  eingehendsten  Bestrebungen  auf  Ver- 
besserung der  Schienenbefestigimg ;    wir 


Abb.  lao.    Unterla^rs platte.    [System  Pollitzer.] 


Abb.  121.    Spannplatte.    [System  Hohenegger.] 


Abb.  133.    Krempenplatte.    [System  Hohenegger.] 

kommen,  indem  die  Schiene  in  dem 
Chair  [Stuhl]  mit  einem  Holzkeil  fest- 
gehalten wurde,  während  ersterer  auf 
der  Schwelle  mittels  Holzschrauben  oder 
Nägel  seine  Befestigung  fand. 

Bei  den  später  aus  breitfüssigen  Schie- 
nen hergestellten  Geleisen  wurde  die 
Schiene  unmittelbar  mit  Hakennägeln 
auf  die  Schwelle  genagelt.  Durch  die 
Anwendung  der  Unterlagsplatten  mit  auf- 
steigenden Rändern  erhöhte  man  den 
Widerstand  dieser  Befestigung  und  stei- 
gerte ihn  noch  wesentlich  durch  die  Ver- 
wendung vonTyrefonds  [Schraubennägeln 
und  durch  die  Verdoppelung  der  Anzah 
der  Nagelstellen.  Die  Vortheile  der  Chair- 

♦)  Vgl.  Birk,  der  Schienenstoss  [Bulle- 
tin de  la  comm.  intern,  du  congres  de  ehem. 
de  fer,  1896]. 


Abb.  133.    Stuhlplatte.    [System  Heindl.] 

nennen  in  dieser  Hinsicht  nur  PoUitzer's 
Spannplatten-Befestigung,  Hohenegger's 
Krempenplatte,  dessen  Spannplatte, 
HeindPs  Spann  platte  mit  der  seinem 
eisernen  Oberbau  angehörenden  Befesti- 
gungsart u.  A.  [Vgl.  Abb.   120 — 123.] 

Weichen  und  Kreuzungen. 

Bei  den  ersten  Eisenbahnen  Oester- 
reichs  wurde  der  Uebergang  aus  einem 
Geleise  in  das  andere  durch  sogenannte 
Schleppweichen  vermittelt,  bei  wel- 
chen ein  kurzes,  an  seinem  Ende  um 
einen  verticalen  Zapfen  drehbares  Schie- 
nenstück abwechselnd  in  das  Haupt- 
oder Nebengeleise  eingestellt  werden 
konnte,  je  nachdem  die  Fahrt  auf  jenem 
oder  auf  diesem  stattfinden  sollte.  Diese 

IT 


primitive  Einrichtung  wurde  bald  durch 
die  den  Anforderungen  der  Sicherheit 
viel  besser  entsprechenden  Zungen- 
weichen  verdrängt,  bei  welchen  die 
stellbare,  gegen  den  Wechselanfang  hin 
sich  verjüngende  Spitzschiene  oder  Zunge 
anfangs  durch  Bearbeitung  gewöhnlicher 
Schienen  und  später  behufs  Erzielung 
grösserer  Tragfähigkeit  durch  Hobelung 
besonders  geformter  Blockprofil -Schi 


allgemein  üblichen  Type  mit  Unter- 
zugsblechen, auf  welchen  die  Stock- 

und  die  Spitzschiene  gemeinsam  befestigt 
sind  und  welche  in  jüngster  Zeit  bei  der 
Kaiser  Ferdinands-Nord  bahn  in  zweckmäs- 

I  siger  Weise  keilförmig  gestaltet  werden. 
Zu  Anfang    der  Sechziger-Jahre  fand 

I  in  Oesterreich  auch  die  sogenannte  eng- 
lische     Weiche      Eingang,      welche 

I  den  üebergang  der  Fahrzeuge  zwischen 


u  u   u-'i^   uj   [•i~[-j'[ij  Eia  ü   ü  ü 


erzeugt   wurde.     [Vgl.    Abb.    124  a   und 
124  b.] 

Indem  man  später  die  ursprünglich 
ungleichen  Zungen  in  gleicher  Länge 
herstellte  und  dieselben  unter  den  Kopf 
der  Stockschiene  untergreifen  liess,  indem 
man  femer  die  Abbiegung  der  Stock- 
schienen vermied,  die  Construction  der 
Gleit-  und  WurzelslUhle  und  insbesondere 
auch  jene  der  Drehzapfen- Verbin  düng 
wesentlich  vervollkommnete,  gelangte 
man  allmählich  zu  der  heute  in  Oesterreich 


n  der  SemmeHngbaho.  [1854] 

zwei  sich  durchschneidenden  Geleisen 
an  einer  oder  an  beiden  Seiten  des 
stumpfen  Winkels  ermöglicht.  Baudirector 
J.  Herz  von  Hertenried  Hess  eine  solche 
schon  im  Jahre  1863  beim  Bau  des 
Bahnhofes  von  Ascli  anlegen.  Auch 
diese  Weiche  wurde  in  unserer  Heimat 
wesentlich  vervollkommnet  und  ist  in 
dieser  Hinsicht  besonders  der  erfolg- 
reichen Bestrebungen  Hohenegger's  bei 
der  österreichischen  Nordwestbahn  zu  ge- 
denken. 


Stossverbindung  mit  Stossfangschiene  1 : 6 


I   -U-^...-^^ 


■Q-- 


jiche  Weiche  auf  eisernen  Querschwellen 


^ 


Eisenbahn-Oberbau. 


In  neuerer  Zeit  werden  die  Weichen 
vielfach  auf  eisernen  Schwellen  montirt 
und  gilt  heute  die  Weiche  mit  den 
Heindl'schen  eisernen  Quer- 
schwellen als  Normale  der  k.  k.  Staats- 
bahnen. 

Die     Durchkreuzungen      der 
Schienenstränge,  die  sogen  an 
HerzstDcke,    hat  man  in 
ersten  Zeit  aus  entsprechen* 
gearbeiteten  Schienen  stücken 
das  Zwischenstück,  den  sogen 
ten     Kreuzungsschemel,      hi 
aus     mit     Eisen     beschlage 
Holze  hergestellt,  welch  letz: 
eine  elastische  Unterlage  schi 
und    die   Wirkung    der   Hö 
differenzen  der  Spurkränze  eini 
massen   mildem   sollte.     In 
Siebziger  -  Jahren   ging  man 
vielen     österreichischen    Bai 
zu  Kreuzungen  aus  Bessemeri 
über,    bei  denen   Herzspitze 
Kreuzungsschemel     aus      ei 
Stücke   erzeugt  waren.     Glt 
zeitig    fanden     auch     die     F 
gussherze       der       Firma 
Ganz    &    Co.     Eingang, 
an  deren  Stelle  heute  all- 
gemein  die    ihnen    über- 
legenen    Flussstahl-Guss- 
herze  getreten  sind,  welche 
von  der  Firma  Skoda   in 
Pilsen    in    befriedigender     semin.iiBgbahn.'is 
Qualität  geliefert  werden 
und    den    Anforderungen     des    Verkehrs 
entsprechen. 


All  die  einzelnen  Oberbautheile,  die 
wir  im  Vorstehenden  ihrer  allmählichen 
Ausgestaltung  nach  flüchtig  betrachtet 
haben,  bilden  in  ihrer  Gesammtheit  das 
Geleise.  Als  glänzendes  Beispiel  für  die 
vortreflliche    Durchbildung,     deren    sich 


der  Bau  des  letzteren    gegenwärtig    auf 
den  österreichischen  Bahnen  im  Ganzen 
und  im  Einzelnen  erfreut,    geben  wir  in 
einer  Beilage    ein  Bild    der    in   Geltung 
stehenden  Oberbau- Type  der  k.  k.  öster- 
reichischen Staatsbahnen.    Dasselbe    be- 
flarf  im  Hinblick  auf  seine  grosse 
tlichkeit  und  Ausführlichkeit 
er   besonderen    Erläuterung. 


Desterreich  ist  frühzeitig  an 
Bau  von  Bahnen  herange- 
n,  obgleich  die  Bedingun- 
für  die  Schaffung  solcher 
enenstrassen  bei  der  Boden- 
haffenheit  des  Landes  nicht 
itige  waren. 

Jer  zur  Ausführung  des 
;s  berufene  Ingenieur  sah 
daher  immer  und  immer 
er  vor  neue  Aufgaben  ge- 
:,  für  deren  Lösung  er  — 
iem  Mangel  entsprechender 
lilder  —  neue  Mittel  ersinnen 
ins  Werk  setzen  musste. 

In     welch      trefflicher 
Weise  ihm  dies  gelungen 
ist,    wie  sehr    er    allezeit 
und  allerorten  ihnen  voll 
und  ganz  gewachsen  war 
—  das  dürfte  unsere  vor- 
stehende  gedrängte   Dar- 
'°w"h«eisi*än(i«.]    Stellung    wohl     klar     er- 
weisen. Dabei  bleibt  es  ein 
erfreuliches   Moment,    dass   sein  Wirken 
auch  bei   den  Verwaltungen    der   Eisen- 
bahnen   vielfach    verständnisvolle  Unter- 
stützung   und   Förderung  fand.     Nur  auf 
solche  Weise  konnte  Oesterreichs  Eisen- 
bahnnetz jene,    im   öffentlichen  Interesse 
nothwendige  Leistungsfähigkeit  und  Güte 
erringen  und  erhalten,  die  daJieim  und  im 
Auslande  noch   immer   uneingeschränkte 
Anerkennung  gefunden  hat. 


Brückenbau. 


Von 

Josef  Zuffer, 

k.  k.  Baurath  im  Eisenbahn-Ministerium. 


DIE  Brücken  verleihen  den  Eisen- 
bahnen ihren  malerischen  Reiz. 
Der  kühngeschwungene  Steinbo- 
gen, der  mit  seinen  grauen  Flächen  das 
dunkle  Grün  der  Wälder  durchbricht  und 
festgefügt  von  Fels  zu  Fels  hin  üb  erleitet, 
das  zierliche  Ghederwerk,  das  hoch  oben, 
von  emporstrebenden  Pfeilern  getragen, 
die  weite  Schlucht  überspannt  und  in 
dessen  Zweckmässigkeit  und  spielender 
Kraft  sich  ein  eigenes  zwingendes  Gesetz 
der  Schönheit  offenbart  —  diese  stolzen 
Bauten  versöhnen  uns  mit  dem  schrillen 
Pfiff  der  Locomotive,  welcher  die  Natur 
so  gewaltsam  ihres  Friedens  beraubt. 

Eine  zweitausendjährige  Cultur  hatte 
den  Eisenbahnen  in  den  wohldurchbildeten 
Strassenbrücken  ein  werthvolles  Erbe 
überliefert,  dessen  sich  die  neue  Technik 
rasch  bemächtigte,  und  welche  erstaun- 
lichen Fortschritte  auch  auf  den  ver- 
schiedensten Gebieten  der  Baukunst  das 
Auftreten  der  Locomotive  mit  sich  brachte, 
so  ragen  doch  jene  Leistungen  am  meisten 
hervor,  welche  auf  dem  Gebiete  des 
Brückenbaues  innerhalb  weniger  De- 
cennien  erzielt  wurden  und  unter  denen 
wieder  die  gewaltigen  Eisenbrücken  am 
eindringlichsten  die  Sprache  einer  neuen 
Zeit  reden. 

Ein  flüchtiger  Blick  auf  die  Ent- 
wicklung des  Brückenbaues  vor  der  Zeit 
der  Locomotive  wird  die  späteren  Fort- 
schritte, die  speciell  unserm  Vaterlande 
zufielen,  in  eine  desto  hellere  Beleuchtung 
rücken. 


Unsere  ältesten  Meister  im  Bau  ge- 
wölbter Brücken  waren  die  Römer, 
von  deren  Kunst  die  zweieinhalbtausend 
Jahre  alte  Salarobrttcke  über  den  Tiber 
mit  ihren  2i  in  weiten  Kreisbögen  das 
schönste  Zeugnis  gibt.  Ein  Denkmal  aus 
der  ersten  Zeit  des  Spitzbogenbaues  ist 
uns,  vermuthlich  noch  von  den  Ostgotheii 
her,  in  dem  Viaduct  von  Spoleto 
erhalten  geblieben.  Wie  die  der  Erfahrung 
abgelauschten  Gesetze  des  Gewölbebaues 
in  Rom  von  dem  Priestercollegium  der 
pontifices  als  Geheimwissenschaft  über- 
liefert wurden,  so  wurden  sie  beim  Aus- 
gang des  Mittelalters  in  Westeuropa 
vom  Orden  der  Brück  en  brüder,  in 
deutschen  Gegenden  von  den  Bau- 
hütten gepflegt,  welche  diese  Kunst 
in  grossartigen  Bauten  weiter  ausbil- 
deten. In  dieser  wie  in  der  ältesten 
Zeit  sind  die  Steinbogen  und  die  Pfeiler 
durch  äusserst  kräftige  Abmessungen 
gekennzeichnet ;  die  Aussparungen  in  den 
Brückenzwickeln  zur  Vermeidung  der 
an  dieser  Stelle  als  zwecklos  erkannten 
Materialanhäufung  sind  auch  hier  bei- 
behalten ;  neben  den  Kreisbogen  werden 
jedoch  die  Segment-  und  Ellipsenbogen  zur 
Vermeidung  grosser  Brückenhöhen  ver- 
breiteter. —  Die  520  Ht  lange  Karls- 
brttcke  in  Prag  gehört  zu  der  Reihe 
interessantester  Brückenbauten  dieser  Zeit. 
—  Im  16.  Jahrhundert  wurden  unter  dem 
Einflüsse  italienischer  und  deutscher  Kunst 
neue  Schönheitsmomente  in  den  Bau  der 
Gewülbebrücken  hineingetragen.     Im    iS. 


266 


Josef  ZufFer. 


Jahrhundert  beginnt  in  Frankreich  die 
exacte  Wissenschaft  die  Bautechnik  zu 
durchdringen;  diese  Zeit  lehrte  uns  die 
äusserst  flachen  Bogensegmente,  die 
sparsamen,  den  wirkenden  Kräften  ent- 
sprechenden Abmessungen  der  Bogen- 
gurten  und  Pfeiler  und  die  weit  gespannten 
Brücken.  Auch  neue  Arten  der  Ausführung 
der  Gerüstung  und  Fundirung  treten  auf. 
Der  Name  Perronet  ist  eng  mit  den 
besten  Fortschritten  verknüpft,  und  Bau- 
ten aus  dem  Schluss  des  vorigen  Jahr- 
hunderts, wie  die  Seinebrücke  bei 
Neuilly  mit  den  je  39  w  weiten  Bogen 
oder  die  Brücke  über  die  DoraRiparia 
bei  Turin  aus  dem  Anfang  unseres  Jahr- 
hunderts, mit  ihrem  45  tn  weiten  flachen 
Bogen  bezeichnen  die  hohe  Stufe,  welche 
die  Baukunst  der  Steinbrücken  vor  dem 
Auftreten    der   Eisenbahn    erreicht  hatte. 

Die  Holzbrücken  sehen  auf  eine 
noch  längere  Ahnenreihe  zurück  als  die 
Brücken  aus  Stein,  da  schon  der  ein- 
fachste Balken  den  Ausgangspunkt  ihrer 
Entwicklung  bildete.  Die  älteste  feste, 
1000  Fuss  lange  Holzbrücke  über  den 
Euphrat  reicht  denn  auch  schon  in  die 
graue  Vorzeit,  in  die  Zeit  der  letzten 
babylonischen  Könige  zurück.  Die  Brücken- 
baukunst aus  den  Tagen  Trajans,  der 
über  die  Donau  beim  eisernen  Thor  eine 
gewaltige  hölzerne  Bogenbrücke  mit 
Steinpfeilern  errichten  Hess,  gerieth  in 
den  folgenden  Jahrhunderten  in  völlige 
Vergessenheit,  und  durch  anderthalb 
Jahrtausende  begnügte  man  sich  mit  den 
einfachen  Balken  als  Träger  der  Fahrbahn. 

Im  1 6.  Jahrhundert  ersann  P  a  1 1  a  d  i  o 
das  kunstvolle  Spreng-  und  Häng  werk, 
das  zwei  Jahrhunderte  später  namentlich 
in  der  Schweiz,  Oesterreich  und  Deutsch- 
land in  bedeutenden  Leistungen  des 
Brückenbaues  verwerthet wurde.  Gruben- 
mann und  Ritter  combinirten  beide 
Systeme  und  überspannten  mit  dem  so  ge- 
bildeten Häng -Spreng  werke  Oeffnun- 
gen  bis  zu  iig  m  Weite.  Der  Tiroler 
Martin  Kink  brachte  um  das  Jahr  1800 
wieder  den  Holzbogen,  der  seitTrajan  ver- 
schollen war.  Funk,  namentlich  aber 
W i e b e k i n g  und  Pechmann  bildeten 
diese  Constructionen  weiter  aus  und  ihre 
Bcgen-Häng-  und  Sprengwerke 
kamen    am  Anfang    dieses    Jahrhunderts 


bei  vielen  Brücken  zur  Verwendung,  dran- 
gen bis  nach  Amerika  und  fanden  auch 
bei  dem  Bau  der  Eisenbahnen  Eingang. 

Der  Gedanke,  Brücken  aus  Eisen  zu 
bauen,  war  wohl  schon  im  16.  Jahrhundert 
aufgetaucht,  kam  aber  wegen  der  Kost- 
spieligkeit der.  Bereitung  von  grossen 
geformten  Massen  nicht  zur  Geltung. 
Erst  als  in  England,  wohin  die  Eisen- 
gewinnung ursprünglich  von  Steiermark, 
Böhmen,  Schlesien  und  dem  Siegerlande 
übertragen  worden  war,  die  Eisen- 
erzeugung nach  Heranziehung  der  Kohle 
zum  Hüttenprocess  und  ^ach  Einführung 
der  Verkokung  einen  mächtigeren  Auf- 
schwung genommen,  wurde  im  Jahre 
1779  in  England  die  erste  grössere  Eisen- 
brücke vollendet. 

Das  Guss eisen,  welches  bei  den  ersten 
Eisenbrücken  allein  zur  Verfügung  stand, 
wurde  zum  Bau  von  Bogen  benützt, 
welche  die  Fahrbahn  trugen  und  deren 
Rippen  aus  Segmentstücken,  später  aus 
grösseren  Platten  und  dann  erst,  nach 
der  Idee  von  Reichenbach,  aus  einzelnen 
Rohrstücken  bestanden.  Polonceau  be- 
nützte den  letzteren  Constructions-Gedan- 
ken  zu  Bogenbrücken  in  jener  zierlichen 
Form,  welche  unsnoch  in  der  T  e  ge tthof  f- 
Brücke  in  Wien  entgegentritt,  während 
die  Oesterreicher  Hoffmann  und 
Maderspach  als  erste  auf  dem  Con- 
tinent  Bogenhängewerke  einführten. 
Letztere  Brücken,  unter  denen  die  1837 
vollendete  20 m  weite  Czerna-Brücke 
bei  M  e  h  a  d  i  a  die  bekannteste  ist,  können 
als  das  Urbild  unserer  weitverbreiteten 
Parabelträger  bezeichnet  werden. 

Das  Schmiede-  oder  Schweisseisen,  das 
zu  Ende  des  18.  Jahrhunderts  mit  der  Er- 
findung des  Puddel-  und  Walzprocesses 
aufgetreten  war,  fand  wegen  seiner  ausge- 
sprochenen Zähigkeit  und  Dehnbarkeit  im 
Brückenbau  zur  Erzeugung  von  Hänge- 
seilen und  Ketten  für  Hängebrücken  rasch 
Eingang.  Im  Jahre  1796  war  bereits  in 
Amerika,  in  Oesterreich  im  Jahre  1821 
zu  J  a  r  o  m  6 1'  die  erste  Kettenbrücke  auf- 
gestellt worden. 

So  bewegte  sich  der  Bau  der  Eisen- 
brücken während  der  ersten  Decennien 
in  den  Wegen,  die  ihm  in  den  über- 
brachten Typen  der  Strassenbrücken  vor- 
gezeichnet   waren    und  wobei  Stein  und 


207 


Holz  einfach  durch  Eisen  ersetzt  wurden. 
Die  Sleingewölbe  fanden  in  den  eisernen 
Bogen  ihre  Nachahmung,  die  alten  Hänge- 
brücken lebten  in  den  eisernen  Ketten- 
brücken weiter,  die  einfachen  Holzbalken 
fanden  wieder  in  den  gusseisemen  Barren- 
trägern, die  in  den  Dreissiger-Ja hren  in 
den  nördlichen  und  westlichen  Ländern 
selbst  bei  weiteren  Oeffnungen  an- 
gewendet wurden,  ihr  Gegenbild 
und  die  vergitterten  amerikanischen 
Holzbrücken  stellen  sich  als  Vorläufer  der 
eisernen  Gliederbrücken   dar.     Aber    bei 


Die    österreichischen    Eisenbahn- 
brücken in  Stein. 

Die  eigenartige  Traceführung  der 
Eisenbahn  und  deren  schwere  und  rasch 
bewegte  Lasten  trugen  in  die  gewölbten 
Brücken  neue  Forderungen  hinein. 

Im  flachen  Lande  und  im  Thale  blieb 
der  Charakter  der  Strassen  brücken  mit 
ihren  niedem  Pfeilern  und  den  Segment- 
oder Korbbögen  im  Allgemeinen  auch 
ftlr  Eisenbahnbrücken  gewahrt.  Aber  im 
unebenen  Terrain  und   in  bergigen   Ge- 


den  raschen  theoretischen  und  praktischen 
Fortschritten  der  Technik,  welche  die 
Eisenbahnzeit  kennzeichnen,  emancipirte 
man  sich  bald  von  der  blossen  Nach- 
bildung der  Holz-  und  Steinbauten  und 
wies  dem  Bau  der  Eisenconstnictionen 
jene  eigene  Richtung,  die  in  den  speci- 
fischen  Eigenschaften  des  Eisenmaterials, 
vornehmlich  des  Schmiedeeisens  selbst 
begründet  ist,  und  die  ihn  seiner  heutigen 
Blüthe  entgegenfahrte. 

Für  den  Brückenbau  bedeutet  die 
Zeit  der  Eisenbahnen  eine  Epoche  unver- 
gleichlicher Entwicklung;  der  hervor- 
ragende Antheil,  den  Oesterreich  an 
dieser  nahm,  möge  im  Folgenden  näher 
behandelt  werden. 


genden  konnte  die  Bahntrace  nicht  wie 
die  schmiegsame  Strasse  den  Erhebun- 
gen und  Vertiefungen  des  Geländes 
folgen  und  musste  daher  oft  hoch  übers 
Thal  hinweggeführt  werden ;  da  wuchsen 
dann  die  Brücken  zu  hohen  Viaducten 
empor,  bei  welchen  der  halbkreisförmige 
Bogen  genügenden  Raum  und  daher  be- 
liebte Aufnahme  fand. 

Die  ungewohnten  grossen  Lasten  und 
die  Erschütterungen,  die  mit  der  schnellen 
Fahrt  verbunden  waren,  zwangen  weiter  zu 
besonderer  Vorsicht  in  den  Abmessungen 
der  Bogen-  und  Pfeilerstärken  und  führ- 
ten in  der  ersten  Zeit  des  Bahnbaues 
öfters  zu  einer  besonderen  SchwerfäUig- 
keit  der    gewölbten    Brtlcken.     Um    die 


theil weisen  Wirkungen  einer  einseiligen 
Belastung,  die  schädliche  Verschiebung 
der  >GewÖlbestützUme>  auszugleichen  — 
das  ist  jener  Linie,  die  den  Verlauf 
'  der  Resultirenden  aller  im  Gewölbe  auf- 
tretenden     Pressungen     bezeichnet      — 


wurden  die  Gewölbe  mit  einer  gegen 
den  Gewölbescheitel  zu  sich  verlaufenden 

Uebermauerung  oberhalb  des  Gewölbe- 
fusses  versehen. 

Alle  sonstigen  Aufmauerungen  über 
den  Gewölben  wurden  wie  früher  auf  das 
noth  wendigste  Mass  beschränkt  und 
in  diesen  Brück  entheilen  verschieden 
gestaltete  Hohlräume  ausgespart.  Die 
Widerlager  erhielten  meist  volles  Mauer- 
werk mit  einem  Abscblnss  durch  soge- 
nannte Parallel-  oder  durch  Winkelflügel, 
die  mit  der  Böschung  verliefen,  während 
die  in  England  und  Frankreich  beliebte 
Weiterfuhrung  des  Gewölbes  bis  ins 
Terrain,  als  .verlorenes  Widerlager«  hier 
selten  in  Verwendung  kam. 

Die  steinernen  Brücken  und  Viaducte 
der  ersten  Bahnen,  der  Nordbahn, 
Staatsbahn  und  Wien-Gloggnitzer 
Bahn  waren  meist  Ziegelbauten  mit 
massigen  Lichtweiten,  die  sehr  selten 
bis  20  Hl  hinausgingen.     Die  Gesammt- 


länge  der  Viaducte  war  dabei  oft  ausser- 
ordentlich gross  und  kennzeichnet  die 
damalige  Bauweise,  welche  die  Vortheile 
einer  günstiger  geführten  Trace  mit 
grossen  Opfern  erkaufte,  oft  sogar  theure 
Bauwerke  dort  hinstellte,  wo  sie  nicht 
unbedingt  geboten  waren.  Zu  den  gröss- 
ten  Steinbauten  dieser  ersten  Zeit  gehört 
der  637  m  lange  Viaduct  der  Nordbahn  vor 
Brunn,*)  der  1 1 1 1  »1  lange  Viad'ict-  und 


[Nac 

Brückenbau    der    nördlichen    Staatsbahn 
bei  Prag,*)  der  über  3  km  lange  Lagunen- 
viaduct  bei  Venedig,*)  und  der  400  m  lange 
und    60  m    hohe    spitzbogig   überwölbte 
Desenzano- Viaduct  im  Zuge  der  lombar- 
dischen Eisenbahn.     Fast  alle  Viaducte 
der   ersten  Zeit  haben  lange  Jahre  hin- 
durch den  steten    Erschütterungen   und 
den  Angriffen  der  Atmosphärilien  erfolg- 
reich   getrotzt.     Einige    bedeutende  ge- 
wölbte ObjecCe  der  Kaiser  Ferdinands- 
Nordbahn  jedoch  wurden  seither  ausser 
Verkehr   gesetzt,   trotz   ihrer  tadellosen 
Bauart  und  Widerstandsfähigkeit.  —  So 
verliess  man    den   Viaduct  bei  Weiss- 
kirchen und  jenen  bei  Seibersdorf  aus 


36g 


dem  Grunde,  weil  anlässlich  des  Baues  des  1 
zweiten  Geleises  durch  Calculation  klar- 
gestellt wurde,    dass    es    im    Baue    und  | 
Betriebe    öconomischer    sei,    die    ganze  j 


theilweisen  Verschüttung  anlässlich  der 
nothwendig  gewordenen  Erweiterung  des 
dortigen  Bahnhof- Plateaus. 

Die  grossartigstenSteinbrücken- Bauten 


Linie  zweigeleisig  durch  Anwendui 
einiger  Krümmungen  umzulegen,  als  f 
das  zweite  Geleise  einen  eingeleisigi 
Viaduct  an  den  alten  anzubauen. 

Der    Viaduct  in  Brunn    gelangte    z 


I  erstanden    unter    G  h  e  g  a's    Meisterhand 
,  im  Zuge  der  ersten    Gebirgsbahn    beim 
■  Ufbersch reiten    des  Semmering,    Bau- 
ten,   die,   festgefügt  und  unerschütterlich 
der  Zeit    und    den    Elementen    trotzend, 


die  Bahn  oft  im  Bogen,  oft  in  schwin- 
delnder Hohe  kühn  auf  Felsen  gestutzt 
an  dem  abfallenden  Hang  sicher  vor- 
Oberflihren.  Auch  hier  bewegt  sich  die 
Spannweite  der  Gewölbe  meist  um  lo  m 
herum  und  geht  nicht  Über  20  m  hinaus. 
Um  mit  diesen  geringen  Oeffnungen  die  bis 
40  m  tiefen  und 
weiten  Schluchten  [ 
zu  überbrücken, 
thürmte  Ghega  I 
den  Viaduct 
zwei  Etagen  auf  | 
und  schuf  so  die  H 
malerischen 
derdesWagner-  " 
und  G  a  m  p  e  r  I- 
Viaducts,  des  Via - 
ductes der  Krau- 
se 1  k  1  a  u  s  e  und  ii 


photogcaphlichea  AurnaluD«  von  J. 


iderKalten  Rinne.') 
Die  halbkreisförmige  Ueberwölbung  der 
Oeffnungen  wurde  hier  nur  im  oberen 
Stockwerk  des  Viaducts  festgehalten,  in 
der  unteren  Etage  dagegen  Segmentbögen 
eingeschaltet.  Eine  Asphaltlage  mit  einer 
Sandschichte,  die  bei  den  späteren  Bauten 
oft  durch  eine  Lage  hydraulischen  Mörtels 
ersetzt  wurde,  schützte  die  Ziegelgewölbe 
vor  dem  Einfluss  des  Wassers,  das  durch 
die  Oeffnungen  Ober  den  Pfeilern,  die 
Ochsenaugen,  ins  Freie  austritt. 

Die  sonstigen 
gemauerten  Brü- 
cken aus  der  Zeit 
der  Vierziger-  bis 
in  die  Sechziger- 
Jahre  wurden  aus 
gemischtem  Ma- 
terial, aus  natür- 
lichem Bruchstein 
und  Ziegel  ausge- 
führt, wobei  für 
Pfeiler   und   son- 

Stifre        Aufmaue-  Abb.  ijo.    HamsÄU' 

rungen     bei    den  '""  Aufnahm"  von  c. 

grösseren  Brücken 

Haustein,  bei  den  kleineren  Brücken  Bruch- 
stein Verwendung  fand,  während  die  Ge- 
wölbe fast  durchwegs  aus  Ziegeln  bestan- 
den. Die  Verkleidung  des  Bruchstein- 
mauerwerks und  die  Sockel  der  Gewölbe 


wurden  meist  aus  Quadern  gebildet.  Schief- 
gewölbe wurden  nach  Thunlichkeit  ver- 
mieden; wo  dies  jedoch  bei  grösseren 
Objecten  unausweichlich  war,  wurden 
die  Lagerfugen  der  Wölbsteine  kunst- 
gerecht nach  der  Schraubenlinie  geformt. 
Nächst  dem  Bau  der  Semmeringbahn 
bildete  der  Bau 
der  Brenner- 
bahn einen 
Markstein  in  der 
Entwicklung  des 
österreichischen 
Gewölbebaues, 
wenn  er  auch  in 
der  Bedeutung 
hinter  dem  erste- 
ren  zurUckblieb. 
Hier  war  bekannt- 
lich unter  Pres  sei  der  Grundsatz  nach 
möglichster  Vereinfachung  der  Bauweise 
bei  Wahrung  der  weitestgehenden  Soli- 
dität für  den  Bau  massgebend.  Man 
suchte  daher  den  Bau  der  kostspieligen 
eisernen  Brücken  gegen  den  der  gewölbten 
möglichst  zurückzustellen  und  das  vor- 
handene Steinmaterial  auszunützen.  Dabei 
sollten  meist  halbkreisförmige  Gewölbe 
und  nur  ausnahmsweise  Segmentgewölbe 
zur  Anwendung  kommen;  schiefe  Brücken 
womöglich  vermieden  oder  deren  Mauerung 
nach  deutscher 
Bauweise  durch 
Herstellung  ein- 
zelner gegen  ein- 
ander    versetzter 

Gewölberinge 
vereinfacht  wer- 
den. Für  die  Ob- 
jecte  mit  Seg- 
mentbögen führte 
man  mit  Vorliebe 
Parallelflügel  ein, 
ch.vuduct  Im  Ba«.  um     die    Wider- 

cb  eJncr  pbotojFrapb Lieben  ■  i       ^        j 

jciebm.Lcobtn.)  lager  noch  stand- 

fester zu  machen. 
Auf  die  Asphalt-  und  Sandabdeckung  der 
Gewölbe  wurde  zur  besseren  Entwässe- 
rung noch  eine  Steinlage  aufgebracht. 

Schon  beim  Bau  der  Linie  von  Lai- 
bach nach  Triest  [vgl.  Abb.  125]  und 
Kufstein  nach  Innsbruck,  um  die 
Wende  des  6.  Jahrzehnts,  waren  grössere 
Lichtweiten   bei  gewölbten  Brücken,    so 


Abb.  m.    Vladuct  Über  den  SilberbDttenbacta. 

[K.  k.  StaaUbihD  Obtr-C«ekwe-Pll(trim-T«bor.l 

INach  clnec  pbolOEraphiicben  Auroabine  von 

lg.  ScbHcbll.) 

bei  den  Innbrücken  bei  Brixlegg  und 
Innsbruck  bis  zu  20  und  27'3  m  aus- 
geführt worden.  Die  Brennerbahn  ging 
noch  weiter;  die  79  m  lange  Eisack- 
Brücke  bei  Atzwang  zeigt  schon 
eine  Spannweite  von  35-4,  jene  bei  Mauls 
sogar  von  31-7  »1.  [Abb.  126.]  Auch  die 
Ausführung  und  Einrüstung  der  Gewölbe 
dieser  Zeit  verdanken  Etzel's  Bedingnis- 
heften  wesentliche  Neuerungen,  Beding- 
nissen, welche  die  Grundlage  bildeten 
für  die  noch  zu  besprechenden  heute 
giltigen  Normen. 

Bei     den     Bahnbauten     der     ersten 
Siebziger -Jahre     traten     die     gewölbten 
Objecte   in  den  Hintergrund.     Einerseits 
waren    die    in    jener    Zeit    entstandenen 
Bahnen    meist    Thalbahnen    und    gaben 
daher    zu    Kunst- 
bauten weniger  An- 
lass,      andererseits 
zog   man,  um  den 
Bau   möglichst  zu 
beschleunigen,  die 
rascher  herstellba- 
ren    Eisenbrllcken 
vor.     Erst  bei  den 
Bauten,  welche  die 


Sta 


al- 


tung  [k,  k.  Direc- 
tion  für  Staats- 
Eisenbahn  b  a  uten] 
vom  Ende  der  Sieb- 
ziger-Jahre an  un- 
ternahm, fand  der 
Gewölbebau  wie- 
der weitgehende 
Pflege  und  neue 
Anregung.  Unter 
diesen  ist  beson- 
ders die  Heranzie- 
hung  des   billigen 


Bruchsteins,  der  bis  dahin  nur  zu  unterge- 
ordneten Bauten  Anwendung  gefunden 
hatte,  für  alle  Mauerwerks- An  lagen,  selbst 
für  Gewölbe  grösserer  Weite,  an  Stelle 
des  bis  dahin  üblichen  Hausteins  von 
Bedeutung  geworden.  Diese  von  Ludwig 
Huss  wesentlich  geförderte  Massregel 
kam  zunächst  beim  Bau  der  Arlberg- 
bahn  zur  besonderen  Geltung,  deren 
Bergstrecke  eine  Reihe  grossartigster  Via- 
ducte    und    Brückenbauten    umschliesst. 


Alle  Pfeiler,  ferner  die  Gewölbe  der 
zahlreichen  Viaducte  bis  zu  16m  Weite, 
ja  beider  Alfenz-Brücke  vor  Langen 
sogar  bis  20  w,  wurden  auf  der  Arlberg- 
bahn  aus  unbearbeitetem,  mehr  oder 
weniger  lagerhaftem  Bruchstein  [Kalk, 
Gneis  und  Glimmerschiefer]  erbaut,  wäh- 
rend erst  bei  den  20 — 22  tn  weit  gespannten 
halbkreisförmigen  Gewölben,  wie  bei  denen 
desSchmidtobel-  und  des  Brunntobel- 


Abb.  i]]b.    PnithbiU' 


Viaductes  und  bei  dem  sogar  41  tn 
weiten  Segmentbogen  des  WäldUtobel- 
Viaductes  [Abb.  127a  u.  127b]  nach  dem 
Fugenschnitt  bearbeitete  Stücke  aus  Kalk- 
stein, ausnahmsweise  auch  aus  Gneis  zur 
Verwendung  kamen.  Das  Bruchstein- 
mauerwerk wurde  dabei  innen  und  aussen 
gleich  behandelt,  nur  in  den  Kanten  und 
Gewülbestirnen  etwas   sorgfältiger   bear- 


j  punkte    der  Wirthschaftlichkeit   aus    als 
i  angezeigt,   sondern  entsprach   auch    den 

!   ästhetischen  Forderungen,    da    der  rusti- 

,  cale  Charakter  dieser  Bauwerke  mit  der 

Gebirgslandschaft,  in  die  sie  hineingesetzt 

sind  und    mit  dem  massiven  Felsenhang, 

I   aus  dessen  gewaltigen  Blöcken  sie  aufge- 

j  thürmt  scheinen,  harmonirt.     Die    Felsen 

boten    hier    auch    das    beste  Fundament 


bei  Jar 


[K.  k 


heilet;  die  Gesichtsfläche  erhielt  Vor- 
sprünge bis  0'4  m.  Bei  grösseren  Pfeiler- 
bautcn,  wie  bei  denen  des  87  tn  hohen 
Trisana-  [Abb.  12S]  und  des  54  m 
hohen  Schmidtobel-Viaductes 
wurden  in  Abständen  von  ungeftihr  10  tn 
durchbindende  Lagen  von  Quadern,  bezie- 
hungsweise von  rauh  bearbeitetem  Schich- 
tenmauerwerk einfjebaut. 

Die  Verwendung  von  rauh  bearbeitetem 
Bruchsteinmauerwerk  erwit-s  sich  bei 
diesen    Bauten    nicht    blos    vom   Stand- 


'  für  die  gewaltigen  Bauten,  so  dass  selten 
j  eine  künstliche  Unterlage  durch  Beto- 
I  nirung  geschaffen  werden  niusste. 

Wie  gesagt,  war  zum  Schluss  der 
■  Fünfziger-Jahre  bereits  durch  die  muster- 
1  giltigen  Bedingnishefte  Etzel's  eine  neu- 
I  artige  und  gieichmässige  Ausführung 
'  der  Gewölbe  in  Uebung  gekommen, 
'  welche  die  Grundlage  bildete  für  die 
späteren,  durch  die  Erfahrung  erweiter- 
ten Normen,  die  auch  heute  noch  Giltig* 
I  keit  haben. 


Die  Gerüste  werden  bei  Gewölben  bis 
5  »w  Spannweite  auf  eichene  Keile  ge- 
stellt, jene  der  grösseren  Gewölbe  jedoch 
auf  Sandbüchsen  oder  auf  Schraubenvor- 
richtuntjen,  um  gleichmässig  und  ruhig 
ausschalen  zu  können.  Nach  vollende- 
ter Hinterm  au  erung  der  Gewölbe  blei- 
ben dieselben  bei  kleineren  Liehtweiten 
mindestens  vierzehn  Tage,  bei  grösseren 
vier  bis  sechs  Wochen  auf  den  un  verrückten 
Lehrböden  ruhen,  um  eine  vorzeitige  Sen- 
kung  der   Gewölbescheitel   zu   verhüten. 

Die  Abdeckung  erfolgt  allgemein 
mit  einer  5-9  cm  starken  Betonlage, 
■  welche  noch  einen  durch  eine  Sand- 
schichte geschützten  Ueberzug  von  hy- 
draulischem Mörtel  erhält.  Heute  wird 
bei  Gewölben  grösserer  Spannweite  die 
Mauerung  gleichzeitig  an  vier  Stellen 
vorgenommen  und  an  drei  Stellen  gleich- 
zeitig geschlossen,  um  sie  von  den 
Setzungen  der  Lehrgerüste  unabhängig 
zu  machen. 

Die  grösseren  Leistungen  im  Ge- 
wölbebau, zu  denen  die  Arlbergbahn  An- 
lass  gab,  erhielten  in  den  Achtziger- 
Jahren     in     den     Staatsbahnbauten     der 


|Er.l 


"1 


abseits  von  der  Heerstrasse  der  Touristen 
gelegen,  in  stiller  Abgeschiedenheit  einige 
Wunderwerke  der  Baukunst  birgt,  die  sich 
würdig  an  jene  der  berühmten  österreichi- 
schen Alpen  Übergänge  anschliessen  und 
die  insbesondere  durch  ihre  kühn  ge- 
wölbten Brücken  den  Ruhm  österreichi- 
scher Ingenieure  verkünden. 

Dadie  Gegend,  welche  die  letztgenannte 
Bahn  durchzieht,  gutes  Steinmaterial  bot 
und  die  Thalsohle  gute  Fundamente  in 
geringer  Tiefe  verbürgte,  so  konnte  der 
vielseitig    und    lange    erkannten    Ueber- 


Böhmisch  -mährischen  Trans- 
versalbahn, der  Linie  Herpelje- 
Triest,  der  Zahnradbahn  Eisenerz- 
Vordernberg  [vgl.  Abb.  129—131]  u.  a. 
werthvolle  Bereicherungen.  Sie  alle  aber 
wurden  von  den  grossartigen  Bauten  der 
Linie  Stanislau-Woronienka  weit 
überholt,  jenes  unter  Bischoff  von 
Klammstein  im  Jahre  1893  und  1894 
entstandenen    Karpathenübcrgangs,    der. 


legenheit,  welche  soliden  Steinbauten 
gegenüber  eisernen  Brücken  durch  ihre 
längere  Dauer  und  billigere  Erhaltung 
zukommt,  beim  Bau  der  Objecte  im 
weitesten  Masse  Rechnung  getragen 
werden.  Man  stattete  daher  diese  Bahn 
nach  den  Vorschlägen  von  B  i  s  c  h  o  f  f 
und  Ludwig  Huss  nach  den  Plänen 
des  letzteren  vorwiegend  mit  Stein- 
brücken aus,  wobei  die  viermalige  Ueber- 


r  FeidlDandt-Nori 


Wölbung  des  wildschäiimenden  Pruth 
zu  den  interessantesten  Bauten  Gelegen- 
heit bot.  Zählen  schon  die  beiden  Fluss- 
übergänge bei  Worochta,  wo  die 
weiteste  Ocflfnung  der  mehrfach  gewölbten 
Brücke  zwischen  346  und  40  tu,  der 
Uebergang  bei  Ja  in  na  [Abb.  132  a  und 
132b],  wo  die  Lichtweite  48  m  beträgt, 
zu  den  hervorragendsten  Leistungen  der 
Brückenbaukunst,  so  werden  sie  noch 
durch  die  Pruthbrücke  bei  Jaremcze 
in  Schatten  gestellt,  die  mit  ihrem  65  »h 
weiten  Bogen  heute  die  weit  est  gespannte 
steinerne  Eisenbahnbrücke  der  Welt  ist. 
[Abb.   133a  und  133b-] 

Auch  auf  der  Linie  Stanisiau -Woro- 
nienka  wurden  ähnlich  wie  auf  der  Arlberg- 
bahn  die  Gewölbe  unter  15  w  in  Bruch- 
steinmauerwerk aus  platten  form  igen 
Steinen,  jene  Über  15  in  aus  Schichten- 
mauerwerk ausgeführt,  während  nur  bei 
den  zwei  letztgenannten  Gewölben,  welche 
sehr  exacte  Ausführungen  forderten, 
Quadermauerwerk  zur  Verwendung  kam. 
Diese  Ausführung  erforderte  auch  ganz 
biisondere  Massnahmen,  die  schon  im 
Auslände  mit  Erfolg  verwendet  worden 
waren.  Um  bei  dem  Ungeheuern  Druck, 
den    diese  Gewijlbe    auf  das  Lehrgerüst 


ausüben,   für  eine  thunlichste  Entlastung 
desselben    vorzusorgen,    wurde    erst    die 
Bildung  und  Schliessung  eines  untersten 
Ringes  mit  Steinen  im  Wechsel  von  i  und 
[   r25»( Längevorgenommen.  [Abb.  133  b.] 
Die  Quadern  wurden  dabei  in  Abständen 
.  von  2 — 3cm  nebeneinander  auf  das  Lehr- 
I  gerüst    gelegt,    an    den    Gewölbestimen 
und   der    innern  Leibung  Holzleisten   in 
I  die  einzelnen  Zwischenräume  geschoben, 
und    hierauf,    nachdem    alle    Steine    des 
Ringes    aufgebracht    waren,    erdfeuchter 
Cementmörtel     mittels    einfacher    Flach- 
schienen   in    die  Fugen    gestrichen    und 
I  gestampft.    Nach  vollständiger  Erhärtung 
des  Mörtels,    etwa    nach    zwei    bis    drei 
I  Wochen,  wurde  die  erste  Mauerung  des 
zweiten  Gevvölberinges  mit  den  üblichen 
I   Vorsichtsmassregeln    in    Angriff    genom- 
I  men.     Auf  die  das  Gewölbe  abdeckende 
Betonschichte    wurde    bei   den   Objecteu 
I  dieser  Bahn   eine  Lage   von  Asphaltfilz- 
I  platten    ausgebreitet,     die     eine     10    cm 
dicke    Sandschichte    weiterhin    schützte. 
I         In  der  Construction  der  Gewölbe,  in 
I  der  Abmessung    der  Gewölbstärken    am 
j  Scheitel    und    an    den  Kämpfern    musste 
■  natürlich    der   Widerstandsfähigkeit    der 
verschiedenen  Materialien   Rechnung  ge- 


tragen  werden,  damit  diese  mit  völliger 
Sicherheit  den  gewaltig  auftretenden 
Drücken  zu  widerstehen  vermögen.  Dort, 
wo  gewöhnliches  Bruchsteinmauerwerk  als 
Gewölbematerial  herangezogen  wurde, 
Hess  man  in  den  etwa  12  m  weiten 
Objecten  der  Arlbergbahn  die  Pressung 
nicht  über  8  kg  auf  das  Quadratcent iraeter 
hinausgehen,  während  die  Gewölbe  des 
Schmidtobel-Viaductes  mit  10  kg  und 
jenes  der  Wäldlitobelbrücke  mit  i4A^auf 
I    cm*    Fläche 


Steingewölbe 
der346(«  wei- 
ten Pruth- 
brücke  enthal- 
ten Drücke  bis 
zu  176  kff,  das 

Quadermauer- 
werk des  48  m 
weiten  Gewöl- 
bes der  Jamna- 

brücke  bis 
2$-ikg,  und  der 
65  in  weiten  Ja- 

remczebrücke 
sOgarbisaysAg- 
pro      Quadrat- 

centimeter, 
durchaus    aber 
Drücke,  die  im 
Verhältnis    zur 

Widerstands- 
fähigkeit des 
Materials       in 

massigen,       zu-  *''''■  '^-    Durchlasi  »^'^Sr 

lässigen  Gren- 
zen gehalten  sind.  Diesen  Pressungen 
entsprachen  wieder  bei  den  drei  letzt- 
genannten Brücken  im  Scheitel  des  Ge- 
wölbes Mauerstärken  von  I  3,  beziehungs- 
weise 1 7,  bei  der  Jaremczebrücke  sogar 
2'i  m. 

Die  grossen  Fortschritte  in  der 
Theorie  der  Gewölbe,  der  Einblick  in 
das  wechselnde  Spiel  der  Kräfte  hatte 
es  erst  ermöglicht,  solche  kühne  Bogen 
mit  möglichst  geringem  Materialaufwand 
zu  erbauen  und  sich  über  die  auftretenden 
Wirkungen  vollständig  Aufschluss  zu  ver- 
schaffen. Im  18.  Jahrhundert  war  der 
Gewölbebau  zum  ersten  Mal  auf  wissen- 


schaftliche Basis    gestellt   worden;    aber 

die    damalige    und    spätere    Stützlinien- 
Theorie    fusste    immer    auf    Annahmen, 
die  erst    in    jüngster  Zeit  bei  genaueren 
Forschungen  als  hinfällig  erkannt  worden 
sind.     Erst    indem    man,    was  bis  dahin 
vernachlässigt  wurde,  die  Elasticität  des 
Gewölbes  mit  in  Rechnung  zog,  war  man 
zu    vollständig    verlässlichen    Resultaten 
gelangt.  Die  praktischen  Versuche,  welche 
zugleich  über  das  Verhalten  von  Cement 
und  Ober  die  In- 
anspruchnahme 
sowie   die  Lei- 
stungsfähigkeit 
des  Materials  in 
den  Gewölben, 

insbesondere 
von    Seite    des 
Oesterreichi- 


sche 


In 


auf  dem  B 


nieur-  und 
Architekten- 
Vereins  in  den 
letzten  Jahren 
unternommen 
wurden,  bilde- 
ten eine  wesent- 
liche Ergän- 
zung der  theo- 
retisch gefun- 
denen Resul- 
tate. Eines  der 
wichtigsten  Er- 
gebnisse war 
die  Bestätigung 
der  angedeute- 
ten, der  Berech- 
nung elastischer 
Bogen  trag  er  zugrunde  liegenden  An- 
nahme, dass  für  die  Bogen constructionen 
innerhalb  gewisser  Grenzen  ein  gleiches 
Gesetz  der  Proportionalität  in  Bezug  auf 
Belastung  und  Formänderung  existirt,  wie 
für  die  einzelnen  Materialien  bis  zu  deren 
Elasticitätsgrenze;  dass  ferner  mit  der 
Spannweite  der  Gewölbe  auch  deren 
Widerstandsfähigkeit  gegen  Bruch  wächst, 
weshalb  bei  weiter  gespannten  Gewölben 
eine  grosse  Inanspruchnahme  des  Materials 
sich  als  zulässiger  erweist  als  bei  kleinen. 
Diese  Versuche  ergänzten  auch  die 
theoretischen  Untersuchungen  jener  mo- 
dernsten Gewölbebauten,  welche  nicht 
i8* 


276 


Josef  Zuffer. 


aus  einzelnen  Wölbsteinen,  sondern  im 
Ganzen  aus  einer  homogenen  Masse,  aus 
Beton,  bestehen,  oder  bei  welchen  — 
in  den  Monier'schen  Gewölben  — 
ein  Rost  aus  Eisenstäben  dem  Beton  als 
Gerippe  dient.  In  dieser  Bauweise  be- 
grüssen  wir  die  jüngsten  und  vielver- 
sprechenden Errungenschaften  im  Gebiete 
des  Gewölbebaues.  Ein  schlankes,  sanft 
geschwungenes  Moniergewölbe  von  weni- 
gen Centimetern  Starke,  kennzeichnet 
gegenüber  dem  schwerfälligen  Stein- 
gewölbe alter  Zeit  am  besten  den  mäch- 
tigen Fortschritt,  den  die  wissenschaftlich 
durchgebildete  Technik  auf  diesem  Ge- 
biete errungen  hat. 

Die  Moniergewölbe  wurden 
bisher  in  Oesterreich  nur  bei  einer  Reihe 
von  Strassenüberbrückungen    verwendet; 


brücken    und    andere  Bauobjecte    in  die 
Eisenbahn- Praxis  einzuführen. 

Hiebei  wurden  auch  in  -letzter  Zeit 
Versuche  mit  einer  neuen  Constructions- 
art  von  Gewölben  unternommen,  bei 
welchen  durch  Einlagen  von  Asbest- 
platten in  die  Gewölbefugen  dem  Beton- 
körper eine  erhöhte  Elasticität  verliehen 
und  dadurch  den  schädlichen  Defor- 
mationen begegnet  wurde,  welche  die 
Temperaturänderungen  und  die  wech- 
selnde Belastung  in  dem  starren  Bogen 
erzeugen. 

Die  Eisenbahnbrücken  in  Holz. 

Die  Eisenbahnbrücken  in  Holz  ge- 
hören heute  fast  nur  mehr  der  Geschichte 
an.  Ursprünglich  in  ausgedehntem  Masse 


Abb.  137.    QuerschnittS'Type  der  k.  k.  StaaUbahnen  für  Holzobjectc  bis  1*5  $n  Lichtweite. 


dagegen  sind  Stampf beto n-G e  w ö  1  b e 
von  der  Kaiser  Ferdinands-Nord- 
bahn  bei  mehreren  Bahnobjecten  bis  zu 
8  m  Spannweite  mit  Erfolg  eingeführt 
worden.    [Vgl.  Abb.  134—136.] 

Die  vorzügliche  Beschaffenheit  der 
Erzeugnisse  der  österreichischen  Cement- 
industrie  im  Allgemeinen  und  der  mähri- 
schen Fabriken  [Tlumatschau]  insbeson- 
dere, hatte  nämlich  die  Nordbahn  bereits 
im  Jahre  1889  veranlasst,  beim  Bau  von 
Localbahnen  für  die  Herstellung  der 
kleinen,  bis  1*5  nt  weiten  Durchlässe  die 
Verwendung  von  Stampfbeton  zu  bean- 
tragen, und  war  auch  hiefür  die  behörd- 
liche Genehmigung  erwirkt  worden. 

Durch  die  erzielten  günstigen  tech- 
nischen und  öconomischen  Ergebnisse 
ermuthigt,  Hess  die  genannte  Verwaltung 
später  auch  grössere  Bahnbrücken  in 
dieser  Bauweise  zur  Ausführung  bringen, 
und  Baudirector  Ast,  unterstützt  von 
Inspector  Prinz  und  Ober-Ingenieur 
v.  Kralik,  fand  namentlich  bei  den 
umfangreichen  Erweiterungsbauten  des 
Bahnhofes  Brunn  ein  weites  Feld,  die 
neue  Bauweise  mit  Stampfbeton  für  Bahn- 


erbaut, verloren  sie  mit  der  stetig  zu- 
nehmenden Benützung  des  Eisens  zu 
Brückenbauten  immer  mehr  an  Bedeu- 
tung und  da  gegenwärtig  Holzconstruc- 
tionen  als  definitive  Brücken  nur  bei 
Brücken  mit  Licht  weiten  bis  zu  1*5  vi 
[Abb.  137],  bei  grösseren  Spannweiten  je- 
doch nur  als  Provisorien  geduldet  wer- 
den, so  sind  auch  die  Tage  der  aus  alter 
Zeit  verbliebenen  Holzbrücken  bereits 
gezählt.  Das  Werden  und  Vergehen  der 
Eisenbahn  -  Holzbrücken  umspannt  daher 
nur  im  Ganzen  einen  Zeitraum  von  un- 
gefähr 50  Jahren. 

Von  der  Entwicklung  der  Eisen- 
bahnen an  blieb  Holz  neben  Stein  durch 
zehn  Jahre  im  Brückenbau  herrschend, 
bis  zu  Beginn  der  Fünfziger-Jahre  das 
Eisen  auf  den  Plan  trat  und  seine  Bahn- 
schienenträger gleichsam  als  Plänkler 
voraussendete.  Auf  den  Linien  der 
Nordbahn,  der  südlichen  und  nördlichen 
Staatsbahnen  war  bis  dahin  überall,  wo 
grössere  Wasserläufe  zu  übersetzen 
waren  oder  das  Geleise  in  geringerer 
Höhe  über  dem  Wasserspiegel  oder  dem 
Terrain  geführt  war,  der  hölzerne  Unter- 


Brückenbau. 


bau  angewendet  worden.  Auch  noch  zu 
Anfang  der  Fünfziger-Jahre  Hielt  ;nan, 
vom  Baue  der  Semmeringhahn  abge- 
sehen, allgemein  an  diesem  Princip  fest ; 
dabei  war  die  Herstellung  weitgespannter 
Brücken  im  Allgemeinen  nicht  beliebt,  son- 


Pferdebahn,  die  im  Ganzen  214  Holz- 
brücken von  114  m  bis  228  m  Spann- 
weite besass,  die  übereinander  liegenden 
Balken  der  Brückenwände  durch  einge- 
schobene Klötze,  sogenannte  Peutel- 
hölzer    oder  Knüppel    von    einander  ge- 


demeswurde  die  Th eilung  durch  zahlreiche 
Zwischenjoche    vorgezogen.     Eine    Aus-  j 
nähme    hievon   zeigte    nur    die    südliche  | 
Staatsbahnlinie  von  Graz  bis  Laibach  ' 
mit    ihren    weitgespannten    Holzbrücken.   | 

Neben  den    gezahnten    und  ver- 
dübelten Balken  als  Triiger  der  Fahr-  | 
bahn  traten  auch  andere  Trägersysteme  auf. 
So  hatte  man  bei  der  Linz-Budweiser 


trennt,  um  die  Wandliöhe  zu  vergrössern 
und  hiedurch  eine  vermehrte  Tragfähig- 
keit zu  erzielen.  Eisenbügel  hielten  dabei 
die  Tragbäume  sammt  den  Klotzen  um- 
klammert, oder  es  stellten  Schrauben  die 
feste  Verbindung  her.     [Abb.    138.] 

Dieses  specifisch  österreichische  System 
der  Klötze  Iholzbrücken  erhielt, 
ausser  auf  der  genannten  Pferde-Eisenbahn, 


278 


bei     Stassen brücken     ausgedehnte    Ver- 
wendung.    Die  ungenügende  Verbindung 
der  Tragbalken  jedoch,  welche  den  durch  ; 
die  Locomotivlast  hervorgerufenen  starken 
Scheerkräften  nicht  widerstand,  hinderte 
ihre  weitere  Verwendung  für  Eisenbahn-  ' 
zwecke,    und    selbst    die    rationelle,    den   | 
grösseren       Verkehrslasten       angepasste  ! 
Durchbildung,    die   ihnen  in  den  Sechzi-  i 
ger-Jahren  durch  Presse  1  zutheil  wurde,  1 
konnte    ihnen    nur   eine   vorübergehende  [ 
Bedeutung  sichern.     [Abb.   I39-]  i 


Donauarme  verschüttet  wurden.  [Vgl. 
Abb.  140.]  Die  grosse  Donaubrücke  er- 
hielt eine  Länge  von  429  m,  die  durch 
hölzerne  Joche  in  23  Oefiiiungen  von 
18—20»«  Weite  getheilt  war.  Jede  Oeff- 
nung  wurde  von  drei  Tragwerken  über- 
spannt, die  nach  dem  bereits  genannten 
Wiebekin^-Pechmann'schen  System  eines 
Bogenhänge Werks  ausgebildet  waren.  Die 
unleren,  mit  einer  Sprengung  versehenen 
Slreckträger  bestanden  aus  zwei  verzahnten 
Balken,  in  welche  diehölzemen  Bogenträger 


Abb.  m  b.    BrUckenfeld  d«  ebemalleen  Kali 
(N«b  dtn  Orl 

Die  erste  grosse  und  historisch  inter- 
essanteste Eisenbahnbrücke  aus  Holz  war 
jene  der  Kaiser  Ferdinands-Nord- 
bahn  über  die  Donau  bei  Wien. 
Anfangs  beabsichtigte  man  den  Ausgangs- 
punkt der  Linie  Wien  -  Brunn  nach 
Floridsdorf  zu  verlegen  und  durch  eine 
Pferdebahn  den  Anschluss  zur  Fahrt 
nach  Wien  über  die  bestehende  und  zu 
erweiternde  Donau- Strassenb rücke  [eine 
Klfttzelholzbrücke]  herzustellen.  Nach- 
dem man  sich  aber  für  den  Bau  eines 
Bahnhofes  in  Wien  entschieden  hatte, 
wurde  eine  zweigeleisige,  hölzerne  Brücke 
vom  Brückenmeister  Ueberlacher  über 
den  Hauptstrom  und  über  das  »Kaiser- 
wasser« hergestellt,  wahrend  die  anderen 


Q.J 


ihn  [ni    Gcl< 


versetzt  waren,  während  je  fünf  HängC- 
säulen  die  Verbindung  zwischen  diesfen 
Tragbalken  herstellten.  Um  das  Durch- 
fahren der  Schiffe  zu  ermöglichen,  war  die 
Tragconstructton  eines  mittleren  Brücken- 
feldes  der  Länge  nach  getheilt  und  nicht 
in  Verbindung  mit  den  übrigen  Trägem 
gebracht,  so  dass  jeder  Theil  für  sich 
3-2  tn  hoch  gehoben  werden  konnte. 
Zu  den  grössten  Holzbriicken  der  ersten 
Locomotiv-Eisenbahn  zählte  auch  jene 
über  das  Kaiserwasser  mit  154  m 
Länge  und  17  in  weiten  Brückenöffnun- 
gen [Abb.  141a  und  141b],  die  March- 
brückeaufdem  Flügel  Gänserndorf- 
Marchegg  mit  einer  Länge  von 
4-75  tu    mit    l$2  VI  weiten  Oeffnungen, 


.^^-' '  "»v '^^^s**^-  *<'/^7>  "^ 


n  dei  Quatbrtlcke  dei 


endlich  die  insgesammt  673  m  langen 
Brücken  im  Ueberschwemmungs- Gebiete 
der  Thaya  zwischen  Hohen  au  und 
Lundenburg,  die  zum  Theil  auf  Stein- 
pfeilern, zum  Theil  auf  hölzernen  Jochen 
aufruhen. 

Auch  die  complicirteren,  im  Strassen- 
bau  bewährten  Holzbrilc kenformen  fanden 
im  Eisenbahnbau  rasch  Eingang.  So 
treffen  wir  in  den  Vierziger-Jahren  auf 
den  nördlichen  Staatsbahntinien  bei 
C hetzen  über  die  Adler  das  Hänge- 
und  Spreng  werk  und  auf  den  südlichen 
Staatsbahnen  wiederholt  den  H  o  w  e- 
schen  Träger,  der  Weiten  von  40 — 701« 
überspannt.  Es  war  dies  ein  aus  Amerika 
eingefilhrter  hölzerner  Gitterträger,  bei 
weichem  der  obere  und  untere  Gurt 
durch  sich  kreuzende,  geneigte,  hölzerne 
Streben  und  durch  verticale  Rundeisen- 
stäbe verbunden  war.  Durch  Anziehen 
von  Schraubenmuttern  wurde  in  den  eiser- 
nen Stangen  ein  Zug,  in  den  Streben 
eine  künstliche  Druckspannung  erzeugt. 
Die      Brücke     (Iber     den     S  u  I  ni  f  1  u  s  s 


auf  der  Graz-Laibacher  Strecke,  die 
Draubrücke  bei  Marburg,  die  Mur- 
brücke bei  Peggau,  die  Brücke  über  die 
Sau  bei  Cilli  und  jene  über  das  Lai- 
bacher Moor  zeigten  diese  beliebte  ameri- 
kanische Trägertype.*) 

Von  der  Mitte  der  Fünfziger-Jahre  an 
tritt  das  Holz  bei  den  Brücken  der  Haupt- 
bahnen immer  mehr  zurück.  Man  hatte 
mit  den  Jochbrücken,  welche  das  Fluss- 
profil durch  die  gedrängte  Stellung  der 
Mittelstützen  schmälern,  manche  unange- 
nehme Erfahrung  gemacht  und  die  leicht 
herzustellenden  eisernen  N  e ville-  und 
Schifkornbrilcken  wurden  als  eine  will- 
kommene Neuerung  begrüsst.  Auch  hatte 
der  Verein  Deutscher  Eisenbahn-Verwal- 
tungen im  Jahre  iSjöin  seinen  Grundzügen 
zur  Gestaltung  der  Eisenbahnen  die  Holz- 
brUcken  nicht  als  gleichwerthig  mit  den 
Eisen-  und  Steinbrücken  erklärt  und 
gegen  ihre  Verwendung  zu  definitiven 
Bahnobjecten  Stellung  genommen. 


•j  Vgl.  Abb.  2J4,  Bd.  I,  i.  Theil. 


Z  iin^en  schnitt. 


28o 


Josef  ZuflFer. 


Erst  an  der  Wende  der  Siebziger- 
Jahre  trat  wieder  ein  Umschwung  zu 
Gunsten  der  Holzbrücken  ein,  als  die  Re- 
gierung, um  den  stockenden  Unterneh- 
mungsgeist aufzumuntern,  den  Eisenbahn - 
Unternehmungen  verschiedene  Erleichte- 
rungen bezüglich  des  Baues  gewährte  und 
deren  Verwendung  in  einzelnen  Strecken 
zugestand.  So  erhielt  die  Kaiser  Franz 
Josef-Bahn,  die  Kronprinz  Rudolf- 
Bahn,  die  Mährisch-Schlesische 
Centralbahn  und  die  Ungarische 
Westbahn  gerade  bei  grösseren  Spann- 
weiten Holzbrücken,  deren  Tragwerk 
aus  Balken  oder  auch  aus  Hänge-  und 
Sprengwerken  bestand.  Der  Donaustrom 
bei  Tulln*)  erhielt  eine  40  m  lange  Hänge- 
werksbrücke, die  allerdings  blos  der  Platz- 
halter war  für  eine  gleich  darnach  ein- 
geführte Eisenbrücke,  während  die  an- 
schliessende 64  m  weite  hölzerne  Fluth- 
brücke,  erst  in  der  jüngsten  Zeit  gegen  eine 
Eisenconstruction  ausgewechselt  wurde. 
Die  Hängewerksbrücken  über  den  Kamp- 
fluss  auf  der  Linie  Absdorf  Krems,  die 
zahlreichen  Holzbrücken  in  den  Linien 
Gmtind-Eger  und  Gmünd-Prag  mit  Licht- 
weiten bis  zu  60  m  und  90  vt  und  viele 
andere  dieser  Zeit  blieben  ebenfalls  durch 
Jahre  in  Benützung;  dagegen  hatten  die 
von  der  Staatseisenbahn-Gesell- 
schaft auf  der  Linie  Wien-S tadlau- 
Abb.  143]  und  die  von  der  Nordwest- 
3  a  h  n  [Abb,  142]  ausgeführten  Holz- 
brücken gleich  von  Anfang  an  den  Cha- 
rakter von  Provisorien,  die  man  bald 
gegen  eiserne  Brücken  austauschte. 

Nach  diesem  Zeitabschnitt  verlor  die 
Holzbrücke  vollständig  an  Bedeutung 
und  konnte  nur  auf  den  Localbahnen, 
deren  Rentabilität  und  deren  wirthschaft- 
licher  Bestand  überhaupt  möglichst  ge- 
ringe Anlagekosten  zur  Voraussetzung 
hatte,  ihre  Existenzberechtigung  behaup- 
ten. Schon  um  die  Mitte  der  Siebziger- 
Jahre  war  aus  diesem  Grunde  Pontzen 
für  die  Herstellung  von  Holzbrücken  auf 
den  Nebenbahnen  eingetreten  und  dieser 
Gesichtspunkt  war  auch  bei  den  Bauten 
der  Bukowinaer  und  Kolomeaer 
Local-  und  Schleppbahnen  mass- 
gebend, welche  theils  den  ungeheuren  Holz- 


*)  Vgl.  Abb.  8,  Bd.  I,  2.  Theil. 


reichthum  der  Karpathenwälder  zu  Thal 
bringen,  theils  der  Petroleum -Industrie 
zugute  kommen  sollten  und  ohne  jene 
Begünstigung  nicht  lebensfähig  gewesen 
wären.  Ebenso  erhielten  die  Ende  der 
Achtziger-Jahre  erbaute  Linie  Debica- 
Rozwadöw  und  die  bald  darnach  aus- 
geführte Localbahn  Laibach  -  Stein 
meist  hölzerne  Jochbrücken  mit  Wider- 
lagern aus  Stein,  wie  auch  gegenwärtig 
die  Linie  Nepolokoutz-Wiinitz  der 
Bukowinaer  Landesbahnen  mit  Holz- 
brücken ausgerüstet  wird. 

Diese  Holzconstructionen  bilden  oft 
ganz  imposante  Bauten.  So  wird  der 
Pruth  auf  der  Kolomeaer  Localbahn 
mit  166  ffty  in  der  Strecke  Nepolokoutz- 
W^iänitz  mit  407  fn  Länge,  die  Su- 
czawa  auf  der  Localbahn  Hadikfalva- 
Radautz  mit  einer  Brücke  von  254  vi 
Länge,  auf  der  Localbahn  Hatna-Kim- 
p  o  1  u  n  g  in  einer  Weite  von  296  tn  über- 
schritten und  die  Savebrücke  in  der 
Strecke  Laibach-Stein  misst  162  m. 

Bereits  in  den  Sechziger-Jahren  be- 
gannen die  ältesten  Bahnen,  wie  die  Nord- 
bahn, die  Südbahn  und  die  Staats- 
eisenbahn-Gesellschaft ihre  Holz- 
brücken gegen  Eisenconstructionen  aus- 
zuwechseln. Ihnen  folgten  zu  Ende  der 
Siebziger -Jahre  die  Kaiser  Franz 
Josef-,  die  Kronprinz  Rudolf- 
Bahn  u.  a.,  so  dass  heute  die  Holzbrücken 
auf  den  Hauptbahn-Strecken  nur  mehr 
vereinzelt  angetroffen  werden. 

Haben  daher  die  Holzbrücken  als 
Bahnobjecte  auf  Hauptlinien  ihre  Rolle 
ausser  bei  ganz  kleinen  Oeffnungen  aus- 
gespielt, so  bleibt  ihnen  doch  für  Eisen- 
bahn-Provisorien, für  Lehr-  und  Mon- 
tirungsgerüste  bei  Stein-  und  Eisen- 
brücken, ferner  als  Schüttgerüste  bei 
grossen  Dammbauten  und  als  Transport- 
gerüste eine  wohl  beschränktere,  aber 
trotzdem  doch  wichtige  Aufgabe  zuge- 
wiesen. 

Der  Rückgang  in  der  Bedeutung 
der  Holzbauten  für  Eisenbahnen  hat 
nicht  gehindert,  der  Ausbildung  ihrer 
Constructionen  entsprechende  Aufmerk- 
samkeit zu  widmen.  Die  Fortschritte  in 
der  Brückentheorie  kommen  den  Holz- 
constructionen ebenso  zugute,  wie  die 
praktischen  Versuche,    welche    das  Ver- 


Brückenbau. 


halten  des  Materials  sowie,  die  Wirk- 
samkeit der  Schrauben,  Zähne  und  Dübel 
in  das  richtige  Licht  stellen.  Die  für  die 
Praxis  sich  ergebenden  Resultate  der 
theoretischen  und  praktischen  Unter- 
suchungen haben  auch  in  den  behörd- 
lichen Vorschriften  ihren  Ausdruck  ge- 
funden, indem  das  k.  k.  Handelsmini- 
sterium in  der  Verordnung  vom  31,  Juli 
1892  Bestimmungen  erliess,    welche   die 


I  dem  Bau  der  ersten  Kettenbrücke  und 
j  einer  eisernen  Böge  n  hänge  werk  s- Brücke 
I  für  den  Strassenverkehr  den  andern 
Ländern  des  Continentes  vorangegangen. 
Wenn  nun  auch  der  Kunst  des  Baues 
eiserner  Brücken,  diesem  jüngsten  Sprossen 
der  Technik,  die  berechtigtsten  Erwartun- 
gen hinsichtlich  deren  Weiterentwicklung 
entgegengebracht  wurden  und  frühzeitig 
das    Bestreben    nacli    Verwendung     der 


AbB.  144.    SchlfkornbrUcke.    [KUbawa-VUdui:! 

Brücken  Verordnung  vom  Jahre  1887 
hinsichtlich  der  praktischen  Ausführung 
der  Holzbrücken  und  bezüglich  der  zu- ' 
lässigen  Inanspruchnahme  des  Materials 
ergänzen.  | 

Die  Brücken  in  Eisen. 

Bei  dem  Auftreten  der   ersten  Eisen-  I 

bahnen    hatte    Oesterreich,    wie    bereits  , 
angedeutet,     seinen     guten     Antheil     an 

dem    grossen     technischen    Fortschritte,  ' 

welche    die   Einführung    des    Eisens    im  1 
Brückenbau  bedeutet.    War  es  doch  mit 


Systeme  der  eisernen  Strassen  brücken  für 
Eisenbahnzwecke  hervortrat,  so  dauerte 
es  doch  ein  Jahrzehnt,  bevor  man  es  in 
Oesterreich  unternahm,  dem  Eisen  die 
Last  der  schweren  Locomotiven  anzuver- 

Damit  erstand  aber  auf  dem  Gebiete 
des  Bahn-  und  Brückenbaues  zu  Beginn 
der  Fünfziger-Jahre  dem  Steine  und  Holze 
ein  anfangs  wohl  nur  schüchterner  Rivale, 
der  jedoch  bald  zu  ungeahnter  Bedeutung 
gelangte.  Im  Jahre  1854  verzeichnen 
die  Ausweise  der  General-Inspection  der 
österreichischen    Eisenbahnen    bei     einer 


282 


Josef  Zuffer. 


Bahnlänge  von  2140  hn  erst  250  Tonnen 
Eisen  für  Brückenzwecke,  d.  i.  pro  Kilo- 
meter 125  A?^,  im  Jahre  1860  war  das 
auf  ein  Kilometer  entfallende  Eisen- 
gewicht der  Brücken  schon  auf  2600  kff, 
zehn  Jahre  später  auf  6200  kg  und  im 
Jahre  1875  bereits  auf  88cx3  kg  gestiegen. 

In  der  ersten  Zeit  erschien  die 
eiserne  Bahnbrücke  in  den  einfachsten 
Formen.  Eine  Schiene  wurde  zum  Träger, 
indem  sie  mit  der  Fahrschiene  auf  den 
Fussflächen  zusammengelegt  und  ver- 
nietet wurde.  Zur  Erzielung  eines  grösseren 
Tragvermögens  aber  bog  man  die  untere 
Schiene  in  der  Mitte  durch  und  verband 
sie  mit  der  Fahrschiene  durch  eiserne 
Zwischenstücke  zu  einem  Fischbauch- 
träger. Solche  Schienenconstruc- 
t  i  o  n  e  n,  welche  manchmal  für  sich  eine 
Brücke  bildeten,  auf  die  erst  das  Geleise, 
die  Schwellen  mit  den  Schienen,  auf- 
gebracht wurde,  finden  wir  zuerst  im 
Jahre  1847  bei  einem  Objecte  über  die 
Bezirksstrasse  bei  Cilli  auf  der  Südbahn, 
dann  auf  den  Linien  der  Oester- 
reichisch- Ungarischen  Staats- 
eisenbahn und  später  bis  in  die  Sieb- 
ziger-Jahre allgemein  verbreitet.  Manche 
Bahnen  verwendeten  auch  bereits  eigens 
gewalzte  Träger,  die  als  einfache  Trag- 
balken zur  Stütze  der  Schienen  des  Ge- 
leises bis  zu  5  ni  Weite  dienten,  und  zu 
Ende  der  Fünfziger-Jahre  traten  im  Ge- 
folge der  fortschreitenden  Walztechnik 
neben  den  genannten  Walzträgern  die  ge- 
nieteten Blech  träger  auf,  welche  aus 
Stehblecl),  vier  Winkeleisen,  Kopf-  und 
Fussblech  bestanden  und  durch  eiserne 
Querriegeln  zu  einer  Tragconstruction 
verbunden  wurden.  Solche  Blechträirer 
waren  durch  entsprechend  kräftige  Dimen- 
sionen schon  im  Stande,  Weiten  bis  zu 
ig  m  zu  überbrücken  und  sind  bis  heute 
im  Allgemeinen  die  normale  Constructions- 
type  für  Brücken  bis  zu  20  m  Spannweite 
geblieben.  Schon  in  der  ersten  Zeit  ihres 
Auftretens  wurden  die  Blechträjrer-Con- 
structionen  bei  etwas  grösserer  Weite 
durch  Windkreuze  abgestreift. 

Um  einen  widerstandsfähigen  Quer- 
schnitt bei  gering  verfügbarer  Construc- 
tionshöhe  [das  ist  die  Entfernung  zwi- 
schen dem  Fusse  der  Fahrschiene  und 
der    Unterkante    der    Brückenträger]    zu 


erzielen,  wurden  die  Kastenträger 
eingeführt,  bei  denen  zwei  verticale 
Stehbleche  und  die  entsprechend  breiten 
horizontalen  Kopf-  und  Fussbleche,  durch 
Winkeleisen  und  Nieten  zu  einem  steifen 
Kasten  verbunden  sind,  Träger,  die  zuerst 
durch  Stephenson  beim  Uebergang  vom 
Guss-  zum  Walzeisen  verwendet  worden 
waren. 

Bis  in  die  Sechziger-Jahre  lagerte  man 
allgemein  das  Geleise  oberhalb  der  Blech- 
trägerconstruction  und  zwar  derart,  dass 
die  Schiene  entweder  unmittelbar  auf  dem 
Träger  oder  durch  Vermittlung  elastischer 
Querschwellen,  also  die  Fahrbahn  »obent 
aufruhte.  Wo  aber  die  grössere  Licht- 
weite eine  bedeutendere  Trägerhöhe  bei 
gleichzeitig  geringer  Constructionshöhe 
erforderte,  war  die  Lagerung  der  Fahrbahn 
»oben«  ausgeschlossen  und  musste  das 
Geleise  zwischen  die  beiden  Träger  »ver- 
senkt« oder  die  »Fahrbahn  unten« 
angeordnet  werden.  Diese  Aenderungen 
in  der  Lage  der  Fahrbahn  schufen  manche 
constructive Schwierigkeiten.  Hornbostel 
hatte  sich  noch  in  primitiver  Weise 
auf  der  Kaiserin  Elisabeth-Bahn  damit 
geholfen,  dass  er  die  Wandbleche  der 
Träger  fensterartig  durchbrach,  um  die 
Querschwellen  durchzustecken,  denen  an 
die  Blechwände  genietete  Winkelstutzen 
als  Auflager  dienten.  Im  Allgemeinen  Hess 
aber  der  Mangel  an  geeigneten  Typen 
nur  ungern  von  der  einfachen  Anordnung 
oben  liegender  Fahrbahn  abweichen.  Erst 
P  r  e  s  s  e  1  führte  um  die  Mitte  der  Sechziger- 
Jahre  gut  durchgebildete  Typen  mit  ver- 
senkter Fahrbahn  bei  kleineren  Licht- 
weiten und  mit  unten  liegender  Fahr- 
bahn bei  grösseren  ein,  wobei  natürlich 
die  Blech  wände  der  Forderung  des  Licht- 
raumprotiles  für  die  Fahrzeuge  gemäss, 
'entsprechend  auseinanderrücken  mussten. 

Auf  der  Lemberg-Czernowitzer 
Bahn  wurden  zuerst  die  Blechträger- 
Typen  noch  durch  die  Einführung  der 
Zwillingsträger  bereichert,  bei  denen 
für  jeden  Schienenstrang  zwei  symmetrisch 
gestellte,  nahe  aneinandergerückte  Blech- 
träger angeordnet  sind,  welche  die  Schiene 
zwischen  sich  auf  einer  kurzen  Quer- 
verbindung tragen. 

Bis  in  die  Siebziger-Jahre  wurden  die 
Schienen    auf    den    Blechbrücken    derart 


283 


Abb.  145.     ElbsbrDcke  b«t  Teltchen  nacb  der  Rei 
Pholo)[ta[tble  toi 

angebracht,  dass  sie  entweder  auf  den 
Haiiptträgern  selbst  oder  auf  eisernen 
Querträgern,  die  zwischen  diesen  ange- 
bracht waren,  oder  endlich  auf  der  ge- 
nannten Querverbindung  der  Zwillings- 
träger mittels  eisernen  Keilplatten  auf- 
ruhten. 

Die  Vortheile,  welche  ein  elastisches 
Zwischen  mittel  bietet,  führten  später 
zur  Verwendung  von  Holzschwellen, 
die  entweder  als  Querschwellen  oder 
als  Langsehwellen  die  Schiene  auf- 
nahmen. 

Waren  mit  diesen  Typen  auch  die 
Constructionen  gerader  Blechträger  er- 
schöpft, so  blieb  seither  der  weiteren 
Durchbildung  der  Hauptträger,  der  Stoss- 
deckung,  der  Querverbindung,  der  An- 
ordnung der  Auflager  und  der  Ueber- 
liöhung  ein  weites  Feld  eröffnet.  Die 
complicirten  Lagerstähle  der  alten  Schie- 
nenträger und  der  alten  Blechbrüeken 
sind  heute  durch  einfache  Lagerplatten 
ersetzt,  die  in  den  Auflagsquadern  ver- 
senkt werden  und  eine  Cement-,  Mörlel- 
oder  Bleiunterlage  erhalten.  Die  Aufgabe 
der  anfangs  am  Untergurt  angebrachten 
Backen,  die  sich  mittels  Balken  gegen 
die  Widerlager  stemmten,  um  der  Con- 
slruction  im  starken  Gefälle  einen  Halt 
zu  bieten,  übernehmen  heute  einfache 
Vorsprilnge  der  Unterlagsplatte,  die  als 
I  bezeichnet  werden. 


.     [Blibml 

p«e,] 


Naidbahn.]    [Nach  e 


Die  Ausbildung,  welche  die  Blech- 
träger im  Laufe  der  Zeit  erfahren  haben, 
die  Vortheile,  die  in  der  einfachen  Mon- 
tirung  und  der  erleichterten  Erhaltung 
liegen,  die  Fortschritte  der  Technik,  die 
das  Walzen  grosser  und  homogener  Plat- 
ten ermöghchen,  geben  heute  dieser  Con- 
structionstype  in  Oesterreich  wieder  eine 
grössere  Bedeutung,  und  lassen  ihre  An- 
wendung auch  bei  grossen  Spannweiten 
angezeigt  erscheinen.  Hatte  man  sie  schon 
vor  30  Jahren,  wie  gesagt,  bis  zu  Spann- 
weiten von  19  Hl  verwendet,  so  pflegte 
man  sie  später  wieder  auf  kleinere  Oeff- 
nungen  einzuschränken  und  in  dem  über- 
mässigen Streben  nach  Materialersparnis, 
welche  die  Gitterbrücken  gegenüber  den 
Blechbrüeken  zuliessen,  Objecte  von  12, 
ja  sogar  von  6  m  Lichtweite  mit  ge- 
gitterten Trägern  zu  versehen.  In  jüng- 
ster Zeit  jedoch,  wo  dieser  Vorzug 
der  Materialersparnis  auch  gegen  die 
sonstigen  Vortheile  richtig  abgewogen 
wird,  finden  die  Blechbrücken  auch  (Or 
grosse  Spannweiten  Aufnahme.  Auf  der 
Wiener  Stadtbahn  sind  Blechbrücken  bis 
zu  27  m  Stützweite  zur  Anwendung 
gekommen,  eine  Massregel,  die  gewiss 
Nachahmung  finden  wird. 

Die  Bedeutung,  welche  die  Blech- 
brüeken im  Laufe  der  Zeit  erlangt 
haben,  möge  die  Thatsache  illustriren, 
dass    heute    in  Oesterreich    über    10.000 


284 


Eisenba  lin-Objecte  mit  Blechträgern  aus- 
gestattet sind. 

Bevor  aber  noch  die  einfachen,  eisernen 
Balken,  die  verschiedenen  gewalzten  und 
genieteten    Blechträger  zu  Bahnzwecken 
verwendet    wurden,    dachte    man    schon 
daran,  an  die  Erfolge  im  Ban  der  eiser- 
nen    Strassenbrücken     anzuknüpfen     und 
die  Idee  der  Hängewer ke,  die  damals 
als    interessanteste    technische  Neuerung 
ihren     Einzug    in     Oesterreich     gehalten 
hatte,  für  den  Eisenbahnbau  auszunützen. 
Bereits  im  Jahre  1843  hatte  Francesconi 
eine    Hängebrücke    über    die  Donau    bei 
Floridsdorf  für    die  Nordbahn    projectirt. 
Die    Ausführung    dieses     Frojectes    war 
zwar     zurückgestellt    worden     aber    die 
Frage    der   Ver- 
wendung        der 
Kettenbrücke  für 
die       Eisenbahn 
verschwand  nicht 
mehr     von     der 
Bildfläche. 

Die  verschie- 
densten Vor- 
schläge tauchten 
auf,  um  den  bei 
Kettenbrücken 
beklagten  Man- 
gel an  Steifigkeit 
zu  beheben,  der 
sie  für  die  sichere 
Führung    der    schw 

nicht     empfehlenswerth     machte.       Man 
hoffte    durch    Krümmung    der    Fahrbahn 
nach     unten,    durch    ihre    Verbreiterung,   I 
durch     die    Versteifung     mittels    hohler  j 
Bleclirohre,      durch      Verflachung      der  ' 
Kettenlinie      sowie      durch     Anwendung  ' 
von    Spann-     und    Gegenketten     behnfs  1 
Fixirung  der  eigentlichen  Tragkette,  dem 
genannten     Hauptmangel,     der    geringen   1 
Steifigkeit  der  Brücke,  zu  begegnen.   Ein   1 
von  Martin  R  i  en  e r  verfasstes  ProjecE einer  , 
Eisenbahnbrücke,  deren  Tragketten  durch  ' 
Spannketten  versteift  waren,  welche  von  1 
einer  Centralverankerung  im  Mauerwerk 
ausgehen  sollten,  gab  dem  österreichischen 
Ministerium    im  Jahre    1856  Anlass,  den  I 
Verein  DeutscherEisenbahn- Verwaltungen 
zu  einem  Gutachten  über  diese  wichtige  1 
Ajigelegenheit   und    die  vorgelegte  Con- 
struction    anzuregen.      Die    Vortheüe   der 


Eisen  bah  nzüge 


inzwischen   in  Deutschland   bereits  mehr 
bekannt       gewordenen      GliederbrUcken 
Hessen     jedoch     trotz    der    verbesserten 
Construction   der   Hängebrücke   die   Be- 
denken gegen  dieses  System  nicht  schwin- 
den und    führten  zu    einem    ziemlich  un- 
günstigen Urtheil.   Als  es  aber  Schnirch 
gelang,     die    gesuchte     Versteifung    der 
Hängebrücke  durch  Ausbildung  der  Kette 
als  gegliederten  Träger,  also  durch  Ver- 
steifung der  Kette    selbst,    zu    erzielen, 
wurde    im    Jahre    1 860     der     Wiener 
Donaucanal    im    Zuge    der    Wiener- 
Verbindungsbahn  mit  einer  solchen  Con- 
struction überbrückt.  Den  vielen  gerecht- 
fertigten   Bedenken,    welchen  diese  Bau- 
art begegnete   [so  u.  a.  auch  bei  Etzel], 
hat    die   Brücke 
mehr  als  20  Jahre 
getrotzt,bi8sieim 
Jahre  1884  durch 
eine        moderne 

Bogen  brücke 
nach  Plänen  der 
Ingenieure  Bat- 
t  i  g    und    P  o  d- 
hajsky    ersetzt 
werden  musste.*) 
Das  interessante 
Experiment  einer 
Eisenbahn  -  Kei- 
ne bei  Kaittnreith.  tcubrücke       war 
somit    wohl   ge- 
lungen,   aber    die   Unsicherheit,    die  das 
mit    der    Zeit    immer    mehr    gesteigerte 
Schlottern    und    Schwanken    der    Brücke 
und     die     frühzeitige     Abnützung    ihrer 
Tbeüe  in  sie  hinein  trug,  die  erhöhte  Last- 
wirkung   infolge  der  Nachgiebigkeit  und 
Beweglichkeit  der  Construction,    lud    bei 
den    raschen    Fortschritten   im   Bau   der 
Gliederbrücken  z  u  keiner  Wiederholung  ein , 
Unterdessen    waren    nämlich    in     der 
Mitte     der    Vierziger-Jahre     die     ersten 
eisernen  Gitterbrücken  erstanden, 
welche  auch  bald  in  Oesterreich  ihren  Ein- 
gang fanden.  Die  praktischen  Erfahrungen 
mit  den  alten  gegitterten  HolzbrUcken  von 
Long,  Howe  undTown  hatten  schon 
einen   Einblick  in   das  Kräftespiel  dieser 

•)  Vgl.  Bd.  I,  I.  Theil,  H.  Strach,  Ge- 
schichte der  Eisenbahnen  Oesterreich- 
Ungarns  von  den  ersten  Anfangen  bis  1867, 
S.  306  und  tf. 


285 


Träger  eröffnet  und  die  späteren  Ver- 
suche in  England  mit  Blechträgem,  führ- 
ten eine  weitere  Klärung  herbei.  Man 
hatte  erkannt,  dass  neben  den  durch- 
biegenden Kräften,  welche  die  Be- 
lastung hervorruft  und  die  sich  in  Span- 
nungen des  obem  und  untern  Gurts 
umsetzen,  auch  verticale,  scheerende 
Kräfte  auftreten,  die,  statt  von  einer 
vollen  Wand,  rationeller  von  entsprechend 
angeordneten  und  ausgebildeten  Gliedern 
übernommen  werden  können. 

Der    Belgier    Neville    hatte    einen 
Brückenträger    erbaut,    der  ein  einfaches 
Dreiecksystem  von  Wandgliedern  zeigte. 
Der  Obergiirt,  der  stets  blossen  Druckspan- 
nungen ausgesetzt  ist,  bestand  aus  Guss- 
eisenbarren,   die    von  Knoten  zu  Knoten 
reichten,      zwi- 
schen  sich    die 
schmiedeeiser- 
nen,   im   Quer- 
schnitt      recht- 
eckigen  Gitter- 
Stäbe  fassl  en  und 
durch  schmiede- 
eiserne    Flach-   ■ 
laschen   zusam- 
men      gehalten 

waren.   Der  Un-  Abb.  147.    GltterbrUcke  u 

tergurt,  welcher 

Zugspannungen  zu  widerstehen  hat,  be- 
stand in  seiner  Hauptsache  aus  schmiede- 
eisernen Flachschienen.  Die  äusserst 
mangelhafte  Verbindung  der  Trägertbeile 
in  den  Knotenpunkten  Hess  diesen  Trägern 
gleich  von  Anfang  mit  Misstrauen  be- 
gegnen. Nachdem  aber  die  Probeversuche 
der  Kaiser  Ferdinands-Nordbahn 
im  Jahre  1851  mit  Probeobjecten  von 
20  »1  Spannweite  am  Eisenbahndamm 
zwischen  beiden  Donaubrücken  ein  gutes 
Ergebnis  geliefert  hatte  und  die  Con- 
struction  sich  mit  Rücksicht  auf  die 
relativ  geringe  Menge  des  verwendeten 
Eisens  auch  als  Öconomisch  erwies,  so 
begann  die  Nordbahn  ihre  grossen  hftl- 
zernen  Brücken  gegen  diese  Trägertypen 
auszutauschen.  Der  Befi  wabrüc  ke  bei 
Prerau,  die  fünf  Oeffnungen  zu  20  m 
Lichtweite  besass,  folgten  bald  43  Brücken- 
öffnungen zwischen  N'apagedl  und  Mäh- 
risch-Ostrau,  welche  mit  Nevilleträgern 
ausgestattet  wurden.     Bei  der  Verschieb- 


barkeit der  Glieder  infolge  der  mangel- 
haften Knoten  Verbindung  und  bei  der 
ungünstigen  Materialvertheilung  konnte 
dieses  System  sich  gegenüber  neu  auf- 
tretenden besseren  Constructionen  jedoch 
nicht  lange  behaupten.  Nach  etwa  zehn 
Jahren  stellte  dieNordbahn,  über  die  hinaus 
das  System  wenig  Verbreitung  gefunden 
hatte,  den  Bau  der  N'e  vi  liebrücken  ein, 
die  zu  Ende  der  Sechziger-  und  zu  An- 
fang der  Siebziger-Jahre  vollständig  ver- 
schwanden, da  sie  durch  Parallel-  und 
Fi  seh  bauch  träger  ersetzt  wurden. 

Im  Jahre  1853  war  Schifkorn  in 
Oesterreich  mit  einer  neuen,  gut  durch- 
dachten Brückencon  struction  hervorge- 
treten, in  welcher  er  den  bereits  ge- 
nannten hölzernen  Ho we 'sehen  Träger 
ganz    in    Eisen 

durchbildete. 
[Vgl.  Abb.  1 44-] 
Die  Theile,  wel- 
che Druckbean- 
spruchungen 
ausgesetzt  sind, 
also  der  Ober- 
gurt und  die 
geneigten  Stre- 
ben, in  welch 
«e^Eti^ane  Z"""'^''''*  letzteren    durch 

die  verticalen 
Spannstangen  stets  künstlich  ein  Ueber- 
dnick  erzeugt  wurde,  stellte  er  aus  Guss- 
eisen her,  während  er  für  den  gezogenen 
Untergurt  schmiedeeiserne  Flachschienen, 
desgleichen  fUrdieSpaimstangenSchmiede- 
eisen  nahm.  Den  Obergurt  setzte  Schif- 
korn aus  einzelnen  von  Knoten  zu  Kno- 
ten reichenden  Stücken  zusammen,  die 
mittels  durchlaufender,  an  den  End- 
standem angespannter  Längsschienen  zu- 
sammengehalten wurden.  Auch  die  Stre- 
ben waren  aus  einzelnen  Stücken  zu- 
sammengesetzt, so  dass  sie  bei  hohen 
Trägern  und  mehrfachem  Netzwerk  bis 
aus  vier  Theilen  bestanden,  die  durch  zwei 
schmiedeeiserne  Bänder  fixirt  waren.  Die 
Hauptträger  jeder  Brücke  bildeten  zwei  bis 
vier  nebeneinander  gestellte,  mit  einander 
verbundene  und  gleich  construirte  Wände.*) 
Das  Schifkom'sche  BrQckensystem 
wurde  bei    seinem  Erscheinen    geradezu 

•;  Vgl.  Abb.  378,  Bd.  I,  I.  Theii. 


286 


Josef  Z  Ulf  er. 


enthusiastisch  begrüsst.  Man  rühmte  den 
Vortheil  dieser  Brücken,  die  im  Gegen- 
satz zu  den  damals  auftauchenden  Gitter- 
brücken »keiner  Nieten  bedürfen  und  bei  de- 
nen das  Holz,  das  Schmiede-  und  Gusseisen 
ihrer  Wirkungsweise  entsprechend  seien«  ! 

Es  fehlte  nicht  an  Gegnern,  unter 
denen  Hornb  ostel  und  Pressel  in  erster 
Reihe  standen,  welche  den  an  dieses 
System  geknüpften,  hochgespannten  Er- 
wartungen eine  sehr  kühle  sachliche 
Kritik  gegenüberstellten.  Bot  doch  die 
Construction  so  viele  Angriffspunkte! 
Die  Zusammensetzung  der  Träger  aus 
vielen  Theilen  und  deren  mangelhafte 
Verbindung,  die  allerdings  jene  der 
Nevilleträger  hoch  überragte,  die  Un- 
bestimmtheit, die  durch  die  künstlichen 
Spannungen  in  die  Wirkungsweise  der 
Glieder  hineingetragen  wurde,  die  Ver- 
wendung des  un verlässlichen  Gusseisens 
und  dessen  Combination  mit  Schmiede- 
eisen, also  die  Verbindung  von  Mate- 
rialien mit  ungleichen  Elasticitäts- Verhält- 
nissen, bedeuteten  ebenso  viele  schwache 
Seiten  dieser  neuen  Trägertj^pe. 

Im  Jahre  1858  Heferte  das  Werk 
Z  ö  p  t  a  u  für  die  Ueberbrückung  der  I  s  e  r 
bei  Rakaus  im  Zuge  der  Süd -nord- 
deutschen Verbindungsbahn  die 
erste  Schifkornbrücke,  welche  sieben 
Oeifnungen  zu  24  m  besass.*)  Bald  folgte 
die  Carl  Ludwig-Bahn,  die  Böhmi- 
sche Westbahn  mit  Brücken  bis  zu 
38  m  Weite,  die  Turnau-Kraluper 
Bahn,  die  Böhmische  Nordbahn 
und  die  Lemberg-Czernowitzer  Bahn 
mit  Weiten  bis  zu  57  m.  Eben  waren  noch 
andere  Bahnen  im  Begriff,  diese  Brücken 
einzuführen,  ja  selbst  Unterhandlungen 
mit  England  und  Amerika  waren  im  Zuge, 
um  das  System  auch  dorthin  zu  ver- 
pflanzen, als  die  Brückenkatastrophe  bei 
Czernowitz,  wo  am  4,  März  1868  ein 
57  m  weites  Brückenfeld  der  Pruthbrücke 
unter  einem  gemischten  Zug  zusammen- 
brach, dem  Siegeslauf  der  Schifkornbrücke 
und  der  Verwendung  von  Gusseisen  zu 
Träger-Hauptbestandtheilen  von  Eisen- 
bahnbrücken ein  jähes  Ende  bereitete.**) 

An  150  Eisenbahnbrücken  dieses 
Systems  waren  in  Oesterreich  aufgestellt 

*)  Vgl.  Abb.  366,  Bd.  T,  2.  Theil. 
**;  Vgl.  Abb.  378,  Bd.  I,  2.  Theil. 


worden,  die  nun  in  rascher  Folge  durch 
die  inzwischen  anerkannten  genieteten 
Fachwerksbrücken  ersetzt  wurden,  so 
dass  heute  mit  Ausnahme  eines  einzigen 
Beispieles  auf  einer  blos  der  Schlacken- 
beförderung dienenden  Schleppbahn  [bei 
Trzynietz]  keine  derartige  Construction 
als  Bahnbrücke  mehr  in  Benützung  steht. 
Im  Jahre  1894  war  die  letzte  Schifkorn- 
brücke im  Zuge  einer  Eisenbahn,  die  Elbe- 
brücke  der  Böhmischen  Nordbahn 
bei  Tetschen,  durch  eine  moderne  Con- 
struction ersetzt  und  mit  ihr  die  zweite 
Brückentype,  welche  gemischtes  Material 
verwendete,  zu  Grabe  getragen  worden. 
[Abb.   145.] 

Während  in  den  Fünfziger-  und 
Sechziger-Jahren  im  Norden  und  Osten 
Oesterreichs,  in  Böhmen,  Galizien  und 
der  Bukowina  nebst  den  Nevillebrücken, 
vornehmlich  die  Schifkornbrücken  in 
Verwendung  kamen,  also  gemischte 
Systeme,  w^elche  Gusseisen  für  gedrückte 
und  Schmiedeeisen  für  gezogene  Theile 
verwendeten,  wurden  um  die  Wende 
des  sechsten  Jahrzehntes  auf  den  süd- 
lichen und  westlichen  Linien  allmählich  die 
genieteten  schmiedeeisernen 
Gitterträger  eingeführt,  die  in  Eng- 
land und  Deutschland  aufgekommen  und 
in  diesen  Ländern  schon  vielfach  ver- 
breitet waren.  Den  Gitterträgem  wurde 
anfänglich  in  Oesterreich  mit  grossem 
Misstrauen  begegnet,  das  vornehmlich 
auf  den  ungünstigen  Erfolgen  von  Mo- 
dellversuchen beruhte,  die  Prüssmann  in 
Hannover  mit  offenbar  unrichtig  construir- 
ten  Gitterträgern  angestellt  hatte,  ein 
Misstrauen,  das  insbesondere  auch  durch 
R  i  e  n  e  r  und  S  c  h  n  i  r  c  h,  diesen  eifrigsten 
Verfechtern  der  Hängebrücken  und  der 
ungenieteten  Träger,  genährt  wurde. 

Trotz  dieser  schwerwiegenden  Gegner- 
schaft fanden  aber  gegen  Ende  der  P'ünf- 
ziger-Jahre  die  genieteten  Gitter- 
träger, und  zwar  als  engmaschige 
Netzwerke  auf  der  Staatseisenbahn 
durch  R  u  p  p  e  r  t,  auf  der  Südbahn  durch 
Etzel,  auf  der  Kaiserin  Elisabeth-Bahn 
durch  Hornbostel  Eingang  und  wenn 
auch  diese  Träger  seither,  entsprechend 
der  fortschreitenden  Erkenntnis  über  die 
Wirkungsweise  der  Kräfte  und  im  Stre- 
ben nach  möglichster  Oeconomie,  wesent- 


liehe  Wandlungen  bezüglich  der  Form  der 
Gurten  und  bezüglich  der  WandfUUungs- 
gljeder  durchmachten,  so  behielt  doch 
das  Princip  der  genieteten  Gitterträger 
seither  im  Eisenbahn-Brückenbau  die  un- 
bestrittene Herrschaft. 

Die  Erkenntnis,  dass  das  Material  in 
der  die  Gurten  verbindenden  Blechwand 
der  vollwandigen  Träger  nicht  ausgenützt 
wird,  hatte  zuerst  in  England  und  darauf 
in  Deutschland  dazu  geführt,  die  Wände 
durch  ein  dichtes  Netzwerk  flacher  Stäbe 
zu  ersetzen.  In  Oesterreich  traten  diese 
Netzwerke  mit  schlaffen  Bän- 
dern zuerst  auf  der  Kaiserin  Elisabeth- 
Bahn   unter  Hornbostel    auf,    wo   die 


erfolgreich  widerstehen  konnten,  wurden 
durchwegs  blos  e  i  n  w  a  n  d  i  g  ausgeführt, 
während  die  von  Hoff  mann  auf  der 
Tiroler  Staatsbahn  im  Jahre  1858  mit 
zwei  Spannweiten  von  je  467  m  erbaute 
Innbrücke,  beiderseits  je  zwei  durch  einen 
Zwischenraum  von  etwa  60  m  getrennte 
Tragwände  erhielt.  Ein  schiefHegendes 
Gitterwerk  verband  dabei  die  corre- 
spondirenden,  auf  Druck  beanspruchten 
Gitterstabe  beider  Wände.  Aehnlich 
wurde  die  32  m  lange  Brixenthaler 
Brücke  mit  verticalen  Zwischen  gittern 
ausgeführt.  Diese  beiden  Brücken  er- 
hielten auch  kastenförmig  ausgebildete 
Gurtungen. 


Traisen,  Erlauf,  Ybbs,  Enns  und  Traun  mit 
solchen  Trägern,  welche  über  die  einzelnen 
Brückenöffnungen  zumeist  ununterbrochen 
fortliefen,  überspannt  ivurden.  Im  Zuge  der 
Linien  der  Staatseisenbahn- Gesellschaft, 
und  zwar  auf  der  Strecke  OlmUtz-TrUbau 
erstanden  die  Sazaw abrücken  mit  15 
bis  19  m  Weite,  auf  der  SUdbahn  unter 
Etzel  die  L'eberbrUckung  der  Mürz  und 
San,  der  Mur  bei  Peggau  mit  einer 
110  m  langen  Brücke  über  drei  Oeff- 
nungen,  und  auf  der  Linie  Marburg- 
Villach  zwei  Draubrücken  nächst  Gottes- 
thal und  St.  Ulrich*)  mit  drei  Oeffnungen 
von   132  m  Gesanimtlänge. 

Diese  Netzwerke,  deren  flache  Dia- 
gonalen nur  durch  ihre  grosse  Zahl,  be- 
ziehungsweise durch  ihre  dichte  An- 
ordnung  den   auftretenden   Druckkräften 

•)  Vgl,  Abb.  337,  BJ.  I,  1,  Theil. 


icke  bei  Miiil6w.    IStanlgUu-Hiulatjn.] 

Der  Constructions-Gedanke,  die  Gitter- 
stäbe  mittels  angenieteter  Winkeleisen 
zu  versteifen,  war  zum  ersten  Male  bei 
der  BaynebrUcke  bei  Drogheda  in 
England  verwerthet  worden.  Ruppert 
führte  diese  Idee  in  erfolgreicherer  Weise 
bei  der  Gran-  und  Eipel  brücke 
der  Staatseisenbahn  durch,  indem 
er  ein  Gitterwerk  von  etwas  weitem 
-Maschen  völlig  aus  steif  profilirtem 
-.r^  förmigem  Eisen  ausführte,*)  und 
auch  auf  der  Kaiserin  Elisabeth-Bahn  er- 
baute Hornbostel  Brücken  mit  durchwegs 
versteiften,  hier  aber  T-förmigen  Streben, 
so  bei  den  Brücken  über  die  Pielach 
und  Vöckla,  bei  der  Brücke  über  die 
Wien  der  Linie  Penzing- Hetzen  dorf  und 
bei  der   143-8»/  langen,  fünf  Oeffnungen 

')  Vgl.  Abb.  323  und  324,  Bd.  I, 
1.  Thcil, 


überspannenden  SalzachbrUcke  der  Strecke  ' 

Salzburg-Reichsgrenze. 

Die  Ausführung   der   Gurtungen   aus 
Winkeleisen    und    Lamellen,   zum    Theil 
auch  bereits  mit  Stehblechen,  und  die  Art 
des  Anschlusses  der  Wandglieder  an  die   ' 
Gurtungen  zeigt  bei  diesen  Brücken  wohl  1 
Verschiedenheilen  und  steigende  Verbesse-  , 
rungen,    der  Gedanke  jedoch,  den  Gurt-   , 
querschnitt  in  den  verschiedenen  Theilen  | 
der  Träger  entsprechend  den  Spannungen  ; 
zu  halten,    welche,  wie    die  Berechnung 
lehrt,    bei    parallel  gurt igen     Trägem    von  ■ 
den   Trägeren deii    gegen    die    Mitte    zu- 
nehmen,  erschien   bei   den  älteren  Netz-  ; 
werk-Constructionen    noch  nicht    berück-   , 
sichtigt.      Die     Gurlungen    zeigen     hier  i 
durchwegs  Con- 
sta nten      Quer- 
schnitt, also 
keine   öconomi- 
sche     Material- 
vertheilung. 

Einen  we- 
sentlichen Fort- 
schritt für  die 
Ausbildung  der 
Gitterbrücken 
brachtePressel  ***'■  '«■   ^^«tvTpö« 

imjahrei865in 

den  Normalien  der  Südbahn,  indem  er  in   , 
den    combinirten    Gitter  werken    —    eng-   ' 
maschige  Netzwerke,  die  durch  V'erticat-   I 
Ständer  versteift  sind  —  die  auf  Zug  be- 
anspruchten   Diagonalen    aus  Flacheiscn, 
die  gedrückten  aber  aus  Winkeleisen  und 
Bändern    zusammensetzte  und  femer  die   ■ 
aus  Stehblech,  Winkeleisen  und  Lamellen 
bestehenden      Gurte      den      auftretenden   i 
Kräften    entsprechend    ausbildete.     Auch 
die  constructiven  Details,  namentlich  die  ! 
Anschlüsse  in  den  Knotenpunkten,  zeigen   ■ 
Neuerungen:  Zwischen  beide  Stelibleche  '■ 
des  Obergurts  schaltete  Pressel  eine  drei- 
eckige Eisenplatte  ein,  welche  den  Zwi-  , 
schenraum  ausfüllte  und  die  Anknüpfung 
der  Streben  so  solid  als  möglich  gestaltete. 
Solche    Brücken    wurden    zuerst    auf  der 
Brennerbahn  und  der  Linie  Vill  a  ch-  \ 
Franzensfeste    durch    Prenninger 
erbaut    und  dies    rationelle    .System    fast  | 
bei    allen    bis    in    die    neueste  Zeit   her- 
gestellten    Brücken     der    SUdbahn     fest- 
gehalten. Die  69  ;»  lange  Draubrüc ke  I 


bei  Oberdrauburg  mit  ihrem  sechs- 
fachen Netzwerk,  der  Festungsviaduct 
über  den  Eisack  bei  Franzensfeste, 
bei  welchem  die  weiteste  der  13  Oeffnun- 
gen  mit  einem  50  m  langen  vierfachen 
Gitterwerk  überspannt  ist,')  die  60  tn  lange 
Rienzbrücke  bei  Vientl  gleicher 
Construction  sind  einige  hervorragende 
Repräsentanten  dieser  Bauweise  auf  den 
Linien  der  Siidbahn. 

Aehnliche   Gitterbrücken  mit   steifem 
Druck-  und  schlaffen  Zugstreben  kommen 
umdie  Wendedessiebentenjahrzehntsbeim 
Bau    der    Kronprinz    Rudolf-Bahn, 
(Abb.  146  u.  147]  der  Salzburg-Tiroler 
Bahn,    der   Nordwestbahn    und  der 
Staatseisenbahn  in  bunter  Abwechs- 
lungmitneueren 
Typen   zur  An- 
wendung.    Na- 
türlich treten  da- 
bei mannigfache 
Variationen     in 
Einzelheiten  der 

Construction 

auf,    so    in  der 

Ausbildung  der 

Gurten,  im 

um"'  '^""-*"*'*'-  Querschnitt  der 

Druck  streben 
und  daher  auch  in  den  Anschlüssen  der 
Diagonalen.  Eines  der  grössten,  noch 
in  anderer  Hinsicht  zu  beleuchtenden 
Objecte  dieser  Tvpe  ist  der  Iglawa-Via- 
d  u  c  t  der  Staalseisenbahn-Gesellschaft, 
dessen  3755  tn  langer  Träger  auf  fünf 
eisernen  Zwischenpfeilern  das  weite  Thal 
des  Iglawadusses  Überspannt. 

In  den  Sechziger-Jahren  wurden  die 
weitmaschigen  Fachwerke  den  engma- 
schigen immer  mehr  vorgezogen.  Die 
Diagonalen  rückten  immer  weiter  aus- 
einander und  zu  Ende  dieses  Deeenniums 
kamen  die  einfach  gekreuzten 
Gitter  wände  zur  A  ufnahme,  bei 
welchen  einfache  Stabkreuze  mit  schlaffen 
Zug-  und  steifen  Druck  streben,  durch 
verticale  Ständer  gelrennt  wurden.  Diese 
Fach  werksträger  zeichneten  sich  durch 
besondere  Steifigkeit  aus  und  erleichter- 
ten durch  die  verticalen  Ständer  die  An- 
knüpfung der  Querverbindungen,  und  zwar 

*)  Vgl.  Abb.  SA  und  55,  BJ.  I,  3,  Theil. 


2Sq 


290 


Josef  Zuffer. 


sowohl  der  Querträger  bei  unten  liegender 
Fahrbahn  als  auch  der  sonstigen  Querver- 
steifungen bei  Bahn  >oben«.  Solche  Fach- 
werke mit  gekreuzten  Diagonalen  und  mit 
Verticalen  erinnern  in  der  Silhouette  wieder 
lebhaft  an  den  alten  Howe'schen  Träger, 
wenn  auch  weder  das  Material  noch  die 
Functionen  der  einzelnen  Glieder  tmd 
die  Verbindung  der  Theile  etwas  mit  der 
alten  abgethanen  Construction  gemein 
haben.  Die  genannten  constructiven  Vor- 
theile  dieses  Fachwerkes  und  die  verhältnis- 
mässig einfache  Ausführungs  weise  sicherte 
dieser  Trägert^pe,  die  sich  bis  zu  50  m 
Spannweite  rationell  verwenden  lässt,  die 
weitestgehende  Verbreitung  auf  allen  Bahn- 
linien bis  in  die  neueste  Zeit  und  besonders 
auf  den  alten  Linien  wurde  sie  gern  an  Stelle 
der  Schitkombrücken  eingeführt 

Die  Erkenntnis,  dass  die  Scheerkräfte, 
welche  von  den  WandfüUungsgliedem 
übernommen  werden,  in  der  Nähe  der 
Trägerenden  nur  in  einem  Sinne  wirken, 
führte  dazu,  dass  man  in  dem  vorge- 
nannten Fachwerk  die  auf  Druck  be- 
anspruchten Diagonalen  ausliess  und  so 
zu  einem  System  gelangte,  in  welchem 
die  gegen  die  Mitte  nach  abwärts  fallen- 
den Bänder  die  Zugspannungen,  die 
verticalen  Ständer  die  Druckkräfte  Ober- 
nahmen. Nur  für  die  mittelsten  Theile,  wo 
die  Scheerkräfte  ihre  Richtung  wechseln 
und  die  Zugbänder  daher  auch  auf 
Druck  beansprucht  werden,  ordnete  man 
Gegendiagonalen  an,  wenn  man  es  nicht 
vorzog,  in  diesem  Theil  statt  der  flachen 
Bänder  kostspieligere,  steife  Streben  ein- 
zuführen. Die  Vortheile,  die  dieses  von 
M  o  h  n  i  6  in  Deutschland  zuerst  construirte 
einfache,  unsymmetrische  Fach- 
werk bot  und  welche  in  der  einfachen  Aus- 
führungsweise sowie  in  dem  gerintren 
Materialaufwand  bestehen,  verschattten 
dieser  Brückentype  in  Oesterreich  raschen 
Eingang.  Im  Anfang  der  Siebziger-Jahre 
führten  fast  alle  Bahnen  das  einfache 
Mohnie'sche  Fachwerk  für  Brücken  bis  zu 
40  m  Lichtweite  ein  und  bei  grösseren  Wei- 
ten wurde  das  zweifaclre  Mohnic'sche 
Fach  werk,  das  sich  als  Combination 
von  zwei    einfachen  darstellt,  verwendet. 

Leider  wurde  aber  das  einfache 
Mohnie'sche  Fachwerk  bei  einzelnen 
kleineren    Brücken    nicht    genug    kräftig 


ausgeführt,  wie  dies  mit  Rücksicht  auf  die 
ohnehin  wenig  zahlreichen  Trägertheile 
geboten  gewesen  wäre,  und  die  gestei- 
gerten Verkehrslasten  so\%'ie  das  ungleich- 
artige Material  verschiedener  Provenienz 
brachten  diese  Constructionen  bald  in  Ver- 
ruf, bis  der  am  5.  October  1 886  erfolgte  Zu- 
sammenbruch der  Brücke  über  die  Brixner 
Aachebei  Hopfgarten  das  einfache  Mohni^- 
sche  Fachwerk  als  Parallelträger  ausge- 
bildet, endgiltig  aus  der  Liste  der  in  Oester- 
reich beliebten  Brückensvsteme  strich. 

Während  wir  daher  das  einfache 
Mohnie'sche  Fach  werk  heute  nur  ganz 
vereinzelt  antreffen,  ist  das  doppelte 
M  o  h  n  i  ^'sche  Fach  werk  in  ausserordent- 
lich grossen  Brücken  vertreten.  Die  heute 
bereits  durch  Einziehen  von  steifen  Gegen - 
streben  verstärkte  Donaubrücke  der 
Kaiserin  Elisabeth-Bahn  bei 
S  t  e  y  r  e  g  g,  die  in  fünf  76*3  m  weiten  Oeff- 
nungen  den  Strom  übersetzt,  die  Elbe- 
brücke der  Nordwestbahn  bei  Au s- 
s  i  g  mit  den  drei  Oeffhungen  zu  circa  74  wi, 
die  79*7 m  weite  Donaucana  1-B rücke 
der  Staatseisenbahn  in  Wien  und  die 
80  fw  weite,  ebenfalls  verstärkte  D rau- 
brücke auf  der  Linie  Unter-Drauburg- 
Wolfsberg  sind  einige  her\'orragende 
Beispiele  dieser  Constructionsweise. 

Das  Streben  nach  weiterer  Material- 
ersparnis bei  Brücken  fahrte  Köstlin 
und  Battig  im  Anfang  der  Siebziger- 
Jahre  zur  Aufstellung  der  T^-pe  der 
Trapezträger,  in  dessen  mittleren 
Theil  der  Obergurt  parallel  zum  unteren 
verläuft,  an  den  Enden  aber  schräg  herab- 
geführt ist.  Die  Wandglieder  zeigen  bei 
kleineren  Brücken  das  System  der  ein- 
fachen unsymmetrischen  Fachwerke, 
während  bei  grösseren  Brücken  im  mitt- 
leren Theile  Gegendiagonalen  verwendet 
wurden.  Der  Wegfall  der  Endständer  und 
die  Vermindeninor  der  seitHchen  Wand- 
füllungen  bildeten  hier  eine  Ersparnis 
tieiienüber  den  bis  dahin  meist  verwen- 
deten  parallelgurtijren  Trägem,  die  nur 
zum  Theil  durch  die  Xoth wendigkeit,  den 
Obergurt  zu  verstärken,  aufgewogen  wurde. 
Für  die  Moldaubrücke  der  Prager 
Verbindungsbahn  mit  fünf  Oeffnim- 
gen  zu  je  56-9  1;/,  im  Jahre  1872  erbaut, 
weiter  für  mehrere,  bald  darnach  aufgestellte 
Brücken  der  Niederösterreichischen 


Sudwestbahnen  und  ebenso  fUr  die  fünf, 
je  40  m  weiten  Stroinöffnungen  der  D  n  i  e- 
sterbrtlcke  auf  der  Linie  Stanislau- 
Husiatyn  kamen  Trapezträger  zur 
Verwendung.  Alle  diese  Träger  wurden  in 
den  letzten  Jahren  durch  Einfügung  von 
steifen  Gegen  streben  verstärkt.  [Abb.  148.] 
Eine  kleine  Variante  der  Trapezträger 
zeigen  zwei  auf  der  Lemberg-Czernowltzer 
Bahn  nach  Railly  construirte  Brücken 
von  19—20  m  Spannweite,  bei  welchen 


dem  Bau  der  lllbrUcke  der  Vorarl- 
berger Bahn  ihren  Einzug  hielt,  be- 
schenkt. Wohl  kann  man  Oesterreich  als 
die  Heimat  der  Eisenbrücken  mit  ge- 
krümmten Gurten  durch  die  genannten 
Leistungen  von  H  off  mann  und  Maders- 
p  a  c  h  in  den  Dreissiger-Jahren  bezeichnen, 
aber  als  genietete  Fachwerkträger  traten 
sie  hier  erst  im  bezeichneten  Jahre  auf, 
freilich  um  desto  rascher  und  siegrei- 
cher durchzudringen.    Unter  zweitausend 


sich  die  Abschräg  ung  des  Obergurts 
beiderseits  nur  über  das  letzte  Fach  der 
Tragwand  erstreckt.  Charakteristisch  ist 
bei  diesen  zwei  Brilcken  die  Ausbildung 
der  Querträger,  welche  aus  einem  Spreng- 
werke bestehen  und  durch  Bolzen,  die  auf 
den  Untergurten  der  Hauptträger  ihr  Lager 
besitzen,  chamierartig  mit  den  Haupt- 
trägem verbunden  sind. 

Von  Deutschland  aus,  welches  dem  Bau 
der  Gliederbrücken  von  jeher  grosse 
Aufmerksamkeit  widmete  und  besonders 
auf  Materialersparnis  hinarbeitete,  wurde 
Oesterreich  mit  einem  neuen  Systeme, 
den  Brücken  mit  gekrümmtem 
Gurt,    deren   erste    im  Jahre    1870    bei 


Viadiict  [im  Bau], 

Brückenöffnungen,  die  heute  in  Oesterreich 
von  gegliederten  Trägern  überbrückt  sind, 
haben  vierhundert  Felder  krumm- 
gurtige  Träger  erhalten. 

Die  Bedeutung  der  Gurtkrümmung 
liegt  darin,  dass  es  auf  Grund  des  Ein- 
blickes in  das  Spiel  der  Kräfte  möglich 
ist,  durch  die  Gestaltung  des  Trägers 
selbst  gewisse  Bedingungen  für  die  Wirk- 
samkeit der  Kräfte  und  der  durch  sie 
geweckten  Spannungen  zu  erfüllen  und 
damit  für  die  praktische  und  öconomische 
Ausführung  gewisse  Vortheile  zu  erreichen. 
So  ergab  die  Theorie,  dass  bei  Trägern, 
von  denen  beide  oder  auch  nur  ein 
Gurt  parabolisch  gekrümmt  ist,  die  Span- 
19* 


292 


Josef  Zuffer. 


nungen  in  den  Gurten  nahezu  oder  völlig 
constant  bleiben,  so  dass  derselbe  Gurt- 
querschnitt und  daher  concentrirtere  Gurt- 
formen angewendet  werden  können  und 
dass  femer  die  Spannungen  in  den  Wand- 
füllungsgliedem  wesentlich  reducirt  wer- 
den. Hiedurch  ergab  sich  eine  Material- 
ersparnis bis  zu  .20^/q  gegenüber  den 
Parallelträgern,  wenn  auch  die  Schwierig- 
keiten der  Erzeugung  des  gekrttmmten 
Gurts,  namentlich  bei  kleineren  Brücken, 
den  öconomischen  Effect  etwas  ein- 
schränkten. 

Die  sogenannten  Bogensehnen- 
träger, bei  welchen  über  dem  geraden 
Untergurt  ein  parabolischer  Obergurt  auf- 
gebaut ist,  kamen  wegen  der  Schwierig- 
keiten in  der  Durchbildung  der  beider- 
seitigen Endanschlüsse  und  Anknüpfung 
der  Endquerträger  nur  seltener  zur  An- 
wendung. So  u.  A.  bei  einigen  bis  zu 
20  m  weiten  Objecten  auf  der  Linie 
Kriegsdorf-Römerstadt  und  Tar- 
vis-Pontafel.  [Abb.   149.] 

Eine  ausserordentliche  Bedeutung  ge- 
wannen dagegen  die  sogenannten  Halb- 
parabelträger, bei  welchen  diese 
schwierigen  Anschlüsse  vermieden  sind, 
indem  der  Träger«  beiderseits  durch  ver- 
ticale  Ständer  abgeschnitten  wird,  wo- 
durch sich  auch  bei  grösseren  Licht- 
weiten und  daher  bei  grösseren  Träger- 
höhen die  Möglichkeit  ergibt,  die  beiden 
Obergurten  in  der  ganzen  Länge,  zur 
Erzielung  grösserer  Steifigkeit,  durch 
Querverbindungen  zu  verspannen.  Diese 
Halbparabelträger  verbinden  den  Vor- 
theil  geringerer  Spannungen  in  den  Aus- 
fachungen,  also  den  Vortheil  der  Material- 
ersparnis der  reinen  Parabelträger  mit  der 
leichteren  Ausführbarkeit  der  Parallel- 
träger. 

Bezüglich  der  Anordnung  der  Wand- 
füllungsglieder wurde  der  Halbparabel- 
träger meist  nach  dem  Mohni^'schen 
System,  und  zwar  bis  zu  50  m  als  einfaches, 
darüber  hinaus  jedoch  als  doppelt  un- 
symmetrisches Fachwerk  ausgeführt,  mit 
schlaffen  Zugbändern  und  steifen  Verti- 
calen,  obwohl  auch  frühzeitig  das  einfach 
gekreuzte  symmetrische  Fachwerk  mit 
Verticalen  auftrat.  So  war  die  von  Har- 
kort im  Jahre  1870  gebaute  Illbrücke  der 
Vorarlberger  Bahn  mit  38  zw  Spannweite 


nach  dem  einfachen  Mohni^'schen  Sy- 
stem, die  von  Hermann  im  Jahre  1872 
an  Stelle  der  eingestürzten  Pruthbrücke 
bei  Czernowitz*)  sowie  für  die  Dnie- 
sterbrücke  bei  Jezupol  mit  vier, 
respective  fünf  Oeffnungen  zu  je  56*9  nt 
nach  dem  zuletzt  genannten  Fach  werk 
ausgeführt  und  ebenso  erhielt  die  grosse 
Donaubrücke  der  Nordbahn  bei 
Wien,  im  Jahre  1873  erbaut,  Halbparabel- 
träger mit  zweifachem  Mohni6schem 
Fachwerk.  Vom  Ende  der  Siebziger-Jahre 
an,  wo  unter  anderem  auch  für  den 
Donaucanal  bei  Nussdorf  eine 
88*95  tn  weite  Brücke  ähnlicher  Construc- 
tion  erbaut  wurde,  fand  dieses  Träger- 
system eine  immer  allgemeinere  Verbrei- 
tung. [Vgl.  Abb.  116  und  117,  Bd.  I, 
2.  Theil.] 

Das  Schlottern  und  Schwanken  der 
langen  Zugbänder  bei  der  Befahrung  der 
Brücken  führten  später  dazu,  auch  die 
blos  auf  Zug  beanspruchten  Streben  steif 
zu  profiliren,  um  so  eine  grössere  Starr- 
heit der  Construction  zu  erzielen.  Bei  ein- 
zelnen Brücken  wurden  zuerst  blos  die 
sämmtlichen  Glieder  des  Mitteltheiles  — 
wo  Zug  und  Druck  wechseln  —  steif 
ausgebildet;  bei  zahlreichen  Gitterträgern, 
vornehmlich  auf  den  Linien  der  k.  k. 
Staatsbahnen,  finden  wir  aber  heute 
Halbparabelträger,  welche  mit  durch- 
wegs steifemFachwerk  ausgestattet 
sind,  mögen  dieselben  nach  dem  einfachen 
oder  doppelten  Mohni^'schen  System  oder 
auch  als  symmetrische  Fachwerke  mit 
gekreuzten  Diagonalen  und  Verticalen 
ausgeführt  sein.  Diese  Constructions- 
weise,  in  Verbindung  mit  starken,  breiten 
Gurten  und  steifen  Windkreuzen,  verleihen 
den  Tragwänden  solcher  Brücken  eine, 
wenn  auch  mit  höheren  Kosten  erkaufte 
Steifigkeit  und  Ruhe,  welche  die  Brücken 
auch  unter  dem  rollenden  Zug  nicht  ins 
Schwanken  kommen  lässt. 

Der  grösste  Halbparabelträger, 
mit  zweifachem  Mohni^'schem  Fach- 
werk ausgerüstet,  dessen  sämmtliche  Theile 
—  ausser  den  Zugdiagonalen  —  steife 
Profile  erhielten,  überbrückt,  1 20  w  lang, 
die  Mittelöffnung  des  Trisana-Via- 
ductes  auf  der  Arlbergbahn.    [Abb. 


♦)  Vgl.  Abb.  379,  Bd.  r,  I.  Theil. 


Brückenbau. 


150  und  151.]  Die  Tragwände  dieses  zweit- 
grössten  Balkenträgers  Europas  sind  in  der 
Mitte  low  hoch.  Auch  die  80 »«  weite  Con- 
struction  über  die  Oetzthaler  Aache 
im  Zuge  der  Linie  Innsforuck-Landeck 
[Abb.  152],  die  100  m,  beziehungsweise 
89  »«weiten  Et  seh  brücken  bei  Gmünd 
und    St.    Mi- 

chele  der 
Linie  Bozen- 
Ala,  sind  als 
•  Halbparabel- 
träger  mit  sol- 
chem, theil- 
weise  steifem 
Fach  werk  er- 
baut. Halbpa- 
rabelträger  mit 
vollständig 
steifen  Fül- 
lung s  g  1  i  e- 
dern  zeigen 
unter  Anderen 

die  60  Ml  weite  Abb.  IS2    Brücke  übi 

Brücke      über  t"""  •""<_ 

den  Grub  er- 

canal  bei  Laib  ach  der  Linie  Laibacli- 
Rudolfswerth,  die  Pruthbrücke  bei 
Przerwa  der  Lemberg-Czerno- 
witzer  Bahn  mit  Oeffnungen  bis  zu 
66-9»«  Weite,  die  Isonzobrücke  auf 
Monfalcone- Cervignano  mit  sie- 
ben Oeffnungen  zu  je  50  m  Weite  [Abb. 
153a  und  153b],  die54'4nj  weite,  zwei- 


massgebend,  bei  welchem  sich  die  Fahr- 
bahn  oben    befindet    und  daher  der  ab- 
wärts gekrümmte  Parabelträger  überdies 
die  Möglichkeit  einer  leichteren  Versteifung 
durch   Querverbindungen  zulässt.     Diese 
Construction  bot    auch  einen  besonderen 
Vortheil     als     Ersatz    hölzerner    Balken- 
brücken,   weil 
sie    wie   diese 
eine  geringe 
Auflagerhöhe 
erfordert    und 
auch   der  Ab- 
stand der  bei- 
den Trag- 
wände   sich 
wenig  von  der 

Geleis  weite 
entfernt.     Es 
koimten  daher 
die    vorhande- 
nen Widerlags- 
mauem    der 

Ibuler  Aache.  [[nniibnick -Land eck.)  HolzbrUcken 

na'''Vr!'nTbruc'k'i'''"* "'"'  °^"^     Wesent- 

liche Umge- 
staltung zur  Aufnahme  der  Eisenbrilcken 
benützt  werden.  Dieser  Grund  war  für 
die  Nordbahn  massgebend,  als  sie  im 
Jahre  1 873  den  Fischbauchträger  bei  der 
375»«  weiten  Marchbrücke  bei  Na- 
pagedl  einführte.  Ihr  folgten  unter  An- 
deren die  Staatsbahnen  mit  der  1 879 
erbauten,  20  m  weiten  Brücke  bei  Kunau 


i.  l-MoDfak 


L..i«'.'J 


:r  phatOfTaphlicfa 


geleisige  beschotterte  Brücke  über  die 
Hernalser  Hauptstrasse  im  Zuge 
der  Vorortelinie  und  femer  die  69  w 
weite  Donaucanal-BrUcke  in  Hei- 
ligenstadt der  Wiener  Stadtbahn. 
[Abb.   154.] 

Dieselbe  Constructionsidee,  welche  den 
Bogensehnen  trägem  zugrunde  lag,  war 
auch      für      den     Fischbauch  träger 


auf  der  Linie  Erbersdorf- Würben- 
thal,  und  im  Jahre  1885  mit  der  46»» 
weiten  Gurkflussb  rücke  bei  Launs- 
dorf auf  der  Linie  St.  Valen  tin-Pon- 
tafet,  durchwegs  Constructionen  mit 
steifen  Ständern  und  einfach  gekreuzten 
schlaffen  Zugbändern. 

Auch    hier  führte    die    Schwierigkeit 
des  Zusammenschlusses  der  beiden  Gur- 


Abb,  153  b.  laoni 


:.  IMon 


tungen  zu  einer  Abkappung,  so  dass 
eine  Art  hängender  Halbparabel- 
träger entstand.  Viele  derartige  Brücken 
wurden  mit  einem  einfach  gekreuzten  Sy- 
stem von  Zug-  und  Druck  diagonalen  so- 
wie mit  steifen  Ständern  ausgestattet,  wie 
beispielsweise  die  an  Stelle  der  Schifkom- 
brUcken  getretenen  hängenden  Halb  pa- 
rabelträger der  I  serbrücke  bei  Rakaus 
[vgl.  Abb.  366  und  367,  Bd.  I,  i.  Theil]  und 
in  neuester  Zeit  die  Dniesterbrücke  bei 
Zaleszczyki.  [Abb.  155.]  Wieder  an- 
dere Brücken  dieser  Gattung  wie  auf 
der  Mährisch-Schlesischen  Cen- 
tralbahn  wurden  mit  gegen  die  Mitte 
nach  abwärts  fallenden  schlaffen  Zug- 
bändern ausgeftlhrt.  Das  Streben  nach 
steifen  Constructionen  Hess  die  k.  k. 
Staatsbahnen  bei  zahlreichen  Objecten 
im  entgegengesetzten  Sinne  gestellte 
Druckdiagonalen  anordnen.  Unter  die- 
sen ist  wohl  die  60  tu  lange  Ueberbrückung 
der  mittleren  Oeffnung  des  Landecker 
V  i  a  d  u  c  t  s  über  den  I  n  n  f  I  u  s  s  [Abb.  1 56] 
die  bedeutendste.  Aesthetische  Rücksich- 
ten für  die  Ausführung  der  Wandfüllungs- 
glieder dieser  Träger  waren  auch  dahin 
massgebend,  dass  man  die  Maschenweite 
vom  Ende  gegen  die  Mitte  zunehmen 
Hess,  um  die  Abweichungen  in  den  auf- 


einander folgenden  Streben  wink  ein  mög- 
lichst gering  zu  machen.  So  hat  die 
letztgenannte  Innbrücke  im  mittleren 
Theile  bis  zu  7  m  weite  Maschen.  Auch 
andere  Staatsbahn  linien,  wie  Stryj- 
Beskid  [hier  der  Opor- Via  du  et  mit  5 
je  40  nt  weiten  Oeffnungen],  Iglau- 
W e s s e I y  und  Pilse n-Eger  sowie  die 
Ybbsthal-Bahn  [Abb.  157]  u.  a.  m. 
zeigen  Beispiele  dieser  Constructionen. 

Mit  regem  Interesse  wurden  die 
raschen  Fortschritte  anderer  Länder  im 
Brückenbaue  verfolgt  und  durch  neue 
vermehrt.  Der  in  Deutschland  aufge- 
tretene Schwedlerträger,  welcher  der 
Forderung  entsprach,  dass  die  Diagonalen 
gar  keine  Druckspannungen  erleiden, 
dessen  Obergurt  im  mittleren  Theile  ge- 
rade, an  den  Enden  aber  hyperbolisch  ge- 
krUmmt  ist  und  der  in  der  Ausführung 
eine  Materialersparnis  von  35 — 30% 
gegenüber  dem  Parallelträger  zu  Hess, 
wurde  von  der  Staatsbahn- Verwal- 
tung auf  der  Linie  Spalato-Knin  und 
P^rkovic-Slivno  in  Weiten  bis  zu 
38  m  ausgeführt.  Auch  auf  den  Linien 
Unter-Drauburg -Wolfsberg,  Tar- 
vis-Pontafel  und  Oswi^cim-Pod- 
görze  wurden  die  Schwedlerträger  in 
ähnlichen  Weiten  angewendet;  wegen  ihres 
unschönen  Aussehens  warensie  jedoch  nie 
sonderlich  beliebt  und  fanden  aus  diesem 
Grunde  auch  keine  weitere  Verbreitung. 

In  der  Materialersparnis  und  in  der 
Form  dem  Seh w edlerträger  ähnlich,  war 
der  von  F.  Pfeuffer  im  Jahre  1880  bei 
der  Staatseisenbahn-Gesell  sc  Haft 
eingeführte  Ellipsenträger,  der  vor 
Stadlau  den  Donauarm  mit  60  m 
Spannweite  übersetzt  und  dem  einige 
andere  Brücken  mit  ähnlicher  Lichtweite 
nachfolgten.     [Abb.   158.] 

Schon  im  Jahre  1858  fand  in  Oester- 
reich  der  zuerst  in  Frankreich  geübte  Bau 
continuirlicher  Träger,  so  u.  A.  bei 
den  grossen  Brücken  der  Kaiserin- 
Elisabeth-Bahn  und  Südb  ahn.  [Vgl. 
beispielsweise  Abb.  334,  Bd.  I,  i.  Theil.] 
Eingang,  wo  parallelgurtige  Gitterbrücken 
über  drei  bis  fünf  Oeffnungen  weggeführt 
wurden.  Indem  die  in  der  Trägermitte 
aufliegenden  durchbiegenden  Wirkungen 
der  Last  durch  die  über  den  Pfeilern 
erzeugten    Biegungen    entgegengesetzten 


Sinnes  abgeschwächt  wurden,  ergab 
sich  bei  solchen  conti nuirlichen  Trägern, 
und  zwar  bei  Stützweiten  von  mehr  als 
25  m,  eine  beträchtliche  Materialersparnis 
gegenüber  den  so  beliebten,  frei  auf- 
liegenden Brücken.  Auch  machten  diese 
Träger  ein  eigenes  Montirungsgeriiste 
überflüssig,  da  sie  vom  Lande  her  über 
die  Pfeiler  eingeschoben  werden  konnten, 
eine  Montirungsweise,  die  später  aller- 
dings mit  Rücksicht  auf  die  unvermeid- 
liche   grössere    Materialanstrengung    im 


unabhängigen  Montirungsweise  zu  ver- 
einigen und  doch  den  Nachtheil  jener 
Unbestimmtheit  zu  eliminiren,  welche  die 
wechselnde  Höhenlage  der  Stützpunkte 
in  die  Construction  hineinträgt.  Er  er- 
zielte dies  dadurch,  dass  er  beispielsweise 
bei  einem  über  drei  Felder  reichenden 
Träger  in  der  mittleren  Oeffnung  zwei 
Gelenke  einschaltete,  so  dass  der  ganze 
Träger  aus  einem  frei  aufliegenden 
mittleren  Theile  und  zwei  seitlichen,  über 
einen  Stützpunkt  hinausragenden  Theilen 


Träger  sich  als  wenig  empfehlenswerth 
erwies.  Die  Tabelle  [S.  299 — 302]  zeigt 
die  grosse  Zahl  cont in uir lieber  parallel- 
gurtiger  Träger,  die  auf  unseren  Bahnen 
in  Benützung  stehen. 

Mit  der  Erkenntnis  aber,  dass  die 
schwer  zu  vermeidenden  kleinsten  Aende- 
rungen  in  der  Höhenlage  der  Stützpunkte, 
wesentliche  schädhche  Neben  Spannungen 
in  dem  Träger  hervorrufen  können  und 
mit  der  Einführung  krummgurtiger  Träger 
und  der  durch  sie  erzielten  Material- 
ersparnis, verloren  die  continuirlichen 
Träger  wieder  an  Bedeutung. 

Gerber  in  Deutschland  war  es 
indessen  gelungen,  in  seinem  Gelenk- 
träger  die  Vortheile  der  continuir- 
lichen Träger  bezüglich  der  Material- 
ersparnis- und    der     von     dem    Gerüste 


I  bestand.    Dieser    Träger     mit    frei 

'  schwebenden     Stutzpunkten     bil- 

I  dete    den    Ausgangspunkt    des    Brücken- 

:  Systems    der  Ausleger-    und  K  r  a  g- 

!  brücken,    welchem    die    imposantesten 

j  modernen  BrUckenbauten  der  Welt  ange- 

'  hören    und    das    auch    in    Oesterreich    in 

der  im  JahreiSSo  unter  Bischoff  von 

Klammstein  erbauten  Moldaubrücke 

I  bei    l^  er  Vena,      im     Zuge     der     Linie 

Tabor-Pisek  der  Höh  mis  eh-.\Iä  h  ri- 

schen      Trans  versal-Bahn,      einen 

I  achtunggebietenden    Vertreter    gefunden 

hat.  [Abb.   159  a  und  159  b.] 

Dieses  grossartige,  von  Ludwig  H  u  s  s 

'.  projectirte    und    nach  dessen    sowie  den 

Plänen  O.  Meitzer's  u.  A.  ausgeführte 

Bauobject,    rechtfertigt    eine   nähere  Be- 

I  sprechung. 


296 


Das  Moldauthal  besitzt  an  der  Ueber- 
setzungss teile  eine  Breite  von  300  m  und 
eine  Tiefe  von  67  «i.  Als  wirthschaftlich 
vortheilhafteste  UeberbrUckung  erwies  sich 
die  Untertheilung  der  Thalweite  durch 
die  Einstellung  von  zwei  Mittel  stützen, 
welche  58  und  62  m  hoch  aus  Stein  auf- 
geführt wurden,  urn  der  Eisenconstruction 
einerseits  möglichst  unnachgiebige  Stütz- 
punkte zu  schaffen  und  andererseits 
von  der  nothwendigen,  ständigen  und 
eingehenden  Ueberwachung  so  hoher 
Eisenpfeiler  enthoben  zu  sein.  Als  Con- 
structions-Sy  Stern  für  die  Trag  wände 
des  Viaductes  war  wohl  ursprünglich 
kein  continuirlicher  Gelenkträger  vorge- 
sehen ;  aber  die  grossen  Schwierigkeiten 
des    Einbaues    einer  Gerüstung    für    die 


Mittelträger.  Die  10  m  hohen  Wände 
aller  drei  Träger  zeigen  das  System  eines 
Parallelträgers  mit  einfach  symmetrischem 
Fachwerk,  so  dass  das  äussere  Bild  des 
ganzen  Brückentrag  werk  es  nicht  auf  einen 
Gelenkträger  schliessen  lässt.  Die  Lager 
für  den  Mittelträger  befinden  sich  in 
halber  Höhe  der  verticalen  Ständer,  welche 
die  Construction  der  beiden  Arme  der 
Auslegerträger  abschliessen.  Die  Maschen- 
weite jedes  der  drei  Träger  beträgt 
8-44  m.  Bei  dieser  grossen  Maschen- 
weite der  Hauplträger  wären  die  eisernen 
Längstfäger,  auf  denen  die  1-4  tn  unter 
der  Oberfläche  des  Obergurts  liegende 
Fahrbahn  ruht,  sehr  schwer  geworden 
und  dieser  Umstand  veranlasste  eine 
Untertheilung   der  Fahrbahn   durch  Ein- 


Abb.  1^.  Datei 


«ciykl.  [Linie  Luian-ZaUsitiykf,}  (Nach  eintr  pholagraphtlchen 
labmt  von  F.  Jaworski  In  Lemherg.] 


Montirung  der  Eisen  construction  im  Mittel- 
felde der  Brücke,  und  zwar  einestheils 
wegen  der  felsigen  Flusssohle  und  andern- 
theils  wegen  der  auf  der  Moldau  lebhaft 
betriebenen  Flossschiffahrt,  drängten  zu 
einem  Trägersystem,  bei  dem  die  Her- 
stellung von  Montirungsgerilsten  ent- 
behrlich wird. 

Diesen  Vortheil  konnten  nur  Aus- 
legerträger bieten,  und  so  wurde 
dieses  Constructionssj-stem  den  bestehen- 
den österreichischen  Brückentypen  ein- 
verleibt und  die  freischwebende 
Montirungs  weise  ebenfalls  zum  ersten 
Male  in  Oesterreich  angewendet. 

Die  Eisenconstruction  für  die  drei  je 
80  m  weiten  Viaduetoffnungen  besteht 
aus  drei  Theilen,  nämlich  aus  den  beiden 
10972  nt  langen  seitlichen,  auf  den 
Widerlagern  und  den  Zwischenpfeilern 
aufruhenden  Consolträgern  und  aus  dem 
auf   letzteren  lagernden  33'76  tn    langen 


fuhrung  von  Zwischen  verticalen,  welche 
sich  in  den  Kreuzungspunkten  der  ge- 
neigten Wandglieder  auf  letztere  stutzen 
und  ebenfalls  zur  Aufnahme  von  Quer- 
trägern dienen.  Die  Materialersparnis  bei 
dieserConstructionsweise  betrug  rund  80/, 

Die  Vergebung  der  970  t  schweren 
Eisenconstruction,  welche  durchwegs, 
sammt  den  Nieten,  aus  basischem 
Martinflusseisen  besteht,  erfolgte 
im  März  i88q  an  die  Prager  Brü  cken- 
bauanstalt  und  an  die  Prager  Ma- 
schinenbau- Actiengesellschaft. 

Die  Ausbildung  der  einzelnen  Brücken- 
glieder war  projectgemäss  so  vorgesehen, 
dass  dieselben  in  den  Werkstätten  der 
Hauptsache  nach  fertig  zusammengestellt 
werden  konnten,  so  dass  auf  dem  Bauplatze 
blos  die  ergänzenden  Arbeiten  und  die 
Verbindung  der  einzelnen  Glieder  mit 
einander  zu  besorgen  war,  ein  Vorgang, 
der  heute  allgemein  üblich  ist.    Auf  diese 


Weise  wurde  es  möglich,  von  den  329.000 
Nieten,  welche  inderConstruction  stecken, 
244.000  bereits  in  den  Werkstätten  ein- 
zuziehen ;  auf  dem  Bauplatze  war  demnach 
nur  mehr  der  vierte  Theil  der  gesammten 
Nietarbeit  zu  leisten. 

Die  Zusammenstellung  der  Brücken- 
construction,  welche  Ingenieur  Oskar 
Meltzer  leitete,  erfolgte  in  den  beiden 


mit  den  Tragarmen  stattfinden,  was  durch 
eine  Verlaschung  der  beiden  Obergurte 
und  durch  Ansetzen  von  Schraubenwinden 
zwischen  den  Untergurten  bewerkstelligt 
wurde;  als  Gegengewicht  für  die  frei- 
schwebenden Theil  e  des  Mittelfeldes 
dienten  die  beiden  Seitenfelder. 

Am    22.  October    1889    erfolgte    der 
Zusammenschluss    der    beiden    BrUcken- 


Seitenöffnungen  auf  festen  Gerüsten  [vgl.  j 
Abb.  1 59  a]  in  der  üblichen  Weise,  von  den 
Zwischenpfeilem  aus  aber  freischwebend, 
wobei  ein  fahrbarer  Gerüstkrahn  das  Zu- 
bringen, Heben,  Herablassen  und  Ein- 
schwingen der  oft  8  bis  14  in  langen  und 
4  t  schweren  Brück  eng  lieder  besorgte. 

Bei  der  frei- 
schwebenden Mon- 
tinmg,  dem  schwie- 
rigsten und  gefähr- 
lichsten Abschnitte 
der  ganzen  Aufstel- 
lungsarbeit, wurde 
immer  zuerst  das  be- 
treffende Untergurt- 
stück vorgelegt  und  ^,,  ,^  Eiiip«i.trSe, 
auf  diese  Weise  so-  i«'  st 
wie  mit  Hilfe  einer 

Spannstange,  welche  an  dem  vorderen  Ende  ' 
des  verlegten  Untergurtstilckes  und  am  vor- 
deren Ende  des  letzten  Obergurttheiles  be- 
festigt war,  ein  fester  Boden  geschaffen;  1 
auf  dem  Untergurte  schob  man  dann  ein 
Gerüst  vor  und  bildete  so  eine  Bühne  für 
die  Arbeiter.  [Abb.   159b.] 

Bei    der  Montirung    des    Mittelfeldes   1 
musste    selbstverständlich    eine    proviso- 
rische Verbindung   dieses  BrUckentheiles 


hälften  und  das  Werk  war  vollendet, 
das  als  ein  dauerndes  stolzes  Denkmal 
österreichischer  Baukunst  dasteht. 

Die  specifischen  Vorzüge,  welche  den 
verschiedenen  bisher  genannten,  im  Laufe 
der  Zeit  auf  unseren  Bahnen  eingeführten 
gegliederten  Trägem 
eigen  sind,  die  alle 
infolge  derverticalen 
Drücke,  die  sie  wie 
ein  gestutzter    Bal- 
ken auf  ihr  Auflager 
ausüben,  zuden  Bal- 
kenträgern    ge- 
zählt    werden,     die 
-[  Über  den  Donauarm  wechselnden        6rt- 

ädiiu.  liehen    Verhältnisse, 

oft  auch  blos  die  Vor- 
liebe des  Constructeurs,  waren  bei  der  Wahl 
des  jeweilig  anzunehmenden  Systems  be- 
stimmend, weshalb  wir  heute  den  mannig- 
fachsten Typen  von  eisernen  Balkenträgem 
auf  den  Österreichischen  Eisenbahnen 
begegnen,  wie  dies  die  folgende  Tabelle 
weit  gespannter  Balkenbrücken  illustrirt. 
In  diese  Uebersicht  wurden  die  bedeuten- 
deren, über  50  m  weit  gespannten  Brücken 
mit  eisernen  Balkentrilgern  aufge 


Brückenbau. 


299 


Uebersicht  einiger  über  50  m  weitgespannter  Brücken  mit  eisernen  Balken- 
trägem  auf  österreichischen  Strecken, 


Bezeichnung  der 
Brücke 


Linie  und 
Bahn- 
Unternehmung 


Zahl  der 

Oeffnungen 

und  deren 

Weite 
in  Metern 


Constructionsart  der 
Hauptträger 


Anmerkung 


Donaubrücke  bei 
Steyregg 


Linz-Gaisbach 
k.  k.  St.-B. 


Donaubrücke  bei 
Mauthausen 


St.  Valentin- 

Budweis 
k.  k.  St.-B. 


DonaubrUcke  bei 

Krems 

[Abb.  160] 


Herzogenburg- 
Krems 
österr.  Local- 
eisenbahn-Ges. 


Douaubrücke  bei 

T^lln 

[vgl.  Abb.  IG  u.  II, 

Bd.  l,  2.  Theil] 


Wien-Gmünd 
k.  k.  St.-B. 


DonaubrUcke  bei 

Wien 

[vgl.  Abb.  45. 

Bd.  I,  2.  Theil] 


Donaubrücke  bei 

Wien 

[vgl.  Abb.  116, 

Bd.  I,  2.  Theil] 


Wien- 

Stockerau 

ö.  N.-W.-B. 

Wien-Florids 

dorf 

K.  F.-N.-B. 


Donaubrücke  bei 
Wien 


Wien-Stadlau 
ö.-u.  St-E.-G. 


Lieserbrücke  bei 
Spital  a.  D. 


Draubrücke  bei 
Über-Drauburg 


Rienzbrücke  bei 
Percha 


Rienzbrücke  bei 
Vintl 


'Eisack-  und 
Festungs-Viaduct 
bei  Franzensfeste  I 
[vgl.  Abb.  54  u.  55, 

Bd.  I,  2.  Theil  I 


Marburg- 
I  Franzensteste 
'       Südbahn 

I       Marburg- 
Franzensßste 
Südbahn 

Marburg- 
Franzensteste 
Südbahn 

Marburg- 
Franzensteste 
Südbahn 

Marburg- 
Franzensfeste 
Südbahn 


5  X  763 

2  X  237 

5  X  763 

3  X  287 


4X80 

2  X  60 

7  X  30 


5  X  75*86 


10  X  3376 


I  X  50 

2   X   24  24 
6   X    20  2 

()  X  12S 


II 

Doppeltes  Mohni^'sches  jStromöflFnungen 
~    '         '  Inundations- 

öflfnungen 
erbaut  1870/72 


Fachwerk 

Einfaches  Mohni6*sches 

Fachwerk 


Doppeltes  Mohni6*sches  |  Stromöffnungen 
~     "        '  Inundations- 

öffnungen 
erbaut  1870/72 


Fachwerk 

Einfaches  Mohni^'sches 

Fachwerk 


I  X  81  58 
3.x  8590 

I  X  8158 

5  X  796 

13  X  2945 

I  X  2956 

4  X  7927 
7  X  57  9 

Halbparabelträger  mit 
2fachem,  unsymmetri- 
schem Fachwerk 
Parallel  träger,  einfach 
gekreuztes,  symmetri- 
sches Fach  werk 

7fach  combinirtes 

Gilterwerk,  continuir- 

licher  Träger 

4fach  reines  Gitterwerk 
je  2  Felder  continuirlich 
Einfach  gekreuztes, 
svmmetr.  Fachwerk 


Stromöffnungen 


Inundations- 

öffnungen 

erbaut  1889 


erbaut  1872/74 


Halbparabelträger  mit 
2fachem,  unsymmetri- 
schem Fachwerk 


Strombrücke 
Inundations- 

brücke 
erbaut  1870/72 


Strom  brücke 
Inundations- 

brücke 
erbaut  1872/73 


9faches  Gitterwerk  mit  j 
Verticalstreifen,  con-    Stromöffnungen 

tinuirlich 
6faches  reines  Gitter- 
werk, je  4  Felder  con- 
tinuirlich 


Inundations- 

öffnungen 
erbaut  1868/70 


i  X  54 

I  X69 

2  X  506 

I   X  60 

Combinirtes  Gitterwerk, 
und  zwar  6faches  Netz- 
werk mit  Verticalen 


wie  zuvor 


4faches  combinirtes 
Gitter  werk 


wie  zuvor 


erbaut  1870 


wie  zuvor 


erbaut  1870 


wie  zuvor 


4faches  combinirtes 
Gitterwerk 

Einfach  gekreuztes 
Gitterwerk 


erbaut  1870 


300 


Josef  Ziiffer. 


Bezeichnung  der 
Brücke 


Linie  und 
Bahn- 
Unternehmung 


Zahl  der 

Oeifnungen 

und  deren 

Weite 
in  Metern 


Constructionsart  der 
Hauptträger 


Anmerkung 


Eisackbrücke  bei 

Röthele 

[vgl.  Abb.  349, 

Bei:  I,  I.  Theil] 


Iglawa-Viaduct 
[Abb.6,Bd.I,2.Th.] 


Innsbruck- 
Bozen 
Südbahn 

Wien-Brünn 
St.-E.-G. 


I  X  569 


6faches  combinirtes 
Gitten\'erk 


erbaut  1867 


Weissenbach  -  Via- , 
duct.  [vgl.  Abb.  27,  Tarvis-Laibach 
Bd.  I,  2.  Theil] 

Brücke  über  den 

Moldauarm  bei 

Prag 


Oest.  N.-W.-B. 


6  X  627 


4faches  combinirtes 
>  Gitterwerk  continuir- 
licher  Träger 


42*9  +  50*2  -f,  Combinirtes  Gitterwerk  .        u     *    q 
391  I    continuirlicher  Träger  li    ^^^^"^  '^7© 


I  X69 


Elbebrücke  bei 
Tetschen 


Innbrücke  bei 
Passau 


Draubrücke  bei 

Villach   [vgl.  Abb. 

24,  Bd.  I,  2.  Th.J 


Oest  N.-W.-B. 


4faches  reines  Netz- 
werk 


erbaut  1873 


2  X  ICO 


Haiding-Passau'       i  X  90*8 


St.  Valentin-  1, 

Pontafel        ' 

k.  k.  St-B.     I 


2  X  60 


4faches  reines  Netzwerk 
continuirlicher  Träger 


erbaut  1874 


Schlitzabrücke 

bei  Tarvis 

[vgl.  Abb.  26, 

Bd.  I,  2.  Theil] 

Rheinbrücke  bei 
Buchs 


St   Valentin- 

Pontafel 
k.  k.  St-B. 


Vorarlberger 
Bahn 


I  X  63 


Reines  Netzwerk 

Reines  Netzwerk 
continuirlicher  Träger 


Reines  Netzwerk 


erbaut  1861 


erbaut  1873 


erbaut  1872 


St-E.-G. 


Elbebrücke  bei 
Josefstadt 

Chvoinitza- 

Viaduct  bei 

Rappotitz 


Süd-nordd. 
Verb-Bahn 


Trebitscher 

Viaduct  über  das 

Startscherthal 

[Abb.   161] 


Segen-Gottes 

OkHsko 

St.-E.-G. 


2  X  667 

2   X  30 

2   X  50 

2  X  öo 

42-9  +  54-6  4- 
429 

48-6  +  58  + 
486 

48  6  +  58  + 
486 

4faches  reines  Netzwerk 

Einfach  gekreuztes 

Fach  werk 


~\ 


erbaut  1871/72 


Continuirlicher  Träger 

mit  einfach  gekreuztem, 

symmetr.  Fach  werk 


mit  einfach  gekreuztem, 
svmmetr.  Fachwerk 


45  tu  über  der 

Thal  sohle 

erbaut  187 1 


Continuirlicher  Träger 

mit  einfach  gekreuztem, 

symmetr.  Fachwerk 

Continuirlicher  Träger 

mit  einfach  gekreuztem, 

symmetr   Fach  werk 


erbaut  1886 


Viaduct  über  die 
Wien-Zeile 


Wiener 
Stadtbahn 


63- 19  +  5057 


Continuirlicher  Träger 

mit  einfach  gekreuztem, 

svmmetr.  Fachwerk 


erbaut  1886 


Beschotterte 
Fahrbahn,      , 

zweigeleisig 

erbaut  1898. 

Senkrechte 
Endabschlüsse, ; 
schief  gestellter 

Mittelpfeiler 


Innbrücke  bei 
Braunau 


Ried-Simbach         6  X  549 


Einfaches  Mohnie'sches 

Fach  werk  fParallel- 

trciger] 


erbaut  1870 


Brückenbau. 


301 


1 

Bezeichnung  der 
Brücke 

1 

Linie  und 
Bahn- 
Unternehmung 

Zahl  der 
Oelfnungen 
und  deren 

Weite 
in  Metern     1 

Constructionsart  der 
Hauptträger 

Anmerkung 

Lavantbrücke 

Unter- 
Drauburg- 
Wolfsberg 

I  X  525 

1 

Einfaches  Mohni^'sches 
Fachwerk 

erbaut  1879 

Murbrücke 

Bruck-Leoben 

I  X  73*4 

1 

Doppeltes  Mohni^'sches 
Fachwerk 

erbaut  1892 

Elbebrücke  bei 
Aussig 

Oest.  N.-W.-B. 

73'9  +  74-2  -f 
73'9 

Doppeltes  Mohnie*sches  • 

Facnwerk  continuirlicher 

Träger 

oben  als  Eisen- 
bahn-, unten  als 
Strassenbrücke 

Donaucanal- 
Brücke  bei  Wien 

[Abb.  158]  ■ 

Wien-Stadlau 
St.-E.-G. 

1 
I  X  79  5^ 

t 
i 

Doppeltes  Mohni<§'sches 
Fachwerk 

erbaut  1870 

D  raubrücke 

Unter- 
Drauburg- 
Wolfsberjj^ 

1X80 

Doppeltes  Mohniö'sches 
Fachwerk 

erbaut  1879 

Radbuzabrücke 
bei  Pilsen 

* 

Wien-Eger 
k.  k.  St.-B. 

I  X  60  7 

;  Doppeltes  Mohni6'sches 
Fachwerk 

erbaut  1872 

Wienbrücke  bei 
Hütteldorf 

Wiener 
Stadtbahn 

5092 
530 

Doppeltes  Mohnie'sches 

Facnwerk  mit  vollständig 

steif  ausgebildeten 

Wandgliedern 

rechtes  Geleise 

linkes  Geleise 

erbaut  1897 

Pruthbrücke 
bei  Czernowitz 
[vgl.  Abb.  379, 

Bd.  I,  I.  Th.] 

Lemberg- 
Czernowitz 

4  X  569 

1 

Hai  bparabel  träger 

erbaut  1871/72 

Dniesterbrücke 
1       bei  Jezupol 

wie  vorher 

5  X  569 

1 
wie  vorher 

wie  vorher 

Dunajecbrücke    , 
bei  Neu-Sandec 

Saybusch- 
1    Neu-Sandec 
k.  k.  St.-B. 

3  X  50 
6X  25 

Halbparabelträger 

Parallelträger  mit  euifach 

gekreuztem,  s\'mmetri- 

schem  Fachwerk 

Halbparabelträger  mit 

einfach  gekreuztem 

Facnwerk 

1 
Parallelträger  mit  ein- 
fachem  Mohni6'schem 
Fachwerk 
Halbparabelträger 

Strom- 

öfFnungen 

Inundations- 

öfFnungen 

Moldaubrücke 
bei  PoHö 

Budweis- 
Salnau 

2  X  50 

Donaucanal- 
Brücke 

bei  Nussdorf 
[vgl.  Abb.  117, 
Bd.  I,  2.  Theil] 

1 

Nussdorf- 

K.-Ebersdorf 

k.  k.  St  -B. 

I  V  24  9  \ 
I  X  2625J 
I  X88-9 

erbaut  1877/78 

Winterhafen-  und 

Donaucanal- 
Brücke  bei  Kaiser 

!         Ebersdorf        ! 

1 

Nussdorf- 

K.-Ebersdorf 

k.  k.  St.-B. 

I  X60 

I  X  90 

[    Halbparabelträger 

erbaut  1880 

Trisana-Viaduct 
[Abb.  150] 

Arlbergbahn 
k.  k.  St.-B. 

I   X    120 

1 

Halbparabelträger 

1 

erbaut  1884 

Oetzbrücke  bei 
Oetzthal 

[Abb.  152]        1 

Arlbergbahn 
k.  k.  St  -B. 

+  80 

2    X    18 

Halbparabelträger 

Parallelträger  mit  einfach. 

unsvmmetr.  Fachwerk 

erbaut  1883 

Etschbrücke  bei 
Gmünd 

Bozen-Ala 
S.-B. 

1 

I  X  100 

! 

Halbparabel  träger 

1 

1 

Etschbrücke  bei 
St.  Michele       1 

Bozen-Ala     ; 
S.-B. 

1 
I  X  89                Halbparabelträger 

302 


Josef  Zuffer. 


Bezeichnung  der  < 
Brücke 

Linie  und 
Bahn-         | 
Unternehmung 

Zahl  der       ' 
Oeffnungen 
und  deren 
Weite 

in  Metern 

1 

1 

Constructionsart  der 
Hauptträger 

1 

Anmerkung 

Murbrücke  bei 
Radkersburg 

Radkersburg- 
Luttenberg 

2  X  55 

] 
Halbparabelträger 

1 

Moldaubrücken 
bei  Budweis 

Wien-Eger 
k.  k.  St.-B. 

1 

I  X  78-85 
I  X  59  J5 

Halbparabelträger 
Halbparabelträger 

Strombrücke 

erbaut  1879 

Inundations- 

brücke  erb.  1891 

Wottawabrücke 
bei  Strakonitz 

Wien-Eger 
k.  k.  St-B. 

I  X68 

Halbparabelträger 

Kampflussbrücke 

iHadersdorf-Sig- 
mundsherberg 

I  X  7Ö-6 

wie  vorher 

erbaut  1889 

Wislokabrücke 
bei  D^bica 

Krakau-Lem- 
bergk.k  St.-B. 

3X71 

1 

wie  vorher 

— 

Sanbrücke  bei 
Przemysl 

1 

Krakau- 

Lemberg 

k.  k.  St.-B. 

2  X  5338  + 

I  X  71 

Parallelträger,  ifaches 
Mohniö'sches  Fachwerk 
1       Halbparabelträger 

Kerkabrücke 

Siveric-Knuin 

I  X63 

Halbparabelträger 

erbaut  18S6 

Egerbrücke  bei 
Postelberg 

Postelberg- 
Laun 

55 
70 
25 

Halbparabelträger 

erbaut  1895 

Moldaubrücke 
1     bei  Mßchenic 
!        [Abb.  162] 

Cerßan-Modtan- 
Dobtiö 

83-5 
3X  37 

Halbparabelträger 
Parallelträger 

erbaut  1897 

Weichselbrücke 

1 
1 

Trzebinia- 
!       Skawce 

4X50 

Halbparabelträger 

wie  vorher 

Elbebrücke  bei 
1         Lobositz 

Teplitz- 

Reichenberg 

Aussig-Tepl.  B.i 

3  X  72 

4  X  25 

Halbparabel  träger 
Parallelträger 

1    erbaut  1897 

Pruthbrücke  bei 
Przerwa 

Lemberg- 
Czemowitz 

669 

2  X  569 

Halb  parabel  träger 
[mit  doppeltem,  unsym- 
metrischem, aber  ganz 
steifem  Fachwerk 

1892  erbaut  an 

Stelle  von  Schif- 

kornb  rücken 

Isonzobrücke 
[Abb.  153] 

Monfalcone- 
Cerv'ignano 

7  X  £0 

Halbparabelträger 
mit  doppeltem,  unsym- 
metrischem, aljer  ganz 

steifem  Fachwerk 

erbaut  1893 

Hernalser  Brücke 
in  Wien 

Vorortelinie 

der  Wiener 

Stadtbahn 

1 

I  X  544 

Halbparabelträger 
mit  doppeltem,  unsym- 
metrischem, aber  ganz 

steifem  Fachwxrk 

Beschotterte 

Fahrbahn, 

zweigeleisig, 

erbaut  1897 

Donaucanal- 
Brücke  in 
I      Heiligenstadt 
;        [Abb.  154] 

Wiener 
Stadtbahn 

1 

I  X  69-05 

Halbparallelträger 
mit  doppeltem,  unsym- 
metrischem, aber  ganz 

steifem  Fachwerk 

1 

erbaut  1895 

1 

1  Miesthal- Viaduct 

1 

Neuhof- 

Weseritz 

1 

3  X  55 

Halbparabelträger  mit 
1  oben  liegender  Fahrbahn 

erbaut  1897 

1 
;    Dniesterbrücke             T.'or. 

l                                                                                    .... 

i    Halbparabelträger  mit 
4  X  60       i  oben  liegender  Fahrbahn 
4  X  30        Parallelträger  mit  einfach 

gekreuztem  System 

1 

wie  vorher 

Brückenbau. 


303 


Die    Bogenträger,    welche    schon   1 
frühzeitig  bei  StrassenbrUcken  in  Oester-  [ 
reich  Verwendung  gefunden  hatten,  treten 
erst  spät  und  vereinzelt    im  Dienste  der 
Eisenbahn  auf.    Sprach  auch  die  schöne  | 
schlanke  Form,    welche    diesem    Träger 
eigen  ist,  zu  ihren  Gunsten,  so  stand  ihrer  1 
Verwendung  doch  wieder  der  Nachtheil  ent- 
gegen,   dass    sie    ungleich    mehr    Eisen- 
materiai  beanspruchten,  als  die  gegliederten 
Balkenträger,  dass  ferner  ihr  grosser,  auf  | 
das  Auflager  ausgeübter  Seitenschub  ein  i 
sehr  starkes  und  kräftig  fundirtes  Wider-  | 
lager  fordert.  | 


zu  je  535  m,  wobei  die  drei  Geleise  durch 
je  vier  Träger  unterstutzt  werden.  Dieses 
Constructions-Sy Stern  fand  auch  bei  der 
Donaucanal-BrUcke  der  Wiener 
Verbindungsbahn,  die  die  alte  Ketten- 
brücke ersetzte,  femer  in  jüngster  Zeit  unter 
Anderem  bei  der  56  tn  breiten  Ueber- 
setzung  der  H  eil  igeii  städter-Strasse 
im  Zuge  der  Gurt ellini  e  der  Wiener 
Stadtbahn  Verwendung. 

Einer  eineBogenconstruction,  bei 
welcher  die  Last  des  die  Fahrbahn  tragen- 
den Obergurtes  durch  verticale  Ständer 
auf  die  Blechbogen  übertragen  wird,  tritt 


Abb.  isoa.    MoldaubrUcIi 

Im  Jahre  1858  baute  v.  Ruppert  in  | 
Ungarn  die   erste  Bogenbrücke  über  die  j 
Theiss  bei  Szegedin,  welche  Brücke 
acht  Oeffnungen  zu  je  423  wi  Weite  um-  , 
fasst.*)  Hier  ist  der  kreisförmig  gebogene 
schmiedeeiserne  Untergurt  mit  dem  Ober- 
gurt durch  Wandfüllungsglieder  verbun- 
den, wodurch  ein  sogenannter  Zwickel- 
bogenträger  entstand  und  die  doppel- 
geleisige  Fahrbahn  wird  durch  vier  solcher 
Bogen  unterstützt.     Auf  österreichischem 
Boden   erbaute  Etzel  die  erste   Bogen- 
brücke derselben  Construction  bei  Mar- 
burg, im  Jahre  1865  mit  drei  Oeffnungen 

•)  Vgl.  Abb.  325,  Bd.  1,   1.  Thei). 


uns  in  den  schön  gegliederten  Objecten  der 
Wiener  Stadtbahn  bei  der  Uebersetzung 
der  Döblinger  Hauptstrasse  im 
Zuge  der  Gürtellinie,  ferner  der  Richt- 
hausen- und  Nussdorfer  Strasse 
im  Zuge  der  Vorortelinie,  bis  zu  Weiten 
von  36-4  H(,  entgegen. 

Im  Gegensatz  zu  den  ursprünglich 
gegen  starre  Lager  gestemmten  Bogen, 
erhalten  die  Fusspunkte  der  Bogen  seit 
den  Sechziger-Jahren  Lagerstühle  mit 
Gelenken,  wodurch  eine  Central isirung 
der  Angriffspunkte  in  den  Kämpfern  und 
eine  Herab  min  der  ung  der  schädlichen 
Temperaturwirkungen  erzielt  wird.  Die 
Vorschläge  des  österreichischen  Ingenieurs 


304 


Hermann,  auch  im  Scheitel  des  Bogens  ' 
Gelenke    anzubringen    und    so   jedwede 
statische  Unbestimmtheit  der  Constniction  ] 
sowie    die    schädliche    Einwirkung    von  | 
Montirungs-    und  Temperaturspannungen 
zu  beseitigen,  kamen 
wohi   bei    Strassen- 
brücken,     wie    bei- 
spielsweise  bei   der 
noch  jetzt  bestehen- 
denStiegerbrücke 
tlberdenWienfluss 
in  Wien  und  bei  einer 

Laibach  fl  US  s- 
brücke  in  Lai- 
bach zur  Verwen- 
dung, fanden  aber  fUr 
Eisenbahn  -  Brücken 
wegen  der  starken 
Senkung  im  Scheitel 
keine  Aufnahme. 

DieUebersetzung  *•*•*■  "W"-    "^'''^"["J 

von      Flüssen      und 

Canälen  mit  Schiffahrts verkehr  erfordert 
bei  niedrig  liegender  Brückenbahn  be- 
weglich eingerichtete  Tragwerke,  die  | 
geschlossen  dem  Bahn  verkehr  dienen, 
dagegen  in  geöffnetem  Zustande  die 
Durchfahrt  der  Schiffe  gestatten.  InOester- 


way-,  im  Jahre  1886  aber  für  den  Eisen- 
bahn-Verkehr der  Riva-Bahn  einge- 
richtet wurde.  Ein  iS  m  langer  Blechträger 
ruht  auf  beiderseitigen  Widerlagern  und 
einem  Zapfen,  der  den  Träger  in  einen  1 3  m 
langen,    den    Canal 
überbrückendenArm 
und  einen  5  m  langen 

Ballastarm  unter- 
theiJt.  Die  Schwen- 
kung der  Brücke  er- 
folgt durch  einen 
ausserhalb  derselben 
in  Bewegung  ge- 
setzten Mechanis- 
mus. Eine  ähnliche 
Constructio  n  s  we  ise 
zeigt  die  Drehbrücke 
im  Hafen  von 
Pola  [Abb.  163], 
welche  die  Oiiven- 
ifvcnL"""'"'""'"'"  '"sel  mit  dem  Fest- 

lande verbindet  und 
jene  im  Zuge  der  Bahn  Bregenz-Lindau, 
welche  die  I4'8  m  breite  Zufahrt  vom 
Boden see  zum  Trockendock  absperrt. 
[Abb    164.] 

Mit  der  Entwicklung  der  eigentlichen 
Trag  werke    der    österreichischen    Bahn- 


reich besitzen  wir  von  den  verschiedenen 
Arten  beweglicher  Tragwerke  nur  die 
Drehbrücken  und  war  die  erste  dieser 
Art  die  im  Jahre  1H57  von  der  k.  k.  Seebe- 
hörde über  den  Canal  Grande  in  Triest 
für  Fuss-  und  Wagen-Verkehr  bestimmte 
Brücke,  die  im  Jahre  1875  für  den  Tram- 


,  brücken,  die  wir  bisher  in  ihren  wesent- 
I  lichsten  Momenten  zu  kennzeichnen  ver- 
suchten, hielt  auch  die  Ausbildung  der 
I  anderen  Brückentheile,  wie  der  Con- 
structionen  für  die  Aufnahme  der  Fahr- 
,  bahn,  der  anderweitigen  Querverbindun- 
I  gen     und     der     Lagerung     der    Brücken 


gleichen  Schritt.  Desgleichen  traten  in 
der  Fundirung  der  Pfeiler  und  in  der 
Montirung  der  Brücken  rationellere  und 
öconomischere  Methoden  auf,  wie  endlich 
auch  die  geklärten  Ansichten  über  die 
Inanspruchnahme  des  Materials  auf  die 
Construction  zurückwirkten  und  in  der 
Verwendung  des  Materials  selbst  einen 
völligen  Wechsel  einführten. 

£>ie  Querträger  werden  heute  meist  | 
als  volle    Blechträger,     nur   bei    grosser,  . 
zur  Verfügung   stehender  Constructions-  1 
höhe  als  Gitterträger  ausgeführt  und  wird 
namentlich    bei    Brücken    mit   Fahrbahn  ! 
»unten<  und  geringer  Trägerhöhe,  welche 
keine     gegenseitige     obere     Verbindung 
der     Hauptwände    gestattet,     auf  einen 


ein  Temperatur  Wechsel  von  40*  C.  auf 
jeder  Lagerseite  eine  Spannung  von 
25  Tonnen  hervorruft,  so  musste  man 
mit  der  anfangs  geüblen  festen 
Verankerung  der  Träger,  die 
eine  Längenausdehnung  nicht  zulieas, 
schlechte  Erfahrungen  machen.  Aber  auch 
bei  Einführung  von  Gleitplatten, 
welche  der  Ausdehnung  des  Trägers 
nur  Reibungs  -  Widerstand  entgegen- 
setzen, wachsen  diese  Kräfte  bei  den 
genannten  Trägern  auf  2  (,  bei  50  tn 
langen  Eisenträgem  sogar  auf  10  —  15/, 
und  sind  daher  im  Stande,  das  Wider- 
lagsmauerwerk  zu  zerstören,  sowie  schäd- 
liche Spannungen  und  Verschiebungen 
in  der  Construction    und  in  den  Stutzen 


ausserordentlich  kräftigen  Zusammen- 
schtuss  der  Quer-  und  Hauptträger  Werth 
gelegt.  Dieser  Umstand,  der  die  seitliche 
Steifigkeit  der  Wände  wesentlich  erhöht, 
wurde  bezttglich  seiner  Trag\veite  in  den 
ersten  Decennien  des  Brückenbaues  häutig 
unterschätzt.  Wo  immer  es  die  Höhe 
der  Träger  über  oder  unter  der  Fahr- 
bahn gestattet,  wird  durch  Einbau  kräf- 
tiger Querriegel  zwischen  den  Wänden 
und  durch  Windkreuze  den  seitlichen 
Angriffskräften  wirksam  entgegengetreten. 
Zwischen  die  eisernen  Querträger  werden 
secundäre  eiserne  Längs  träger  ange- 
nietet, aufweiche  erst  die  hölzernen  Quer- 
schwellen für  die  Schiene  zu  liegen 
kommen. 

Die  Längenänderung,  welche  die 
eisernen  Brücken  unter  dem  Einfluss  der 
Temperatur  erleiden  und  welche  oft 
ausserordentlich  grosse  Kräfte  in  dem 
Träger  erzeugt,  erforderte  eine  besondere 
Ausbildung  der  Lager.  Da  schon  bei 
einer  10  iii  langen  Eisenbahn-Construction 

GMChichte  dtr  ElieobabocD.  II. 


hervorzurufen.  Erst  in  den  Siebziger- 
Jahren  wurden  bei  den  Österreichischen 
Brücken  allgemein  die  Flächen  und  Gleit- 
lager bei  grossen  Brücken  eliminirt,  und 
die  gleitende  Reibung  in  eine  rollende 
umgewandelt,  indem  Walzen  zwischen 
die  oberen  und  unteren  Lagcrtheile  ein- 
geschoben wurden. 

Hoffmann  hatte  bereits  im  Jahre  1858 
auf  der  InnbrUcke  bei  Biehelwang  Rollen- 
lage r  angewendet.  Der  Umstand,  dass 
bei  grossen  und  schweren  Brücken  die 
Zahl  und  der  Durchmesser  der  Rollen 
bedeutend  sind  [beispielsweise  benfithigt 
eine  Brücke  von  etwa  100  m  Weite 
6  Stück  Rollen  von  ungefähr  20  bis 
25  cm  Durchmesser],  die  Lagerfläche 
daher  sehr  gross  wird  und  somit  die  Gefahr 
für  eine  ungleichmässige  Uebertragung 
des  Druckes  auf  die  Rollen  sehr  nahe 
lag,  führte  zur  Einführung  der  Halb- 
walzen oder  Stelzen,  die  einen' 
grossen  Walzdurchmesscr  erhielten,  so 
dass    bei     der     Bewegung    des    Trägers 


3o6 


nur    ein    kleiner  Theil    der  Walzenober- 
fläche      zur       Abwickelung       gelangte,  | 
die    daher    nur    einen    schmalen    Körper  . 
benöthigten.    Indessen    kehrte    man    aus 
praktischen  Grün- 
den später  wieder 
zu     den     Rollen- 
lagern zurück. 

War  auch  der 
grosse  Reibungs- 
widerstand durch 
die  Rollen  und 
Stelzen  beseitigt, 
so  war  doch  der 
Nachtheil  vorhan- 
den, dass  bei  der 
Ein  Senkung  gros- 
ser Brücken  deren 
Stützpunkt  infolge 
der  starren  Ver- 
bindung der  Trä- 
ger mit  den  langen 
oberen  Lagerplat- 
ten nach  dem  vor- 
deren    L'agerende 

verschoben  wurde,  *''''   '*'    '''"'''^M^tan 

welcher   Umstand        [Na^h  ein«  phoioginphiBii 

*-  1^1       'j      ■  Kammer  plifiUpgrarbi 

die  gleichmässige 

Druck vertheÜung  auf  Rollen  und  Stel- 
zen sowie  auf  die  unteren  Lager- 
platten beeinträchtigte  und  nacht  hei- 
lige Inanspruchnahmen  des  Materials  der  ' 
Brücke  wie  der  Widerlager  auftreten 
Hess.  Dieser  Nachtheil  wurde  durch 
die  neuartigen  Kipplager  behoben, 
welche  zwischen  der  an  den  Träger  fest- 


genietelen  Platte  und  der  auf  den  Rollen 
oder  Stelzen  aufliegenden  Ueberlagsplatte 
einen  eingeschalteten  Zapfen  zeigen,  auf 
dessen  gekrümmter  Oberfläche  der  Brü- 
ckenträger wippen 
kann.  Statt  eines 
eigenen  Zapfens 
wird  in  vielen  Fäl- 
len schon  die  auf 
den  Rollen  oder 
Stelzen  liegende 
Platte  entspre- 
chend geformt.  Die 
besondere  Bedeu- 
tung, welche  sol- 
che Gelenke  für 
das  Auflager  von 
Bo genbrücken  ge- 
wotmen  haben, 
wurde  bereits  frü- 
her gestreift. 

Heute  werden 

nur    bei    Objecten 

bis  zu  20  m  Weite 

einfache  Gleit- 

hci  «,.h„i.    iö„u.a.  i^  von  da  bis 


B.) 


25    I 


che 


niager 

ohne  Kipp -Vorrichtungen,  und  darüber 
hmaus  Kipp-Rollen-  oderStelzen- 
lager  angewendet.  Das  Material  der 
Lagerstühle  besteht  dabei  meist  aus  Guss- 
eisen, bei  den  grossen  Brücken  aus  Guss- 
stahl. 

Die  UeberbrUckung  tiefer  und  breiter 
Thäler  Hess  die  Pfeiler  der  Viaducte  zu 


Brückenbau. 


mächtiger  Höhe  liinanwachsen  und  machte 
auch  hier  bald  das  Eisen  eine  gewisse 
Ueberlegenheit  geltend.  Dem  Vortheil 
fast  völliger  Unverwüstlichkeit  und  ein- 
facher Erhaltung,  der  den  gemauerten 
Pfeiler  gegenüber  dem  eisernen  aus- 
zeichnet, steht  bei  bedeutender  Höhe 
der  Nachtheil  gegenüber,  dass  das  grosse 
Gewicht  des  Steinpfeilers  ein  besonders 
gutes  Fundament,  eventuell  eine  Funda- 
men terbreiterung  fordert  und  dass  hie- 
durch  grössere  Kosten  verursacht  werden. 
Bedeutenden  Objecten  mit  hohen  Stein- 
pfeilern begegnen  wir  ausser  dem  bereits 
genannten  Moldau -Viaduct    bei  Cervena 


I  Der  Iglawa-Viaduct  [Abb.  165] 
I  überbrückt  das  450  m  weite  Thal  des 
Iglawa- Flusses  in  der  Höhe  von  427  m 
\  über  dem  Wasserspiegel  mittelst  eines  con- 
I  tinuirlichen,  Über  fünf  eiserne  Zwischen- 
I  pfeiler  geführten  S'6  m  hohen  Parallel- 
trägers. Die  Construction  desselben  ist  die 
I  eines  vierfachen  Netzwerkes  mit  schlaffen 

;  Zug-    und    steifen    [( iförmigen]   Druck- 

!  streben  sowie  steifen  Vetticalen,  welche  in 
■  jedem  Knotenpunkt  eingezogen  sind  und 
die  als  Blechwände  ausgebildeten  Quer- 
I  träger  aufnehmen.  Dieseslützenwiederdie 
j  eisernen  Längsträger,  auf  welchen  dicht 
I  aneinandergereihte,     eiserne     Schwellen 


..[Li 


lU.) 


u.  a.  noch  in  dem  Thava-V  i  ad  u  et  ! 
bei  Znaim  [vgl.  Abb.  46,  B'd.  I,  2.  Theil] 
der  Nordwestbahn,  dessen  220  m  langer  | 
Parallel  träger  über  drei  an  40  in  hohe 
Steinpfeiler  hinweggehl,  weiter  in  dem 
87  m  hohen  Trisana-Viaduct  im 
Zuge  der  Arlbergbahn  mit  50  in  hohen 
Steinpfeilern  und  in  dem  ebenfalls  schon 
genannten  Opor-Viaduct  der  Strecke 
Stryj-Beskid  mit  28  »t  hohen  Stein- 
pfeilern, i 

Die  grossen  »gusseisernen  Thurm- 
pfeiler«,    die    v.    Nürdling    zuerst    im 
Jahre     1854     auf     der    Orleansbahn     in 
raustergiltiger  Weise  ausführte,  bei  denen  ■ 
hohe  gusseiseme  Säulen  durch  schmiede-  1 
eiserne  Verbindungstücke  zu  einem  thurm- 
artigen,    die    Brücke    tragenden    Aufbau 
vereinigt  sind,    erhielten    im  Jahre    1S70  . 
im  Iglawa-Viaduct  bei  Eibenschitzauf  ! 
der  Linie  Wien-BrUnn  unter  v.  K u p-  , 
per t  und  im  Weissenbach- Viaduct 
derLinieTarvis-LaibachvonKöstlin  , 
und  B  a  1 1  i  g  zwei  hervorragende  Vertreter. 


ruhen.  In  Abständen  von  62'7  m  von 
Mitte  zu  Mitte  stehen  die  fünf  eisernen, 
auf  Mauersockeln  von  22-4  bis  zu 
27-4  »«  Höhe  ruhenden  Zwischenpfeiler, 
deren  jeder  ursprünglich  aus  fünf 
gusseisernen,  0'3  tn  weiten  und  35  mm 
starken  Röhren  zusammengesetzt  war. 
Je  vier  Röhren,  durch  schmiedeeiserne 
Quertheile  etagenformig  mit  einander 
verbunden,  bildeten  eine  Pyramide,  wäh- 
rend die  fünfte  Rohre  als  Spindel  für 
die  zum  Revisionssteg  führende  Wendel- 
stiege bestimmt  war.  Die  Lieferung  und 
Aufstellung  des  Viaductes  besorgten  die 
französischen  Eisenwerke  F.  Cail  &  Co. 
und  von  Fi vcs-Lille;  die  eigentliche 
Brückenconstruction  wurde  auf  dem  Lande 
mit  Hilfe  von  hölzernen  Zwischenpfeilem 
montirtund  auf  die  fertigen  eisernen  Pfeiler 
geschoben.  [Vgl.  Abb.  6,  Bd.  I,  2.  Theil]  Im 
Laufe  der  Jahre  wurden  einige  feine,  aber 
ungefährliche  Längsrisse  an  verschiedenen 
Stellen  der  Rührenständer  entdeckt, 
als    deren    Ursache    die    ziemlich    hefti- 


3o8 


Josef  ZufFer. 


gen,  durch  die  »harte«  Fahrbahn  be- 
dingten Erschütterungen  der  Eisencon- 
struction,  vorwiegend  jedoch  die  Ein- 
wirkung des  Frostes  angesehen  wurde, 
indem  die  zwischen  den  Rohrwänden 
und  dem  festen  Betonkem  derselben  ein- 
sickernde Feuchtigkeit  beim  Gefrieren 
auf  die  Rohrwände  von  innen  heraus 
einen  bedeutenden  Druck  ausübte. 

Die  Röhren  wurden  an  den  Enden 
der  Risse  angebohrt,  um  dem  Weiter- 
greifen derselben  vorzubeugen,  alle  nur 
einigermassen  bedenklichen  Stellen  durch 
schmiedeeiserne  Ringbänder  gedeckt  und 
die  eisernen  Querschwellen  durch  eichene 
in  entsprechenden  Abständen  ersetzt,  um 
das  harte  Fahren  zu  beseitigen.  Alle 
diese  Vorsichtsmassregeln  aber  verhin- 
derten nicht,  dass  die  beunruhigenden, 
wenn  auch  unbegründeten  Gerüchte  über 
die  Unsicherheit  des  Bauwerkes,  die 
schon  lange  im  Publicum  circulirten, 
immer  aufs  Neue  auftauchten,  ja  durch  das 
behördlich  geforderte  langsame  Befahren 
des  Viaductes   neue   Nahrung    erhielten. 

Die  Gesellschaft  entschloss  sich  daher 
zu  Ende  der  Achtziger-Jahre,  die  Pfeiler 
umzubauen.  Ein  Ersatz  durch  Steinpfeiler 
war,  abgesehen  von  den  grossen  Mehr- 
kosten, schon  aus  dem  Grunde  ausge- 
schlossen, weil  die  Fundamente  der  alten 
Pfeilersockel  der  bedeutenden  Mehrlast 
der  Steinpfeiler  nicht  gewachsen  gewesen 
wären.  Es  wurden  daher  nach  dem 
Projecte  und  unter  Aufsicht  des  In- 
genieurs Franz  Pfeuffer  die  guss- 
eisernen Pfeiler  durch  schmiede- 
eiserne ersetzt,  welche  ohne  Behinde- 
rung des  Zugverkehrs  und  ohne  Zuhilfe- 
nahme eines  Gerüstes  zur  Aufstellung  ge- 
langten.    [Abb.   i66.] 

Innerhalb  des  Raumes,  den  die  guss- 
eisemen  Rohrständer  jedes  Pfeilers  be- 
grenzten, wuchsen  die  schlanken  schmiede- 
eisernen, im  Querschnitt  kreuzförmigen 
Ständer  der  neuen  Pyramidenpfeiler  hinauf, 
im  Ganzen  ein  ähnliches,  etwas  schmäch- 
tigeres Bild  wie  die  früheren  Thurmpfeiler 
bieten.  Die  grosse  Arbeit  wurde  inner- 
halb sechs  Monaten  des  Jahres  1892 
beendet.  Nach  Beendigung  der  Pfeiler- 
montirung  w^urden  die  alten  Rollenlager, 
deren  jede  Tragwand  zwei  auf  jedem 
Pfeiler  besass,  entfernt  und  durch  je  ein 


Kipplager  ersetzt,  wodurch  die  Wirkung 
der  äusseren  Kräfte  auf  die  Construction 
wie  auf  die  Pfeiler  mehr  concentrirt  wurde. 
In  geistreicher  Weise  wurde  die  Wirkung 
der  Sonnen  wärme  ausgenützt,  um  die 
ganze  3737  m  lange  und  1043  t 
schwere  Trägerconstruction  ohne  weitere 
Hilfsmittel  um  6  cm  gegen  Brunn  zu  ver- 
schieben. Zeitlich  morgens  wurde  nämlich 
die  Eisenconstruction  gegen  das  Wiener 
Widerlager  fest  abgekeilt,  so,  dass  sich 
die  Träger  nur  gegen  Brunn  ausdehnen 
konnten.  Am  Abend  wurde  wieder  das  Trag- 
werk auf  dem  Brünner  Widerlager  fixirt 
und  konnte  sich  daher  in  der  Nacht  bei 
der  Abkühlung  nur  gegen  Brunn  zu- 
sammenziehen. Da  die  damaligen  Tem- 
peraturdifferenzen zwischen  Tag  und 
Nacht  nur  gering  waren,  musste  der  Vor- 
gang durch  einige  Tage  wiederholt  wer- 
den, bis  die  Eisenconstruction  in  der 
richtigen  Lage  war. 

Beim  Weissenbach-Viaduct 
[vgl.  Abb.  27,  Bd.  I,  2.  Theil],  dessen 
continuirliche  Träger  von  132  t»  Länge 
über  zwei  gusseiseme  Röhrenpfeiler  hin- 
weggehen, die  aus  je  vier  Rohrständem 
von  18,  beziehungsweise  27  m  Höhe 
bestehen,  blieben  die  Röhren  von  An- 
rissen wie  jene  des  Iglawa- Viaductes  bis 
heute  verschont.  Dem  Umstand,  dass 
jede  Trag  wand  nur  ein  Auflager  über 
jedem  Pfeiler  besitzt,  und  die  gleichzeitige 
Hohlbelassung  der  Rohrständer  dürfte 
wohl  diese  Ueberlegenheit  gegenüber 
dem  Iglawa- Viaduct    zuzuschreiben   sein. 

Eine  interessante  Anordnung:  eiserner 
Pfeiler  —  die  sogenannten  Pendel- 
pfeiler, die  bereits  bei  mehreren  bedeu- 
tenden Brücken  in  Schweden  und  Deutsch- 
land zur  Aufstellung  gelangt  waren  —  er- 
hielt in  jüngster  Zeit  die  Ueberbrückung 
der  Grillowitzer  Strasse  auf  dem  Bahn- 
hofe der  Kaiser  Ferdinands-Nord- 
b  a  h  n  in  Brunn.  Jede  Tragvvand  ruht 
hier  auf  einem  gusseisemen  Ständer,  die 
alle  in  eine  Reihe  gestellt  sind.  Um  diese 
Ständer  vor  den  seitlichen  Verbiegungen 
zu  bewahren,  welche  die  Verschiebungen 
des  Trägers  infolge  der  Belastung  und 
Temperatur- Aenderung  hervorrufen  wür- 
den, sind  am  unteren  und  oberen  Ende 
jedes  Ständers  Kugelgelenke  einge- 
schaltet,    die     seine   freie    Beweglichkeit 


3IO 


Josef  Zuffer. 


und  die  Einstellung  in  die  Richtung  der 
wirkenden  Kräfte  ermöglichen. 

Der  Vollständigkeit  halber  sei  noch 
erwähnt,  dass  ausser  steinernen  und 
eisernen  Zwischenpfeilern  auch  Holz- 
Joche  zur  Unterstützung  von  Eisen- 
brücken verwendet  wurden,  um  die  Her- 
stellung der  Objecte  zu  beschleunigen. 
Das  erste  solche  Beispiel  betriift  die  Save- 
brücke  bei  Brod,  die  zweite  Brücke 
mit  hölzernen  Jochen  ist  die  über  den 
Mitterbach  und  kalten  Gang  auf 
der  Localbahn  Schwechat-Manners- 
dorf.    [Abb.    167.] 

Die  Gründung  der  Pfeiler,  die 
bei  grösserer  Wassertiefe,  bei  tiefer  Lage 
tragfähiger  Schichten  und  grosser  Strom- 
geschwindigkeit immer  eines  der  schwie- 
rigsten Probleme  gebildet  hatte,  fand 
erst  die  glücklichste  Lösung,  nach- 
dem das  Eisen  diesem  Zwecke  dienstbar 
gemacht  worden  war.  Die  älteren  Fun- 
dirungs  verfahren  mittels  Spundwänden 
und  Fangdämmen,  die  Pfahlgründungen 
und  die  Fundirung  mittels  Senkkasten, 
wurden  im  Eisenbahnbau  bald  abgelöst 
von  den  den  Einflüssen  des  Hochwassers 
fast  entrückten  Fundirungen  mittelst 
Luftdruck.  Die  erste  pneumatische 
Fundirung  in  Oesterreich-Ungam,  das 
hierin  Deutschland  vorausging,  war  jene 
der  Szegediner  Theissbrücke  unter  C.  von 
Ruppert  im  Jahre  1857,  nachdem  dieses 
Verfahren  in  England  von  C  u  b  i  1 1  und 
Hughes  beimBauderMedway-Brücke 
bei  Rochester  erfolgreich  benützt  worden 
war.  In  Szegedin  bestehen  die  sieben 
Röhrenpfeiler  der  doppelgeleisigen  Brücke 
aus  je  zwei  gussei semen,  3  m  weiten  Cylin- 
dern,  die  mit  Beton  ausgefüllt  und  durch 
Verstrebungen  aus  Schmiedeeisen  mitein- 
ander verbunden  sind.  Jede  dieser  Säulen 
wurde  aus  i"5  m  hohen,  mittels  Flanschen 
und  Bolzen  verbundenen  Trommeln  herge- 
stellt. Zum  Niederbringen  dieser  Cylinder 
erhielten  sie  schmiedeeiserne  Aufsätze  mit 
Luftschleusen,  durch  welche  verdichtete 
Luft  in  die  Röhren  eintrat  und  das  Wasser 
theils  durch  die  untere  Sohlenschichte,  theils 
durch  ein  Steigrohr  verdrängte.  Der 
innere  Raum  der  Cylinder  war  zugleich 
durch  die  Schleusen  für  die  Arbeiter 
zugänglich  gemacht,  die  das  ausgehobene 
Material    mittels    Krahnen     hinausbeför- 


derten. Durch  Auflegen  von  Eisenge- 
wichten bis  400  Centner  und  bei  gleich- 
zeitigem Aushub  des  Materiales  im  In- 
neren der  Röhren,  wurden  dieselben  in  den 
Boden  hinabgedrückt.  Nach  beendeter  Fun- 
dirung erhielten  sie  eine  Füllung  mit  Beton. 
Die  Mängel  der  Röhrengründung, 
welche  vorwiegend  in  der  grossen  Zahl 
der  zu  versenkenden  Röhren  lagren  und 
mit  welchen  die  Schwierigkeiten  des  Ver- 
setzens  der  Schleuse  behufs  Auf  bringung 
neuer  Rohrtheile  verbunden  waren, 
vermieddie  Caisson- Fundirung,  bei 
welcher  der  zu  versenkende,  unten  offene 
eiserne  Caisson  den  vollen  Umfang  des 
künftigen  Pfeilers  erhält.  Zwei  oder 
drei  Röhren  mit  oben  befindlichen 
Schleusen  führen  dem  Caisson  die 
comprimirte  Luft  zu  und  vermitteln 
den  Zugang  der  Arbeiter.  Die  eigentliche 
Mauerung  des  Pfeilers  erfolgt  oberhalb 
der  Caissondecke  unter  dem  Schutze  eines 
Blechmantels  in  dem  Masse,  als  der  Cais- 
son niedersinkt.  Dieses  Verfahren,  zuerst 
von  dem  deutschen  Ingenieur  Pfann- 
müllerin den  Fünfziger-Jahren  ersonnen 
und  von  Brunei  in  England  beim  Bau  der 
Saltash-Brücke  zuerst  verwendet,  fand 
in  Oesterreich  in  den  Jahren  1 868  bis 
1870  beim  Bau  der  Donaubrücken 
nächst  Wien,  und  zwar  zuerst  bei  jener  der 
Staatseisenbahn  -  Gesell  Schaft, 
Eingang.  Waren  es  anfangs  französische, 
mit  dieser  neuartigen  Bauweise  vertraute 
Unternehmer,  welche  die  ersten  Fundi- 
rungsarbeiten  in  Oesterreich  durchführten, 
so  hatte  man  sich  doch  bald  von  dem 
fremden  Einfluss  befreit,  so  dass  die  pneu- 
matischen Fundirungen  in  Steyregg, 
Mauthausen,  Nussdorf,  Florids- 
dorf,  Krakau  und  die  ausserordentlich 
zahlreich  nachfolgenden,  von  heimischen 
Kräften  allein  besorgt  wurden.  Die  pneuma- 
tischen Fundirungen  fanden  seither  immer 
weitere  Verbreitung  und  nicht  weniger  als 
248  Land-  undZwischenpfeiler  bei  55  Eisen- 
bahn- und  Strassenbrücken  wurden  seit 
dem  Jahre  1871  von  der  österreichischen 
Unternehmung  Klein,  Schmoll  und 
Gärtner  mit  Druckluft  gegründet,  wobei 
die  gross ten  Erfolge  mit  dem  Namen 
Gärtner,  welcher  in  den  letzten  Jahren, 
nach  Erlöschen  der  Firma,  als  Unter- 
nehmer allein  steht,    eng  verknüpft  sind. 


Ein    uraltes,  schon  von  den  Indern  i 
erfundenes  Fundirungs verfahren  ist  die  in 
neuester  Zeit  bei  mehreren  österreichischen 
Bahnbauten  in  Verwendung  gekommene 
Brunnen-Fundirung,    die  ohne  Zu- 
hilfenahme   verdichteter    Luft    vor    sich 
geht.     Eine  aus  Holz  oder  Eisen  beste- 
hende, entsprechend  weite,  unten  auf  dem 
Brunnenkranz  aufruhende  Trommel  erhält 
eine   gemauerte  Ausfütterung    und   wird 
nun    in  die  Flusssohle    versenkt,    indem  j 
der  innere  Raum  von  oben  ausgegraben  i 
und  ausgepumpt  wird.    Der  Brunnen  wird 
nach  entsprechender  Versenkung  auf  etwa  ; 
2  m  Höhe  mit  Beton  gefüllt,  auf  welche  ' 
Betonsohle    das    eigentliche    Mauerwerk 
aufgeführt  und  durch  Gewölbe  mit  dem 
Mauerwerke   des    Nachbarbrunnens   ver- 
bunden wird,  um  die  entsprechend  grosse  ' 
Auflage    für  den  Pfeiler  zu  bilden.     Ein  ■ 
solches  Verfahren  empfiehlt  sich  besonders  ■ 
bei     massiger    Wassertiefe     und     ange-  ' 
schwemmtem     Boden,     der     den     Grab- 
arbeiten   kein    grosses    Hindernis    bildet, 
wobei     einzelne     Stämme,     Steine    oder 
Findlinge  eventuell  durch  Taucher  leicht 
beseitigt  werden  können. 

Diese  Voraussetzungen  trafen  wieder-  ] 
holt    auf    der    Galizischen    Trans-  1 
versal-Bahn  zu,  wo  bei  n e ö n  grossen 
Brücken     die     Brunnen-Fundirung     mit  , 
grossem    öconomischem    Vortheil     ange- 
wendet wurde.      Die  Fundirung    erfolgte 
immer  im  Trockenen,  indem  eine  kleine   ; 
Inselschüttung  bis  über  das  Wasser  auf- 
geführt wurde.    Dieses  Verfahren  erwies 
sich    durch     die    Möglichkeit,    auch    in 
grössere  Tiefen  hinabzugehen,  gegenüber  ■ 
den  Fangdämmen  als  sehr  vortheühaft. 

In  einer  richtig  construirten  Eisen- 
brUcke  ist  jedem  Gurttheil,  jeder  Strebe, 
jedem  Glied  eine  bestimmte  Function 
zugewiesen  und  die  Dimensionen  jedes 
Theiles  werden  entsprechend  den  von 
ihnen  zu  übernehmenden  Kräften  fest- 
gestellt. Daher  bedarf  auch  kein  Bau- 
werk einer  so  rechnerischen  Durch- 
dringung in  allen  Theilen  wie  die  Eisen- 
constniction.  Die  Berechnung  der  Brücken 
operirt  dabei  einerseits  mit  den  äusseren, 
von  den  Lasten  herrührenden  Kräften, 
andererseits  mit  den  inneren  Spannungen, 
in  welche  sich  erstere  umsetzen  und  mit  wel- 
chen sie  das  Gleichgewicht  halten  mUssen. 


Es  ist  nun  die  Aufgabe  der  Statik, 
aus  den  äusseren  Kräften  die  innere 
Spannung  in  den  einzelnen  Constructions- 
theilen  zu  ermitteln.  Seitdem  es  dem 
Franzosen  Navier  im  Anfang  dieses 
Jahrhunderts  gelungen  war,  das  Biegungs- 
problem endgiltig  zu  lösen,  war  erst  die 
Baumechanik  auf  eine  streng  wissen- 
schaftliche Basis  gestellt.  Seither  wurde 
der  Brückenbau  durch  die  ausserordentlich 
fruchtbare  Tbätigkeit  französischer,  eng- 
lischer und  deutscher  Forseber  zu  einer 
umfangreichen  Wissenschaft. 


Namentlich  die  Statik  der  Stabsysteme 
erhielt  in  der  zweiten  Hälfte  unseres  Jahr- 
hunderts eine  weitgehende  Durchbildung, 
wobei  die  Bestimmung  der  in  den  Con- 
structionen  auftretenden  inneren  Kräfte 
entweder  auf  rein  statischem  Wege  oder 
mit  Hilfe  der  Elasticitätsgesetze  erfolgte. 
Zur  langen  Reihe  stolzer  Namen,  die  in 
Frankreich.  England  und  namentlich  in 
Deutschland  mit  diesen  geistigen  Fort- 
schritten enge  verknüpft  sind,  stellte  auch 
Oesterreich  die  seinen  bei.  Gerstner 
und  R  e  h  h  a  n  n  waren  es  in  der  ersten  Zeit, 
E,  Winkler,  Brik,  Steiner,  Melan, 
V.  Ott,  v.  Leber  u.  A.  in  der  jüngsten, 
welche  den  theoretischen  Brückenbau  durch 
ihre  Leistungen  bereicherten. 

Bekanntlich  bedarf  es  zur  Berechnung 
einer  Brücke  zunächst  der  Kenntnis  jener 
Anstrengung,  welche  das  .Material  ohne 
Gefährdung  erträgt  und  der  Belastungen, 


312 


Josef  Zuflfer. 


welchen  die  Construction  unterworfen 
werden  soll.  Um  die  Rechnung  zu  verein- 
fachen und  sie  allgemein  auf  gleiche  Basis 
zu  stellen,  pflegt  man  dabei  gewöhnlich  statt 
der  einzelnen,  auf  die  Brücke  einwirkenden 
Raddrücke  eine  gleichförmig  vertheilte 
Belastung  anzunehmen,  die  mit  jener 
bezüglich  der  veranlassten  maximalen 
Beanspruchungen  äquivalent  ist.  Beide 
Factoren,  die  Material- Inanspruchnahme 
sowohl  als  auch  die  Belastungsannahmen, 
machten  ihre  eigene  Entwicklung  durch. 

Stephenson  und  Fairbairn  hatten  im 
Jahre  1847  durch  den  Versuch  mit  Brücken 
aus  Guss-  und  Schmiedeeisen  einiges  Licht 
in  das  Verhalten  des  Materials  hinein- 
getragen. In  Oesterreich  hatte  im  Jahre 
1854  das  Handelsministerium  zum  ersten 
Mal  sein  Aufsichtsrecht  bezüglich  der 
Bahnbrücken  dahin  geltend  gemacht,  dass 
es  eine  Belastung  von  4130  kg  für  das 
laufende  Meter  als  Basis  der  Brücken- 
berechnung festsetzte.  Da  aber  diese 
Bestimmung  nur  für  specielle  Fälle 
Geltung  hatte  und  überdies  für  die 
anzunehmenden  Grenzspannungen  des 
Materials  keinen  Anhaltspunkt  enthielt, 
trug  sie  nicht  dazu  bei,  den  Willkürlich- 
keiten in  den  verschiedentlichen  An- 
nahmen eine  Grenze  zu  setzen  und  ge- 
ordnete Zustände  herbeizuführen.  Manche 
Bahnen  schränkten  die  Inanspruchnahme 
des  Materials  womöglich  ein,  wogegen 
wieder  die  Neville-  und  Schifkorn- 
b rücken  Inanspruchnahmen  zeigten,  die 
bis  zur  El ast i c it  ät  s grenze  hinan- 
reichten. M  a  n  i  e  1  legte  bei  der  Staats- 
eisenbahn  seinen  Berechnungen  gleich- 
massige  Belastungen  von  4000  kg  für 
das  laufende  Meter,  Hornbostel  auf 
der  Elisabeth-Bahn  bei  grossen 
Brücken  von  4710  kg^  Etzel  auf  der 
Süd  bahn  von  5690  kg  zugrunde. 

Um  diesen  ungeordneten  Zuständen  ein 
Ende  zu  machen,  regte  R  e  b  h  a  n  n  schon 
im  Jahre  1856  im  Oesterreichischen 
Ingenieur-Verein  dazu  an,  die  in  den 
verschiedenen  Staaten  bestehenden  Bestim- 
mungen und  Uebungen  zu  sammeln,  um 
für  ähnliche  Vorschriften  eine  Grundlage 
zu  gewinnen.  Erst  im  Jahre  1865  hatten 
erneuerte  Anregungen  von  Hornbostel 
den  Erfolg,  dass  sich  im  Schosse  des  Ver- 
eines  eine    Commission    bildete,  die    auf 


Grund  von  Studien  der  Regierung  Anträge 
für  eine  Brücken-Verordnung  erstattete. 
Der  im  Jahre  1869  erfolgte  Brücken- 
einsturz bei  Czemowitz  drängte  die  Re- 
gierung zu  entscheidenden  Massnahmen 
und  führte  zur  Brücken- Verordnung  vom 
30.  August  1870,  mit  welcher  den 
herrschenden  Unbestimmtheiten  endlich  ein 
gewisses  Ziel  gesetzt  war.  Die  Verordnung 
schrieb  vor,  dass  den  Berechnungen  eine 
gleichmässig  vertheilte  Last  zugrunde 
zu  legen  sei,  welche  mit  den  wachsenden 
Brückenlängen  von  30 — 4 1  pro  laufendes 
Meter  abgestuft  war.  Die  zulässige  In- 
anspruchnahme des  Schmiedeeisens  wurde 
fixirt,  Gusseisen  »sollte  im  Allgemeinen, 
insbesondere  in  den  freitragenden  Con- 
structionen,  nicht  auf  Zug  beansprucht 
werden«.  Die  Erprobung  der  Brücke 
sollte  im  Allgemeinen  durch  Aufbringung 
der  gesetzlich  bestimmten  gleichmässigen 
Belastung  erfolgen  und  zur  Erprobung 
mit  rollender  Last  waren  Z,ySigt  mit  zwei 
der  schwersten  Locomotiven  bestimmt, 
die  erst  langsam,  dann  schnell  die  Brücke 
zu  befahren  hatten. 

Die  Verordnung  blieb  etwas  hinter 
den  Vorschlägen  des  Ingenieur- Vereins, 
welcher  grössere  Belastungsannahmen 
bestimmte,  zurtlck.  Auch  hatten  sich 
dort  schon  Stimmen  gegen  die  Berech- 
tigung einer  Belastungstabelle  ausge- 
sprochen, deren  gleichmässige  Lasten  in 
ihren  Wirkungen  hinter  den  immer 
wachsenden  Achsdrücken  zurückblieben. 
Endlich  zeigte  die  Verordnung  bezüglich 
der  Verwendung  des  Gusseisens  eine  weit- 
gehende Toleranz,  von  welcher  allerdings 
in  der  Folge  kein  Missbrauch  gemacht 
wurde,  da  ja  das  gemischte  System  aus 
Guss-  und  Schmiedeeisen  so  sehr  in 
Misscredit  gekommen  war. 

In  der  That  wurde  die  Verordnung 
bald  durch  den  Bau  immer  schwererer 
Locomotiven  und  durch  die  wachsende 
Beschleunigung  der  ZilgQ  überholt. 
Wenn  auch  einzelne  Bahnen  die  Con- 
structionen  auf  Grund  ideeller  schwererer 
Belastungszüge  rechneten  und  auf  diese 
W^eise  den  wirklichen  Forderungen  an- 
passten,  so  hielten  sich  doch  andere 
Bahnen  nur  an  die  durch  die  Verordnung 
zugelassenen  Grenzen.  In  den  Achtziger- 
Jahren  erkannte  man  denn  auch  die  Noth- 


wendigkeit     einer     Revision     und     Ver- 
schärfung der  erlassenen  Bestimmungen, 
und,  gedrängt  durch  den  Brück eneinsturz 
bei  Hopfgarten,  erschien  am  1 5.  September 
1887  eine  neue  Brücken- Verordnung 
desHandelsministeriums,  welche, 
auf  exacten    Forschungen    beruhend   und 
den    gestiegenen     Locomotiv- 
Gewichten  Rechnung  tragend,  an   die 
Berechnung,    Erprobung    und   Erhaltung 
der   Brücke,    ungleich    strengere    Forde- 
rungen stellte.     Für  die  Berechnung  der 
Balken  träger    ist    wieder   eine    den    ein- 
zelnen   Raddrücken   in  ihren  Wirkungen 
äquivalente,     gleichmässige     Last 
vorgeschrieben,  welche  aber  die  der  frü- 
heren  Verord- 
nung    bedeu- 
tend übersteigt 
und      entspre- 
chend der  un- 
gleichen  Wir- 
kungsweise der 


den       Kräfte, 
für  die  Gurten 

und     für     die  *■''*'■  ^^hw^chat 

Wandfüllungs- 
glieder verschieden  bemessen  ist.  Der 
Berechnung  anderer  Brücken- Systeme,  als 
der  einfachen  und  continuirlichen  Balken- 
träger,  sind  die  wirklichen  Raddrücke  eines 
mit  drei  Locomotiven  bespannten  Zuges  mit 
dem  Maximal- Achsdrucke  von  13  t  —  bei 
kleinen  Oeffnungen  mit  14/  —  zugrunde 
zu  legen.  Die  Inanspruchnahme  des 
Seh  weiss  eis  ens  wird  nach  der  Länge  der 
Construction  mit  7 — 900  kg  pro  I  cm^ 
reiner  Querschnittsfläche  festgelegt.  Guss- 
eisen darf  keinen  Haupttheil  der  frei- 
tragenden Construction  bilden  und  nur  sehr 
gering  beansprucht  werden.  Auch  für  die 
Berechnung  der  anderen  tragenden  Theile 
als  der  eigentlichen  Hauptträger,  für  die 
Berücksichtigung  des  Winddruckes  u.  s.  w. 
sind  genaue  Normen  angegeben.  Die  Er- 
probung grösserer  Brücken  erfolgt  durch- 
wegs durch  Belastungszüge,  die  bei  Er- 
probung mit  ruhender  Last  bis  zu  drei,  mit 
rollender  Last  zwei  Locomotiven  erhalten, 
wobei  die  auftretenden  Durchbiegungen 
die  berechneten  Senkungen  nicht  über- 
schreiten dürfen.     Die  Bahn  Verwaltungen 


■  werden   in   der   Verordnung   verpflichtet, 
periodische   Untersuchungen  und 
I  Erprobungen    sowohl    der    neuen  als 
j  auch  der  alten  Brücken  vorzunehmen  und 
über  das  Ergebnis  der  Prüfungen  zu  be- 
richten. Bei  ungünstigen  Ergebnissen  sind 
I  ehestens  sanirende  bauliche  Massnahmen 
1  zu    treffen,    so     dass     im    Interesse    der 
I  öffenthchen  Sicherheit    die  vollständigste 
i  Verlässlichkeit     aller     Eisenbahn  brücken 
I  verbürgt  ist. 

I  Die    permanenten    und    periodi- 

schen   Untersuchungen    erschienen 
umsomehr  geboten,  als  der  Einsturz  der 
Brücke    bei    Hopfgarten    nicht    wie    bei 
jener    der  Pruthbrücke    auf  die  Mangel- 
haftigkeit   des 
Construütions- 
'    Systems        an 
I   sich,     sondern 
auch  zum  Theil 
auf     Material- 
fehler   zurück- 
zuführen   war, 
die  den  bis  da- 
hin   festgehal- 
tenen Glauben 
an  die  Unver- 
wüstlichkeit 


rf,] 


I  eiserner  Brücken  zerstörten. 

j         Den     mit     den     gestiegenen     Loco- 

moliv-Gewichten  erhöhten  Raddrücken, 
I  deren  Vermehrung    von     den     Interessen 

öconomischerer      Zugsförderung      dictirt 

war,  konnten  natürlich  die  unter  ge- 
I  ringeren  Inanspruchnahmen  construJrten 
I  alten  Brücken  nicht  völlig  genügen.     Es 

ergab  sich  daher  die  Nothwendigkeit, 
I  die  bestehenden  Constructionen  zu  ver- 
I  stärken,  eine   Aufgabe,    die  durch  die 

Forderung,     den     Betrieb     hiebei     nicht 

einzuschränken,  bei  eingeleisigen  Bahn- 
I  linten  ausserordentlich  erschwert,  oft  viel 
I  Scharfsinn  und  ungewöhnhche  Arbeits- 
I  weisen  verlangte  und  für  die  der  ein- 
;  zuschlagende  Weg  in  Jedem  einzelnen 
I  Falle,  den  gegebenen  Verhältnissen  ent- 
j  sprechend,  erst  aufgesucht  werden  musste. 
'Namentlich  der  k,  k.  Staatsbahn- 
i  Verwaltung,  welche  viele  Bahnen  mit 
I  dürftigen     Constructionen      übernommen 

hatte,  und  der  Südbahn,  die  zahlreiche 
I  aus  der  ersten  Bauperiode  stammende 
I  GitterbrUcken  mit  Flacheisenstäben  hesass. 


314 


Josef  Ziiffer. 


war  damit  eine  grosse  Thätigkeit  zuge- 
wachsen. 

Die  Verstärkung  der  Construction  be- 
stand vielfach  blos  im  Annieten  neuer 
Theile  aus  Schmiedeeisen  oder  Martin- 
flusseisen an  die  einzelnen  Brückenglieder 
[vgl.  Abb.  i68];  dagegen  musste  bei  den 
alten  Gitterbrücken,  die  keinen  kräftigen 
Gurt  besassen,  die  Verstärkung  durch  sinn- 
reiche Bildung  eines  neuen  Gurtes,  durch 
Einziehen  neuer  Streben,  Anbringen  verti- 
caler  Absteifungen  u.  s.  w.  erzielt  werden. 
Alle  diese  Arbeiten  wurden  von  Häng- 
gerüsten aus  vorgenommen. 

Die  im  spannungslosen  Zustand  auf- 
genieteten Theile  trugen  nun  blos  zur  Auf- 
nahme der  durch  die  Verkehrs  lasten 
in  der  ganzen  Construction  erzeugten 
Spannungen  bei,  während  die  alten  Con- 
structionstheile  im  unbelasteten  Zu- 
stand neben  ihrem  Eigengewicht  auch 
das  der  aufgenieteten ,  verstärkenden 
Theile  tibernehmen  mussten.  Der  grösste 
Effect  der  Verstärkung  wäre  natürlich 
nur  dann  erzielt  worden,  wenn  die  neuen 
Glieder  sich  vollständig  in  die  Wirkung 
der  andern  getheilt  hätten  und  daher  die 
ganze  Construction  während  der  Zeit  der 
Verstärkung  in  spannungslosen  Zustand 
versetzt  worden  wäre.  Das  hätte  jedoch  die 
Errichtung  eines  gesonderten  Gerüstes  und 
die  Einführung  von  Entlastungshebeln 
nöthig  gemacht,  um  die  Brücke  von  der 
Wirkung  des  Eigengewichtes  zu  be- 
freien, ein  Vorgang  welcher  von  der 
Kaiser  Ferdinands-Nordb  ahn  bei 
der  Verstärkung  der  35  m  langen  Biala- 
brücke  der  Linie  Bielitz-Savbusch  beob- 
achtet,  aber  sonst  wegen  der  grossen 
Kosten  vermieden  wurde. 

Die  Nordbahn  und  die  Staats- 
eisenbahn-Gesellschaft haben  es 
übrigens  in  sehr  vielen  Fällen  vorge- 
zogen,' statt  der  Verstärkung  der  Brücken 
eine  Auswechslung  durch  eine  neue  Con- 
struction vorzunehmen  und  den  Vortheil 
einer  neuen  Brücke  gegenüber  der  blossen 
Verstärkung  mit  grösseren  oder  geringeren 
Mehrkosten  zu  erkaufen. 

Zuweilen  war  es  auch  möglich,  die  Ver- 
stärkung der  Construction  durch  Einbau 
eines  neuen  Mitt  elpfeilerszuerzielen. 

Bei  der  Egerbrücke  nächst  Laun, 
im  Zuge  der  k.  k.  Staatsbahnlinie  Prag- 


Mo  Id  au  und  bei  den  Olsabrücken 
der  Kaschau-Oderberger  Bahn  hin- 
gegen, fügte  man  wieder  einen  neuen 
Mittelträger  ein  und  brachte  den- 
selben mit  der  bestehenden  Construction 
in  solide  Verbindung. 

Jene  Theile,  welche  die  Fahrbahn 
tragen,  wurden  in  gleicher  Weise,  wie 
die  Blechträger,  durch  Aufnieten  von  La- 
mellen ete.  verstärkt;  war  dies  jedoch 
nur  schwer  möglich,  wie  bei  Schwellen- 
trägem aus  Walzeisen  oder  aus  anderen 
Ursachen,  so  brachte  man  das  Ver- 
stärkungsmateriale  an  der  Untenseite 
der  Träger  in  verschiedener  Form  an. 
So  wurden  beispielsweise  die  Längs- 
träger bei  der  Moldaubrücke  der 
Prager-Verbindungsbahn,  jene 
unter  dem  befahrenen  Geleise  der 
Tullner  Donaubrücke  sowie  bei  noch 
anderen  Objecten  in  Hängewerke 
umgestaltet. 

Wie  energisch  und  zielbewusst  in  der 
Verstärkung  der  Brücken  vorgegangen 
wurde,  welchen  Umfang  sie  nahm  und 
welche  Kosten  sie  erforderte,  möge  die 
Thatsache  beweisen,  dassdie  k.  k.  Staat s- 
bahnen  bereits  im  Jahre  1887  233 
Blechwandconstructionen  und  89  Glieder- 
träger verstärkt  hatten  und  bis  zu  Ende 
des  Jahres  1897  auf  ihrem  Netze  im 
Ganzen  168 1  Brückenöffnungen,  mit  einem 
Aufwand  von  «3,200.000  fl.,  den  neuen 
Forderungen  angepasst  waren.  Die  Süd- 
bahn verstärkte  in  derselben  Zeit  82 
Gitter-  und  648  Blechbrücken  mit  zu- 
sammen 1336  Oeffnungen,  mit  einem 
Aufwand  von  2,500.000  fl. 

Die  Geschichte  der  Eisenconstructionen, 
die  Entwicklung  der  Brückentragwerke  ist 
eng  verknüpft  mit  dem  jeweilig  herrschen- 
den Brückenmaterial,  dessen  innere 
Eigenschaften  für  die  Construction  be- 
stimmend sind.  Das  geringe  Widerstands- 
vermögen des  ursprünglich  allein  ver- 
wendeten Gusseisens  gegen  Zugkräfte 
führte  anfangs  zum  Bau  der  Bogen- 
brücken,  welche  Constructionsform  die 
wirksamen  Eigenschaften  des  Gusseisens 
am  besten  ausnützt  und  erst  die  Ein- 
führung des  zähen,  Druck  und  Zug 
gleichmässig  widerstehenden  Schmiede- 
oder Schweisseisens  rief  andere  Typen 
ins  Leben,  die  nach  dem  völligen  Rück- 


tritt  des  Gusseisens  noch  an  Vielseitig- 
keit gewannen. 

Von  den  Neville-  und  Schifkorn- 
trägern  abgesehen,  die  doch  nur  eine 
vorübergehende  Episode  im  Brückenbau 
bedeuten,  war  das  Schweisseisen  von 
der  Mitte  der  Fünfziger-  bis  zu  Anfang 
der  Neunziger-Jahre  das  wesentlichste 
Cönstructionsmaterial  unserer  Brücken. 

Die  aus  dem  Schweisseisen  erzeugten 
Kohschienen    werden    zu    Packeten    ge- 
schlichtet, die  sich  beim  Walzen  zu  einem 
festen  Körper  mit  sehnigem  Gefüge  ver- 
einigen. Werden  diese  Packele  beim  Wal- 
zen parallel  gelegt,  so  erhält  man  dasUni- 
versal-Eisen,    welches    in   der  Walz- 
richtung  entsprechend  der  Faserlage  eine 
grössere     Festig- 
keit   und    Dehn- 
barkeit besitzt  als 
in  der    Querrich- 
tung,       während 
bei     der     kreuz- 
weisen Lage  der 
Rohschienen    das 
Blech  gewonnen 

wird,    dessen 
Festigkeit       und 
Dehnbarkeit  nach 
beiden     Richtun-         .^^    ,„    „     ...  . 

Abb,   IW*.     VcfH^rkung  der 

gen  nahezu  gleich 

ist.  Bleche  wurden  im  Brückenbau  in 
den  früheren  Jahren  fast  nie  gefordert, 
welche  Unterlassung  sich  bei  minder- 
werthigen  Schwel  sseisensorten  oft  ungün- 
stig bemerkbar  machte.  Erst  bei  der 
Einführung  der  krummgurtigen  Systeme 
wurde  auf  die  Verwendung  von  Blechen 
zum  Anschluss  der  Fach  wand  gheder  an 
die  Gurten,  grösserer  Werth  gelegt. 

Während  in  der  ersten  Zeit  der 
eisernen  Brücken  wegen  der  unzu- 
reichenden Leistungsfähigkeit  der  heimi- 
schen Werke  auch  deutsche,  französische 
und  belgische  Hütten  zu  den  Lieferungen 
herangezogen  werden  mussten,  wurden 
später  die  einheimischen  Eisensorten  allein 
herrschend.  Unter  diesen  zeichnete  sich 
vornehmlich  das  steirische  Eisen  durch 
seine  Zähigkeit  und  Dehnbarkeit  bei 
gleichzeitiger  Festigkeit  aus,  Vorzüge,  in 
welchen  ihm  die  mährischen  und  schlesi- 
schen  Sorten  nahe  standen.  Das  böhmische 
Eisen  dagegen  —  wie  das  belgische  — 


verrieth  oft  erhebhche  Sprödigkeit,  also 
geringere  Zähigkeit,  ein  Mangel,  aut 
welchen  das  in  neuerer  Zeit  zuweilen 
beobachtete  Rissigwerden  von  Steh- 
blechen und  Winkeleisen  dieser  Prove- 
nienz zurückzuführen  ist. 

Auf    das    Verhalten    des    Eisens    ist 
nämlich   neben    der  Art    der  Erzeugung 
und  Verarbeitung  vor  Allem  die  Beimen- 
gung gewisser  Bestandtheile,  wie  Kohlen- 
stotf,    Mangan,  Silidum,   Phosphor    und 
Schwefel  von  massgebendem  P^influss.  Da- 
bei   stehen    die  Festigkeit,    d.   i.    der 
Widerstand  gegen  Bruch  mit  derZähig- 
k  ei  t  des  Materials,  d.  i.  seiner  Schmiedbar- 
keit im  warmen  und  seiner  Dehnbarkeit  im 
I  kalten   Zustande,  in    einem    fast    gegen- 
sätzlichen      Ver- 
hältnis,   so    dass 
die  durch  gewisse 
Bestandtheile  her- 
vorgerufene Stei- 
gerung des  Einen 
von  einer  Minde- 
rung des  Andern 
begleitet  ist. 

Es  war  daher 
immer  eine  seh  wie- 
rige  Aufgabe  der 
Trai»=nbrücke  in  St  PüiKn  Hüttentechnik, 

zur  Erzielung  der 
I  grössten  Widerslandsfähigkeit  des  Eisens 
!  beide  Factoren  auf  einer  gewissen  Höhe 
zu  halten,    da  die  Bahnverwaltimgen    in 
j   ihren,     mit     der     Zeit     immer    ausgcbil- 
;  deteren     Bedingnishuften     nach    beiden 
1  Richtungen    ihre     Forderungen    stellten. 
I  Etzel  hatte  schon  im  Jahre  1858  Ueding- 
I  nisse  für  Eisenbrücken  aufgestellt,  in  denen 
,  er   von    dem   Walzeisen    eine   Festigkeit 
!  von  2500  kg  pro  cm*,  ein  sehniges  Ge- 
füge, feinen,  zackigen,  glänzenden  Bruch 
verlangte.     Nägel,     Nieten,      Schrauben, 
I   Bolzen     und     Schliessen     mussten     eine 
Zugfestigkeit      von     3750    fig     pro    cm* 
aufweisen     und     beim     Umbiegen     unter 
I  scharfen  Winkeln  und  beim  Wiedergerade- 
richten   keine  Risse   zeigen.    Schrauben- 
und  Nietlöcher  mussten  gebohrt  werden. 
I         Die  späteren  Bedingnis hefte  der  Bahnen 
■  fussten  auf  den  vorgenannten,  so  bcispicls- 
.   weise  die  der  k.  k.  Staatsbahnen  vom 
Jahre    1875,  die    unter    Anderm    für  das 
I  Schmiedeeisen  eine  Festigkeit  von  3800^^ 


3i6 


Josef  Zuffer. 


procw*  und  bei  einem  Zug  von  1420  kg" 
pro  cm  ^  noch  eine  völlig  elastische  Form- 
änderung forderten. 

Das  in  den  Sechziger-Jahren  einge- 
führte Flusseisen,  das  nicht  wie  das 
Schweißseisen  im  teigigen,  sondern  in 
flüssig  geschmolzenem  Zustande  in  Con- 
verteren  oder  in  Flammöfen  in  grösseren 
Mengen  auf  einmal  erzeugt  wird  —  be- 
gann frühzeitig,  wenn  auch  noch  ganz 
vereinzelt,  in  Holland  als  Brückenmaterial 
eine  Rolle  zu  spielen. 

Die  hohe  Festigkeit  und  Dehnbarkeit 
des  Flusseisens  rief  auch  in  Oesterreich 
bald  den  Wunsch  wach,  das  Flussmaterial 
im  Brückenbau  zu  verwenden,  wozu  die 
genannten  holländischen  Brücken,  nament- 
lich die  1 868  über  den  Leck  bei  K  u  i  1  e  n- 
burg  erbaute  Brücke  ein  Vorbild  bot. 
Aber  ein  Misstrauen  gegen  die  Verläss- 
lichkeit  des  Flusseisens  hielt  noch  lange 
dessen  Einführung  zurück,  ein  Misstrauen, 
zu  dem  die  ungünstigen  Ergebnisse  der 
Versuche,  die  Harkort  im  Jahre  1876 
mit  Schweiss-  und  Flusseisenbrücken  an- 
gestellt hatte,  wesentlich  beitrugen. 

Im  Jahre  1881  wurden  aber  zum  ersten 
Male  auf  der  Linie  E  r b  e  r  s  do  r f -  W  ü  r- 
benthal  von  der  k.  k.  Staatsbahn- 
Verwaltung  eine  Reihe  von  Brücken  in 
weichem  Bessemerstahl,  richtiger  gesagt, 
in  Bessemereisen  ausgeführt,  welche  bis 
heute  ein  tadelloses  Verhalten  zeigen.  In- 
dessen sprach  sich  doch  die  im  Jahre  1883 
vom  Ministerium  einberufene  technische 
Conferenz  gegen  die  Anwendung  des 
Flusseisens  aus,  da  sie  dieses  Material  ins- 
besondere mit  Rücksicht  auf  die  genannten 
Harkort'schen  Versuche  und  unter  Hin- 
weis auf  einen  Unfall  auf  der  Talf er- 
brücke der  Bozen- M  er  aner  Bahn, 
wo  zwei  entgleiste  Wagen  einige  aus 
Flusseisen  erzeugte  W^andfüllungsglieder 
zerbrachen  und  diese  sich  in  der  Nähe 
der  gestanzten  Nietlöcher  brüchig  erwiesen 
—  als  zu  wenig  verlässlich  erachtete. 

Die  Fortschritte  in  der  Hüttentechnik, 
vor  Allem  die  Einführung  des  basischen 
Verfahrens,  das  dem  Flusseisen,  nament- 
lich dem  aus  phosphorhältigen  Erzen 
stammenden,  eine  grössere  Zähigkeit  ver- 
leiht, ferner  die  ausserordentlich  ein- 
gehenden Untersuchungen  über  das  Ver- 
halten des  Flussmaterials,  die  in  Oester- 


reich in  letzter  Zeit  gepflogen  wurden, 
haben  die  Bedenken  gegen  dessen  Ver- 
wendung im  Brückenbau  endgiltig  be- 
hoben. 

Im  Oesterreichischen  Inge- 
nieur- und  Architekten- Verein 
war  nämlich  im  Jahre  1889  ein  Comitd  aus 
Fachmännern,  mit  Bischoff  v.  Kl  amm- 
st  e  in  als  Obmann  an  der  Spitze,  eingesetzt 
worden,  das  auf  Grund  einer  Expertise  von 
Sachverständigen,  auf  Grund  eingehender 
Studien  der  Hüttenprocesse  und  der  durch- 
geführten 216  Güteproben  verschiedenen 
Materials,  auf  Grund  von  Belastungs-  und 
Bruchproben  verschiedener  Träger,  nach 
chemischen  Untersuchungen  und  mathe- 
matischen, theoretischen  Erörterungen  im 
Jahre  1891  zu  dem  bedeutungsvollen  Er- 
gebnis gelangte,  dass  das  weiche  ba- 
sische M artin flusseisen  zur  Her- 
stellung von  Brückenconstructionen  als 
vollkommen  geeignet  anzusehen 
sei,  wobei  jedoch  für  seine  Verwendung  zu- 
gleich die  Einhaltung  gewisser  Festigkeits- 
und Dehnungsgrenzen  empfohlen  wurden. 
Das  Comit^  erkannte  ferner,  dass  die  An- 
arbeitung der  Träger  aus  Flussmaterial 
ebenso  wie  bei  schweisseisemen  Trägern 
erfolgen  könne,  dass  selbst  das  —  wenn 
auch  nicht  empfehlenswerthe  —  Stanzen 
der  Nietlöcher  sich  zulässig  erweise,  nur 
werde  dabei  eine  maschinelle  Nach- 
bohrung nothwendig. 

Hiemit  war  das  weiche  basische 
Martinflusseisen  endgiltig  als  Brücken- 
material anerkannt,  welches  nun  durch 
seine  bedeutendere  Festigkeit  und  Dehn- 
barkeit aus  technischen  und  wirthschaft- 
lichen  Gründen  das  Schweisseisen  so 
rasch  zu  verdrängen  anfing,  dass  dieses 
gegenwärtig  nur  in  einzelnen  besten 
Sorten  für  die  tragenden  Theile  im 
Brückenbau  verwendet  wird. 

Die  grundsätzlichen  Bestimmun- 
gen, die  das  k.  k.  Handelsministerium  im 
Jahre  1892  für  die  Lieferung  und  Auf- 
stellung eiserner  Brücken  auf  Grund  der 
Ergebnisse  der  erwähnten  Untersuchungen 
erlassen  hat,  stellen  an  die  Beschaffenheit 
und  Widerstandsfähigkeit  des  Materials,  an 
die  Bearbeitung  der  Eisensorten,  an  die 
Nietung  und  sonstige  Ausführung  äusserst 
eingehende  Forderungen ;  insbesondere 
werden  die  verschiedensten  Erprobungen 


bezüglich  der  Festigkeit  und  der  Zähigkeit 
des  Materials  verlangt,  um  der  Sicher- 
heit der  Bauwerke  im  weitestgehenden 
Masse  Genüge  zu  leisten.  So  darf  sich 
die  Bruchfestigkeit  des  in  Theilen  des 
Tragwerkes  benützten  basischen  Martin- 
flusseisens  in  der  Walzrichtung  nur 
zwischen  3500  kg  bis  4500  kg  pro  cm^ 
bewegen,  wobei  die  Dehnung  eines 
Probestabes  von  5  cm*  Querschnitt 
bei  20  cm  Markenentfemung  im  erstem 
Falle  28,  im  zweiten  22^5  betragen 
muss ;  für  Schweisseisen  sind  diese  Gren- 
zen mit  3300  bis  3600  kg  bei  einer 
Dehnung  von  20  bis  i2'*/(,  festgesetzt. 
Um  seine  Zähigkeit  zu  erweisen,  muss 
das  Material  weiters  unter  den  Biege- 
pressen die  erdenklichsten  Verstauchun- 
gen ertragen  können  ohne  Anrisse  zu 
zeigen;  so  muss  ein  50  bis  80  mm  breites 
Flacheisen  aus  Marti nflusseisen  im  kalten 
Zustande  eine  Biegung  um  180*  aus- 
halten, wobei  bei  weicheren  Sorten  die 
Stabschenkel  vollständig  aufeinander  ge- 
druckt werden,  bei  den  härteren  aber  die 
Abbiegung  über  eine  Rundung  vom  Durch- 
messer der  Stabstärke  erfolgt.  Auch  im 
verletzten  Zustande,  nach  Vornahme 
einer  Einkerbung  mittels  eines  scharfen 
Meisseis  senkrecht  auf  die  Walzrichtung, 
bis  auf  ■',[,  der  Slabdicke,  muss  ein 
solcher  Stab  starke  Abbiegungen  er- 
tragen, ohne  einen  plötzlichen  Bruch  zu 
zeigen.  Nietlöcher  müssen  heute  durch- 
wegs gebohrt  werden. 


An  den  Erfolgen,  welchen  der  Bau 
eiserner  Bahnbrücken  in  Oesterreich  auf- 
zuweisen hat,  haben  die  heimischen 
Brückenbau- Anstalten,  die  ihre 
Anlagen  stets  auf  der  Höhe  der  Zeit 
hielten,  ihren    verdienten  Antheil. 


Wie  schon  erwähnt,  waren  an- 
fangs, als  die  österreichische  Eisen- 
industrie noch  nicht  genügend  leistungs- 
fähig war,  um  den  rasch  angewach- 
senen Forderungen  zu  genügen,  die 
Bahn  Verwaltungen  auf  die  Mithilfe  aus- 
ländischer Werke  angewiesen.  So  waren 
in  den  Jahren  1868  bis  1874  die 
Eisen  CO  nstructionen  mehrerer  Nord- 
westbahn-Brücken von  Benkiser 
in  Pforzheim  und  Ludwigshafen, 
speciell  die  grosse  Donaubrücke  der 
Nordwestbahn  von  Hark  ort  auf  Har- 
korten in  Westphalen  geliefert  wor- 
den ;  die  grosse  Tullner  Donau- 
brücke und  viele  andere  Constructionen 
wurden  wieder  von  F,  Cail  &  Comp,  und 
Fives  Lille  ausgeführt  u.  s.  w. 

In  der  zweiten  Hälfte  der  Siebziger- 
Jahre  war  indessen  die  österreichische 
Eisenindustrie  derart  erstarkt,  dass  sich 
der  Brückenbau  in  unserer  Monarchie 
auf  eigene  Füsse  stellen  konnte  und 
seither  alle  Eisenbrllcken  inländischer 
Provenienz  sind. 

Einige  der  ältesten  Brückenbau- 
Anstalten  sind  bereits  verschwunden  und 
leben  nur  in  ihren  Werken  fort ;  so 
die  Maschinenfabrik  Brik  in  Simmering, 
welche  auf  den  Süd-  und  Staatsbahn- 
Linien  eine  rege  Thätigkeit  entwickelte, 
die  Wiener  Maschinen  fabriks-  und 
Waffen  fabriks- Gesellschaft,  die 
Hernalser  Waggonfabrik  undEisen- 
constructions-Werkstätte  C  von 
M  i  1  de,  welche  die  Hängebrücke  über  den 
Donaucanal  durch  die  Bogen  brücke  er- 
setzte, die  Brückenbau -Werkstätte  der 
Steirischen  und  HUttenberger 
Eisen-Industrie-Gesellschaft  in 
Zeltweg  und  Klagenfurt,  deren  Con- 
structionen wir  noch  in  der  Thalstrecke 
der    Arlbergbahn,    beziehungsweise    auf 


3l8 


der  Strecke  Unter- Drauburg-Wolfsberg 
sehen,  Sigl  und  Dolainsky  in  Wien 
und  Martinsen  in  Biedermannsdorf, 

Heute  zählen  wir  in  Oesterreich  eine 
Reihe  grosser  Brückenbau-  Anstalten,  deren 
achtunggebietende  Leistungen  uns  in  allen 
Theilen  der  Monarchie  entgegentreten  und 
deren  älteste  mit  der  Entwickelung  unserer 
Brücken  enge  verwachsen  sind. 

Das  Eisenwerk  Zop  tau  in    Mähren 
eröffnete  seine  Thätigkeit  in  den  Vierziger- 
Jahren  mit  der  Herstellung  von   Ketten- 
brücken; im  Jahre  1858  ging  von  dort  die 
erste  Schifkornbrücke  über  die  Iser 
bei  R  a  k  a  u  s  hervor,  der  noch  1 63  Construc-  . 
tionen     desselben 
Systems  in  kurzer 
Zeit  folgten.    Bis 
heute  ist  die  Zahl 
der    von    Zöptau 
gelieferten  Bahn- 
brücken auf  1436 
und     deren     Ge- 
wicht auf  26.800  < 
angewachsen. 

In  der  Metro- 
pole der  österrei- 
chischen Eisen- 
industrie, in  Wit- 

kowitz,  begann  ^^^  Auswechsiuo    i 

der  Bau   eiserner 

Brücken  schon  mit  den  ersten  Nevilleträ-  ' 
gern;  auch  die  historische  Kettenbrücke 
über  den  Donaucanal  war  hier  hervorge- 
gangen. Die  mit  den  besten  Hilfsmitteln  aus- 
gestattete Werkstätte,  die  unter  vielen  der 
grössten  Constructionen  auch  die  Donau- 
brUcke    der    Kaiserin    Elisabeth-  ; 
bahn   bei  Steyregg    lieferte,    erreicht  ■ 
jetzt  jährliche  Leistungen  bis  zu  6ooo^ 

Die  Brückenbau-Anstalt  Friedek 
der  erzherzoglichen  Industrial  -  Verwal-  ' 
tung  in  Teschen  führte  sich  im  Jahre 
1868  mit  dem  Bau  von  Nordbahn- 
Brücken  zwischen  Stauding  und  Schön- 
brunn ein  und  erreichte  bis  zum  Schlüsse 
des  Jahres  1897  eine  Leistung  von  1456  ■ 
Bahnbrücken  im  Gewichte  von  31.100  t.  I 

Die  grosse  Donaubrücke  der  Kai- 
ser Ferdinands-N  ordbahn  und  die 
grossen  Brücken  der  galizischen  Bahnen 
geben  nebst  vielen  andern  ein  ehrendes 
Zeugnis  für  die  Thätigkeit  der  vorbenann- 
ten drei  Brückenbau-Anstalten.  ■ 


;         In  Böhmen,  der  zweitgrössten  Heim- 
stätte österreichischer  Eisen-Industrie,  ist 
auch  der  Sitz  mehrerer  bedeutender  Brü- 
ckenbau-Anstalten. Die  Adalbertshütte 
bei    Kladno,    seit    dem    Jahre    1867  im 
1  Brückenbau   thätig,    ging  im  Jahre   1886 
als    Prager    Brückenba  u  -  Anstalt 
,  an    die    böhmisch-mährische    Maschinen- 
fabrik in  Lieben  bei  Prag  über.    Sie  hat 
bis  heute  1278  Constructionen  für  Bahn- 
brücken mit  einem  Gewichte  von  22.370/ 
,  geliefert  und  wechselte  auch  unter  schwie- 
!   rigen  Verhältnissen  die  Seh  ifkom brücken 
■  des    Stranover-Viaducts    der    Büh- 
.  mischen  Nordbahn    [Abb.   169  und  170] 
sowie  des  grössten 

K  I  a  b  a  w  a  - 
Viaductes  der 
BöhmischenWest- 
bahn  bei  Chrast 
aus.  [Vgl.  Abb. 
144.]  In  Gemein- 
schaft mit  der 
seit  den  Sech- 
ziger-Jahren thä- 
tigen  Prager 
Maschinenbau- 
Actiengesell- 
schaft    vormals 

det  VlaductM  bei  Slraoov  Ruston  &  Comp., 

steUte      sie      die 
'   Eisenconstruction     der    grossen    Moidau- 
brücke  bei  Cervena  bei,  deren  gesammte  ■ 
-Montirung    auf    dem   Bauplatz    sie    be- 
sorgte.      Die   Brückenbau- Anstalten     der 
Brüder  PräSil    in   Lieben  bei  Prag  und 
von  E.  S  k  o  d  a  in  Pilsen  sind  als  Jüngste 
;  rührige  Firmen  in  Böhmen  hinzugetreten. 
In  Wien  hat  die  bekannte  Brückenbau- 
Anstalt  Ig.  Gridl  seit  dem  Jahre  1870, 
wo  sie  die  ersten  Brücken  für  die  Franz 
'  Josef- Bahn  lieferte,  eine  rege  Thätigkeit 
entwickelt ;    ebenso  sind    aus    dem    Eta- 
blissement   von    R.   Ph.  Waagner  seit 
1884  eine    grössere   Zahl    EisenbrUcken 
hervorgegangen,     und    in    neuerer    Zeit 
I  sind    noch     die    Firmen    Albert    Milde 
I  &  Comp,  und  Anton  Biro  als  Brücken- 
bau-Anstalten   aufgetreten.    Den    Werk- 
stätten der  Alpinen  Montan-Gesel  1- 
Schaft  in  Graz  aber  —  der  Nachfolgerin 
der   in    den  Jahren     1864    bis    1884    in 
Betrieb  gewesenen  angesehenen  Brücken- 
bau-Anstalt   von     Kürösi     &     Comp,     in 


3"9 


Andritz  bei  Graz,  entstammt  unter   An- 
deren    der    I30    m    lange    HalbparabeU 

träger  des     Trisana-Viaductes   auf 
der  Arlbergbahn. 


Wir  sind  am  Schlüsse  unserer  Be- 
trachtungen angelangt.  Wenn  wir  auch 
nur  mit  flüchtigen  Streif  lichtem,  die  ein- 
zelnen Stadien  in  der  Entwicklung  des 
Brückenbaues  erhellen  konnten,  so  gelang 
es  doch  in  dem  Wechsel  vollen  Bilde,  das 
an  uns  vorüberzog,  jene  reiche,  viel- 
seitige Thätigkeit  zu  erkennen,  die  in 
unserem  Vaterlande  auf  diesem  wichtigen 
Gebiete  in  verhältnismässig  kurzer  Zeit 
entwickelt  wurde. 

Der  mächtige  Verkehr,  der  seit  einigen 
Decennien  die  Völker  der  Erde  durch  die 
wachsenden  Bahnnetze  in  immer  steigen- 
dem Masse  mit  einander  verbindet,  hat 
nicht  nur  den  Austausch  der  Güter,  son- 
dern auch  den  der  Ideen  beschleunigt. 
Die  Wissenschaft  kennt  keine  Grenze  und 


jeder  fruchtbringende  Gedanke,  der  in 
einem  Lande  ersteht,  wird  rasch  in 
fernsten  Gegenden  heimisch.  So  ist  auch 
der  Österreichische  Brückenbau  an  den 
grossen  Errungenschaften  erstarkt,  die 
ihm  aus  englischen,  französischen  und 
deulschen  Landen  zuströmten,  anderer- 
seits zeigt  uns  die  Geschichte  unseres 
heimischen  Brückenbaues,  dass  manch 
werthvoller  Erfolg  in  Oesterreich  ge- 
zeitigt wurde  und  Oesterreichs  Techniker 
redlichen  Antheil  haben  an  den  grossen 
Fortschritten,  die  die  Kunst  des  Brücken- 
baues im  Allgemeinen  bisher  erreicht 
hat.  Die  gewaltigen  Stetnbrücken  unserer 
Gebirgsbahnen  zählen  zu  den  kühnsten 
Bauwerken  dieser  Art  und  unsere  grossen 
Eisenbrücken,  sie  zählen  mit  in  dem 
Wettstreite  der  Errungenschaften  auf 
diesem  Gebiete. 

Oesterreichs  Eisenbahnbrücken  geben 
beredtes  Zeugnis  von  der  hohen  Stufe, 
auf  welcher  die  vaterländische  Kunst 
steht,  die  auch  auf  diesem  Gebiete  mit 
steigenden  Erfolgen  stets  vorwärts  strebt. 


Bahnhofsanlagen 


Von 

Ernst  Reitler, 

Ingenieur  der  Kaiser  Ferdinands-Nordbahn. 


Bahnhofsanlagen. 


DIE  Bahnhöfe  sind  die  Herzkammern 
im  Organismus  der  Eisenbahnen. 
Sie  geben  dem  Leben,  das  in 
viel  verzweigten  Adern  kreist,  den  stets 
erneuten  Impuls,  von  ihnen  geht  es  aus, 
zu  ihnen  kehrt  es  zurUck. 

Für  das  grosse  Pul>licum  erschöpft 
sich  freilich  der  Begriff  des  Bahnhofes 
in  der  Vorstellung  des  stattHchen  Auf- 
nah  msgebäudes,  das  die  Reisenden  gast- 
lich empfängt,  des  Perrons,  von  dem 
aus  sie  sich  Jem  sichern  Wagen 
anvertrauen,  und  der  wenigen  Geleise, 
auf  denen  die  Züge  in  der  schützenden 
Halle  kommen  und  gehen.  Nur  wenige 
sind  auch  mit  den  schmucklosen  Maga- 
zinen und  Rampen,  den  Lagerplätzen  und 
Ladegel  eisen  vertraut,  die  sich  in  er- 
müdender Gleichförmigkeit  längs  weit- 
gedehnter Zufahrtsstrassen  hinziehen,  und 
in  denen  sich  die  tausend  kleinen  Quellen 
des  Güterverkehrs  zu  einem  gemein- 
saftien  Bette  vereinigen.  Wohl  alle  aber 
ziehen  mit  gleichgiltigem  Blick  an  jenen 
nüchternen  Bauhchkeiten  vorüber,  die  den 
ausfahrenden  Zug  oft  noch  eine  weite 
Strecke  begleiten,  an  den  schwerfall  igen 
Remisen,  in  welchen  sich  Wagen  an  Wagen 
drängt,  an  den  russigen  Heizhäusern  mit 
qualmenden  Locomotiven,  an  den  auf- 
ragenden Wasserthürmen  und  hochge- 
stapelten Kohlenlagern,  an  Werkstätten 
und  Dienstgebäuden,  an  den  fast  unab- 
sehbar aneinander  gereihten  Geleisen,  in 
denen  die  pustende  Maschine  in  ewigem 
Einerlei     wie     planlos     ganze     Zugtheile 


vor-  und  rückwärts  schiebt,  bis  endlich 
Signalmaste  und  der  letzte  Weichen- 
thurm  den  Blick  auf  die  offene  Strecke 
frei  geben. 

Alle  diese  verstreuten  Theile  des  Bahn- 
hofes, die  Verkehrsanlagen,  welche 
den  eigentlichen  Wechsel  verkehr  zwischen 
Bahn  undPublicum  in  Personen- undGüter- 
bahnböfen  vermitteln,  die  Betriebs- 
anlagen, in  welchen  der  innere  Dienst- 
betrieb der  Bahn,  die  Ausrüstung  der 
Locomotiven  mit  Wasser  und  Kohle,  die 
Bereithaltung  und  Reparatur  des  ge- 
sammten  rollenden  Materials,  die  Auf- 
lösung und  Zusammenstellung  der  Züge, 
die  Aufsicht  und  Verwaltung  besorgt 
wird,  sie  alle,  die  in  ihrer  Gesammt- 
beit  die  Bahnhofs  anlagen  bilden, 
sind  durch  einen  leitenden  Gedanken 
mit  einander  vereint.  Und  von  ihrer 
zweckmässigen  Durchbildung  und 
entsprechenden  gegenseitigen  Anord- 
nung hängt  die  gedeihliehe  Lösung 
der  vielseitigen  Aufgaben  des  Bahn- 
hofes ab. 

Indem  nun  diese  Aufgabe  selbst  im 
Laufe  der  Zeit  mit  der  Art  und  Grösse 
des  Verkehrs  wechselt  und  wächst,  muss 
auch  die  Geschichte  der  Bahnhöfe  mit 
jener  des  Verkehrs  parallel  laufen.  Es 
lassen  sich  denn  auch  in  ihrer  Entwicklung 
allejene  grossen  EinflUsse  wiedererkennen, 
welche  für  das  Verkehrsleben,  für  das  Bahn- 
wesen überhaupt  von  Bedeutung  wurden  : 
der  Einfluss  fremdländischer  Vorbilder, 
die  potenzirende  Einwirkung    eines    aus- 


324 


Ernst  Reitler. 


gedehnten  und  in  sich  geschlossenen 
Netzes,  der  belebende  Einiluss  wirth- 
schaftlich  günstiger  Epochen,  die  steten 
Fortschritte  der  Technik  und  das  Streben 
nach  immer  grösserer  Sicherheit  und 
öconomischerer  Gebarung.  Ja,  man  darf 
behaupten,  dass,  —  selbst  wenn  uns  keine 
anderen  Documente  für  die  Geschichte  der 
österreichischen  Eisenbahnen  verblieben 
wären  als  die  nüchternen  geometrischen 
Grundrisse  der  Bahnhöfe  in  ihren  ein- 
zelnen Phasen  vom  Anfang  bis  zu  ihrer 
heutigen  Ausgestaltung,  —  wir  im  Stande 
wären,  aus  den  todten  Linien  allein  die 
lebensvolle  Entwicklung  des  Verkehrs- 
wesens in  grossen  Umrissen  herauszulesen, 
wie  wir  aus  dem  starren  Gestein  die  Auf- 
einanderfolge erdgeschichtlicher  Epochen 
und  das  Aufsteigen  des  organischen 
Lebens  zu  erschliessen  vermögen. 


Wie  die  grossen  Bahnhöfe,  so  zei- 
gen auch  die  kleineren  Stationen  bis 
hinunter  zu  den  bescheidenen  Halte- 
stellen eine  von  ähnlichen  Einflüssen 
beherrschte  schrittweise  Ausbildung:.  Oft 
ändern  sie  völlig  ihren  Charakter  und 
überschreiten  die  fiiessende  Grenze, 
die  sie  von  den  Bahnhöfen  scheidet. 
Die  wachsende  Bedeutung,  .  die  sie 
dem  benachbarten  Orte  verleihen,  gibt 
ihnen  dieser  reichlich  zurück.  Die 
fortschreitende  Verzweigung  des  Netzes 
erhebt  sie  zu  wichtigen  Knoten- 
punkten; durch  die  steigende  Ge- 
schwindigkeit, durch  die  geänderte  Be- 
triebsweise, durch  den  Wandel  in  der 
Richtung  wichtiger  Handelswege  erfah- 
ren sie  eine  durchgreifende  Umwer- 
thung,  die  in  ihrer  baulichen  Anlage 
zum  Ausdruck  kommt. 


I.  Der  Stationsbau  im  L  Decennium  der  Eisenbahnen.*) 


Die  Stationen  der  ersten  Eisenbahnen 
erzählen  von  einer  eigenartigen  Anpassung 
an  überkommene  Einrichtungen,  die  selbst 
die  revoltirende  Idee  des  Dampfbetriebes 
bei  ihrem  Inslebentreten  durchmachte. 
Die  alte  gemächliche  Betriebsführung  der 
Post,  die  trotz  der  durchgehenden  Route 
gewissermassen  von  Station  zu  Station 
erfolgte,  in  jeder  die  Zahl  der  Beiwagen 
dem  fall  weisen  Bedarf  anpassen  und  durch 
den  Wechsel  der  Pferde  frische  Kräfte 
in  den  Dienst  stellen  Hess,  sie  war  auch 
in  die  ersten  Eisenbahnen  mit  herüber- 
genommen worden  und  blieb  durch 
eine  Reihe  von  Jahren  für  die  Anlage 
der  Stationen  bestimmend.  In  Unkennt- 
nis des  fallweisen  Bedarfes  glaubte 
man  auch  hier  in  jeder  Station  die 
Möglichkeit  bieten  zu  müssen,  dem  Zuge 
Wagen  anzuhängen,  die  Locomotive  mit 
Wasser  zu  versorgen,  eine  Umspann- 
Maschine  in  Betrieb  setzen  und  die 
schonungsbedürftigen  Fahrzeuge  einer 
schleunigen  Reparatur  unterziehen  zu 
können.  Waren  die  alten  Poststationen 
dem  Bedürfnis  des  Pferdewechsels  ent- 
sprechend  je  15  km^    die  Stationen    der 


Pferde-Eisenbahnen  an  20  km  von  einander 
entfernt,  so  wurden  jene  der  Dampfeisen- 
bahn vorwiegend  mit  Rücksicht  auf  den 
Wasservorrath  des  Tenders  in  Abständen 
von  etwa  30  knt  angelegt.  Jede  dieser 
Stationen  wurde  nun  aus  den  angeführten 
Gründen  mit  Baulichkeiten  und  Ein- 
richtungen —  wenn  auch  in  bescheidenem 
Umfang  —  für  alle  Verkehrs-  und  Be- 
triebszweige versehen  und  so  für  eine 
Vielseitigkeit  der  Bestimmung  ausge- 
stattet, die  heute  nur  den  grossen  Bahn- 
höfen vorbehalten  ist. 

Dieser  enge  innere  Zusammenhang 
mit  den  Poststationen  kam  im  äusseren 
Bilde  weniger  zur  Erscheinung.  Schon 
beim  Auftreten  der  Pferde- Eisenbahn  war 
mit  den  Geleisen,  die  das  Fahrzeug  in 
zwangläufio^er  Bewegung  hielten,  mit  dem 
Wechsel,  der  den  Uebergang  auf  das 
benachbarte  Geleise  vermittelte,  ein  neuer 


I  •)  In  der  I.  und  IL  Periode,  d.  i.  bis  zum 

Jahre*  1867,  sind  im  Folgenden  die  Bahnhofs- 
anlagjen beider  Reichshälften,  später  nur  die 

I   österreichischen   behandelt.     Die    technische 

!  Entwicklung  des  Eisenbahnwesens  Ungarns 

1   seit  1867,  s.  Bd.  HI. 


Bahnhofsanlagen. 


325 


charakteristischer  Zug  in  die  Physiognomie 
der  Poststation  hineingetragen  worden. 
Den  Stationen  der  späteren  Dampfeisen- 
bahn gaben  aber  neben  den  Geleisen 
sammt  Wechseln  und  Drehscheiben  vor- 
nehmlich die  eigenartigen  Gebäude  für 
den  Aufenthalt  der  Reisenden  und  für 
die  Wartung  der  Maschine  und  Wagen 
ihr  besonderes  Gepräge:  das  Empfangs- 
gebäude und  die  höl- 
zerne Personenhalle,  die 
man  so  häufig  an- 
traf, die  »Heitze«  mit 
ihren  hochgestellten  Bot- 
tichen, der  Güterschu- 
pfen,  in  welchen  die  Wa- 
gen behufs  geschützter 
Entladung  eingeführt 
wurden,  die  Werkstätten 
und  die  Remisen. 


Abb.  171.    Stationsplatz  Lest 

der  Pferde-Eisenbahn.  [Nach  einer  Original 

Zeichnung  aus  den  Plänen  von 

Mathias  Schönerer.] 


Die  starre  Gerade,  die  den  Geleisen  der 
Station  die  Richtung  gab,  wurde  auch 
zur  Leitlinie  für  die  ganze  Anlage.  Das 
Streben  nach  thunlichster  Uebersichtlich- 
keit  führte  dabei  gerne  zu  symmetri- 
schen Anordnungen,  und  verleitete  oft 
zu  einer  übermässigen  Gedrängtheit,  die 
zum  Theil  auch  in  jener  Einheitlichkeit 
der  damaligen  Dienstführung  ihren  Grund 

hatte,  welche  alle  Zweige 
des  Betriebes,  des  Ver- 
kehres, der  Zugförderung 
und  der  Bahnerhaltung 
in  der  Hand  eines  lei- 
tenden Beamten  ver- 
einigte. 

Aus  diesen  Gesichts- 
punkten ergab  sich  in 
den  ersten  Stationen  der 
Kaiser  Ferdinands-Nord- 


STATION  GÄNSERNDORF  1839. 


STATION  BÖHM.-TRÜBAU  1845. 


«Qltt 


WH*WACHT{IIMAUS. 

LR'IOOIMIU. 

«ll/WAUNHtCH4E. 


1      ■!•»>>« 

Will» 


H 


iUN«         PIAS- 


n: $000 

Abb.  172. 


I  iTi  11 ♦- 

1:6000 


WAftINgCMlSl  . 

Abb.  173. 


STATION  PARDUBITZ   1S45. 


I  IM  I  I 


1.6000 


Abb.  174. 


Auch  in  die  ganze  Anordnung  der 
Station  war  ein  neuer  Zug  gekommen. 
Denn  jene  Ungezwungenheit,  mit  der  sich 
noch  in  den  ersten  Pferdebahn-Stationen 
die  Gebäude  um  die  wenigen  Geleise 
gruppirten,  ja  mit  der  sich  zuweilen  die 
ganze  Anlage  in  dem  geräumigen  Hofe 
eines  Gasthauses  etablirte,  war  unter  dem 
strammen  Regime,  das  den  Einzug  der 
Maschine  überall  begleitete  und  alles 
ihrem  geregelten  Gange  unterwarf,  strenger 
Ordnung  und  Gleichmässigkeit  gewichen. 


bahn  und  der  k.  k.  nördlichen  Staats- 
bahn [Abb.  172  bis  174]*)  die  beliebte 
Gegenüberstellung  des  Aufnahms-  und 
des  Betriebsgebäudes,  während  Wagen- 
remise und  Güterschupfen  dabei  seitlich 
untergebracht  waren.  Variationen  des- 
selben Principes  zeigen  die  Stationen 
der  Wien-Gloggnitzer  Bahn,  mit  der 
auf  dieser    Linie    öfter    wiederkehrenden 


*)   Die   Geleise    sind    durch    einfache 
Linien  dargestellt. 


326 


Ernst  Reitler. 


symmetrischen  Anordnung  der  Remisen, 
wobei  räumliche  Beschränkung  auch 
das  Nebeneinanderstellen  der  Gebäude,  wie 
in  Gloggnitz  [Abb.  1 75  und  1 76],  nicht  aus- 
schloss.  Letzterer  Bahnhof  illustrirt  auch 
die  selbst  in  provisorischen  Endstationen 
der  ersten  Zeit  beliebte  Einführung  des 
Hauptgeleises  in  den  Güterschupfen  am 
Ende  der  Station,  eine  Anordnung,  die 
wohl  mit  gewissen  Vortheilen,  aber  auch 
mit  der  Nothwendigkeit  verknüpft  war, 
das  Magazin  bei  Verlängerung  der  Bahn- 
linie wieder  abzutragen. 

Den  zahlreichen  Baulichkeiten  stand 
eine  dürftige  Geleiseanlage  gegenüber. 
Die  ganze  Station  dehnte  sich  bei  der 
üblichen  Zugslänge  von  etwa  90  m  nur 
über  200 — 300  m  aus.  In  den  Nord- 
bahnstationen waren  gewöhnlich  die 
Nebengeleise  zu  beiden  Seiten  des  Haupt- 
geleises symmetrisch  vertheilt,  so  dass 
die  über  letzterem  errichtete  Halle  vom 
Aufnahmsgebäude  entfernt  zu  stehen  kam. 
[Abb.  177.]  Die  Stationen  der  anderen 
Bahnen  zeigen  dagegen  meistens  zwei 
durchgehende  Hauptgeleise,  in  denen 
der  Train  einfuhr  und  die  Maschine 
Wasser  nahm,  während  die  an  das 
Aufnahmsgebäude  anschliessende  Halle, 
ebenso  Magazin  und  Werkstätte  an 
eigene  Nebengeleise  gelegt  waren. 
Diese  Anordnung  trat  zuweilen  mit 
einer  Menge  von  Weichenverbin- 
dungen und  Geleise-Untertheilungen  auf, 
welche  die  Manipulation  mit  Einzel- 
wagen erleichtem  sollte,  die  aber  manch- 
mal die  Uebersichtlichkeit  nur  beein- 
trächtigte. 

Die  Stationsplätze  waren  meist  recht- 
eckig eingefriedet  und  gemauerte  Ein- 
fahrtsthore  hoben  ihre  Bedeutung  beson- 
ders hervor. 

Zwischen  diesen  Stationen,  die,  wie 
ersvähnt,  im  Mittel  etwa  30  km  von  ein- 
ander entfernt  waren,  wurden  weitere 
Nebenstationen  und  Haltepunkte  in  Ab- 
ständen von  je  7  km  mit  entsprechend 
einfacherer  Ausstattung  angelegt.  Die 
Gleichförmigkeit  der  Forderungen,  die 
in  den  einzelnen  Stationen  nach  dem 
Grade  ihrer  Bedeutung  zu  befriedi- 
gen waren,  veranlasste  Ghega,  sie  auf 
den  Staatsbahnen  in  fünf  Typen  zusam- 
menzufassen,   von    denen    die    erste   im 


Bahnhof  Prag  vertreten  war,  während 
die  anderen  den  Abstufungen  von  der 
vollständig  ausgestatteten  Zwischenstation 
bis  zur  einfachsten  Haltestelle  entsprachen. 

Auf  der  Wien-Gloggnitzer  Bahn  kam 
die  Rücksicht  auf  den  grossen  Personen- 
verkehr, den  die  längs  ihrer  Strecke  er- 
schlossenen Naturschätze  erwarten  Hessen, 
in  einer  grösseren  Zahl  von  Haltepunkten 
und  in  bequemeren  Einrichtungen  für 
das  Publicum  zum  Ausdruck.  So  wur- 
den in  der  48  km  langen  Strecke  Wien- 
Neustadt  nicht  weniger  als  20  Halte- 
stellen, also  nach  je  2*4  km  angelegt, 
in  welchen  zwar  nicht  alle  Ziüge  hielten, 
die  aber  wenigstens  mit  einem  Ausweich- 
geleise,  einem  kleinen  Aufnahms-  und 
Dienstgebäude  und  einem  Brunnen  für 
anfällige  Wasserentnahme  versehen  wur- 
den. Die  interessanteste  Zwischenstation 
dieser  Linie  war  Baden  [Abb.  178],  deren 
gedrängte  aber  zweckmässige  Anlage 
auf  einem  Flächenstreifen  von  blos  220  m 
Länge  und  30  w  Breite  schon  im  ersten 
Jahre  ihres  Bestehens  eine  Frequenz  von 
200.000  Passagieren  und  einen  Sonntags- 
verkehr von  34  regelmässigen  und  mehreren 
»Extratrains«  bewältigen  Hess,  Die  Sta- 
tion war  wegen  des  anschliessenden  Via- 
ductes  5*7  m  über  dem  Terrain  angelegt, 
so  dass  sich  durchwegs  einstöckige  Ge- 
bäude ergaben.  Die  von  Wien  kommen- 
den Züge  hielten  beim  Stationsanfang, 
wo  die  ankommenden  Passagiere  über 
die  gedehnte  Rampe  hinabstiegen;  hier- 
auf zog  die  Maschine  den  Train  vor,  um 
sich  mit  Wasser  zu  versorgen  und  die 
Reisenden  einsteigen  zu  lassen,  die  über 
die  Treppe  des  Aufnahmsgebäudes  in  die 
Personenhalle  gelangt  waren.  Zwei  grosse 
Drehscheiben  und  gut  vertheilte  Weichen- 
verbindungen unterstützten  wesentlich 
die  Beistellung  der  Wagen  aus  der 
Remise,  einer  offenen  Halle,  und  das 
rasche  Wechseln  oder  Umstellen  der 
Maschine. 

Konnten  die  Zwischenstationen  der 
ersten  Bahnen  durch  ihre  beschränktere 
Bestimmung  nur  einen  geringen  Spiel- 
raum für  ihre  Disposition  gewähren, 
so  sah  man  sich  in  der  Anlage  der  An- 
fangs- und  Endstationen  vor  grössere 
Aufgaben  gestellt,  die  stets  eine  eigen- 
artige Lösung  erforderten. 


dGI-i 


Der  erste  grosse  Bahnhof  Oesterreichs 
war  der  Nordbahiihof  in  Wien. 
[Abb.iygu.  1 80.)  Beiseiner  Anlage  galt  es, 
am  Alisgangspunkt  des  geplanten  ausge- 
dehnten Netzes  dennoch  ganz  ungeklärten 
Bedürfnissen  des  künftigen  Verkehrs  zu 
entsprechen.  Die  Höhenlage  des  Bahn- 
hofes war  durch  die  Hochwasser- Ver- 
hältnisse mit  4  tn  aber  dem  Terrain  ge- 
geben, so  dass  das  erste  Geschoss  seiner 
Gebäude  mit  dem  Niveau  des  Bahnhofes 
zusammentiel.  Die  Gebäude  umschlossen 
von  drei  Seiten  den  rechteckigen  Hof. 
An  der   Strassenseite    standen  das     Auf- 


nahm sgebäu  de  und  ein  Wohnhaus  für 
Bedienstete,  auf  der  anderen  Längs- 
seite die  Remisen  und  Werkstätten, 
während  ein  quergestelltes  Magazin  den 
Bahnhof  an  der  Stirnseite  abschloss. 
Innerhalb  des  so  gebildeten  Hofes  liefen 
im  Ganzen  sechs  Geleise,  die  >Bahnen', 
von  denen  je  zwei  dem  Personen-  und 
dem  Güterverkehr,  zwei  für  die  Ueber- 
steüung  der  Fahrzeuge  in  die  Remisen 
genügen  mussten.  Sechsundzwanzig  Dreh- 
scheiben und  zehn  Weichen  stellten  die 
Verbindung  dieser  Geleise  untereinander 
her.     Indem   die   abreisenden  Passagiere 


STATION  GLOGGNITZ  iS^l. 


durch  das  Aufnah  ms  gebäude  über  Treppen 
auf  den  Perron  gelangten,  während  für 
die  ankommenden  eine  zweite  Treppe 
beim  Magazin  in  den  Hof  hinab 
führte,  war  fdr  deren  Trennung  vor- 
gesehen. Auch  der  Fuhr  werk  sverkelir 
war  durch  die  Anlage  der  Zufahrts Strassen 
vorsorglich  geregelt,  indem  die  beim 
Magazin  im  Waarenhof  abgefertigten 
Wagen  oder  jene,  welche  zum  Kohlen- 
und  Holzdepöt  bei  der  Werkstätte  fuhren, 
längs  der  Strasse  hinter  den  Remisen 
und  Werkstätten  zu  dem  für  die  Aus- 
fahrt bestimmten  Thore  gelangten.  Das 
Niveau  des  Bahnhofes  gab  zu  einer  ver- 
ticalen  Theihing  des 


Magazins  Anh 
durch  welche  die 
Schwierigkeiten  be- 
hoben wurden,  die 
sich  aus  der  zoll- 
ämtlichen Forderung 
ergab,  den  Bahnhof 
wie  ein  Freihafen- 
gebiet innerhalb  der  *""• 
Verzelirungssteuer- Grenzen  zu  behandeln. 
Im  mittleren  Geschoss  gelangten  die  Wa- 
gen auf  dem  Längsgeleise  zur  Ent- 
ladung; nach  Besichtigung  der  Waaren 
seitens  der  Zollbeamten  wurden  sie  auf 
die  an  der  Hofseite  befindliche  Terrasse 


NOHDBAHKHOF  WIEN  iSäS. 


iHcbl.  pt[r.  Katicr  Fetdiinndi-NonilMho  m  Wim. 
a<u  dem  Jobrt  l8jS.j 

gebracht,  von  wo  sie  mittels  Krahnen 
in  die  untenstehenden  Fuhrwerke  ver- 
laden wurden.  Ein  unteres  und  oberes 
Geschoss  diente  zu  Lagerräumen. 

So  erfüllte  dieser  erste  grosse  Bahn- 
hof in  seiner  Geschlossenheit  und  Ueber- 
sichtlichkeit  alle  Bedingungen,  um  den 
neu  geschaffenen  Verkehr  in  geregelte 
Wege  zu  leiten.  Und  wenn  auch  die 
rasch  wachsenden  Forderungen  der  Zeit 
seine  Flächenausdehnung  bis  heute  auf 
das  Vierzigfache  erweiterten  und  selbst 
den  letzten  Rest  seiner  ursprünglichen 
Einrichtung  verschwinden  liessen,  so 
wurde  er  doch  seinerzeit  mit  Recht  als 
eine     der     grössten 


besten 
lagen  des  Conti nents 
bewundert. 

Die     Höhenlage 
des    Nordbahnhofes 
hatte     es      möglich 
gemacht,    den    Ge- 
"  leisen     hinter      der 

**■  Station  ein  Gefälle  zu 

geben.  Man  erzielte  damit  den  Vortheil, 
den  Zug  bei  der  Ausfahrt  leichter  in  Gang 
zu  setzen  und  ihn  bei  der  Einfahrt  mit 
grösserer  Sicherheit  zum  Stillstand  zu 
bringen.  Diese  Anordnung  blieb  durch 
mehrere  Jahrzehnte  im  Bahnhofsbau    be- 


liebt,  bis  sie  durch  die  grosse  Ausdehnung 
neuerer  Anlagen  und  die  Vervollkomm- 
nung der  Locomotiven  und  Bremsvorrich- 
tungen ihre  Bedeutung  einbüsste. 

Als  Ausgangspunkt  einer  Bahn  veran- 
schaulichte der  Nordbahnhof  in  Wien  bei 
derStellung  seines  Aufnahmsgebäudes  eine 
Bahnhofstype,  die  man  heute  als  »Kopf- 
station mit  einem  Längsgebäude  •  be- 
zeichnen mUsste.  In  der  Anlage  des  Bahn- 
hofes Brunn  [Abb.  i8i  und  1 82] erscheint 
der  Charakter  des  Endpunktes  der  Linie 
noch  schärfer  betont,  indem  das  Auf- 
nahmsgebäude  dem  Bahnhof   quer    vor- 


BAHNHOF  BRUNN  iS». 


i 


gebaut  wurde.  Damit  war  die  Type  einer 
»Kopfstation  mit  Kopfgebäude«  gegeben. 
Bezeichnend  waren  hier  die  symmefrisch 
angeordneten  polygonalen  Remisen  und 
die  freistehende  Halle,  welche  drei  mitt- 
lere Geleise  umspannte.  Das  Auswechseln 
der  Maschine,  das  Aussetzen  und  Zu- 
schieben der  Wagen  erfolgte,  wie  in 
Wien,  mittels  einer  Drehscheiben  Strasse. 
Die  Voraussetzung,  dass  die  Verbin- 
dung mit  Prag  über  Ol  mutz  genügen 
werde,  welche  Annahme  Brunn  durch 
das  Kopfgebäude  zu  einer  Endstation 
stempeln    Hess,    wurde    bald    durch    die 


y 


AHNHOF  BRtNN 


Abb.  1S4.    Aulcht  der  Babnbafc  dci  WleD-Gloegnlticr  Babn  In  WIcd 
BAHNHOFE  DER  WIEN-GLOGGNITZER  BAHN  IN  WIEN. 


Ereignisse  widerlegt.  Bereits  im  Jahre 
1 849  wurde  B  r  (t  n  n  [Abb.  1 83]  durth  den 
Anschluss  der  Slaatsbahnlinie  zu  einer 
•  Durchgangsstation«,  was  die  Abtragung 
des  jungen  Empfangsgebäudes  und  den 
Ersatz  durch  das  seitlich  gestellte  Auf- 
nah tnsge  bände  beider  Anschlussbahnen 
erforderte. 

Kurz  nach  Eröffnung  des  Nordbahn- 
hofes wurde  der  Bahnhof  der  Wien- 
Gloggnitzer  Bahn  [1842}  und  dar- 
nach jener  der  Raaber  Bahn  [1 846]  in 
Wien  [Abb.  184  und  185]  dem  Betriebe 
übergeben.  Der  weit  ausgreifende  Plan,  der 
diesen  beiden  ursprünglich  gemeinsamen 
Unternehmungen  zugrunde  lag,  Wien 
mit  Triest  und  Pest  zu  verbinden, 
kam  in  dieser  imposanten  Bahnhofsanlage 
durch  Schönerer  zum  Ausdruck. 

Da  die  projectirte  Verlegung  des  An- 
fangspunktes der  Bahn  auf  das  Glacis,  also 
fast  bis  zum  Herzen  der  Stadt,  nicht  die 


I  behördliche  Genehmigung  gefunden,  so 
1  wurde  vor  der  Belvederelinie  ein  grosser 
Platz  ausgemittelt,  auf  welchem  die 
beiden  ganz  symmetrischen  Bahnhöfe 
I  unter  einem  stumpfen  Winkel  zusammen- 
'  geführt  wurden,  wobei  die  Lage  des 
I  Wien-Gloggnitzer  Bahnhofes  schon  dem 
,  künftigen  Anschluss  an  die  Linie  zum 
I  Hauptzollamt  entsprach.  Mit  den  Ver- 
I  bindungsgeleisen,  welche  die  beiden 
1  divergirenden  Bahnlinien  mit  einander 
!  vereinigten,  umschlossen  die  Bahnhöfe 
I  einen  weiten  Raum,  der  neben  einem 
Dienst-  und  Restaurationsgebäude  und 
,  neben  einer  Wa^enremise  eine  ausge- 
i  dehnte  Locomotiv  werk  statte  —  damals 
!  die  gros  st  e  derartige  Anlage  Deutsch- 
j  lands  —  aufnahm.  800  m  von  den  Bahn- 
[  höfen  entfernt,  waren  die  Heizhäuser  neben 
]  den  Hauptgeleisen  untergebracht.  Jeder  der 
:  Bahnhöfe  war  durch  ein  Kopfgebäude  ab- 
I  geschlossen,    das    zu    beiden  Seiten    des 


BahnhofsanJagen. 


Vestibules  je  eine  Treppe  für  die  ab- 
reisenden und  ankommenden  Passagiere 
enthielt,  welcher  Theilung  entsprechend 
die  beiden  Geleisepaare  der  Halle  für 
aus-  und  einfahrende  Züge  bestimmt 
waren.  Die  Reisenden  stiegen  indessen, 
wie  Ph.  Volk  in  einer  alten  Beschreibung 
dieses  Bahnhofes  berichtet,  in  der  Halle 
selbst  weder  ein  noch  aus,  sondern  die 
Wagentrains  hielten  vor  der  Halle, 
weiche  daher  mehr  zum  Aufenthalt  der 
Passagiere  und  zum  Aufstellen  der  Wagen 
diente.  Für  den  Fr achtenv erkehr  massten 
anfänglich  zwei  Geleise  genügen,  die 
hinter  dem  Aufhahmsgebäude  in  Strassen- 
höhe  lagen  und  mittels  steiler  Kämpen 
in  die  hochgelegenen  Hauptgeleise  hinauf- 
führten. 


ihrer  Anlage,  wie :  Trennung  der  an- 
kommenden und  abfahrenden  Reisenden, 
Sonderung  der  Zufahrten  für  »Ballen  und 
Gepäck«,  Einfachheit  der  Verbindung 
zwischen  Zugsgeleisen  undZugförderungs- 
Anlage  entwickelt.  Wenn  sich  auch  die 
Anlehnung  an  die  englischen  Beispiele 
meist  nur  auf  die  Uebernahme  solcher 
allgemeiner  Grundsätze  beschränkte,  da 
ja  jeder  grössere  Bahnhof  eine  durch  die 
ortlichen  Verhältnisse  und  die  Schaffens- 
weise des  Ingenieurs  bestimmte  Indivi- 
dualität erhielt,  so  waren  doch  auch 
einige  Elemente  selbst,  wie  die  polygonalen 
Remisen  in  Brunn  oder  die  Schupfen 
mit  dem  innenliegenden  Geleise  unmittel- 
bar dem  englischen  Vorbild  entnommen. 
Dagegen  wurden   die    auf   den  dortigen 


Der  Bahnhof  für  die  nach  Gloggnitz 
führende  Linie  wurde  im  Jahre  1842  dem 
Betriebe  übergeben.  Seine  zweckmässige 
Anlage  ermöglichte  es  bereits  im  ersten 
Jahre  seines  Bestandes  an  manchen  Sonn- 
tagen 1 3.000  bis  16.000  Personen  zu 
befördern,  ohne  dass  sich  hiebei  ein 
Unfall  ereignele. 

Alle  diese  ersten  Stationen  der 
österreichischen  Bahnen  waren  unter 
dem  Einfluss  englischer  Vor- 
bilder entstanden.  Durch  die  Studien- 
reisen hervorragender  Ingenieure,  wie 
Ghega,  Stopsl  und  Anderer,  waren 
die  fremdländischen  Erfahrungen  nach 
Oesterreich  verpflanzt  worden  und  schon 
im  Jahre  1838  werden  in  der  ersten 
technischen  Zeitschrift  Försters  grosse 
fremde  Bahnhöfe  in  Wort  und  Bild  vor- 
geführt   und     die    leitenden     Grundsätze 


I  Guterbahnhöfen  so  beliebten  Drehscheiben, 

die  das  Ueberstellen  der  leichten  und  hand- 

I   liehen  Wagen  wesentlich   beschleunigen, 

hier  gleich  vom  Beginne  zu  Gunsten  der 

<  Weichen  verbin  dun  gen   auf  das  nothwen- 

j  digste  Mass  eingeschränkt.    Und    indem 

I   seither  unsere  Wagen  aus  wirth schaftlichen 

Gründen  immer  grösser,  aberauch  schwer- 

j  fälliger  gebaut  wurden,  blieb  diese  Rich- 

I  tung    die  herrschende,     unbeschadet    der 

I   Bedeutung,    welche    die  Drehscheiben  in 

I  vielen  späteren  Bahnhöfen  gewannen. 

Unter  den  vielen  Vortheilen  hatte  man 

aber    auch    einen     grossen    Irrthum    aus 

England  mitgebracht :  die  Unterschätzung 

I  des   künftigen  Güterverkehrs    gegenüber 

dem     Personenverkehr,     welch     letzteren 

I   man  in  jeder  Richtung  für  belangreicher 

j  hielt.    Aus  diesem  Grunde  wurden  auch 

I  alleStationen  der  erstenZeit  mit  Magazinen 


Ernst  R eitler. 


und  Geleisen  so 
kümmerlich  be- 
dacht, dass  sich 
schon  nach  kurzer 
Zeit  die  Nothwen- 
digkeit  gründlicher 
Abhilfe  einstellte. 

Diese  Erfah- 
rungen der  ersten 
Jahre  wurden  bei 
dem  Entwurf  der 
nächsten  grossen 
Bahnhöfe  schon  zu 
Rathe  gezogen :  des 
Bahnhofes  der  k.  k. 
Staatsbahn  zu  P  ra  g 
[Abb.  186  und  187] 
und  jenes  der  Un- 
garischen Central- 
bahnzuPest[Abb. 
188].  Sollte  in  Er- 
sterem  die  Bedeu- 
tung der  industrie- 
reichen Hauptstadt 
Böhmens  und  seine 

Aufgabe  als  Binde-  _„„.., 

glied  zwischen  dem 

deutschen    und  '  '     '       °'aut  der'v«ge 

dem        österreichi- 
schen Netze  zum  Ausdruck  kommen,  so  ; 
hatte  der  Bahnhof  in  Pest  den  Forderungen 
des  bedeutendsten  Handelsplatzes  fUr  die   . 
Producte  Ungarns  zu  entsprechen. 

Beide  Bahnhöfe  zeigen  viele  neue  und  i 
verwandte  Züge.    In  beiden  ist  die  Tren- 


nung der  Bahnhofs- 
theile  für  die  beiden 
Verkehrszweige  und 
für  den  Betriebs- 
dienstdurchgefahrt, 
so  dass  die  Ausfahrt 
der  Personen-  und 
Güterzüge  zum 
Theil  unabhängig 
von  einander  er- 
folgen konnte. 
Trotzdem  beide 
Bahnhöfe  von  An- 
fang an  für  den 
Durchgangsverkehr 
bestimmt  waren,  so 
waren  sie  —  der 
damals  herrschen- 
den Vorliebe  fol- 
gend —  doch  in 
Kopfform  angelegt. 
Diese  Anordnung 
hatte  gegenüber 
der  Durchgangs- 
form zwar  den  Vor- 
theil,  die  Trennung 
der   ankommenden 

lofes  Piae  vom  Jahre  1845  ■  1        1.        1 

)ei(pei,ttve.  und       abgehenden 

Passagiere  zu  er- 
leichtern, was  hier  zum  ersten  Mal  mit- 
tels zweier  Längsgebäude,  zwischen 
welchen  sich  die  hallenüberdeckten  Ge- 
leise befanden,  durchgeführt  war;  sie 
hatte  den  weiteren  Vortheil,  das  tiefe 
Eindringen  des  Bahnhofes    in    die  Stadt 


BAHNHOF  PEST  il 


Bahnhof sanlagen. 


333 


zu  ermöglichen,  der  besonders  in  Prag 
zur  Geltung  kam ;  dagegen  trug  sie  den 
Nachtheil  in  sich,  dass  die  durchgehenden 
Personenzüge  von  der  Ankunfts-  auf  die 
Abfahrtsseite  überstellt  werden,  dass  femer 
alle  durchgehenden  Güterzüge,  die  auf 
dem  Bahnhof  nicht  zu  manipuliren  hatten, 
dennoch  in  diesen  einfahren  mussten. 
Diese  Uebelstände  mussten  später  —  be- 
züglich der  Personenzüge  durch  Einfüh- 
rung von  Zwischenperrons,  bezüglich  der 
Güterzüge  dagegen  durch  Herstellung 
von  Verbindungsbögen  zwischen  beiden 
abzweigenden  Linien,  die  eine  Umgehung 
der  Station  ermöglichten —  wenigstens  zum 
Theile  behoben  werden 

Der  Aufgabe  und  Abgabe  der  Güter 
wurden  gesonderte,  geräumige  Schupfen 
zugewiesen,  welche  in  Prag  zu  beiden 
Seiten  der  für  die  Aufstellung  und 
Ordnung  der  Wagen  bestimmten  Maga- 
zinsgeleise, in  Pest  neben  einander  an- 
gelegt waren. 


Der  Bahnhof  in  Pest  lag  inmitten 
unverbauter  Gründe,  so  dass  seiner 
späteren  Erweiterung,  auf  Seite  der  Ma- 
gazine kein  Hindernis  im  Wege  stand. 
In  Prag  dagegen  war  man  mit  dem 
Personen-  und  Güterbahnhof  bis  ins 
Innerste  der  Stadt,  bis  hinter  die  Stadt- 
mauern vorgedrungen,  in  welche  sechs 
Thore  für  die  Durchfahrt  der  Züge  ein- 
gebaut werden  mussten;  blos  die  Heiz- 
haus- und  Werkstätten-Anlage  war  vor 
den  Thoren  verblieben.  Mit  grosser  Ge- 
schicklichkeit hatte  hier  G  h  e  ga  den  eng 
bemessenen  Raum  innerhalb  der  Stadt- 
mauern ausgenützt,  eine  Wagenremise 
sogar  in  die  bombenfest  überwölbte  Mauer 
verlegt  und  das  Heizhaus  zwischen  bei- 
den Ausästungen  glücklich  imtergebracht. 
Mit  dieser  sorgfältigen  Ausnützung  des 
Raumes  waren  aber  der  Entwicklungs- 
fähigkeit des  Bahnhofes  Fesseln  an- 
gelegt worden,  die  sich  lange  hindurch 
sehr  empfindlich  geltend  machten. 


IL  Der  Stationsbau  in  den  Fünfziger-  und  Sechziger-Jahren 

[bis  zum  Jahre   1867]. 


Mit  der  ruhig  steigenden  Entwicklung 
des  Eisenbahnwesens  im  Laufe  der  Fünf- 
ziger-Jahre, welche  den  allmählichen  Zu- 
sammenschi uss  der  vereinzelten  Linien 
zu  einem  grossen  Netze  begleitete,  kam 
statt  des  unsicheren  Tastens  des  ver- 
flossenen ersten  Decenniums  der  gereif- 
tere  Blick  für  die  Bedürfnisse  des  Ver- 
kehrs und  die  Erkenntnis  der  Noth- 
wendigkeit  einer  gesteigerten  Regelung 
des  gesammten  Dienstes.  Damit  war  aber 
auch  der  Stationsbau  durch  Zuweisung 
grösserer  und  deutlicher  umgrenzter  Auf- 
gaben aus  den  primitiven  Anfängen  der 
ersten  Epoche  herausgehoben. 

Hatte  man  anfangs  in  Unkenntnis  der 
jeweiligen  Verkehrsforderungen,  die  Zwi- 
schenstationen vorsorglich  mit  allen  Be- 
triebseinrichtungen ausgestattet,  so  zeigte 
sich  bald  eine  —  nur  durch  besondere 
Ereignisse  unterbrochene  —  Gesetz- 
mässigkeit der  Verkehrs  Verhältnisse, 
welche  diese  Vielseitigkeit  der  Stationen 
überflüssig  machte.  Da  überdies  im  Tele- 
graphen '  ein    wunderthätiges  Instrument 


erstanden  war,  das  die  Möglichkeit 
schuf,  den  Betrieb  längerer  Strecken  in 
verlässlicher  Weise  von  einzelnen  Haupt- 
punkten aus  zu  beherrschen,  so  wurden  die 
Zwischenstationen  ihrer  Bedeutung  als 
Reservestellen  für  Maschinen  imd  Wagen 
entkleidet  und  konnten  ausschliesslich 
den  Aufgaben  des  Personen-  und  Güter- 
dienstes vorbehalten  bleiben.  Die  Heiz- 
häuser und  Werkstätten,  die  man  bis 
dahin  fast  alle  30  ktn  antraf,  wur- 
den nunmehr  auf  neuen  Linien  bis 
auf  150  km  und  mehr  auseinander  ver- 
legt und  mit  reicheren  Mitteln  aus- 
gestattet. Auch  auf  den  alten  Linien 
wird  dieser  Process  bemerkbar,  indem 
einerseits  W^erkstätten  und  Heizhäuser 
in  einzelnen  Stationen  vergrössert,  in 
zahlreichen  anderen  gänzlich  oder  zum 
Theil  ausser  Benützung  gestellt  wurden. 
Das  Bahnnetz  der  xMonarchie,  das  im 
Jahre  1848  etwa  1 100  km  umtasste,  dehnte 
sich  bis  zum  Schluss  des  nächsten  De- 
cenniums auf  das  Vierfache  aus.  War 
schon  diese  Vermehrung  der  Bahnlinien 


334 


Ernst  Reitler. 


an  sich  für  die  Verkehrsentwicklung  von 
grösster  Bedeutung,  so  trat  noch  der 
Umstand  hinzu,  dass  der  Ausbau  des 
Netzes  den  Zusammenschluss  der 
ersten,  bis  dahin  isolirten  Bahnen  be- 
deutete, der  nunmehr  ganze  Länder- 
strecken mit  einander  in  Verbindung 
brachte.  Durch  die  Verlängerung  der 
Nordbahn  bis  an  die  k.  k.  östliche  [gali- 
zische]  Staatsbahn,  durch  den  Ausbau  der 
ungarischen  Linien  bis  nach  Pest,  durch 
den  Uebergang  über  den  Semmering, 
und  durch  die  Wiener  Verbindungs- 
bahn waren  nun  die  entferntesten  Theile 
des  Reiches  mit  einander  in  Wechsel- 
verkehr gesetzt  und  durch  den  Anschluss 
in  Oderberg  und  Bodenbach  die  Wirkungs- 
sphäre des  heimischen  Bahnjietzes  so- 
gar über  benachbarte  Länder  ausgedehnt. 

Der  hiedurch  wesentlich  gesteigerte 
Verkehr  erhöhte  die  Leistungen  der 
Stationen  nicht  blos  bezüglich  der  Zahl 
der  umzusetzenden  Frachten  und  Wagen 
sowie  der  abzufertigenden  ZiXgQy  sondern 
auch  bezüglich  der  Zusammenstel- 
lung der  Züge  selbst,  infolge  Ver- 
mehrung der  Ladestellen  und  der 
Anschlusspunkte  an  andere  Bahnen. 
Dies  musste  aber  in  allen  wichtigeren 
Stationen  das  Bedürfnis  nach  einer 
grosseren  Zahl  von  Geleisen  für  Ran- 
girzwecke  wachrufen.  Die  Rege- 
lung des  gesammten  Dienstes,  welche 
in  der  Betriebsordnung  [1853]  ihren  ge- 
setzlichen Ausdruck  gefunden  und  welcher 
in  der  General-Inspection  [1856]  eine 
Hüterin  bestellt  worden  war,  das  frische 
Tempo,  das  im  ganzen  Verkehr  ein- 
setzte und  sich  schon  in  der  Einschrän- 
kung der  Zugsintervalle  von  einer  halben 
Stunde  auf  15,  10  und  5  Minuten  ver- 
rieth,  musste  auch  auf  die  Anlage  der 
Stationen  zu  Gunsten  einer  freieren 
und  übersichtlicheren  Dispo- 
sition zurückwirken. 

Durch  die  Fortschritte  in  der  Ma- 
schinentechnik, die  namentlich  im  Bau 
der  ersten  Gebirgslocomotive  einen  mäch- 
tigen Anstoss  gefunden,  und  durch  die 
immer  allgemeinere  Verwendung  der 
verbilligten  Kohle,  wurde  der  Transport 
längerer  ZiXge  ermöglicht,  welche 
weit  über  das  bisher  übliche  Mass  hinaus- 
gehende Geleiselängen  erforderten. 


So  drängten  die  Umstände  dazu,  den 
Stationsbau  auf  eine  neue  Grundlage  zu 
stellen  und  die  bestehenden  Anlagen  in 
diesem  Sinne  umzugestalten.  Der  neu- 
gegründete Verein  deutscher  Eisenbahn- 
Verwaltungen  wies  die  einzuschlagende 
Richtung,  indem  er  durch  Aufstellung 
von  »Grundzügen  für  die  Anlage  von 
Bahnhöfen  €  [1850]  auch  in  dieses  Gebiet 
Klarheit  und  Einheitlichkeit  der  An- 
schauungen hineintrug. 

Die  Bedeutung  der  Hauptgeleise  für 
die  Fahrten  der  Personenzüge  erscheint 
nunmehr  in  der  Anlage  der  Stationen 
stärker  hervorgehoben.  Die  Lastzugs- 
geleise erreichen  nutzbare  Längen  bis 
zu  400  w.  Die  Gütermagazine  und  Ram- 
pen mit  ihren  ungleich  ausgedehnteren 
Lade-  und  Rangirgeleisen  bilden  auch 
in  Zwischenstationen  in  sich  geschlossene 
Theile  des  Bahnhofes,  die  je  nach  Be- 
deutung der  Station  von  denen  für  den 
Personendienst  mehr  weniger  deutlich 
gesondert  sind.  Der  Heizhausanlage  wird 
womöglich  ein  eigener  Rayon  zugewiesen. 
Die  Erfahrungen  über  das  ständige  und 
rasche  Anwachsen  des  Verkehrs  lassen 
dabei  in  neuen  Stationen  immer  für  die 
Möglichkeit  künftiger  Erweiterungen  Vor- 
sorgen. 

War  es  auf  der  einen  Seite  die 
Kaiser  Ferdinands-Nordbahn,  welche,  ge- 
drängt durch  die  zuerst  an  sie  heran- 
getretenen grösseren  Verkehrs-Anforde- 
rungen und  den  Spuren  ihrer  eigenen 
frühzeitigen  Erfahrungen  folgend,  diesen 
Abschnitt  in  der  Geschichte  des  Stations- 
baues mit  ihren  grossen  Umgestaltungen 
einleitete,  so  war  es  andererseits  —  bei 
der  späteren  Staatseisenbahn-Gesellschaft 
und  der  Südbahn  —  ein  fremder  Ein- 
schlag in  die  heimische  Entwicklung, 
der  dieser  Epoche  ihren  Charakter  gab, 
indem  durch  die  Berufung  von  Maniel 
und  Etzel  der  Schatz  der  besten  fran- 
zösischen und  deutschen  Erfahrungen  in 
Oesterreich  eingeführt  und  hier  dauernd 
dem  allgemeinen  geistigen  Besitzstand 
einverleibt  wurde. 

Der  Umschwung  in  der  Austheilung, 
also  in  dem  Gesammtbilde  der  Stationen 
dehnte  sich  aber  auch  auf  die  bau- 
lichen Einrichtungen  der  Bahn- 
höfe   selbst  aus,    die    damals  zum  Theil 


336 


Erast  Reitler. 


auf    eine    bis    heute    nur    um    Weniges 
überholte  Höhe  gebiacht  wurden.  Bei  der 
Staats-    und    der    Südbahn    finden    wir 
die    im   Auslande   bestbewährten  Typen 
f(lr   alle  baulichen  Einrichtungen    bereits 
in   "Normalien'  zusammengestellt,  durch 
welche   erst    die    fUr    den    sicheren    und 
wirthschaftlichen    Betrieb    gebotene  Ein- 
heitlichkeil und  Uebereinstimmung    aller 
Details  angebahnt  wurde.  Um  die  Wende 
des  sechsten  Jahrzehnts  traten  die  grossen 
schmiedeeiser- 
nen Reservoire 
auf     und     im 
Vereine       mit 
richtig         be- 
messenen 

Rohrleitungen 
und  neuartigen 
Säulenkrahnen 
wird  durch  sie 
ei  ne  freiere  Ver- 
thei  iung  der 
Wasserentnah- 
mestellen    für 

Locomotiven  Abb.  igo.   s< 

ermöglicht,  die 

bis  dahin  oft  ängstUch  an  die  Nähe 
der  Wasserstationen  gebunden  waren. 
Den  Drehscheiben  wird  durch  ver- 
besserte Construction  eine  grössere  Ver- 
wendung eröffnet  und  damit  namentlich  die 
Einfuhrung  der  halbrunden  Heizhäuser  be- 
günstigt, die  den  Locomotiven  eine  un- 
abhängigere Ein-  und  Ausfahrt  gestatten; 
kleine  Drehscheiben  werden  zum  Ein- 
stellen und  Aussetzen  einzelner  Wagen 
sehr  verbreitet,  zuweilen  in  Verbindung 
mit  Schiebebuhnen,  mit  denen  sich  ein 
bis  dahin  äusserst  selten  angetroffenes 
Element  auf  den  Bahnhöfen  einbürgert, 
und  die  namentlich  bei  Wagenremisen  als 
Ersatz  langer  Geleise  Verbindungen  be- 
liebt werden. 

Die  Nordbahn,  der  die  günstige  Lage 
frühzeitig  zu  kräftigem  Gedeihen  verhalf, 
hatte  auch  auf  dem  Gebiet  des  Stations- 
baues zuerst  die  Kinderkrankheiten  zu  über- 
winden. Zwischen  den  Jahren  1850  und 
1854  sah  sie  sich  zur  Erweiterung  fast  aller 
Stationen  bemüssigt.  Die  Heizhäuser  wur- 
den vermehrt  und  zweckmässiger  ver- 
theilt,  in  Floridsdorf  eine  grosse  Central- 
wa  gen  werk  Stätte  errichtet,  Magazine  und 


Aufnahmsgebäude  vergrössert,  die  Sta- 
tionen, in  denen  schon  Züge  bis  zu  40 
Wagen  kreuzten,  von  200 — 300  m  Länge 
auf  das  Doppelte  gebracht;  die  bedeu- 
tendste Umgestaltung  musste  indessen 
der  Wiener  Bahnhof  erfahren.  [VgU 
Abb.    189a,  b  und  c] 

Im  Jahre  1840  war  auf  diesem  Bahn- 
hof    der      Güterverkehr     aufgenommen 
worden    und     schon    im    nächsten  Jahre 
erkannte   man   die    dringende  Nothwen- 
digkeit    seiner 

Vergrösse- 
rung.  Manent- 
schloss       sich 
daher,  auf  der 
Ostseite      des 

Bahnhofes 
eine  geson- 
derte Anlage 
für  den  Güter- 
dienst zu  er- 
bauen,diedann 
beim  Eintritt 
weiterer  Be- 
ioD  TaiTii.  dUrfnisse    eine 

schrittweise 
Vergrösserung  gegen  die  Donau  zulassen 
wUrde.  Im  Jahre  1843  wurde  mit  dieser 
ersten  Erweiterung  einer  österreichischen 
Station  begonnen,  die  erst  im  Jahre  1852 
ganz  abgeschlossen  war.  Inzwischen  hatte 
sich  der  Güterumsatz  des  Bahnhofs  von 
870.000  Centner  auf  5'/,  Millionen  er- 
höht. Der  alte  Nordbahnhof  ging  aus 
dieser  ersten  Umgestaltung  stark  verändert 
hervor.  Er  hatte  fünf  im  bisherigen  Stations- 
niveau, also  auf  dem  Damm  gelegene  Ma- 
gazine und  Rampen  erhalten,  die  verschie- 
denen Verkehrsriclitungen  bestimmt  wur- 
den, und  die  sich  als  Längsgebäude  an  die 
föcherförmig  vertheüten  Geleisebündel, 
für  Lade-  und  Rangirzwecke,  anschlössen. 
Die  Geleise  waren  an  ihrem  stumpfen 
Ende  durch  eine  Drehscheibenstrasse,  die 
sogenannte  Ringbahn,  verbunden,  um 
einzelne  Wagen  leichter  zu  überstellen. 
Neben  dem  Aufnahmsgebäude  war  eine 
g^rosse  Wagenremise  erbaut  worden, 
während  ein  Eilgutmagazin  die  Stelle 
der  alten  Remise  einnahm.  In  mehreren 
an  die  Dammböschung  gelegten  Kohlen- 
rutschen konnten  schon  über  8000  Centner 
lagern.  Die  Geleiselänge  des  Bahnhofes  war 


Bahnhofsanlagen. 


337 


verzehnfacht  worden,  seine  Gesammtlänge 
von  270  auf  930  m  gestiegen,  die  Zahl  der 
Locomotivstände  von  2  auf  2 1  gewachsen. 
Auch  die  Erweiterung  des  Per- 
sonenbahnhofes war  bereits  im 
Jahre  1845  als  ein  Bedürfnis  erkannt 
worden.  Die  schwebenden  Verhandlun- 
gen über  den  Anschluss  der  Verbindungs- 
bahn Hessen  indessen  das  Project  erst 
im  Jahre  1860  zur  Ausführung  kommen. 
Indem  durch  diesen  Anschluss  aus  der 
Kopfstation  eine  Durchgangsstation  wurde, 


behrte  Halle  überspannte  fünf  Geleise,  die 
mittels  Drehscheiben  unter  einander  und 
mit  dem  Eilgutperron  verbunden  wurden, 
welchen  das  neue  Ankunftsgebäude  hinter 
die  Werkstätte  verdrängt  hatte. 

Seit  dem  Bau  des  neuen  Güterbahn- 
hofes im  Jahre  1852  war  aber  der  Nord- 
bahn ein  so  bedeutender  Verkehr  zuge- 
wachsen, dass  sich  neben  der  Erwei- 
terung des  Personenbahnhofes  auch 
eine  solche  des  Güterbahnhofes  neuer- 
dings als  nothwendig  erwies.    So  wurde 


RANN  i86a. 


1:6000 


•    •«««■•  H  IS  H  «  1» 

f    j     I     t     I     I     l     I     I     ' 


V» 


m. 


Abb.  191. 


KLAGENFURT  1863. 


1:6000 

ITTTTTTTi i7 — 


Mm 

H 


Abb.  19a. 


in  der  man  allerdings  den  Durchgangs- 
verkehr für  normale  Züge  nicht  aufnahm, 
musste  das  alte,  quergestellte  Magazin 
seinen  Platz  räumen.  Nun  war  erst  der 
Güterdienst  völlig  vom  alten  Bahnhof  los- 
gelöst und  die  ganze  ursprüngliche  Bahn- 
hofsbreite konnte  für  Zwecke  des  Personen- 
dienstes in  Verwendung  genommen  wer- 
den. Das  alte,  schlichte  Aufnahmsgebäude 
machte  einem  würdigen,  imposanten  Mo- 
numentalbau Platz,  dem  ein  zweites  Längs- 
gebäude für  die  ankommenden  Reisenden 
gegenüber  gestellt  wurde.  *)  Die  lang  ent- 


*)  Vgl.  Abb.  auf  Tafel  III,  Seite  402,  im 
Abschnitt  Hochbau  von  H.  Fisch el. 

Geschichte  der  Eisenbahnen.  II. 


denn  diese  Anlage  zwischen  den  Jahren 
1 860  und  1 864  durch  die  Angliederung  von 
zwei  Dämmen  und  den  Anschluss  fächer- 
förmig vertheilter  Geleise  bis  an  den  Donau- 
arm ausgedehnt,  dem  sich  der  äusserste 
Damm  bogenförmig  anpasste.  Die  Bö- 
schungen der  Dämme  wurden  zu  Rutschen 
für  Getreide,  Holz,  namentlich  für  Kohle 
ausgenützt,  für  die  damit  ein  Lager- 
raum von  80.000  Centner  Fassungsgehalt 
geschaffen  war.  Die  »Ringbahn«  wurde 
verlängert,  die  obere  und  untere  Zufahrts- 
strasse, die  neben  einander  zu  den  hoch- 
gelegenen Magazinen,  beziehungsweise 
deren  Kellerhöfen    und  den  Rutschen 


zu 


führten,  weiter  ausgebaut  und  die  Heiz- 


22 


338 


Ernst  Reitler. 


STATION  WIENER-NEUSTADT  1864. 


) 


STATION  CILLI  1846. 


1:6000 


r« « 4  j 


M&O 


ICO 


Aül^AHW3  C'tWUM. 


:3?4, 


Abb.  J94a 


STATION  CILLI  1863. 


7^xt 


Abb.  194  b. 


häuser  auf  das  Doppelte  vermehrt.  Die 
Geleiselänge,  die  im  Jahre  1852  gegen 
die  erste  Anlage  von  i*8  knt  auf  1%  km 
gestiegen  war,  erhöhte  sich  nun  auf  28, 
die  Belagfläche  der  Magazine  war  in 
diesen  drei  Etappen  von  1500  m*  auf 
4900  und  auf  9500  vi^  gestiegen. 

Wie  auf  dem  Wiener  Bahnhof  mussten 
aber  auch  auf  den  meisten  anderen  Nord- 
bahn-Stationen im  Anfange  der  Sechziger- 
Jahre  neuerdings  Erweiterungen  vorge- 
nommen werden.  Bei  einer  fast  unge- 
änderten  gesammten  Betriebslänge  wuchs 
die  Zahl  der  Nebengeleise  der  Stationen 
vom  Jahre  1858  bis  1868  von  54  auf 
203  kni^  also  auf  das  Vierfache,  trotz- 
dem gleichzeitig  das  Doppelgeleise,  das 
ja  für  die  Stationen  entlastend  wirkte,  von 
135  auf  181  k^n  verlängert  worden  war. 

In  den  mustergiltigen  Typen,  welche 
Etzel  beim  Bau  der  Kaiser  Franz 
Josef- Orientbahn,     also    der   unga- 


rischen und  der  croatischen,  dann  bei  den 
kärntnerischen  Linien  der  Südbahn  sowie 
bei  den  Umgestaltungen  der  Stationen  ihrer 
Stammlinie  zur  Anwendung  brachte, 
treten  die  angeführten  Vorzüge  der  neuen 
Bauweise:  Klarheit  und  Zweckmässig- 
keit der  gesammten  Austh eilung,  femer 
Rücksichtnahme  auf  kommende  Erweite- 
rungen besonders  deutlich  in  Erscheinung. 
Die  Hauptgeleise  sind  meist  unmittelbar 
vor  das  Aufnahmsgebäude  geführt,  die 
Halle  nur  noch  in  den  grössten  Stationen 
beibehalten,  sonst  durch  gedeckte  Perrons 
oder  eine  Veranda  ersetzt,  wie  wir 
sie    seither    allgemein    verbreitet    sehen. 

Vgl.    Abb.   190  der   im  Jahre    1870   er- 

3auten  Station  Tarvis.] 

In  kleineren  Stationen,  wie  in  Rann 
und  Klagenfurt  [vgl.  Abb.  191' 
und  192],  wurde  das  Gütermagazin  dem 
Aufnahmsgebäude  gegenübergestellt  und 
dadurch  der  Vortheil  gewonnen,  die  Ge- 


Bahnhofsanlagen. 


339 


•  • ■ ■«  ■ 

H-fm 


Abb.  195  b. 


leise  in  der  ganzen  Stationslänge  für 
den  Güterdienst  auszunützen.  In  grösse- 
ren Stationen  wurde  die  Nebenein- 
anderstellung des  Personen-  und 
Güterbahnhofs  beliebter,  schon  weil  damit 
die  Kreuzung  der  Zufahrtsstrasse  mit 
dem  Hauptgeleise  vermieden  werden 
konnte.  Bei  dieser  Anordnung  wurde 
das  Magazin  öfter,  wie  in  Wiener- 
Neustadt  [Abb.  193],  gegen  das  Auf- 
nahmsgebäude um  die  Breite  der  erfor- 
derlichen Magazinsgeleise  zurückgesetzt, 
was  eine  geradlinige  Führung  der  Haupt- 
geleise ermöglichte,  oder  beide  wurden, 
wid  in  Laibach  [Abb.  195  b],  in 
gleicher  Höhe  gehalten,  wobei  der  Raum 
für  einige  Zugsgeleise  und  eine  grössere 
Geschlossenheit  der  Anlage  gewonnen, 
dieser  Vortheil  aber  mit  einer  un- 
günstigeren Führung  der  Hauptgeleise 
erkauft  wurde.  Hier  wie  in  anderen 
Anlagen  erscheint  das  Heizhaus  immer 
so  abseits  situirt,  dass  es  den  Ueberblick 
über  die  Station  nicht  behindert  und 
eine  leichte  Verbindung  mit  den  Haupt- 
geleisen ermöglicht.  Ausreichende  Rangir- 


geleise  und  durchgehende  Drehscheibeh- 
strassen  erleichtern  die  Zusammenstellung 
der  ZWge, 

In  grösseren  Theilungsstationen,  wie 
in  Stuhlweissenburg  [Abb.  196], 
ist  die  Trennung  der  einzelnen  Dienst- 
zweige noch  strenger  durchgeführt  und 
sind  die  Geleise  reichlicher  bemessen.  Der 
Güterbahnhof  zeigt  hier  die  Type,  die 
in  Ofen  [Abb.  197]  besonders  schön 
•durchgebildet  ist.  Zwei  Reihen  von 
Gütermagazinen  sind  längs  einer  gemein- 
samen Zufahrtsstrasse  angelegt,  während 
sich  von  aussen  die  Lade-  und  Rangir- 
geleise  an  sie  anschliessen.  Die  Zustel- 
lung ganzer  Zugstheile  erfolgt  hier  über 
die  Weichenverbindungen,  während  ein- 
zelne Wagen  über  die  Drehscheiben- 
strasse  und  mittels  der  Schiebebühne 
überstellt  werden.  Typisch  ist  auch  die 
Anlage  der  Getreidehallen  in  Ofen,  die 
nur  zur  vorübergehenden  Lagerung  der 
mittels  Bahn  aus  dem  Innern  Ungarns 
kommenden  und  wieder  nach  dem 
Westen  zu  verladenden  Producte  dienen 
und  daher  keiner  Zufahrtsstrasse  bedürfen. 

22* 


Ernst  ReitJer. 


Schwierige  Terrain  Verhältnisse  und  die  | 
grossen  Kosten  der  Grundeinlösung 
zwangen  in  Ofen  zu  einer  örtlichen 
Trennung  des  Güter-  und  Personenbahn- 
hofes, welch  letzterer  durch  die  über- 
sichtliche Gesammtanordnung  und  die  | 
zweckmässige  Lage  der  Eilgutrampen 
bemerkenswerth  ist.  I 

Unter     den      zahlreichen      Stationen,  I 
welche    Maniel    um    die    Wende    der  ■ 


dungsbogen  zwischen  den  beiden  hier 
einmündenden  Linien  konnte  der  Bahn- 
hof vom  durchgehenden  Güterverkehr 
entlastet  werden. 

Der  grosse  Umschwung,  welcher  im 
sechsten  Jahrzehnt  im  Stationsbau  eintrat, 
wird  besonders  deutlich,  wenn  man  die 
ersten  primitiven  Bahnhofsanlagen  ihrem 
Bestand  aus  der  damaligen  Zeit  gegenüber- 
stellt. Selbst  ein  flüchtiger  Bück  auf  den  er- 


il  dei  nahnharea  FetI 


hiigtr.J.h 


Fünfziger-Jahre    auf  den    nördlichen  und  | 

südöstlichen    Linien   der  Staa tse isen-  | 
bahn  -  Gesellschaft      zum      Umbau 
brachte    und    mit  verbesserten    Betriebs- 

und  Verkehrseinrichtungen  versah,  stand  I 

Pest  in  erster  Linie.  [Abb.   198.]  Inner-  j 
halb    der  Jahre     1857    bis    1861    wurden 

für    diesen    Bahnhof  allein    1,500.000  fl.  | 

verausgabt.    Sein  Areal  wurde  mit  Rück-  ' 

sieht    auf  die    künftigen  Bedürfnisse    des  , 

Güterdienstes      wesentlich       ausgedehnt,  1 

namentlich    die    Heizhäuser,    die   Werk-  , 

Stätten  und    die  Geleiseanlage    erweitert;  ■ 

durch     den    bereits     genannten     Verbin-  , 


sten  Nordbahnhof  und  jenen  des  Jahres  1852 
und  1864  [Abb.  189],  oder  auf  Stationen 
wie  Cilli  und  Laibach  vor  und  nach 
dem  Umbau  [Abb.  194  a,  b  und  195  a,  b], 
die  durch  diesen  nicht  einmal  an  Aus- 
dehnung gewannen,  die  neuerbauten 
grossen  Bahnhöfe  dieser  Zeit  wie  Ofen 
oder  die  später  eingehender  besprochenen 
Bahnhöfe  der  k,  k.  südlichen  Staatsbahn 
in  Triest  aus  dem  Jahre  1857  [vgl,  Abb. 
206]  und  der  Kaiserin  Elisabeth-Bahn 
in  Wien  aus  dem  Jahr  1858  [Abb.  227] 
lehren  den  grossen  Fortschritt,  den  diese 
Epoche  für  den  Stationsbau  bedeutete. 


342 


Ernst  Reitler. 


Zu  Ende  der  Sechziger-Jahre  waren 
fast  alle  Stationen  der  grossen  Bahnen, 
der  Nordbahn,  der  Südbahn  und  der  Staats- 
eisenbahn-Gesellschaft den  neuen  Ver- 
hältnissen und  ihren  erhöhten  Forderun- 
gen angepasst.  Aber  gerade  die  wich- 
tigsten Bahnhöfe  in  Wien,  Prag  und  Triest 
waren  zum  Theil  noch  in  ihrer  ursprüng- 
lichen,   zum  Theil    schon    in    wesentlich 


1  geänderter  Gestalt  hinter  den  neuen  Be- 
:  dürfnissen  weit  zurückgeblieben,  wie  ge- 
bieterisch sich  auch  das  Verlangen  nach 
ihrer  Vergrösserung  geltend  gemacht 
hatte.  Es  musste  erst  eine  Zeit  kommen, 
die  noch  ungestümer  ihre  Forderungen 
zu  erheben  verstand,  um  ihren  Umbau 
gegen  die  vielen  auftretenden  Hindemisse 
durchzusetzen. 


III.    Der  Stationsbau  in  den  Jahren   1867 — 1873. 


Im  Jahre  1867  setzte  ein  allgemeiner 
wirthschaftlicher  Aufschwung  ein,  dessen 
rege  Bauthätigkeit  das  Bahnnetz  der 
Monarchie  innerhalb  fünf  Jahren  ver- 
doppelte, und  welcher  den  Eisenbahn- 
Verkehr  zu  einer  ungeahnten  Höhe  empor- 
schnellen Hess.  Mit  seinem  Auftreten  war 
auch  eine  neue  Aera  in  der  Ent- 
wicklung der  österreichischen  Bahnhöfe 
verknüpft. 

Auf  den  fünf  alten  Hauptlinien,  die  den 
Mittelpunkt  des  Reiches  radial  mit  der  Peri- 
pherie verbanden,  auf  der  Nord-  und  Carl 
Lud  wig-  Bahn,  der  Kaiser  in  Elisabeth-Bahn 
und  der  verzweigten  Süd-  und  Staats- 
eisenbahn, die  am  Anfange  dieser  Epoche 
einen  Verkehr  von  jährlich  10,000.000 
Passagieren  und  fast  ebensoviel  Tonnen 
Fracht  aufwiesen,  war  während  dieser  fünf 
Jahre  die  Verkehrs  -  Leistung  auf  das 
Doppelte  gestiegen,  während  ihre  Betriebs- 
länge nur  um  25^0  gewachsen  war.  Nun 
erst  war  der  Charakter  des  Massenhaf- 
te n  in  den  Verkehr  hineingetragen,  und  wie 
eine  Hochfluth  kam  es  über  die  Stationen, 
namentlich  über  die  Bahnhöfe  der  wirth- 
schaftlichen  Centren,  die  schon  früher  den 
Anforderungen  kaum  gewachsen  waren. 
Da  endlich  jene  Tage  auch  eine  Reihe 
grosser  Fragen  zur  Reife  brachten,  die 
—  wie  die  Donauregulirung,  der  Hafen- 
bau in  Triest,  die  Schleifung  der  Prager 
Festungswerke  —  den  Umbau  der  Bahn- 
höfe mitbestimmten,  so  sehen  wir  in  dieser 
Zeit  fast  alle  grossen  Bahnhöfe  ihre  lange 
gehüteten  Grenzen  weit  zurücksetzen 
und  zu  riesenhaften  Dimensionen  hinaus- 
wachsen :  die  Staatseisenbahn-Gesellschaft 
erbaut  in  Wien  einen  Centralbahnhof, 
der  gleich  hundert  Hectare  bedeckt,  die 
Südbahn  Anlagen,  die    sich    über  3  km 


erstrecken,  die  Nordbahn  Kohlenrutschen, 
die  anderthalb  Millionen  Centner  auf- 
nehmen, und  alle  Bahnhöfe,  die  der 
Ausgangspunkt  eines  grossen  Netzes 
sind,  werden  selbst  zu  einem. Netz  von 
Geleisen,  das  bis  60  und  70  km  umfasst. 

Die  Ausgestaltung  dieser  -Bahnhöfe 
war  aber  nicht  blos  eine  räumliche:  die 
ganze  Anlage  musste  eine  planmässige 
werden,  musste  ein  bestimmtes  B  e- 
triebsprogramm  aussprechen,  um 
bei  dem  lebhaften  Verkehre  die  gebotene 
Sicherheit  und  Raschheit  aller  Mani- 
pulationen zu  verbürgen.  Denn  durch 
diese  allein  konnte  erst  jene  Rege- 
lung des  gesammten  Dienstbetriebes 
zur  That  werden,  die  mit  der  Codifici- 
rung  des  Wagenregulativs  [1859],  mit 
der  Erlassung  des  Betriebsreglements 
[1863]  und  des  Haftpflicht-Gesetzes  [1869] 
angestrebt  worden  war. 

Dieser  Betriebsplan  musste  in  den 
grossen  Bahnhöfen  auf  eine  noch  weiter- 
gehende Theilung  der  Anlage,  und  zwar 
nach  den  Manipulationen  der  einzelnen 
Zweige  des  Personen-  und  Güterdienstes 
hinwirken.  Auf  den  grossen  Personen- 
bahnhöfen, die  durchwegs  als  Kopf- 
stationen ausgeführt  werden,  wird  die 
Post,  das  Eilgutmagazin  und  die  Wagen- 
remise —  wie  auf  dem  Staatsbahnhof  in 
Wien  [vgl.  Abb.  203]  —  unmittelbar  neben 
das  Aufnahmsgebäude  verlegt,  um  ein 
rasches  Zu-  und  Abstellen  der  Wagen 
bei  den  Personenzügen  zuzulassen;  durch 
Einführung  der  Zungenperrons  —  wie 
auf  dem  dortigen  Südbahnhof  —  wird 
die  gleichzeitige  Abfertigung  mehrerer 
ZWgo.  mit  erhöhter  Ordnung  und  Sicher- 
heit ermöglicht,  durch  ausreichende 
Geleise  vor  der  Halle    erscheint   für   die 


:i  Babo  ID  Wien  in 


Djab 


Zusammenstellung  der  Personenzüge,  für 
das  Heinigen  der  Wagen  und  deren  Aus- 
stattung   mit  Leuchtmaterial    vorgesorgt. 

Auch  die  grossen  Güterbahn- 
höfe werden  meistens  als  Kopfs Cationen 
mit  stumpf  endigenden  Geleisen  an- 
gelegt. Stückgüter  und  die  verschie- 
denen Rohproducte  erhalten  gesonderte 
Bahnhofstheile  zugewiesen;  mit  der  An- 
lage ausgedehnter  Lagerplätze  und  ge- 
deckter Lagerräume  wird  den  auftreten- 
den Wünschen  des  Publicums  entsprochen. 
Zahlreiche  Rangir-  und  Ladegeleise  und 
die  Bestimmung  einzelner  Magazine  für 
gewisse  Verkehrsrichtungen  sorgen  für 
einen  beschleunigten  Wagenumsatz,  der 
durch  die  gesetzliche  Feststellung  der 
Lieferfristen,  durch  die  Einführung  der 
Wagenbenützungs-Gebühr  und  durch  das 
Streben  nach  Ausnützung  des  rollen- 
den Materials  als  eine  Forderung  der 
Oeconomie  sich  gellend  macht.  Die  Heiz- 
hausanlage wird  meistens  zwischen  Per- 
sonen- und  Güterbahnhof,  beiden  gleich 
leicht  zugänglich,  angelegt. 

Die  Anschluss-  und  Kreuzungsstatio- 
nen gewinnen  durch  die  fortschreitende 
Verzweigung  des  Bahnnetzes  eine  immer 
erhöhte  Bedeutunfi,  die  sich  in  der  Ver- 
grösserung  der  gcsammten  Anlage  wie 
in  der  —  vorerst  vereinzelten  —  Ein- 
führung   neuer   Typen    ausspricht. 

Für  die  Sicherung  des  Verkehrs 
war  durch  die  neue  Signal-Ordnung  vom 


I  Jahre     1873    die    wichtigste    Grundlage 
\  geschaffen ;  die  Station s- Deckungssignale, 
die  zu  Ende  der  Sechziger-Jahre  erst  ver- 
I  einzelt  aufgetreten  waren,    bildeten    nun 
I  ein      unumgängliches      Zugehör      jeder 
Linie     mit     lebhafterem     Verkehr.     Das 
I  Streben   nach    erhöhter    Sicherheit    fand 
I  aber  auch   in    der  gesammten  baulichen 
[  Anordnung  seinen  Ausdruck,  und  zwar  in 
;  der  genannten   Vermehrung   der  Geleise 
■  selbst,    in    den   später  zu  besprechenden 
I  Keilbahnhöfen,     die     einen     gesicherten 
Austausch  der  Passagiere  zwischen  kreu- 
I  zenden  Linien  ermöglichten,  in  der  thun- 
!   liebsten    Vermeidung    gegen    die    Spitze 
befahrener  Weichen  im  Zuge  der  Haupt- 
i  geleise,    die    bei    falscher  Stellung    eine 
grosse     Gefahrquelle     bilden,     ferner    In 
der    Einrichtung    der    kleinen    Zwischen- 
stationen eingeleisiger  Bahnen  für  doppel- 
.  geleisigen  Betrieb.     Hiezu  traten  als  wei- 
tere Garantiecn  für  den  Schutz   des  Per- 
j  sonals  und  des  Publicums  die  ersten  Ueber- 
I  brückungen  ganzer  Üahnhoftheile,  um  den 
\  Zugang  zu  abseits  liegenden  Werkstätten 
I  ohne  Ueberschreitung  der  Geleise  zu  er- 
möglichen, und   die  Unter-  oder    L'eber- 
I   fQhrung  belebter  Zufahrts Strassen  an  den 
1   Stalionsenden     oder    in     den    Bahnhöfen 
selbst    an  Stelle   der    bis    dahin  üblichen 
.   Kreuzungen  in  Schienenhöhe. 
!         Auch  das  Streben  nach  öconomischem 
Dienstbetrieb    hinsichtlich    der    besseren 
Ausnützung  der  Zugkraft  und  der   Con- 


centrirung  der  Werkstätten  erhält  in 
dieser  Epoche  ungleich  stärkeren  Nach- 
druck als  zuvor  und  beeinflusst  dem- 
entsprechend das  Gesammtbild  der 
Stationen.  Die  Züge  fordern  Aufstellungs- 
geleise von  500  bis  600  m  Länge,  und 
die  Erbauung  grosser  Centralwerkstätten 
—  in  Floridsdorf,  Simmering,  Bubna, 
Mähr.-Ostrau  u.  a.  —  ermöglichten  es  zu- 
gleich, andere  Stationen  auf  Kosten 
der  bedeutungslos  gewordenen  kleineren 
Werkstätten  auszudehnen. 


Die  beiden  Bahnhöfe  vor  der  Bel- 
vederelinie  in  Wien  hatten  durch  mehr 
als  20  Jahre  fast  unverändert  den  Wechsel 


zweiten  Hälfte  der  Sechziger-Jahre  zum 
Theile  ausgeftihrt  und  später  auf  den 
in  Abb.  200  ersichtlichen  Stand  er- 
gänzt wurde.  Die  beiden  Hauptgeleise 
der  Sudbahn  sammt  den  später  hinzu- 
getretenen Geleisen  der  Verbindungs- 
bahn wurden  mittels  Verschwenkungen 
um  den  Bahnhof  herumgeführt.  Alle 
Geleise  des  Güterbahnhofes  sind  hier 
auf  beiden  Seiten  mittels  Weichenslrassen 
zusammengefasst,  so  dass  die  Züge  von 
beiden  Seiten,  von  der  Südbahn,  wie 
von  der  Verbindungsbahn,  in  alle  Grup- 
pen einfahren  können  Den  Mittelpunkt 
der  Anlage  bilden  zwei  Reihen  von 
Magazinen  und  Rampen  mit  einer  ge- 
1,  unter  den  Geleisen  geführten 


FF  ACHTENBAHNHOF  MATZLEINSDORF. 


der  Zeiten  überdauert,  Ihre  ungestörte 
Symmetrie  zeigte  noch  immer  das  Bild 
ihrer  einstigen  Zusammengehörigkeit  und 
erzählte  von  der  gemeinsamen  Ent- 
steh ungs- Geschichte  der  beiden  grössten 
Eisenbahn  -  Unternehmungen  der  Mon- 
archie.  [Abb.   199.] 

Für  den  Güterdienst  der  SUd- 
bahn  in  Wien  hatte  durch  Jahre  die 
kleine  Anlage  in  Matzleinsdorf  ge- 
nügen müssen,  welche  noch  unter  dem 
Staatsregime  an  Stelle  der  dortigen 
Personenhaltestelle  errichtet  worden  war. 
Im  Jahre  1865  hatte  der  Güterumsatz 
in  Wien  bereits  300.000  /  erreicht, 
so  dass  ein  geordneter  Verkehr  nur 
unter  grossen  Schwierigkeiten  und  mit 
erheblichen  Kosten  aufrecht  erbalten 
werden  konnte.  Man  entschloss  sich  da- 
her, die  Ladestelle  Matzleinsdorf  nach 
einem  umfassenden  Gesammtproject  zu 
einem  grossen  Güterbahnhof  auszu- 
bauen,    welcher     unter     Bolze    in     der 


Zufahrtsstrasse  und  aussen  liegenden 
Verschubge leisen.  Eine  dritte  Geleise- 
gruppe bedient  die  Kohlenrutschen. 
Mehrere  Dreh  Scheiben  Strassen  unterstützen 
die  Rangirung  und  die  Wagen  Zustellung. 
Im  Jahre  1861  war  bereits  neben  dem 
Personenbahnhof  an  Stelle  des  alten 
Heizhauses  eine  Remise  für  40  Maschinen 
und  eine  grosse  Werkstätte  errichtet  und 
die  Wasserversorgung  mittels  Donau- 
I  wassers  durchgeführt  worden.  Der  eigent- 
I  liehe  Umbau  des  Personenbahnhofes,  der 
angesichts  der  herannahenden  Weltaus- 
stellung doppelt  geboten  war,  konnte  erst 
in  den  Jahren  1868— 1873  unter  Flattich 
erfolgen.  [Abb.  203  und  203.]  *)  An  ein  Kopf- 
gebäude, das  die  imposante  Halle  und  eine 
grosse  zweitheilige  Aufgangs  treppe  auf- 
nahm, wurden  zwei  Längsgebäude  mit 
Gepäcksräumen,  den  hocbgelegenenWarte- 


Sälen  und  Bureaux  an  {je  sc  blossen.  Fünf 
von  der  Halle  überspannte  Geleise,  deren 
Zahl  in  den  Achtziger-Jahren  auf  sechs 
erhöht  wurde,  sind  in  drei  Gruppen 
angeordnet,  die  von  den  zwei  Längs- 
und den  zwei  Zungenperrons,  welche 
von  einem  Slirnperron  ausgehen,  um- 
schlossen werden.  Da  alle  HaJlengeleise 
mit  den  zwei  Hauptgeleisen  durch  doppehe 
Weichen  Strassen  in  Verbindung  stehen, 
so  ist  es  durch  eine  solche  Perronanlage 
ermöglicht,  die  Züge  unabhängig  von 
einander  und  in  kürzesten  Zeitintervallen 
abzufertigen.  Bereits  im  Jahre  1873  hatte 
derneue  Bahn- 
hof in  einer 
Frequenz  von 
vier  Millionen 

Passagieren 
die  Feuerpro- 
be seiner  Leis- 
tungsfähigkeit 
zu  bestehen. 

Der  Bahn- 
hof der  Staat  s- 
eisenbahn- 
Gesellschaft 
in  Wien  war 
durch  den  Bau 

der  Ergän- 

zungslinien 
nach      Brunn 
und  Marche^         Abb.  »i.  k»1id  fut  >cbw*re  1 

mit  einem 
Schlage  der  Mittelpunkt  eines  einheitlich 
geleiteten  Netzes  von  1597  km  geworden 
und  bedurfte  daher  der  Ausgestaltung  zu 
einem  grossen  Centralbahnhof  filr  GUter- 
und  Personenverkehr.  Für  den  Umbau  des 
Raaber  Bahnhofes,  der  in  den  Jahren 
1867—1870  unter  G.  v.  Rupperl  er- 
folgte, stellten  aber  die  örtlichen  Verhält- 
nisse ganz  andere  Gesichtspunkte  in  den 
Vordergrund,  als  dies  bei  seinem  Nachbar 
von  der  Südbahn  kurz  zuvor  der  Fall  ge- 
wesen. [Vgl.  Abb.  203.]  Hier  war  es  gelun- 
gen, neben  dem  alten  Bahnhof  eine  Fläche 
von  fast  170OW  Länge  und  600  m  Breite 
zu  erwerben,  die  keine  öffentlichen 
Wege  berührte  und  daher  ftir  die  Anlage 
des  Güterbahnhofes  sehr  geeignet  war. 
Die  hohe  Lage  des  alten  Raaber  Bahn- 
hofes, für  welche  seinerzeit  blos  die 
Rücksicht    auf    die  Symmetrie    mit    dem 


Bahnhof  der  Wien- G logg nitzer  Bahn  mass- 
gebend gewesen  war,  hatte  keine  innere 
Berechtigung  mehr.  Denn  das  durch  die 
Forderungen     der     Schiffahrt     gegebene 
Niveau  der  Donaucanal- Brücke  im  Zuge 
i  der  neuen  Linie    nach  Stadlau  hätte  ein 
I  für  den  Betrieb  sehr  nachtheiliges  Gefölle 
I  vom  Bahnhof  aus  nothwendig    gemacht. 
Sprach    schon    dieser    Umstand    für    die 
Abtragung  und  Tieferlegung  des   zu  er- 
j   weitern  den     Personenbahnhofes,    so    trat 
I  noch     ein     anderer     ausschlaggebender 
I  hinzu,    dass  es  nämlich  für   die  Erleich- 
I  terung  des  Betriebes   geboten    war,   den 
Güter-       und 
Personenbahn- 
hof in  gleiche 
Höhe  zu  legen, 
was  unter  Bei- 
behaltung des 
alten  Niveaus 
für  den  Güter- 
bahnhof  eine 

grosse 
Anschüttung, 
Schwierigkei- 
ten    in      der 

Materialbe- 
schafTungund 

zwecklose 
Kosten  verur- 
sacht hätte. 

-aaten  auf  dem  Fracbleababahof  So    wurde 

'*"''•"'■  denn  der  alte 

I  Personenbahnhof  unter    steter    Aufrecht- 
■  haltung  des  Betriebes  abgetragen  und  durch 
I  einen  in  Strassenhöhe  liegenden  Neubau 
I   ersetzt,  der  zwei  Längsgebäude,  eine  zwei- 
gelheilte  Halle    und    sechs    durch    einen 
Zwischenperron  in  zwei  Gruppen  getheilte 
I  Geleise  umfasst.  Die  für  die  Abfahrt  be- 
'  stimmten   drei  Geleise    sind    hier  mittels 
I  Drehscheiben     für     daä     Umsetzen     von 
Wagen,      die      Ankunfts  gel  eise      mittels 
I  Weichen    zum    Ausschieben    der   Zugs- 
maschine miteinander  verbunden. 
I         Der  neue  Güterbahnhof   erhielt    eine 
Theilung  nach   den  drei  Hauptlinien  der 
I  Bahn:  der  nördlichen,  südlichen  und  der 
1  südöstlichen,    welche  Theilung    auch    in 
den    drei    Gruppen    der    Magazine    und 
Rampen,     der    zugehörigen    Lade-    und 
Rangirgeleise  festgehalten  ist.   Zwischen 
I  je     zwei     Magazinsstrassen     sind     noch 


346 


BAHN HOF ASLACE  DER  SLDBAHN. 


Freilade  gel  eise  an- 
geordnet. Die  La- 
gerfläche betrug 
144,000  t«'.  Zu  En- 
de der  Achtziger- 
Jahre  wurden  die 
Anlagen  nochdurch 
Getreideschupfen 
und  einen  Hohpro- 
ducten-Bahnhof  für 
Kohle,  Holz  und 
Petroleum  vervoll- 
ständigt. 

Die  grosse  Er  weit 
des  Wiener  NordV 
h  o  f e  s  im  Jahre 
welcher  durch  den  D 
arm  eine  natürliche  G 
gesetzt  war,  wurde 
den  mächtig  angc 
senen  Verkehr  rasch 
holt.  Innerhalb  der 
sten  fünf  Jahre  wa: 
Güterverkehr  der 
bahn  wieder  auf 
Uoppelte,aiif3-6Mil] 
Tonnen,  gestiegen,  ; 
sondere  hatte  der  K« 
verkehr  und  insbeso 
die  Kohlenabgabe  in 
eine  Höhe  erreicht,  w 
die  Anlage  eines  a 
dehnten  Kohlenb 
hofes  dringend erfor 
Aber  erst  nachden 
schwebende  Frage  dt 
nauregulirung  bei 
entschieden  und  dam 
umzulegende  Trace 
sehen  \Vien  und  Fl 
dorf  festgestellt 
konnte  der  Anschlus 
künftigen  Güterbahr 
an  die  neue  Ausfahrt 
und  so  seine  ganze 
theilung  bestimmt  wt 
[Vgl.  Abb.  204.]  Zwi 
den  Jahren  186g  und 

wurde    diese    gross; ^_ 

Erweiterung  unter  R.  v.  Stockert  Die  Ausbreitung  der  Bahnhofs  fläche  Über 
durchgeführt ;  für  die  Bahnhofsdämme  36  Hectare  bedingte  unter  Anderem  die 
war  eine  Anschüttung  von  i'/j  Millionen  Einlösung  eines  grossen  Häusercomplexes 
Cubikmetern,  die  dem  neuen  Donau-  —  des  Fischerdorfes  —  das  50OO  Menschen 
bett     entnommen    wurden,    erforderlich,      beherbergt  hatte.  Nach  Cassirung  des  im 


348 


Bogen  gelegenen  Kohlen  da  mm  es  konnte 
das  Plateau,  das  die  Magazine  und 
Rampen  trug,  erweitert  und  die  Magazins- 
fläche durch  Neubauten  wieder  auf  das 
Doppelte  des  bisherigen  Bestandes  —  auf 
17.H60  m*  ■—  erhöht  werden.  Der  neue 
Kohlenbahnhof  wurde  durch  die  An- 
schüttung von  vier  weiteren  parallelen, 
bis  900  »M  langen  Dämmen  gewonnen, 
deren  Böschungen  vorwiegend  mit 
Kohlenrutschen  besetzt  sind.  Mit  diesem 
Umbau  war  jenes  Gesammtbild  des  Bahn- 
hofes geschaffen,  welches  auch  der  heutige 
Bestand  zeigt,  trotz  mancher  nicht  un- 
wesentlicher Ergänzungen,  welche  ihm 
die  letzten  Jahre   gebracht  haben. 


des  Bahnhofes  gerade  an  jene  Stelle 
forderte,  die  zwischen  Berg  und  Meer 
kaum  den  nothdUrftigen  Raum  fUr  eine 
Communalstrasse  offen  liess,  die  sich  aber 
durch  die  geschützte  Lage  der  Rhede 
für  die  Anlage  des  Hafens  besonders 
empfahl. 

Das  Terrain  für  den  ganzen  Bahnhof, 
wie  für  die  Strassen  und  Plätze  seiner 
Verbindung  mit  der  Stadt  mussten  erst 
dem  Meere  durch  bedeutende  Anschüt- 
tungen abgerungen  werden,  für  die  Quai- 
mauern und  Molos  durch  Versenkung 
grosser  Beton-  und  Steinmassen  und  durch 
Ausbaggerung  von  Seeschlamm  der  feste 
Untergrund  geschaffen,  für  die  Gebäude 


Eine     technisch    wie     wirthschaftlich  | 
gleich  bedeutsame  Umgestaltung    erfuhr 
in  diesen  Jahren  der  Bahnhof  in  Tri  est. 
Die  erste  Eröffnung  dieses  Balinliofes,  im 
Jahre    1857,    war    in   berechtigter  Weise 
mit  den   grössten  Erwartungen  begrüsst 
worden.  War  ja  mit  seinem  Bau  endlich  j 
die  Linie  geschlossen,  welche  Wien  und 
die  Provinzen  mit  dem  Adriatischen  Meere  ' 
verknüpften,  dessen  Erschliessung  für  den  | 
Österreichischen  Export    befruchtend    auf 
Industrie  und  Handel  zurückwirken  musste !  | 
Die  Central- Direction  für  die  österreichi-  ; 
sehen    Staatseisenbahn-Bauten    in  Wien,   1 
unter  deren  Oberleitung    der  Bau  dieses 
Bahnhofes  sowie  der  ersten  Hafenanlage 
erfolgte,    hatte    dessen  Bedeutung    wohl 
zu  würdigen  gewusst ;  sie  war  nicht  vor 
den  grossen  technischen  Schwierigkeiten  1 
zurückgeschreckt,    welclie  die  Verlegung  | 


des  Bahnhofes'  über  zehntausend  Piloten 
eingerammt,  die  Wildbäche  Martesin  und 
Klutsch  in  weit  überwölbten  Canälen 
unter  den  Bahnhof  durchgeführt  werden, 
eine  Reihe  von  öffentlichen  und  Privat- 
gebäuden musste  abgetragen,  die  Marine- 
Akademie  verlegt  und  dem  herrschenden 
Wassermangel  durch  die  grossartige 
Auresina- Wasserleitung  begegnet  werden. 
Leider  wurden  aber  dieser  weisen 
Opferwilligkeit,  welche  angesichts  dei 
grossen  Aufgabe  auch  vor  grossen 
Kosten  nicht  zurückschreckte,  an  e ' 
Stelle  Schranken  gezogen,  die  den  dauern- 
den Erfolg  der  ganzen  Anlage  wesent' 
lieh  beeinträchtigten.  Um  die  angren- 
zende<Juaranlaine-Anstalt,  das  neue  Laza 
reth  und  seine  ausgedehnten  Baulich- 
keiten zu  schonen,  die,  am  Fusse  eines 
Bergabhanges    liegend,    nicht  umgangen 


werden  konnten,  wurde  die  Bahn  mittels 
eines  7  tn  hohen  Viaductes  über  dieselben 
hin  weggeführt,  der  die  Höhenanlage  des 
ganzen    Bahnhofes    mit    10  fn  über  dem 
Seespiegel    bestimmte.     Wie  vortheilhaft 
auch     anfangs    die     hiedurch    gegebene 
etagenförmige  Gliederung  des  Aufnahms- 
gebäudes   und    der    Magazine    erschien, 
da  sie  in  einfachster  Weise  die  Trennung 
des    Freihafengebietes    vom    Zollgebiete 
gestattete,     so    war   doch    der    Bahnhof  1 
gleichsam     auf  einen    Isolirschemel    ge-  I 
stellt,    der    Güterverkehr  zwischen  Schiff  l 
und  Bahn  durch  den  grossen  Höhenunter-  I 
schied  wesentlich  erschwert  und  die  Aus-  1 
dehnung  des  Bahnhofes  behindert.  | 

BAHNHOF  UND  HAFEN  V 


anlagen.  34g 

stieg,  begann  sich  die  Beengtheit  des 
Bahnhofes  wie  des  Hafens  gegenüber  so 
grossen  Anforderungen,  die  Erschwernis 
der  GUtermanipulation  infolge  der  hohen 
Lage  der  Geleise,  und  der  Mangel  an 
geeigneten  Lade  Vorrichtungen,  wie  eine 
drückende  Fessel  für  den  Handel  fühlbar 
zu  machen.  Der  Verkehr  drängte  über 
die  künstlich  errichteten  Grenzen  hinaus; 
nachdem  alle  vorhandenen  Plätze  des 
Bahnhofes,  auch  jene  für  das  künftige 
Aufnahmsgebäude  für  Zwecke  des  GUter- 
dienstes  ausgenützt  worden  waren,  muss- 
ten  die  hohen  Umfassungsmauern  des 
Bahnhofes  durchbrochen  und  die  Geleise 
mittels    Rampen    in    das    untere    Niveau 


In  der  gesammten  Austheilung  des 
Bahnhofes  waren  die  besten  Grundsätze 
der  damaligen  Bauweise  zur  Geltung 
gekommen  und  die  Dimensionen,  den 
Erfahrungen  entsprechend,  reichlich  be- 
messen. Zwei  Magazine  von  290  m  Länge 
mit  einem  Lagerraum  von  über  3 1 .000  >m*, 
Kohlenmagazine  mit  einer  Vorrichtung, 
um  die  Kohle  aus  den  Bahnwagen  über 
bewegliche  Rutschen  unmittelbar  in  die 
Schiffe  zu  entladen,  eine  Rampe  für  Holz 
und  die  zugehörigen  Geleise  bildeten  einen 
gesonderten  Güterbahnhof,  während  statt 
des  gross  angelegten  Personenbahnhofes 
vorläufig  ein  provisorisches  Aufnahms- 
gebäude diente.   [Abb.  205  und   206.] 

Indem  sich  aber  der  Güterumsatz  des 
Triester  Hafens  vom  Jahre  1858  bis  zum 
Jahre  1865  auf  das  Fünffache  erhöhte 
und  in  diesem  Jahre  bis  auf  1,000.000  f 


geführt  werden,  theils  um  die  unmittel- 
bare Verladung  zwischen  Schiff  und 
Bahn  wagen  zu  ermöglichen,  theils  um 
die  unten  aufgestellten  GUterschupfen 
zu  bedienen. 

Durch  diese  vom  Bedürfnisse  erzwun- 
genen provisorischen  Bauten  war  aber  die 
Richtung  gewiesen,  in  welcher  allein 
der  so  dringend  gebotene  Umbau  und 
die  Erweiterung  des  Bahnhofes  erfolgen 
konnte:  er  musste  von  seiner  Höhe  herab 
in  ein  tieferes  Niveau  verlegt  werden. 
Aber  erst  nachdem  das  Project  für  den 
grossen,  auch  gesteigerten  Anforderungen 
entsprechenden  Hafen  mit  drei  Bassins  fest- 
gestellt worden  war,  dessen  Ausführung 
die  Zeit  vom  Jahre  1867  —  1874  in  An- 
spruch nahm,  konnte  der  Umbau  des 
Bahnhofes  selbst  im  Jahre  1872  nach 
dem  Projecte  von  W.  Flattichin  Angriff 


genommen  werden.  Die  Quarantaine 
I  ■  hatte  inzwischen  den  Platz  geräumt 

!*  und    so    konnte     der     Bahnhof    in 

i  Strassenhöhe   sich  in  der  Richtung 

gegen  Wien  und  gegen  den  Hafen 
I  erweitern.*)  [Abb.  207,]  Gegen  das 

-  Meer    zu    wurden    drei    Magazine 

j  mit  ausreichenden  Geleisen,   gegen 

!  Triest  ein  gesonderter   Rohproduc- 

I  ten- Bahnhof    mit    Strassenlade-Ge- 

I  leisen  angelegt.  Hierauf  erst  konnte 

der  neue  Personenbahnhof,  ein 
Kopfgebäude  mit  anschliessenden 
Längs gebäuden,  ausgelährt  werden. 
Eine  neue  grosse,  halbrunde  Loco- 
motivremise  und  eine  kleine  Werk- 
stätte wurden  derart  situirt,  dass 
der  Grundcomplex  abgerundet,  die 
Mi ramare- Strasse  in  schönem  Zuge 
unmittelbar  neben  dem  Aufnahms- 
Gebäude  über  die  alte  Bahnhofs- 
fläche geführt  werden  konnte, 
während  von  der  bestandenen  Heiz- 
haus- und  Werkstätten  an  läge  nur 
das  langgestreckte  Hauptgebäude 
nunmehr  jenseits  der  Strasse  verblieb 
und  zu  einem  Wohngebäude  um- 
gestaltet wurde. 

An  den  alten  hochgelegenen 
\  Bahnhof  erinnerte  nichts  mehr,  als 
die  zwei  grossen  Magazine,  die  in 
ihrer  Höhenlage  belassen  und  mittels 
steil  ansteigender  Geleise  zugänglich 
gemacht  wurden.  An  ihren  Enden 
wurden  sie  durch  einen  Silo  als 
Querbau  verbunden.  Es  war  dies  in 
Oesterreich  der  erste  jener  gross- 
artigen Elevatoren,  die  zur  Aufspei- 
cherung des  mit  der  Bahn  zuge- 
fllhrten  und  mittels  Schiffen  zuexpor- 
tirenden  Getreides  dienten.  Das  Ge- 
treide gelangte  hier  aus  den  Bahn- 
wagen  in  lief  gelegene  Trichter, 
aus  denen  es  mittels  der  von  Dampf- 
maschinen betriebenen  Patemoster- 
werke  gehoben  und  mittels  Trans- 
portbändern und  Transportschnecken 
in  die  474,  an  13  m  hohen  quadra- 
tischen Kästen  [Silos]  vertheilt 
wurde,  welche  sich  unmittelbar  ins 
Schiff  entleerten.     Da  jeder  Kasten 

•)  L'eber  den  Hafen  und  seine  der 
jüngsten  Zeit  angehörigen  Magazins- 
bauten  siehe  S.  364. 


looo  Meter-Centner  Getreide  fasste,  so 
war  der  Elevator  zur  Aufnahme  von  nahe- 
zu einer  halben  Million  Centner  geeignet. 
Leider  hat  die  vollständige  Unterbindung 
des  seinerzeit  so  lebhaften  Getreideexportes 
den  Elevator  seit  einer  Reihe  von  Jahren 
seiner  Bestimmung  entzogen.  [Abb.  208 
zeigt  noch  den  erst  im  Jahre  1880  abge- 
tragen en  Vi  ad  u  et,  während  die  Erweiterung 
des  Bahnhofes  und  des  Hafens  bereits 
durchgeführt  ist.] 

Auch  für  den  beengten  Bahnhof  der 
Staatseisenbahn-Gesellschaft  in 
Prag  war  endlich  die  befreiende  Stunde 
gekommen.  Die  Stadtmauern,  welche  den 
Bahnhof  seit  seiner  ersten  Anlage  [vgl. 
Abb.  187]  in  der  Mitte  durchschnitten  und 
die  Verkehrs  anlagen  auf  einen  Raum  von 
230  m  Länge  und  140  m  Breite  ein- 
schränkten, bildeten  ein  unübersteigbares 
Hindernis  für  seine  planmässige  Erweite- 
rung. Zwar  wurde  noch  im  Laufe  der 
Sechziger-Jahre  vor  den  Thoren  ein  Theil 
des  Güterbahnhofes  untergebracht,  die 
Werk  Stätte  bedeutend  vergrössert,  im 
benachbarten  Bubna  der  Güter-  und  Zug- 
förderungsbahnhof zur  Entlastung  der 
Prager  Anlage  erweitert.  Aber  erst 
nachdem  im  Jahre  1871  die  Bastei  ge- 
fallen war,  konnte  der  Bahnhof  unter 
De  Serres  jene  Ausgestaltung  erhalten 
[Abb.  209],  die  er  noch  heute  fast  unver- 
ändert zeigt.  Die  beiden  Hauptlinien  von 
Wien  und  Bodenbach  sind  durch  einen 
Bogen  derart  verbunden,  dass  Transito- 
züge  ohne  Berührung  des  Bahnhofes  durch- 
gehen können,  die  Einfahrtshauptgeleise 
der  beiden  Linien  sowie  die  Ausfahrls- 
geleise  sind  neben  einander  geführt  und 
einerseits  an  einen  Längs-,  andererseits 
an  den  Zwischenperron  gelegt.  Durch 
den  letzteren  wurden  die  Erschwernisse, 
die  sich  aus  der  Benützung  dieses  Kopf- 
bahnhofes für  durchgehende  Züge  er- 
geben, gemildert  und  seine  Leistungs- 
fähigkeit erhöht.  Der  Güterbahnhof  er- 
scheint durch  ausgedehnte  Magazine  und 
Geleise  und  durch  einen  tiefgelegenen 
Kohlenbahnhof  erweitert,  dessen  Zu- 
führungsgeleise unter  den  Hauptgeleisen 
geführt  sind.  Aber  durch  den  ersten, 
grundlegenden  Fehler  in  der  Anlage  dieses 
Bahnhofes  als  Kopfstation  und  durch  die 
rasch    fortgeschrittene  Verbauung  waren 


Ernst  R eitler. 


auch  seiner  Erweiterung  Grenzen  gezogen, 
die  eine  freiere  Anordnung  und  die 
räumliche  Ausdehnung  nachtheilig  be- 
einflussten. 

Unter  den  grossen  Bahnhöfen  der  in 
dieser  Periode  neu  erbauten  Linien,  bei 
welchen  die  Disposition  frei  war  von 
jener  einschränkenden  Rücksicht  auf  das 
Bestehende,  die  bei  der  Umgestaltung 
und  Erweiterung  eines  alten  Bahnhofes 
immer  mehr  oder  weniger  ins  Spiel  tritt, 
ist  der  unter  Hell  wag  erbaute  Nord- 
westbahnhof   in    Wien     besonders 


Wenn  auch  die  hervorragenden  Lei- 
stungen im  Bau  der  grossen,  planmässig 
angelegten  Endbahnhöfe  den  in  Rede 
stehenden  Abschnitt  der  Geschichte  der 
Stationsanlagen  das  Gepräge  geben,  so 
hielt  doch  auch  die  Thätigkeit  in  dem 
Bau  und  der  Erweiterung  der  Zwischen- 
und  Theilungsstationen  bezüglich  der 
Vermehrung  der  Geleise,  der  Lademittel 
und  Heizhäuser  mit  dem  mächtigen 
Verkehrsaufschwung  gleichen  Schritt. 
Vom  Jahre  1868  bis  1873  hatte  sich 
die  Betriebs  länge  der  Nordbahn  und  der 


beachtenswerth.  Das  durch  seine  über- 
sichtliche Gliederung  und  seine  reiche  Di- 
mensionirung  ausgezeichnete  Project  kam 
bis  heute  nur  theilweise  zur  Ausführung. 
Da  die  Verhandlungen  über  die  Ein- 
bindung des  Personenbahnhofes  in  die  ge- 
plante Fortsetzung  der  Wiener  Verbin- 
dungsbahn nicht  zu  einem  Erfolge  führten, 
so  wurde  dieser  als  Kopfstation  angelegt. 
Magazins-  und  Geleiseanlagen  sind  in  drei 
Gruppen  getheilt,  von  denen  zwei  dem 
Stückgüter-  und  eine  dem  Rohproducten- 
Verkehr  dienen.  Die  beiden,  durch  den  gan- 
zen Bahnhof  geradlinig  geführten  Haupl- 
geleise,  die  Einfahrtsge leise  der  genannten 
drei  Gruppen  des  Lastenbahnhofes,  femer 
des  Kohlen-  und  des  Maschinenbahnhofes 
vereinigen  sich  an  der  Wurzel  der  ganzen 
Anlage  in  einem  Signalbahnhof,  der  von 
einem  hohen  Signalthurm  beherrscht  wird. 


Staats  eisen  bahn -Gesellschaft  von  iHookm 
auf  circa  2200  km,  also  um   ao^  erhöht, 

die  Nebengeleise  hatten  dagegen  um  6o''/o 

bis    auf    etwa     1000    km     zugenommen, 

während  zugleich  das  Doppelgeleise  von 

400  km    auf  700  km    vermehrt    worden 

war.       Die    Nordbahn    allein     investirte 

'  in    dieser   Zeit    ein    Capital    von    etwa 

I   15,000.000  fl.,     um     ihre    Stationen   auf 

I  der  Höhe  der  Verkehrs- Anforderungen  zu 

erhalten. 

Die  zahlreichen,  an  den  Grenzen  er- 
öffneten Bahnanschlüsse    bedurften    einer 
I  besonderen  Ausbildung  der  Durchgangs- 
I  Station    für  die  Aufgaben    des    Grenz- 
I  Verkehrs.      Im    Bahnhofe  Tet sehen 
der  Nordwestbahn    wurde  diesen  Forde- 
rungen    auf    Beschleunigung    der    ZoU- 
.   manipuiation    und     des     ZugUherganges 
I  unter  m()glichster  Ausnützung  des  Raumes 


durch  eine  glückliche  Lfisung  entsprochen. 
[Abb.  210  und  311.]  Der  ganze  Bahn- 
hof bildet  ein  flaches,  gleich  schenkeliges 
Dreieck,  dessen  langgedehnte  Basis  die 
zwei  Gruppen  der  bis  900  m  langen 
Uebergabsgeleise  bilden,  zwischen  welchen 
die  Transite  Zollmagazine  liegen.  Der  eine 
der  zwei  kürzeren  Schenkel  dient  dem 
OrtsgUterdienst,  der  andere  dem  Personen- 
verkehr. Der  Bahnhof  der  Böhmischen 
Nordbahn  ist  hier  an  jenen  der  Nord- 
westbahn derart  angeschlossen,  dass  eine 
gemeinsame  Zufahrtsstrasse  die  beider- 
seitigen Magazine,  wie  die  beiderseitigen 
Aufnahmsgebäude  bedient,  welch  letztere, 
in  ungleicher  Höhe  gelegen,  durch  einen 
verglasten  Gang  mit  einander  in  Ver- 
bindung stehen. 


durch  die  ganze  Station  bis  über  die 
Endweiche  hinausgeführt  und  in  das  Ne- 
bengeleise  erst  zurUck gedrückt  werden 
mussten.  Auf  eingeleisigen  Strecken, 
wo  die  Spitzweichen  nicht  gänzlich  um- 
gangen werden  konnten,  wurde  im  Inter- 
esse einer  geregelten  Zugseinfahrt  jede 
Zwischen  Station  [vgl.  Abb.  213]  zwei- 
geleisig angelegt,  so  dass  die  haltenden 
und  sich  bewegenden  Züge  immer  die 
linke  Fahrtrichtung  einhielten;  und  indem 
diese  Geleise  hiebei  gegeneinander  ver- 
setzt wurden,  war  das  Befahren  der 
Spitz  weiche  im  Bogen  vermieden  und 
so  wenigstens  die  Einfahrt  in  der  Ge- 
raden bewirkt. 

Aber  die  beiden  genannten  Massregeln, 
die  im  Jahrei  876  durch  ministerielleVerord- 


In  den  mittleren  und  kleinen 
Zwischenstationen  wurde  in 
dieser  Periode  der  beginnenden  Be- 
schleunigung der  Fahrten  die  Siche- 
rung des  Zugsverkehrs  insbesondere  in 
Hinsicht  auf  die  durchgehenden  Schnell- 
züge für  die  Geleiseanlage  bestimmend. 
Bereits  in  den  früheren  Jahren  war 
das  Bestreben  aufgetreten,  die  gegen 
die  Spitze  befahrenen  Wechsel  im  Zuge 
der  Hauptgeleise  möghchst  zu  vermei- 
den. Nunmehr  wurde  aber  diese  For- 
derung systematisch  festgehalten  und  in 
Stationen  doppelge  leisiger  Linien, 
wie  St.  Peter-Seitenstetten  fvgl.  Abb.  212] 
oder  in  dem  älteren  Cilli  [Abb.  194b) 
jede  Spitzweiche  grundsätzlich 
vermieden.  Dadurch  war  die  unmittel- 
bare Einfahrt  der  Züge  in  ein  Neben- 
geleise unmöglich  gemacht,    so  dass  sie 


nungen  verbindliche  Kraft  erhalten  hatten, 
bildeten  doch  nur  eine  vorübergehende 
Episode  in  der  Geschichte  des  Stations- 
baues. Denn  einerseits  erwies  sich  der 
Vorlheil  für  die  Sicherheit  des  Betriebes, 
der  mit  dem  beschwerlichen  Zurück- 
schieben der  Züge  aus  der  freien  Strecke 
in  das  Nebengeleise  erkauft  werden 
sollte,  als  ein  sehr  fraghcher  und  der 
Weichenbogen,  den  nun  alle  Schnellzüge 
der  eingeleisigen  Bahn  durchfahren 
mussten,  als  sehr  belästigend  —  anderer- 
seits wurden  diese  Massnahmen  durch 
die  Verbesserung  der  Wei ebene onstruc- 
tionen  und  durch  die  gesicherte  Central- 
stellung  der  Weichen  bald  überboten. 
Wenn  man  daher  auch  noch  heute  die 
Zahl  der  Spitzweichen  in  den  Haupt- 
geleisen möglichst  einschränkt,  so  unter- 
lässt     man     es    doch    nicht,     die,     oft 


mehr  als  700  m  langen  Nebengeleise, 
an  beiden  Enden  ins  Hauptgeleise  ein- 
zubinden. Um  dabei  in  Zwischen- 
stationen doppel  gel  eisiger  Bahnen  die 
Kreuzung  eines  Hauptgeleises  zu  ver- 
meiden, werden  die  Nebengeleise  zu  bei- 
den   Seiten    der    Hauptgeleise    vertheiJt. 


[Vgl.  Abb.  214.]  In  Zwischenstationen 
ein  geleisiger  Bahnen  wird  das  Haupt- 
geleise wieder  wie  vor  Jahren  an  bei- 
den Stationsenden  geradlinig  geftlhrt. 
Die  Gebäude  werden  in  beiden  Fällen 
mit  Rücksicht  auf  fallweise  Erweiterungen 
möglichst  auf  einer  Seite  vereinigt. 


STATION  ST.  PETEH-SEITENSTETTEN, 


Bahnhofsanlagen. 


355 


IV.  Der  Stationsbau  der  jüngsten  Zeit. 


Mit  dem  Beginne  der  Achtziger- 
Jahre  erhielt  der  Eisenbahn-Verkehr  von 
Neuem  eine  anfangs  sanft  ansteigende 
Tendenz,  die  aber  bald  unter  der  Einwir- 
kung eines  rasch  erstandenen  und  ausge- 
dehnten Localbahnnetzes,  unter  dem  bele- 
benden Einfluss  tarifarischer  Massnahmen 
und  der  gebesserten  allgemeinen  wirth- 
schaftlichen  Lage,  trotz  der  Ungunst  zoll- 
politischer Verhältnisse,  in  steiler  Linie 
zu  einer  Höhe  hinaufführte,  die  alles 
Frühere  weit  hinter  sich  Hess.  Welch  un- 
gleich grössere  Leistung  war  den  Stationen 
vom  Jahre  1895  gegenüber  jenen  vom 
Jahre  1873  zugefallen,  wenn  auf  den 
Bahnen  der  Monarchie  statt  der  dama- 
ligen 44  Millionen  Passagiere,  nunmehr 
146  Millionen,  statt  der  34  Millionen 
Tonnen  107  zum  Transport  gelangten, 
statt  der  53  Millionen  Zugskilometer 
deren  164  aufgewiesen  wurden!  War 
auch  in  dieser  Zeit  das  Bahnnetz  um 
80%  gewachsen,  so  fiel  doch  bei  dem 
Umstand,  als  der  Zuwachs  meist  Local- 
bahnen  und  Bahnen  zweiter  Ordnung 
betraf,  der  grösste  Antheil  der  Mehr- 
leistung bei  diesem  auf  das  Dreifache 
gestiegenen  Verkehre  den  bestandenen 
Hauptlinien  zu.  So  zeigte  die  Südbahn 
bei  fast  unveränderter  Betriebslänge  eine 
Zunahme  des  Personenverkehrs  von 
9*2  auf  19  Millionen  Passagiere,  des 
Güterverkehrs  von  4*2  auf  8*7  Millionen 
Tonnen;  die  Nordbahn,  deren  Haupt- 
bahnnetz durch  den  Bau  minderwerthiger 
Linien  um  ein  Viertel  der  Länge  ver- 
mehrt worden  war,  ein  Anwachsen 
von  3*3  Millionen  Passagiere  auf  10, 
und  von  4  auf  1 1  Millionen  Tonnen 
Fracht.  Die  belebtesten  Bahnhöfe  er- 
reichten dabei  eine  tägliche  Wagenbewe- 
gung von  mehr  als  9000  Wagen  und 
eine  Frequenz  von  mehreren  Hundert 
Zügen. 

Der  grosse  Apparat,  der  für  die 
Bewältigung  eines  so  mächtigen  Ver- 
kehrs in  Bewegung  gesetzt  werden 
musste  und  der  desto  rascher  functioni- 
ren  sollte,  je  mehr  er  an  Umfang  ge- 
wann, musste  naturgemäss  ungleich 
zahlreichere    und    bedeutsamere    Gefahr- 


quellen hervortreten  lassen,  denen  zu 
begegnen  war,  und  musste  ein  desto 
sichereres  Ineinandergreifen  alier  Theile 
erfordern,  als  jede  Stockung  in  diesem 
Getriebe  weit  zurückwirkte  und  sich  in 
dem  grossen  Haushalt  der  Bahnen  un- 
gleich empfindlicher  fühlbar  machte. 

Das  Streben  nach  weitestgehender  Si- 
cherheit und  nach  möglichster  Oecono- 
m  i  e  ist  es  daher,  das  dem  Stationsbau  der 
jüngsten  Zeit  die  Signatur  verleiht  und 
das  namentlich  zu  jenen  grossen  modernen 
Knotenpunkts- Bahnhöfen  führt,  die  den 
Höhepunkt  unserer  Bahnhofstechnik  be- 
zeichnen. 

In  den  Einrichtungen  für  die  centrale 
Weichen-  und  Signalstellung 
war  dem  Eisenbahn-Betrieb  ein  neues, 
wirksames  Mittel  an  die  Hand  gegeben, 
ohne  welches  es  kaum  möglich  gewesen 
wäre,  die  Ein-  und  Ausfahrt  der  ZiXgt 
bei  deren  rascher  Folge  in  noch  halb- 
wegs übersichtlichen  Stationen  mit  Ver- 
lässlichkeit  zu  sichern.  Von  der  Mitte  der 
Siebziger-Jahre  an  hatten  diese  Einrich- 
tungen in  schrittweiser  Vervollkommnung 
den  Aufstieg  des  Verkehrs  begleitet. 
Durch  die  Zusammenziehung  der  Stell- 
vorrichtung mehrerer  Weichen  in  einen 
Centralapparat  war  zunächst  der  Vor- 
theil  gewonnen  worden,  das  Umstellen 
der  Weichen  der  Möglichkeit  eines  Miss- 
griffes seitens  des  unter  gefährlichen 
Geleise-Ueberschreitungen  hin-  und  her- 
eilenden Weichenwärters  zu  entziehen. 
Den  gefahrbringenden  Irrthümern  des 
Centralwärters  selbst  wurde  später  durch 
die  im  Apparate  hergestellte  Abhängig- 
keit zwischen  Weichen  und  Signalen 
vorgebeugt,  indem  die  Signalisirung  der 
erlaubten  Einfahrt  erst  nach  der  »Verrie- 
gelung« der  Weichenstrasse  erfolgen 
kann,  die  selbst  an  die  richtige  Stellung 
aller  zugehörigen  Weichen  gebunden  ist 
Da  endlich  die  immer  raschere  Folge 
der  ZVige  noch  die  Gefahr  einer  vor- 
zeitigen Umstellung  der  W^eichen  sei- 
tens des  Centralwärters  unter  dem 
darüber  befindlichen  Zucr  aufkommen 
liess,  so  wurde  ihm  durch  die  Ein- 
führung des   »Fahrstrassen- Verschlusses« 

23* 


356 


Ernst  Reitler. 


die  Möglichkeit  benommen,  die  Entriege- 
lung und  Umstellung  der  Weichen  vor- 
zunehmen, so  lange  nicht  der  Stations- 
beamte von  seinem  Bureau  aus  den 
Fahrstrassen-Verschluss  mittels  des  Block- 
apparates elektrisch  auslöste  oder  so 
lange  nicht  der  Zug  selbst  nach  Passi- 
rung  der  letzten  Weiche  diese  Auslösung 
mittels  eines  automatisch  wirkenden  elek- 
trischen Schienencontactes  bewirkte. 

Aus  dem  Bedürfnis  nach  Sicherung 
der  Zugseinfahrten  in  den  Stationen  her- 
vorgegangen, wirkte  die  Einführung  der 
Stellwerke  selbst  auf  den  Stationsbetrieb 
und  auf  die  Geleiseanlage  zurück,  indem  sie 
ein  um  so  klareres,  der  Einrichtimg  des 
Apparates  entsprechendes  Bild  aller  Zugs- 
bewegungen erforderte.  Jeder  Fahrtrich- 
tung der  Personenztlge  wird  nun  ein  be- 
stimmtes Hauptgeleise  zugewiesen,  das 
—  namentlich  in  Stationen  mit  leb- 
hafterem Verkehr  —  von  allen  Manipu- 
lationen möglichst  unabhängig  gemacht 
wird.  Die  Zahl  der  Weichen  in  diesen 
Hauptgeleisen  —  insbesondere  jene  der 
Spitz  weichen  —  wird  auf  das  noth  wen- 
digste Mass  beschränkt.  Um  die  bis 
dahin  allgemein  üblichen  Verschiebungen 
im  Hauptgeleise  zu  vermeiden,  bei  denen 
ein  Zugstheil  über  die  letzte  Weiche  auf 
die  freie  Strecke  gezogen  und  seine 
Wagen  über  die  Weichenstrasse  in  die 
einzelnen  Geleise  vertheilt  wurden,  wird 
nunmehr  in  Stationen  mit  bedeutenderem 
Rangirdienst  neben  dem  Hauptgeleise  ein 
gesondertes  Auszugsgeleise  angeordnet 
[vgl.  Abb.  217],  in  welchem  die  Rangi- 
rung  ohne  Berührung  des  Hauptgeleises 
erfolgt.  Bei  noch  umfangreicherem  Rangir- 
dienst wird  dieses  Auszugsgeleise  der- 
art an  die  Nebengeleise  angeschlossen 
[vgl.  Beilage  Fig.  2],  dass  auch  die  Einfahrt 
der  Güterzüge  in  die  Nebengeleise  ohne 
Behinderung  der  Verschubarbeit  und 
ohne  Gefährdung  durch  den  verschie- 
benden Zug  vor  sich  geht.  In  gleicher 
Weise  wie  die  Auszugsgeleise  werden 
auch  Ablenkungsweichen  [vgl.  Abb. 
248]  zur  Flankensicherung  der  auf  den 
Hauptgeleisen  verkehrenden  ZügQ  und  zur 
Verhütung  von  Streifungen,  Sandgeleise 
zum  Autfangen  entlaufener  Wagen  und 
dergleichen  angeordnet.  Auch  die  Ver- 
bindung    weiter     auseinander    liegender 


Bahnhoftheile  wird  durch  eigene  Geleise 
ohne  Berührung  der  Hauptgeleise  ver- 
mittelt. Den  Fahrten  der  Locomotive 
ins  Heizhaus,  dem  Zuschub  reparatur- 
bedürftiger Wagen  zu  den  Werkstätten, 
dem  Verkehr  zwischen  den  strenge  getheil- 
ten,  den  verschiedenen  Dienstzweigen 
zugewiesenen  Bahnhofsbezirken  werden 
bestimmte  Geleise  vorbehalten.  Kreuzun- 
gen von  Personenzugs-Hauptgeleisen  im 
Niveau  werden  in  neuen  Stationen  mit 
einigermassen  lebhafterem  Verkehr  ebenso 
auf  der  freien  Strecke  grundsätzlich  ver- 
mieden, jene  mit  Lastzugsgeleisen  mög- 
lichst eingeschränkt.  In  Theilungs-  und 
Kreuzungsstationen  wird  der  Austausch 
der  Passagiere  zwischen  den  einzelnen 
Bahnlinien  ohne  Ueberschreitung  der 
Geleise  ermöglicht,  bei  dem  immer  wach- 
senden Verkehre  endlich  durch  die  Ver- 
legung jedes  Hauptgeleises  an  einen  ge- 
sonderten Perron  und  durch  schienenfreie 
Verbindung  der  Perrons  untereinander 
jedwede  Geleiseüberschreitung  seitens  des 
Publicums  ausgeschlossen. 

Alle  diese  Mittel  für  die  erhöhte 
Sicherheit  des  Verkehrs  waren  zugleich 
die  geeignetsten,  den  ganzen  Betrieb  zu 
beschleunigen.  Sie  allein  wären  aber 
nicht  im  Stande  gewesen,  den  gewaltigen 
Kreislauf  der  Wagen  stets  in  dem  ge- 
botenen Fluss  zu  erhalten,  wenn  er  nicht 
in  den  Districten  des  dichtesten  Verkehrs 
durch  die  Anlage  selbständiger  und 
leistungsfähiger  Rangirbahnhöfe, 
femer  durch  den  weiteren  Ausbau  der 
Güterbahnhöfe,  namentlich  hinsichtlich 
der  Lagerräume  und  Lagerhäuser 
die  kräftigste  Förderung   erhalten    hätte. 

In  den  wichtigeren  Kreuzungs-  und 
Anschlussstationen,  wo  die  Güterzüge  aus 
mehreren  Richtungen  zusammentreffen, 
dort  aufgelöst  und  zu  neuen  Zügen  zu- 
sammengestellt werden  müssen,  hatte 
das  Rangirgeschäft  einen  Umfang  ange- 
nommen, dem  gegenüber  sich  die  Er- 
weiterung der  alten  Bahnhöfe  durch  den 
steten  Anschluss  neuer  Geleisegruppen 
als  unzulänglich  erwies.  Die  hieraus  sich 
ergebende  Ueberfüllung  der  Stationen 
musste  kostspielige  Stockungen  im  ganzen 
Zugsverkehr  hervorrufen,  die  sich  bei 
lebhafterem  Verkehre  umso  störender 
fühlbar  machten.  Zu  Ende  der  Siebziger- 


Bahnhofsanlagen. 


357 


Jahre  war  ein  österreichischer  Bahnwagen 
insgesammt  nur  etwa  33  Tage  im  Jahre  auf 
der  Strecke  in  Bewegung,  die  andere  Zeit 
über  war  er  durch  die  Lademanipulationen, 
Uebergabe  und  Uebemahme  von  Wagen, 
durch  die  Zollbehandlung  u.  s.  w.,  insbe- 
sondere aber  durch  die  langwierigen  V  e  r- 
schubarbeiten  in  den  Stationen  fest- 
gehalten. War  es  daher  schon  mit  Rück- 
sicht auf  die  bessere  Ausnützung  der 
Wagen  ein  dringendes  Gebot  der  Wirth- 
schaftlichkeit  durch  zweckmässig  ange- 
legte, von  den  Güterbahnhöfen  losgelöste 
Rangiranlagen  die  Verschubarbeiten  zu 
beschleunigen,  so  drängten  auch  die 
hohen,  nicht  zu  unterschätzenden  Kosten 
der  Rangirarbeit  selbst  zu  solchen  Mass- 
nahmen. Erforderte  doch  die  Ran- 
girung  der  ZiXge  auf  den  Bahnen  der 
Monarchie  im  Jahre  1878  schon  einen 
Aufwand  von  5,000.000  fl.,  der  bis 
zum  Jahre  1895  auf  8,500.000  an- 
wuchs; und  betragen  doch  allein  die 
Wege,  welche  die  Maschinen  bei  dieser 
scheinbaren  Sysiphusarbeit  in  den  Sta- 
tionen zurücklegen,  ein  Viertel  bis  ein 
Drittel  der  von  den  Zugsmaschinen  für 
den  eigentlichen  Transport  geleisteten 
Nutzkilometer ! 

Im  Jahre  1870  hatte  sich  die  Nordbahn 
bereits  genöthigt  gesehen,  neben  dem 
Kohlenbahnhof  in  Mähr.-Ostrau  einen 
selbständigen  Rangirbahnhof  zu  errichten, 
in  welchem  die  von  den  Gruben  kommen- 
den Wagen  verschiedenster  Bestimmung 
nach  Richtungen  und  Stationen  zu  Zügen 
formirt  wurden.  Auf  diesem  Bahnhof 
wurden,  wie  in  einzelnen  ähnlichen 
Anlagen  kleineren  Umfanges,  die  Wagen 
von  der  sich  hin-  und  herbewegen- 
den Locomotive  in  die  einzelnen  hori- 
zontal liegenden  Vertheilungsgeleise  ein- 
geschoben. Wenige  Jahre  später  wurde 
durch  die  Einführung  der  in  Sachsen  und 
England  mit  grossem  Erfolge  verwendeten 
Ablaufgeleise  eine  wesentliche  Ver- 
besserung in  diese  Anlagen  hineinge- 
tragen. Indem  auf  diesen  Verschubbahn- 
höfen  das  Auszugsgeleise,  auf  welches 
die  umzurangirende  Wagenpartie  zu 
stehen  kommt,  ein  starkes  Gefälle  erhielt, 
rollten  die  einzelnen  Wagen  und  Wagen- 
gruppen nach  Lösung  der  Kuppelung 
von  selbst,  infolge  der  Schwere  in  jenes 


Geleise  ab,  für  welches  die  Weichen  ge- 
stellt worden  waren.  Der  Umstand,  dass 
sich  bei  solchen  Ablaufgeleisen  die  Thätig- 
keit  der  Maschine  höchstens  auf  das  ruck- 
weise Vorwärtsschieben  des  Zuges  um 
einige  Wagenlängen  beschränken  konnte, 
dass  also  das  Zeit  und  Kraft  raubende 
Hin-  und  Herbewegen  der  Wagen  ent- 
fiel, dass  die  Fahrzeuge  mit  bedeutenderer 
Geschwindigkeit,  also  ungleich  rascher  in 
die  Geleise  abrollten,  wobei  die  rechtzeitige 
und  gefahrlose  Umstellung  der  Weichen 
von  dem  Centralweichenthurm  aus  besorgt 
wurde,  musste  für  die  Leistungsfähigkeit 
solcher  Bahnhöfe  und  für  die  Oeconomie 
ihres  Betriebes  von  grösster  Bedeutung 
werden.  In  der  That  ergaben  eingehende 
Erhebungen,  dass  mit  diesem  Rangir- 
verfahren  im  Vergleiche  zu  jenem  auf 
horizontalen  Geleisen  die  zu  leistende 
Arbeit  in  der  kürzesten  Zeit,  auf  kleinstem 
Raum,  auf  billigste  Weise  und  mit  der 
geringsten  Gefahr  für  Menschen  und 
Material  bewerkstelligt  werden  konnte 
und  die  seitherigen  Erfahrungen  haben 
diese  Vorzüge  immer  aufs  Neue  bestätigt. 
Die  Aussig-Teplitzer  Bahn 
ging  damit  voran,  sich  diese  Vortheile 
zu  Nutze  zu  machen,  indem  v.  Emperger 
im  Jahre  1876  in  Aussig  [Abb.  215]  den 
ersten  Abrollbahnhof  Oesterreichs  erbaute. 
Dem  dortigen  Bahnhof  fällt  —  vom  Per- 
sonenverkehr abgesehen  —  die  Aufgabe 
zu,  die  vornehmlich  aus  dem  böhmischen 
Braunkohlenrevier  kommenden  Wagen 
nach  den  einzelnen  Verwendungsstellen 
des  ausgedehnten  Elbeumschlages  und 
des  Locodienstes  in  Aussig  selbst,  ferner 
nach  den  Stationen  der  anschliessenden 
Staats-  und  Nordwestbahn  zu  ordnen. 
Zu  diesem  Zweck  werden  die  einfahren- 
den ZiXge  aus  den  rechts  der  Hauptgeleise 
liegenden  Geleisegruppen  auf  die  Ablauf- 
geleise I,  II  und  III  überstellt,  von  wo 
sie  gleichzeitig  in  die  Vertheilungsgeleise 
abrollen.  Im  Jahre  1876  kam  blos  die 
Rangirgruppe  I  zur  Ausführung,  die  beiden 
anderen,  entsprechend  dem  gestiegenen 
Bedürfnis,  erst  im  Jahre  1882,  nachdem 
durch  die  Regulirung  der  Biela  für  sie 
das  Terrain  geschaffen  worden  war.  Die 
auf  die  Aussig-Teplitzer  Bahn  zurück- 
kehrenden leeren  Kohlen-  und  sonstige 
Güterwagen  werden  in  einer  gesonderten 


358 


Gekisegruppe  gesammelt  und  zu  Zügen 
zusammengestellt. 

Das  wesentliche  Zugehör  aller  Ran- 
girbahnhöfe,  der  Umladepeiron  eine 
zwischen  zwei  Geleisen  situirte  schmale 
Bühne,  auf  welcher  die  Wagen  behufs 
Vervollständigung  der  Ladung  oder 
behufs  Ausscheidung  beschädigter  Fahr- 
zeuge umgeladen  werden,  ist  auch  hier 
entsprechend  beigefügt. 

Ein  mächtiger  Verkehr  wird  auf  dem 
Aussiger  Bahnhof,  auf  verhältnismässig 
beschränktem  Raum,  in  Ordnung  und 
Sicherheit  abgewickelt.  Die  Zahl  der  inner- 
halb eines  Tages  den  Bahnhof  berühren- 
den Züge  steigt  bis  250,  die  Wagen- 
bewegung, d.  i.  die  Summe  der  in  der 
Station  ein-  und  austretenden  Wagen  bis 
zu  9300  und  die  Zahl  der  abgeroJlten 
Wagen  bis  2400. 

Auf  der  Kaiser  Ferdinands -Xordbahn 
kam  eine  Abrollanlage  im  Jahre  1880  unter 
R.  V.  S  t  o  c  k  e  r  t  in  der  Station  Mä  h  r.  - 
Ostrau-Montanbahn  noch  vereinzelt 
zur  Ausführung,  bis  Ast  gelegentlich  der 
grossen  Ergänzungsbauten  der  Nordbahn 
im  Jahre  1889  diese  rationelle  Rangir- 
methode  in  grösserem  Umfang  bei  den 
Bahnhöfen  Prerau,  Mähr.-Ostrau 
und  Floridsdorf  verwerthete. 

Der  Verschubbahnhof  Prerau  [vgl. 
Beilage  Fig.  2]  ist  typisch  für  eine  Reihe 
ähnlicher  Anlagen.  Neben  den  Hauptge- 
leisen —  von  diesen  durch  ein  Geleise  ftlr 
Maschinen  fahrten  getrennt  —  dehnt  sich 
der  lange  Zugsbahnhof,  der  zur  Aufnahme 
der  einfahrenden  und  zur  Formirung  der 
abgehenden  Züge  dient;  an  diesen  schlies- 
sen  sich  die  Vertheilungsgeleise  —  hier 
in  zwei  Gruppen  —  an,  in  welche  die 
Wagen  aus  den  beiden  zugehörigen  Ab- 
laufgeleisen abrollen. 

Auf  den  Linien  der  k.  k.  Staats- 
bahnen finden  wir  bereits  um  die  Mitte 
der  Achtziger-Jahre  die  unter  Bischoff 
V.  Klammstein  erbauten  Abrollbahn- 
höfe B  r  i  g  i  1 1  en  au  bei  Wien  und  N  u  s  1  e- 
V  r5o  vice  bei  Prag.  Unter  Stanß  wurde 
in  jüngster  Zeit  der  Bau  einer  ganzen 
Reihe  grosser  Abroll bahnhöfe  in  Angriff 
genommen,  von  denen  jener  in  Pilsen 
[vgl.  Beilage  Fig.  4]  bereits  in  Be- 
trieb gesetzt  wurde.  In  diesem  Bahn- 
hof, dem  Kreuzungspunkt   dreier  Linien, 


Beüage  resp.  Tafel  i 


»  Bahnhofsanlagen  * . 

BAHNHOF  PILSEN. 

PERSONEN-  UND  GÜTER-BAHNHOF. 

(NACH  DEM  UMBAU.) 


!i  Ib 


BAHNHOF  PILSEN  1895.    [vor  dem  umbau.) 

2--     -'-        '^ 


BAHNHOF  PRERi 


Bahnhofsanlagen. 


tretftin  Züge  aus  sechs  Fahrtrichtungen  zu- 
sammen. Indem  sich  hier  der  Zugsbahn- 
hof, der  die  einfahrenden  Güterzüge 
aufnimmt,  oberhalb  der  beiden  Ablauf- 
geleise befindet,  künnen  die  eingelangten 
Züge  unmittelbar  in  eines  derselben 
Überstellt  werden,  ohne  die  Abrollarbeit 
des  anderen  zu  behindern,  so  dass  bei  1 
dieser  Anordnung  hintereinander 
liegender  Geleisegruppen  auch  jene  Zeit  ' 
für  die  Verschub arbeit  nutzbar  gemacht 
ist,    welche  bei    nebeneinander    lie- 


Staatsbahnen  den  Rangirbahnhof  in 
Brigittenau  und  in  Penzing,  der  Wiener 
Nordbahnhof  jenen  in  Floridsdorf,  die 
Prager  Bahnhöfe  jene  in  Nusle-VrSovice, 
in  Bubna  und  in   Lieben  u.  a.  m. 

Durch  die  seit  den  Achtziger -Jahren 
eingeführte  elektrische  Beleuchtung,  die 
heute  fast  in  allen  grösseren  Bahnhöfen 
anzutreffän  ist,  wurde  die  Laschheit  und 
Sicherheit  aller  Manipulationen,  die 
Leistungsfähigkeit  der  Anlagen  noch 
weiter  erhöht. 


Abb.  ite.    Einfahrt-  nnil  VcrlhcllDnesgclclt 

genden  Gruppen,    wie  in  den  zuvor  an-   | 
geführten  Bahnhöfen,  zum  Einschieben  der 
Züge  ins  Ablaufgeleise  erforderlich  wird. 

Die  Loslösung  des  Rangirdienstes 
vom  tlüterbahnhof  drängte  sich  vor 
Allem  in  den  Theilungs-  und  Kreuzungs- 
stationen auf,  in  denen  der  Ortsverkehr 
im  Verhältnisse  zu  dem  mächtigen 
Durchgangsverkehr  nur  von  untergeord- 
neter Bedeutung  war.  Aber  auch  die 
grossen  Endbahnhöfe,  die  mit  ausgedehn- 
ten Geleiseanlagen  für  den  lebhaften 
Ortsgüterdienst  versehen  waren,  mussten 
bei  den  steigenden  Forderungen  durch 
Vorbahnhöfe,  die  vornehmlich  Rangir- 
zwecken  dienen,  entlastet  werden. 

So  erhielt  in  den  letzten  Jahren  fast 
jeder  grosse  Bahnhof  seinen  Vorbahnhof: 
die    beiden  Wiener  Bahnhöfe    der   k,  k. 


Mit  dem  Bau  gesonderter  Rangir- 
bahnböfe,  insbesondere  mit  Ablaufge- 
leisen,  war  also  ein  neuer,  erfolgreicher 
Weg  betreten,  um  jene  unausweichlichen 
Hemmungen  möglichst  einzuschränken, 
welchen  die  Bewegung  der  gewaltigen 
Wagenmassen  durch  die  Auflösung  und 
Zusammenstellung  der  Züge  unterworfen 
ist.  Durch  die  Vergrösserung  der 
Zwischenstationen,  durch  die  Herstellung 
von  Ueberholungsgeleisen,  nament- 
lich aber  durch  die  wesentliche  Ver- 
mehrung der  Ausweichstellen  auf 
eingeleisigen  Strecken,  wurde  in  gleichem 
Sinne  auf  die  Verdichtung  der  Zugsfolge 
überhaupt  und  auf  die  Minderung  Jener 
Erschwernisse  hingearbeitet,  welche  die 
immer  zahlreicheren  Personenzüge  für 
die  ungehinderte    Folge    der    Güterzüge 


36o 


:hr 


luf 

et, 


361 


ZU  jener  periodischen  Wagennoth  Anlass 
geben,  die  von  den  Eisenbahnen  wie  vom 
Publicum  gleich  drückend  empfunden  wird. 

Der  Wiener  Nordbahnhof,  dessen 
Wagenumsatz  durch  den  Bau  des  Ran- 
girbahnhofes  in  Floridsdorf  wesentlich 
beschleunigt  worden  war,  erhielt  in 
jüngster  Zeit  einen  weiteren  Kohlenbof 
angegliedert,  durch  den  sein  Fassun^sge- 
halt  auf  I  \  Millionen  Meler-Centner  Kohle 
und  auf  1500  Wagenladungen  Holz  er- 
höht wurde.  Die  weiten  Dimensionen, 
zu  denen  dieser  Bahnhof  damit  an- 
gewachsen war,  rechtfertigt  der  Verkehr, 
der  sich  innerhalb  seiner  Grenzen  ab- 
spielt. An  lebhaften  Tagen  werden 
hier  über  10.000  t  Güter  umgesetzt, 
worunter  die  Kohle  allein  bis  zu  7000  / 
ausmacht.  Eine  Wagenburg  von  über 
3000  Fuhrwerken  wird  täglich  mobili.sirt, 
um  die  abgehenden  Waaren  zuzustreifen 
und  die  angekommenen  von  den  weit- 
gedehnten Lagerplätzen  und  den  Maga- 
zinen der  Bahn  ihrer  Verwendung  zu- 
zuführen. 

Der  im  Zuge  befindliche  Neubau 
des  Güterbahnhofes  Brunn  bot  Gelegen- 
heit, die  besten  Erfahrungen  für  eine 
ungehinderte  und  billige  Gtltermani- 
pulation  in  weitestem  Umfange  zu  ver- 
werthen. 


Der  Nordbahnhof  in  Brunn 
war  bis  in  die  jüngste  Zeit  nur  un- 
wesentlich über  das  Territorium  hinaus- 
gewachsen, welches  ihm  nach  seiner  Er- 
öffnung und  nach  Durchführung  der 
Linie  nach  Prag  im  Jahre  1849  zu- 
gemessen worden  war.  Und  wenn  auch 
in  diesem  engen  Räume  die  Magazine 
im  Laufe  der  Jahre  auf  Kosten  der 
Werkstätte  und  der  Heizhäuser  nach 
Möglichkeit  erweitert  worden  waren, 
der  Bahnhof  in  Gerspitz  und  die  »Filiale 
Brtlnn*  ihm  einen  Theil  der  Betriebs- 
aufgaben abgenommen  hatten,  so  mussten 
seine  Verkehrsanlagen  doch  hinter  den 
wesentlich  gestiegenen  Forderungen  zu- 
rückbleiben. Das  Gesammtbild  des  Bahn- 
hofes Brunn  hatte  sich  allerdmgs  durch 
die  Bauten  der  Staatseisenbahn-Gesell- 
schaft wesentlich  verändert,  die  nach 
dem  Bau  der  Linie  nach  Wien  ihre 
Magazine  vergrössert  und  im  Jahre  1886 
den  »unteren  Bahnhof-  zu  einem  grossen 
Aufstellungs-  und  Rangirbahnhof  um- 
gestaltet hatte.  Der  Nordbahnhof  selbst 
konnte  aber  diesen  Wandlungen  nur 
wenige  Aenderungen  gegenüberstellen. 
Erst  die  Rücksicht  auf  erhöhte  Sicherung 
des  mächtig  angewachsenen  Personen- 
verkehrs, der  auf  diesem  Bahnhol 
Reisende  von    den  zwei  Wiener    Linien, 


von  Prag,  Prerau  und 
Tischnowitzzusammeii- 
führte  und  der  sich  zum 
überwiegenden  Theil 
auf  der  Nordbahn  ab- 
spielte, gab  den  ent- 
scheidenden Anstoss  zu 
einem  völligen  Umbau 
des  Briinner  Nordbahn- 
hofes. 

Zunächst  wurde  ein 
neuer,  ausreichender 
Güterbahnhof  erbaut, 
um  nach  Cassirung  des 
allen  Raum  zu  gewin- 
nen für  die  Anlage  eines 
grossen,  modernen  Pe 
Gemäss  dem  in  Abb.  2 
und  in  Ausführung  befi] 
wurde  der  ganze  Viaduc 
zawabrücke  in  den  m 
hof  einbezogen,  wodun 
ausmass  des  BrUnner 
auf  das  dreifache  seim 
Bestandes  gebracht  wu' 
Magazinen  und  Rampei 
güterverkehr  sind  die  Sl 
für  den  Rohproductenvei 
während  die  Kohlenruts 
der  Stadt  abgewandten  I 
legt  sind.  Durch  die 
Balinhofes  über  dem  um 
ist  neben  der  Zufahrtsst 
hochgelegene  Magazinss 
geworden,  durch  dere 
im  Anschlüsse  an  die  Mi 
gedehnte  Lagerräume  g' 
In  diese  Lagerräume, 
von  der  Zufahrtsstrasse 
werden  auch  die  Bahnvi 
eine  Rampe  durch  l 
Drehscheiben,  theÜs  dir 
.  werken  eingeführt.  U 
arbeit  bei  den  langgestre 
nicht  durch  das  Zu-  un 
zelner  Wagen  unterbrec 
wie  dies  bei  denallgemei 
hnigen  Ladebühnen  der 
hier  Ast  die  in  Oestei 
unbekannten  zahnförmi 
Anwendung,  bei  denei 
fünf  bis  sechs  Wagen 
theilungen  bezüglich  dt 
von  einander  unabhäng 


363 


Wicklung 

nommen. 

Der 


Abb.  310.    CmBchlagpiatze  der  Aq»ie-TepUUer 

Der  Kohlenbahnhof  besteht  aus  strahlen- 
förmig vertheilten  Dämmen  mit  Rutschen. 
[Abb.  218.]  Die  Geleise  jedes  Dammes 
liegen  in  sanftem  Gefäile,  um  das  Ran- 
giren der  Wagen  zu  erleichtern,  und 
sind  an  ihrem  Ende  durch  Schiebe- 
bühnen für  das  raschere  U eberstellen 
entleerter  Wagen  verbunden.  Ein  ge- 
sondertes Auszugsgeleise,  Dreh-  und 
Laufkrahne,  Aufzüge  in  den  Magazinen 
vervollständigen  die  Ausrüstung  des 
Bahnhofes. 

Ein  von  den  Bahnhöfen  losgelöster 
Zweig  des  Güterdienstes,  der  Umschlag 
an  schiffbaren  Flüssen,  ist  in  den 
letzten  zwanzig  Jahren  zu  einem  bedeut- 
samen wirth- 
schaftlichen  Fac- 
tor erstarkt  imd 
hat  immer  aus- 
gedehntere An- 
lagen erfordert. 

Insbesondere 
haben  die  nord- 
böhmischenUm- 

schlagplätze 

parallel  mit 
der  vorschrei- 
tenden Reguli- 
ning  der  Elbe  in 
diesem  Zeitraum 


der     Aussig- 

Teplitzer 
Bahn  in  Aus- 
sig trat  bereits 
im   Jahre    1858 
in      Benützung. 
Während    zwei 
Jahre  später  eine 
Tagesleistung 
von    55  Wagen 
noch  als  au ss er- 
gewöhnliches 
Ereignis  be- 
grüsst       wurde, 
ist  sie  heute  auf 
Bahn  in  AuMig  a.  d.  Elbe.  1400  Wagen  ge- 

stiegen, der  jäht- 
I  liehe  Güterumschlag  —  fast  ausschliess- 
j  lieh  Kohle  —  auf  1,500.000  t  ange- 
;  wachsen.  Die  Schleppbahn  läuft  hier  [vgl. 
Abb.  219]  mit  zwei  Geleisen,  die  33  »« 
über  dem  Normalwasser  liegen ,  längs  der 
auf  Beton  fundirten  Quaimauer  oder  auf 
mächtigen  Steinschlichtungen,  von  denen 
aus  die  Kohlenwagen  in  die  Boote  ent- 
laden werden.  Die  ursprüngliche  Quai- 
länge von  315  w  stieg  mit  dem  Baue 
des  ersten  Hafens  im  Jahre  1864.  und 
mit  jenem  des  zweiten,  des  Osthafens, 
im  Jahre  1891  bis  auf  5  kyn.  Die  Häfen 
sind  durch  Thore  gegen  Hochwasser  ge- 
schützt. Im  Jahre  1886  wurde  strom- 
aufwärts der  I  km  lange  Umschlagplatz 


c  auf  dem  Umscblaeplati 


364 


Ernst  Reitler. 


für  Stackgüter  errichtet,  wo  auch  drei 
Dampfkrahne  thätig  sind,  welche,  längs 
des  Wassers  ei  tigen  Krahngeteises  laufend, 
die  Umladung  zwischen  Schiff  und  Bahn- 
wagen oder  Magazin  vermitteln.  [Vgl. 
Abb.  319—221.] 

Der  Umschlagplatz  der  Nord- 
westbahnin  Laube  [Abb.  222  und  233] 
dient  fast  ausschliesslich  dem  StUckgUter- 
Verkehr.  Im  Jahre  1872  von  Hohen  eg- 
ger projectirt,  dankt  er  den  Anstoss  zu 
seiner  Erbauung  —  die  I  2  Millionen  Gulden 
erforderte  — den  im  Jahre  1879  aufgestell- 
ten Sperrtarifen  des  Deutschen  Reiches, 
welchen  Maasregeln  gegenüber  der  öster- 
reichischen Industrie  durch  den  Elbe- 
Umschlag  ein  billiger,  gemischter  Export- 
weg geboten  werden  konnte.  Heute 
weist  der  Umschlagplatz  einen  2-3  km 
langen  Quai  auf,  dessen  stromaufwärts 
liegender  Theil  dem  Import,  der  -abwärts 
liegende  dem  Export  bestimmt  ist.  An 
die  zwei  Quaigeleise  schliessen  sich  vier 
Import-  und  zwei  Export- Magazine  und 
eine  grosse  Petroleumrampe.  Die  weite- 
ren Geleise  für  Aufstellungs-  und  Rangir- 
zwecke  sind  durch  Weichen  und  durch 
zwei  Dampf- Schiebebühnen  verbunden. 
Die  reiche  Ausstattung  mit  mechanischen 
Vorrichtungenbeschleunigt  die  Verladung: 
14  Dampfkrahne  mit  8 — 10  tn  Ausladung 
und  2000  t  Tragkraft  laufen  wie  in  Aussig 
längs  des  wasserseitigen  Krahngeleises 
und  sind  mit  Trommeln  zum  Herbei- 
ziehen der  Wagen  versehen.  Für  die 
Umladung  des  Getreides  dienen  acht 
eiserne,  trichterförmige,  im  Boden  ver- 
senkte Kasten,  die  das  Getreide  aus  den 
Bahnwagen  aufnehmen  und  aus  denen 
es  wieder  mittels  zweier  fahrbarer  Eleva- 
toren auf  eine  selbstthätige  Wage  ge- 
hoben   und    in  die  Schiffe  entleert  wird. 

Die  Gefahren  des  Hochwassers,  dessen 
Höchststand  die  Schienenhöhe  in  Aussig 
um  5  tn,  in  Laube  sogar  um  8  m  über- 
ragt, erforderten  besondere  Sicherungen. 
Um  dem  Hochwasser  eine  geringere  An- 
griffsfläche entgegenzusetzen,  bestehen  die 
GUterschupfen  des  Umschlagplatzes  in 
Aussig  aus  eisernen,  fest  verankerten 
Gerippen,  die  mit  Wellblech  gedeckt  und 
mit  Holz  wänden  verschalt  sind,  welch 
letztere  zur  Zeit  des  Hochwassers  ent- 
fernt   werden.     In    Laube    dagegen  sind 


365 


die  Schlipfen  aus  Holz  und  zerlegbar 
eingerichtet,  und  werden  sammt  dem 
etwa  nicht  abgefertigten  Inhalt,  ferner 
sammt  den  beweglichen  Ladekrahneii, 
Schiebebühnen  und  Wechselständern, 
kurz  Allem,  was  nicht  niet-  und  nagel- 
fest ist,  bei  Hochwassergefahr  nach 
Tetschen  zurückgeführt.  Die  Nothwendig- 
keit,  diesen  Rückzug  so  rasch  wie  müg- 


Tetschen,    welche,     mit    entsprechenden 

mechanischen  Hebevorrichtungen  ausge- 
stattet, zur  Aufnahme  von  Gütern  dienen, 
die  nicht  gleich  zum  Umschlag  kommen. 
Zu  den  Elbeumschlagplätzen  in  Aus- 
sig und  Tetschen,  in  Rosawitz  und 
Schönpriesen  treten  demnächst  an  der  in 
Kegulirung  befindlichen  Moldau  die  neuen 
Umschlagplätze     in     Prag,     die    einen 


Abb.  711.    UnncblagplSl»  der  Oeiteirckhl 

lieh  durchzuführen,  da  zwischen  dem  , 
Aviso  einer  drolienden  Ueberfluthung  und 
ihrem  Eintritte  in  der  Regel  nur  ein 
Zeitraum  von  20  Stunden  liegt,  femer 
die  Forderung,  die  Manipulation  bei  dem 
gestiegenen  Verkehr  möglichst  zu  be- 
schleunigen ,  drängten  in  den  letzten 
Jahren  dazu,  der  bestandenen  Zuführungs- 
linie von  Tetschen  eine  zweite  unter 
grossen  Kosten  anzufügen. 

Gleichsam  als  Ergänzung  der  beiden  i 
genannten  Umschlagplätze  dienen  die  j 
ausgedehnten  Lagerhäuser  in  Aussig  und  | 


weiteren     Aufschwung    des    böhmischen 
Seh iffahrts- Verkehrs   erwarten  lassen. 

Die  ReguHrung  der  Donau  bei 
Wien  im  Jahre  1873  gab  den  Anstoss 
zum  Bau  der  Wiener  Donau-Ufer- 
bahn, die  theils  mittelbar,  theiJs  un- 
mittelbar alle  in  Wien  einmündenden 
Bahnen  miteinander  verbindet  und  in 
deren  Zuge  dem  Güterumschlag  eine 
Lände  von  ungefähr  8"6  km  Länge 
für  das  Anlegen  der  Schiffe  und  aus- 
reichende Lagerhäuser  zur  Verfügung 
stehen. 


366 


Abb.  134.    Traieci 


;,  Kn 


Eine  interessante  Verschmelzung  von 
Bahnhof  und  Hafen,  von  Eisenbahn-  und 
Schiffahrtsbetrieb  bietet  die  im  Jahre 
1883  eröffnete  Traject-Anstalt  in 
Bregenz  [Abb.  224],  in  welcher  die 
Bahnwagen  vom  festen  Geleise  auf  einen 
Trajectskahn  überstellt  und  über  den 
Bodensee  geführt  werden.  Lieber  30.000 
Wagen  werden  hier  jährlich  im  An- 
schluss  an  die  Bahnen  Badens,  Würt- 
tembergs und  der  Schweiz  mittels  der 
Kähne  überführt. 

Auch  der  erste 
Hafen  Oesterreichs, 
Tri  est,  hielt,  seiner 
Bedeutung  entspre- 
chend, mit  dem  ra- 
schen Gange  moder- 
nerVerkehrsent  Wick- 
lung Schritt  und  die 
umfassenden  Ergän- 
zungsbauten des  letz- 
ten Decenniums  stell- 
ten ihn  in  die  vor- 
derste Reihe  der  con- 
tinentalen  Seehäfen. 

Der  aus  den  .Sieb- 
ziger-Jahren stam- 
mende neue  Hafen 
mit  seinen  drei  Bas- 
sins hatte  um  das 
Jahr  1880  sieben 
grosse  Lagerhäuser 
und     entsprechende  Abb.  315.  Hjdiauii 


Manipulations-Geleise  er- 
halten. Mit  der  Aufhe- 
bung des  Freihafens,  die 
im  Jahre  1891  erfolgte, 
wurde  beschlossen,  das 
nunmehr  auf  circa  40  ha 
eingeschränkte  Freigebi 
mit  einem  Complex  reich- 
heb  bemessener  Lager- 
häuser und  Schupfen 
zustatten  und  mit  den  voll- 
kommensten, modernen 
Lademitteln  zu  versehen. 
[Abb.  207,  225  und  226.] 
Erst  durch  diese  grossen 
Ergänzungsbauten,  die 
vorwiegend  in  den  Jah- 
ren 1888— 1893  ausge- 
ll*ü"»1"'''''  ^'^^^    wurden,     ist    der 

Triester  Hafen  ganz  auf 
die  Höhe  seiner  Aufgabe  gestellt  und  den 
grössten  europäischen  Seehäfen  ebenbürtig 
geworden.  Die  Angliederung  eines  vierten 
Hafenbassins  bei  Verlegung  des  Petroleum- 
Hafens  an  das  äusserste  Ende  der  Bucht 
von  Muggia  vermehrte  die  Wasserfläche 
der  Bassins  auf  20  lia,  während  die 
Länge  der  anlegbaren  Quais  im  Frei- 
hafen auf  3620  «I,  die  gesammte  verfüg- 
bare Quailänge  auf  7600  m  anstieg. 
Durch  die  Anlage  eines  neuen  Kangir- 
bahnhofes,    durch    die    Vermehrung    der 


367 


M an ipu lation s  -  Geleise  und  durch  die 
Verbindung  der  Südbahn  und  der  Hafen- 
station mit  dem  Bahnhof  der  k.  k.  Staats- 
bahnen in  St.  Andrea  sind  die  in  Triest 
vorhandenen  Geieise  auf  68  km  ange- 
,  wachsen.  Die  Lagerhäuser  [Magazine] 
und  die  der  vorübergehenden  Einlagerung 
dienenden  Schupfen  [Hangars],  insge- 
sammt  31  Gebäude,  stellen  heute  dem 
Handel  1 74.OOO  jm*  belegbare  Fläche 
zur  Verfügung,  die  sich  nach  dem  be- 
vorstehenden Ausbaue  hinter  dem  Bassin 
IV  noch  um  46.000  ni*  erhöhen  dürfte. 
Die  Raschheit  und  Billigkeit  der  Ver- 
ladung wird  durch  eine  Reihe  gross- 
artiger, hydraulisch  betriebener  Vorrich- 
tungen gefördert,  die  schon  heute  52 
Krahne  —  meist  mit  l'/t'  Tragkraft  — 
54  Aufzüge  und  20  Spills  umfassen  und 
die  in  nächster  Zeit  um  weitere  14  Krahne, 
30  Aufzüge  und  vier  Spills  vermehrt 
werden  sollen.    [Vgl.   Abb,  225  und  226.] 


Wie  der  gewaltige,  täglich  wachsende 
Güterverkehr  der  jüngsten  Zeit  den 
Stationsbau  in  neue,  erfolgreiche  Bahnen 
gedrängt  hatte,  so  führte  auch  der  mäch' 
tig  angeschwollene  Personenverkehr  des 
letzten  Decenniums,  die  grosse  Zahl  de; 
Schnell-  und  Personenzüge,  die  herr- 
schende, sich  immer  verschärfende  Ten- 
denz nach  möglichster  Kürzung  dei 
Reisedauer  und  die  hiedurch  wesent- 
lich erschwerten  Aufgaben  bezüglich  dei 
Sicherheit  des  Betriebes  auch  im  Gebiete 
der  Personen-Bahnhöfe  zu  neuen 
Lösungen. 

Die  meisten  Kopfbahnhüfe  in  den 
grösseren  Städten  hatten  zwar  bereits  in 
den  Siebziger-Jahren  einen  Umfang  er- 
halten, der  bei  der  erhöhten  Leistungsfähig- 
keit infolge  Einführung  der  Weichen-  und 
Sig^nalsicherungen  auch  den  gestiegenen 
Forderungen  noch  zu  entsprechen  ver- 
mochte; bei  einigen  musste  indessen  auch 
durch  Ergänzungsbauten,  so  beim  Süd- 
bahnhof in  Wien,  durch  Einfügung  eines 
weitern  sechsten  Hall  enge  leises  [vgl. 
Abb.  202],  beim  dortigen  schon  aus  dem 
Jahre  1 858  stammenden  Westbahnhof 
[Abb.  327]  durch  Angliederungeines  neuen 
Perrons  ausserhalb  der  Halle  die  äusserste 
Grenze  der  Leistungsfähigkeit  wesentlich 


368 


DEB    WESTBAHNHOF   IN  WIEN. 


PRAGEBHOF  1961. 


I.  JIO.    PHtanbof  Ui:u 


Bahnhofsanlagen.  369 


hinausiferückt  werden.  Wie  dehnbar  diese 
Grenze  ist,  möge  die  Thatsache  beweisen, 
dass    es    selbst    bei    dem    bescheidenen 
Umfange     des     Wiener     Westbahnhofes  . 
durch  Ausnutzung  aller  Umstände  daselbst 
möglich  wurde,  an  einem  Tage  des  stärk-  ' 
sten  Verkehrs  innerhalb    1 8  Stunden  eine  1 
Frequenz    von  mehr    als   1 00.000  Passa- 
gieren mit   142  abgehenden  und  137  an- 
kommenden Zügen  zu  bewältigen.  Auch 
auf    dem     Wiener     Nordbahnhofe     [vgl, 
Abb.  189]  war  durch  die  in  letzten  Jahren   , 
erfolgte     Umlegung     der     Hauptgeleise, 
welche    nun  in    der    ganzen    Länge    des 
Bahnhofes,    1  km  weit,  geradlinig  geführt 
sind,     mit    der  besseren  Uebersicht    eine 
erhöhte  Sicherheit  gewonnen. 

STATIOS    ALT-PAKA    DER    OST  EHR. 

NOHDWKSTBAHN  UKI>  sL'U-NORÜtlEl'TSClIES 

VEKBINDI.'XUSBAHN  i'iTJ- 


Ungleich  mehr  als  die  grossen  End- 
bahnhöfe waren  indessen  die  allen  A  n- 
schluss-undKreuzungsstationen 
hinter  den  Forderungen  der  neuen 
Zeit  zurückgeblieben,  jene  Knoten- 
punkts-Bahnhöfe,  in  denen  ZHge  aus 
verschiedenen  Richtungen  gleichzeitig 
zusammentreffen  und  wo  der  rege  Aus-  ' 
tausch  von  Personen  und  Wagen  und 
der  Uebergang  ganzer  Ztlge  mit  mög-  , 
lichster  Sicherheit  und  griisster  Beschleu- 
nigung vor  sich  gehen  soll. 

In  den  alten  Anschlussstationen,  wie 
in  Prerau  vor  seiner  letzten  Umge- 
staltung [vgl.  Tafel  I,  Fig.  1],  wurden  die 
personen befördern  den  Züge  aller  Fahrt- 
richtungen vor  dem  Aufnahmsgebäude 
zusammengeführt,  so  dass  das  Ueber- 
schreiten  mehrerer  Geleise  seitens  der  den 
Zug  wechselnden  Passagiere  geboten  und 
die  gleichzeitige  oder  in  kurzen  Zeit- 
abstiinden  sich  folgende  Aufnahme  und 
Abfertigung  von  Zügen    erschwert    war. 


370 


Ernst  Reitler. 


HÜLLEIN 


Abb.  232. 


ZAUCHTL. 


Abb.  233 


GÖDING 


Abb.  234. 


STAUDING 


TROPPAU. 


rrr 


tej[oi 


.       ikUfNAHMSCCa. 

rr- 


WOMNOClL 


8TÄASSC 


Abb.  236. 


Abb.  235 


In  Kreuzungsstationen,  wie  in  Pilsen  vor 
dem  Umbau  [vgl.  Tafel  I,  Fig.  3],  trat  noch 
der  nachtheilige  Umstand  hinzu,  dass  die 
Hauptgeleise    der    verschiedenen    Linien 
sich  innerhalb  der  Station  kreuzten.  Diese 
N'achtheile  wurden 
mit  der  Einführung 
der     Keil-     und 
Inselbahnh  öfe 
und     deren     Com- 
bination     mit     det* 
Kopfform     zu 
Gunsten  eines  ge- 
sicherten und  Öco- 
nnm Ischen   Betrie- 
bes vermieden. 

Die      Station 
Pragerhof  [Abb. 
228]  zeigt  schon  im 
Jahre      1861      den 
ersten  Versuch,  den 
Austausch  der  Pas- 
sagiere    zwischen 
den        Anseht  uss- 
linien  ohne  Schie- 
nenüberschreitung : 
dort   der    hallen  überdeckte    Perron    zwi- 
schen die  Hauptgeleise  der  Südbahnlinie 
Wien-Triest    und   jene    des    nach    Ofen 
abzweigenden  Flügels  gelegt  ist.   Freilich 
war  hier  noch  das  Aufnahmsgebäude  von 
dem    >Inselperron>     durch     mehrere    zu 


Abb,  7KJ.     Bahnhof  Troppan.    Analcfat  dei 
ZuQKonperronl. 

vermitteln,   indem 


überschreitende     Geleise     getrennt.      In 
Alt-Paka  [Abb.  230],  wo  die  Süd-nord- 
deutsche Verbindungsbahn  und  die  Nord- 
westbahn  einander  kreuzen,    wurde    das 
Aufnahm sgebäude  und  der  Perron  in  den 
Zwickel   der    aus- 
einandergehenden 
Bahnarme  verlegt, 
so  dass  Züge  bei- 
der Linien  gleich- 
zeitigundunmittel- 
bar  vor  dem  Perron 
vorfahren    können 
und  auf  diesem  der 
schienen  freie 
Wechselverkehr 
der  Passagiere  er- 
folgt.  Die  Zufahrt 
zu  dem  Aufnahms- 
gebäude findet  hier 
von     der     offenen 
Seite  des  durch  die 
Bahnarme  gebilde- 
ten    Keiles     statt, 
welchem  diese  Sta- 
tionstype den  Namen   des  »Keil bah n- 
hofes>  verdankt.     Auch   in  Deutsch- 
Brod,    wo    die    vorbenannten     Bahnen 
zusammentreffen,    zeigt    das    Aufnahms- 
gebäude  [Abb.  229]  die    aus  der  keilför- 
migen Anlage  des  Bahnhofes  sich  erge- 
bende Qaerstellung. 


In  Alt-Pak  a,  wo  grosse  Terrain- 
schwierigkeiten  eine  freiere  Disposition 
behinderten,  erfolgte  noch  die  Kreuzung 
der  Hauptgeleise  in  der  Station  selbst, 
also  im  Schienenniveau.  Bei  den  anderen 
Anlagen  ähnlicher  Art,  welche  Hellwag 
im  Zuge  der  Nordwestbahn  im  Jahre 
1872  erbaute,  so  in  Neu-Kolin,  in  Väetat- 
Pfivor,  11.  a.  wurde  aber  die  Kreuzung 
der  beiden  Linien  immer  mittels  Ueber- 
brückungen,  also  entsprechend  weit  ausser- 
halb der  Station  vorgenommen,  und 
wurden  dann  die 
unabhängi. 
gen  Haupt- 
geleise  in 
der  Station 
selbst  parallel 
neben  einan- 
der   geführt. 

[Abb.  231,] 
Die  parallele 

Lage  der 
HauptgeleiseerJeichterte  deren  Verbindung 
mittels  Weichen  zum  Uebergang  ganzer 
Züge,  und  gestattete  eine  zweckmässige 
Anordnung  der  von  beiden  Bahnen  ge- 
meinsam benützten  Baulichkeiten,  wie 
des  Aufnahmsgebäudes,  der  Wagenremise 
und  des  Umladeschupfens.  Der  ganze  Bahn- 
hof erhielt  dadurch  eine  rechteckige,  lang- 
gestreckte Form,  ohne  dass  hiedurch  das 
Wesentrich*-;.  des  Keilbahnhofes  berührt 
worden  wäre.  Die  Zufahrt  erfolgte  auch  hier 


I  von  der  offenen  Seite  des  Keiles.  Auf  der 
I  vom  Aufnahmsgebäude  abgewandten  Seite 
1  der  Hauptgeleise  wurden  die  gesonderten 
Güterbahnhöfe  der  beiden  Anschluss- 
■  bahnen  angeordnet. 

Wie  die  Keil  form  des  Bahnhofes 
I  durch  den  Zusammenschluss  der  Geleise 
I  blos  auf  einer  Seite  des  Aufnahms- 
I  gebäudes  und  des  Perrons  entstand, 
I  während  die  andere  Seite  für  die  Zufahrt 
I  vom  Orte  offen  blieb,  so  entstand  die 
I  Inselform,  sobald  diese  Baulichkeiten 
I  durch  hinzutretende  Nebengeleise,  wie  in 
HuUein  [Abb. 
232],  auf  al- 
1  e  n  Seiten 
von  Geleisen 
umschlossen 

Beim  Bau 
der     Städte- 
bahn  und  der 
Local  bahnen 
seitens    der   Nordbahn,    welcher  in  zahl- 
reichen Stationen    der    alten   Linien    An- 
schlüsse  und   Kreuzungen    forderte,    bot 
sich  Ast  Gelegenheit,  die  Type  der  Insel- 
bahnhüfe  mit  der  Kopfform  verschieden- 
fach   zu  combiniren,    um  die    neuen  An- 
lagen   den    wech.-ielnden    örtlichen    Ver- 
hältnissen   und   der    Art    des    jeweiligen 
Anschlussverkehrs  möglichst  anzupassen. 
In  dem  genannten  Bahnhof  Hullein 
erfolgt  der  Wechsel  verkehr  der  Reisenden 


zwischen  den  Richtungen  Wjen-Krakau 
und  Kojetein-Bielitz  schienenfrei  durch 
das  Aufnahmsgebäude,  an  welches  die 
Hauptgeleise  beider  Linien  unmittelbar 
herantreten.  Der  Zugang  von  der  tief 
gelegenen  Zufahrtsstrasse  zu  dem  von 
Geleisen  rings  umschlossenen  Insel- 
gebäude wird  durch  einen  kurzen,  die 
zwischen  liegen  den  Geleise  unterfahrenden 
Tunnel  vermittelt.  Auch  in  Zauchtl 
[Abb.  333],  wo  die  Localbahnen  nach 
Bautsch  und  Fulnek  an  die  Hauptbahn 
anschliessen,  empfahl  sich  die  Verwendung 
der  Inselfomi  durch  Umlegung  der  Haupt- 
geleise des  alten  Bahnhofes  und  durch 
die  Erbauung  eines  Inselgebäudes,  zu 
dessen  Stirnseite  die  Zufahrts Strasse  nach 
Kreuzung  des  Loc  albahn -Geleises  hinführt. 
Um  hier  auch  einen  schienen  freien  Zugang 
vom  Aufnahmsgebäude  zu  der  in  Kopf- 
form belassenen  Einmündung  der  Neu- 
titscheiner  Localbahn  zu  schaffen,  wurden 
beide  durch  einen  Personen-Durchgangs- 
tunnel unter  den  Geleisen  des  Bahnhofes 
Zauchtl  verbunden.  In  Troppau[Abb.  235 
und  237]  wurde  der  gesicherte  Wechsel- 
verkehr zwischen  den  Zügen  der  Nord- 
bahn, denen  der  Localbahn  nachBennisch 
und  der  Staatsbahnlinie  nach  jägemdorf 
durch  den  an  den  Hauptperron  an- 
schliessenden Zungenperron  vermittelt, 
nachdem  die  dort  befindliche  Heizhaus- 
anlage verlegt  worden  war.  Stauding 
[Abb.  236],  wo  ein  einfacher  Uebergangs-  1 
Steg  den  Localbahnperron  mit  dem  , 
Hauptgebäude  verbindet ,  G  ö  d  i  n  g 
[Abb.  234],  wo  für  die  jenseits  der  Haupt-  j 
geleise  einmündende  Localbahn  nach  Saitz 
gleichfalls  ein  Steg  dient,  während  das 
diesseits  mündende  Holicser  Geleise  gar  ' 
unmittelbar  auf  den  Vorplatz  der  Station  | 
geführt  ist,  zeigen  Beispiele,  wie  die  an-  ! 
gestrebte  Sicherung  des  Personenverkehrs  ; 
mit  besonderer  Einfachheit  und  Billigkeit  | 
der  Anlage  vereint  wurde,  wo  dies  durch  1 
den  bescheidenen  Verkehr  der  Flügelbahn 
gerechtfertigt  war. 

In  den  Knotenpunkten  mit  besonders 
dichter  Zugfolge  erwies  sich  aber  auch 
die  Theilung  des  Verkehrs  nach  Bahn- 
linien, wie  sie  in  den  bisher  be- 
sprochenen Bahnhofstypen  diwchgeführt 
war,  für  die  völlige  Sicherung  des  Be- 
triebes und  für  den  Schutz  des  Publicums 


[Nach  einer  pbolagiaphlacbcn  Aufnafams 

noch  nicht  als  ausreichend.  Für  solche 
Bahnhöfe  ergab  sich  die  Nothwendigkeit 
eiirer  weiteren  Theilung  nach  Fahrt- 
richtungen; es  erwies  sich  als  ge- 
boten, jedes  Hauptgeleise  an  eine 
eigene  Perronkante  zu  legen,  von 
welcher  aus  der  Zug  unmittelbar  be- 
stiegen werden  kann,  femer  durch  die 
schienen  freie  Verbindung  der  Perrons 
untereinander  und  mit  dem  Aufnahms- 
gebäude jede  Geleiseüberschreitung  aus- 
zuschli  essen. 

Eine  solche  Trennung  nach  Fahrt- 
richtungen war  in  Zwischen  Stationen  — 
in  denen  es  sich  ja  in  vereinfachter  Weise 
immer  blos  um  zwei  Hauptgeleise  han- 
delte —  schon  zu  Ende  der  Siebziger-Jahre 
in  Aufnahme  gekommen.  Um  diese  Zeit 
hatte  die  Kaiserin  Elisabeth- Bahn  damit 
begonnen,  in  einigen  beliebten  Ausflugs- 
slationen  in  der  Nähe  Wiens  Uebergangs- 
stege  zwischen  dem  Auftiahmsgebäude 
und  dem  selbständigen  Perron  des  jen- 
seitigen Hauptgeleises  zu  errichten, 
während  die  Südbahn  bald  darnach  — 
im  Jahre  1883  —  in  Mödling  den  ersten 
Verbindungstunnel  zwischen  den  beiden 
Bahnhofseiten  herstellte.  War  in  den 
Zwischenstationen  —  wie  auf  der  Kaiser 
Franz  Josef- Bahn  —  eine  gesonderte 
Personen-  und  Gepäckscassa  auf  dem 
jenseitigen  Perron  vorgesehen,  so  konnte 
Steg  oder  Tunnel  durch  einen  schienen- 
freien   Zugang    zu    der    vom    Orte    ab- 


gewendeten Bahn- 
hofseite ausser- 
halb der  Station 
ersetzt  werden. 

So  entstanden 
seit  den  Achtziger- 
Jahren  auf  den  be- 
.  lebten  Wiener  Lo- 
calstrecken  der  drei 
genannten  Bahnen 
jene  zahlreichen 
doppelseitigen  Sta- 
tionen, die  uns  mit 
ihren  langgestreck- 
ten, wein  umrankten 
Veranden  freund- 
lich begrüssen,  Sta- 
tionen, die  durch 
die  augenfällige 
'    "   *■'  Zweckmässigkeit 

ihrer  Anlage,  durch  die  ersichtliche  Be- 
schränkung auf  die  noth wendigsten  Ein- 
richtungen einen  geradezu  ästhetischen 
Eindruck  und  das  beruhigende  Gefühl 
vollster  Sicherheit  erwecken.  So  sind  auch 
die  Haltestellen  der  Wiener  Stadtbahn  mit 
beiderseitigen  Perronsund  Aufnahms-Ge- 
bäuden  ausgestattet.  [Vgl.  Abb.  238  und 
239.]  Ein  schönes  Beispiel  einer  derartigen 
Zwischenstation,  die  durch  die  zweckmäs- 
sige Anlage  einem  gesicherten  Massen  ver- 
kehr gewachsen  ist,  bietet  das  heutige  B  a- 
den  nachdem  in  jüngster  Zeit  unter  Zelinka 
durchgeftlhrten  Umbau.  [Abb.  240.]  Da  die 
Personen-  und  Gepäckscassen  für  beide 
Fahrtrichtungen  im  ebenerdigen  Vestibüle 
des  stadtseitigen  Empfangsgebäudes  ver- 
einigt sind,  so  ist  der  jenseitige  Perron  mit 
dem  Vestibüle  durch  einen  Zugangstunnel, 
mit  dem  Vorplatz  durch  einen  zweiten 
Abgangstunnel  verbunden  und  so  ist  im 
Verein  mit  den  Aufgangs-  und  .Abgangs- 
treppen des  diesseitigen  Perrons  eine  voll- 
ständige Trennung  des  ankommenden  vom 
abreisenden  Publicum  beider  Fahrtrich- 
tungen durchgeführt. 

In  Mödling,  wo  der  Laxenburger 
Flügel  an  die  Hauptlinie  der  Südbahn 
anschliesst,  ist  der  jenseitige  Perron  insel- 
artig von  dem  nach  Triest  gehenden 
Hauplbahn-Geleise  und  dem  Laxenburger- 
Geleise  umschlossen.  [Vgl.  Abb.  241.]  In 
Knotenpunkts  -  Stationen,  wo  aber  nicht 
blos  für  drei  Geleise  —  wie  In  Mödling  — 


sondern  wo  für  vier,  sechs  und  mehr 
Hauptgeleise  gesonderte  Perronkanten 
anzulegen  waren,  ergab  sich  die  Noth- 
wendigkeit,  mehrere  solcher  Inselperrons 
an  einander  zu  reihen.  Damit  war  die  in  1 
den  neueren  Knotenpunkts- Bahnhöfen  all- 
gemein gewordene  Type  der  »Durch- 
t;angsstatton    mit    mehreren   schienenfrei  | 


sie  weiter  nördlich  unterfahrenden  Wiener 
Verbindungsbahn.  Zwischen  den  sich 
kreuzenden  Bahnen  findet  hier  ein 
äusserst  lebhafter  Wechsel  von  Passa- 
gieren, jedoch  kein  directer  WagenUber- 
gang  statt.  Zwei  Inselperrons,  die  dem 
starken  Personenverkehr  entsprechend 
breit  dimensionirt  sind,  trennen  die  Haupt- 


BAHNHOP  MEIDLIN'G. 


PERSONENBAHNHOF  ST,  POLTEN. 


zugänglichen  Inselperrons«  gegeben,  die 
fallweise  auch  mit  der  Kopfform  für  die 
hier  einmündenden  Anschlusstinien  com- 
hinirt  wird. 

Die  erste  derartige  Anlage  erstand 
in  M e i d  1  i n g  unter  Prenninger 
im  Jahre  1887.  Meidling  [Abb.  242— 
244]  ist  einerseits  eine  Theilungs- 
station,  über  welche  vom  Pötten  dorfer 
Flügel  der  SUdbahn  ein  durchgehender 
Zut;sbetrieb  auf  die  Haupthnie  gegen 
Wien  unterhalten  wird,  andererseits  ist 
es  Kreuzungsstation  der  Südbahn  mit  der 


geleise  der  drei  hier  vereinigten  Bahn- 
linien, während  ein  Uebergangssteg  die 
schienenfreie  Verbindung  des  Längs- 
perrons  und  der  beiden  Mittelperrons  her- 
stellt. Die  Hauptgeleise  dienen  zugleich 
für  die  Durchfahrt  der  Güterzüge,  welche 
unmittelbar  hinter  der  Station  unter 
dem  Schutze  einer  wohl  durchgebildeten 
Sicherungsanlage    in    den   Lastenbahnhof 

I  Matzleinsdorf  einfahren. 

Nur    die  zweckmässige,    die  Fahrten 
der    Personenzüge    von    einander    völlig 

\  unabhängig    gestaltende  Anlage    ermög- 


376 


Ernst  Reitler 


lichte  es,  dass  an  einzelnen  Tagen  in 
dieser  Station  schon  bis  387  Züge  an- 
standslos verkehren,  innerhalb  einer  Stunde 
auf  der  Hauptlinie  der  Südbahn  allein, 
bis  27  Züge  abgefertigt  werden  konnten. 
Kurz  darnach,  im  Jahre  1890,  wurde 
unter  Bischoff  v.  Klammstein  der 
Bahnhof  St.  Polten  [Abb.  245]  'n 
seiner  heutigen  Anlage  eröffnet.  Jedes 
Hauptgeleise  der  Linie  Wien-Salzburg 
und  des  hier  abzweigenden  Flügels  nach 
Tulln  sind  hier  von  zwei  Inselperrons 
und  dem  Hauptperron,  die  durch  einen 
Tunnel  verbunden  sind,    schienenfrei  zu- 


girgeschäft  in  einen  gesonderten,  den  be- 
reits besprochenen  Vorbahnhof  zu  ver- 
legen und  so  auf  dem  Haupt b ahn hof 
selbst  Platz  zu  schaffen  für  einen 
allen  Forderungen  genügenden  Personen- 
und  Maschinenbahnhof.  Durch  diese  im 
Jahre  1888  unter  Ast  durchgeführten 
Umgestaltungen  rückte  der  alte  Prerauer 
Bahnhof  hinsichtlich  seiner  Ausdehnung, 
seiner  Austheilung  und  seiner  Einrichtun- 
gen in  die  Reihe  modernster  Bahnhöfe  vor. 
Auch  dieser  Bahnhof  (Abb.  246]  zeigt  die 
Durchgangsform  mit  zwei  durch  Tunnels 
verbundenen  Inselperrons,  so  dass    jedes 


gänglich  gemacht.  Die  Güterzüge  werden 
um  den  Bahnhof  herumgeführt  und  fahren 
unmittelbar  in  den  anschliessenden  Ran- 
gir-  und  Lastenbahnhof  ein.  Für  die 
auf  der  Seite  des  Aufnahms-Gebäudes 
einmündende  Linie  nach  Leobersdorf 
mit  hier  endigendem  Zugsbetrieb  em- 
pfahl sich  die  Anordnung  der  Kopfform, 
also  eines  stumpf  endigenden  Geleises 
längs  eines  vom  Hauptgebäude  ausgehen- 
den Perrons, 

Der  Bahnhof  I'rerau  [vgl.  Tafel  I, 
Fig.  2],  der  Verkehrsmittelpunkt  der 
Nordbahn,  in  welchem  heute  täglich  bis 
140  Züge  und  bis  4300  Wagen  von 
Wien,  Brunn,  Olmütz  und  Krakau 
sammenströmen,  hatte  schon  in  den  Acht- 
ziger-Jahren eine  Aufgabe  zu  bewältigen, 
der  die  alte  Anlage  trotz  der  steten  Ei 
Weiterungen  nicht  mehr  in  rationeller  Weise 
gerecht  werden  konnte.  Man  entschloss 
sich  daher,  den  gcsammten  Transito- 
Güterdienst,  also  das  umfangreiche  Ran 


[  Hauptgeleise  der  Linie  Wien-Krakau 
'  und  der  beiden  Anschlussbahnen  un- 
!  mittelbar  zugänglich  sind.  Ein  Doppel- 
'  geleise  für  Güterzüge  umgeht  den  Bahn- 
'  hof  und  mündet  in  die  Einfahrtsgeleise 
'  des  Vorbahnhofes.  Dieser  ist  indessen  mit 
[  dem  Hauptbahnhof  auch  in  unmittel- 
!  bare  Verbindung  gebracht,  um  die  Zu- 
l  fahrt  zu  den  Heizhäusern  und  zur  Filial- 
'  werkstätte,  femer  zu  dem  in  seiner  alten 
l  Lage  belassenen  kleinen  Ortsgüterbahnhof 
zu  bewerkstelligen.  Die  Sicherung  der 
'  Fahrten  besorgen  drei  C^entrals  teil  werke 
mit  elektrisch  bedienten  Weichen  und 
I  Signalen. 

I  In  Pilsen,    wo    sich    die  drei  frem- 

den, nunmehr  verstaatlichten  LinienWien- 
I  Eger,  Prag-FUrth  und  Dux- Eisenstein  der 
I  Franz  Josef-Bahn,  der  Böhmischen  West- 
■  bahn     und     der    Pilsen -Priesener     Bahn 
kreuzen,    von   denen  jede  daselbst  einen 
eigenen    Güter-    und    Maschinenbahnhof, 
eine  eigene  Werk  Stätten  an  läge  und  zum 


Theil  auch  einen  eigenen  Personenbahn- 
hof besass,  musste  unter  der  gemeinsa- 
men Leitung  des  Staates  und  bei  dem 
ansteigenden  Verkehr  die  Verschmelzung 
dieser  Bahnhofscomplexe  zu  einem  ein- 
heitlich angelegten  Centralbahnhof  im 
Interesse  eines  rationellen  Betriebes  zur 
Nothwcndigkeit  werden.  Der  Mangel  fast 
jedes  Zusammenhanges  zwischen  den  alten 
Bahnhofstheilen  macht  es  erklärlich,  dass 


führt  sind.  Da  es  sich  hier  empfiehlt, 
die  sechs  den  verschiedenen  Richtungen 
zugewiesenen  Einfahrts-  und  Durch- 
fahrtsgeleise  für  Güterzüge  zwischen 
Aufnahmsgehäude  und  Peraonenzugs- 
Hauptgeleise  zu  legen,  so  soll  der  mittlere 
Perron  als  Hauptperron  ausgestaltet 
und  mit  dem  Restaurant  und  den  Warte- 
sälen versehen  werden,  um  diese  Räume 
mehr  in  den  Mittelpunkt  der  ganzen  An- 


Abb.  147.    Bahnhof  HUtlcldorf-Hsckios. 
BAHNHOF  HÜTTELDORF- HACK  IN  G. 


*^i«e, 


bei  diesem  von  Stane  eingeleiteten, 
heute  noch  nicht  ab  (geschlossenen  Umbau 
kaum  mehr  als  eine  Werkstätte  in  die  neue 
Anlage  hinübergerettet  werden  kann,  ja 
dass  auch  diese  ihren  Platz  räumen 
dürfte,  falls  an  den  Bau  einer  grossen 
Centralwerkstätte  geschritten  werden 
wird.     [Vgl.  Tafel  I,  Fig.  4] 

Drei  Inselperrons  werden  hier  die 
Fahrtrichtungen  der  drei  sich  kreu- 
zenden Bahnlinien  trennen,  welche  auf 
der  Westseite  des  Bahnhofes  mittels 
L'eberbrückungen     übereinander    wegge- 


i  läge  zu  rücken.  Zwei  Personentunnels  und 
'  ein  Gepäckslunnel  sollen  den  schienen- 
j  freitn  Zugang  zwischen  Vorgebäude  und 
Perron  vermitteln.  An  die  in  den  Per- 
I  s onen bah nhof  eingeschobenen  sechs  Last- 
I  zugsge leise  schliesst  sich  der  geschil- 
]  derte,  bereits  ausgebaute  Rangirbahnhof 
i  an,  neben  dessen  Abrollgeleiseii  sich  der 
!  Zugsbahnhof  für  die  Aufstellung  aus- 
'  fahrender  Züge   befindet. 

Die  jüngsten  Kreuzungs-  und  An- 
I  Schlussbahnhöfe,  die  nach  den  modernen 
I   Principien  erbaut  sind,  Heiligenstadt, 


378 


Ernst  Reitler. 


Hauptzollamt  und  Hütteldorf- 
Hacking,  verdanken  ihre  Anlage 
dem  unter  der  Leitung  ßischoff's 
von  Klammstein  stehenden  Bau  der 
Wiener  Stadtbahn.  Hütteldorf-  Hacking 
[Abb.  247,  248],  an  der  Hauptlinie 
Wien-Salzburg  gelegen,  die  hier  auch  den 
Vorortezügen  dient,  ist  einerseits  eine 
Theilungsstation  für  die  nach  Purkersdorf 
transitirenden  Züge  der  Wienthal-Linie, 
andererseits  eine  Kopfstation  fUr  deren 
Localzüge,  wie  für  jene  der  Wiener  Ver- 
bindungsbahn, der  nunmehrigen  Südring- 
linie. Die  Geleise  werden  von  vier  Insel- 
und  zwei  Längsperrons  bedient,  die  durch 
einen  Tunnel  verbunden  sind.  Auszugs- 
geleise behufs  rascher  Umsetzung  der 
Züge  für  die  Rückfahrt,  ausreichende 
D6pötgeleise,  Maschinen  -  Aufstellungs- 
und Ausrüstimgsgeleise  ermöglichen  es, 
den  hier  kräftig  pulsirenden  Verkehr  in 
gesicherter  und  geordneter  Weise  abzu- 
wickeln. 

Der  mächtige  Verkehrsaufschwung 
des  letzten  Decenniums  hat  dazu  ge- 
führt, dass  wir  in  Oesterreich  heute 
mitten  in  einer  Epoche  grosser  Bahn- 
hofsbauten stehen.  Das  Schwergewicht 
dieser  Thätigkeit  liegt  im  Umbau  wichti- 
ger Knotenpunkte,  wo  an  Stelle  alter,  * 
unzulänglicher  Anlagen  Personen-  und 
Güterbahnhöfe  nach  den  entwickelten, 
modernen  Grundsätzen  erstehen.  Die 
vereinzelten  hier  vorgeführten  Bauten, 
die  uns  in  dieser  Richtung  die  letzten 
Jahre  brachten,  werden  in  der  allernäch- 
sten Zeit  zu  einer  stolzen  Reihe  sehens- 
werther  Bahnhöfe  ergänzt  sein.  In  Rei- 
chenberg und  Karlsbad,  in  Brück  a.  M. 
und  in  Wiener-Neustadt  steht  der  Bau 
grosser  Centralbahnhöfe  unmittelbar  be- 
vor und  auf  den  Linien  der  Staats- 
Bahnen  sehen  wir  ausser  in  Pilsen  ^uch 
in  Lemberg  und  Budweis,  in  Salzburg, 
Prag  und  Knittelfeld  grossartige  Anla- 
gen theils  schon  im  Werden,  theils  in 
Vorbereitung  für  den  baldigen  Bau. 

Diese  rege  Bauthätigkeit  fordert  auch 
ungewöhnliche  Mittel.  Die  Kaiser  Per-  | 
dinands  -  Nordbahn  hat  im  Decennium 
1886 — 1896,  in  welcher  Zeit  sich  der 
Verkehr  ihres  Hauptbahnnetzes  mehr  als 
verdoppelte,  1 4  Millionen  Gulden  verbaut, 
um    ihre    schon    so   oft    erweiterten  Sta- 


tionen, abgesehen  von  allen  Oberbau- 
Erneuerungen,  durch  Umgestaltungen  und 
Erweiterungen  auf  der  Höhe  der  gestie- 
genen Forderungen  zu  halten.  Und  die 
sechs  letztgenannten  Bahnhöfe  der  k.  k. 
Staatsbahnen  allein  werden  durch  den 
Umbau  einen  Aufwand  von  mehr  als 
1 1  Millionen  Gulden  beanspruchen.  Diese 
bedeutenden  Investitionen  erweisen  sich 
jedoch  nicht  blos  segensreich  im  Inter- 
esse einer  erhöhten  Sicherheit,  sondern 
sind  auch  das  unabweisliche  Gebot  einer 
weiter  ausschauenden  Oeconomie. 


Bei  dem  flüchtigen  Rundgang  durch 
die  Stationsanlagen  der  österreichischen 
Bahnen,  bei  welchem  zugleich  ein  Zeit- 
raum sechzigjähriger  Entwicklung  zu 
durchmessen  war,  musste  naturgemäss 
Vieles  und  manch  Wesentliches  dem 
eilenden  Blick  verborgen  bleiben.  Aber 
wenn  es  auch  möglich  gewesen  wäre, 
den  Schauplatz  jenes  vielgestaltigen 
Treibens,  das  sich  im  Innern  der  Bahn- 
höfe, für  das  grosse  Publicum  unsichtbar, 
gleichsam  hinter  den  Coulissen  abspielt, 
in  seinem  weiteren  Umfange  zu  be- 
leuchten, die  hundertfaltigen  Einrichtungen 
für  die  besonderen  Zweige  des  Bahn- 
betriebes näher  zu  betrachten  —  so  wären 
doch  die  führenden  Linien  in  dem  Bilde 
der  Stationsentwicklung  hiedurch  kaum 
berührt  worden. 

Die  ersten  Bahnhöfe  der  grossen 
Städte  mit  ihrem  beschränkten,  aufkeimen- 
den Verkehr  und  ein  grosser  Endbahnhof 
unserer  Zeit,  der  an  einem  Tage  einen 
Verkehr  von  100.000  Menschen  vermittelt 
und  viele  Tausend  Tonnen  Güter  in 
Umsatz  bringt  —  eine  alte  Station  mit 
ihren  gedrängten  primitiven  Anlagen  und 
ein  moderner  Knotenpunkts-Bahnhof,  der 
trotz  der  weiten  Ausdehnung  nicht  der 
Uebersichtlichkeit  entbehrt  —  sie  kenn- 
zeichnen die  äussersten  Glieder  der  Ent- 
wicklungsreihe, welche  der  österreichische 
Stationsbau  seit  seinem  Beginne  durch- 
laufen. 

Die  sich  stets  erneuernden  und  ver- 
mehrenden Bedürfnisse,  die  vom  ersten 
Tag  der  Eisenbahnen  an  in  den  Bahn- 
höfen zu  befriedigen  waren,  hatten  auch 


Bahnhofaanlagen. 


auf  diesem  Gebiet  zu  einem  eigenartigen 
Kampf  ums  Dasein  gefUhrt,  indem  der 
wachsende  Umfang  der  einzelnen  Dienst- 
zweige über  den  ihnen  zugewiesenen 
Rahmen  hinausdrängte  und  diese  sich 
gegenseitig  das  Terrain  streitig  matten. 
An  der  Hand  der  einzelnen  Entwicklungs- 
stadien der  Bahnhöfe  lässt  sich  schritt- 
weise der  —  von  dem  vorschreitenden  Aus- 
bau der  Städte  oft  beeinflusste  —  Process 
verfolgen,  wie  sich  Personen-  und  Güter- 
Dienstanlagen  auf  gegenseitige  Kosten 
und  auf  Kosten  der  Heizhäuser  und 
Werkstätten  erweiterten,  imd  wie  das  für 
die  Ortlichen  Verhältnisse  minder  Belang- 
reiche an  die  Peripherie  oder  aus  der  Station 
hinausrtlcken  musste.  Die  Zwischenglieder 
dieser  Stadien  bilden  jene  Compromisse, 
die  in  der  steten  Station s- Erweiterung 
zwischen  der  Rücksicht  auf  das  Bestehende 
und  dem  Streben  nach  Vermehrung  und 
Verbesserung  geschlossen  wurden,  und 
in  denen  Uebersichtlichkeit  und  systema- 
tische Gliederung  nicht  immer  die  Ober- 
hand gewinnen  konnte. 

Die  neueste  Zeit  brachte  in  den  Bau 
und  in  die  Umgestaltungen  der  Stationen 
eine  bedeutsame  Wendung.  Der  Geist 
exacter    wissenschaftlicher   For- 


schung hat  auch  auf  diesem  Gebiet  seinen 
Einzug  gehalten,  indem  er  die  Methode 
lehrte,  mit  Hilfe  der  Erfahrung  die  com- 
plicirten  Erscheinungen  des  Bahnhofs- 
Betriebes  zunächst  zu  entwirren,  sie  auf 
ihre  einfachen  Elemente  zurückzuführen 
und  erst  für  diese  die  Einrichtungen  zu 
schaffen,  die  zu  ihrer  Befriedigung  führen. 
Dadurch  entstand  jene  besprochene 
weitgehende  Speciatisirung,  die  sich 
ebenso  in  den  grössten  Bahnhöfen  durch 
deren  Theilung  nach  den  verschiedensten 
Betriebs-  und  Verkehrsforderungen  aus- 
spricht, wie  in  jenen  kleinen  Stationen, 
die  mit  den  vollkommensten  Mitteln  für 
die  Erfüllung  einer  einzigen  grossen 
Verkehrsaufgabe  ausgestattet  sind.  Es 
liegt  im  Wesen  einer  derartigen  systema- 
tischen Arbeitstheilung,  dass  die  Leistungs- 
fähigkeit solcher  moderner  Anlagen  un- 
gleich dehnbahrer  sein  wird  gegenüber 
den  erhofften  weiteren  Steigerungen  des 
Verkehrs,  und  dass  solche  Anlagen  daher 
die  besten  Bürgschaften  bieten  ftir  die 
Erfüllung  der  Forderungen,  an  welche 
die  Culturmission  der  Eisenbahnen  ge- 
knüpft ist:  Die  Forderung  nach  Billig- 
keit, nach  Raschheit  und  vor  Allem 
nach  Sicherheit  des  Betriebes. 


Hochbau. 


Von 

Hartwig  Fischel, 

Architekt,  In^^enieur  der  Kaiser  Ferdinands-Nordbahn. 


Hochbau. 

I.  Theil. 
Entwicklung  in  Oesterreich-Ungarn  bis  zum  Jahre   1867. 


Die  ersten  Privatbahnen. 

^y  ELTER  wie  jeder  Gedanke  an  eine 
A-\  Ausbildung  der  Verkehrsmittel  ist 
■^  -^  das  Bedürfnis  der  Menschen  nach 
einem  schützenden  Obdach.  Es  gab  den 
Anstoss  zur  Entwicklung  einer  profanen 
Baukunst,  welche  zuerst  unter  dem  Ein- 
fluss  der  Denkmale  religiöser  Kunst,  dann 
durch  die  Prachtliebe  der  Grossen  und 
Mächtigen,  und  endlich  durch  die  Be- 
dürfnisse des  Volkes  zu  selbständiger 
Bedeutung  heranwuchs.  Die  ungezählten 
Probleme  einer  fortschreitenden  CuJtur- 
entwicklung  haben  ihr  immer  neue  Auf- 
gaben zugeführt,  von  denen  viele  als 
endgiltig  gelöst  und  überwunden  zu  be- 
trachten waren,  bevor  das  Eisenbahn- 
wesen entstand.  Jede  grosse  Nation, 
jede  grosse  Epoche  im  Geistesleben  der 
Völker  hatte  ihren  formalen  Ausdruck  in 
dieser  steinernen  Sprache  gefunden.  Zu 
Beginn  dieses  Jahrhunderts  war  eine  Pause 
von  technischer  und  künstlerischer  Un- 
fruchtbarkeit eingetreten.  Eine  lange 
Kriegszeit  hatte  die  materiellen  und 
productiven      Kräfte      der     europäischen 


Staaten  erschöpft,  und  es  bedurfte  eines 
kräftigen  Impulses,  um  die  erlahmte 
wirthschafthche  Thätigkeit  wieder  zu 
erwecken.  Dieser  Impuls  erfolgte  nun 
durch  die  Erfindungen  und  Bestrebungen 
im  Hinblicke  auf  die  Verbesserung  und  Er- 
leichterung des  Verkehrs,  welche  mit  der 
Construction  des  Eisenbahngeleises  und 
der  Locomotive  ihrem  Ziel  in  unerwartet 
rascher  und  vollkommener  Weise  nahe- 
gerUckt  wurden. 

Dem  Bauwesen  war  mit  einem  Schlage 
eine  Fülle  neuer  und  grosser  Arbeitsgebiete 
erschlossen,  auf  welchen  zwar  in  erster 
Linie  der  Strassen-  und  Brückenbau- Inge- 
nieur seine  Thätigkeit  entfalten  konnte,  wo 
aber  auch  dem  Hochbau-Techniker  grosse 
Aufgaben  erwachsen  sollten,  deren  Lösun- 
gen für  das  gesammte  Bauwesen  bedeu- 
tungsvoll wurden.  Wenig  Raum  war  im 
Anfange  dem  Architekten  gegönnt,  knüpfte 
doch  das  junge  Eisenbahnwesen  unmittel- 
bar an  den  Strassenverkehr  und  seine 
Einrichtungen  an,  welcher  nur  Bedarf  an 
Nutzbauten,  wie  Postanstalten,  Speditions- 
und Lagerhäuser,  Remisen,  kannte.  Diese 
der  Ausstattung  nach  so  einfachen,  dem 


384 


Umfange   nach  nur  selten    ausgedehnten 
Anlagen  mussten  zunächst  die  Vorbilder  , 
abgeben  für  jene  Hochbauten,  welche  das 
Eisenbahnwesen    ins  Leben  rief.     Wenn 
auch    die  Rücksichtnahme  auf  einen  ge-  > 
steigerten  Personenverkehr,    auf  die  be- 
sonderen   Einrichtungen    für    Maschinen 
und  Wagen    eine  Erweiterung  des  Bau-  i 
Programms  mit  sich  brachten,    so  waren 
doch    die    Unsicherheit    des    materiellen 
Erfolges,    der  Mangel    an  ausreichenden 
Erfahrungen    viel    zu  grosse  Hemmnisse 
für    eine    Uebersch reitung    der    engsten 
öconomischen  Grenzen  auf  dem  Gebiete 
des    Hochbaues. 

So  zeigen  die  ersten  Eisenbahn- 
Hochbauten  noch  wenig  Charakteristi- 
sches in  Bezug  auf  Construction  oder 
Aufbau,  nur  in  der  Art  ihrer  Anord- 
nung und  Gruppirung  lassen  sich  von 
Anfang  an  gewisse  Principicn  erkeniicii, 
deren  fortschreitende  Entwicklung  auch 
für  die  formale  Gestaltung  der  Hoch- 
bauten wesentliche  Consequenzen  mit  sich 
führte.  Vergegenwärtigen  wir  uns  das 
Aussehen  einer  Eisenbahnstation  der 
ältesten  Periode.     In  der  beschreibenden 


Darstellung  der  Budweis-Linz-Gmundener 
Eisenbahn  schildert  F.  C  Weidmann  im 
Jahre  1843  den  schönen,  grossen  Bahn- 
hof bei  Lambach.  Dieser  Bahnhof, 
ein  Areale  von  6800 1~*  [24.458  m*] 
umfassend,  besteht  aus  folgenden  Ge- 
bäuden ; 

1.  Das  45"  [85-3  m]  lange  und  6» 
[ii"4  B(]  breite  Wirths-  und  Wohnhaus, 
soh'd  gebaut,  mit  Ziegeln  gedeckt.  [Es 
enthielt  Locale  für  das  Wirthsgeschäft 
und  14  Fremdenzimmer,  Kanzlei  locale, 
Beamtenvvnhnungen  und  Stallungen  für 
48  Pferde.] 

2.  Ein  12"  [22-8  «(]  langes,  6"  [11-4  m] 
breites,  mit  Ziegeln  gedecktes  Magazin 
zur  Aufbewahrung  der  Güter  und  Unter- 
stellung  einiger  Personenwagen. 

3.  Das  Schmiedegebäude,  nebst  der 
Wächter  Wohnung,  an  welche  ein  hölzerner 
Wagenschlipfen  angebaut  ist. 

Die  massiven  Gebäude  hatten  hohe 
Dächer,  waren  glatt  verputzt,  die  Dimen- 
sionirung  der  Stockwerke,  der  Fenster 
und  Thüren,  das  ganze  schmucklose 
aber  gediegene  Acussere  entsprachen 
den    guten    bürgerlichen  Wohngebäuden 


385 


kleiner  Städte.  «Der  freie  PJatz  vor  den 
Gebäuden«,  sagt  Weidmann,  »ist  zum 
Theil  mit  Bäumen  bepflanzt.  Auch  sind 
Sitze  für  Gäste  angebracht,  welche  lieber 
im  Freien  verweilen  und  speisen  wollen. 
Gegenüber  den  Gebäuden  befindet  sich 
auch  ein  recht  arti(res  Gärlchen  mit 
niedlichen  kleinen  Anlagen,  üer  ganze 
Bahnhof  ist  mit  einer  Flanke  umfriedet. 
Der  Anblick  des  Treibens  auf  dem  Bahn- 
hofe gewährt  ein  recht  bewegtes  Bild,  Es  ist 
dies  einer  der  lebhaftesten  Stationsplätze 
der  Bahn.«  Diese  naive  Darstellung  ist 
ebenso  charakteristisch  für  das  Aussehen 
der  Anlage  wie  für  die  Auffassung  von 
ihren  Zwecken. 

Als    die    Gründer   der    ersten    Loco- 
motivbahn    Oesterreichs    —    der    Kaiser 
Ferdinands- Nordbahn    —   sich    die  .'Auf- 
gabe stellten,  die  Keichshauptstadt  Wien 
mit  dem  verkehrsreichen  Norden  zu  ver- 
binden,   wurden  die  projectirenden  Inge- 
nieure und  Architekten  rücksichtlich  der 
Ausgestaltung  der  Gebäude  und  Betriebs- 
anlagen vor  eine  Reihe   schwieriger  und 
wichtiger  Aufgaben  gestellt.    Es  galt  hier 
Anlagen  zu  schaffen,  welche  den  Verkehrs- 
bedürfnissen   einer    grossen  Stadt    anzu- 
passen waren,  und  welche  dem  Betriebe 
eines  ausgedehnten,  auf  Erweiterung  be- 
rechneten Unternehmens  genügen  sollten.   I 
Anhaltspunkte  für  solche  Anlagen  gab  es  I 
damals    lediglich    in  England,   wo   zwei  i 
Bahnen    bereits  im  Betriebe  waren.     Es  | 
war  für  das  österreichische  Unternehmen  I 
sehr    förderlich,    dass    die  Gründer    des-  I 
selben  die  eingehendsten  Studien  an  jenen  | 
bewährten    Mustern    vornehmen    Hessen. 
Ihre  Einrichtungen    entsprangen  vielfach 
den  Sitten  der  Bevölkerung.     Besondere 
Beachtung    war   der  Bequemlichkeit  des  I 
reisenden  Publjcums  geschenkt ;    so  war  j 


es  schon  bei  diesen  ersten  Anlagen 
möglich,  mit  Strassenfuhrwerk  in  die 
Ankunftshallen  längs  der  Perrons  ein- 
fahren zu  können.  Bedeckte  Hallen 
schützten  fast  in  jeder  kleinen  Station 
die  Ein-  und  Aussteigenden;  Wagen- 
remisen beherbergten  die  Personenwagen. 
Die  Güterschupfen  enthielten  Geleise  für 
die  Frachtwagen.  Kreuzungen  im  Niveau 
des  Strassenverkehrs  wurden  durch 
Efagenanlagen  sorgfältig  vermieden.  Ein 
Bericht  über  ausländische  und  öster- 
reichische Bahnhöfe  in  Förster's  Bau- 
zeiCung  [1838]  bringt  als  Resultat  solcher 
Studien  die  Feststellung  allgemeiner  Prin- 
cipien,  welche  zumeist  noch  heute  Giltig- 
keit  haben.     Es  heisst  daselbst : 

•  Bei  einem  wohleingerichteten  D^- 
pöt  für  Keisende  und  Waaren  müssen 
I.  die  abgehenden  von  den  an- 
kommenden Passagieren  streng 
geschieden  sein.  2.  Muss  für  die 
Unterkunft  der  Passagiere  bis  zur  Abfahrt 
durch  eigene  Locale  gesorgt  sein,  wobei 
der  Bequemlichkeit  der  Controle  halber 
die  Reisenden  der  verschiedenen  Classen, 
d.  i.  die  Inhaber  der  im  Preise  ver- 
schiedenen Fahrkarten,  wieder  von  ein- 
ander zu  trennen  sind.  3.  Die  Passa- 
giere dürfen  weder  beim  Kommen 
oder  Abgehen  noch  sonst  unter 
irgend  einer  Bedingung  die  Bahn 
kreuzen  m U  a s e n,  wonach  die  Einfahrt 
in  den  Sammelplatz  und  die  Ausgänge 
aus  demselben  zu  disponiren  sind. 
4.  Für  schwere  Waarenballen,  sodann 
für  das  schwere  Gepäck  der  Passagiere 
müssen  eigene  Einfahrten  in  Räume 
zur  damit  vorzunehmenden  Manipulation 
und  Verladung  vorbedacht  sein,  auch  ist 
die  möglichst  directe  Verbindung  der  zu 
versendenden  Waaren  trän  Sporte   mit  der 


386 


Eisenbahn  zu  berücksichtigen.  Ist  mit 
dem  D^pöt  oder  Stationsplatz  ein  Maga- 
zininingsort  verbunden,  so  muss  eine 
bequeme  Communication  zwischen  diesem 
und  den  auf  der  Eisenbahn  anlangenden 
Lastwaggons  stattfinden.  5.  Für  Re- 
misen zur  Unterbringung  der  betreffen- 
den Personen-  oder  Lastwägen 
muss  vorgesorgt  sein  und  müssen  die 
Wagen,  falls  eine  leichte  Reparativ,  z.  B. 
Schmieren  der  RadbUchsen  u.  a.  m. 
nöthig  wird,  ohne  alle  Schwierigkeit  von 
der  Bahn  dahin  geschafft  werden  können. 
6.  Für  wichtige  Reparaturen  sollen  die 
nöthigen  Werkstätten,  als  Schmieden, 
Tischlereien  etc.  in  der  Nähe  angebracht 
sein.  7.  Kommen  Locomotive  in  den 
Stationsplatz,  so  muss  für  bequeme 
Verbindung  zwischen  ihrem  Ein  Stell- 
platz und  der  Bahn  gesorgt  werden, 
auch  ist  zu  erwägen,  dass  in  diesem 
Falle  Kohlenmagazine  und  Was- 
serreservoirs in  der  Nähe  anzuord- 
nen seien,  damit  sich  der  Dampfwagen 
mit  Wasser  und  Kohle  versorgen  könne, 
auch  müssen  die  zur  Instandhaltung  von 
dergleichen  mit  allem  Nöthigen  ver- 
sehenen Werkstätten  sich  in  Bereitschaft 
finden.  Nur  dann,  wenn  allen  diesen 
Bedingungen  gehörig  entsprochen  ist, 
wird  die  Circulation  der  Reisenden  und 
Guter  ohne  Hemmnisse  und  Störungen 
geschehen  können. i 

Aus  derselben  Quelle  [1^39]  erfahren 


SUdoD  Baden.  [1841.] 

wir,  dass  der  erste  Bahnhof  Wiens,  die 
•  Hauptstation  der  Nordbahn«  [vg-1. 
Abb.  249  sowie  Abb.  164  und  165,  Bd.  I, 
I.  Theil],  einen  6897Q"  [24.829  m*] 
grossen,  von  einer  8'  [2'5  m]  hohen,  mit  zwei 
Einfahrten  versehenen  Mauer  abgeschlosse- 
nen Kaum  umfasste,  aber  innerhalb  dieses 
regelmässig  als  Rechteck  gebildeten,  ebe- 
nen, 14'  [4'4  »i]  über  dem  umgebenden 
Terrainerhabenen  Plateaus  warendie  Hoch- 
bauten nach  ihren  verschiedenen  Zwecken 
gruppirt  und  durch  Geleise  verbunden,  für 
alle  einzelnen  Bedürfnisse  warnach  der  herr- 
schenden Ansicht  in  möglichst  reichlicher 
Weise  vorgesorgt.  »Dieser  Raum«,  heisst  es 
in  der  citirten  Beschreibung,  »ist  in  drei, 
nach  den  Erfordernissen  des  Betriebes,  be- 
stimmte Abtheilungen  gesondert,  und  zwar 
in  den  Raum  für  den  Personenverkehr, 
in  jenen  für  die  Manipulation  mit  den 
.Maschinen  und  endhch  in  jenen  für 
den  Waarenverkehr.  In  der  ersteren 
befindet  sich  das  Haupt-  und  Auf- 
nah m  s  g  e  b  ä  u  d  e  für  die  Passagiere  und 
die  Wagenremise,  in  der  zweiten  die  Re- 
mise für  die  Locomotive  n,  das 
Heizhaus,  das  Kohlenmagazin,  die 
Werkstätten  für  Schmiede,  Schlosser, 
Drechsler,  Tischler,  Sattler  etc.  und  das 
Wohngebä ud e  des  Maschinen- Direc- 
tors.  In  dem  dritten  Räume  endlich  steht 
das  grösste  Gebäude,  welches  das  k.  k. 
ZoHamtslocale  und  das  Waaren- 
magazin enthält.»  [Vgl.Abb.i79undl8o.] 


387 


Abb.  151.    ADlicbt  d 


«.  [18*5.1 


So  sehen  wir  bei  dieser  ersten  Wiener 
Bahnhofs  anläge  schon  alle  wichtigen,  fUr 
den  Eisenbahn -Hochbau  charakteristischen 
Gebäude- Typen  vertreten,  denen  die  wei- 
tere Entwicklung  nur  wenige  und  unter- 
geordnete Gattungen  hinzuzufügen  hatte. 
Nur  in  der  Art,  wie  dieseTypen  ausgebildet 
wurden,  wie  sie  räumlich  wuchsen  und 
formal  an  Ausdruck  gewannen,  darin 
können  wir  die  eingreifende  Thätigkeit 
des  Eisenbahn- Architekten  beobachten. 
Betrachten  wir  das  Hauptgebäude 
der  Nordbahn  [vgl.  Tafel  I,  Fig.  II] 
näher,  so  erfahren  wir  aus  der  alten 
Beschreibung  darüber  folgendes:  »Der 
Zugang  für  die  Reisenden  lag  im 
Mittel  des  Verwaltungshauses,  welches 
folgende  Räume  und  Bestimmungen  hatte : 
Vom  Vestibüle  des  Erdgeschosses  gingen 
die  Personen,  welche  in  den  Wagen  ersten 
und  zweiten  Ranges  fahren  wollten,  in 
das  mit  dem  Anfange  der  Bahn  in  der 
Waage  liegende  erste  Geschoss  Über  die 
erste  Stiege  und  lösten  die  Fahrbiilets 
an  der  Gasse  im  ersten  Stock.  Ein 
Raum  daselbst  diente  als  Saal  für  die 
Fahrenden  in  den  Wagen  II.  Glasse,  ein  ' 
Raum  für  die  der  I,  Classe  und  ein 
Saal  für  die  der  III.  Classe,  welche  ihren 


besonderen  Aufgang  über  eine  zweite 
Treppe  hatten,  indem  sie  vorher  die 
Billets  an  der  Gasse  im  Erdgeschoss 
zunächst  der  Stiege  nahmen.  Die  übrigen 
Räume  des  Stockwerkes  waren  für  das 
Mautheinnehmeramt  und  die  ZoUgefälls- 
wache  bestimmt  sowie  für  das  Polizei- 
personale, welches  die  Pässe  der  An- 
kommenden und  Abgehenden  zu  unter- 
suchen hatte.  Im  Erdgeschosse  des  Ge- 
bäudes waren  gegen  die  Strasse  zu 
Wohnimgen  für  das  Dienstpersonale  und 
rückwärts  Keller  und  Räume  zur  Luft- 
heizung.  Im  zweiten  Stockwerke  des 
Gebäudes  waren  Säle  für  Kanzleien  des 
technischen  Personales  und  Wohnungen.« 
Wir  sehen  also  auch  im  Detail  bereits 
für  die  wichtigsten  ■  Raumbedürfnisse 
des  Personenverkehrs  Vorsorge  getroffen, 
wenn  dies  auch  vorläufig  nur  in  beschei- 
denem Umfange  rUcksichtüch  der  Aus- 
masse und  Ausstattung  geschehen  konnte. 
So  vorsorglich  man  nun  bei  der 
Anfangsstation  mit  der  Disponirung  vor- 
gegangen war,  so  sehr  war  man  oft  auf 
der  Strecke  geneigt,  mit  provisorischen 
Anlagen  der  Entwicklung  der  Verhält- 
nisse Spielraum  zu  geben.  Die  Dar- 
stellung der  Station  »Wagram«  zeigt 
25- 


n  Sagor.  [Cllll-Latbacb.)  [SUdllibe  StaaUbahDcn,  iB^ii.) 


uns  den  Zustand  vom  Jahre  1839.  Ein 
Hauptgebäude  [vgl.  Abb,  250,  ferner 
Bd.  I,  I .  Theil,  Abb.  1 54  und  Tafel  I,  Fig.  I] 
aus  verputzten  Kiegelwänden  enthält 
den  Locomotivschupfen,  die  Wasser- 
station, den  Kohlenschupfen,  Kanzlei- 
und  Warteräume,  daneben  sind  nicht^^ 
weniger  als  drei  ebenso  grosse  Gast- 
häuser und  eine  Verkaufsbude  errichtet, 
welche  für  das  neugierige  Publicum  be- 
stimmt waren,  das  dem  Anblick  der  in 
die  hölzerne  Halle  einfahrenden  Züge  zu 
Liebe  dort  verweilen  wollte.  Die  Neuheit 
des  Unternehmens 

brachte  es  mit  sich, 
dass  selbst  eine  von 
der  Natur  stiefmütter- 
lich behandelte  Ge- 
gend zu  einem  Ziel 
für  Lustfahrten  wurde, 
und  dass  aolchen  Ver- 
hältnissen    von     den 

Bahnverwaltungen 
Rechnung       getragen 

werden  musste.    Aber  Abb.  154-   siaiiun  ; 

auch    in  Wien  selbst  '" " 

konnte  es  geschehen,  dass  ein  Hauptbalin- 
hof  mit  Rücksichtnahme  auf  solche  dem 
Eisenbahn- Verkehr  nicht  direct  entnom- 
mene Bedürfnisse  projectirt  wurde.  Die 
zweite,  im  Jahre  1 840  erbaute,  grosse 
Bahnhofsanlage  vor  der  Belvederelinie 
am  Ausgangspunkte  der  Wien-Glogg- 
n  i  t  z  e  r  und  Wien -Pressburger 
Liniehatte  die  Form  eines  gleichschen- 


keligen    Dreieckes.  *)    «Die  zwei  gleichen 
Schenkein  stiessen  nach  der  Stadt  zu  unter 
beinahe  rechtem  Winkel   zusammen   und 
ihnen  entlang  waren  die  eigentlichen  Bahn- 
höfe für  die  Bahn  nach  Neustadt  und  Press- 
burg projectirt.  Zwischen  den  beiden  >co- 
lossalen«    Personen  hallen,   wovon  jedoch 
erst  die  eine  an  dem  Ausgangspunkte  des 
Neustädter  Flügels  errichtet  wurde  [1842], 
befindet  sich  ein  schöner,  freier  Raum  zum 
Vorfahren  und  Aufstellen  von  Equipagen. 
Die  hintere  Seite  dieses  Vorplatzes  wird 
von  der  Terrasse  eines  grossen,  drei- 
stöckigen Gebäu- 
desbegrenzt, dessen 
Hauptfront  nach  Wien 
zu  gerichtet  ist.    Die 
Gesellschaft    hat    die 
herrliche  Aussicht,  die 
dieser  Punkt  gewährt, 
zu  ihrem  Vortbeile  be- 
nutzt   und    die   eben- 
erdigen      Locali  täten 
des       eben genannten 
eioui.  iHrunn-Prdg.]  Hauscs      ZU      einem 

""""""'  '^"^  Gasthauslocale 

eingerichtet.  Die  oberen  Etagen  enthalten 
Wohnungen  f U  r  Beamte,  das  Ba  u- 
und  die  verschiedenen  Administra- 
tions-Bureau x,  dann  einen  Saal  für  die 
Generalversammlungen.  *  Durch  die  räum- 
liche   Entfernung    von  dem  Centrum  der 

■'1  Vgl  Bd.  I,  1.  Theil,  Abb.  179  und  im 
Ahsduiittc:  I)nhnhofsanlaf;ea  vonE.  R eitler, 

.Abb.  1N4,  [S5  und  197. 


3«« 


Stadt  waren  hier  besondere  Verhältnisse 
{jegcben,  welche  eine  Vergrösserung 
des  Bauprogramm  es  bedingten.  Die  Ab- 
trennung der  Restauration,  der  Bureaus 
und  Wohnungen  vom  Haupt-  und  Em- 
pfangsgeltäude  ergab  für  dieses  eine  eiii- 
fache  Üisponiruiig  der  Räume;  dazu  kam 
noch  die  Stellim^  des  Gebäudes  vordem 
Ende  der  Geleise,  welche  ihm  die  erleich- 
terten Bedingungen  und  die  Kennzeichen 
eines  .Kopfgebäudes,  [vgl.  Tafel  I, 
Fig.  III  sowie  Bd.  1.  Abb.  174  und  175] 
gaben.  Die  Gleichheit  der  Verhältnisse  be- 
züglich der  Niveaux  von  Bahn  und  Zu- 
fahrtstrasse mit  jenen,  die  beim  Wiener 
Nordbahnhofe  massgebend  waren,  gestattet 
eine  Gegenüberstellung  beider  Empfangs- 
gebäude als  Typen  verschiedener  Systeme, 
Was  beim  Xordbahnhofe  in  einem 
Längsgebäude  parallel  zu  den  Ge- 
leisen bei  geringer  Gebäudetiefe  an 
Räumen  nebeneinander  gereiht  war,  er- 
scheint hier  in  gedrängter  Anordnung 
und  geschlossener  Form  vor  den  Köpfen 
der  Geleise,  bei  schmaler  Fa^adcnbil- 
dung  und  tiefer  Grundrissform.  An- 
stossend  an  da.s  geräumige  Vestibüle, 
das  hier  zum  Hauptraum  wurde,  lag   im 


Strassengeschoss  dem  Ein  gange  gegen- 
über das  Cassalocale  für  die  drei  Classen, 
seitlich  die  Gepäcksexpedition ;  symme- 
trisch lagen  zwei  zweiarmige  Stiegen, 
eine  als  Zugang  zur  Personenhalle,  eine 
als  Abgang  für  die  Ankommenden  be- 
nützt; letztere  führte  zu  einer  Arkade, 
vor  der  auf  der  Strasse  das  städtische 
Fuhrwerk  aufgestellt  war.  Das  Bahn- 
geschoss  enthielt  nur  für  die  Passagiere 
I.  und  n.  Classe  Warteräume;  die  86' 
[33'5  '«]  breite  und  370  [l  16-9  m]  lange 
l'ersonenhalle,  welche  sich  in  der  ( 'lehäude- 
breite  anschloss,  sollte  mit  ihrem  Kopfper- 
ron und  den  beiden  Längsperrons  gleich- 
falls als  Warteraum  dieiien.  Es  ist  kein 
Zweifel,  dass  die  Geschlossenheit  dieser 
Grundrissform  dem  Architekten  für  die  Aus- 
bildung der  Baumasse  günstiger  und  gefü- 
giger erscheinen  musste.  Doch  gestattete 
die  nothwendige  Rücksicht  auf  die  Mög- 
lichkeit einer  Weiterführung  der  Linie  über 
ihren  Ursprung  hinaus  nur  selten  die  An- 
wendung von  Kopfgebäuden;  kam  man 
doch  in  BrUnn  wenige  Jahre  nach  Erbauung 
der  ersten  Bahnhofsanlage  zu  der  Ncith  wen- 
digkeit, das  als  Stirngebäude  ausgeführte 
Haus    [vgl.    Abb.    hji,  Bd.  I,    1.   Theil| 


I  M   H — '- — I 1 1 1 


!"w"^jF" 

■ 

J6/tArt 

" 

y          i 

||     WI,        J 

1                              £.a* 

II            y 

1  1^-^ 

-/itjbi«fl 

n-,^ 

■ 

"1 

- 

- 

r 

"■H     I  h  I  j ,,..  ■!  ■  '  J_H  I  r-i,n,r 


aiftsin.    |Nn,Jh,,hn  iNig.]     II.  AiitnahiusgcMud,  Wien  J 

Jüchen  S.aa,shahn,.o.     (Wicn-CIOBgntl*  iS«,]     IV.  Auf. 

G.  Ger^ck     C   f-tifi.     \V.  \Varl«aal.    Wo.  WobDuiij 


demoliren  zu  müssen,  weil  die  Fortsetzung 
der  Linie  erfolgte. 

Eine  Längsgebäude -Type  der  Wien- 
Gloggnitzer  Bahn  führt  unsere  Abbildung 
vom  Aufnahmsgebäude  Baden  [Abb.  251] 
vor  Augen. 

Principiell  wichtig  für  die  späteren  An- 
lagen war  die  Schaffung  einer  geräumigen 
Personenhalle  in  Wien,  die  allerdings 
noch  mit  hölzernem  Dachstuhle  aber  in 
freigebigem  Ausmasse  hergestellt  war. 
[\'al  Abb.  175,  Bd.  I,  i.Theil.]  Es  wurde 
seitdem  fast  keine  grosse  Endstation  mehr 
ohne  Personenhalle  projectirt  und  selbst 
die  Zwischen  Stationen  erhielten  in  reich- 
lichem Masse  sogenannte  •  Einsteighallen  •, 
welche  eine  Eigenthümlichkeit  der  ältesten 
Stationsanlagen  bilden.  Von  der  primitiv- 
sten Ausbildung  in  reiner  Holzconstruction 
[vgl.  Abb.  163,  Bd.  I,  I.  Theil],  wie  sie  die 
ältesten  Nord  bahn  Stationen  aufweisen, 
ging  man  auf  die  Anwendung  von  Stein- 
pfeileni  mit  Dächern  in  Holz-  und  Eisen- 
constructionen  über.  [Abb.  172,  Bd.  1, 
I.  Theil.]  Diese  Hallen  waren  ein-  oder 
mehrschiffig,  je  nach  der  Zahl  der  zu 
überdeckenden  Geleise,  und  erhielten 
nur  in  grossen  Stationen  seitlichen  Ab- 
schlus  sdurch  Fenster  wände. 

Nicht  immer  war  es  möglich,  diese  Ob- 
jecte  unmittelbar  an  die  Flucht  des  Stations- 
Gebäudes  anzuschli essen,  wie  z.  B.  in 
Gloggnitz  [vgl.  Abb.  245,  Bd.  I,  i.  Theil], 
sondern  recht  häufig  bildeten  die  Hallen 
selbständige  Baulichkeiten,  standen  oft 
mitten  in  den  Geleiseanlagen  der  Stationen 
und  waren  nicht  immer  mit  den  Gebäuden 


',  durch  Gänge   verbunden,   da    letztere  in 

I  kluger  Voraussicht  einer  späteren  Geleise- 

vermehnmg    oder    aus    anderen  Gründen 

I  oft  recht  weit  von  den  Geleisen    wegge- 

!  rückt   waren.    Auch   bei  Magazinen  war 

man   für  den   Schutz   der  Wagen  gegen 

Witterungseinflüsse  besorgt,  und  wo  man 

nicht  direct  in  die  Waareninagazine   ein- 

I  fuhr,     wendete    man    seitlich    angebaute 

I  Wagenhallen  an ;    erst  später  entstanden 

aus    den    Hallen   Veranden,     aus  den 

Anbauten  der  Magazine  Vordächer. 

I  Bei     gewissen    Endstationen    spielten 

die  Waarenmagazine  eine  wichtige  Rolle. 

■  So  hatte  Leipnik  [1842]  den  ganzen 
Frachten  verkehr  von  Galizien  und  Schle- 
sien längere  Zeit  als  Endstation  der  Nord- 
bahn aufzunehmen.     Die  Bahnhofsanlage 

I  war  von  einem  dreithorigen  Portal  abge- 

■  schlössen.  [Vgl.  Abb.  190,  Bd.  I,  i.  Theil,] 
Empfangs gebäude  und  Magazin  waren 
genau  gleich  gross,  38*  [72  »1]  lang  und 
4°  [7-6  w(]  tief,  einander  gegenüber  ge- 
stellt, und  schlössen  fünf  Geleise  derart 
ein,  dass  auf  jeder  Seite  das  zunächst- 
liegende Geleise  von  einem  durch  Pfeiler 
gestützten  Vorbau  geschützt  war. 

Olmütz  hatte  [iS42]  ähnliche  DJmen- 
sionirung  und  Anordnung  bei  seiner  ältesten 
Bahnhofsanlage.  [Vgl.  Tafel  1,  Fig.  IV, 
Abb.  187,  Bd.  1,  I.  Theil.]  Nur  waren  hier 
die  vier  Geleise  zwischen  Magazin  und 
Empfangsge bände  von  einem  9'/^*'  ['8  m] 
weiten  hölzernen  Hallendach  überspannt. 
Diese  Gebäude  waren,  mit  Rücksicht  auf 
die  nahe  Festungsanlage,  nur  aus  verputz 
ten  Riegel  wänden  hergestellt,  und  mussten 


lange  als  Provisorien  ihren  Dienst  machen. 
Die  Grün drissanord nun g  dieser  Aufnahms- 
gebäude ist  typisch  geworden.  In  langge- 
streckter Form,  bei  möglichst  geringerTiefe 
der  Tracte,  enthalten  sie  die  wichtigsten 
Räume  nebeneinander  gereih t.  Das 
Vestibüle  liegt  in  der  Mitte  und  enthält  dem 
Eingang  gegenüber  die  Gepäcksaufgabe 
und  die  Gassen ;  seitliche  Eingänge  führen 
zu  den  Wartesälen  dircct,  ohne  Gänge.  Re- 
staura tionslocali  täten  wurden  sogar  unmit- 
telbar von  der  Strasse  zugänglich  gemacht. 
Bei  kleineren  Stationen  fand  natürlich 
eine  weit  compendiösere  Form  der  Grund- 


seiben Hause  zu  liegen.  Dann  erhält 
das  Gebäude  ein  noch  weniger  charakte- 
ristisches Aussehen,  das  von  dem  ein- 
fachen kleinstädtischen  Wohngebäude 
wenig  abweicht,  [Vgl.  Abb.  253—355 
sowie  Tafel  II,  Fig.  7,  8,  9  und  10  und 
Bd.  l.   I.  Theil,  Abb.   158.] 

Remisen  für  Wagen  sind  sehr  zahl- 
reich in  den  Endstationen  disponirt,  da 
man  die  theilweise  unbedachten  Personen- 
wagen nicht  im  Freien  aufstellen  konnte. 
Remisen  für  Locomotive  wurden  oft 
ähnlich  den  Wagenremisen  angeletit; 
die     »Heizhäuser»     waren     getrennt 


risse  Anwendung ;  man  war  noch  bestrebt, 
verschiedenen  Zwecken  dienende  Anla- 
gen in  einem  Gebäude  zusammenzufassen. 
Die  Wasserstation  spielt  dabei  eine  we- 
sentliche Rolle.  Sie  musste  stockhoch 
sein,  um  die  grossen  HoJzbotliche  für 
das  Speisewasser  der  noch  kleinen  Loco- 
motiven  hoch  genug  zustellen;  darunter 
war  der  Brunnen  [mit  einer  gar  oft  nur 
durch  die  Hand  bedienten  Pumpe]  und  , 
ein  gemauerter  Kessel  zum  Warmen  des 
Wassers  angeordnet,  Naturgemäss  nahm 
diese  Anlage  die  Mitte  des  Gebäudes 
ein,  wo  die  Wartesäle  und  Kanzleien 
durch  ebenerdige  Anbauten  angefügt 
werden  konnltn.  Wo  das  erste  Stock- 
werk für  W'iilmunf^'en  ausgenützt  wurde, 
kommen   die   iv't.sc-rvoire    seitlicli  iii  d^-ni- 


udee  der  Kaiserin  EllsdOelta-Uabn.  [iSjg.] 

von  diesen  als  selbständige  kleine  Ge- 
bäude meist  mit  einer  Wasserstation  ver- 
bunden ;  sie  hatten  die  Locomotive  mit  vor- 
gewärmtem Wasser  und  mit  Kohlen  zu  ver- 
sorgen und  standen  daher  an  den  .Stations- 
enden bei  der  Ein-  und  Ausfahrt.  Charak- 
teristisch ist  die  Anlage  des  Briinner 
Bahnhofes  [1839].  [Abb.  157  und  159, Bd.  I, 
I.  Theil  sowie  Abb.  181  und  182,  Bd.  II.] 
Vor  der  Einfahrt  in  die  freistehende  drei- 
schiflige  Wagenhalle,  hinter  der  das  frei- 
stehende, ijuergelegte  Aufnahmsgebäude 
.■iich  erhob,  wurden  s_\nimclrisch  zwei  pa- 
villonarttge  Remisen  errichtet;  eine  für 
Wagen,  eine  für  Locomotive.  -Jede  bildete 
ein  regelmässiges  Zwölfeck,  von  13" 
[22-S  Hl]  Durchmesser,  älinlich  jenen  der 
London-  Birminnliam- Hahn   [vgl.  Kopf- 


R 


i     . 


leiste  S.  383]  im  Mittelpunkt  mit  einer 
grossen  Drehscheibe,  nach  welcher  die 
zwölf  Geleise  radialiter  zusammenliefen.' 
Wir  haben  hier  die  älteste  Form  der  später 
so  verbreiteten  polygonalen  Heizhäuser 
vor  uns.  Zunächst  der  Locomotivremise 
und  mit  ihr  in  Verbindung  standen 
Werkstätten  für  die  Schlosser,  Drechsler 
etc.  und  in  einiger  Entfernung  das  Heiz- 
haus*   [für  zwei  Maschinen]. 

Die  ersten  Staatsbahnbauten. 

Mit    dem  Eingreifen    des  Staates    in 
die  Angelegenheiten  des  Eisenbahnbaues 
erfährt  auch  der  Hochbau  eine  merkliche  , 
Förderung.  Die  Behandlung  der  Aufgaben 
gewinnt   an  Grossartigkeit    und  Einheit-  I 
lichkeit.  Der  bald  nach  der  Brilnner  Anlage  j 
vom  Staate  errichtete  Prager  Bahnhof  j 
[1844]  [Abb.  252  und  211,  Bd.  I,  i.  Thetl 
sowie  Abb.   187,  Bd.  II]  zeigt  eine  weit- 
gehende Rücksichtnahme  auf  künftit^e  Be-  1 
dürfnisse,  so  dass  er  durch  lange  Zeit  ohne  | 
wesentliche  Veränderung  bestehen  konnte 
und  in  seinen  Hochbauten  theilweise  noch  j 
heute  entsprechende  Dienste  leistet.     Bei 
dieser  Anlage  sehen  wir  zum  ersten  Male,  ' 
allerdings  durch  die  Lage  der  Gebäude  vor  1 
und  hinter  den  Prager  Festun gs mauern  von   j 
vornherein  bedingt, einedeutlicheXrennung 
des   Personenbahnhofes    vom    Manipula- 
tionsbahnhofe,  hier  ^innerer"  und  'äusse-  1 
rer"    Bahnhof   genannt.     Die    Thore    der 
Festungsmauem  waren  in  den   mittleren 
sechs  Oeffnungen  für  Wagenremisen  be- 
stimmt;   ausserdem    gab  es  im    äusseren 
Bahnhofe  noch  drei  Remisen  für  Personen- 
wagen und  eine  Remise  für  Locomotive; 
diese  grosse  Zahl  von  Räumen,  welche  nur 


zum  Schutze  der  Personenwagen  gegen 
Witterungseinflüsse  bestimmt  waren,  ist  ein 
charakteristischer  Zug  ältester  Bahnhofs- 
anlagen, welcher  immer  mehr  verschwin- 
det, je  mehr  die  Verbesserung  der  Wagen- 
construction  ihre  Wetterbeständigkeit  ins 
Auge  fasst.  Sämnitliche  Hochbauten  des 
Prager  Bahnhofes  zeigen  einen  einheit- 
lichen Rundbogenstil  mit  einfachen 
Schmuckfomien  und  ansehnlichen  Ver- 
hältnissen. Dem  Aufnahms  gebäude 
mit  seiner  Abfahrtshalle  ist  ein  eigenes 
Ausgangsgebäude  mit  einer  An- 
kunft s  halle  derart  gegenübergestellt, 
dass  eine  Galerie  und  die  Untersuchungs- 
halle für  die  Zollbehörden  den  Uebergang 
vermitteln.  Auch  hierin  also  eine  Trennung 
nach  Verkehrsbedingungen.  Das  Haupt- 
gebäude ist  durch  Thürme  besonders 
betont  und  zeigt  in  seinem  Grundriss 
eine  sehr  bemerkenswerthe  Ausbildung 
derjenigen  principiellen  Anordnungen, 
welche  im  OlmUtzer  Aufnahmsgebäude 
angedeutet  erscheinen.  Das  geräumige, 
in  der  Mitte  angeordnete  Vestibüle  schliesst 
sich  an  einen  62*  [il7'6  m]  langen  und 
14'  [4-43  w]  breiten  Gang,  welcher  in 
die  ebenerdigen  Tracte  zu  beiden  Seiten 
des  zweistöckigen  Mittelbaues  übergreift 
und  den  Zugang  zu  sämmtlichen  wichtigen 
Räumen  vermittelt.  Das  Vestibüle  ist  nur 
eine  centrale  Erweiterung  dieses  Ganges, 
um  für  (fassen  und  Gepäckaufgabe  ge- 
eignete Plätze  zu  schaffen  und  einer  an 
dieser  Stelle  zu  erwartenden  grösseren 
Menschenansammlung  Raum  zu  geben.  Der 
gesammte  Flächeninhalt  der  Abfahrts- 
localiläten  betrug  schon  nahe  an  lOOO  [j* 
[3597  ;«^].  Dieses  Grundrissschema  gibt 
eine  noch  heute  allgemein  gebräuchhche 


Lösung  der  Aufgaben  eines  Längsgebäu- 
des, wie  sie  späterhin  unzählige  Male  in 
den  verschiedensten  Dimensionen  zur  Aus- 
führung gelangte. 

Die  Linie  Olmütz-Prag  hatte  aber 
auch  für  die  Übrigen  Stationsgebäude 
massgebende  Typen.  Es  ist  begreiflich, 
dass  man  mit  den  häufiger  werdenden 
Hochbau  aufgaben  und  der  naturgemässen 
Wiederholung  ähnhcher  Bedingungen 
darauf  geführt  wurde,  die  Anordnung  der 
Stationen  sowie  die  Anlage  der  Gebäude 
durch  bestimmte  Typen  zu  generali- 
siren.  Die  Wien-Gloggnitzer  Linie  hatte 
drei  Classen  von  Stationsanlagen  unter- 
schieden. »Für  sämmtliche  Staatseisen- 
bahnen des  österreichischen  Staates  wurde 
die  Bestimmung  gegeben,  dass  die  ver- 
schiedenen Stationsplätze  je  nach  der 
Wichtigkeit    des     nächstgelege- 


So  ist  der  älteste  Bahnhof  in  Pest 
[1846]  [Abb.  195,  Bd.  r,  I.  Theil]  eine  Kopf- 
station mit  grosser  Hallenanlage  gewesen, 
während  die  übrigen  Stationen  der  >Üngari- 
schen  Centralbahn«  [Pest-Waitzen,  Pest- 
Szolnok  und  Marchegg-Pressburg]  sich 
nach  weit  bescheideneren  Typen  ordnen 
Hessen.  Insbesondere  dort,  wo  die  Han- 
delsverhältnisse Stapelplätze  von  beson- 
derer Wichtigkeit  schufen,  war  auch  die 
Bahnhofsanlage  mit  speciellen  Vorkeh- 
rungen einzurichten. 

Eine  Anlage  solcher  Art  war  der 
Staatsbahnhof  in  Triest.")  [1857.] 
Hier  war  im  Gegensatz  zu  den  bisher  be- 
trachteten Fällen  gerade  der  Gütertrans- 
port besonders  massgebend  und  durch  die 
Verbindung  mit  einer  neuen  Hafenanlage 
erwuchsen  technische  Schwierigkeiten 
besonderer    Art.       Der    Personenverkehr 


nen  Ortes  in  fünf  Classen  einzu- 
theilen  seien.«  Die  kleinste  Type  bestand 
nur  aus  einem  Wächterhaus  mit  Wasser- 
station.  Dann  wuchs  die  Zahl  der 
Warteräume  im  Gebäude,  aber  die 
Wasserstation  blieb  noch  damit  combinirt ; 
dann  wurde  die  Wasserstation  dem  Auf- 
nah msgebäu  de  gegenüber  als  selbstän- 
diger Bau  errichtet  und  bei  grösseren 
Typen  mit  Remisen  und  Werkstätten 
combinirt.  Endlich  erhielt  das  Auf- 
nah  msgebäude  noch  eine  Personenhalle 
derart  vorgestellt,  dass  der  Verblndungs-  1 
gang  zwischen  beiden  Objecten  rechts 
und  links  mit  Wartesälen  eingeschlossen 
werden  konnte. 

Die  Endstation  bildete  als  Sitz  der  . 
Verwaltung  eine  Anlage  von  erhöhter 
Wichtigkeit  und  entwickelter  Ausbildung ; 
hier  traten  am  häufigsten  abnormale  Ver-  I 
hältnisse  auf,  welche  eine  Abweichung 
von  generellen  Typen  und  Anpassung 
an  locale  Bedingungen  noth  wendig 
machten. 


spielte  ausnahmsweise  eine  untergeordnete 
Rolle,  so  dass  das  Aufnahmsgebäude  bis 
zum  Jahre  1883  auf  seine  definitive 
Gestaltung  warten  musste  und  inzwischen 
durch  ein  Provisorium  ersetzt  wurde. 
Hingegen  machten  die  übrigen  Erforder- 
nisse den  Bahnhof  damals  zur  grOssten 
Anlage  der  Monarchie.  Infolge  der  noth- 
wendig  gewordenen  Uebersetzung  der  neu- 
en Lazarethanlage  mi  teinem  96"  langen 
und  theilweise  mil  einer  Art  Glasveranda 
überdeckten  Viaduct  mussten  zwei  Etagen 
angelegt  werden,  von  denen  die  obere  mil 
der  Geleiseanlage  32'  [10  m]  und  die  untere 
mit  den  Zu fahrts Strassen  und  Quaimaueru 
des  Hafens  9'/»'  [3  "*]  ^^^^  dem  Meeres- 
spiegel lag.  Zusammen  umfassten  die 
beiden  Plateaux  eine  Fläche  von  55.000  |~i'* 
[197.800  w(*]  von  der  ober  40.000  G" 
[143.900  m*]  der  See  durch  Anschüttung 
abgewonnen     wurden.       Die     Auf-     und 

•I  Vgl.  Bd.  II,  E.  Reitler,  Bahnhofs- 
anlagen, Abb.  205 und  Bd  1, 1  Theil, H.  S  t  r ach. 
Die  ersten  Staatsbahnen,   Abb.  iHo  und  281. 


3<)6 


Abirabsmagaziae      enthielten      in      ihren 
beiden    Geschossen  zusammen  860O  fj" 
[30.928  wi*]  Lagerfläche.    Es  waren  dies 
die    wichtigsten     und     hervorragendsten  ; 
Hochbauten    der    ausgedehnten    Anlage, 
welche  gleich  von  Anfang  an  eine  massive 
Durchführung  erfuhren.    Wie  man  sieht, 
hat  es  auch  den  ersten  Bahnhofsanlagen  ' 
Oesterreichs  nicht    an  Grossartigkeit  ge- 
fehlt und  haben  alle  neuen  und  wichtigen 
Aufgaben  des  Eisenbahn-Hochbaues  schon  , 
die     Pionniere     dieses     Faches      zu     be-   ; 
schäftigen  gehabt;  wenn  auch  im  Anfange 
allerdings  nur   die,  technische  Seite    der 
Lösungen  mit  besonderer  Aufmerksamkeit 
behandelt  wurde. 

Es  ist  natürlich,  dass  die  architek- 
tonische Ausgestaltung  der  grösseren 
Hochbauten,  das  ist  insbesondere  der 
Aufnahms-    und    Empfangsgebäude    von  | 


Verhältnisse  zu  jener  Zeit:  »Auch  Nobile's 
Nachfolger  in  Amt  und  Würden,  Hofliau- 
rath  Paul  Sprenger,  bewegte  sich  an- 
fangs in  den  ihm  vorgezeichneten  Bahnen 
und  was  das  Bezeichnendste  seiner  ganzen 
Stellung  war,  er  bureaukratisirtc  die 
^anze  Architektur  von  Staats  wegen. 
Handelte  es  sich  um  die  Errichtung  eines 
öffentlichen  Gebäudes,  so  musste  der 
Hofbaurath  nicht  nur  sämmtliche  Pläne 
gutheissen,  sondern  in  wichtigeren  Fällen 
wurden  Pläne  am  Sitze  der  obersten 
Baubehörde  von  den  dort  fungirenden 
technischen  Beamten  selbst  entworfen, 
wobei  Sprenger  als  ein  einflussreiches 
Mitglied  dieser  Staatsbehörde  entweder 
die  leitenden  Ideen  angab  und  die  Slil- 
gattung  bestimmte,  oder  auch  fremde 
Ideen  nach  seinem  Geschmack  modi- 
(icirte,  •      —      » Um      das     Jahr       i  S40 


dem  herrschenden  Geschmack  jener  Tage 
abhängig  war,  in  weiche  der  Beginn  der 
•  Eisenbahnzeit,  fällt.  Ein  Bericht  Uberdie 
Münchner  Kunstausstellung  desJahres  1 838 
in  Förster's  Bauzeitung  charakterisirt  ' 
diesen  Geschmack  sehr  gut,  indem  er  sagt : 
»In  der  heurigen  Kunstausstellung 
zeichnete  sich  zur  Freude  aller  gebildeten 
Bautechniker  der  Architektensaal  durch 
seine  ebenso  gut  durchdachten,  als  rein- 
lich gezeichneten  Pläne,  wovon  die 
meisten  zu  Prachtgebäuden,  aus,  denn 
fast  alle  trugen  sichtlich  das  Gepräge 
eines  reinen,  nüchternen  Bau- 
stiles, in  Bezug  der  Anordnung  der 
Fa^-aden  sowohl,  als  der  Vermeidung 
jeder  widersinnigen  Constniction  und 
barocken  Form.  Als  Heros  glänzte 
H.  Rösner,  Professor  an  der  k,  k.  Aka- 
demie der  bildenden  Künste  in  Wien.«  . 
Uem  Führer  durch  .Alt-  und  Neu-Wien-, 
welcher  1S65  vom  OesterreiL-hi sehen  In- 
genieur- und  Architekten-Verein  heraus- 
gci;cben  wurde,  entnehmen  wir  ferner 
folj^ende  Stelkn    (lh,.-r    dii;    WiL^noi'  Bau- 


herum  begann  auch  in  Wien  ein  Um- 
schwung der  Anschauungen  in  Bezug 
auf  das  Wesen  und  die  Bedeutung 
monumentaler  Bauten  fühlbar  zu  wer- 
den. Der  Huf  ausgezeichneter  Leistun- 
gen in  verschiedenen  Städten  Deutsch- 
lands, die  brennende  Frage  Über  die 
Erfindung  eines  neuen  Baustils, 
die  erwachte  Begeisterung  für  mittelalter- 
liche Bauwerke,  gefördert  durch  eine  Reihe 
von  kunstarchäologischen  Schriften,  und 
die  Aufnahmen  von  alten  Bauwerken 
durch  wissenschaftlich  gebildete  Künstler 
drangen  auch  bis  an  die  Donaustadt, 
und  es  machte  sich  der  Eindruck  der 
deutschen  Kunstbewegung  vorerst  durch 
eine  kräftige  Opposition  gegen  den  Hof- 
baurath  Luft.. 

Natürlicherweise  sehen  wir  auch  im 
Eisenbahn-  Hochbau  diese  Verhältnisse 
sich  wiederspiegeln.  Hatte  noch  der  Lon- 
doner Bahnhof  derBirmingham-Bahn  [siehe 
Kopfleiste  S,  3)^1]  einen  strengen  dorischen 
l'ropyläen-liau  an  der  Stelle  des  Einganges, 
so  war  diL'Si-r  trocken  antikisirende  Baustil 


auch  für  den  ältesten  Noriibahnhof,  den 
Bahnhof  der  Gloggtiitzer  Bahn  in  Wien, 
bei  entsprechend  geringeren  Mitteln  für 
decorativen  Aufwand  massgebend.  Nach- 
dem die  Projectanten  der  Eisenbahn- 
Hochbauten  vielfach  aus  dem  Staatsdienste 
hervorgingen,  ist  die  äussere  Verwandt- 
schaft in  der  einfachen  Gestaltung  der 
Gebäude  leicht  zu  erklären;  es  entstand 
hiebei  eine  Art  officiellen  Baustils,  der 
umso  eher  angewendet  werden  konnte, 
als  die  Programmbedingungen  anfänglich 
an  'constructive  Ausbildung  und  räum- 
liche Ausdehnung  noch  keine  ungewöhn- 
lichen Anforderungen  stellten.  Bei  den 
niirdlichcn  Linien ;  der  Nordbahn,  der 
Olmütz-Prager  Linie  etc.  war  hauptsäch- 
lich Anton  Jüng- 
ling als  Architekt 
thätig. 

Bei  den  südli- 
chen .Staatsbahnen 
begegnen  wir  dem 
Architekten  Moriz 
Lahr,  welcher  da- 
zu    berufen     war, 

durch    lange    Zeit  ^^^b  »i.  Innsbruck 

auf  den  österreichi- 
schen Eisenbahn-Hochbau  Einfluss  zu  neh- 
men. [1838  —  1857.]  Wenn  er  einerseits 
durch  die  Schule  Stier's,  durch  Studien- 
reisen in  Italien,  durch  Antheihiahme 
an  den  Bauten  Sprenger's  künst- 
lerische und  praktische  Vorbildung  erhalten 
hatte,  so  waren  die  in  Gemeinschaft  mit 
Ghega  unternommenen,  sogar  bis  nach 
Amerika  ausgedehnten  Informations- 
reisen geeignet,  ihm  die  weitestgehende 
Kenntnis  der  bereits  zu  Tage  geförderten 
Resultate  des  Eisenbahnwesens  zu  ver- 
schaffen und  ihm  einen  weiten  Blick  zu 
sichern.  Dies  war  umso  wichtiger,  als 
Lühr  in  seinen  leitenden  Stellungen 
nicht  blos  als  .Architekt  zu  wirken  hatte, 
sondern  auch  Stations-  und  Betrieb s- 
anlagen,  ja  sogar  auch  Brücken  zu 
projectiren  und  auszufUhen  hatte. 

Unter  seinen  ersten  Mitarbeitern  ist 
Johann  S  a  I  z  m  a  n  n  zu  erwähnen,  der  mit 
der  Ausführung  der  ersten  Rohbauten  auf 
der  Semmeringbahn  [vgl.  Klamm  Abb.  248, 
Bd.  I,  I.  Theil  etc.]  einer  wichtigen  Aufgabe 
des  Eisenbahn  -  Hochbaues  zuerst  die 
nöthige    Rücksicht   zutheil    werden    liess. 


I  Es  wurde  sehr  früh  die  Xothwendigkeit 
I  erkannt,  der  Ueberwachung  und  Erhal- 
tung der  Hochbauten  möglichst  geringe 
Lasten  aufzubürden,  ohne  dabei  den 
guten  Geschmack  in  Bezug  auf  die 
äussere  Gestaltung  zu  beeinträchtigen. 
Dies  führte  zur  müghchsten  Ausnutzung 
des  wetterfesten  Baumaterials  auch  för 
decorative  Zwecke,  was  ausserhalb  Oester- 
reichs  schon  lange  in  Uebung  war. 

Ja  in  einzelnen  Grenziändem  Oester- 
reichs    kam    es  vor,    dass  die   Bahnhofs- 
anlagen   direi-t   durch    ausländische    Ein- 
wirkung  hervorgerufen  wurden.     So   ist 
im   ehemaligen  Krakauer   Gebiete   schon 
im  Jahre    1845    durch    die    Krakau-Ober- 
I  schlesisehe  Bahn    eine   grosse  und    sehr 
übersichtlich      dis- 
ponirte    Bahnhofs- 
anlage   geschaffen 
worden,         welche 
I  auch  eine  Halle  mit 
eiserner    Dachcon- 
struction     enthielt; 
Das     Aufnahmsge- 
bäude      Krakau 
[k.  k.  s.«i,i>«h,.,  ,S59).  [s-  Abb.  264]  war 

nach  dem  Schema 
;  der  Durchgangsstationen  angeordnet  mit 
einem  grossen  Längsgebäude  für  den  öffent- 
,  heben  Verkehr,  das  durch  einen  Mittelbau 
mit  niedrigen  Seitenflügeln  und   höheren 
Eckpavillons  gegliedert  erschien,  welchen 
letzteren  auf  der  anderen  Hallenseite  zwei 
Eckpavillons    für  Betriebslocalitäten  ent- 
I  sprachen.  Die  Architektur  des  einfachen 
'  Putzbaues  mit  flachen  Blechdächern  und 
.   Rund  bogen  Öffnungen    wies    auf    Berliner 
Einflüsse    hin.     In    dieser    Zeit    machten 
sich  auch  noch  von  anderer  Seile  deutsche 
Einwirkungen    fühlbar.    Im   Jahre    1847 
trat    der     .Verein     der    deutschen 
Eisen  bahn- Verwaltungen-    mit 
Anschluss    Oesterreichs    zusammen    und 
wenn  die  wohlthätige  Wirksamkeit  dieses 
'   Vereines    für    den  Hochbau    auch    nicht 
sofort     sehr    bedeutungsvoll    wurde,     so 
bildete    doch    der   Austausch    der   Erfah- 
I  rungen    und    des    Wissens    hervorragen- 
]  der    Fachleute    eine    Quelle    der    Anre- 
gung   und    Belehrung,    welche     in    der 
präciseren    Ausgestaltung    und    sorgfälti- 
geren   Durchführung     der     Bauten     zum 
,  Ausdruck  kam. 


Einführung  von   Normalien  für  den 
Hochbau.   Kaiserin  Elisabeth-Bahn. 

Von  grösster  unmittelbarer  Bedeu- 
tung war  der  Einfluss  Frankreichs,  welcher 
nach  Entstaatlichung  einzelner  Linien 
in  O esterreich  auftrat. 

Mit    der    Gründung    neuer     Gesell- 
schaften   begann    eine    Bewegung    sich 
Geltung  zu  verschafTen,   welche  dadurch 
geftirdert   wurde,    dass    zur   technischen 
und  administrativen  Leitung  der  Bahnen 
Persönlichkeiten  vom  Auslande  herange- 
zogen   wurden,    die    neue    Anregungen 
mitbrachten.     Insbesondere    ist   hier   die 
Thätigkeit     der     Staatseisen  bahn -Gesell- 
schaft  in  Un- 
garn    zu    er- 
wähnen.    Ge- 
neral-Director 
j.     Maniel, 
aus  Frankreich 
nach  Wien  be- 
rufen, verstand 
es,  den  in  sei- 
ner      Heimat 
sehr  entwickel- 
ten   Hochbau- 
Typen     durch 
Anpassung  an 

österreichische  ^,^  ^  ^^^^^^,  .^^  .^ 
Verhältnisse 

Eingang  zu  verschaffen.  Ihm  verdanken  wir 
die  ersten  gründlichen  Hochbau- 
Normalien.  Mit  äuss erster  Sorgfalt  wur- 
den für  den  Bau  deir  Linie  Szegedin-Temes- 
vär  [1856  bis  1857]  unter  Beobachtung  der 
ortsüblichen  Bauweise,  der  bei  den  Aus- 
führungen sich  ergebenden  Erfahrungen, 
für  alle  nur  voraussichtlichen  Fälle  und 
Detailfragen  mustergiltige  Zeichnungen 
angefertigt.  W.  Flattich  war  es  zuerst, 
dann  K.  Schumann  im  Verein  mit 
A.  Paul,  welche  diese  Arbeiten  unter 
Maniel's  directer  Beeinflussung  durch- 
führten. 

Der  Rohbau,  welcher  zuerst  bei  der 
Semmeringbahn  [vgl.  Station  Klamm,  Tafel 
11,  Fig.  7]  Verwendung  gefunden  hatte,  er- 
hielt nun  principieHe  Anwendung  für  alle 
constructiven  Theile,  wie  für  Gesimse, 
Lisenen,  Bögen  und  Einrahmungen  von 
Oeffnungen,  und  zwar  den  örtlichen  Ver- 
hältnissen entsprechend,  zuerst  als  Ziegel- 


rohbau.  Der  Putz  blieb  auf  glatte  Flächen 
I  beschränkt.    Auch  das  Dach  wurde  durch 
1  vorspringendeGiebelundTraufconstnictio- 
1  nen  mit  Verzierung  der  sichtbaren  Holz- 
,  theile   betont,    so    dass    im  Allgemeinen 
das   Hervorkehren    der    constructiven 
I  Principien   charakteristisch   war.    Im  In- 
j  nern     erhielten     die    Holzconstructionen 
I  durch    Heranziehung    von  Eisen    zu  Ar- 
'  mirungen  eine  leichte   und  elegante  Ge- 
\  staltung,  welche  sogar  mitunter  decorativ 
I  verwerthet    wurde,     z.    B.    als    sichtbare 
I  Holzdecke   von  Wartesälen,     Hiemit    er- 
;   scheint   durch   rationelle  Ausnützung    der 
I   Materialien  und  geschmackvolle  Benützung 
,  constructiver  Motive  eine  Charakterisirung 
des     Zweckes 
der     Gebäude 
mit  den  Anfor- 
derungen    der 
Bauöconomie 
verbunden.  Die 
Grundrissanla- 
gen zeigten  ins- 
besondere   bei 
den  Aufnahms- 
gebäuden klare 
und  knappe 
Anordnungen, 
welche  in  vie- 
™h..„<-   ™     I.      n  v     .a«!        len  Fällen  noch 

embefg-CieniowlIier  Buhn,  I8Ö6.]  .      .     r  ■    j- 

heute  befnedi- 
.  gende    und    oft    angewendete  Lösungen 
;  bilden.      So     zeigt    z.   B.    ein    Gebäude 
i   mittlerer  Grösse  Gross-Kikinda  [1857] 
!  eine     Gliederung      durch     Mittel-      und 
j  Eckpavillons    und    Z wisch entracte.     Das 
I  Vestibüle    mit   der  Gepäcksauf  gäbe    und 
I  den    Cassalocalen    hegt     in    der    Mitte. 
;   Links  sind  die  Wartesäle    mit  vorgeleg- 
,  tem    Gang;     am     Ende     hegt     der    Re- 
staurationssaal.     Rechts     sind     reichlich 
I  disponirte  Bureaux,  am  Ende  die  Locale 
für    die  Post.     Auch    das    Streben    nach 
hohen,      luftigen     und     hellen     Räumen 
I  findet  seinen  Ausdruck  durch  Entfernung 
I  der     Zwischendecken     und     Anordnung 
I  einer  sichtbaren  Dachconstniction  in  den 
I  Wartesälen,  die  durch  Untertheilung  des 
grossen     Raumes     mit    Hilfe     von     höl- 
zernen Zwischenwänden  entstehen.    Diese 
Anlagen    waren    als  Vorstudien    wichtig 
I  und  gaben  vielfach  Anregung  für  spätere 
;  Arbeiten. 


Unter  den   im  Entstehen    begriffenen 
neuen  Bahnen  erhielten  die  ungarischen, 
croatischen  und  Kärntner  Linien  der  späte- 
ren Sudbahn  für  den  Hochbau  Bedeutung. 
[Vgl.  Tafel  II,  Fig.  I  —6.]     Die  Berufung 
Etzel's  verschaffte  auch  hier  ausländischen 
Eingüssen  Geltung,  welche  sich  vorerst  in 
einer  klaren  Grundriss-Disposition  äusser- 
ten, die  jener  der  oben  besprochenen  sUd- 
ungarischen  Typen  verwandt  war.    Ofen 
erhielt    auf    seinem    vom    Güterbahnhof 
vollständig  getrennten  Personenbahnhöfe 
ein  stattliches  Aufnahmsgebäude  mit  Halle. 
Die  strenge  Trennung    der  zwei  Längs-  | 
tracte  für  Ankunft   und  Abfahrt,   welche,   | 
symmetrisch  zur 
Halle      gelegen, 
die  durchgehen- 
den Geleise  ein- 
schliessen,  sowie 
die  abersichtliche 
Vertheilung    der 
Räume    machten 
diese  Anlage  zu 
einem  guten  Ty- 
pus einer  Endsta- 
tion ohne  Kopf- 
gebäude,  Kani- 
zsa  und  Stuhl- 
weissenburg 
zeigen  gleichfalls ' 

typische      Anla-  Abb.  «j.    Bibahof  a> 

gen,  und  zwar  fUr 

Zwischenstationen  grösserer  Gattung,  bei 
denen    einem    stattlichen    Längsgebäude  j 
eine  ansehnliche  Halle  in  Holz-  und  Eisen-  | 
construction  vorgelegt  ist.     In  Prag  er-   i 
hof   war    diese  Halle    ganz  frei  gestellt. 
[Vgl.  Abb.  255.] 

Im  Aeusseren  hat  man  es  hier  zumeist 
mit  einfachen  Putzbauten  zu  thun.  Doch 
verschaffte  Flattich,  zur  Leitung  des 
Hochbauwesens  unter  Etzel  berufen,  dem  1 
Rohbau  auch  bei  der  SOdbahn  Geltung.  I 
Schon  bei  der  Umgestaltung  der  Local- 
strecke  Wien-Vöslau  wurde  das  dort  vor- 
handene Steinmaterial  verwendet,  um  dem 
Detailformen  einer  an tiki sirenden  Renais- 
sance, welche  schon  von  früher  her  einge- 
führt waren,  eine  constructiv  und  ästhe- 
tisch befriedigende  Durchbildung  zu  geben. 
Bei  einigen  ungarischen  Strecken  wurde 
das  Ziegelmaterial  herangezogen,  um 
einfachere    ländliche   Gebäude    im    Roh- 


bau herstellen  zu  können.     [Vgl,  Tafel  II, 
Fig.  1  und  3.] 

Wichtig  ist  bei  den  erwähnten  Local- 
bahnstationen    auch   die  principielle  An- 
wendung    von    Veranden     an     Stelle 
der    zur    Cassirung     gelangenden     alten 
Hallen     selbst     bei     den     kleinsten     An- 
lagen.    Sie  dienten  als  Warteraum    ins- 
besonderewährend der  Sommermonate  und 
waren  daher   mit  Gittern    abgeschlossen, 
und    wurden    mindestens     16'     [5'05  m] 
vom  nächsten  Hauptgeleise   entfernt  an- 
geordnet, um  die  Trennung  der  Ein-  und 
Aussteigenden  zu  ermöglichen.    Dadurch 
unterschieden  sie  sich  von  gewöhnlichen 
Einsteige -Per- 
rons. Etzel's  aus- 
iUhrliche    Publi- 
cation  zeigt,  mit 
welcher    Gründ- 
hchkeit   bei  die- 
sen   Bauten    die 

Durchbildung 
des  Details  er- 
folgte, und  wel- 
cher Werth  nun 
schon  auf  eine 
einheitliche  plan- 
mässige  Ausge- 
staltung des 
Hochbaues  ge- 
;h,   iEg«-Hot,  i*s.i  legt  wurde. 

Gleichzeitig 
traten  an  anderer  Stelle  Bestrebungen 
zur  Hebung  der  technischen  und  ästhe- 
tischen Qualitäten  des  Hochbaues  auf, 
welche  Beachtung  verdienen.  Beim 
Baue  der  Kaiserin  Elisabeth- 
Bahn  [1857  — 1860]  wurde  den  Archi- 
tekten viel  Spielraum  gelassen.  Einge- 
leitet wurden  die  Arbeiten  noch  vor 
seinem  U ebertritt  in  den  Staatsdienst 
durch  Lühr,  welcher  nach  neuerlichen 
Studien  in  Deutschland  und  Frankreich 
an  ein  (^orps  von  jüngeren  Kräften: 
Bayer,  Patzelt,  Thienemann,  die 
Ausführung  der  verschiedenen  Hochbauten 
vertheilte,  so  dass  ohne  eigentliche  Nor- 
malisirung  jedem  Einzelnen  eine  gewisse 
Freiheit  gelassen  war.  Bei  den  Werk- 
stätten, Remisen  und  anderen  Nutzbauten 
des  Wiener  Bahnhofes  wendete  Thiene- 
mann einen  sorgfältig  studirten  Ziegel- 
rohbau   an,    der    reichere   Detailbildung, 


Abb,  «4.    Aufnab 

als  bisher  üblich  war,  zeigte,  und  bei  dem 
gehrannte  Formsteine  zu  Ziergliedem  in 
Verwendung  traten.  Auch  in  den  Putzbau 
der  Aufnahmsgebäude  mischen  sich  Terra- 
cotta  und  Ziegeldetails,  und  gewisse  An- 
klänge an  das  Mittelalter  in  Zinnen  und 
ThUrmchen,  Bogenfriesen  und  Eckrund- 
stäben  lassen  den  Geschmack  der  Zeit  er- 
kennen. [Vgl.  Abb.  256 — 261.]  Nach- 
dem nun  dem  Localverkehr  von  Anfang 
an  schon  Beachtung  'geschenkt  wurde, 
finden  wir  ausgedehnte  Veranden,  welche 
mitunter  vor,  zumeist  aber  neben  die 
Aufnahmsgebäude  gestellt  waren.  Die 
grössten  übjecte  waren  das  Wiener 
und  das  Salzburger  Aufnahms- 
gebäude. Das  letztere  erhielt  durch 
Bajer  eine  glückliche  Anordnung,  die 
durch  gute  Massengruppirung  und  ge- 
schickte Betonung  der  Mittel-  und  Eck- 
bauten aus  dem  ungünstigen  lang- 
gestreckten BaukOrper  eine  beachtens- 
werthe  architektonische  Leistung  zu  Wege 
brachte.  Beim  Wiener  Empfangs- 
gehäude  musste  infulge  der  grossen 
Reichhaltigkeit  des  Programms  auf  Ein- 
heitlichkeit der  Gesammtwirkung  ver- 
zichtet werden.  Es  ist  dies  der  erste 
in  der  Reihe  der  gn.ssen  Wieiier  Bahn- 
höfe,     welcher     den      gesteigerten     Au- 


'  forderungen  einer  neuen  Zeit  Rechnung 
i  trägt  und  in  die  Reihe  der  monumen- 
talen Anlagen  der  grossen  Stadt  eintritt. 
[Vgl.  Tafel  IV,  Fig.  4.]  Allerdings  fällt 
I  er  auch  schon  in  jene  Wiener  Bau- 
epoche, welche  sich  die  Stadtregulirung 
zur  Aufgabe  machte  und  der  Lösung 
grosser  baulicher  Probleme  entgegen 
kam.  Ein  grosses  Ankunfts-  und  ein 
gleiches  Abfahrtsgebäude  umschliessen 
mit  einem  quer  vor  den  Kopf  der  Geleise 
gestellten  Administrationsgebäude  die 
27'5  m  weite  und  164  tn  lange  Halle. 
Die  Längsgebäude,  in  sich  abgeschlossen, 
mit  ebenerdigem  Mittelbau  und  höheren 
Eckbauten  sind  doppeltractig  angelegt, 
so  dass  Höfe  entstanden,  die  zu  Gärten 
verwendet  wurden.  Auffallen  der  weise 
waren  die  Warteräume  strassenselts  an- 
geordnet. Eine  opulente  Portalan  läge 
und  stattliche  Eingangs-  und  Ausgangs- 
vestibule  schmückten  die  Mittel  bauten. 
Das  Kopfgebäude  ist  gleichfalls  für  sich 
abgeschlossen,  von  grösserer  Höhe  und 
mit  EckthUrmchen  ausgezeichnet,  um  den 
Prospect  von  der  Stadtseite  zu  heben; 
es  entspricht  der  Hallenbreite.  Für  diesen 
Bahnhof  ist  noch  heute  charakteristisch, 
dass  das  l'uhlicum  .seinen  Weg  durch  das 
Vestibüle  direct  auf  den  Perron  nimmt,  zu- 


meist  ohne   Berührung   der  Warteräume. 

Beeinflusst  durch  die  ersten  mittelalter- 
lichen Studien  und  jene  romantische  Be- 
wegung, welche  damit  zusammenhing,  sind 
[mehr  noch  wie  die  Hochbauten  der 
Kaiserin  Elisabeth-Bahn]  einige  im  süd- 
lichen Ungarn  zu  Ende  der  Fünfziger- 
Jahre  entstandene  Bauten,  die  von  Wiener 
Technikern  projectirt  wurden,  z.  B.  die 
Bahnhöfe  der  Theissbahn,  welche  bei  der 
Siebenbürger  Bahn  Nachahmung  fanden. 
[Kasch  au- Karls  bürg.]  Auch  viele  gali- 
zische  Bahnhöfe  und  die  etwas  späteren 
Anlagen  in  der  Buliowina,  wie  der  Lem- 
berger  und  der  Czernowitzer  Bahn- 
hof, schÜessen  sich  diesen  eigenthüm- 
lichen,  heute  so  befremdenden  Arbeiten  in 
formaler  Hinsicht  an.  [Vgl.  Abb,  262  und 
265.]  In  grossem  Gegensatz  hiezu  stehen 
jene  Empfangsgebäude,  welche  im  nörd- 
lichen Böhmen  entstanden,  als  es  sich 
zum  zweiten  Male  ereignete,  dass  aus- 
ländische Kräfte  direct  in  das  hei- 
mische Bauwesen  eingriffen.  Im  Jahre 
1865  wurde  durch  Herz  von  Herten- 
ried  die  Eisenbahn  Hof-Eger  erbaut. 
Die  bei  dieser  Gelegenheit  vom  bayrischen 
Architekten  B  Ü  r  c  k  1  e  i  n  entworfenen 
ansehnlichen  Aufnahmsgebäude  von 
Franzensbad  und  Asch  [Abb.  263]  und 
jenes  von  Eger,  das  Hügel  erbaute, 
mtlssen  infoige  ihrer  breiten  Anordnung 
und  sorgfaltigen  Ausführung  als  sehr  be- 
merkenswerthe      Leistungen      bezeichnet 


I  werden.  Flache  Dächer,  schwache  Ge- 
simsgliederungen und  antiki sirende  De- 
tails tragen  den  Charakter  der  damals 
in  München  herrschenden  Geschmacks- 
richtung. 

Solche  Schwankungen  in  der  formalen 
Behandlung     des     Eisenbahn- Hochbaues 
charakterisiren   namentlich   jene  Epoche, 
in  der  man  in  Oesterreich  wie  anderwärts 
nach  einer  energischen  Hebung  der  Bau- 
j  thätigkeit  strebte.   Die  Ueberwindung  der 
I   älteren,     •nüchternen"     Bauweise    führte 
I  zunächst    noch   zu    den    mannigfaltigsten 
I  Experimenten    und    Versuchen     mit    der 
!  Neubelebung  alter  Stilrichtungen,  bis  sich 
allmählich  durch  eine  mehr  auf  das  Con- 
structive     gerichtete     Belhätigung     jene 
charakteristische     Bauweise    entwickelte, 
die  dem  Eisenbahn- Hochbau  heute  cigen- 
thUmlich     ist.       Insbesondere    waren    es 
grosse  Aufnahmsgebäude  in  Endstationen, 
welchen  man  manchmal  durch  Anlehnung 
an   ältere,    den    Zwecken    und    Aufgaben 
des  Eisenbahnwesens  ganz  ferne  stehende 
'   Architektur-Bestrebungen   einen  erhöhten 
I  Glanz  zu  geben  versuchte.     Dabei  gelang 
es     aber     doch     immer     wieder,      jene 
'  Wege    zu    finden,    auf  welchen    man   zu 
I  einem    charakteristischen    Ausdruck    der 
neuen     Forderungen     gelangen     musste. 
I  Diese  besonderen  Leistungen  haben  auch 
1  stets    den    nachhaltigsten    Eindruck    her- 
vorgerufen   und    den    günstigsten    Erfolg 
I  gehabt. 


Fortbildung  in  der  österreichischen  Reichshälfte 
bis  zum  Jahre   1898. 


Die  grossen  Endbahnhöfe  in    Wien 
und  die  neuen  Gebirgsbahnen. 

Es  konnte  nicht  fehlen,  dass  die  zu- 
nehmende Entwicklung  des  Verkehrs- 
wesens auf  das  älteste  österreichische 
Locomotivbahn-Unternehmen  seine  Wir- 
kung ausübte.  Mehr  als  zwei  Decennien 
waren  seit  der  Erbauung  des  ersten 
Aufnahmsgebäudes  in  Wien  verflossen 
und  das  unerwartet  rasche  Wachsen  der 
Bedurfnisse  hatte  es  mit  sich  gebracht, 
dass  die  Wiener  Bahnhofs  an  läge  der  Nord- 
bahn im  Jahre  1864  bereits  eine  Fläche 
von  56.350  Q"  [303.860  m*]  einnahm, 
also  mehr  als  achtmal  so  gross  war, 
wie  die  Anlage  von  1838.  Auch  auf 
der  Strecke  war  das  Bedürfnis  nach 
Vergrösserung  der  Hochbauten  vorhan- 
den. Die  Verwaltung  der  Nordbahn 
zog  daher  die  württembergischen  Archi- 
tekten Theod.  Hoffmann  und  Fr. 
Wilhelm  zur  Ausarbeitung  der  Pläne 
für  Umirestaltungen  der  Hochbauten 
heran.  Die  meisten  grossen  Stationen,  wie 
Prerau,  Oderberg,  gaben  zu  umfassenden 
Arbeiten  Veranlassung ;  hier  hatte  Fr. 
Wilhelm  durch  einige  Zeit  seinen  Wir- 
kungskreis, den  er  aber  bald  mit  einer 
viel  längeren  Thätigkeit  im  Hochbau- 
Bureau  der  Südbahn  vertauschen  sollte, 
während  Hoffmann's  Arbeiten  durch  lange 
Zeit  den  Nordbahnbauten  das  eigen- 
thümliche  Gepräge  gaben.  Die  ausgedehn- 
teste    Umgestaltung,     die     eingreifendste 


Veränderung  betraf  das  Wiener  Auf- 
nahmsgebäude [Abb.  Tafel  III,  Fig.  IV, 
und  Tafel  IV,  Fig.  I],  das  von  Hoffmänn 
(1859 — 1865]  seine  jetzige  Gestalt  er- 
hielt. Die  für  die  Weiterentwicklung 
des  Verkehrs  so  günstige  Situirung  und 
allgemeine  Anordnung  dieses  Bahnhofes 
ergab  gerade  für  den  Architekten  grosse 
Erschwerungen.  Die  geringe  Tiefe  des 
ihm  gegebenen  Bauplatzes,  die  grosse 
Zahl  der  erforderlichen,  nicht  unmittelbar 
vom  Verkehr  bedingten  Räume  für  Ad- 
ministrations-,  Restaurati ons-  und  andere 
Zwecke  behinderten  eine  freie  Disposition. 
Eine  rege  Phantasie  verleitete  den  Archi- 
tektenzurAnwendungspätromanischerund 
maurischer  Motive,  welche  einen  reichen 
omamentalen  Schmuck  begünstigten  und 
enge,  hochschlanke  Verhältnisse  im  Ge- 
folge hatten  [vgl.  Abb.  266],  ThUrme  und 
Zinnen  dem  Streben  nach  einer  bewegten 
Silhouette  zur  Verfügung  stellten.  Dieser 
romantische  Grundzug  gibt  dem  Bau  in 
vielen  Hinsichten  eine  Sonderstellung. 
Seine  gediegene  und  sorgfältige  technische 
Durchführung  zeugt  aber  für  die  Wandlung 
der  allgemeinen  Anschauungen  Über  die 
Bedeutung  von  Bahnhofsbauten ;  wo  sonst 
mit  grösster  Sparsamkeit  Jedem  Schmuck 
aus  dem  Wege  gegangen  wurde,  war  nun 
eine  Prachtentfaltung  in  echtem  Baumate- 
rial möglich,  die  das  Staunen  der  Zeitge- 
nossen erregte.  Die  allgemeine  Anordnung 
ist  die  einer  reinen  Durchgangsstation,  wo- 
durch die  Angliederung  an  andere  Bahn- 


hofsanlagen  sehr  begünstigt  wird.    Wäh- 
rend hier  die  Bedingungen  flir  die  Entwick- 
lung der  Geleiseanlage  glücklicher  waren 
als  für  den  Hochbau,  trat  der  entgegen-  , 
gesetzte  Fall  ein,  als  die  Anlagen  vor  , 
der    Belvederelinie    in    Wien    einer  i 
Umgestaltung  unterzogen  wurden.  Aus  den  j 


1869  und  1874  wurde  der  Umbau  des  alten 
Wiener  Aufnahmsgebäudes  der  Glogg- 
nitzer  Bahn  vollzogen,  [Vgl,  Abb.  267, 
Tafel  III,  Fig.  III,  und  Tafel  IV,  Fig.  IL] 
Günstige  Bedingungen  des  Programms  und 
der  bestehenden  Verhältnisse  ermöglichten 
eine    klare,    einfache    und    gross  räumige 


südlichen  Staatsbahnen,  der  Franz  Josefs- 

Orientbahn  und  anderen  Unternehmungen  ' 

hatte    sich  die  Südbahn- Gesellschaft   ge-  , 

bildet,  welche  beim  Ausbau  ihrer  Linien  | 
und  bei  der  Umgestaltung  der  bestehenden 

Hochbauten  dem  Architekten  W.    Fiat-  I 

tich  und  seinem  inzwischen  herangezo-  ; 

genen   Mitarbeiter    Fr.    Wilhelm  einen  , 
grossen   Wirkungskreis   gab.     Zwischen 


kiici  Nordttnhnbufc» .    [1%7-j 

Disposition,  die  lange  Bauzeit  eine 
sorgfältige  und  solide  Durchführung  in 
gutem  Steinmaterial.  Bei  der  ersteren 
fiel  sehr  in  die  Wagschale,  dass 
ein  eigenes  Administrations-  und  ein 
davon  getreimtes  Hestaurationsgebäude 
bestanden,  welche  Anlagen  inzwischen 
erweitert  worden  waren.  Die  Stellung 
des  Gebäiides    vor  den  Geleiseenden  er- 


» 

i 


4o6 


Hartwig  Fischel. 


|l»70.] 


gab  eine  geschlossene  Baumasse,  die 
opulente  Vestibüle -Anlage  [Abb.  268],  die 
Anordnung  breiter  Stirn-  und  Längsperrons 
gestattete  den  Warteräumen  eine  unterge- 
ordnete Rolle  zuzuweisen  und  so  konnte 
hier  in  einfacher  und  glücklicher  Form 
eine  räumlich  und  ästhetisch  befriedigende 
Anlage  geschaffen  werden,  die  selbst  bei 
dem  ungewöhnhchen  Anwachsen  des 
Personenverkehrs  nach  25Jährigem  Be- 
stände ihren  Zwecken  gut  entspricht. 
Aber  auch  die  ruhige  und  vornehme 
architektonische  Wirkung  des  Aufbaues 
ist  hervorzuheben,  bei  welchem  Flattich 
mit  Anlehnung  an  Schinkel  und  antike 
Vorbilder,  jene  einfache  Formensprache 
wählte,  die  so  gut  mit  den  grossen  Raum- 
und  Massendispositionen  harmonirt. 

Wesentlich  schwieriger  war  die  Anlage 
des  Staatsbahnhofes  [Abb.  Tafel  III. 
Fig.  II,  und  Tafel  IV,  Fig.  III]  [1867  —  1870 
in  Wien  architektonisch  befriedigend  zu 
lOsen,  welcher  mit  dem  Baue  der  Linie 
Wien-Brtinn    und    der    Verbindung    des 


I  mährisch-böhmischen    mit   dem     ungari- 
I  sehen  Netze    der    Gesellschaft    aus    dem 

!  alten  sogenannten  »Pressburger  Bahn- 
I  hof«  sich  entwickelte.  Es  war  zwar 
'  auch  hier  durch  den  günstigen  Umstand, 
I  dass  die  Gesellschaft  in  der  Stadt  ein 
I  eigenes  ansehnliches  Administrationsge- 
I  bäude  errichten  Hess,  ein  hinderlicher 
1  Bestandtheil  des  Program mes  eliminirt, 
,  allein  die  Nähe  des  Arsenals  und  die 
■  damit  zusammenhängende  Bedingung 
der  Rücksichtnahme  auf  eine  fortificato- 
1  rische  Lufdinle  verbot  jede  ansehnliche 
'  Höhenentwicklung.  Die  allgemeine  Dis- 
I  Position  bot  viele  Vortheile.  Durch  Sen- 
.  kung  der  hochgelegenen  Geleise  wurde 
I  ein  sehr  grosses  ebenes  Terrain  geschaf- 
,  fen,  auf  dem  für  einen  ausgedehnten 
I  facherftirmig  angeordneten  Frachtenbahn- 
'  hof  und  den  mit  Längsgebäuden  dem 
I  Typus  einer  Durchgangsstation  entspre- 
I  chend  angeordneten  neuen  Personenbahn- 
I  hof  Platz  war.  Dieser  erhielt  eine  sehr 
,  klare  CSrundrissdisposition. 


Der  Hochbauchef  der  Gesellschaft, 
Architekt  K.  Schumann,  nahm  fran- 
zösische Vorbilder  in  Verwendung  und 
wies  diesen  entsprechend  der  Ge- 
päcks-Auf- und  -Abgabe  die  gebührende 
Rolle  im  Gebäude  zu,  indem  er  im  Ab- 
fahrts-  und  Ankunft stracte  grosse  Ge- 
päckshallen anordnete;  sie  fügen  sich 
der  Gesammtan  Ordnung  der  Räume 
organisch    ein,    welche    als    typisch    für 


schieben  und  füllte  die  ganze  Strecke 
von  der  Belvederelinie  bis  Meidling  mit 
den  zu  ihrer  Endstation  gehörigen  An- 
lagen aus.  Wir  sehen  da  einerseits  die 
verschiedensten  Hochbauaufgaben  in  ihrer 
Weiterentwicklung ;  die  ausgedehnten 
Werkstätten;  die  Gasanstalten  und  Heiz- 
häuser, die  Magazine  und  Schupfen, 
Wasserstationen,  Remisen,  Depots  und 
Arbeiter-Wohnhäuser. 


eine  Hauptstation  mit  Längsgebäuden 
gelten  kann.  Der  Aufbau  bietet  aller- 
dings keine  einwandfreie  Lösung,  nach- 
dem er  sich  nicht  ungehindert  entwickeln 
konnte.  Im  Zusammenhang  mit  dem 
Südbahnhofe  bildete  sich  eine  Verkehrs- 
anlage von  grossartigen  Dimensionen 
imd  reicher  Mannigfaltigkeit  in  der  Lö- 
sung verschiedenster  Aufgaben  heraus. 
Während  die  Staatseisenbahn  sich  in 
der  Breitenrichtung  entwickeln  konnte, 
war  die  Südbahn  gezwungen,  in  der  Län- 
genrichtung zu  erweitern,  sie  mus.ste  ihren 
Frachten bahnhof  nach  Matzleinsdorf  ver- 


'S-l 


Jede  dieser  Aufgaben  war  im  Laufe  der 
Jahre  durch  Studien  und  Versuche  immer 
zweckmässiger  und  vollkommener  gelöst 
worden,  bis  sie  endlich  in  einigen,  den  mo- 
dernen technischen  Anforderungen  ent- 
sprechenden Typen  ihren  Ausdruck  fand, 
die  dann  als  Gemeingut  der  Eisenbahn- 
Techniker  allgemeine  Verbreitung  und 
Anwendung  fanden.  Andererseits  können 
wir  da  beobachten,  wie  sich  diese  Hoch- 
bauanlagen unter  sich  gruppiren  und 
innerhalb  des  grossen  Rahmens  der  Ge- 
sammtanlage abgeschlossene  Baugruppen 
bilden,  die  selbst  schon  für  sich  die  Aus- 


4o8 


dehnung    der    grössten    alten  Gesammt-  ' 

anlagen  übertreffen.  j 

Die  Bedürfnisse   des    Zugsförde-  ' 

rungsdienstes,      des     Gütertrans-  I 

portes,   des  Verschub-   und  Rangir-  i 

dienst  es    und   endlich   das  Colonie-  j 

System  für  Wohngebäude  führten  ! 

zu  solchen  selbständigen  Theilen,  die  je  ! 

nach  den  Haupterfordernissen  und  localen  i 


Wicklung  und  Vervollkommnung  verfolgen 
zu  können.  Diese  Vervollkommnung 
wurde  durch  die  Einführung  des  N'or- 
matienwesens  erleichtert,  die  früher  oft 
willkürlichen  und  zufälligen  Einflüssen 
unterliegende  Behandlung  der  Eisenbahn- 
Hochbauten  wurde  systematisch  geregelt. 
Besondere  Ausbildungen  blieben  im 
Allgemeinen  mehr  den  Endstationen  vor- 


Verhältnissen der  einzelnen  End-  und 
Zwischenstationen,  an  verschiedenen  , 
Orten  besonders  bevorzugt  und  aus- 
gebildet wurden.  Aus  den  räumlich  be- 
schränkten Bahnhöfen  von  ehedem  sind 
so  Systeme  von  zwecklich  verschiedenen 
Anlagen  geworden,  die  erst  in  ihrer 
Aneinanderreihung  ein  vollständiges  Bild 
eines  modernen  Bahnhofes  geben.  Es 
ist  begreiflicherweise  nicht  möglich,  hier 
auf  die  Entwicklungsphasen  dieser  Special- 
anlagen näher  einzugehen.  Wir  müssen 
unsere  Aufmerksamkeit  in  erster  Linie  auf 
die  für  den  Personenverkehr  wichtigen  Ge- 
bäude beschrilnken,  um  wenigstens  in  die- 
sem schwierig.sten  und  wichtigsten  Theü 
des  Eisenbahn- Hochbaues  die  stetige  Ent- 


behalten, während  im  Uebrigen  so  viel 
wie  möglich  die  Verwendung  vorhan- 
dener guter  Lösungen  Platz  griff.  Die 
durch  das  Baumaterial  und  andere  locale 
Einflüsse  gebildeten  Bedingungen  ver- 
ursachten in  erster  Linie  die  Variationen, 
welche  diese  allgemein  giltigen  Typen 
in  ihrer  Weiterbildung  erfuhren.  Zu  den 
hervorragendsten  und  einflussreichsten 
Arbeiten  auf  diesem  Gebiete  zählen  die 
Bauten  der  Südbahn,  welche  imtcr 
Flattich's  Leitung  auf  den  Linien  Inns- 
bruck-Bozen [eröffnet  1867],  und  Vil- 
lach-Franzensfeste [eröffnet  187 1], 
und  anderwärts  ausgeführt  wurden.  [Vgl. 
Abb.  269  und  272  sowie  Tafel  V.]  Der 
Umstand,  dass  bei  diesen  beiden  Gebirgs- 


Abb.  370.    Mlttellra^l  des  Nor 

bahnen  Bruchsteine  und  Hausteine  ver- 
schiedenartigster Beschaffenheit  verwendet 
werden  konnten,  ohne  dass  der  Bau- 
öconomie  Nachtheile  zu  erwachsen  brauch- 
ten, und  dass  die  Durchführung  der  Pläne 
und  Detail  Zeichnungen  mit  grossem  Ge- 
schmacke  und  vollkommenster  Sach- 
kenntnis erfolgte,  sichert  den  Hochbauten 
dieser  Linien  eine  bleibende  Bedeutung. 
Die  Behandlung  des  Ziegelrohbaues  in  Ver- 
bindung mit  Haustein  und  des  Bruchstein- 
rohbaues mit  Haustein,  dann  der  sichtbaren 
Holzconstructionen  in  den  Dachstöcken, 
die  Combination  von  Holz-  und  Eisen- 
constructionen  bei  Veranden  etc.  sind  bei 
diesen  Stationsgebäuden  ebenso  sorg- 
fällig als  glücklich  in  constructiver  und 
formaler    Hinsicht  durchgeführt. 

Als  charakteristische  Beispiele  mögen 
Spital  an  der  Drau  [Ziegelrohbau], 
Toblach  [Abb.  Tafel  V),  Lienz  [Bruch- 
steinrohbau] herausgegriffen  werden.  Durch 
Gruppirung  stockhoher  und  ebenerdiger 
Tracie,  durch  Belebung  des  Mauerwerks 
mit  Eckarmirungen,  durch  Ausbildung  der 


■Mlbahnhof«  In  Prag.    |1»73.] 

Dachgiebel  und  Schöpfe  wurden  die  Ge- 
bäudemassen   gegliedert,    wurde    die  Sil- 
houette  bewegt,    so  dass   die  freie  Lage 
der  Stationsgebäude  ausgenützt,  die  Rück- 
sicht   auf  die  landschaftliche  Umgebung 
betont  erscheint.    Man    kann  behaupten, 
dass    diese    Gebäude    Schule     machten, 
dass    nirgends    früher    und    besser    der 
Charakter  einfacher  ländhcher  Eisenbahn- 
Hochbauten  getroffen  wurde,    als  in  den 
Hochbauten    der    Südbahn.     Es    gingen 
daher    auch    aus    dem    Hoch  bau -Bureau 
der    Südbahn    zahlreiche  Kräfte    hervor, 
welche     bei     anderen     Unternehmungen 
die  Studien  der  Südbahn  fruchtbringend 
verwertheten.  So  wurden  von  dem  Archi- 
tekten C.Schlimp  [1869  bis  1872]  die 
]   Hochbauten  der  N  ordwes  tbahn  durch- 
I  geführt,    bei    denen    allerdings    auf    die 
!   Verwendung  von  Putzbau  und  auf  Ver- 
I  einfacbung    der     Ausstattung     Rücksicht 
genommen  werden  musste.     [Vgl.  Bd.   I, 
)  2.  Theil,    Abb.  47   und  48.]     Im    Bahn- 
;  hofe'Prag    der     Nordwestbahn     wurde 
I  der     Versuch    gemacht,    dem     Mittelbau 


durch  eine  Portalarchitektur  im  Sinne 
der  römischen  Triumphbögen  besondere 
Geltung  zu  verschaffen  —  allerdings 
auf  Kosten  der  übrigen  Bautheite,  welche 
schmucklos  blieben.    [Abb.  370.] 


werden  und  blieb  als  vereinzelte  Leistung 
eines  aus  Deut'tchland  berufenen  Archi- 
tekten ohne  Contact  mit  einheimischen 
Traditionen.  Hier  wurde  in  der  Absicht, 
der  Halle    im  Mittelbau   eines    quer  vor 


Abb.  rji.    Vcsiibul«  d»  i 

Auch  der  Tetschener  Bahnhof  [Abb. 
271]  weist  in  seiner  Aussen- Architektur 
antikisirende  Elemente  auf  [Architekt 
Frey]  und  besitzt  im  Innern  gute  Raum- 
wirkungen. 

Der  Wiener  Bahnhof  der  Nordwest- 
bahn [von  W.  Bäumer  1870  bis  1S73] 
[Abb.  Tafel  Ml.  Fif,'.  I,  und  Tafel  VI, 
Fig.  III]  niuss  zu  den  Versuchen  frerechnet 


lahnbofts  Trti..:hea.    I1871.J 

die  Geleiseenden  gelegten  und  vorwiegend 

zu     Administrationszwecken     bestimmten 

I   Gebäudes    einen    architektonischen   Aus- 

I  druck  zu  geben,  einem  schwer  zu  lösenden 

I  baulichen  Problem  nahe  getreten.  Es  ist 

;  kein  Zweifel,  dass  gerade  die  räumliche 

;  Grossartigkeit    der    Bahnhofshalle     dem 

Architekten  das  Mittel  an  die  Hand  gibt, 

ein  Empfangsgcbaude  in  monumentalem 


Sinne  zu  behandeln ;  dann  wird  aber 
stets  die  Einbeziehung  von  Tracten, 
welchezu  Wohn- und  Verwaltungszwecken 

dienen  sollen  und  naturgemäss  viele 
kleinere  Räume  mit  bescheidenen  Axen- 
weiten  enthalten  müssen,  als  schwer- 
wiegendes Hindernis  empfunden  werden, 
wie  dies  in  dem  vorliegenden  Falle  er- 
kennbar ist.  Die  Grundriss-Anordnung  des 
Wiener  Nordwestbahn hofes  wurde  mit 
Rücksicht  auf  eine  künftige  Erweiterung 
projectirt,  so  dass  das  heute  bestehende 
Empfangsgebäude  eigentlich  nur  die 
grössere  Hälfte  des  für  die  Zukunft  be- 
rechneten Baues  bildet. 

Der  fast  gleichzeitig  für  die  Franz 
[osef-Bahn  von  den  Prager  Archi- 
tekten Uli  mann  und  Barvicius  entwor- 
fene und  1872  vollendete  Bau  des  Auf- 
nahmsgebäudes in  Wien  [Abb.  Tafel  III, 
Fig.  V,  Tafel  VI,  Fig.  11]  wurde  im  Gegen- 
satze zum  Nordwestbahnhofe  räum- 
lich beschränkt  angelegt  und  musste 
schon  nach  seiner  Einverleibung  in  das 
Netz  der  k.  k.  Staatsbahnen  einer  Er- 
weiterung unterzogen  werden ;  er  gehört 
wie  der  Bahnhof  der  Kaiserin  Elisabeth- 
Bahn  und  der  Nordwestbahn  in  Wien 
zu  jenem  Typus  von  B ah nhofsan lagen 
mit  getrennten  Längsgebäuden  für  An- 
kunft und  Abfahrt,  welcher  sich  durch 
ein  vor  die  Geleiseenden  gestelltes  Ad- 
ministrationsgebäude  dem  Typus  der 
eigentlichen  Kopfstation   mit  Kopfgebäu- 


:■  SadbahntiofM  In  Gm. 

den  nähert.  Das  Amtsgebäude  schtiesst 
sich  an  die  Längstracte  unmittelbar  an 
und  ist  ohne  grosse  Ansprüche  als  ruhige 
und  würdige  Baumasse  mit  zwei  thurm- 
artigen  Aufbauten  gegliedert. 

Auch  den  stattlichen  Prager  Franz 
Josef- Bahnhof  haben  dieselben  Archi- 
tekten gesc  halfen. 

Das  jüngste  Wiener  Aufnahmsgebäude, 
welches  am  Ende  einer  neuen  Bahn- 
anlage errichtet  wurde,  ist  vorläufig 
noch  das  1881  eröffnete,  vom  Archi- 
tekten F.  von  Gruber  entworfene  Ge- 
bäude der  Aspang-Bahn.  [Abb.  Tafel 
IV,  Fig.  V,  Tafel  VL  Fig.  V.]  Es  ist  ein 
langes,  eintractiges  Empfangsgebäude  pa- 
rallel zu  den  Geleisen  mit  ebenerdigem 
Mittelbau  für  öffentliche  Räume  und 
Eckpavillons  nach  dem  Typus  der  Längs- 
gebäude für  Durchgangsstationen.  Die 
entsprechend  reichliche  Dimensionirung 
der  Vestibules  und  Warteräume  und  die 
übersichtlicheGrundrissdispositionmachen 
diese  Anlage  zu  einer  charakteristischen 
für  die  gegebenen  bescheidenen  Verkehrs- 
verhältnisse, Es  fehlt  hier  eine  Hallenan- 
lage, welche  durch  einen  langen  Einsteig- 
perron ersetzt  wird;  was  man  in  früheren 
Tagen  sehr  gerügt  hätte,  findet  heute 
immer  mehr  Verbreitung;  öconomische 
Rücksichten  einerseits  und  die  Rücksicht 
auf  Erweiterungsfähigkeit  andererseits, 
machen  die  Hallen  in  Oesterreich  immer 
seltener,  während  die  Vermehrung  der  Ge- 


leisezahl  und  der  Grundsatz  der  Vermei- 
dung von  Geleise-Ueberschreitungen  die 
Einsteigperrons  mit  Flugdächem  immer 
zahlreicher  werden  lassen.  Haben  die 
grossen  Hallenbauten  in  O  esterreich 
überhaupt  keinen  fruchtbaren  Boden 
gefunden,  so  zeigen  die  jüngsten  Neu- 
bauten nur  immer  mehr  die  Bevor- 
zugung    bedeckter      Perron  an  lagen      in 

Verbindung 
mit    Personen- 

durchgangs- 
Tunnels. 

Es  möge 
bei  dieser  Ge- 
legenheit ein 
Rückblick  auf 
die  Entwick- 
lung der  eiser- 
nen Hallendä- 
cher in  Oester- 
reich  gestattet 
sein,     welcher 

die  geringe 
Betonung  und 

Verbreitung 
derselben     er- 

'  kennen   lassen  Abb.  17}.  Bübmiacb-mai 

wird. 

Hallenanlagen  und  die 
Ergä  mu  ngsnetze . 

Die  älteste  eiserne  Hallenconstruction 
Oesterreichs  findet  sich  in  Krakau,  bei 
dem  im  Jahre  1845  durch  die  Krakau- 
Obersch lesische  Bahn  errichteten  Auf- 
nahmsgebäude; sie  weicht  derzeit  einer 
neuen  Anlage.  Die  Hallenweite  von  28  m 
wurde  in  einer  dreischiffigen  Anordnung 
durch  zwei  Säulenreihen  untertheilt.  Die 
geradlinigen  Binder  zeigten  ein  leichtes 
Stabwerk  in  einer  dem  belgischen  System 
verwandten  Anordnung. 

Der  historischen  Folge  nach  ist  die 
Halle  im  Aufnahmsgebäude  der  Kaiserin 
Elisabeth -Bahn  in  Wien  zu  erwähnen 
(Abb.  257],  welche  die  lichte  Weite  von 
274  m  mit  einem  Dachstuhle  nach  dem 
System  Polonceau  ohne  Zwischen  stützen 
überspannt.  Dieses  System,  welches 
durch  die  leichte  und  elegante  Form  der 
Binder  das  Auge  befriedigt,  wurde  in 
Wien  auch  bei  einigen  anderen  grösseren 
Hallen  angewendet,   so  bei  der  des  Süd- 


'  bahnhofes  [Abb.  367]  für  36- 1  m  Spann- 
I  weite   und    beim    Franz  Josef- Bahnhofe 
)  [Abb.    Taf.  VI,    Fig.    II]    mit    287    m 
Breite.  —  Weniger  günstig  ist  der  Ein- 
I  druck,  den   die   schweren,  parabolischen 
I  Sichelträger  machen,  welche  beim  Nord- 
1  westbabnhofe  zur  Bewältigung  der  Spann- 
I  weite  von  39  jm  angewendet  wurden;  beim 
!  Nordbahnhofe  hat  man  auf  eine  dreischif- 
fige  Anlage  zu- 
rückgegriffen, 
wodurch      die 
32'2  m   grosse 

Hallenbreite 
wesentlich  ver- 
ringert wurde 
[um  circa  iojm]; 
die  Dachnei- 
gung  ist  eine 
verhältnismäs- 
sig steile,  es 
konnte  hier  ein 
System  von 
Gitterträgern 
'  mit  Bindern  in 
der  Kielbogen- 
formangewen- 

irlacbe  TraDavcrialbabn.  det  Werden,  daS 

keine  Querver- 
bindungen zur  Aufhebung  des  Seiten- 
schubes benöthigt.  Dadurch  wurde  ein 
hoher  und  freier  Hallenraum  erreicht, 
aber  der  Nachtheil  beengter  Einsteig- 
geleise in  den  Kauf  genommen.  Die 
Staatseisenbahn  -  Gesellschaft  war  bei 
ihrerWiener  Halle  durch  die  Beschränkung 
der  Höhe  mit  Rücksicht  auf  das  nahe 
Arsenal  zu  einer  zweischiffigen  Anordnung 
gezwungen.  [Abb.  Taf  VI,  Fig.  I.]  So 
führte  hier  die  grosse  Hallenbreite  von 
40"3  tn  zu  einer  Doppelanlage  nach  dem 
System  Polonceau. 

Zu  den  elegantesten  Hallenanlagen 
neuerer  Zeit  ist  die  des  Triester  Bahn- 
hofes der  Südbahn  zu  rechnen,  welche 
gelegentlich  der  Umwandlung  des  alten 
provisorischen  Personen  -  Bahnhofes  in 
eine  definitive  Anlage  zur  Ausführung 
kam,  [1883.]  Wie  beim  Wiener  Südbahn- 
hofe, haben  wir  es  hier  mit  einem  Kopf- 
gebäude und  einer  Kopfstation  zu  ihun, 
bei  welcher  die  Hallenanlage  und  das 
Hallendach  massgebend  für  den  vorge- 
legten   Baukörper     wurden.    Die    Vesti- 


imiKebÜude  der  SUdbabn  ia  Trteit.    [iSS).] 


bule-Anlage  in  der  Hallenbreite  füllt 
auch  hier  einen  hervorragenden  Mittel- 
bau aus,  der-  in  der  F'a9adenbildung 
diese  Anordnung  zum  Ausdruck  bringet, 
[Vgl.  Abb.  274  und  275.]  Während 
jedoch  in  Wien  eine  geradlinige  Binder- 
form auftritt,  wurde  in  Tri  est  eine 
segm  entförmige  Trägerconstruction  mit 
leichten  Querverbindungen  als  Bind  er- 
form filr  das  Hallendach  gewählt,  dessen 
Spannweite  von  31  m  jener  der  Wiener 
Anlage  nahe  kommt.  [Abb.  Taf.  VI, 
Kg.  IV.J 

Wie  aus  dieser  Ueb ersieht  erhellt, 
kann  man  wohl  im  Allgemeinen  be- 
tonen, dass  in  Oesterreich  den  Bahnhofs- 
hallen nicht  jene  hervorragende  Rolle 
im  Bahnhofsbau  zufiel,  weiche  diese  Bau- 
theile  bei  vielen  Anlagen  des  Auslandes 
spielen,  was  übrigens  mit  der  relativ 
langsamen  Verbreitung  des  Eisens  als 
Baumaterial  des  Hochbaues  in  Oester- 
reich zusammenhängt. 

Die  weitgehende  Einflussnahme  des 
Eisen constructeurs    auf  die    Disponirung 


■  von  Hochbauprojecten  gehört  aber  auch 
einer     jüngeren    Epoche     an,     als    jene 
'   grossen     österreichischen    Anlagen     und 
i  macht     sich      naturgemäss     in     neueren 
I  Arbeiten     auch    bei    uns     immer     mehr 
I  fühlbar.     Seit     dem    vollständigen    Sieg 
j  des    gewalzten    Baueisens    über  das    ge- 
I   gossene  kann    man  beobachten,    wie  ge- 
wisse   Aufgaben    des    Eisenbahn  -  Hoch- 
baues besonders    zu  Versuchen  herange- 
zogen werden,    das  Eisen    principiell  als 
!  Constructionsmaterial  zu  verwerthen.  Die 
1  Rücksichtnahme     auf    freie     Circulation 
von  Menschen  und  Waaren  drängte  zur 
1  Beseitigung     von     Zwischen  stützen     und 
(  Zwischenmauern;    die    grösseren    Anfor- 
derungen an  Licht  und  Luft  begünstigten 
I  die  Anwendung    von    Oberlicht-Beleocli- 
i  tungen    und    abnorm     grossen    Fenster- 
.   Öffnungen.  Die  wachsenden  Raumbedürf- 
!  nisse    führten    zu    ungewöhnlichen    Aus- 
I  massen  der  Vestibüle  und  Säle,  zu  grosseii 
I  Spannweiten    der    Decken    und    Dächer. 
t  Endlich    waren    Rücksichten    auf  rasche 
I  Herstellung,    ohne    Störung    bestehender 


Verhältnisse,  auf  Feuersicherheit  und  tionsmateriale  und  im  Zusammenhange 
Dauerhaftigkeit  in  vielen  Fällen  sehr  mit  Eisen  traten  hinzu,  um  dem  Bau- 
von  Einfluss.  I  Constructionswesen    wichtige     und    um- 


Verbesserungen in  der  Ziegeltechnik,  wälzende    Hilfsquellen    zu     erschliessen, 

Ueberh  and  nähme    der    Anwendung    des  deren  sich  der  Eisenbahn-Hochbau  früher 

Cementes    als    Bindemittel    sowie    seine  |  als  viele  andere  Hochbaugebiete  bemäch- 

Verwendung  als  selbständiges  Constriic-  tigte.      Neue     charakteristisch     moderne 


4i6 


Elemente  bereicherten  in  formaler  Hin- 
sicht nun  auch  die  Ausdrucks  weise,  die 
Formensprache,  welche  sich  immer  mehr 
von  jenen  noch  unbeholfenen  und  oft 
schwerfälligen  Elementen  und  Typen  ent- 
fernte, deren  sich  die  älteste  Epoche  des 
Eisenbahn-Hochbaues  bediente.  Solche 
Umwälzungen  gingen  in  Oesterreich  nur 
nicht  so  rasch  vor  sjch,  wie  anderwärts, 
waren  doch  die  grössten  baulichen  Auf- 
gaben bereits  in  einer  gründlichen  Weise 
gelöst,  welche  für  lange  Zeit  die  Auf- 
merksamkeit der  Projectanten  auf  kleinere 
und  engere  Gebiete  verwies. 

Während  also  noch  zu  Ende  der  Sech- 
ziger- und  zu 
Beginn  der  Sieb- 
ziger-Jahre in 
Wien  allein  fünf 
grosse  Endbahn- 
höfe ihre  Aus- 
bildung fanden, 

brachte  die 
nächstfolgende 
Zeit    mehr  eine 

Verwerthung 
der  gewonnenen 
Erfahrungen  bei 
kleineren  Auf- 
gaben in  den 
Provinzen.  Nun 

machten         sich  ^^^    ^^     Bahnhof  Zau 

auch  überall  die 

wohlthätigen  Folgen  jener  gediegenen 
Schulung  bemerkbar,  welche  insbesondere 
in  den  Arbeiten  der  Staatsbahn  und  Süd- 
bahn gelegen  war.  Ihre  Nachwirkung 
zeigte  sich  in  einer  Reihe  von  Leistungen, 
welche  über  die  ganze  Monarchie  ver- 
breitet sind  und  die  Namen  ihrer  Ur- 
heber: Grosser,  Flank,  Grund, 
Dacbler,  Setz  und  Unger  an  die 
früher  genannten  anreihen.  Ueberall  dort, 
wo  ganz  neue  .Anlagen  entstehen  konnten, 
zeigt  sich  das  Streben  nach  Verwerthung 
und  Weiterbildung  des  bisher  Erreichten 
deutlich.  So  z.  B.  als  der  Staat  sich 
der  Ergänzung  des  Hauptnetzes  an- 
nahm. 

Die  Linien  Tarvis  -  Pontafel, 
I  n  n  s  b  r  11  c  k  -  L  a  n  d  e  c  k,  die  Böh- 
mische Transversalbahn  bringen 
in  verschiedener  Richtung,  je  nach  den 
durch     örtliche     Verhältnisse     gegebenen 


Bedingungen,  dieses  Weiterschreiten  auf 
!  begonnenen  Pfaden  zum  Ausdruck.   Das 
1  stattliche  Aufnahmsgebäude  in  Pontafel, 
die     zahlreichen    Zwischen  Stationen    der 
!  Arlbergbahn     [Abb.    Tafel    V]     [Fr. 
j  Setz]    verwerthen    in  anziehender  W'eise 
I  das  Baumaterial  des  Gebirges;  die  ge- 
I  steigerten Verkehrsbedürfnissedrßckensich 
]   in     entwickelten     Grund  rissanlagen     aus 
'  und  die  etwas  derbe  formale  Behandlung 
I   der  Details    entspricht  den   seit    der  Er- 
'  bauung    der    Pusterthallinie    gestiegenen 
'  Ansprüchen     an     Raschheit     und     Ein- 
[  fachheit       der       Durchfuhrungsarbeiten. 
;  Während    im    Gebirge    der    Materialbau 
zur       Betonung 
des  Bruch  Stein- 
roh  bau  es        mit 
massiger      Ver- 
wendung      von 
Haustein  geführt 
hat,  sehen  wir  in 
jenen    Ländern, 
fiir   welche   das 
Ziegelmaterial 
charakteristisch 
ist,   den  Ziegel- 
rohbau zum 
Principe     erho- 
ben ;   wie  z.  B. 
bei  der  B  ö  h  m  i- 
cb.i.   |No.d.ab..i   [.8g,.,  schenTrans- 

versalbahn. 
j  [Abb.  273.]  In  noch  weitergebender  Weise 
I  führte  W.  Ast  in  Mähren  und  Schlesien 
j  den  Ziegelrohbau  ein,  als  die  Ergänzungs- 
I  bauten  der  Nordbahn  nach  ihrer  Con- 
I  cessions- Erneuerung  in  Angriff  genommen 
:  wurden.  [A.  Dachler.]  An  Stelle  des  fast 
ganz  eliminirten  Hausteins  wurde  durch 
Anwendung  verschieden  getonter,  d.  i. 
^  gelblicberundröthlicher,  lichter  und  dunkler 
Fai;adeziegeln  ein  belebendes  Element  in 
I  die  F a i;a den bil düng  gebracht.  Für  die 
I  kleineren  Gebäude  blieb  die  Mitwirkung 
I  der  sichtbaren  hölzernen  Giebelwände  und 
■  Dachvorsprünge  wesentlich.  [Vgl.  Mla- 
I  detzko,  Tafel  V.]  Bei  grösseren  Aufgaben, 
I  wie  in  Tcschen  [vgl.  Bd.  I,  2.  Theil,  Abb.  73], 
I  Bielitz,  Üstrau,  wo  es  sich  um  Aufnabms- 
gebäude  von  ansehnlichen  Dimensionen 
.  handelte,  wurde  durch  pavillonartige  Aus- 
I  bildung einzelner Gebäudetheileund  steilere 
I   Dachformen    die    Wirkung    der  sonst  zu 


Abb.  177.    UiDKciUltetea  Aurpabm^ebaude  Kra] 


lordbabn    [iSg;.] 


niedrigen  Baumassen  gehoben  und  im  Auf- 
bau eine  lebhaftere  Gruppirung  erzielt. 
Die  Flächen  erhielten  durch  die  Theilung 
mit  Bändern  und  Lisenen  au^  hellen 
Ziegeln  gegenüber  den  glatten  Mauergrün- 
den aus  dunklerem  Material  die  nöthige 
Gliederung,  welche  bei  dem  Mangel  star- 
ker Gesims bildungen,  bei  der  Vermeidung 
aller  complicirten  Formsteine  nöthig  war. 
In  Bezug  auf  die  Grundrissbildung 
wäre  der  Bahnhof  Zauchtl  [Abb.  276] 
besonders  zu  erwähnen,  als  Typus  einer  in 
Oesterreich  verhältnismässig  selten  ange- 
wendeten Anlageform.  Es  ist  ein  Insel- 
bahnhof, bei  dem  das  Hauptgebäude  auf 
zwei  Langseiten  von  Geleiseanlagen  ein- 
gefasst  ist  und  auf  einer  Schmalseite 
gegen  die  Zufahrtsstrasse  stösst.  Vom 
Vestibüle  aus  ist  eine  Tunnelanlage  zu- 
gänglich gemacht,  welche  die  Verbin- 
dung mit  einer  abseits  liegenden  End- 
station einer  fremden  Localbahn  her- 
stellt. (Zauchtl-Neutitschein.]  In  der  Haupt- 
sache nähern  sich  die  Inselgebäude  den 
Kopfgebäuden,  indem  ihre  Symmetrie- 
achse parallel  zu  den  Geleisen  gerichtet  ist, 
während  jene  der  Längsgebäude  senkrecht 
zu  den  Geleisen  steht.  Als  wesentlicher 
Bestandtheil  der  Anlage  tritt  ein  um- 
laufender Perron  hinzu,  der  einen  Ver- 
kehr längs  der  Geleise  und  von  einer  Seite 


zur  anderen  ermöglicht.  Wenn  diese  Per- 
rons nun  das  Gebäude  der  Vor-  und  Warte- 
räume und  Bureaux  nicht  einschliessen 
können,  so  tritt  gewöhnlich  eine  Theilung 
in  zwei  Baugruppen  ein,  welche  eine 
Verbindung  des  Längsperrons  zwischen 
den  getrennten  Gebäuden  ermöglicht, 
wie  dies  in  Zauchtl  der  Fall  ist.  Am 
relativ  häufigsten  finden  wir  die  Insel- 
bahnhöfe bei  den  neueren  Anlagen  der 
Oesterreichischen  Nordwestbahn,  wie  z.  B. 
in  Deutschbrod,  Neu-Kolin,  Tinifit,  Väetat- 
Pfivor  etc.  Doch  haben  solche  Aufgaben 
in  Oesterreich  noch  nicht  zu  so  hervor- 
ragenden Hochbauten  Veranlassung  ge- 
geben, wie  in  Deutschland. 

Umgestaltungen  und  neueste 
Anlagen. 
Die  grössten  und  häufig  auch  die 
schwierigsten  Aufgaben  des  Eisenbahn- 
baues fallen  in  dieser  jüngeren  Epoche 
zumeist  in  das  Gebiet  von  ausgedehnten 
Umgestaltungsarbeiten,  wie  solche  z.  B. 
im  Aufnahmsgebäude  Krakau  [Abb.  277], 
Prerau.Lundenburg  von  der  Nordbahn  oder 
von  den  k.  k,  Staatsbahnen  an  den  Wiener 
Aufnahmsgebäuden  der  Franz  Josef-Bahn 
und  Kaiserin  Elisabeth -Bahn  durchgeführt 
wurden    und  für  Lemberg,   Prag,   Pilsen 


4i8 


^^^^ 


^S^^^S^ 


fl  Wien.     II.  Fraiii  Josef-Il.lhn  Witn.     III.  1 


etc.    in    Projectirung    und    DuchfÖhning 
begriffen    sind.      Wenn    hier    auch    dem 
Architekten   für   die   äussere    Gestaltung 
grosse  Fesseln  auferlegt  waren,  wenn  die 
Grundrisse  nicht  die  Einheitlichkeit  ganz 
selbständiger  Lösungen  aufweisen  können, 
so  drückt  sich  wieder  gerade  bei  solchen 
Arbeiten  oft  am  deutlichsten  das  Wach- 
sen   der   Bedürfhisse,    die  Aenderung  in 
den    Anschauungen    aus.     Die    Begriffe 
von    Raumgrösse,    die   Forderungen    an 
Luft   und    Licht,    das    Verlangen    nach 
breiten    Communications  wegen    sind    so 
gestiegen,    dass    ganze     alte     Gebäude- 
theile    aufgebraucht    werden,    um   einen 
einzigen   neuen   Saal    zu   schaffen,    dass 
sich     die     neuen    Conturen     in    weiten 
Entfernungen 
um  den  alten 
Kern    legen. 
Manchmal 
werden  neue 
Gebäude  ne- 
ben die  alten 
gestellt,    wie  , 
in  der  Nord- 
bahnstation 
Schönbrunn, 
wo  beide  als 
ein  Complex, 

dann  ge-  ^^^  ^  ,,,„„  m^„,„  ^ 

meinsam  den 

neuen  Zwecken  zu  dienen  haben;  und 
da  tritt  die  Grösse  und  Höhe  des  mo- 
dernen Hauses  neben  den  bescheide- 
nen Dimensionen  des  alten  Bestandes 
augenfällig  zu  Tage,  so  dass  dem  ehemals 
recht  würdigen  älteren  Gebäude  später 
eine  vergrösserte  Silhouette  gegeben 
werden  musste,  damit  es  neben  dem  statt- 
lichen Neubau  in  Ehren  bestehen  kann. 
Bei  solchen  Arbeiten,  die  meist  unter 
besonders  schwierigen  äusseren  Verhält- 
nissen, bei  Aufrechterhaltung  eines  leb- 
haften Verkehrs,  mit  grosser  Beschleuni- 
gung und  nicht  selten  auch  ohne  Rück- 
sicht auf  die  Jahreszeit  durchgeftlhrt 
werden  müssen,  kommen  alle  Hilfsmittel 
der  modernen  entwickelten  Bautechnik 
in  Betracht,  wird  die  Leistungsfähigkeit 
der  Projectanten  wie  der  ausübenden 
Organe  auf  die  härteste  Probe  gestellt, 
wenn  die  Aufgaben  auch  seilen  zu  den 
dankbaren  gehören.  Zu  den  wesentlichen 


Grundbedingungen  der  Arbeiten  früherer 
Epochen,  der  möglichst  hohen  Dauer- 
haftigkeit bei  weitgehender  Bauöconomie 
tritt  in  unserer  Zeit  die  Forderung  grosser 
Raschheit  der  Durchführung  in  den 
Vordergrund.  Es  ist  natürlich,  dass 
damit  die  Anwendung  erprobter  Con- 
structionsmittel  und  einfacher  Detail - 
bildung  Hand  in  Hand  geht  Trotzdem 
aber  treten  gleichzeitig  immer  neue 
Aufgaben  an  den  Eisenbahn  -  Hochbau 
heran,  welche  Versuche  mit  ganz 
neuen  Constructionen  und  Verfahren  mit 
sich  bringen,  die  Gelegenheit  geben, 
für  wichtige  Verbesserungen  Erfah- 
nmgsmaterial  zu  sammeln.  So  waren 
die  ausgedehnten  Perronanlagen  mit  ih- 
ren Pult-  und 
Flugdächem 
eine  Veran- 
lassung,   die 

Well- 
blechdächer 
in  Verbin- 
dung mit  ei- 
sernen StOtz- 
constmctio* 
nen  zu  ver- 
wenden. 
[Siehe  Abb. 
Tafel  VI,  Fig. 
VIIundVllL] 
Die  Personendurchgangs- Tunnels,  welche 
infolge  ihres  Zusammenhanges  mit  den 
Aufnahmsgebäuden  rücksichüich  ihrer 
Ausbildung  in  der  Regel  auch  dem  Hoch- 
bau anheim  fielen,  brachten  die  Verwen- 
dung der  Monier-Gewölbe  mit  sich ;  grosse 
Magazinsbauten,  wie  das  neue  Waaren- 
magazin  der  Nordbahn  in  BrUnn  [Abb. 
278],  begünstigten  die  Anwendung  des 
Stampfbetons  in  Verbindung  mit  Eisen- 
constructionen.  Ebenso  wurde  das  Holz- 
cementdach,  die  bauliche  Verwendung  der 
Theerpappe  bei  W-änden  und  Dächern,  der 
Klinkerplatten  für  Böden  und  Wände, 
und  vieler  anderer  neuer  und  neuester 
bau  technischer  Errungenschaften  vom 
Eisenbahn -Hochbau  begünstigt,  und  es 
war  derselbe  für  diese  Neuerungen  schon 
dadurch  von  Bedeutung,  dass  die  grosse 
Ausdehnung  und  starke  Benützung  seiner 
Anlagen  eine  geeignete  Gelegenheit  zur 
Erprobung  der  Gediegenheit  neuer  Hilfs- 
27* 


(ordbahn  In  Brüan.  [iSvi.] 


420 


Hartwig  Fischel. 


mittel  ergab;  hiezu  trat  die  Möglichkeit 
einer  sorgfältigen  Ueberwachung  und 
einheitlichen  Durchführung  der  Arbeiten, 
so  dass  nicht  selten  die  Erfahrungen 
des  Eisenbahn-Hochbaues  massgebend 
wurden,  wenn  es  sich  um  die  monumen- 
tale Verwendung  erprobter  Constructions- 
Neuerungen  handelte.  So  bildete  der 
Eisenbahn-Hochbau  ein  Arbeitsfeld  wich- 
tiger Art,  das  in  steter  Wechselwirkung 
mit  anderen  Baugebieten  blieb,  wenn  auch 
gerade  in  Oesterreich  diese  Thätigkeit 
einen  mehr  stetigen  und  internen  Charakter 
trug,  so  lange  die  Gelegenheit  zu  neuen 
grösseren  Leistungen  fehlte.  Ein  Ueber- 
greifen  in  femer  liegende  Gebiete  der 
Baukunst  trat  indessen  in  Oesterreich 
mitunter  auf. 

Schon  zu  Beginn  der  Siebziger-Jahre 
hatte  der  Bau  von  Administrations- 
Gebäuden  im  Charakter  städtischer  Pri- 
vatbauten, der  Bau  von  Wohnhäusern  als 
Capitalsanlage  für  Pensionsfonds  den  An- 
fang gemacht ;  wie  z.  B.  die  hieher  gehöri- 
gen Bauten  der  Oesterreichisch-Ungari- 
schen  Staatseisenbahn-Gesellschaft  in  Wien 
und  Pest.  Einen  weiteren  Schritt  unternahm 
die  Südbahn,  als  sie  damit  begann,  an  kli- 
matischen Curorten  ihrer  Strecke  im  Ge- 
birge und  an  der  See  Hotel-Anlagen  zu 
errichten,  auf  welchem  Gebiete  sich  bald 
auch  die  Kaiserin  Elisabeth-Bahn  bethä- 
tigte.  Diese  Unternehmungen  haben  insbe- 
sondere dadurch  ihre  Bedeutung  erhalten, 
dass  sie  im  Zusammenhange  mit  guten 
Eisenbahn- Verbindungen  einigen  Orten  zu 
ungeahntem  Aufschwung  verholfen  haben, 
welche  für  die  leidende  Menschheit,  ins- 
besondere für  die  Bewohner  der  Reichs- 
hauptstadt, seither  von  wohlthätigstem 
Einfluss  waren.  Damit  im  Zusammen- 
hang stand  ein  Aufschwung  der  Alpen- 
und  See-Hotels  im  Allgemeinen,  denen 
der  ermuthigende  Erfolg  jener  durch 
Eisenbahn  -  Verwaltungen  geschaffenen 
ersten  Einrichtungen  zugute  kam.  Die 
immer  noch  wachsenden  Anlagen  auf  dem 
Semmering  und  in  Abbazia,  deren  Aus- 
führung von  Wilhelm  geleitet,  von  Fr. 
Schüler  angeregt  war,  die  älteren  von 
Flattich  errichteten  und  ebenso  prospe- 
rirenden  Hotels  in  Toblach,  Landro,  Schlu- 
derbach, die  von  Bischoff  ins  Leben 
gerufenen  Bauten    in  Zell    am   See    und 


Tarvis  sind  in  erster  Linie  zu  nennen. 
Wenn  diesen  Leistungen  auch  die  sorg- 
fältigste und  aufmerksamste  Durchbildung 
zutheil  wurde,  so  spielen  sie  natur- 
gemäss  doch  nur  eine  episodische  Rolle 
unter  den  zahlreichen  neueren  Aufgaben 
des  Eisenbahn-Hochbaues. 

Wesentlich  wichtiger  für  seine  Zukunft 
und  nicht  minder  abhängig  von  den 
modernsten  Anforderungen  entwickelter 
Verkehrs  Verhältnisse  sind  jene  Arbeiten, 
welche  wir  als  die  jüngsten  Leistung^en 
des  Eisenbahnbaues  in  Oesterreich  zu 
begrOssen  haben.  Die  Gestaltung  der 
Wiener  Stadtbahn  brachte  ver- 
schiedene Aufgaben  mit  sich,  welche  so 
recht  geeignet  waren,  neuen  Impulsen 
Raum  zu  geben. 

Der  Architekt  O.  Wagner,  welcher  zur 
Lösung  dieser  Aufgaben  berufen  war,  hat 
gerade  diesem  Moment  der  Neuerungen 
sein  Augenmerk  zugewendet.  Die  eben 
ihrer  Vollendung  entgegengehenden  Bau- 
ten [vgl.  Tafel  VII]  bilden  in  ihrer  kla- 
ren und  strengen  Disposition,  in  ihrer 
consequenten  technischen  Durchbildung 
mit  Benützung  und  Betonung  modemer 
Constructionen,  in  der  Vermeidung  ver- 
brauchter und  von  fremden  Bedingungen 
übernommener  Formen  eine  drastische 
Illustration  zu  den  schriftlich  geäusserten 
Principien    des    genannten    Architekten. 

Er  sagt  in  seiner  »Modernen  Architek- 
tur« einerseits,  »dass  der  Architekt  trach- 
ten muss,  Neuformen  zu  bilden,  oder  jene 
Formen,  welche  sich  am  leichtesten  unseren 
modernen  Constructionen  und  Bedürfnissen 
fügen,  also  schon  so  der  Wahrheit  am 
besten  entsprechen,  fortzubilden«.  Und 
an  anderer  Stelle :  ».  .  .  zur  Composition 
gehört  ferner  die  künstlerische  Oeconomie. 
Darunter  soll  ein  modernen  Begriflfen  ent- 
sprechendes, bis  an  die  äussersten  Grenzen 
reichendes  Masshalten  in  der  Anwendung 
und  Durchbildung  der  uns  überlieferten 
Formen  verstanden  sein. «  Diese  Dogmen 
werden  dadurch  entsprechend  ergänzt, 
dass  ihr  Urheber  in  der  »antikisirenden 
Horizontallinie,  der  tafelförmigen  Durch- 
bildung, der  grössten  Einfachheit  in  der 
Formgebung«  einerseits  und  andererseits 
im  »energischen  Vortreten  von  Con- 
struction  und  Material«  das  Programm 
für    die    nächste    Zukunft    erblickt.      Es 


Tafel  VII. 


.    [Nach  pbt>io£rapb<ichcD  Aufnahmen  von  H.  Patni.] 


unterliegt  wohl  keinem  Zweifel,  dass 
gerade  der  Eisen  bahn- Hochbau  von  dem 
Gelingen  und  dem  Erfolge  solcher  Ver- 
suche und  Bestrebungen  grossen  Vortheil 
ziehen  kann. 

Obwohl  in  massigeren  Formen,  so  hat 
doch  auch  er  jene  zahlreichen  Wand- 
lungen mitgemacht,  welche  die  Archi- 
tekturbestrebungen dieses  Jahrhunderts 
kennzeichneten,  wir  brauchen  hier  nur 
an  die  Versuche  in  maurischem  und 
mittelalterlichem  Stil  zu  erinnern,  denen 
die  Adoptirung  französischer,  italienischer 
und  auch  deutscher  Renaissance  gefolgt 
ist.  Und  nun  eröffnen  uns  wieder  jene 
neuesten  Arbeiten  einen  Ausblick  in  die 
Zukunft,  welcher  den  Anschluss  an  jene 
älteren  Bestrebungen  erwarten  lässt,  die 
für  die  Zeit  kurz  vor  dem  Entstehen  der 
Eisenbahnen  charakteristisch  waren. 
Aeusserlich  sind  es  ganz  ähnliche  Aus- 
druck smittel,  welche  der  Schluss  des 
Jahrhunderts  seinem  Beginne  gegenüber 
stellt.  Wenn  aber  heute  die  Rückkehr 
zur  Einfachheit    mit  Recht  grundsätzlich 


gefordert  wird,  so  unterscheidet  sich  diese 
modernste  Phase  von  jener  älteren,  we- 
sentlich durch  das  volle  Beherrschen  der 
grossartigen  inzwischen  erfolgten  Fort- 
schritte der  technischen  Wissenschaften, 
durch  das  Verarbeiten  und  Weiterbilden 
der  bisherigen  Leistungen  aller  gerade 
durch  die  Eisenbahn  einander  so  nahe 
gerückten  Völker.  Hiezu  treten  die 
grossen  Veränderungen,  welche  die  An- 
schauungen von  Raum  und  Zeit  im  Bau- 
wesen erlitten  haben. 

Solchen  Verhältnissen  Rechnung  zu 
tragen,  den  Ausdruck  hiefUr  bei  unseren 
speciellen  österreichischen  Bedin- 
gungen zu  finden,  bleibt  auf  dem  Ge- 
biete des  Eisenbahn-Hochbaues 
eine  Aufgabe  für  die  allernächste  Zeit.  Die 
gediegene  und  weitbUckende  Art,  mit 
welcher  die  jüngsten  Arbeiten  dieses 
Faches  behandelt  wurden,  bietet  die 
beste  Gewähr  dafür,  dass  der  Augen- 
blick neuer,  grösserer  Anforderungen 
auch  die  Kräfte  zu  ihrer  glücklichen  Er- 
füllung vorfinden  wird. 


Locomotivbau. 


Von 

Karl  Gölsdorf, 

k.  k.  Baurath  Im  Eiaenbahn-Mlnisterium. 


DIE  grossen  Umwälzungen,  welche 
die  Locomotive  zu  Beginn  der 
Dreissiger-Jahre  in  England  und 
Amerika  auf  dem  Gebiete  des  Handels, 
Verkehrs  und  der  Industrie  hervorge- 
rufen hatte,  waren  auf  dem  Continente 
nicht  unbeachtet  geblieben.  Unser  Vater- 
land stand  wohl  nicht  in  der  ersten 
Linie  jener  Staaten,  welche  sich  des 
neuen  Verkehrsmittels  bemächtigten ;  die 
Entwürfe  aber  zum  Baue  grosser  Loco- 
motivbahnen,  die  schon  1830  von  dem 
Professor  F.  X.  Riepl  verfasst  und  von 
Freiherrn  Salomon  von  Rothschild 
kräftigst  gefördert  wurden,  übertrafen, 
was  die  Entfernung  der  zu  verbindenden 
Orte  und  Länder  anlangt,  alle  bis  dahin 
in  Anregung  gebrachten  Projecte  in  Eng- 
land und  Amerika. 

Im  Auftrage  des  Freiherm  von  Roth- 
schild studirte  Riepl  1830  den  Locomotiv- 
bau  in  England  auf  der  Liverpool -Man- 
chester Bahn.  Von  demselben  Finanzmanne 
wurde  im  Jahre  1836  Ingenieur  Bret- 
Schneider  nach  England  geschickt,  um 
bei  Stephenson  in  New-Castle  upon  Tyne 
eine  Locomotive  anzukaufen. 

Freiherr  von  Sina,  der  bis  zum  Jahre 
1836  der  provisorischen  Direction  der 
Nordbahn  angehörte,  trat  aus  dieser 
Körperschaft  aus  und  verfolgte  selb- 
ständig den  Bau  einer  grossen  Eisenbahn, 
die  den  Süden  unserer  Monarchie  mit  Wien 
verbinden  sollte.  Er  sicherte  sich  die  Mit- 
arbeiterschaft des  Bauführers  Mathias 
Schönerer,    der  beim  Baue  der  Linz- 


Budweiser  Bahn  viele  Erfahrungen  ge- 
sammelt hatte,  und  veranlasste,  dass  der- 
selbe in  Begleitung  des  Mechanikers 
Kraft  1837  nach  England  und  Belgien 
und  nach  Amerika  reiste,  'um  in  diesen 
Mutterländern  der  Eisenbahnen  und  auf 
dem  classischen  Boden  des  Maschinen- 
baues die  neuesten  Fortschritte  und  Er- 
fahrungen über  Eisenbahnen  und  Dampf- 
wagen zu  Studiren  und  in  Oesterreich 
anzuwenden«.*) 

Als  am  4.  März  1836  dem  Wechsel- 
hause Rothschild  eine  Privilegiums- 
Urkunde  zur  Erbauung  einer  Eisen- 
bahn zwischen  Wien  und  Bochnia  er- 
theilt  wurde  und  Georg  Freiherr  von 
Sina  am  15.  März  1836  die  Erlaubnis 
zu  den  nöthigen  Vorerhebungen  und 
Terrain- Aufnahmen  für  die  Wien-Raaber 
Eisenbahn  erhielt,  stand  der  Locomotiv- 
bau  in  England  schon  auf  einer  solchen 
Höhe  der  Entwicklung,  dass  bereits 
die  Grundformen  für  Personen- 
und  Guterzug-Locomotiven  fest- 
gelegt waren. 

Die  von  Stephenson  im  Jahre  1833 
geschaffene  Type  »Patentee«  ist  das 
Vorbild  für  englische  und  vielfach 
auch  continentale  Schnellzug-Locomotiven 
bis  in  die  Siebziger -Jahre.  Die  nach 
den  Plänen  des  berühmten  Ingenieurs 
Daniel  Gooch  bei  Stephenson  1837 
gebaute  Schnellzug- Locomotive    »\orth 

ch,  Die    ersten 


426 


Karl  Gölsdorf. 


Star«  beförderte  zu  einer  Zeit,  als  in 
Oesterreich  die  ersten  Spatenstiche  für 
die  Wien- Raaber  Bahn  gemacht  wurden, 
die  Personenzüge  auf  der  Great-Westem- 
Bahn  mit  einer  Geschwindigkeit  von  80 
bis  90  knt  pro  Stunde. 

Stephenson  baute  im  Jahre  1834  die 
erste  Güterzug- Locomotive  mit  sechs 
gekuppelten  Rädern  und  Innencylindem 
für  die  Leicester-  und  Swannington- 
Bahn.  So  schwer  sind  die  Züge,  welche 
diese  Locomotive  »Atlas«  befördert, 
dass  sich  die  Directoren  dieser  Bahn 
allwöchentlich  über  die  Leistungen  dieses 
Meisterwerkes  berichten  lassen. 

Weder  für  die  in  England  bereits 
üblichen  Geschwindigkeiten,  noch  für 
die  Beförderung  besonders  schwerer 
Lasten  lag  damals  in  Oesterreich  schon 
das  Bedürfnis  vor.  Die  Angst  vor  den 
Gefahren,  die  das  neue  Verkehrsmittel 
in  sich  bergen  könnte,  war  überdies  so 
gross,  dass  beispielsweise  bei  der.  Nord- 
bahn die  grösste  Fahrgeschwindigkeit 
der  Personenzüge  auf  vier  Meilen  pro 
Stunde  festgesetzt  wurde.  In  England  for- 
derten die  bereits  vorhandene  Industrie  und 
die  verhältnismässig  nahe  beisammen 
liegenden  Handelsstädte  grosse  Fahr- 
geschwindigkeiten. In  Oesterreich  sollte 
die  in  den  Anfängen  vorhandene  Industrie 
erst  gehoben  werden.  Die  mit  den  eng- 
lischen macadamisirten,  ebenen  Strassen 
keinen  Vergleich  zulassenden  österreichi- 
schen Verkehrswege  gestatteten  nur  so 
kleine  Geschwindigkeiten,  dass  Fahr- 
geschwindigkeiten von  drei  bis  vier 
Meilen  mit  der  Locomotive  schon  weit 
über  die  Bedürfnisse  reichend  betrachtet 
wurden.  Bretschneider  und  Schönerer 
wählten  daher  in  England  und  Amerika 
Locomotiv-Typen,  die  sich  für  die  Beför- 
derung der  Personenzüge  und  Lastzüge 
in  gleicher  Weise  eigneten. 

Nachdem  bereits  am  13.  und  14.  No- 
vember 1837  Versuchsfahrten  auf  der 
Nordbahnstrecke  zwischen  Floridsdorf 
und  Deutsch-Wagram  angestellt  worden 
waren,  machte  die  von  Stephenson  ge- 
baute Locomotive  »Austria«  eine  von 
der  Regierung  angeordnete  Probefahrt, 
»zur  Prüfung  der  Maschinenführer  und 
zur  Constatirung,  dass  die  Direction  die 
in  dem  Privilegium    ausgesprochene  Be- 


dingnis,  »bis  4.  März  1838  eine  Meile 
der  Bahn  fertiggestellt  ai  habend,  erfüllt 
habe.  Die  »Austria«  war  auf  drei  Achsen 
gelagert  und  hatte  innen  liegende  Dampf- 
cylinder;  die  beiden  vorderen  Achsen 
waren  gekuppelt-  [Vgl.  Bd.  I^  i.  Theil» 
Abb.   160,  Seite  158.]*) 

Aehnliche  Locomotiveit  waren  für  die 
Nordbahn  auch  von  Taylor  in  W^arr- 
ington  [1839]  und  von  Jones  Tarn  er 
und  Evans  [1841]  gebaut  worden.  Aus 
historischem  Interesse  wird  noch  heute 
Jones  Tamer's  Maschine  »Ajaxc  von  der 
Nordbahn  in  ziemlich  gut  erhaltenem 
Zustande  aufbewahrt.  [Vgl.  Seite  471, 
Tafel  I,  Fig.  i.] 

Ausser  den  vorerwähnten  Typen  er- 
hielt die  Nordbahn  eine  zur  Beförderung 
der  Personenzüge  bestimmte  Locomotive 
von  Rennie  in  London  [1839,  vgl.  Bd.  I, 
I,  Theil,  Abb.  150,  Seite  148]  und  im 
Jahre  1841  vier  Locomotiven  von 
Sharp  in  Manchester.  [Vgl.  Abb.  192, 
Bd.  I,   I.  Theil,  Seite  202.] 

Diese  Locomotiven  von  Sharp  können 
ihrer  Bauart  nach  als  die  ersten  Schnell- 
zug-Locomotiven  Oesterreichs  angesehen 
werden.  Auch  für  die  Wien-Gloggnitzer 
Bahn  lieferte  diese  Fabrik  in  demselben 
Jahre  eine  grössere  Anzahl  von  Loco- 
motiven derselben  Type. 

Die  Nordbahn  hatte  ihre  ersten  Loco- 
motiven aus  dem  Mutterlande  der  Eisen- 
bahnen bezogen,  und  sich  hauptsächlich 
die  Erfahrungen  der  Stammbahn  der  Welt, 
der  Liverpool- Manchester  Bahn,  zu  Nutze 
gemacht. 

Der  Nordbahn  gebührt  aber  das  Ver- 
dienst, die  erste  Locomotive  in  Oester- 
reich gebaut  zu  haben.  Dieselbe  wurde 
unter  Leitung  des  englischen  Ingenieurs 
Baillie,  welcher  die  Nordbahn-Werkstätte 
einrichtete,  nach  dem  Vorbilde  der  eng- 
lischen Locomotiven  im  Jahre  1840  her- 
gestellt; sie  erhielt  den  Namen  »Patriae 
und  war  vom  Jahre  1841  bis  zum  Jahre 
1862  in  Verwendung. 

Mathias  Schönerer  hatte  Gelegenheit, 
im  Dienste  der  Wien-Raaber  Bahn  ausser 
den  Locomotiven    in  England,    auch  die 


*)  Unter  den  von  Stephenson  für  die 
Nordbahn  gebauten  Locomotiven  befanden 
sich  auch  zwei  Stück  zweiachsige  Locomo- 
tiven, vgl.  Bd.  I,    I.  Theil,   Abb.  149,  S.  148. 


Locomotivbau. 


427 


Locomotiven  in  Amerika  zu  studiren. 
Die  einfachere  Bauart  der  letzteren,  die 
Möglichkeit,  mit  denselben  scharfe  Krüm- 
mungen und  selbst  schlechten  Oberbau 
leicht  und  sicher  befahren  zu  können,  ver- 
anlasste ihn  daher,  im  Jahre  1838  bei 
Norris  in  Philadelphia  die  Locomotive 
»Philadelphia«  anzukaufen.  [Vgl.  Bd.  I, 
I.  Theil,  Abb.  178,  Seite  180.] 

Ueber  diese  Maschine  äussert  sich 
Freiherr  von  Sina  in  der  am  i.  October 
1838  abgehaltenen!.  Generälversammlung 
der  Actionäre  der  Wien-Raaber  Bahn 
bei  Besprechung  der  Geschäfts-Rechnun- 
g^en,  dass  »von  den  getroffenen  Vorbe- 
reitungen   insbesondere  anzuführen  sind: 

I .  Die  Anschaffung  der  amerikanischen 
Locomotive  »Philadelphia«,  welche  bereits 
mit  allergnädigster  Erlaubnis  Sr.  Majestät 
nächst  Neu-Meidling  an  jenem  Orte  des 
Wiener  Berges  aufgestellt  wurde,  wo  sie 
im  nächsten  Jahre  zur  Transportirung  der 
Erd-  und  Schotterwagen  während  des 
Baues  in  Verwendung  tritt.*) 

Um  bei  der  nahe  bevorstehenden  Ab- 
reise des  amerikanischen  Ingenieurs  hin- 
sichtlich der  guten  Zusammenstellung  und 
des  Ganges  dieser  Maschine  gesichert  zu 
sein,  ferner  um  andere  Dampfwagenführer 
gehörig  instruiren  zu  können,  fanden  wir  es 
zweckmässig,  daselbst  auch  eine  kurze 
provisorische  Holzbahn  errichten  zulassen. 

Die  Hauptproben  dieser  Maschinen 
haben  bereits  in  Amerika  auf  der  »Phil- 
adelphia- und  Columbia-«  Eisenbahn  statt- 
gefunden, und  können  erst  nach  Erbau- 
ung eines  Theiles  unserer  Bahn  wieder- 
holt werden. 

Da  die  Construction  einfacher  als 
die  der  englischen  ist,  so  wird  sie  ohne 
Anstand  in  österreichischen  Fabriken 
nachgeahmt  werden  können  und  da  sie 
femer  weniger  und  leichter  herzustellende 
Reparaturen  erheischt,  scharfe  Krümmun- 
gen und  grosse  Steigungen  zu  überwin- 
den fähig  ist,  endlich  der  Rauchfang  das 
Herausfliegen  glühender  Kohlenbestand- 
theile  besser  als  die  englischen  beseitigt, 
so  unterliegt  es  keinem  Zweifel,  dass  deren 
Einführung  für  die  österreichischen  Eisen- 


*)  In  Zusammenhang  mit  jenen  Ereig- 
nissen erhielt  die  Brücke,  welche  den  Ein- 
schnitt der  Südbahn  bei  Meidling  überspannt, 
den  Namen  »Philadelphia-Brücke«. 


bahnen     von    besonderem    Nutzen    sein 
wird. 

2.  Die  weitere  Bestellung  von  zwei  an- 
deren Locomotiven  in  Amerika  und  von 
elf,  mit  den  neuesten  Verbesserungen  und 
theilweise  amerikanischer  Constructions- 
art  versehenen  Dampfwagen  in  England 
bei  den  berühmtesten  Fabrikanten,  welche 
im  Laufe  der  nächsten  zwei  Jahre  eintreffen 
werden,  und  die  noch  glücklicherweise 
um  billige  Preise  accordirt  wurden. 

3.  Der  Ankauf  diverser  amerika- 
nischer und  englischer  Musterexemplare 
von  Rädern,  Achsen,  Lagern .  u.  s.  w. 
zu  Eisenbahnwagen,  von  Drehscheiben, 
Ausweichschienen,  Wassersäulen,  Krani- 
chen, Wagen,  Werkzeugen  u.  s.  w. 

4.  Die  Bestellung  einer  Partie  diver- 
ser Maschinen  sammt  Zugehör  zur  Er- 
richtung einer  grossen  Werkstätte  am 
Wiener  Haupt-Stationsplatze  der  Bahn, 
um  die  Dampf-  und  anderen  Wagen 
sowie  das  übrige  Eisenbahn-Geräthe 
immer  im  guten  Stande  erhalten  zu 
können,  wodurch  allein  der  zweckmässige, 
wohlfeile  und  ungestörte  Betrieb  aus- 
gedehnter Eisenbahnen,  vorzüglich  jener 
mit  Dampfkraft,  zu  erreichen  ist. 

Der  Bau  dieser  Werkstätte,  deren 
Plan  von  einem  der  besten  englischen 
Mechaniker  rectificirt*)  wurde,  soll  im 
Frühjahre  ohne  Zögerung  beginnen,  nach- 
dem ein  Theil  der  Maschinen  bereits 
eingetroffen  ist,  und  der  Antrag  besteht, 
unseren  Mechaniker  Kraft  noch  im  Laufe 
des  Winters  nach  England  zu  schicken, 
um  die  noch  fehlenden  Maschinen  zu 
übernehmen,  sich  genaue  Kenntnis  über 
den  Betrieb  aller  Theile  dieser  Werk- 
stätten zu  verschaffen  sowie  einige  prak- 
tisch erprobte  Arbeiter  dafür  anzuwerben.« 

Im  Gegensatze  zu  den  in  den  Jahren 
1837 — 1841  aus  England  eingeführten 
Locomotiven  von  Stephenson,  Sharp, 
Hawthom,  Rennie  u.  s.  w.  mit  inner- 
halb der  Rahmen  liegenden  Dampf- 
cylindern  und  gekröpften  Treibachsen, 
wiesen  die  von  Norris  bezogenen  Loco- 
motiven aussenliegende  Dampf cy linder 
und  gerade  Treibachsen  auf.  Die  Her- 
stellung gekröpfter  Achsen  setzte  in  den 


♦)    Sollte    heissen    »entworfen    wurde«, 
denn  er  rührte  von  John  Haswell  her. 


428 


Karl  Gölsdorf. 


Werkstätten  Einrichtungen  voraus,  über 
welche  man  damals  nicht  verfügte.*)  Die 
von  Freiherm  von  Sina  ausgesprochene 
Vermuthung,  dass  Locomotiven  ameri- 
kanischer Bauart  in  Oesterreich  leichter 
nachgeahmt  werden  könnten,  als  jene 
englischer  Bauart,  fand  daher  ihre 
Bestätigung.  Die  Locomotive  »Philadel- 
phia« war  das  Vorbild,  nach  welchem  die 
erste  Locomotive  in  der  Maschinenfabrik 
der  Wien-Raaber  Bahn  1841  hergestellt 
wurde ;  auch  die  erste,  aus  der  Locomotiven- 
fabrik  von  Günther  in  Wiener-Neustadt 
1843  hervorgegangene  Locomotive  war 
eine  Nachbildung  dieser  Locomotive  von 
Norris. 

Diese  beiden  Fabriken  konnten  den 
grossen  Bedarf  an  Locomotiven  in  den 
Vierziger-Jahren  nicht  decken,  immer  noch 
musste  das  Ausland  herangezogen  werden. 
Für  die  weitere  Ausbildung  der  für  die 
Österreichischen  Bahn-  und  Verkehrs- 
verhältnisse geeigneten  Locomotiv-Typen 
sind  aber  die  genannten  Fabriken  mass- 
gebend, so  dass  die  älteste  Geschichte 
der  Locomotive  in  Oesterreich  eigentlich 
die  Geschichte  der  ältesten  Locomotiv- 
Fabriken  ist. 

lieber  die  Maschinenwerkstätte  der 
Wien- Raaber  Bahn  wird  in  der  IL  General- 
versammlung der  Actionäre  dieser  Bahn 
am  I.  October  1839  mitgetheilt,  dass 
bereits  ein  grosser  Theil  derselben  unter 
Dach  gebracht  wurde,  so  dass  die  Auf- 
stellung der  Maschinen  demnächst  er- 
folgen und  das  Ganze  in  Betrieb  gesetzt 
werden  kann.  Schon  während  des  Baues 
dieser  Werkstätte  wurden  in  derselben 
300  Schotter  wagen,  fast  alle  Schlosser- 
und  Schmiedearbeiten  für  die  Baulich- 
keiten ausgeführt  und  73  Arbeiter  be- 
schäftigt. 

Am  21.  April  1840  wurde  die  »Ma- 
schinenwerkstätte im  Beisein  Seiner  k.  k, 
Hoheit  des  durchlauchtigsten  Herrn  Erz- 
herzogs Johann  in  Thätigkeit  gesetzt« . 

In  der  III.  Generalversammlung  der 
Actionäre  der  Wien-Raaber  Bahn,  am 
6.  März   1841,   macht  Freiherr  von  Sina 


*)  Selbst  gewöhnliche,  glatt  gedrehte 
Transmissionswellen  mussten  Anfangs  der 
Vierzig;er-Jahre  noch  aus  Enjjland  bezogen 
werden,  nachdem  die  hiesigen  Fabriken  nicht 
die  geeigneten  Drehbänke  besassen. 


die  Mittheilung,  diese  Werkstätte  dem 
allgemeinen  Bedürfnisse  zugänglich 
machen  zu  wollen,  und  gedenkt  hiefür 
ein  Landesbefugnis  anzusuchen.  In  der- 
selben Generalversammlung  wird  femer 
berichtet,  dass  bei  einem  Stande  von 
465  Arbeitern  in  dem  Zeiträume  von 
10  Monaten,  unter  der  Leitung  des  Herrn 
John  Ha s well,  unter  anderen  Arbeiten 
ausgeführt  sind: 

»An  Locomotiven  und  Tendern  ameri- 
kanischer Art :  Eine  Locomotive  imd  vier 
Tender  ganz  vollendet,  und  die  Ausführung 
des  grössten  Theiles  von  fünf  in  Arbeit 
stehenden  Locomotiven. 

An  verschiedenen  Maschinenbestand- 
theilen,  Locomotiv-Cylindem  und  Rädern, 
Schalenrädern  etc.  lieferte  die  Giesserei 
seit  17.  August  1840   807  Centner.« 

•  Die  in  diesem  Berichte  als  fertiggestellt 
angeführte  Locomotive  »Wien«  kam  am 
6.  Juni  1841  in  Dienst;  ihre  Bauart  ist 
aus  Tafel  I,  Fig.  2,  Seite  471,  ersichtlich. 
Bis  auf  kleine  Unterschiede  waren  die 
anderen  fünf  erwähnten  Locomotiven, 
»Hietzing«,  »Schönbrunn«,  »Belvedere*, 
»Liechtenstein«  und  »Altmannsdorf«,  ge- 
nau so  gebaut  wie  die  Locomotive 
»Wien« ;  sie  gelangten  noch  alle  im  Jahre 
1841  zur  Ablieferung. 

Als  Schönerer  einfach  die  Leitung 
John  Hasweirs  erwähnte,  ahnte  wohl 
Niemand,  welche  Bedeutung  dieser  Mann 
dereinst  auf  dem  Gebiete  des  Locomotiv- 
baues  erlangen  werde,  nicht  allein  in 
Oesterreich,  sondern  auf  dem  ganzen 
Continente.  So  mannigfach  sind  die  von 
ihm  entworfenen  Typen,  so  durchdacht 
die  von  ihm  angegebenen  Detailcon- 
structionen,  und  so  werthvoU  die  von 
ihm  ersonnenen  Arbeitsprocesse,  dass  es 
eine  Ehrenpflicht  für  den  heutigen  Tech- 
niker ist,  dieses  Mannes  zu  gedenken, 
dessen  oft  nicht  beachtete,  vielfach  in  Ver- 
gessenheit gerathene  Ideen  und  Construc- 
tionen  heute  erst  volle  Würdigung  finden. 

John  Haswell  [Abb.  279]  wurde  im 
Jahre  1812  zu  Lancefield  bei  Glasgow 
geboren.  Nachdem  er  an  der  Ander- 
sonian  University  in  Glasgow  seine 
Studien  beendet  hatte,  widmete  er  sich 
der  technischen  Praxis.  Mit  22  Jahren 
ist  er  im  Schiffsbau-Bureau  in  der  be- 
rühmten   Fabrik    von  William   Fairbairn 


Locomotivbau. 


&  Co.  thätig.  Im  Jahre  1837  entwarf 
er  auf  Veranlassung  Schönerer's  die  Pläne 
für  die  Reparatur- Werkstätte  der  Wien- 
Raaber  Bahn,  und  wurde  1839,  an 
Seile  des  Mechanikers  Kraft,  mit  der 
Ausführung  dieser  Pläne  betraut.  Als 
die  Werkstätte  fertiggestellt  war,  über- 
nahm er  selbständig  die  Leitung  der- 
selben, und  führte,  neben  Reparatur- 
arbeiten an  rollendem  Eisen  bahn- Material, 
sofort  auch  den  Neubau  desselben  ein. 
Die  von  ihm  in  dieser  Fabrik  errichtete 
Eisengiesserei  war  die  erste  in  Wien,  und 
die  erste,  welche  mit 
Cokes  arbeitete.*) 

Unter  John  Has- 
well  wurden  auch  die 
ersten  Schalen  guss- 
räder  in  O esterreich 
angefertigt. 

Im  weiteren  Ver- 
laufe dieser  Abhand- 
lung werden  an  ge- 
eigneter Stelle  die 
vielen  Verbesserun- 
gen und  Neuerungen, 
welche  Haswell  ge- 
schaffen, Erwähnung 
finden. 

Bereits  im  Jahre 
1842  stellte  sich  die 
Nothwendigkeit  her- 
aus, stärkere  Maschi- 
nen für  die  Wien- 
Gloggnitzer  Bahn  an-  ^^^ 

zuschaffen.  Im  Allge- 
meinen der  Locomotive  »Wien«  ähnlich,   j 
stellten  die  stärkeren  Locomotiven  •  We  i  1- 
burg"  und  >Brandhof*  einen  grossen  ' 
Fortschritt  dar.     Die  Heizfläche  war  von 
rund  33  m'  auf  rund    50  tn*   vergrösserl 
worden;    an   Stelle   der   Treibräder   von 
1*264  "*   Durchmesser    gelangten   solche 
von  1-475  w  Durchmesser  zur  Anwendung. 

Die  Ueberlegenheit  der  für  die  Nord-  I 
bahn  und  Wien-Raaber  Bahn  gelieferten  j 
Locomotiven  von  Stephenson  und  Sharp 
in  Bezug  auf  Ruhe  des  Laufes  bei  grösserer  I 
Geschwindigkeit,  veranlasste  Haswell  1 842  j 
bis  1843,  Locomotiven  mit  innerhalb  der  I 
Rahmen    liegenden  D am pfcy lindern  nach  , 

*)  Zur  Schonung  der  steiermärkischen  . 
Industrie  gestattete  die  Regierung  nicht  die  \ 
Verwendung  von  Holzkohle,  ] 


dem  Vorbilde   der  Sharp'schen  Type   zu 
bauen.     Die  Vollkommenheit  der  Einrich- 
tungen in  der  Maschinenfabrik  war  schon 
so  weit  gediehen,  dass  die  Fertigstellung 
der  gekröpften  Kurbelachsen  keine  Schwie- 
rigkeiten mehr  bot.  Von  diesen  Locomoti- 
ven [vgl.  Tafel  I,  Fig.  3,  Seite  471],  bei 
denen  an  Stelle  der  amerikanischen,  aus 
Barreneisen  geschmiedeten  Längsrahmen, 
die  englischen  Rahmen  aus  Holz,  mit  Blech 
armirt,  zur  Anwendung  gelangten,  wurden 
zwei  Stück  —  »Thalhof«  und  .Schott- 
wien« —  für  die  Wien-Gloggnitzer  Bahn, 
und     ein    Stück     — 
»Gallileo.    —   für 
die  lombardisch- ven e- 
tianische  Ferdinands- 
Bahn     gebaut.       Die 
Treibräder  dieser  Lo- 
comotive hatten  einen 

Durchmesser  von 
1738  tu. 

Bei  fast  sämmt- 
liehen  bis  zum  Jahre 
1843  in  Oesterreich 
gebauten  und  vom 
Auslandeeingeführten 
Locomotiven  wurde 
die  Umsteuerung  [Vor- 
oder Rückwärislauf] 
durch  sogenannte  Ga- 
belsteuerungen be- 
wirkt. Neben  grosser 
Complication  hatten 
In  Haswen  diese  Steuerungen  den 

Nachtheil,  dass  die- 
selben, wenn  nur  ein  Dampfvertbeilungs- 
schieber  angeordnet  war,  eine  Ausnutzung 
der  Expansivkraft  des  Dampfes  nicht  zu- 
liessen. 

Haswell  war  der  Erste,  der  in  Oester- 
reich die  den  Namen  Stephenson 's  che 
Coulissen  Steuerung  führende  Umsteue- 
rung, und  zwar  an  der  im  Jahre  1844 
für  die  Wien-Gloggnitzer  Bahn  gebauten 
Locomotive  •Meidling*  anwandte.*) 

Die  Maschine  «Meidling«  war 
eigentlich  keine  neu  gebaute  Locomotive; 
bei   ihrer   Herstellung   fanden    die    noch 

•)  Wie  in  England,  Belgien  und  Deutsch- 
land fehlte  es  auch  in  Oesterreich  nicht  an 

Bestrebungen,  noch  vor  Bekanntwerden  der 
einfachen  Stephenson' sehen  Coulissensteue- 
rung,    Steuerungen,     welche     eine     variable 


430 


Karl  Gölsdorf. 


brauchbaren  Reste  der  bald  nach  Eröffnung 
der  Wien-Gloggnitzer  Bahn  explodirten 
Locomotive  »Liesing«  Verwendung. 

Die  Kessel  der  damals  in  Oesterreich 
gebauten  Locomotiven  hatten  keinen 
Dampfdom  auf  dem  Langkessel,  sondern 
eine  kuppelartig  überhöhte  Feuerbüchse, 
nach  dem  Vorbilde  der  »Philadel- 
phia«.*) Diese- Kuppel  war  nicht  nur 
schwierig  herzustellen,  sie  war  auch, 
wegen  der  grossen  unversteiften  Flächen 
nicht  geeignet,  dem  Dampfdrucke  sicher 
Widerstand  zu  leisten.  Die  Explosionen 
der  Locomotiven  »Liesing«  imd  »Schön- 
brunn« und  später  der  »Mürz«  von  Nor- 
ris,  waren  nur  auf  diese  mangelhafte 
Construction  zurückzuführen.  Haswell 
ging  daher  schon  1843  auf  die  englische 
Form  der  Kessel  über,  welche  bei  einer 
nur  massig  überhöhten  äusseren  Feuer- 
büchse, die  Anwendung  eines  besonderen 
»Domes«  auf  dem  Langkessel  zur  Dampf- 
entnahme voraussetzte.  Diese  Dome  wur- 
den [nach  dem  Vorbilde  der  Sharp'schen 
Locomotiven]  mit  einer  aus  blank  gescheu- 
ertem Messingblech  hergestellten  Ver- 
schalung umgeben,  welche,  der  damaligen 
Geschmacksrichtung  Rechnung  tragend, 
eine  grosse  Anzahl  von  Simsen,  Leisten 
u.  s.  w,  aufwies.  Haswell  Hess  die  ersten 
dieser  Verschalungen  von  einem  Kupfer- 
schmiede in  Lanzendorf  anfertigen ;  selbst 
der  grosse  Preis  von  300  fi.  C.-M.  pro 
Stück  hinderte  nicht,  diese  nach  heutigen 
Begriffen  unschöne  Zierrath  lange  Jahre 
hindurch  beizubehalten. 

Die  Locomotive  »Meidling«  bleibt 
überdies  noch  dadurch  bemerkenswerth, 
dass  die  Rahmen,  abweichend  von  der 
amerikanischen  und  englischen  Aus- 
führungsweise, aus  einem  hochkantigen, 
mit  Blech  armirten  Futtereisen  bestanden. 

In  Wiener-Neustadt  und  Umgebung 
heisst  noch  heute  im  Volksmunde  die 
dort  bestehende  Locomotiv-Fabrik  die 
»Schleife«.  Ursprünglich  eine  Gewehr- 
lauf-Schleiferei,   später  eine  W^attefabrik, 

Expansion  ermöglichen,  zu  erproben  und  zu 
Studiren.  Besonders  die  Meyer'sche  Doppel- 
schiebersteuerung wurde  vielfach  ausgetünrt. 
Eine  der  ersten  von  Günther  in  Neustadt 
gelieferten  Locomotiven,  die  »Carolinenthal«, 
war  mit  dieser  Einrichtung  versehen. 

*)  Diese  Kesselconstruction  rührte  von 
Bury  in  England  her. 


wurden  die  Räumlichkeiten  dieser  Anlage 
für  den  Bau  von  Locomotiven  eingerich- 
tet, nachdem  am  28.  Februar  1842  zwi- 
schen Karl  von  Prevenhuber,  Bevoll- 
mächtigten des  Eisenwerksbesitzers  Josef 
Sessler  im  Krieglach,  dann  den  Herren: 
W.  Günther,  Ingenieur  der  Wien- 
Raaber  Bahn,  Heinrich  Bühl  er  und  Fi- 
delius  Armbrust  er  ein  Vertrag  ge- 
schlossen worden  war,  in  welchem  Hen 
Sessler  sich  verpflichtete,  dem  Consortium 
den  nöthigen  Material-Credit  sowie  einen 
Baarcredit  von  40.000  fl.  C.-M.  zur 
Verfügung  zu  stellen,  während  die  übri- 
gen Gesellschafter  den  Ankauf  eines 
Fabriksgebäudes,  dann  die  Einleitung 
und  Durchführung  des  Baues  von  Loco- 
motiven übernahmen. 

Die  ersten  sechs  Locomotiven,  welche 
in  dieser  Fabrik  nach  dem  Vorbilde  der 
>  Philadelphia«  1842 — 1843  gebaut  wur- 
den, die  »Sedletz«,  »Florenz«,  »Plass«, 
»Carolinenthal«,  »Hohenstadt«  und 
»Hohenmauth«,  waren  für  die  nördliche 
Staatsbahn  bestimmt.  [Vgl.  Abb.  280 
und  Tafel  I,  Fig.  4,  Seite  471.] 

Sie  hatten  ein  Dienstgewicht  von 
rund  15  /  und  arbeiteten  mit  einem 
Dampfdrucke  von  5'/»  Atmosphären. 
Locomotiven  ähnlicher  Construction,  je- 
doch mit  grösserem  Kessel  und  stärkerem 
Triebwerke  wurden  von  Wiener- Neustadt 
noch  1845  für  die  nördliche  Staatsbahn, 
und  1846/47  für  die  Nordbahn  geliefert. 

Auch  die  weiteren  von  Norris  in 
Philadelphia,  und  die  zu  Beginn  der 
Vierziger-Jahre  von  Cockerill  in  Seraing 
und  von  Meyer  in  Mühlhausen  in  Oester- 
reich eingeführten  Locomotiven  [vgl. 
Bd.  I,  I.  Theil,  Abb.  215,  Seite  231]  waren 
von  derselben  B^auart,  und  zeigten  ähn- 
liche Grössenverhältnisse. 

Im  rückwärtigen  Theile  jenes  Gebäude- 
complexes,  in  welchem  1851  die  Sigl'sche 
Maschinenfabrik  in  der  Währinger- 
strasse  in  Wien  etablirt  wurde,  hatte 
Norris  aus  Philadelphia  Mitte  der  Vier- 
ziger-Jahre den  Bau  von  Locomotiven 
und  Tendern  begonnen,  um  der  immer 
noch  regen  Nachfrage  nach  Locomotiven 
seines  Systems  billiger  genügen  zu 
können. 

Norris,  der  in  Amerika  bis  in  die 
Sechziger-Jahre    bahnbrechend    auf  dem 


J 


Locomodvbau. 


Gebiete  des  Locomodvbaues  wirkte, 
hatte  im  Jahre  1842  drei  kleine  Loco- 
motiven  angefertigt,  welche  getreue 
Nachbildungen  der  oft  erwähnten  »Phil- 
adelphia« im  Massstabe  von  nur  i  :  4 
waren.  Er  suchte  die  Erlaubnis  nach, 
diese  Miniatur-Locomotiven  den  continen- 
talen  Herrschern  überreichen  zu  dürfen. 
Ein  Exemplar  gelangte  in  den  Besitz 
des  Kaisers  Nikolaus  von  Russland,  ein 
Exemplar  wurde  dem  König  Louis 
Philipp  von  Frankreich  Überreicht;  die 
dritte  Maschine  erhielt  Erzherzog  Franz 
Karl,  der  Vater  unseres  Monarchen. 

In  Russland  mit  blossem  Danke,  in 
Frankreich  mit 
Bestellungen 
entlohnt,  er- 
hielt Norris  in 
Oest erreich  die 
Erlaubnis,  für 
dieH  erste  llung 
seiner  Loco* 
motiven  eine 
Fabrik  einrich- 
ten zu  dürfen. 

Aus  dieser 
Fabrik  gingen  ocomot  v*   er 

in  den  Jahren  1844  bis  1846  eine 
Reihe  von  Lccomotiven  und  Tendern 
hervor,  deren  Bauart  aus  Abb.  281  er- 
sichtlich ist. 

Der  Verkehr  auf  den  österreichischen 
Bahnen  nahm  bald  derart  zu,  dass  selbst 
die  starken,  ungekuppelten  Locomotiven 
von  Haswell,  welche  bereits  eine  Treib- 
achs-Bei  astung  von  12  Vi  t  aufwiesen, 
nicht  mehr  hinreichten.  Fast  gleichzeitig 
mit  Cockerill  in  Seraing  modihcirte  Gün- 
ther 1844  die  Type  der  »Philadelphia« 
derart,  dass  an  Stelle  des  zweiachsigen 
Drehgestelles  eine  Laufachse  angeordnet 
wurde,  und  zur  Erzielung  eines  höheren 
Adhäsionsgewichtes  zwei  unter  sich  durch 
Kuppelstangen  verbundene  Räderpaare 
Anwendung  fanden. 

Die  von  Neustadt  in  diesem  Jahre 
nach  dieser  Bauart  für  die  Nordbahn 
gelieferten  Locomotiven  »Koloss«  und 
•  Elephanti  erregten  ob  ihrer  Leistungs- 
fähigkeitallgemeines Aufsehen.  [Abb.  282.] 

Als  Haswell  an  den  Bau  stärkerer 
Maschinen  schritt,  behielt  er,  um  die 
Sicherheit  des  Laufes  in  den  Krümmun- 


gen nicht  zu  beeinträchtigen,  das  zwei- 
achsige Drehgestelle  der  »Philadelphia« 
bei,  nur  fügte  er  ein  zweites  Treibräder- 
paar ein.  Die  Achsanordnung  dieser 
ebenfalls  fast  gleichzeitig  von  Cockerill 
geschaffenen  Type  erhielt  sich  mit  Ver- 
besserungen in  den  Einzelheiten  lange 
Zeit  auf  vielen  österreichischen  Bahnen 
bei  den  Personenzug- Locomotiven. 

Die  ersten  zwei  dieser  Locomotiven, 
»Adlitzgraben*  und  »Kaiserbrunn« 
für  die  Wien-Gloggnitzer  Bahn,  hatten 
Treibräder  von  1422  m  Durchmesser 
und  ein  Gesa  mm  tge  wicht  von  22'/»  t- 
[Vgl.  Tafel  II,  Fig.   i,  Seite  472.] 

Um  die  aus 
den  Unregel- 
mässigkeiten 
des  Oberbaues 
sich  ergeben- 
den Entlastun- 
gen und  Ueb  er- 
lastun gen  ein- 
zelner Räder 
und       Achsen 

unschädlich 
zu       machen, 
'      '  wandte      man 

schon  in  den  Vierziger-Jahren  Ausgleich- 
hebel [Balanciers]  zwischen  den  Trag- 
fedem  zweier  Aclisen  an.  Diese  oft  den 
Amerikanern  zugeschriebene  Erfindung 
findet  sich  in  Amerika  nachweislich  erst 
1845  bei  den  Locomotiven  von  Rogers. 
Ohne  die  Frage  der  Priorität  zu  berühren, 
sei  bemerkt,  dass  bereits  im  Jahre  1844 
die  für  die  Nordbahn  von  Cockerill  ge- 
lieferten Locomotiven  mit  Balanciers  ver- 
sehen waren,  und  dass  Haswell  als  der 
erste  in  Oesterreich,  diese  Construction 
bei  den  Locomotiven  »Adlitzgraben«  und 
»Kaiserbrunn«  zur  Ausführung  brachte. 
Einige  Jahre  hindurch  reichten  diese 
Maschinen,  jedoch  mit  Treibrädem  von 
nur  r264  m  Durchmesser,  auch  für  die 
Beförderung  der  Güterzüge  aus.  Fast 
alle  der  damals  bestehenden  Locomoliv- 
Fabriken  des  In-  und  Auslandes  — 
Günther,  Kessler  in  Esslingen,  Maffei 
in  München,  Cockerill  in  Seraing  u.  s.  w. 
—  lieferten  bis  1850  eine  grosse  An- 
zahl derartiger  Locomotiven  für  die  süd- 
lichen, südöstlichen  und  nördlichen  Staats- 
bahnen sowie  für  die  Kaiser  Ferdinands- 


432 


Karl  Gölsdorf 


Nordbahn.  [Vgl.  Bd.  I,  i.  Theil,  Abb.  236, 
Seite  252.] 

Bald  war  aber  auch  diese  Type 
nicht  mehr  geeignet,  den  Anforderungen 
zu  entsprechen.  Wieder  war  es  Has- 
well,  der  im  Jahre  1846  mit  der  Loco- 
motive  »Fahrafeld«  für  die  Wien-Glogg- 
nitzer  Bahn  dem  Bedürfnisse  Rechnung 
trug.  Die  »Fahrafeld«  war  die  erste 
in  Oesterreich  gebaute  Güterzug- 
Locomotive  mit  sechs  gekuppel- 
ten Rädern.  In  Bezug  auf  Grösse  der 
Heizfläche  —  rund  130  m^  —  übertraf 
sie  alles  bisher  Dagewesene.*)  [Vgl. 
Tafel  II,  Fig.  2,  Seite  472.] 

In  den  einzelnen  Bestandtheilen  ver- 
bessert und  verstärkt,  mit  allen  Neue- 
rungen der  Gegenwart  versehen,  reprä- 
sentirt  diese  Type  die  bis  vor  wenigen 
Jahren  ausschiesslich  und  selbst  heute 
noch  vielfach  gebaute  normale  Güterzug- 
Locomotive  österreichischer  und  deutscher 
Bahnen.  [Vgl.  Tafel  XVI,  Fig.  3  und  4, 
Seite  486.] 

Das  zweiachsige  vordere  Drehgestelle 
der  »Philadelphia«  hatte  sich  bei  dem 
ältesten,  vielfach  sogar  ohne  Laschen- Ver- 
bindung ausgeführten  Oberbau  der  ersten 
Bahnen  Oesterreichs  vorzüglich  bewährt. 

Die  mit  dieser  Anordnung  der  Lauf- 
achsen versehenen  Locomotiven  waren 
aber  für  grössere  Geschwindigkeiten  als 
35  bis  40  ktn  pro  Stunde  nicht  geeignet, 
weil  die  bei  der  damaligen  Construction 
der  Drehgestelle  bedingte  Neigung  der 
Dampfcylinder  gegen  die  Horizontale, 
oder,  bei  horizontaler  Anordnung  der 
Cylinder,  deren  weite  Lagerung  nach 
vorne,  einen  unruhigen  Gang  der  Ma- 
schine erzeugten.  Dieser  unruhige  Lauf, 
fälschlich  dem  Drehgestelle  selbst  zu- 
geschrieben, veranlasste  fast  alle  Con- 
structeure  Oesterreichs,  bei  der  Auf- 
stellung von  Typen,  welche  ausschliess- 
lich für  die  Beförderung  von  Personen- 
zügen bestimmt  waren,  das  Drehgestelle 
zu  verlassen. 


♦)  An  der  Locomotive  »Fahrafeld«  war 
ein  Apparat  angebracht,  durch  welchen  ein  ' 
Theil  lies  aus  dem  Blasrohr  entströmenden  ' 
Dampfes  condensirt  und  wieder  zur  Kessel-  1 
Speisung  verwendet  werden  konnte.  In  1 
besserer  Form  wurde  dieser  Condensator  , 
später  von  Kirchweger  in  Deutschland  aus- 
geführt. 


Stephenson  hatte  1842  die  sogenannte 
»Patentlocomotive«  constniirt.  Die  Er- 
fahrung hatte  gezeigt,  dass  bei  den 
damals  üblichen  Längen  der  Siederohre 
von  2' 5  bis  2*8  w  die  Heizgase  mit 
einer  Temperatur  von  rund  700*  dem 
Rauchfange  entströmten.  Um  den  Brenn- 
stoff besser  auszunützen,  wandte  Stephen- 
son Siederohre  von  rund  4*2  f#f  Länge 
an.  Kessel  mit  diesen  langen  Siede- 
rohren hätten  bei  der  Anordnung  einer 
Achse  hinter  dem  Feuerkasten  einen 
sehr  grossen  Radstand  erfordert,  welchen 
man  nach  den  zu  dieser  Zeit  herrschenden 
Ansichten  tiber  Curvendurchlauf  nicht  für 
zulässig  erachtete;  Stephenson  verlegte 
daher  alle  Achsen  unter  den  Langkessel. 

Die  geringe  Belastung  der  Endachsen, 
der  grosse  Ueberhang  rückwärts  und 
vorne,  verursachten  aber  einen  äusserst 
unruhigen  Lauf,  so  dass  diese  Type 
ihrer  Bestimmung  als  Personenzug- Loco- 
motive nicht  entsprach,  und  trotz  vieler 
guter  Detailconstructionen,  einen  grossen 
Rückschritt  darstellte.  Dennoch  fand 
diese  Constniction  auf  vielen  Bahnen 
des  Continentes  Eingang,  insbesondere 
in  Deutschland  und  Frankreich. 

Als  Haswell  im  Jahre  1846  für  die 
südöstlichen  Staatsbahnen  eine  speciell 
für  die  Beförderung  der  Personenzüge  ge- 
eignete Locomotive  bauen  sollte,  acceptirte 
er  die  vorerwähnte  Construction;  es 
wurde  jedoch  nur  ein  Stück  nach  dieser 
Bauart, die  Locomotive  »Bets«,  ausgeführt. 
[Vgl.  Tafel  II,  Fig.  3,  Seite  472.]  Die  Fehler 
dieser  Type  vielleicht  voraussehend,  modi- 
ficirte  er  die  in  demselben  Jahre  für  dieselbe 
Linie  erbauten  weiteren  vier  Stück  Per- 
sonenzug -  Locomotiven  —  »Czegledt, 
»Abonvi«,  »Pilis«  und  »Monor«  —  der- 
art,  dass  an  Stelle  der  vor  dem  Feuer- 
kasten liegenden,  wenig  belasteten  Lauf- 
achse eine  mit  der  Treibachse  gleich  bela- 
stete Kuppelachse  Anwendung  fand. 
[Vgl.  Tafel  II,  Fig.  4,  Seite  472.]  Die  ge- 
kuppelten Räder  hatten  einen  Durchmesser 
von  i'SSo  wi;  das  Adhäsionsgewicht  be- 
trug 18  f.  An  Stelle  der  innerhalb  der 
Räder  angeordneten  Rahmen,  in  den 
Sechziger-Jahren  mit  Aussenrahmen  und 
Kurbeln  gebaut,  figurirt  diese  Type  heute 
noch  auf  den  meisten  österreichischen 
Bahnen  als  Personenzug- Locomotive. 


I 


Locomotivbau. 


Mit  der  Type  »Fahrafeld«  und  den 
letztgenannten  Locomotiven  »Czegled« 
u.  s.  w.,  war  in  Oesterreich  eine  ganz 
bestimmte  Richtung  für  die  weitere  Ent- 
wicklung der  Personenzug-  oder  Schnell- 
üug- Locomotiven  und  der  Güterzug-Loco- 
motive  festgelegt  worden.  Die  in  allen 
Kronländem  der  Monarchie  angefangenen 
und  schon  dem  Verkehre  übergebenen 
Theilstrecken  der  grossen  Bahnen  bildeten 
aber  noch  kein  geschlossenes  Netz;  die 
Verbindungsglieder  —  Semmering  u.  s,  w. 
—  harrten  noch  des  Ausbaues.  Die  An- 
forderungen, welche  der  Verkehr  dereinst 
auf    den     grossen      zusammenhängenden 


erfand  dieser,  um  die  Entwicklung  des 
Werkstätten wesens  hochverdiente  Mann 
die  nach  ihm  benannten  'Baillie'schem 
Schnecken  federn,  welche,  mit  Ausnahme 
von  Amerika,  heute  in  der  ganzen  Welt 
bei  den  Buffern  und  Zug  Vorrichtungen 
sämmtlicher  Locomotiven,  Tender  und 
Wagen  Verwendung  finden.  *)  Spiral- 
förmig oder  schraubenförmig  gewundene 
Federn  waren  damals  wohl  schon  be- 
kannt; die  Querschniltsform  des  gewun* 
denen  Stahles  gab  aber  nur  geringe 
Durchbiegung  oder  Einsenkung.  Die 
Idee  Baillie's,  ein  dünnes  Stahlblatt  so 
zu  wickeln,    dass    die  Kraftrichtung    die 


Bahnen  an  Geschwindigkeit  undLeistungs- 
fähigkeit  stellen  würde,  konnte  man  nicht 
ermessen :  der  Locomotivbau  bewegte  sich 
daher  Ende  der  Vierziger-  und  Anfang 
der  Fünfziger-Jahre  in  dem  Rahmen  der 
Bedürfnisse  des  Augenbhckes,  so  das-) 
die  vielen  nach  den  bisherigen  Vorbildern 
in  Oesterreich  bis  Beginn  der  Fünfziger- 
Jahre  gebauten  Locomotiven  kein  be- 
sonderes Interesse  bezüglich  Conception, 
Leistung  und  Schnelligkeit  beanspruchen. 
Von  grösster  Wichtigkeit  sind  aber  die  in 
dieser  Zeit  gemachten  Verbesserungen  an 
den  einzelnen  Bestandtheilen,  insbesondere 
Stoss-  und  Zugvorrichtung  betreffend. 

Der  mit  den  ersten  für  die  Nordbahn 
bestimmten  Stephenson 'sehen  Locomo- 
tiven nach  Oesterreich  gekommene  eng- 
lische Ingenieur  Baillie,  Übernahm, 
nachdem  er  Ende  der  Dreissiger-Jahre 
die  Nord  bahn -Werk  Stätte  in  Wien  ein- 
gerichtet hatte,  die  Leitung  der  in  Pest 
errichteten  Reparatur- Werkstätte  der  süd- 
östlichen Staatsbahnen.     Im  Jahre  1IS46 


>  Sern.  I»  Wien.  (!««,.] 

Hochkante  des  Blattes  trifft,  gab  leichte 
Federn  mit  einer  so  grossen  Einsenkung 
und  Widerstandsfähigkeit,  dass  erst  mit 
diesen  Federn  die  Frage  der  Zug-  und  Stoss- 
vorrichtungen  einer  befriedigenden  Lösung 
zugeführt  war.  Haswell  und  Günther 
wandten  dieselben  zunächst  als  Trag- 
fedem  bei  den  meisten  in  den  Jahren 
1847  bis  1855  gebauten  Locomotiven  an. 
[Vgl.  Abb.  Tafel  II,  Fig.  4  und  Tafel  IV. 
Fig.   I,  Seite  472  und  474.] 

Bei  den  alten  englischen  Postkutschen 
und  den  meisten  anderen  Strassenwagen 


•)  Die  illtesten  Locumotiven  Oesterreichs 
hatten  zur  Milderung  dt;s  beim  Anfahren  an 
andere  Fahrzeuge  auftretenden  Siusses  an 
dem  vorderen  Brustbaume  entweder  nur 
einfache,  mit  Blech  beschlairene  H'>lz- 
stöckel,    cJtr    nach    dem    ViirbilJe    der    im- 

Eartirten  enf;lisi;hen  Locomotiven  Stoss- 
issen  »der  Stnssballen,  bestehend  aus  einer 
cvlitidrischen,  mit  Rosshaar  gefüllten  I.eder- 
hülse,  welche  mit  Eisenrinnen  und  einer  vor- 
deren hiiizernen  Stossplatle  armirt  waren, 
[Vgl.  Tafel  l,  Fig.  2  und  3,  Seite  471.] 
23 


434 


Karl  Gölsdorf. 


war  der  Abstand  der  Aussenfläche  der 
beiden  auf  einer  Achse  sich  drehenden 
Räder  mit  fünf  Fuss  bemessen.  Als  die 
ersten  Eisenbahnen  in  England  gebaut 
wurden,  richtete  sich  die  Spurweite  — 
Abstand  der  Innenseiten  der  Schienen- 
stränge —  nach  diesen  Fahrzeugen,  nach- 
dem man  mit  denselben  diese  Bahnen  be- 
fahren wollte  und  zu  diesem  Zwecke  an 
der  Rad-Innenseite  Spurkränze  anbrachte. 
Die  Spurweite  ergab  sich  hieraus  mit 
4  '  8V2  "  [englisch]  gleich  1*435  m. 
Diese  Schienenentfernung  fand  von  Eng- 
land aus  in  Amerika  Eingang  und  wurde, 
mit  Ausnahme  von  Russland  und  Baden,  ♦) 
Ende  der  Dreissi ger-Jahre  von  allen  con- 
tinentalen  Staaten  angenommen. 

Die  Spurweite  war  und  blieb  lange 
Zeit  hindurch  das  einzige  Mass,  welches 
die  »technische  Einheit«  aller  Bahnen 
repräsentirte.  Mit  dieser  Einheit  war  aber 
ein  internationaler  Durchgangs- Verkehr, 
selbst  ein  Verkehr  auf  den  einzelnen 
Bahnen  eines  Landes  nicht  möglich,  nach- 
dem wegen  Verschiedenheit  der  Stoss-  und 
Zug  Vorrichtungen  die  Fahrbetriebsmittel 
der  einzelnen  Bahnverwaltungen  nicht 
unter  einander  gekuppelt  werden  konnten. 

Nachdem  im  Jahre  1846  die  preussi- 
schen  Bahn  Verwaltungen  zur  Ausarbeitung 
gemeinschaftlicher  Bestimmungen  sich 
vereinigt  und  den  Beschluss  gefasst 
hatten,  ihren  Verband  auf  alle  conces- 
sionirten  deutschen  Eisenbahn  -  Verwal- 
tungen auszudehnen,  traten  im  Jahre  1847 
die  Kaiser  Ferdinands-Nordbahn  und  die 
Wien-Gloggnitzer  Bahn  dieser  Vereini- 
gung bei.  Vierzig  dieser  Vereinigung  an- 
gehörige  Bahnverwaltungen  beschlossen 
in  der  Ende  1847  in  Hamburg  tagenden 
Versammlung,  für  ihren  Verband  den 
Namen  »Verein  Deutscher  Eisenbahn- 
Verwaltungen«   anzunehmen. 

Die    von    diesem    Vereine**)    in    der 


ersten  Technikerversammlung  im  Jahre 
1850  aufgestellten  Normen  über  einheit- 
lichen Bau  der  Fahrbetriebsmittel  ent- 
hielten —  zunächst  nur  für  Wagen  und 
Tender  —  bereits  bindende  Vorschriften 
über  die  gegenseitige  Entfernung  der  Buffer 
und  Höhe  derselben  über  der  Schienen- 
Oberkante,  und  ebenso  Vorschriften  über 
die  Situirung  der  Zugvorrichtungen.  In 
Oesterreich  war  die  Anordnung  der  Buffer 
so  sehr  verschieden  von  der  aufgestellten 
Norm  [sie  standen  eng  beisammen],  dass 
in  der  Zeit  des  Ueberganges  auf  das  ein- 
heitliche Mass  vier  Buffer,  und  zwar  zwei 
enggestellte  und  zwei  weitgestellte,  beim 
Neubau  vieler  Locomotiven  Anwendung 
fanden.  Erst  1862  waren  sämmtliche  Fahr- 
betriebsmittel auf  den  Hauptlinien  mit 
regelrecht  gestellten  Buffern  versehen. 

»Recta  sequi.«  In  Stein  gegraben  ist 
dieser  Wahrspruch  der  alten  österreichi- 
schen Eisenbahnbauer  auf  dem  Portale 
des  im  Jahre  1841  bei  Gumpoldskirchen 
durch  den  Katzbichel  getriebenen  Tunnels 
zu  lesen.  »Geradeaus«  war  der  Grund- 
satz dieser  Pionniere;  keine  verlorenen 
Gefälle,  keine  unnöthigen  örtlichen  Stei- 
gungen und  Vermeidung  von  scharfen 
Krümmungen,  welche  den  Betrieb  er- 
schweren und  vertheuem  könnten !  Un- 
begreiflich erscheint  dem  modernen  Bau- 
Ingenieur  diese  Traceführung;  aber  begreif- 
lich und  nothwendig  war  sie  nach  dem 
Stande  der  damaligen  Locomotiv-Technik. 

Doch  kaum  ein  Jahrzehnt  war  ver- 
flossen, da  stand  die  Locomotive  so 
leistungsfähig  und  vollkommen  da,    dass 


*)  Die  im  Grossherzogthum  Baden  mit 
einer  Spurweite  von  r6oo  nt  angelegten 
Staatsbahnen  wurden  bald  mit  grossen  Kosten 
auf  die  normale  Spur  von  1*435 m umgebaut. 

**j  Der  Verein  deutscher  Eisenbahn-Ver- 
waltungen, ursprünglich  nur  den  Interessen 
eines  Staates  dienend,  umfasst  heute 
nahezu  alle  Bahnen  des  Continents. 
Die  von  ihm  aufgestellten  Normen  über  den 
Bau  sämmtlicher  Fahrbetriebsmittel,  welche 
von    Zeit    zu    Zeit,    den    Fortschritten    ent- 


sprechend, neu  aufgelegt,  revidirt  und  er- 
weitert werden,  enthalten  Vorschriften  über 
die  einheitliche  Anordnung  von  Zug-  und 
Stossvorrichtungen,  über  die  einheitliche  An- 
ordnung und  Form  der  Anschluss- Stücke 
[Kuppelungen],  der  durch  geh  enden  Luftdruck- 
und  Luftsaugebremsen  und  der  Dampf- 
heizungen, über  Ueberlegbrücken  zwischen 
den  Personenwagen  u.  s.  w.,  so  dass  erst  die 
Thätigkeit  dieses  Vereines  den  internationalen 
Verkehr  ermöglichte.  Die,  alle  Gebiete  der 
Technik  umfassende  Geistesarbeit,  welche  zu 
diesem  Erfolge  führte,  stempelt  den  Verein 
zu  einem  Centralpunkte  der  Wissenschaft; 
sein  alle  continentalen  Staaten  berührender 
Einfluss  macht  ihn  auch  zu  einem  politischen 
Factor  ersten  Ranges,  so  dass  wohl  kaum  ein 
anderer  Verein  der  Welt  ihm  an  Ansehen 
und  Bedeutung  gleichkommt. 


Locomotivbau. 


435 


Ghega,  der  Erbauer  der  Semmering- 
bahn,  alle  Einwendungen  Berufener  und 
Unberufener  niederkämpfend,  die  Eignung 
der  Locomotive  für  Steigungen  von  i :  40 
und  Krümmungen  von  190  m  behaupten 
und  beweisen  konnte.  *) 

Gegen  die  Verfechter  des  Seil  betrieb  es, 
gegen  die  Anhänger  der  atmosphärischen 
Eisenbahnen,  selbst  gegen  das  Votum  des 
Oesterreichischen  Ingenieur  -  Vereines 
setzte  Ghega  es  durch,  dass  die  Ausschrei- 
bung eines  hohen  Preises  für  die  den  Anfor- 
derungen des  Semmering  am  besten  ent- 
sprechende Locomotive,  hohen  Ortes  Beach- 
tung fand  und  auch  angeordnet  wurde.**) 

Das  im  Monate  März  1850  veröffent- 
lichte Programm  fUr  die  Construction  einer 


druck  125  Centner  [7  t],  und  beschränkte 
die  grösste  Höhe  der  Maschine  mit  15' 
[4740  m]  und  die  grösste  Breite  mit  9' 
[2-844  *«]■  Ausser  der  Vorschreibung 
der  nöthigen  Armaturstücke  des  Kessels 
war  noch  die  Bestimmung  aufgenommen, 
dass  die  Bremseinrichtungen  ein  Anhalten 
der  allein,  mit  einer  Geschwindigkeit  von 
vier  Meilen  [etwa  30  km]  fahrenden  Loco- 
motive auf  80  Klafter  [etwa  152  m]  er- 
möglichen sollten.  Keinerlei  sonstige  Vor- 
schriften hinderten  die  Entfaltung  des 
technischen  Erfindungsgeistes. 

Ende  Juli  185 1  waren  in  Payerbach 
vier  Locomotiven  zur  Preisbewerbung 
eingelangt:  die  >Bavaria<  von  Maffei 
in  München,  die  »Seraing«  vonCockerill 


Semmering -Locomotive  war,  nachdem 
auch  das  Ausland  zur  Preisbewerbung 
herangezogen  werden  sollte,  in  drei 
Sprachen  abgefasst.  Als  Leistung  war 
verlangt  die  Beförderung  eines  Zuges 
von  2500  Wiener  Centnern  [140  /]  mit 
l'/j  Meilen  [li"25  km]  Geschwindigkeit 
pro  Stunde  auf  der  Steigung  von  i :  40. 
Das  Programm  normirte  als  höchsten 
zulässigen  Dampfdruck  lOJ  Pfund  pro 
Quadratzoll,  als  grössten  zulässigen  Rad- 

*)  Bereits  im  Jahre  1846  wurden  die  Linie 


und  in  Württemberg  die  Bahn  über  die  Rauhe 
Alp  mit  Steigungen  von  1:40  und  1:45  an- 
standslos mit  Locomotiven  betrieben. 

••)  Vgl.  Bd.  1,  I.  Theil,  H.  Strach.  Die 
ersten  Staatsbahnen,  Seite  273,  und  Bd.  II, 
C.  Werner,  Tracirung. 


liv.  d<t  Kordbihu.   (.&I4.] 

in  Seraing,  die  «Wiener-Neustadt« 
von  Günther  in  Wiener-Neustadt  und  die 
•  Vindobona.  von  Haswell  in  Wien. 
[Vgl.  Abb.  260  bis  263,  Bd.  I,  I.  Theil, 
S.  277  und  278*)  und  Tafel  III,  Fig.  1  und  2, 
Tafel  IV,  Fig.  I  und  2,  S.  473  und  474,] 
Die  Locomotive  •Bavaria«  war  auf 
vier  Achsen  gelagert,  von  denen  die 
beiden  vorderen  ein  Drehgestelle  bil- 
deten ;  der  Tender  hatte  drei  Achsen. 
Die  Räder  des  Drehgestelles  und  die 
Räder  des  Tenders  waren  in  gewöhn- 
licher Weise  durch  Kuppelstangen  ver- 
bunden. Von  der  hinter  dem  Feuerkasten 
angeordneten  Treibachse  der  Locomotive 

*)  Die  Preis -Locomotiven  trugen  folgende 
Fabrications- Nummern:  »Bavana«  7z,  »Se- 
raing*   290,    »Wiener-Neustadtt   73,  »Vindo- 


436 


Karl  Gölsdorf. 


wurden  die  Tenderachsen  durch  inner- 
halb der  Rahmen  liegende  Kettenräder 
und  Kette  ohne  Ende  angetrieben;  in 
derselben  Weise  war  die  Kuppelung  des 
Drehgestelles  mit  der  vor  dem  Feuerkasten 
liegenden  Kuppelachse  durchgeführt,  so 
dass  das Gesammtge wicht  von  Locomotive 
und  Tender  als  Adhäsionsgewicht  nutzbar 
gemacht  werden  konnte. 

Die  Locomotive  »Seraing«  hatte  vier 
Achsen  und  vier  Dampfcylinder,  von  denen 
je  zwei  in  einem  Drehgestelle  gelagert 
waren ;  die  Dampfcylinder  waren  inner- 
halb der  Rahmen  angeordnet.  Der  Kessel 
bestand  eigentlich  aus  zwei  mit  den  Rück- 
seiten aneinander  stossenden  Kesseln,  be- 
sass  somit  zwei  getrennte  Feuerbüchsen, 
zwei  Systeme  von  Siederohren  und  hatte 
vorne  und  rückwärts  einen  Rauchfang. 
Längs  des  Kessels  waren  Wasserkasten 
angeordnet;  ein  kleiner  zweiachsiger 
Tender  diente  zur  Mitführung  der  Kohle. 

Aehnlich  gebaut  in  Bezug  auf  die 
Räder-  und  Cylinder- Anordnung  war  die 
»Wiener-Neustadt«.*)     Sie    hatte  jedoch 

*)  Der  Entwurf  dieser  Maschine  rührte 
von  dem  leider  im  frühesten  Mannesalter 
verstorbenen  Ingenieur  Frank  her. 


einen  in  gewöhnlicher  Weise  ausgeführten 
einfachen  Kessel  mit  sehr  langen  Siede- 
rohren. Die  Dampfcylinder  lagen  ausser- 
halb der  Rahmen.  Speisewasser  und 
Kohle  waren  auf  der  Maschine  selbst 
untergebracht. 

Wenig  principiell  Neues  bot  die 
»Vindobona«  in  der  Gruppirung  der 
Achsen.  Sie  hatte,  als  sie  zur  Abliefe- 
rung gelangte,  nur  drei  gekuppelte, 
in  einem  starren  Rahmen  gelagerte 
Achsen ;  eine  derselben  war  hinter  der 
Feuerbüchse  angeordnet.  Bei  der  Abwäge 
stellte  es  sich  heraus,  dass  die  Vorder- 
achse überlastet  war;  mit  grösster  Be- 
schleunigung wurde  daher  zwischen  der 
ersten  und  zweiten  Achse  noch  ein  Räder- 
paar eingeschaltet,  so  dass  aus  dieser  drei- 
achsigen Maschine  ein  Achtkuppler  wurde. 

Auch  bei  den  anderen  Preis-Locomo- 
tiven  kamen  beträchtliche  Ueberschrei- 
tungen  des  vorgeschriebenen  Raddruckes 
vor.  Um  nicht  alle  Locomotiven  zurück- 
weisen zu  müssen,  sah  sich  die  Com- 
mission  veranlasst,  das  Wort  Raddruck 
so  auszulegen,  dass  darunter  nur  jenes 
Gewicht  zu  verstehen  sei,  mit  dem  ein 
Rad  durch  die  Federn  belastet  wird. 


Tabelle  über  die  Hauptabmessungen  der  Preis-Locomotiven. 


Dampf-    "y      :-£     i  Treibräder '|  Siederohre   \ 


Name  der    ,;  cyhnder    ^  6  ^ 


N 


Locomotive  '    •  rs  xs  «  ^    ^      ^ß 


Q  a 


luj 


I      Wi 
U    CO 

<  IQ  e 


ci 

N 

< 


ij  ü 


*^   O    Ü 


Anmerkung 


G 


o 


Bavaria 


i! 


Seraing 

Wiener-      |' 
Neustadt 

Vindobona    ' 


2      508  ,  85  !i  764 

!        I;        i|       .| 
4   i  422  I  72  I  712  '1 

I        .1       li 
4    ;  330     85  '  632  ■: 

2   448  85 1 579 : 


M 
8 

8 

8 


229 
2x170= 


1067 

1X06   I       180 
0948    i      286 


4424;^  175-0  il  2-3 

3192  I'  1880,  2  2 

I ' 

6  484  I  183-6    17 


73*00 
5600 
64-20 


Gewicht  mit 
Tender 

Gewicht  ohne 
Tender 


3372  ,  176-2    1-59  I  47-15 


I 
jj 

;i  Gewicht  ohne 
Tender 


Nachdem  die  Mitte  August  1851 
vor<;enommenen  Leerfahrten  und  Brems- 
versuche bei  keiner  Maschine  einen  An- 
stand erjreben  hatten,  wurden  Ende  des- 
selben Monates  die  Leistunj^sproben  vor- 
genommen. 

Die  *  B  a  v  a  r  i  a  «  betorderte  auf  der 
Stei<^un<r  von  i  :  40  einen  Zu<r  von 
2640  Centnern  mit  2*44  Meilen  Ge- 
sch\vindi«;keit;   die   >Serainirf^    2523  Cent- 


ner mit  1*88  Meilen,  und  die  »Wiener- 
Neustadt«  und  die  »V^indobona«  jede 
2500  Centner  mit   i  7j  Meilen. 

Die  »Bavaria«  hatte  die  Programm- 
Forderung  weitaus  überboten;  überdies 
erreichte  sie  ihre  Leistung  mit  einem 
Brennstoff- Verbrauche,  der,  auf  die  Lei- 
stunj^seinheit  bezogen,  viel  kleiner  war, 
als  der  Verbrauch  der  anderen  Preis- 
Locomotiven.     Es    wurde    ihr  daher   der 


LocoRiotivbau. 


Preis  von  20.000  Ducaten  zuerkannt.  Die 
anderen  Maschinen:  •Wiener-Neusladt«, 
»Seraingt  und'Vindobona»  — letztere  erst, 
nachdem  einige  wesentliche  Aenderungen 
vorgenommen  waren  —  wurden  um 
10.000,  gooo,  beziehungsweise  8000  Du- 
caten vom  Staate  angekauft. 

Jede  der  Preis-Locomotiven  hatte  die 
vorgeschriebene  Leistung  erreicht;  aber 
schon  die  Probefahrten  hatten  gezeigt, 
dass  keine  dieser  Maschinen  geeignet 
war,  als  Type  für  die  Semmering-Loco- 
motive  zu  dienen. 

Die  'Eavaria',  durch  ihren  grossen 
Kessel,   die   grossen   Dampfcylinder  und 


Maschine,  welche  nur  zwei  gekuppelte 
Achsen  besitzt;  sie  wäre  für  die  Anfor- 
derungen des  Semmering  nicht  mehr 
geeignet  gewesen. 

Nach  fruchtlosen  Versuchen,  die  Kette 
zu  verstärken,  wurde  die  »BaYaria«  demo- 
Hrt.  Ihr  bester  Bestandtheil,  der  Kessel, 
wurde  in  der  Grazer  Betriebs  werk  statte 
der  sUdhchen  Staats  bahnen  als  stationärer 
Kessel  aufgestellt.  Mitte  der  Sechziger- 
Jahre,  als  schon  der  grösste  Theil  der 
Werkzeugmaschinen  in  die  neue  Haupt- 
werkstätte Marburg  übertragen  war, 
lieferte  dieser  Kessel,  dessen  Rost  und 
Heizfläche,  nach  dem  heutigen  Stande  der 


Abb.  Hflj.    EDgeitb-Loeomollve  der  s< 


.   [i8>t.l 


den  grossen  Kolbenhub,*)  befähigt  eine 
ausserordentliche  Zugkraft  auszuüben, 
konnte  diese  Zugkraft  nicht  in  dauernder, 
störungsloser  Weise  auf  die  Räder  über- 
tragen, nachdem'  die  Kette  selbst  mit 
der  grössten  Sorgfalt  nicht  in  gutem 
Zustand  erhalten  werden  konnte.  Als 
nach  Beendigung  der  eigentlichen  Probe- 
fahrten weitere  Versuchsfahrten  gemacht 
wurden,  um  die  Haltbarkeit  der  Kette 
zu  erproben,  waren  vier  geschulte  Ar- 
beiter unter  Leitung  eines  Ober-Ingenieurs 
nicht  im  Stande,  trotz  gewissenhafter 
Untersuchung,  Messung  und  Reparatur 
der  Kette  nach  jeder  Fahrt,  dieselbe 
länger  als  einige  Tage  vor  Bruch  und 
zum  Bruche  führender  Dehnung  zu  be- 
wahren. 

Die  Weglassung  der  Kette  hätte  die 
Locomotive  in  Bezug  auf  Adhäsion  oder 
Zugkraft  gteichwerthig  gemacht  mit  einer 

a  »Rocket"  wurde  bis 
neiite  keine  Locomotive 
grösseren  Hub  [764  m.«] 


")  Seit  der  i 
heute  auf  dem  C( 
gebaut,  welche  eii 
als  die  •Bavariac  besessen  hätte. 


Technik  für  Leistungen  von  einem  hal- 
ben Tausend  von  Pferdekräften  hinrei- 
chend war,  noch  einige  Zeit  den  Dampf 
für  eine  'fünfzöllige  Wasserpumpe* ;  dann 
wurde  auch  er  zerschlagen.  Sic  transit 
gloria  mundi. 

Die  Locomotive  »Seraing«,  welche  in 
Bezug  auf  Formvollendung  und  Gedie- 
genheit der  einzelnen  Bestandtbeile  an 
die  modernen  Constructions weisen  heran- 
reichte,*) war  ihrer  Kesselanlage  nach 
insoferne  misslungen,  als  für  die  Ent- 
nahme von  trockenem  Dampf  nicht 
genügend  vorgesehen  war.  Die  An- 
ordnung grösserer  Dampfdome  hätte 
diesen  Uebelstand  behoben.  Die  Be- 
weglichkeit der  Untergestelle  bedingte 
Gelenke  in  den  Dampfleitungen,  welche 
auf  die  Dauer  nicht  dicht  zu  halten 
waren.  Durch  die  Lage  der  Dampf- 
cylinder innerhalb  der  Rahmen,  war  die 
Zugängliehkeit     des     Triebwerkes     sehr 

•)  Sie  war  e 


438 


Karl  Gölsdorf. 


erschwert.  Alle  diese  Mängel  wären  zu 
beseitigen  gewesen ;  das  Princip  der  Type 
war  lebensfähig:  es  feierte  auch  wieder 
seine  Auferstehung  im  Jahre  1869  mit 
den  Locomotiven  System  »Fairlie«,*) 
die,  abgesehen  von  einigen  Detailcon- 
structionen,  getreue  Nachbildungen  der 
»Seraing«  waren.  In  vielen  Exemplaren 
wurden  diese  Fairlie-Locomotiven  für 
Süd-  und  nordamerikanische  Bahnen,  für 
Russland,  Finnland,  Schweden,  Norwegen 
und  verschiedene  andere  Staaten  gebaut. 

Einwandfrei  in  Bezug  auf  die  Dampf- 
entnahme aus  dem  Kessel,  hatte  die 
»Wiener -Neustadt«  mit  der  »Seraing« 
den  Fehler  gemein,  dass  ihre  gelenkigen 
Dampfleitungen  schwer  in  Stand  zu 
halten  waren.  Die  Construction  der 
Untergestelle  war  ausserdem  wenig  glück- 
lich durchgeführt,  so  dass  die  freie 
Beweglichkeit  in  den  Krümmungen  nur 
in  beschränktem  Masse  vorhanden  war. 
Dem  Principe  nach  aber  nicht  verfehlt, 
bildete  die  »Wiener-Neustadt«  das  Vor- 
bild, nach  welchem  Ende  der  Sechziger- 
Jahre  die  Doppel- Locomotiven,  System 
»Meyer«,  erbaut  A\urden.**)  Die  in 
neuester  Zeit  auf  vielen  französischen, 
deutschen  und  schweizerischen  Bahnen 
construirten  Locomotiven,  Bauart  »M al- 
le t«,  mit  vier  Dampfcylindern  sind  ihrer 
Conception  nach  auf  die  »Wiener-Neu- 
stadt« und  die  »Seraing«  zurückzuführen. 
Die  »Wiener-Neustadt«  ist  noch  dadurch 
bemerkenswerth,  dass  sie  die  erste 
in  Oesterreich  gebaute  Tender- 
Locomotive  war. 

Diese  beiden  Preis-Locomotiven  wurden 
wegen  ihrer  Mängel  bald  beiseite  ge- 
stellt. Nachdem  sie  Jahre  hindurch  im 
Hofe  der  Wiener  Reparatur-Werkstätte 
der  südlichen  Staatsbahn  gestanden, 
wurden  sie  zerlegt,  und  die  Kessel  an 
Eisenhändler  verkauft. 

Auf  den  letzten  Platz  war  von  den 
Preisrichtern  H  a  s  w  e  1  Ts  »  Vindobona  « 
gestellt  worden.  Und  doch  war  diese 
Locomotive  diejenige,  welche  einige  Jahre 


*)  Die  erste  derselben  »Little  wonder« 
wurde  für  die  schmalspurige  Festiniog-Bahn 
in  England  gebaut. 

**)  Die  erste  derselben  war  die  Locomo- 
tive »L^Avenir«  für  die  Luxemburgische 
Centralbahn. 


später  mit  etwas  veränderter  Stellung 
der  Achsen  die  Type  der  Berg- Locomotive 
auf  dem  Continente  wurde.  Nicht  das 
allein ;  manche  ihrer  Einzelheiten  sind 
unter  anderen  Namen  als  dem  Has- 
welTs  bekannt  und  als  grosser 
Fortschritt  aufgegriffen  worden. 

Die  »Vindobona«  war  mit  einer  Ein- 
richtung   versehen,    welche  ein  Bremsen 
ohne  Anwendung    von    Bremsklötzen  er- 
möglichte.    Beim    Leerlaufe    der    Loco- 
motive wird    bei  Stellung  der  Steuerunj^;^ 
auf  die  der  Fahrt  entgegengesetzte  Rich- 
tung   Luft     angesaugt    und    comprimirt. 
Dieser    Vorgang    war    bei    der    »Vindo- 
bona« als  Bremse  benützt;   um  die  Luft 
nicht  durch  die  Rauchkammer-Gase  ver- 
unreinigt   in    die  Cy linder    gelangen    zu 
lassen,  wurde  dieselbe  nach  Schluss  des 
Blasrohres,  durch  eine  besondere  Klappe, 
welche    mit    der    freien    Atmosphäre    in 
Verbindung  stand,  angesaugt,  und  einem 
Ventile    zugeführt,    welches    diese    Luft 
unter   regulirbarer  Pressung   wieder  ent- 
weichen Hess.  In  Einzelheiten  verbessert, 
ist  die  später  bekannt  gewordene  Riggen- 
bach'sche     Gegendampf-     [Repression  s-] 
Bremse,  welche  heute  bei  allen  Zahnrad- 
Locomotiven    und    vielen   Gebirgs- Loco- 
motiven Deutschlands  Anwendung  findet, 
nichts  anderes  als  eine  in  Vergessenheit 
gerathene  Erfindung  HaswelPs. 

Die  »Vindobona«  war  die  erste  Loco- 
motive, bei  welcher  die  zur  Versteifung 
der  inneren  Feuerbüchsdecke  angewandten 
Barrenanker  durch  Schrauben  ersetzt 
waren,  welche  die  innere  Feuerbüchs- 
decke mit  der  flachen  äusseren  Decke 
versteiften.  Geringes  Gewicht,  leichte 
Zugänglichkeit  und  Möglichkeit,  die 
Feuerbüchsdecke  vom  Kesselstein  zu 
reinigen,  bildeten  die  Vorzüge  dieser 
Construction,  welche  später  unter  dem 
Namen  » Belpaire'sche  Feuerbüchse«  auf 
sämmtlichen  Bahnen  Eingang  fand. 

Durch  ihren  grossen  festen  Radstand 
wirkte  die  »Vindobona«,  trotzdem  die 
dritte  Achse  keine  Spurkränze  hatte, 
zerstörend  auf  die  Krümmungen  der 
Bahn  ein.  Dieser  Umstand  veranlasste 
Haswell,  nach  den  Probefahrten  die  rück- 
wärtige Kuppelachse  durch  ein  zwei- 
achsiges Drehgestell  zu  ersetzen,  welches 
aber  nicht  wie    bisher  üblich,    um    einen 


Locomotivbau. 


zwischen  den  Drehgestellachsen  gelager- 
ten   Zapfen    drehbar  war,    sondern,    mit 
einer  Deichsel  versehen,  seinen  Drehpunkt 
weit    nach  vorne    gerUckt  hatte.     Abge- 
sehen von   der  Rückstell-Einrichtung,  ist 
dieses    Drehgestell     identisch     mit    dem  ; 
im  Jahre    1857    in    Amerika    patentirten  1 
■  Bisell' -Gestell,  das  auch  aufdemCon-  ! 
tinente,    insbesondere  in  der  Ausführung  | 
mit  nur  einer  Achse  vielfach  angewandt  i 
wurde.*) 

Während   das    neue   Drehgestell   an-  , 
gebaut    wurde,    nahm  Haswell    auch   an  1 
dem   Kessel   eine  wesentliche  Aenderung 
vor.     Der  Dampfraum  des  Kessels  hatte 
sich  als  zu  klein  erwiesen,  um  trockenen 


Bedenken  veranlassende  ovale  Querschnitt 
des  Kessels  und  das  geringe  Adhäsions- 
gewicht waren  Ursache,  dass  sie  eben- 
falls das  Schicksal  der  anderen  Preis- 
Locomotiven  theilte:  sie  wurde  dt-molirt. 
Nur  der  Kessel  fand  noch  einige  Jahre 
hindurch  Verwendung  als  stationärer 
Kessel  der  Betriebswerk  statte  in  Laibach. 
Die  Preisrichter  schlössen  ihre  Thätig- 
keit  am  21.  September  1851  mit  der 
Abfassung  eines  Protokolls,  in  welchem 
die  Bedingungen  angeführt  waren,  denen 
eine  für  den  Betrieb  des  Semmering 
geeignete  Lucomotive  entsprechen  müsste. 
Auf  Grund  der  bei  den  Probefahrten  ge- 
sammelten Erfahrungen  wurde  bestimmt, 


Abb.  Ä|.    Engen  h-Locomoilv«  d 

Dampf  zu  liefern.  Haswell  setzte  auf  j 
die  FeuerbUchse  und  auf  den  Lang-  1 
kessel  hinter  dem  Rauchfange  noch  zwei  ! 
Dome  auf,  welche  mit  dem  bestehen-  ' 
den  Dome  durch  ein  weites  Rohr  ver-  I 
bunden  waren. 

Durch    diese    Anordnung    der    Dome  j 
wurde    der  Dampfraum    wesentlich    ver-   ' 
grössert,    überdies    aber   noch   der   Vor-  1 
theil  erreicht,  dass  der  Dampf,    um  zum 
Regulator  zu  gelangen,  nicht  den  Wasser- 
spiegel bestreichen  musste;  die  Möglich-  , 
keit,    auf  diesem  Wege  Wasser  an  sich 
zu    reissen,    war  ihm    somit    benommen. 
Heute    werden    fast    alle    neueren  Loco- 
motiven    Oesterreichs    mit  dieser  Anord- 
nung der  Dome  ausgeführt.  [Vgl.  Tafeln 
XVH  bis  XX,  Seite   487  bis  490.] 

Auch  nach  den  vorgenommenen 
Aenderungen  erwies  sich  die  »Vindobona« 
für  den  Semmering  nicht  geeignet.  Der 
zu   klein  gewählte  Raddurchmesser,    der 


•)  Vgl.  Seite  4Ai- 


■.T  sUdltchcD  suaiababn.    [1S5O.I 

dass  die  Belastung  aller  Räder  als  Adhä- 
sionsgewicht   nutzbar    gemacht     werde; 

die  Achsen  sollten  femer  in  Drehgestellen 
gelagert  sein.  Die  Vorschriften  über  den 
grössten  zulässigen  Achsdruck  und  Dampf- 
druck u.  s.  w.  waren  dieselben,  wie  in 
dem   Programme  vom  März   1850. 

In  der  Abtheilung  für  Eisenbahn- 
betriebs-Mechanik des  k.  k.  Ministeriums 
für  Handel  und  Gewerbe  wurde  imter 
Leitung  des  k.  k.  technischen  Rathes 
Freiherm  Wilhelm  Engerth  sofort  an 
die  Ausarbeitung  eines  den  genannten 
Bedingungen  entsprechenden  Projectes 
geschritten ;  auf  Grund  dieses  Projectes 
lieferte  die  Locomotiv-Fabrik  von  Cocke- 
rill  in  Seraing  einen  Entwurf,  der,  mini- 
steriell genehmigt,  die  Grundlage  für 
die  definitive  Ausführung  der  »Engerth- 
Locomotive«  bildete.  [Vgl,  Abb.  265, 
Bd.   r,  I.  Theil,  Seite  280] 

In  dem  Hauptrahmen  der  Locomotive 
waren  unter  dem  Langkessel  drei  imter 
einander  gekuppelte  Achsen  gelagert.  Das 


440 


Karl  Gölsdorf. 


*)  Nach  dem  genehmigten  Cockeriirschen 
Entwurf  fertigten  auch  Maffei,  Haswell  und 
Günther  Pläne  an»  welche  dem  k.  k.  Handels- 
ministerium vorgelegt  wurden.  Der  Maffei- 
sche  Plan  zeigte  als  Kuppelung  der  Räder 
des  Tendergestells  mit  jenen  des  Haupt- 
rahmens Kette  oder  Zahnrad,  während  Gün- 
ther eine  Riemen -Kuppelung  proponirte, 
welche  mit  Leitrollen  gespannt  werden  sollte. 

♦*)  Die  Hauptabmessungen  dieser  Loco- 
motiven  waren:  Cylinderdurchmesser474  /;n», 
Kolbenhub  6io  mm,  Treibraddurchmesser 
1068  mniy  Dampfdruck  7  4  Atmosphären,  Rost- 
fläche 1-40  m"*,  Totale  Heizfläche  150  ;//', 
Dienstgewicht  56.100  kg,  Adhäsionsgewicht 
36.000  ~k;r. 


m 

auf  zwei  Räderpaaren  ruhende  Tender- 
gestell umfasste  die  Feuerbüchse  und 
war  universalgelenkig  vor  derselben  mit 
dem  Hauptrahmen  verbunden;  ein  Theil 
des  Kesselgewichtes  wurde  durch  seitlich  1 
an  der  Feuerbüchse  angebrachte  Consolen  ; 
auf  das  Tendergestell  übertragen.  Die  j 
Wasserkasten  waren  längs  des  cylindri-  1 
sehen  Kessels  angeordnet;  die  Kohle  war 
auf  dem  Tendergestelle  untergebracht.  Um 
der  Bedingung,  die  Belastung  sämmtlicher 
Achsen  als  Adhäsionsgewicht  nutzbar  zu 
machen,  zu  entsprechen,  war  an  einer  der 
ersten  Maschinen  eine  Zahnrad-Kuppe- 
lung zwischen  den  Achsen  des  Haupt- 
rahmens und  des  Tenders  vorgesehen.*) 
Die  Lieferung  der  ersten  26  Stück 
Engerth-Locomotiven  wurde  an  Cockerill 
und  E.  Kessler  in  Esslingen  tibertragen, 
welche  gemeinsam  unter  Intervention 
Engerth's  die  Detailpläne  entwarfen.  Nur 
in,  für  den  Fachmann  beachtenswerthen 
Details  verschieden,  waren  diese  Ma- 
schinen in  Bezug  auf  Kessel  und  Me- 
chanismus unter  einander  gleich  gebaut.**) 
Die  ersten  Locomotiven  dieser  Type, 
die  »Kapellen«  von  Kessler  und  die 
*Grünschacher«  von  Cockerill,  wur- 
den im  November  1853  eingeliefert  und 
machten  Ende  desselben  Monates  mit 
günstigem  Erfolge  ihre  Probefahrten. 
[Vgl.  Bd.  I,  I.  Theil,  Abb.  266  und  267, 
Seite  281  und  282.]  Auch  zur  Beförderung 
der  Personenzüge  auf  dem  Semmering 
und  für  Güterzüge  auf  Flachlandbahnen 
bestimmt,  wurde  diese  Type  bald 
darauf,  im  Jahre  1854,  mit  Treibrädern 
von  4'  [1*264  ^^]  Durchmesser  und  später 
™t  47*'  [1*343  ^]  Durchmesser  gebaut. 
[Abb.  283  und  284.] 


Mit  innerhalb  der  Rahmen  liegenden 
Dampfcylindem,  zwei  gekuppelten  Achsen, 
Treibrädem  von  1*580  bis  1*738  m  Durch- 
messer, und  dreiachsigem  Tendergestelle 
ausgeführt,  fand  dieses  Locomotiv-System 
als  Personenzug-Locomotive  auf  den 
südöstlichen  und  südlichen  Staatsbahnen 
und  auch  im  Auslande  [Schweiz]  grosse 
Verbreitung.  [Abb.  285  und  Tafel  V,  Fig.  i, 
Seite  475.]  Insbesondere  behielt  die  Staats- 
eisenbahn-Gesellschaft diese  Type  lange 
Zeit  hindurch  bei;  noch  im  Jahre  1873 
wurde  eine  grössere  Anzahl  dieser 
Maschinen  für  die  genannte  Bahn  geliefert. 

An  den  vielen  Lieferungen  der 
Engerth-Locomotiven  für  Oesterreich  be- 
theiligten sich  nicht  allein  die  inländi- 
schen Firmen  Günther  und  die  Maschinen- 
Fabrik  der  Oesterreichisch-Ungarischen 
Staatseisenbahn  -  Gesellschaft  [Haswell], 
sondern  auch  die  ausländischen  Fabriken 
Cockerill,  Kessler  und  Maffei. 

Nach  vielen  misslungenen  Versuchen 
wurde  die  Absicht  aufgegeben,  die  Ach- 
sen des  Hauptrahmens  mit  jenen  des 
Tendergestells  durch  Zahnräder  zu 
kuppeln.  Die  Adhäsion  der  drei  gekuppel- 
ten Achsen  des  Hauptrahmens  war  aber, 
nachdem  sie  wegen  Aufbrauch  des  Wasser- 
vorrathes  am  Ende  der  Fahrt  von  720 
Centnem  auf  660  Centner  sank,  allein  nicht 
mehr  hinreichend,  um  unter  ungünstigen 
Witterungsverhältnissen  die  für  die  Beför- 
derung von  2500  Centnem  nöthige  Zug- 
kraft zu  geben.  Die  für  den  Semmering  ge- 
bauten Engerth-Locomotiven  entsprachen 
überdies  nicht  den  aufgestellten  Bedin- 
gungen über  zulässigen  Achsdruck;  die 
rückwärtige  Tenderachse  war  derart 
überlastet,  dass  sie  mit  18  bis  ig  t  auf 
die  Schienen  drückte  und  bald  schädliche 
Einflüsse  auf  den  Oberbau  äusserte. 
Kette  und  Zahnrad  hatten  sich  als 
Kuppelung  der  Räder  zweier  gelenkig 
mit  einander  verbundener  Gestelle  nicht 
bewährt.  Die  zahlreichen,  noch  vor  Er- 
bauung der  Engerth-Locomotive  von 
Maffei,  Kessler,  Cockerill,  Kirchweger, 
Tourasse  u.  s.  w.  eingereichten  Pläne, 
in  welchen  die  Lösung  dieses  Problemes 
durch  Blindwellen,  Baldwin'sche  Dreh- 
gestelle, Motorgestelle,  Mittelschiene  mit 
seitlich  angepressten  und  durch  Dampf 
angetriebenen    Rollen    u.  s.  w.    gedacht 


Locomotivbau. 


war,  konnten,  weil  a  priori  deren  prak- 
tische Undurchführbarkeit  constatirt  wer- 
den konnte,  keine  Berücksichtigung 
finden. 

Da  griff  Haswell  im  Jahre  1855  auf 
die  »Vindobona»  zurück  und  modificirte 
ihre  Achsenanordnung  derart,  dass  sämmt- 
liche  vier  Achsen  unter  dem  Langkessel, 
vor  der  FeuerbUchse  gelagert  waren ; 
um  in  scharfen  Krümmungen  die  nUthige 
Gelenkigkeit  zu  geben,  erhielt  die  vor 
dem  Feuerkasten  hegende  Kuppelachse, 
auf  eine  von  Ghega  im  Jahre  1851  ge- 
machte Anregung  hin,  eine  seitliche 
Verschiebbarkeit  in  den  Lagern  und 
dasselbe     Spiel     in     den    Kuppelzapfen. 


mit  beiden  Rädern  gleichen  Druck  auf 
die  Schienen  ausübte. 

Diese  Haswell'sche  Balancierachse, 
bei  vielen  Typen,  welche  aus  der  Ma- 
schinenfabrik der  Oesterreichisch-Unga- 
rischen  Staatseisen  bahn -Gesellschaft  her- 
vorgingen, angewandt  —  zuletzt  bei 
dem  Drehgestelle  der  für  die  Ungarischen 
Staatsbahnen  im  Jahre  1874  gelieferten 
Schnellzug-Locomotiven  [vgl.  Tafel  X, 
Fig.  4,  Seite  480]  —  fand  auch  im  Auslande 
Nachahmung  und  wurde  von  der  Schweiz 
aus,  wo  sie  bei  vielen  Tramway-Loco- 
motiven  eingeführt  wurde,  als  >Brown- 
scbe  Achsel   bekannt. 

Die    »Wien-Raab.,    für   die   sUdöstü- 


Abb.  aSs.    Engirth-LocomoHTe  . 

Diese  Griippirung    der  Räder    ist 
bis  in  die  Gegen  wart  beibehalten 

worden;    nach    diesem    Vorbilde,  | 

dem      ersten      Achtkuppler      des  1 

Continentes,       der      Locomotive  | 

»Wien-Raab«,    wurden     die    Ge-  ; 

birgs-Locomotiven  fastsämmtli-  j 
eher    Staaten     Europas     entworfen. 

[Tafel  V,  Pig.  2,  Seite  475.]')  I 

Die     Locomotive    »Wien -Raab*     ist  ' 

überdies    noch    durch    die    Construction  ' 

der      Achslager     bemerkensw£rth.       Die  | 

Lagergehäuse  je  einer  Achse  waren  > 

durch     Traversen     verbunden,     die    um  1 
Zapfen    derart    schwingen  konnten,    dass 
die    Achse,    einen  Balancier    darstellend, 

*)  Die  Locomotive  ■-Wien-Raiih",  und  die  I 
später  zur  Besprechung  gelangende  Loco-  . 
motive  der  Bahn  für  den  Wiener-Neustädler  1 
Akademie- Biiu  [siehe  Seite  442]  waren  die  , 
ersten  ilslerrcidii sehen  Locomotiven,  die  zur  ' 
Otfentlichen  Ausstellung  kamen,  und  zwnr  auf 
der  Pariser  Weltausstellung  18^;,  wo  die 
»Wien  Kaah.  die  uuldtne  Medaille  erhielt.       ' 


CT  lUdllchea  SUatibahn.  [lSj6.| 

chen  Staatsbahnen  bestimmt,  machte 
auch  viele  Fahrten  über  den  Semmering, 
wobei  ein  sicherer,  zwangloser  Lauf  in 
den  Krümmungen  und  trotz  ihres  gerin- 
gen Gesammt  gewichtes  eine  grosse 
Leistungsfähigkeit  constatirt  wurde. 

Die  französische  Nordbahn  und  fran- 
zösische Ostbahn  hatten  in  den  Jahren 
1855  bis  1857  eine  grosse  Anzahl  von 
Engerth-Locomotiven  von  Schneider  in 
Creusöt  u.  s.  w.  bezogen.  Abweichend 
von  der  Originalausfiihrung  Engerth's 
hatten  diese  Locomotiven,  »Systeme 
Engerth  modifiä>,  nach  dem  Vorbilde 
der  sWien-Raab«  vier  gekuppelte,  vor 
dem  Feuerkasten  liegende  Achsen ;  auf 
dem  Tender  gesteile,  dessen  Achsen  hinter 
der  Feuerbüchse  gelagert  waren,  ruhte 
nur  ein  sehr  geringer  Theil  des  Kessel- 
gewichtes. Alle  Vorräthe  waren  auf 
dem  Tender  untergebracht,  so  dass  an 
diesen  Maschinen,  weil  die  seitlichen 
Wasserkasten     in    Wegfall     kamen,     das 


Karl  G«Isdorf. 


A ti h äs ions gewicht,     auch     nach    Aufzeh-   , 
rung    der  Vorräthe    constant  blieb.     Der  I 
schädliche    Einfluss    der    Tendergestelle  | 
auf    den  Oberbau    veranlasste    die    Ost*   I 
bahn    [1860]    den  Tender    von    der  Ma- 
schine unabhängig  zu  machen  und  den-  I 
selben     in     normaler     Weise     mit     der  ■ 
Locomotive  zu  kuppeln.    Um  eine  Ueber- 
lastung     der     rückwärtigen     Locomotiv-   , 
Achse     zu    vermeiden,    wurde    vor    der  ! 
Rauchkammer    ein     Gegengewicht     aus  , 
Gusseisen  eingebaut.    Mit  dieser  zweiten 
Aenderung    war  die  modificirte  Engerih-  j 
Locomotive    in    ihrer    Bauart     identisch  : 
geworden     mit    der    Locomotive    »Wien-   ; 
Raab*.  Als  auch 
die         südlichen 

Staatsbahnen 
wieder  in  Privat- 
besitz übergin- 
gen, wurde  von 
der  neuen  Ver- 
waltung diese  von 
Frankreich  her- 
übergekommene 
Reconstruction 
der  Semmering- 
Engerth-Locomo- 
tiven  sofort  in  An- 
griff    genommen.  Abb.  JS6,    Per.onentug.I 

Eine  vierte  Kup- 
pelachse mit  seitlicher  Verschiebbarkeit 
wurde  eingeschaltet,  und  ein  besonderer 
zweiachsiger  Tender  in  gewöhnlicher 
Weise  mit  der  Locomotive  gekuppelt. 
Ende  1864  waren  alle  26  Maschinen  dieser 
Gattung  umgebaut.  Später  mit  neuen 
Kesseln  versehen,  im  Gestänge  und  an- 
deren Details  verstärkt  und  modernisirt, 
stehen    sie    heute    noch    in  Verwendung. 

Die  meisten  der  mit  den  grösseren 
Rädern  [4'  Raddurchmesser]  für  die  süd- 
lichen Staatsbahnen  gebauten  Engerth- 
Locomotiven  wurden  von  der  SUdbahn 
bei  Erneuerung  der  Kessel  in  gewöhnliche 
Sechskuppler  mit  Schlepptender  um- 
gebaut; auch  diese  Maschinen  sind  noch 
immer     gut     brauchbare     Locomotiven. 

Anfangs  der  Fünfziger-Jahre  bestand 
die  Absicht,  sänimtliche  Militärbildungs- 
Institute  Oesterreichs  in  einer  grossen 
Gentral-Anstalt  in  Wiener-Neustadt  zu 
vereinigen.  Die  Steine  zu  diesem  Baue 
wurden    aus   den    Brüchen    von    Fischau, 


in  der  Nähe  von  Neustadt,  bezogen.  Auf 
Anregung  GUnther"s  wurde  eine  Schmal- 
spur-Bahn   mit    einer  Spurweite    von  ,1' 
[0948  m]  nach  Fischau  gebaut,  und  der 
Steintransport        durch       Locomotivkratl 
bewerkstelligt.    Zu   diesem    Zwecke   lie- 
ferte Günther  in    den  Jahren     1854    und 
1855    drei    Locomotiven,    die     von    de^i 
seit    Bestand    der    Fabrik    dort  thätigcn 
Ingenieur  Johann  Zeh  entworfen  waren. 
Abgesehen  davon,  dass  sie  die  ersten 
in  Oesterreich    gebauten    Schmal- 
spur-Locomotiven  waren,  sind  diese  Ma- 
schinen   besonders    dadurch    be merke ns- 
werth,    dass    an    ihnen   zum    ersten 
Male    einach- 
sige     Drehge- 
stelle   zur  An- 
wendung gelang- 
ten.      [Tafel     V, 
Fig.  3,  Seite  475 ! 
Sie  waren  auf  vier 
Achsen  gelagert: 
die  beiden  mittle- 
ren waren  gekup- 
pelt ;       rückwärts 
und  vorne  befand 
sich  ein  Deichsel- 
gestell.DieseAchs- 
otoinöiive  der  ladiiciicii  gruppirung,    wel- 

'■"^^■'  che  im  Jahre  1857 

bei  einer  grüsseren  Anzahl  von  Personen- 
zug-Locomotiven  für  die  südliche  Staats- 
bahn angenommen  wurde  [Abb.  2*<6j,  isl 
mit  geänderter  Art  der  Einstellbarkeit 
der  Endachsen,  in  Frankreich  nach  einem 
Viertel-Jahrhundert,  später  bei  Schnellzug- 
Locomotiven  fast  allgemein  angewendet 
worden.  Auch  in  Oesterreich  findet  sieh 
diese  Achsstellung  [type  Orleans  genannt] 
in  neuerer  Zeit  wieder,  bei  den  nach  Zeich- 
nimgen  der  französischen  Orleansbahn  ge- 
bauten S  c  hn  el  1  zug- Loc  om  oti  ven  der  Oester- 
reichisch-UngarischenStaatseisenbahn-Ge- 
sellschaft.  [Vgl.  Tafel  XVI,  Fig.  3,  S.  i^t] 
Für  die  Lambach  -  Gmundner  Bahn 
construirte  Zeh  in  den  Jahren  1855  and 
1856  zwei  Typen  i  eine  Personenzug- 
Locomotive  mit  zwei  gekuppelten  Achsen 
und  vorderem  zweiachsigem  Drehgestelle 
[Tafel  V,  Fig.  4,  Seite  475],')  und  eine 


Locomotivbau. 


filnfachsige  Güterzug- Locomotive,  die  bei 
drei  gekuppelten  Achsen  unter  dem  Lang- 
kessel, an  beiden  Enden  ein  einachsiges 
Dcichselgestelle  aufwies ;  die  Wasser- 
kasten waren  längs  des  cylindrischen 
Kessels  angebracht.  [Tafel  VI,  Fig.  I, 
Seite  476.]  In  Bezug  auf  Achsstellung, 
Lage  der  Dampfcylinder  und  der  Wasser- 
kasten ist  diese  Locomotive  vollkommen 
gleich  mit  der  40  Jahre  später  gebauten 
Tender- Locomotive  für  die  Wiener  Stadt- 
hahn. 

Diese  einachsigen  Deichselgestelle 
von  Zeh,  später  unter  dem  Namen 
•  Bissei  ■  Gestelle«  bekannt  geworden, 
ermöglichten    das  zwanglose  und  leichte 


Personenzug- Locomotiven,  an  denen  er 
ein  zweiachsiges  vorderes  Deichsel- 
gestelle, nach  dem  Vorbilde  der  modifi- 
cirten    »Vindobona',  anbrachte. 

Bei  allen  bisherigen  Ausfuhrungen 
derartiger  Gestelle  wurde  die  Last  des 
Kessels  durch  einfache  Gleitpfannen 
auf  dasselbe  Übertragen.  Um  die  der 
leichten  Einstellbarkeit  entgegenwirkende 
Reibung  in  den  Pfannen  wegzubringen, 
war  bei  den  genannten  Personenzug- 
Locomotiven  [Tafel  VI,  Fig.  2,  Seite  476] 
die  U  eher  tragung  des  Kessel  gewichtes 
auf  das  Drehgestelle  durch  ein  Pendel 
bewirkt.  Nur  in  constructiven  Einzel- 
heiten   verschieden,     Ist    diese    Einrich- 


Befahren  sehr  scharfer  Krümmungen. 
Bei  Locomotiven  mit  sehr  kurzem,  festem 
Kadstande  und  grossem  Ueberhange  an- 
gebracht, verursachten  sie  aber,  weil 
überdies  eine  geeignete  Rucks  teil -Vor- 
richtung fehlte,  schon  bei  massiger  Ge- 
schwindigkeit einen  derart  unruhigen 
Lauf,  dass  sie  bald  ebenso  als  verfehlt 
angesehen  wurden,  wie  das  falsch  beur- 
theilte  zweiachsige  amerikanische  Dreh- 
gestelle mit  centralem  Mittelzapfen. 

In  fast  noch  grHsserem  Masse  äusserte 
sich  der  genannte  Uebelstand  bei  den 
von  Haswell  im  Jahre  1857  für  die  süd- 
lichen Staatsbahnen  gebauten  vierachsigen 

gekauft,  befindet  sich,  nach  Entfernung  aller 
im  Laufe  der  Jahre  erfolgten  Zuthaten  Jn 
den  ursprünglichen  Zustand  versetzt,  als 
Geschenk  der  genannten  Fabrik  im  histori- 
schen Museum  der  k.  k.  Staatsbahnen. 


tung  von  Haswell  identisch  mit  dem 
1877  bei  den  Locomotiven  der  Kronprinz 
Rudolf-Bahn  zur  ersten  Ausfuhrung  ge- 
langten Kamper' sehen  Deichselgestelle 
mit  Pendelaufhängung. 

Mehr  Beachtung  als  alle  anderen 
Bahnen  Oesterreichs  schenkte  die  Nord- 
bahn schon  frühzeitig  der  Entwicklung 
des  Schnellzug  -  Verkehrs.  Die 
äusserst  günstigen  Neigungs-  und  Rich- 
tungsverhältnisse der  Trace,  erlaubten 
auch  grössere  Geschwindigkeiten, 

Als  die  alten  Sharp'schen  Schnell- 
zug-Locomotiven  nicht  mehr  ausreichten, 
wurde  zwischen  1846  und  1851  eine 
grössere  Anzahl  von  Personenzug- Loco- 
motiven, ähnlich  denen  von  Haswell  für 
die  südöstlichen  Staatsbahnen  geliefer- 
ten, bezogen.     Zur  Erzielung  eines  ruhi- 


J 


Karl  GOtsdorf. 


Abb.  1S%    Scbue11tue-LD<;[>mo1J 

geren  Laufes,  wurde  diese  Tvpe  1853  I 
mit  innerhalb  der  Rahmen  liegenden  | 
Da mpfcy lindern  von  Haswell  ausgeführt,  j 
Locomotiven  derselben  Bauart  lieferte  ^ 
auch  Cockerill  im  Jahre  1853  für  die 
Nordbahn.     [Abb.  2S7.]  ! 

Der  kurze  Radstand  und  die  grossen  i 
überhängenden   Massen  der   Feuerbüchse  ] 
und     der      Cylinder     paraiysirten      voll-  , 
ständig    die   Vortheile   der    innenliegen-  ■ 
den  Da  mpfcy  linder.      Die  von  der  Nord- 
bahn im  Jahre   1856  bei  Maffei  in  Miin-  j 
chen    bestellten    Schnellzug-Locomotiven  | 
[Abb.  288]  erhielten  daher  einen  längeren 
Radstand,  und  vier  gekuppelte  Treibräder 
von   i'Sgö  m  Durchmesser;    die  Kuppel- 
achse   war    hinter    dem   Feuerkasten  ge- 
lagert.     Die    Lage     der    Dampfcylinder 
innerhalb  der  Rahmen  wurde  beibehalten. 
Diese,  selbst  nach  heutigen  Anschauungen, 
vollkommene    Schnellzug- Type,    die   den 
grössten,    damals  in  Oesterreich  vorhan- 
denen   Raddurchmesser     besass,     wurde 
auch    von  Haswell    1857  für    die  Nord- 
bahn gebaut,   jedoch    mit    innerhalb  der 
Räder    liegenden  Rahmen    an  Stelle    der 
von  Maffei  angeordneten  Aussenrahmen. 
[Abb.  289.]  Aehnliche  Eilzug- Locomotiven 
mit  Rädern    von   1738  m    Durchmesser, 
wurden   von  der  genannten  Fabrik  auch 
für  die  südlichen  und  südöstlichen  Staats- 
hahnen   geliefert.     [Vgl.   Bd.   I,    1.  Theil, 
Seite  382,    Abb.  322.] 

Von  grils.serem  Interesse,  als  die  letzt- 
genannten Tvpen,  war  aber  eine  Locomo- 
tive,  welche  von  Haswell  im  Jahre  1S57  für 
die  Theissbahn  gebaut  wurde,  denn  sie 
repräsentirle   eine  Bauart,    die    unter  der 


■dbfthn.   [1^.] 

Bezeichnung  »gekuppelte  Crampton-Lo- 
comotivc'  in  den  Siebziger-Jahren  in 
Frankreich  und  später  auch  in  Deutsch- 
land vielfach  ausgeführt  wurde.  •)  [Vgl. 
Bd.  I,  I.  Theil,  Seite  443,  Abb.  357.]  Die 
geringe  Belastung  der  gekuppelten  Räder, 
besonders  des  hinter  dem  Feuerkasten 
gelagerten  Räderpaares,  waren  Ursache, 
dass  alle  diese,  an  sich  vorzüglichen 
Typen  auf  Bahnen  mit  grösseren  Stei- 
gungen nicht  mit  Erfolg  verwendet 
werden  konnten.  Ueberdies  wurde  der 
lange  feste  Radstand  vielfach  als  be- 
denklich für  das  Befahren  der  Krüm- 
mungen angesehen.  Der  Bau  specieller 
Schnellzug-Locomotiven  wurde  dadurch 
wieder  auf  Jahre  hinausgerückt,  und 
theilweise  auch  mit  Begründung,  weil 
im  Allgemeinen  noch  kein  Bedürfnis 
nach  höheren  Geschwindigkeiten  als  50 
bis  60  km  vorlag. 

Locomotiven  mit  ausserhalb  der 
Räder  liegenden  Rahmen  und  auf  den 
Achsen  aussen  aufgesteckten  Kurbeln 
waren  schon  seit  der  ältesten  Periode  des 
Locomotivbaues  bekannt,  hatten  aber  in 
Oesterreich  bis  in  die  Mitte  der  Fünf- 
ziger-Jahre keine  Anwendung  gefunden, 
mit  Ausnahme  der  von  Maffei  gelieferten 
Nordbahn -Schnellzug- Locomotiven  und 
der  Semmering-Concurrcnz- Locomotiven 
»Seraing«,  »Bavaria'  und  »Wiener-Neu- 
stadt.. 

*)  Die  Original-Cnimpton-Locomotiven 
hatten  ein  grosses  Treibräderpaar  hinter  dem 
Feiicrkasteii,  zwei  Laufräderpaare  unter  dem 
Laiiijkessel  und  aussen  liegende,  weit  nach 
rückwärts  gL'sdiobene  Dampfcylinder. 


Locomotivbau. 


Josef  Hall,   der  Director  der  MafTei- 
schen  L o com otiv- Fabrik  in  Mllnchen,  war 
ein  Hauptverfecbter  der  Aussenr  ahmen, 
welche  eine  Hefe  Lagerung   des  Kessels 
und     breite     Federbasis     erlaubten :     Be- 
dingungen, die  man  für  den  ruhigen  Gang 
für  unbedingt    nöthig   hielt.     Abgesehen 
von  diesen  nur  eingebildeten  Vortheilen, 
boten  die  Aussenrahmen   bei  Anordnung 
aller     Achsen     unter      dem     Langkessel 
den    unbestreitbaren    Vorzug    einer   Ver- 
minderung     des      beiderseitigen     Ueber- 
banges,  weil  man  sowohl  mit  der  Feuer- 
bijchse  als  auch  mit  den  Cylindem  näher 
an  die  Endachsen    rücken   konnte.     Um 
hei  Aussenrahmen    und  aussen  liegender 
Steuerung  die 
sonst  nöthige 
Gegenkurbel 
an  der  Treib- 
kurbel zu  ver- 
meiden, con- 
struirte    Hall 
1853  bei  den 
Locomotiven 
der  bayeri- 
schen Staals- 
bahnen    eine 
Kurbel,  an 
welcher  Kur- 
belblatt   und 
Excenter- 

.     ..  .  Abb.  TSa.     Schnelliue-Locon 

Scheiben   ein 

Stück    bildeten.*)      Die    ersten    Locomo-   j 
tiven    in   Oesterreich    mit    diesen    soge- 
nannten    Ex  centerkurbeln      waren      Per- 
sonenzug-Locomo  tiven,    die  Maffei   1857    1 
für    die    Pardubitz- Reichenberg  er    Bahn  ' 
lieferte.      Sie    hatten     zwei     gekuppelte  ' 
Achsen     und     vome     ein     zweiachsiges  j 
amerikanisches  Drehgestelle.     [Tafel  VI, 
Fig.  3,  Seile  476.]     Die   Excenterkurbel  | 
wurde     seit     dieser     Zeit     typisch     für  ' 
Oesterreich;    fast    alle    Schnellzug- Loco-   1 
motiven,    welche    nach    dem   Jahre    1S73 
hier    gebaut    wurden,    sind    mit    diesen  i 
Kurbeln  ausgeführt. 

Ein  Hauptnachtheil  der  bisherigen 
Kurbeln  war  die  durch  sie  bedingte  weite 
Entfernung  der  Cy lindermitten.    Hai!  ver- 


•)  Aehnliche  Kurbeln,  jedoch  nur 
einer  Excenterscheibe  zum  .-antriebe 
Pumpe,  hatte  die  Locumotive  »Seraing« 


minderte  diese  Entfernung  wesentlich  da- 
durch,   dass  er  im  Jahre   1858  den  Hals 
der    Kurbeln    als    Lager    ausbildete.      In 
demselben     Jahre     übernahm     Hall     die 
technische  Leitung  der  Locomotiv-Fabrik 
von    Günther;    die    ersten    nach    seinen 
Plänen  [für  die  südliche  Staatsbahn]  ge- 
bauten Güterzug- Locomotiven  waren  mit 
diesen    Kurbeln    versehen.     [Abb.     290.] 
Die     leichte    Zugänglichkeit     aller     Be- 
standtheile,     die     universelle     Verwend- 
barkeit dieser  Locomotiven    mit    kurzem 
Kadstande    und  der    [bei  den  damaligen 
Geschwindigkeiten)     ruhige    und    sanfte 
Lauf  dieser  Maschinen    waren  so  in  die 
I  Augen    springende   Vorzüge,    dass    fast 
alle    Bahnen 
Oesteneichs 
das  Hall'sche 
System      ac- 
ceptirten. 

Die  in 
den  Sechzi- 
ger-Jahren 
mit  wech- 
selnden Stei- 
gungen, Ge- 
fällen und 
horizontalen 
Strecken  und 
vielen  schar- 
fen Krüm- 
'       '  mungen    an- 

I  gelegten     Bahnen     forderten     einfache, 
überall     gleich     gut     verwendbare     Ma- 
schinen.    Der  kurze  Radstand,  der  Uber- 
I  hängende   Feuerkasten    und,    als    Reme- 
1  dur,    der    Aussenrahmen    und    die    Hall'- 
'  sehen    Kurbeln     werden    in     Oesterreich 
j  heimisch.     Ein   Jahrzehnt    des    Stillstan- 
des  in    der   Typenentwicklung    beginnt; 
I   wohl     hatte    man    während    dieser    Zeit 
'  weitere    Verbesserungen     einzelner     Be- 
I  standtheile    und   im  Fabrica tionsprocesse 
durchgeführt;    doch    das    Festhalten    an 
i  den  genannten  Principien  brachte  es  mit 
sich,  dass  Oesterreich  in  diesem  Jahrzehnt 
vom    Auslande     auf   dem    Gebiete    des 
Locomotivbaues  überholt  wurde. 

Wenn  zu  Beginn  der  Vierziger-Jahre 

I  der  Zug    aus    dem   Bahnhofe    der   alten 

Wien-Gloggnitzer    Bahn    herausfuhr,    da 

i  bückten    sich  Führer  und  Heizer    hinter 


Karl  Gölsdorf, 


die  kuppe laitig  Überhöhte  FeuerbOchse 
der  alten  Haswell'schen  Maschinen,  um 
einigen  Schutz  zu  tinden  gegen  das  aus 
dem  Rauchfange  zu  Beginn  der  Fahrt 
ausgeworfene,  mit  Russ  vermengte  Wasser. 
Und  diese  Kuppel  war  auch  der  einzige 
Schutz  gegen  den  heulenden  Schneesturm, 
gegen  Regen  und  Kälte.  Als  die  Kuppeln 
nicht  mehr  gebaut  wurden,  waren  Führer 
und  Heizer  selbst  dieser  primitiven  Deckung 
beraubt.  Lange  Jahre  bedurfte  es,  bis  auch 
bei  uns  die  Erkenntnis  Wurzel  fasste,  dass 


der  Mann,  in  dessen  Händen  das  Wohl 
und  Wehe  von  Hunderten  von  Menschen 
liegt,  vor  Wetterun bill  geschützt  sein 
müsse.  Doch  nicht  auf  einmal  wurde 
das  gethan,  was  geschehen  konnte.  Irrige 
Anschauungen  über  Beschränkung  des 
freien  Ausblickes  und  die  Annahme,  eine 
allzugrosse  Bequemlichkeit  könnte  die 
Aufmerksamkeit  des  Führers  vermindern, 
Hessen  das  heutige,  mit  Fenstern,  Ventila- 
toren, SeitenthUren  und  Hängesitzen  aus- 
gestattete Ftlhrtrbaus  auf  der  Locomotive 
nur  stückweise  entstehen. 

Die  vorerwähnten  HaH'schen  Güter- 
zug -  Locomotiven  waren  die  ersten 
in  O  esterreich  gebauten  Locomotiven, 
welche  eine  verticale,  mit  runden 
Fenstern  versehene  Schutz  wand  auf 
der  Feuerbüchse  aufwiesen.  Die  im 
folgenden  Jahre  für  die  Kaiser  Franz 
Josef-Orientbahn  gebauten  Locomotiven 
boten  schon  mehr  Schutz,  indem  die  ver- 
ticale Blechwand  nach  rückwärts  ab- 
gebogen war,  so  dass  sie  ein  kurzes 
Dach  bildete. 

Im  zweiten  Bezirke  Wiens  befand 
sieh    in   der    heutigen    Circusgasse    eine 


j  Maschinenfabrik,  welche  sich  mit  der 
1  Herstellung  von  Stabilmaschinen  und 
Mühleneinrichtungen  befasste.  Diese 
Fabrik  von  Specker  wurde  bei  den  Un- 
ruhen des  Jahres  1848  ein  Raub  der 
Flammen.  Jahre  hindurch  standen  die 
ausgebrannten  Mauern  und  zerstörten 
Maschinen  unbenutzt.  Da  kaufte  im  Jahre 
1851  Georg  Sigl  die  noch  brauchbaren 
maschinellen  Einrichtimgen,  Transmis- 
sionen, Modelle  und  Geräthe  an,  und 
richtete  mit  diesen  Resten  in  der  Wäh- 
ringerstrasse,  dort,  wo  in  den  Vierziger- 
Jahren  Norris  Locomotiven  gebaut  hatte, 
eine  Fabrik  ein  zur  Herstellung  von  Buch- 
druckerpressen. Das  Unternehmen  gedieh : 
von  Jahr  zu  Jahr  musste  Sigl  die  Anlage 
erweitern. •) 

Der  Bedarf  an  Locomotiven  u'ar  in 
Oesterreich  so  gross  geworden,  dass  die 
beiden  bestehenden  Fabriken  denselben 
nicht  mehr  decken  konnten ;  Sigl  fasste 
daher  den  Entschluss,  Locomotiven  zu 
bauen.  Im  Jahre  1857  lieferte  er  seine 
erste  Locomotive  ab,  welche  in  Anbetracht 
des  Umstandes,  dass  Buchdruckerpressen 
den  Grund  zu  seinem  Vermögen  gelcf^t 
hatten,  den  Namen  "Gutenberg*  erhielt. 
Sie  war  lUr  die  südliche  Staatsbahn  be- 

•1  Georg  Siel  war  im  Jahre  18 II  in 
Breitenfurth  [Nieae rüsterreich]  geboren.  Er 
lernte  das  Schlosserhandwerk  und  kam  nach 
seiner  Wanderschaft  durch  Deutschland  und 
Oesterreich  nach  BerHn,  wo  er  18^4  eine 
kleine  Fabrik  für  den  Bau  von  Buchdrucker- 
pressen errichtete. 

Als  er  seine  Wiener  Fabrik  gründete, 
behielt  er  dennoch  seine  Berliner  Fabrik  bei. 
Im  Jahre  iH6i  pachtete  er  die  im  Jahre  vor- 
her in  den  Besitz  der  österreichischen  Credit- 
Anstalt  übergegangene  Günther'sche  Loco- 
motiv-Fabrik  in  Wiener-Neustadt;  im  Jahre 
1*467  ging  diese  Fabrik  in  sein  Eigenthum  über. 
Zahlreich  sind  die  Unternehmungen,  an  denen 
er  sich  weiterhin  betheilig^e,  ebenso  zahlreich 
die  Objecte,  welche  er  in  den  Bereich  der 
Fabrication  einbezog;  Oelpressen,  Schiffs- 
maschinen,  Wasserhaltungs-Maschinea,  Arse- 
nal -  Einrichtungen,  Trägerconstructionen 
(unter  Anderem  auch  der  Dachstuhl  für  die 
Votivkirche  in  Wien]  u.  s.  w. 

ImJahrei875wurde  die  Wiener-Neustädter 
Loeomotiv-Fabrik  in  eine  Actien-Gesellschaft 


umgewandelt,  denn  infolge  der  Wirkungen 
des  Jahres  1873  musste  Siel  alle  seine  Unter- 
chmungen,    bis  auf   die  Wiener  Fabrik, 


welcher  nur  mehr  der  allgemeine  Maschinen- 
bau fliege    fand,    abgeben.    Sigl    starb    im 

Jalire   18H7. 


Locomotivfaau. 


stimmt,  und  zwar  fUr  die  Beförderung 
von  gemischten  und  von  Güterzügen ; 
weder  in  Einzelheiten  noch  in  ihrer  Bau- 
art bot  sie  irgend  Bemerkens werthes. 
[Abb.  291.]  Gleich  Günther,  beziehungs- 
weise Hall,  welcher  später  bei  Sigl  in 
Wien  auf  die  technische  Leitung  einige 
Jahre  hindurch  grossen  Einfluss  nahm, 
pflegte  Sigl  den  Bau  der  Aussenrahmen- 
Locomotive  mit  Hall'schen  Kurbeln. 

Entsprechend    der    raschen    Entwick- 
lung   des  Locomotivbaues,    repräsentirte 
der    Locomotivpark     jeder     Bahn     eine 
Musterkarte  der  verschiedensten    Typen ; 
selbst  in    Einzelheiten  war,  nachdem  der 
Entwurf   und  die  Detaillirung  der  Loco- 
motiven  von  den 
Fabriken         und 
nicht     von     den 
Bahnen   ausging, 
keine  Einheit  vor- 
handen.   Als  mit 
dem     Hall'schen 

Locomotiv- Sy- 
steme, die  den 
damaligen  Ver- 
hältnissen ent- 
sprechende Bau- 
art gefunden  war, 

gingen    fast    alle  j^^^  ^,    j.„,^  i^^^^ 

in  dieser  Periode 

entstandenen  Bahnen,  um  einen  einheit- 
lichen Locomotivstand  zu  erhalten,  von 
dem  Grundsatze  aus,  dass  Personenzug- 
und  Güterzug- Locomotiven  nur  in  Bezug 
auf  Raddurchmesser  und  Cy linde rdurch- 
messer  verschieden  sein  sollten,  in  Bezug 
auf  Kessel  und  Zugehör,  Achslager, 
Federn  u.  s.  w,  aber  vollkommen  gleich 
zu  halten  wären.  Dieses  Princip  wurde 
durchgeführt  bei  den  Locomotiven,  welche 
von  Günther,  Sigl  in  Wien  und  später 
Haswell  in  den  Jahren  1859  bis  1866 
für  die  Galizische  Carl  Ludwig-Bahn, 
Böhmische  Westbahn,  Pesl-Losonczer 
Bahn  u.  s.  w.,  femer  von  Günther  für 
die  Kaiser  Franz  Josef-Orientbahn  [1859] 
geliefert  wurden.  [Vgl.  Abb.  292  bis  295.] 
Auch  die  Personenzug-  und  Güterzug- 
Locomotiven,  welche  in  Wiener  -  Neu- 
stadt von  F.  Fehringer,  dem  der- 
zeitigen Director  dieser  Fabrik,  für  die 
Ungarischen  Staatsbahnen  entworfen  wur- 
den, waren  nach  diesem  Grundsatze  ge- 


baut. [Vgl.  Tafel  VI,  Fig.  4  und  Tafel 
VII,  Fig.  I,  Seite  476  und  477.]  Diese 
beiden  Typen  wurden  noch  Ende  der 
Siebziger-Jahre  an  vielen  anderen  Bah- 
nen [Albrecht  -  Bahn,  Pilsen  -  Priesener 
Bahn  u.  s,  w.]  mit  geringfügigen  Aen- 
derungen  in  der  Armatur  u.  s.  w.  an- 
geschafft. 

Die  Locomotiven  der  erstgenannten 
Bahnen  bildeten  auch  das  Vorbild,  nach 
welchen  später  die  Personenzug-  und 
Güterzug- Locomotiven  der  Kaiserin  Eli- 
sabeth-Bahn [vgl.  Tafel  VII,  Fig.  2, 
Seite  477],  Kronprinz  Rudolf-Bahn  und 
Kaiser  Franz  Josef- Bahn  ausgeführt 
wurden. 

Eine  der  we- 
nigen      Bahnen, 

welche  nicht 
gleich  den   Aus- 
senrahmen       an- 
nahmen, war  die 
Kaiserin       Eli.sa- 
beth-Bahn.     Zeh, 
der   1858  in  den 
Dienst  dieses  Un- 
ternehmens   trat, 
behielt,  als  er  die 
ersten      Locomo- 
tiven    für     das- 
selbe  construirte, 
den  Innenrahmen  bei.    Erst  die  späteren 
Jahrzehnte   zeigten,   dass   Zeh   den  rich- 
tigen   Weg    eingeschlagen     hatte ;    denn 
die    häufigen  Anbrüche    der    Achsen    im 
Halse  der  Hall'schen  Kurbeln  sind  diesem 
Systeme     anhaftende     Eigenthümlichkei- 
ten.    Keine    neuen     Züge     in    der    Con- 
ception    selbst    bietend,    sind    die    alten 
Westbahn  -  Locomotiven    von    Zeh    [vgl. 
Tafel    VII,    Fig.   3    und   4,    Seite    477] 
durch  gediegene  Detailconstructionen  be- 
merkenswerth.     Viele     dieser     aus     den 
Jahren  1858  imd  1859  stammenden  [Inder 
Maschinenfabrik   der  O  est  erreich  isch- Un- 
garischen     Staatseisenbahn  -  Gesellschaft 
und    bei    Günther    gebauten]    Maschinen 
sind  noch  in  Verwendung. 

Eine  bemerke  nswerthe  Locomotive 
mit  Hall'schen  Kurbeln  wurde  im  Jahre 
1860  nach  Plänen  der  Südbahn  in  der 
Maschinenfabrik  der  Staatseisenbahn- 
Gesellschaft  gebaut.  Diese  Güterzug- 
Locomotive    [Abb.  297],    welche  in    die 


von  G.  Sitgl.  [1857.] 


448 


Karl  Göladorf. 


Hall'sche  Treibkurbel  eine  Gegenkurbel 
fUr  die  Aussensteuerung  eingepresst  hatte, 
wurde  für  diese  Bahn  in  mehr  als  zwei- 
hundert Exemplaren  [und  zwar  bis  zum 
Jahre  1873]  ausgeführt.  Auch  für  die 
Mohäcs-Fünfkirchner  Bahn  und  die  Mäh- 
rische Grenzbahn  wurden  derartige  Loco- 
mottven  gebaut;  selbst  der  Nordbahn 
diente  diese  Type  als  Vorbild  für  ihre 
ersten  mit  Stahlkesseln  versehenen  Güter- 
zug-Locomotiven,  [Tafel  VIII,  Fig,  i, 
Seite  278.]  Unter  den,  in  diesem  Zeiträume 
vom  Auslande  bezogenen  Locomotiven 
verdienen  die  von  Kessler  für  die  südliche 
Staatsbahn  und  die  Sudbahn  gelieferten 
Güterzug-  und  Personenzug -Locomotiven 
wegen  der  ge- 
radezu künstle- 
risch durchge- 
führten Formen 

Erwähnung. 
(Vgl.  Abb.  296 
und  398.]  In 
der  Gesammt- 
anordnung ist 
die  letztere  der 
genannten  Ma- 
schinen iden- 
tisch mit  den 
von  Maffei  für 

die    Pardubitz-        ^,,  ^    G«„„ag.Loco«o..v, 
Reichen  berger 

Bahn  gebauten  Personenzug-Locomoti- 
ven.  [Vgl,  Tafel  VI,  Fig.  3,  Seite  47;6.] 
In  Bezug  auf  die  Detailconstruction 
wurde  sie  massgebend  für  die  späteren 
Personenzug- Locomotiven  der  Südbahn 
und  Oesterreichi sehen  Nordweatbahn. 

Nicht    in    den    Rahmen    der    damals 
Üblichen      Constructionsweise      passend,   I 
war   eine  Locomotive,    die  von  Günther  | 
im    Jahre    1858    zum    Baue    der    Kaiser  | 
Franz   Josef-Orientbalm    gehefert  wurde.    ] 
[Vgl.    Tafel    VIII,    Fig.    2,     Seite    478.]   1 
nie    Maschine    ist    dadurch    bemerkens-  1 
werth,    dass    sie    die  erste    ftir    Oester-  , 
reich  gebaute  zweiachsige  Tender-Lo- 
comotive  war.  Sie  hatte  Aussenralimen, 
Kxcenterkurbeln,  und  zwischen  die  Rah- 
men eingebaute  Was.serk asten.  | 

Der  Director  der  Maschinenfabrik  1 
der  Ocstcrreichisch-Ungarischen  Staats-  1 
cisenbahii  -  Ges;;llschaft,  Haswell,  war  ' 
auch    einer    der    weiiitren  Coiistructeure,   ; 


welche   den  Aussenrahmen    nicht    sofort 

einführten. 

Erst  die  guten  Ergebnisse  bei  ande- 
ren Bahnen  veranlassten  ihn,  denselben 
bei  einer  Lieferung  von  Schnellzug- 
Locomotiven  im  Jahre  1861  anzuwenden. 
Wie  nahezu  alle  Schöpfungen  dieses 
Mannes,  zeigten  auch  diese  Maschinen 
wesentliche  Unterschiede  gegenüber  den 
bereits  bestehenden  Typen. 

Diese  für  die  Staatseisenbahn -Gesell- 
schaft bestimmten  Locomotiven  waren 
auf  drei  unter  dem  Langkessel  beünd- 
lichen  Achsen  gelagert;  es  war  nur 
eine  Treibachse  mit  HaU'schen  Kurbeln 
vorhanden,  welche  sich  vor  der  Feuer- 
büchse  befand. 

Diese  Ma- 
schine wies  die 
grössten  bis  da- 
hin in  Oester- 
reich  ausgeführ- 
ten Treibräder 
auf :  Durch- 
messer 6'  6" 
[2055  »«].    Die 

Feuerbüchse 
hatte  einen  sehr 
grossen  Ueber- 
hang,  wegen 
der  auf  der 
Treibachse  in- 
nerhalb der  Rahmen  aufgekeilten  Excen- 
terscheiben.  In  allen  Einzelheiten  mit  den 
anderen  Locomotiven  dieser  Lieferung 
vollkommen  gleich,  war  die  letzte,  die 
»Duplex!*),  dadurch  verschieden,  dass 
an  ihr  vier  Dampfcylinder  angebracht 
waren,  die  auf  unter  180"  versetzte  Kur- 
beln wirkten.  [Vgl.  Tafel  VIII,  Fig.  3,  Seite 
478.]  Diese  Anordnung  bezweckte  einen 
vollständigen  Ausgleich  der  hin-  und 
hergehenden  und  der  im  Kreise  beweg- 
ten Massen,  ohne  Anwendung  von  Ge- 
gengewichten an  den  Treibrädem. 

Noch  vor  Erprobung  dieser  Maschine 
auf  der  Strecke  wurden  Messungen  an- 
gestellt über  die  Grösse  der  Horizontal- 
und  Vertii;al-Schwankungen,  welche  die 
hin-  und  hergehenden  Massen,  beziehungs- 
weise    die     Gegengewichte     der     Räder 


.bn.  IlSwJ 


Locomotivbau. 


hervorrufen.    Die  >Duplex>  wurde    beim 
vorderen     Räderpaare     unterkeilt,      und 
durch  einen  Krahn  mit  Ketten  rückwärts 
gehoben,    so    dass    die    Treibräder    die 
Schienen  nicht  berührten.  Die  so  stationär 
gemachte    Locomotive  wurde    mit    rund 
400      Radum- 
drehungen pro 
Mi  nute  in  Gang 
gesetzt;  diese, 

einer  Ge- 
schwindigkeit 
von        nahezu 
160    km    pro 
Stunde        ent- 
sprechende 
Zahl  der  Um- 
drehungen, 
Itess   nur    ge- 
ringfügige 
Schwankun- 

,  Abb.  39 J.    PenoaeniuK-Locomol 

gen  erkennen, 

während    die    in   derselben   Weise    auf- 
gehängte     Locomotive       »Rokitzan« 
[mit   gewöhnlicher   Anordnung    der   Cy- 
hnder     und      Gegengewichten      in      den 
Rädern]     schon     bei     einer     Tourenzahl 
von    circa    70   km     Fahrgeschwindigkeit 
so     bedenkliche     Schwankungen    zeigte, 
dass    die    Versuche    mit    Rücksicht    auf 
die     Widerstands- 
fähigkeit der  Kette 
abgebrochen     wer- 
den mussten.  Diese 
Ergebnisse    fanden 
bei  den  Fahrten  auf 
günstigen    geradh- 
nigen  Strecken  in- 
sofeme         Bestäti- 
gung, als  die  »Du- 
plex« beiGeschwin- 
digkeiten über  90  AtH   Abb.  JM.  PcrioneoiUB  Lococ 
pro    Stunde     einen  Ortent-Bs 

merkbar  ruhigeren  Lauf  ergab,  als  die 
anderen  Locomotiven  derselben  allge- 
meinen Bauart. 

Für  schwere  Züge  zu  schwach,  und 
wegen  des  grossen  Ueberhanges  an 
beiden  Enden  doch  nicht  jene  ruhige 
Gangart  besitzend,  welche  Locomotiven 
mit  langem  Radstande  eigenthümhch 
ist,  fand  diese  Type  in  Bezug  auf  die 
Stellung  der  Achsen  keine  Nachahmung. 
Die  Anordnung  von  vier  Dampfcylindern, 

Gcuhlchte  der  ElKnbabneD.  n. 


welche    auf   eine  Achse    mit  unter  180" 
verstellten    Kurbeln     wirken,      ist     aber 
später    wieder    im     Aus  lande    als    neue 
Disposition    aufgetaucht.     Die    im    Jahre 
1882  in  Amerika  als  »System  Shaw» 
construirte    Schnellzug- Locomotive    war 
in    Bezug    auf 
Cylinder-   und 
Kurbel  an  Ord- 
nung vollkom- 
men   identisch 
mit   der    »Du- 
plex<;fernerist 
bei     den      in 
Frankreich  im 
Jahre  1888  con- 
struirte n  Com- 
pound-Loco- 
motiven     mit 
vier      Dampf- 

,c  d«  car,  L„4wiK.Bah..  [.««,,|       Zylindern      - 
System      >Du 
Bousquet-De  Glehn-    —  das  Princip 
des  Massenausgleiches    [auf   unter    180*' 
versetzten    Kurbeln   beruhend]    dasselbe, 
welches    schon    der    HasweH'schen    Ma- 
schine aus  dem  Jahre  1861  zugrunde  lag. 
Noch     einmal     wurde     der    Versuch 
gemacht,  das  Kuppelungs- Problem  der  En- 
gerth'schen  Lastzug- Locomotive  zu  lösen. 
Die       Bahn       von 
Reschitza         nach 
Orawicza     forderte 
Locomotiven,  deren 
Zugkraft  einem  Ad- 
häsionsgewicht  von 
mindestens  42  t  ent- 
sprach.  Mit  Schie- 
nen von  nur  9'/)  t 
zulässigem      Achs- 
druck,   in  Steigun- 
rtiv«  d«  Kai»«  Fiaui  joief-  gen  von  25'','o(,  und 
'    ''^■'  Krümmungen     von 

114  m  Radius  angelegt,  stellte  diese 
Trace  ähnliche  Anforderungen  wie  der 
Semmering.")  Um  die  Tragkraft  der 
Schienen  nicht  zu  überschreiten,  musste 
eine  Maschine  mit  fünf  gekuppelten 
Achsen  ausgeführt  werden.  Pius  Fink, 
der  begabte  Ingenieur  derOesterreichJsch- 
UngarischenStaatseisenbahn-Gesellschaft, 
dessen  Name  durch  die  nach  ihm  be- 
•)  Vgl.  Bd.  I,  I.  Theil,  H.  Strach. 
Eisenbahnen  mit  Zinseng:irantie,  Seit«  38.]. 


Karl  Golsdorf. 


nannte  Coulissensteuerung  mit  nur  einem 
Excenter  und  durch  seine  saugenden  In- 
jectoren  bekannt  ist  [siehe  Seite  451], 
fand  eine  Kuppelung  zwischen  den  Rädem 
des  Hauptgestelles  und  denen  des  Ttn- 
ders,  welche,  sich  im  Principe  an  die 
Constniction  Kirch  weger 's  aus  dem 
Jahre  1852  anlehnend,  das  Problem  in 
theoretisch  richtiger  Weise  durch  eine  Über 
dem  Rahmen  gelagerte  Blindwelle  löste. 
[Tafel  Vni,  Fig.  4,  Seite  478,  vgl.  auch 
Locomotive  >Steyerdorf>  Bd.  I,  i.  Theil, 
Abb.  328,  Seite  390.] 

Von  dieser  Blindwelle,  deren  Antrieb 
durch  schräg  nach  aufwärts  gerichtete 
Kuppel  Stangen  vom  Hauptmechanismus 
erfolgte,  wurde  die 
Bewegung  durch 
senkrechte  Kuppel - 
Stangen  auf  das 
mit  Hairschen  Kur- 
beln verseheneTen- 
dergestelle  über- 
tragen. Vier  Lo- 
comotiven  dieser 
Bauart  wurden  in 
der  Maschinen- 
fabrik der  Oester- 
reichisch-Ungari- 


Ahb.  »5-   GUieriiig-Loi;omuil' 

sehen   Staatseisen- 
bahn-Gesellschaft in  den  Jahren  1861   bis  1 
1867  ausgeführt;  die  erste  derselben,  die  ; 
»Steyerdorf',figurirte  wie  die  »Duplex«  auf  ; 
der   Londoner  Weltausstellung    im  Jahre  1 
1862.     Auch  auf  der  Bergbahn  im  Banat  , 
zeigte  es  sich,  wie  auf  dem  Semmering  und  1 
später    auf  vielen  anderen  Bahnen,  dass  j 
der  damals  und  auch  noch  heute  vertretene  1 
Grundsatz,  die  Vorräthe  auf  der  Maschine  1 
selbst  zur  Vergrösserung  des  Adhäsions- 
gewichtes unterzubringen,  eine  jeder  Be- 
gründung entbehrende  Phrase  ist,  wenn  es 
sich  um  den  Betrieb  langer  Bergstrecken 
bei  weit  getriebener  Ausnützung  der  Zug- 
kraft handelt;    die  genannten  Maschinen 
wurden  nachträglich  mit  einem  zur  Auf- 
nahme von  Wasser  bestimmten  Beiwagen 
versehen.    Im  Jahre  iHöy  in  Paris  neuer- 
dings ausgestellt,  fand  diese  Type  .Fink- 
Engerth»    keine  weitere  Nachahmung. 

Es  verdient  hervorgehoben  zu  wer- 
den, dass  die  Nordbahn  in  dieser  Pe- 
riode, in  welcher  fast  allgemein  der 
überhängende    Feuerkasten    für    alle  Lo- 


comotiv-Gattungen  angenommen    wurde. 
bei  der  Construction  einer  neuen  Schnell- 
zug -  Locomotive    diesen    falschen    Weg 
nicht  einschlug,    sondern    thunlichst  den 
beiderseitigen     Ueb  erhäng     vermindeni;. 
Die    im   Jahre     1862    bei    Sigl    in  Wien 
gebaute     Schnellzug- Locomotive     [Abb. 
399]      war     mit      Aussen  rahmen     und 
Hali'schen  Kurbeln  versehen,    hatte  aber 
hinter  der  FeuerbUchse    ein   Laufrad  an- 
geordnet.    Diese    in  Bezug  auf  Gangan 
und  Leistung  ausgezeichnete  Type  wurde 
bis    in    die    Siebziger-Jahre     beibehalten 
und,  im  Principe  gleich,  auch  von  Strous- 
berg  sowie  später  von  der  Floridsdorfer 
Loc emotiv- Fabrik  im  Jahre  1874  gebaut. 
[Abb.  300.]    Ende 
der  Siebziger-Jahre 
wurde,  als  die  Ad- 
häsion eines  Treib- 
räderpaares   nicht 
mehr      hinreichte, 
das  Laufräderpaar 
durch  eine  mit  den 
Treib  rädem  gekup- 
pelte    Achse     er- 
setzt. 

Im  Jahre  1S61 
ler  Frtnijoief.        hatte        Sigl        die 
"  '   " '  Günther'sche    Lo- 

comotiv-Fabrik  in  Wien  er- Neustadt  in 
Pacht  genommen  und  mit  der  Leitung 
derselben  seinen  ehemaligen  Construcieur 
aus  der  Wiener  Fabrik,  Kari  Schau, 
betraut.  Die  Erweiterung  der  Anlage  in 
Wien  und  Wiener-Neustadt,  femer  die 
neuen  Einrichtungen,  die  auf  Anregung 
von  Haswell*)  in  der  Maschinenfabrik  der 

•|  Schon  in  den  Fünfziger- Jahren  hatte 
Haswell  in  der  Fabrik  einige  Dampfhämmer 
nach  seinem  Sj-steme  aurgestellt,  bei  welchen 
im  Gegensatze  zu  den  sonst  üblichen  Aus- 
führungen der  Kolben  fest  stand,  während 
der  Cylinder,  als  Fallbär  dienend,  durch  den 
Dampf  gehuben  wurde.  Im  Jahre  1862  erbaute 
er  eine  grosse  Dampf-Schmiedepresse,  welche 
einen  Druck  von  750.OOO  kg  auszuüben  er- 
laubte. Die  Herstellung  der  Räder,  Achs- 
!aj;er[;ehaiise,  Kreuzköpfe  u.  S.  w.  wurde 
durch  diese  Maschine  wesentUch  vereinfaeht. 
UeherdifS  konnten  Gegenstände,  deren  Form 
t'rilher  die  Ausführung  aus  Gusseisen  be- 
dingte, jetzt  unter  der  Presse,  In  Gesenken, 
aus  SLliiuiedeuisen  hergestellt  werden. 

liiiie  der  interessantesten,  nicht  in  Jen 
Ralmicn  des  Locomotivbaues  gehörenden 
Arhtiten,   welche   Haswell    in   diesem  Zeit- 


Locomotivbau. 


Oesterreichisch-Ungarischen   Staatseisen- 
ba ha- Gesellschaft      ausgeführt     wurden, 
setzten  Oesterreich   in  den  Stand,  unab- 
hängig vom  Auslande,  seinen  Bedarf  an 
Locomotiven    selbst  zu  decken,    und  als 
mächtiger  Concur- 
rent  auf  dem  Welt- 
markte     aufzutre- 
ten.   Nachdem  be- 
reits   Günther    im 
Jahre     1855     eine 
Anzahl  kleiner  Lo- 
comotiven für  eine 

oberschlesische 
Kohlen  bahn  gelie- 
fert hatte,  wurde 
im  Jahre  i86o  die 
erste  grosse  Be- 
stellung vom  Aus- 

lande  bei  der  Ma-  "»  «•  ■■—••■"«•■•" 
schinenfabrik  der  Oesterreichisch-Unga- 
rischen Staatseisenbahn- Gesell  Schaft  ge- 
macht. Sie  umfasste  85  StUck  Lastzug- 
Locomotiven,  welche  fUr  die  «grosse 
russische  Eisenbahn*  bestimmt  waren, 
und  beschäftigte  die  Fabrik  bis  zum  Jahre 
1863.  Spärlich  mit  Aufträgen  für  die 
eigene  Bahn  versehen,  konnte  sie  auch 
im  nächsten  Jahre  eine  grössere  Lieferung 
für  die  spanische  Nordbahn  übernehmen. 
In    geradezu    grossartiger  Weise    be- 


trieb Ende  der  Sechziger-Jahre  Sigl  in 
Wien  und  Wiener-Neustadt  den  Bau  von 
Locomotiven  für  Russland  und  auch 
für  Deutschland.  Die  Maschinen  waren 
fUr  die  Warschau-Wiener-Bahn  und  für 
die  Bahnen  Mos- 
kau-Kursk,Rja9hsk- 

Morschansk, 
Odessa- Baltea,Wo- 
ronesch  -  Koslow, 

Weichsel  bahn, 
Mecklenburgische 
Friedrich  Franz- 
Bahn  und  andere 
bestimmt.  Sie  wur- 
den nach  in  den 
genannten  Fabri- 
ken entworfenen 
Plänen  mit  Hall- 
sehen  Kurbeln  aus- 
geführt.    [Vgl.  Abb.  301   und  302.] 

In  dieses  Jahrzehnt  fällt  auch  die  Ein- 
führung der  Dampfs  trahlpurapen  — 
Injectoren')  —  an  Stelle  der  bis  dahin  zur 
Speisung  der  Kessel  ausschliesshch  ver- 
wendeten Pumpen,  welche  im  Allgemeinen 
nur  während  des  Ganges  der  Locomotive 
in  Thätigkeit  gesetzt  werden  konnten.  Die 
Kolben  dieser  Pumpen  wurden  vom  Kreuz- 
kopfe aus  oder  durch  eines  der  Steuerungs- 
excenter  [vgl.  Tafel   III,   Fig.    I  und  2, 


At)t).  ]«7.  CUtcI: 


>.[•» 


räume  ausführte,  war  die  Erneuerure  des 
Thurmhelmes  am  Sl.  Stefansdome  in  Wien. 
Die  Helmstange,  aus  zwei  Theilen  von  je 
10  m  Lange  bestehend,  und  die  schweren 
Eisen  seh  li  essen  und  Barren,  welche  die 
gothische  Kreuzblume  halten,  wurden  unter 
der  genannten  Presse  aus  geschmiedet. 

Der  Fall,  dasseineLocomotiv-Fabrikanden 
VoIlcndungsarbeitenvonKirchthünnensichbe- 
theili^,  ist  tibrigens  nicht  vereinzelt.  Im  Jahre 
1851  wurde  von  dergenannlen  Fabrik  das  Win- 
keleisen-Gerippe  und  das  Kreuz  fürdie  Thurm- 


Abb.  ]{i8.    GUtcriDE-LocomotliB  der  aDdllcbcn 
Sia.ubahn.  (185».] 

spitze  derAugustinerkirghe  inWien  ausgeführt 
und  in  derLocomotiv-Fabrik  Wiener-Neustadt 
wurden  im  Jahre  1896  die  Wetterhähne  und  die 
Kreuze  —  letztere  wahre  Meisterwerke  der 
Handschmiedekunst  —  für  die  neuerbauten 
ThUrme  der  dortigen  Pfarrkirche  hergestellt. 
*)  Injectoren  sind  Apparate,  bei  denen 
die  durch  Cundensation  eines  Dampfstrahles 

fte  lebendige  Kraft  einem  Wasserstrahle 
erartige  Geschwindigkeit  verleiht,  dass 


I  dieser,    den    Kcsseldi 
I   den  Kessel  eintritt. 


ick    überwindend, 


Karl  Gölsdorf. 


Seite473]bethätigt.  Um  während  desStill-  ' 
Standes  der  unter  Dampf  beßndlichen  Ma-  i 
schine  speisen  zu  können,  waren  auch  Pum-  ■ 
pen  in  Gebrauch,   die  durch  eine  beson- 
dere  kleine   Dampfmaschine   angetrieben 
wurden.    Diese    schwerfälligen   Apparate  ' 
wurden  bald  verlassen,  als  es  dem  französi- 
schen Ingenieur  H,  Giffard  gelungen  war  | 
[auf  Grund  der 
bis  zu  Beginn  f 
diesesjahrhun- 
derts    zurück-  | 

reichenden- 
Versuche    von 

Mannoury, 

d'Ectot, 
Bourdon  und 
andere],  im 
Jahre  1858  den 
ersten  brauch- 
baren  Injector 

herzustellen. 
Nachdem  die 
im  Jahre  1860 
in   Oesterreich  ^^^  ^   schien. ug-Lo=, 

angestellten 
Versuche  mit  Giffard'schen  Injectoren 
gute  Resultate  ergeben  hatten,  wurden 
schon  in  den  nächsten  zwei  Jahren  fast 
alte  neu  gebauten  Locomotiven  mit 
dieser  Einrichtung  versehen.  Diese  ersten 
Injectoren  —  die  sogenannten  spanischen 
Apparate  —  waren  aber  noch  weit  davon 
entfernt,  den  Anforderungen  zu  ent- 
sprechen ;  ihr  grösster  Fehler  war  der, 
dass  nur  massig  erwärmtes  Tenderwasser 
angcsauf^t  werden  konnte.  Wesentlich 
vereinfacht  wurde  die  Erfindung  GitTard's 


durch  den  Directot  der  Wiener- Neustädter 
Locomotiv-Fabrik  C.  Schau.  Im  Jahre 
1868  gelang  es  dem  Ingenieur  A,  Fried- 
mann in  Wien,  dieselbe  auch  für 
das  Speisen  von  warmem  Wasser  ge- 
eignet zu  machen.  Nach  Tausenden 
zählen  die  im  Laufe  der  Jahre  ersonnenen 
Arten  der  Injectoren ;  von  allen  Consiruc- 
tionen  hat  aber 
das  österrei- 
chische Fried- 
mann'sehe 
System  dii 
grösste  Ver- 
breitung ge- 
funden, denn 
mehr  als  die 
Hälfte  aller 
Locomotiven 
der  Welt  ist 
mit  diesen  Ap- 
paraten ver- 
:  sehen. 

Die  bis  da- 
,o.iv.  d«  Notdbahn.  1,874.]  hinandcn Ten- 

dern der  Loco- 
motiven angebrachten  Handbremsen 
erwiesen  sich  auf  den  vielen  Gebirgsbahnen 
als  nicht  ausreichend.  Die  erste  Dampf- 
bremse  an  Locomotiven  führte  Haswell 
—  nach  dem  Vorbilde  der  sächsischen 
Bahnen  —  an  der  »Sleyerdorf«  aus.*] 
[Vgl.  Tafel  VIII.,  Fig.  4,  Seite  478.] 
Die  Haswell'sche  Repressions- Bremse 

'}  Aehnliche  Dampfbremsen  wurden  noch 
in  den  AJitÄiger-Jatiren  an  vielen  Loci> 
niutiven    der    Nordbahn    und    N'ordwestbahn 


Locomotivbau. 


war  unbeachtet  geblieben;  grosse  Ver- 
breitung aber  fand  die  im  Jahre  1865 
von  dem  Director  der  spanischen  Nord- 
bahn Lechatelier,  im  Vereine  mit 
Ingenieur  Ricour  erdachte  und  ausge- 
führte »Lechatelier'sche  Gegen- 
dampfbrem- 
se«. Die  brem- 
sende Wirkung 
des      Dampfes 

benutzend, 
welche  eintritt, 
wenn  bei  offe- 
nem Regula- 
tor die  Steue- 
rung auf  die 
der  Fahrt  ent- 
gegengesetzte 
Richtung  ge- 
stellt wird,  ver- 
meidet sie  das        ...   ,„,    -,,.         , 

Abb.   BOI.      GUtCfKUg-LoCDEDOtlVi 

Ansaugen  von 

unreiner  Luft  aus  der  Rauchkammer  da- 
durch,   dass  ein  vom  Führer    bethätigtes 
Ventil  Dampf  in  die  Ausströmungspartie 
des  Cylinders  einlässt,  welcher  dann  wieder 
in  den  Kessel  zurück  befördert  wird.  Um 
die     Dampfcylinder    vor    Erhitzung     zu 
bewahren,  wird  durch   ein   zweites  Ven- 
til gleichzeitig 
eine      geringe  j 
Wassermenge  | 
in       dieselben  \ 

eingespritzt.     | 
Diese    Gegen-  1 
dampfbremse 
war    auf   dem 

Semmering 
und      Brenner 
seit  dem  Jahre 
1867   so  lange 
in        Verwen- 
dung,   bis   sie 
durch  die  Va- 
cuumbremse     überholt     wurde ;     an    den 
meisten  Locomotiven  der  Oesterreichisch- 
Ungarischen  Staatseisenbahn -Gesellschaft 
ist    die    Lechatelier-Bremse    noch    immer 
angebracht  und  in  Gebrauch. 

Auch  Zeh  hatte  [schon  in  den  Fünf- 
ziger-Jahren] eine  Vorrichtung  ersonnen 
—  die  Zeh'sche  Klappe  —  welche  bei 
geschlossenem  Regulator  durch  Einfüh- 
rung   von    Luft    in    die    Cvlinder    eine 


.,  [1868.) 


Abb.  iOl.  Pen 


Bremswirkung   ergab.     Bei    den    vorher 
erwähnten  Westbahn- Locomotiven  [Tafel 
VII,    Fig.  3    und    4,     Seite    477]     ange- 
bracht, fanddiese  Bremsvorrichtung  weiter- 
hin keine  nennenswerthe  Verbreitung. 
Als    die  Bahn  Ober  den  Brenner  ge- 
baut     wurde, 
gab  es  keinen 
Zweifel     über 
das    geeignete 
Locomotiv- Sy- 
stem :  der  ein- 
fache      Acht- 
kuppler      mit 
Schlepptender 
war  bereits 
eine   erprobte, 
bewährte    Ty- 
pe,   die  inner- 
halb der  Gren- 
zen des  zuläs- 
sigen      Achs- 
druckes noch  wesentlich  leistungsfähiger 
construirt  werden   konnte,    als    dies    bis- 
her   in    Oesterreich    der    Fall    war.     Die 
für  den  Brenner  bestimmten  Achtkuppler 
wurden  nach  den  von  der  Sudbahn  bei- 
gestellten Plänen  in  der  Maschinenfabrik 
der  Oesterreichisch  -  Ungarischen  Staats- 
eisenbahn-Ge- 
sellschaft     im 
Jahre  1867  er- 
baut und  hat- 
ten Aussen  rah- 
men mit  Haii- 
schen Kurbeln. 
[Tafel  IX.  Fig. 
I,    Seite  479.] 
Alle  bisherigen 
in    Oesterreich 
hergestellten 
H    Locomotiven 
w  I.  V   1     E  k    i.a«i   an    Leistungs- 

er  WoTODCKh-Kofloir-BahD.  [1008.]  ^ 

fähigkeit  und 
Adhäsionsgewicht  übertreffend,  fand  diese 
Type  —  der  erste  Achtkuppler  mit  Haii- 
schen Kurbeln  —  auch  im  Auslande 
[auf  der  hessischen  Ludwigs-Bahn]  Ein- 
gang. 

DieOesterreichisch-UngarischeStaats- 
eisenbahn-Gesellschaft  sah  sich  in  dieser 
Zeit  ebenfalls  veranlasst,  stärkere  Loco- 
motiven anzuschaffen.  In  ihrer  Maschinen- 
fabrik wurden  zwei  Typen  entworfen,  die 


Karl  GOlsdorf. 


bis  in  die  Achtziger -Jahre  den  Anforde- 
rungen entsprachen :  ein  Sechskuppler  und 
ein  Achtkuppler  mit  Innenrahmen  und 
innen  liegender  Steuerung.  [Vgl.  Tafel 
IX,  Fig.  2  und  3,  Seite  479.]  Weil  die 
Herstellung  grosser,  dicker  Rahmen- 
platten noch  Schwierigkeiten  bot,  waren 
die  Rahmen  —  ähnlich  wie  die  Aussen- 
rahmen  —  aus  zwei  dünnen  Blechen  mit 
■  dazwischen  eingenieteten  Futtereisen  an- 
gefertigt. 

Beide  Typen    erwiesen    sich,    wegen 
des    Achsdruckes    von    nur    I3    t,     als 
universell    verwendbare  Maschinen.     Der  1 
Sechskuppler  wurde  Ende  der  Siebziger-  | 
Jahre  für  einige  Linien  der  k.  k.  österreichi-  | 
sehen    Staats- 
bahnen      [Ra- 
konitz-Proti- 

Leluchöw]  aus- 
geführt ;  mit 
einigen  Unwe- 
sen tl  ich  enAe  n- 
derungen  wur- 
de der  Acht- 
kuppler für  die 
Kaiserin  Elisa- 
beth-Bahn im 
Jahre  1873  von 
den  Fabriken  in  Wien  er- Neu  Stadt,  Florids- 
dorf  und  von  Hartmann  in  Chemnitz  gebaut. 

Die  Südbahn  war  diejenige  Bahn  in 
Oesterreich,  welche  die  Anschauung, 
dass  eine  tiefe  Lagerung  des  Kessels  zur 
Erzielung  eines  ruhigen  Laufes  unbedingt 
nölhig  sei,  praktisch  widerlegte,  als  sie 
im  Jahre  1870  die  grossen,  für  den  Sem- 
mering,  Karst  und  Brenner  bestimmten 
Achtkuppler  construirte,  die  in  Wiener- 
Neustadt  und  in  der  Maschinenfabrik  der 
Oesterreichisch-Ungarischen  Staatseisen- 
bahn-Gesellschaft  gebaut  wurden.  [Abb. 
303-] 

Die  Nachtheile  der  Hall'schen  Kurbeln 

—  Anbrüche  der  Achsen  im  Kurbelhalse 

—  hatten  sich  schon  fühlbar  gemacht ; 
es  wurde  daher  der  Innenrahmen  wieder 
angenommen,  der  aber  durch  die  Lage 
der  Tragfedern  über  der  Rahmenober- 
kante, bei  dem  grossen  Durchmesser  des 
Kessels,  eine  hohe  Lage  der  Mitte  des- 
selben Ober  der  Schienen-Oberkante  be- 
dingte. In  Bezug    auf  Ruhe  des  Ganges 


Abb.  joj.     Achlkuppit 


den  Locomotiven  mit  tiefliegendem  Kessel 
und  Aussenrahmen  ebenbürtig,  ergaben 
sie  wegen  der  grossen  Rostfläche  von 
3l6  tn*  [der  grössten  bisher  in  Oesicr- 
reich  ausgeführten]  und  der  günstigen 
Abmessungen  von  Blasrohr  und  Rauch- 
fang so  bedeutende  Leistungen  —  210/ 
auf  25700  Steigung  —  dass  auf  An- 
suchen der  oberitalienischen  Eisenbahn 
eine  dieser  Locomotiven  im  Jahre  1872 
nach  Italien  abging,  um  Paralld- 
Versuchen  mit  den  auf  der  Rampe 
bei  Genua  verwendeten  Achtkuppkm, 
System  Beugniot,  deren  Anschaffung 
auch  für  die  vollendete  Mont  Cenis- 
Bahn  beabsichtigt  war,  unterzogen  tn 
werden. 
I  Die    Süd- 

!  bahn-Locomo- 
tive  er  wies  sich 
bei  diesen  zwi- 
schen Ponte 
decimo  unJ 
Busall  a,  im 
Beisein  des 
Constructeurs, 
L.  A.  Gßls- 
dorf  [derzeit 
Maschinen-Di- 
'•"•"■'■■'■«  recot      die.» 

Bahn],  vorgenommenen  Probefahrten  der 
italienischen  Maschine  weitaus  über- 
legen, trotzdem  die  letztere  grössere 
Kessel  und  Cylinder-Abmessungen  be- 
sass.  Das  weitere  Ergebnis  dieser  Fahr- 
ten war,  dass  die  Alta  Itatia  0^"' 
strade  ferrate  del  Mediterraneo]  60  Stück 
dieser  Locomotiven  in  Wiener-Neustadt 
bestellte.  [Abb.  304.]  Sie  wichen  von 
der  Südbahn-Maschine  nur  insofeme  ab, 
als  etwas  grössere  Räder  und  Cylin- 
der  angewendet  waren,  weil  ihre  Ver- 
wendung auch  für  rascher  fahrende  Zuge 
in  Aussicht  genommen  wurde.  Von  der 
genannten  Gesellschaft  auch  weiterhin 
gebaut,  wurde  noch  im  Jahre  1885  eine 
grössere  Anzahl  derselben  bei  der  Ma- 
schinenfabrik der  O esterreich isch-Un gan- 
schen Staatseisenbahn -Gesellschaft  he- 
stellt. 

Die  hohe  Lage  des  Kessels  wurde 
von  Haswell  fernerhin  beibehalten.  B^' 
merkenswerth  in  dieser  Beziehung  ist 
eine     Tj'pe,      die     in     der     Maschinen- 


Locomotivbau. 


fabrik  der  Oesterreichi  seh -Ungarischen 
Staatseisenbahn  -  Gesellschaft  im  Jahre 
1872  für  die  Graz- Kofi  acher  Bahn  ge- 
baut wurde,  und  welche  als  Neuerung 
die  Lage  der  Feuerbüchse  über  dem 
Rahmen,  statt  wie  bisher  zwischen  den 
Rahmen,  aufwies.*)  Der  Vortheil  der  brei- 
teren Feuerbüchse,  welcher  den  Aussen- 
rahmen-Locomotiven  eigenthUmlich  war, 
ist  dadurch  auch  bei  Innen  rahmen  er- 
reicht worden.  An  diesen  Maschinen 
kamen  auch  die  Haswell'schen  Wellblech- 
Feuerbüchsen  zur  Ausführung,  welche 
innerhalb  bestimmter  Grenzen  der  Länge 
die  Anwendung  der  sonst  nöthigen 
Versteifung  durch  Decken  harren  oder 
Deckenschrau- 
ben überflüssig 

machten.") 
Diese  Loco- 
motiven  waren 
überdies  mit 
den  Haswell'- 
schen Balan- 
cierachsenver- 
sehen. [Tafel 
IX,  Fig.  4, 
Seite  479-1 

Ende  der 
Sechziger-Jah- 
re waren  die 
beiden  Loco- 
motiv- Fabriken  von  G.  Sigl  und  die 
Maschinenfabrik  der  Oesterreichisch- 
Ungarischen  Staatseisenbahn -Gesellschaft 
derart  mit  Bestellungen  überhäuft,  dass 
die  Errichtung  einer  vierten  grossen  Fabrik 
sich  als  nöthig  erwies.  Dem  Wiener  Bank- 
vereine in  Gemeinschaft  mit  dem  Central* 
Inspector  der  Ferdinands -Nordbahn,  Lud- 
wig Becker,  und  dem  Inspector  der 
k.  k.  priv.  Kaiserin  EHsabeth  -  Bahn, 
Kart  Hornbostel,  wurde  am  6.  Sep- 
tember 1869  die  Concession  zur  Errich- 
tung der  »Wiener  Locomotiv-  Fabriks- 
Actien -Gesellschaft«:  ertheilt.    Nach  Bil- 


Abb.  m.    Achtkupplei 


•j  Diese  Disposition  der  Feuerblichse 
findet  in  neuester  Zeit  auf  fast  allen  öster- 
reichischen Bahnen  Anwendung. 

••)  Aehnhche  FeuerbUchsen,  jedoch  mit 
Wellen  in  der  Läntsriehtung  waren  drei 
Jahre  vorher  vom  Maschinenmeister  M  a  y 
der  schweizerischen  Nordustbuhn  ausgeführt 


düng  des  ersten  Verwaltungsrathes  wurde 
Herr  Bernhard  Demmer  mit  der  tech- 
nischen und  commerziellen  Leitung  des 
neuen  Unternehmens  betraut. 

Mit  dem  Baue  der  Fabrik  in  Gross- 
Jedlersdorf  bei  Floridsdorf  wurde  im 
April  1870  begonnen.  Im  Januar  1871 
begann  der  Betrieb,  und  am  10.  Juli 
desselben  Jahres  erfolgte  die  Ablieferung 
der  ersten  Locomotive,  welche  für  die 
Oesterreichische  Nordwestbahn  bestimmt 
war.  [Tafel  X,  Fig.  I,  Seite  480.]  Im 
Jahre  1873  schon  wurde  die  hundertste 
Locomotive  fertiggestellt. 

Der  Locomotivbau  erwies  sich  in 
diesem  Zeiträume  so  lohnend,  dass  bald 
nach  Erbau- 
ung der  Flo- 
ridsdorf er  Lo- 
comotiv-Fa- 
brik noch  ein 
derartiges  Un- 
ternehmen ge- 
gründet wur- 
de: >Die  Ma- 
schinen-, Lo- 
comotiv- und 
Wagen-Bau- 
anstaltinMöd- 
ling.. 

in  Wien  beste- 
hende »Industrie-,  Forst-  und  Montan- 
Eisenb  ahn -Gesell  Schaft«  [welche  auch 
den  Plan  hegte,  eine  schmalspurige 
Gürtelbahn  in  Wien  zu  erbauen]  er- 
richtete diese  Fabrik  im  Jahre  1872, 
und  betraute  mit  ihrer  Leitung  den 
lange  Zeit  bei  G.  Sigl  in  Wien  als 
Chef-Constructeur  beschäftigten  Ingenieur 
F.  X.  Mannhard. 

Die  erste  Locomotive  wurde  im 
Mai  1873  geliefert.  Sie  war  für  die 
Kronprinz  Rudolf  -  Bahn  bestimmt, 
und  hatte  aussenliegende  Rahmen  mit 
HalFschen  Kurbeln.  Ausser  einer  An- 
zahl von  Hairschen  Sechskupplern  für 
dieselbe  Bahn,  wurden  in  diesem  Jahre 
noch  einige  kleine  Locomotiven  für  die 
ungarischen  Bahnen  zweiten  Ranges,  und 
zwei  Tender-Locomotiven  für  eine  Aache- 
ner Industriebahn  fertiggestellt. 

Grösseres  Interesse  bot  eine  im  Jahre 
1874   nach    dem   Systeme    »Grund«    ge- 


456 


Karl  Gölsdorf. 


baute  zweiachsige  Locomotive,  die  auf 
Vicinalbahnen  .  [ohne  Bewachung  der 
Wegübergänge  u.  s.  w.]  verkehren  sollte. 
[Tafel  X,  Fig.  2,  Seite  480.]  Um  jede 
Gefahr  für  Passanten  oder  Fuhrwerk 
auszuschliessen,  sollte  dem  Führer  die 
Möglichkeit  benommen  sein,  rascher 
als  mit  10  kfn  pro  Stunde  fahren  zu 
können.  Zu  diesem  Zwecke  war  ein 
Schwungkugel  -  Regulator  angebracht, 
welcher  bei  Ueberschreitung  der  limi- 
tirten  Geschwindigkeit  eine  Bremse  in 
Thätigkeit  setzte.  Damit  auch  bei 
dieser  geringen  Geschwindigkeit  die 
Maschine  mit  grosser  Umdrehungszahl 
arbeiten  könne,  wirkten  die  Treibstangen 
auf  ein,  die  Zahl  der  Radumdrehungen 
verminderndes  Vorgelege,  welches  durch 
die  Tragfedem  an  die  Laufflächen  der 
Tragräder  angepresst  wurde.  Diese  Con- 
struction  vergrösserte  aber  derart  den 
Eigenwiderstand  der  Maschine,  dass  sie 
selbst  auf  Gefällen  von  25%^  [bei  den 
Probefahrten  auf  dem  Semmering]  stehen 
blieb,  wenn  nicht  Dampf  gegeben  wurde ; 
sie  fand  daher  hier  keine  weitere  Ver- 
wendung. In  Amerika  aber  wurde  das 
Grund'sche  Vorgelege,  jedoch  mit  Ueber- 
Setzung  auf  grössere  Tourenzahl,  an 
einer  unter  der  Bezeichnung  »System 
Fontaine«  bekannt  gewordenen  Schnell- 
zug-Locomotive  im  Jahre  1879  zur  An- 
wendung gebracht. 

Nachdem  im  Laufe  des  Jahres  1874 
noch  einige  Güterzug-Locomotiven  ftir 
die  Istrianer  Staatsbahnen  abgeliefert 
worden  waren,  musste  diese  Fabrik, 
des  überall  eingetretenen  schlechten 
Geschäftsganges  halber,  ihre  Thätigkeit 
einstellen;  die  Zahl  der  in  den  zwei 
Jahren  ihres  Bestandes  gelieferten  Loco- 
motiven  erreichte  nur  32  Stück. 

Das  Ausstellungsjahr  1873  war  auch 
für  den  Locomotivbau  Oesterreichs  von 
grosser  Bedeutung.  Der  Aufschwung 
auf  wirthschaftlichem  Gebiete  drängte 
zu  Fahrgeschwindigkeiten,  für  welche  die 
bestehenden  Locomotiven  mit  überhän- 
gendem Feuerkasten  nicht  mehr  geeignet 
waren.  Nach  den  im  Constructions- 
Bureau  der  Südbahn  entworfenen  Plänen 
wurde  für  diese  Bahn  in  Wiener-Neustadt 
eine  Schnelizug-Locomotive  gebaut,  bei 
welcher    das    amerikanische  zweiachsige 


Drehgestelle  mit  centralem  Mittelzapfen 
in  richtiger  Anordnung  zur  Ausführung 
gelangte.  [Tafel  X,  Fig.  3,  Seite  480/ 
In  der  Disposition  der  Cylinder,  der 
Steuerung  und  der  Aufsteckkurbeln  aus 
den  Kessler'schen  Locomotiven  vom  Jahre 
1861  hervorgegangen  [vgl.  Abb.  296], 
hatte  diese  Maschine  die  Kuppelachse 
hinter  der  Feuerbüchse  gelagert.  Eine 
zweite  Locomotive  ganz  gleicher  BauarU 
die  Sigl  in  Vorrath  angefertigt  hatte, 
und  welche  dann  die  Oesterreichische 
Nordwestbahn  ankaufte,  wurde  auf  der 
Wiener  Weltausstellung  unter  dem 
Namen  »Rittinge r«  ausgestellt.  Diese 
als  »Rittinger  Type«  bekannt  gewordene 
Südbahn-Locomotive  war  das  Vorbild 
für  die  Schnellzug-Maschinen,  welche 
in  der  Maschinenfabrik  der  Oester- 
reichisch  -  Ungarischen  Staatseisenbahn- 
Gesellschaft  im  Jahre  1874  für  die  Un- 
garischen Staatsbahnen  gebaut  wurden. 
[Tafel  X,  Fig.  4,  Seite  480.]  An 
diesen  Locomotiven  kamen  zum  letzten 
Male  die  HaswelPschen  Balancierachsen 
[im  Drehgestelle]  zur  Anwendung.  Ab- 
weichend von  der  Südbahntype  war  die 
Kuppelachse  [wie  in  Deutschland  schon 
lange  üblich]  unter  der  Feuerbüchse  ge- 
lagert. 

Die    Oesterreichische     Nordwestbahn 
modificirte     die     Rittinger  -  Type     später 
1874]     dadurch,      dass     die     Dampfcy- 
inder   eine  Lage  erhielten,    wie   sie  be- 
reits   bei     den     gekuppelten    Crampton- 
Locomotiven  der  Staatsbahn  angewendet 
war.    [Tafel    XI,     Fig.     i,     Seite    4^1-1 
Nach     dieser     Bauart     wurden     in    der 
Floridsdorfer    Maschinenfabrik    zwei  Lo- 
comotiven     —     »Li  vingstone«     und 
»Foucault«  —  ausgeführt.  Bemerkens- 
werth   war   an    ihnen    die  Durchführung 
des  Drehgestelles.     Bis  dahin  erfolgte  die 
Führung  desselben  durch  einen  centralen 
Mittelzapfen    und    die  Uebertragung  der 
Last    des   Kessels    durch    zwei    seitliche 
Gleitpfannen.  Um  jede  einseitige  Ueber- 
lastung  der  Drehgestellachsen  unmöglich 
zu  machen,  war  an  diesen  Maschinen  das 
Kesselgewicht  durch  eine  centrale  Kugel- 
auflage auf  das  Drehgestelle  übertragen, 
welche  Construction  eine  leichte  Beweg- 
lichkeit   desselben    nach   jeder    Richtung 
erlaubte.     Diese  Anordnung   fand  später 


Locomotivbau. 


457 


im  Auslande  vielfach  Nachahmung; 
unter  Anderen  waren  die  in  der  ge- 
nannten Fabrik  im  Jahre  1878  für  die 
oberitalienischen  Eisenbahnen  gebauten 
Schnellzug  -  Locomotiven  mit  diesem 
Drehgestelle  ausgeführt.  Seit  dem  Jahre 
1882  ist  eine  ähnliche  Disposition  an  allen 
Schnellzug  -  Locomotiven  der  Königlich 
ungarischen  Staatsbahnen  in  Verwendung. 

Das  Jahr  1873  hatte  den  Impuls  zum 
Baue  neuer  Schnellzug-Typen  gegeben. 
Die  finanziellen  Ereignisse  dieses  Jahres 
Hessen  aber  die  eingeschlagene  Richtung 
nicht  verfolgen ;  die  Bahnen  waren  be- 
mtissigt  jede  Nachschaffung  von  Loco- 
motiven zu  unterlassen.  Bestellungen 
für  das  Ausland  behüteten  unsere  Loco- 
motiv  -  Fabriken  vor  dem  gänzlichen 
Arbeitsstillstand.  ♦) 

Ende  der  Sechziger-Jahre,  und  noch 
bis  1873  hatten  die  meisten  österreichi- 
schen Bahnen  eine  grosse  Anzahl  von 
Personenzug-Locomotiven  mit  überhän- 
gendem Feuerkasten  gebaut.  [Nordbahn 
mit  Aufsteckkurbeln,  vgl.  Tafel  XI,  Fig.  2, 
Seite  481,  Südbahn  mit  Excenter- 
kurbeln,  Franz  Josef- Bahn  und  Kai- 
serin Elisabeth  -  Bahn  mit  Hairschen 
Kurbeln.] 

Nachdem  aus  den  vorerwähnten 
•  Gründen  an  den  Bau  specieller  Schnell- 
zug-Locomotiven  nicht  geschritten  wer- 
den konnte,  suchte  man  diese  Typen 
durch  Anbringung  besonderer  Kuppe- 
lungen zwischen  Locomotive  und  Ten- 
der für  ruhigeren  Gang  und  grössere 
Geschwindigkeit  geeigneter  zu  machen. 
Diese  Nothconstructionen  —  die  cen- 
tralen Kuppelungen  —  bestanden  in 
der  Anordnung  einer  keilförmig  ausge- 
arbeiteten Pfanne  an  der  rückwärtigen 
Maschinenbrust,  in  welche  ein  am  vor- 
deren Tenderende  angebrachter  federn- 
der Zahn  ein<j;reifen  konnte,  so  dass 
die  Schlingerbewegung  der  Locomotive 
vom  Tender  mit  aufgenommen  wurde. 
Diese  Kuppelungen,  unter  denen  die  vom 
damaligen  Maschinenchef  der  Kaiser  Franz 
Josef-Bahn,  Emil  Tilp,    ersonnene,    das 

*)  Im  Jahre  1874  waren  alle  Osterreichi- 
schen Locomotiv-Fabriken  mit  bedeutenden 
Lieferungen  für  deutsche  Bahnen  —  Hanno- 
versche Staatsbahnen,  Bergisch-Märkische 
Bahn  u.  a.  —  beschäftigt. 


Problem  in  theoretisch  richtiger  Weise 
löste,  verminderten  thatsächlich  ganz 
bedeutend  die  seitlichen  Schwankungen, 
hatten  aber,  weil  die  freie  Einstellbarkeit 
von  Locomotive  und  Tender  in  den 
Krümmungen  nicht  mehr  vorhanden  war, 
grosse  Nachtheile  im  Gefolge  [Ausschla- 
gen der  Tenderachslager,  ungleiche  und 
grosse  Abnützung  der  Lagerstummel].*) 
Die  Keilpfannen  wurden  daher  soweit 
abgeflacht,  dass  sie  dem  Zahne  eine 
seitliche  Bewegung  erlaubten.  In  dieser 
Form  war  der  Schlingerbewegung  nur 
ein  massiger  Widerstand  entgegengesetzt ; 
die  freie  Beweglichkeit  der  Fahrzeuge 
in  den  Krümmungen  war  nicht  mehr 
stark  behindert.  Der  Zweck  der  cen- 
tralen Kuppelung  war  aber  dadurch 
ein  anderer  geworden :  sie  diente  jetzt 
nur  mehr  als  Spann  Vorrichtung  zwi- 
schen Maschine  und  Tender,  um  das 
Zugeisen  und  die  Kuppelungsbolzen 
vor  heftigen  Stössen  zu  bewahren.  Bei 
den  neuesten  Locomotiven  aller  Ver- 
wendungszwecke, welche  an  sich  einen 
ruhigen  Lauf  gewähren,  wird  eine 
centrale  Kuppelung  mit  Pfanne  und 
Zahn  im  Allgemeinen  nicht  mehr  aus- 
geführt; eine  einfache  horizontal  lie- 
gende Plattfeder  am  vorderen  Tender- 
ende, die  mit  kleinen  Puffern  auf  gerade 
Reibplatten  an  die  rückwärtige  Ma- 
schinenbrust presst,  dient  als  Spann  Vor- 
richtung.**) 

Ein  massig  rasch  fahrender  Zug  lässt 
sich  mit  Hilfe  der  Handbremsen  der 
Wagen  und  des  Tenders  rasch  und  auf 
kurze  Entfernung  zum  Stillstande  bringen. 
Mehr  als  1000  m  kann  aber  der  Weg 
betragen,  den  ein  Zug  vom  Beginne  des 


*)  Frei  von  diesen  Nachtheilen  war  die 
Tilp'sche  Kuppelung,  die  durch  ein  beson- 
deres Balancier-System  in  den  Krümmungen 
den  mittleren  Zahn  auslöste.  Weil  dieser 
Zahn  aber  nicht  immer  wieder  in  die  Falle 
eingriif,  sondern  seitlich  sich  anlegte,  bedingte 
sie  Entgleisungsgefahr. 

*•)  Centrale  Kuppelungen  mit  Zahn,  die 

durch    ein    seitlich    im  Tender    angebrachtes 

Handrad    beim  Kuppeln    von  Maschine    und 

Tender    ausgelöst    werden    konnten,    waren 

'   schon  1844    an    den    alten    Locomotiven    der 

!   Wien-Glop;gnitzer  Bahn  im  Gebrauch,  wurden 

I   aber  bald  wieder  entfernt. 


458 


Karl  Gölsdorf. 


Bremsens  bis  zum  Halten  noch  durch- 
läuft, wenn  er  bei  70  bis  80  km  Ge- 
schwindigkeit mit  denselben  einfachen 
Mitteln  gebremst  wird.  Die  Anwendung 
dieser  Geschwindigkeiten  im  Betriebe 
bedingte  daher  wesentlich  bessere  Brem- 
sen, als  die,  welche  bis  dahin  zu  Gebote 
standen.  Es  konnten  im  Interesse  der 
Sicherheit  nur  solche  Bremsen  in  Betracht 
kommen,  deren  Bethätigung  in  die  Hand 
des  Führers  gelegt  ist,  und  welche  neben 
kräftigster  Wirkung  auch  eine  Regu- 
lirung  der  Geschwindigkeit  auf  Gefäll- 
strecken erlauben. 

Unter  den  in  den  Siebziger-Jahren  in 
England  bekannten  Bremsen,  welche 
diesen  Bedingungen  entsprachen,  war  die 
nachstehend  beschriebene  V  a  c  u  u  m- 
bremse  von  Smith  die  einfachste. 
Die  Bremsklötze  eines  jeden  Fahrzeuges 
stehen  mit  einem  Bremscylinder  in  Ver- 
bindung, an  welchen  eine  Rohrleitung 
anschli%sst ;  die  Rohrleitungen  der  ein- 
zelnen Wagen  sind  unter  einander  durch 
universalgelenkige  Kuppelungen  verbun- 
den. Auf  der  Locomotive  befindet  sich 
ein  durch  Dampf  bethätigter  Ejector 
[Luftsauger],  mit  welchem  der  Führer 
im  Bedarfsfalle  in  der  Leitung  und 
oberhalb  der  Kolben  in  den  Brems- 
cylindern  eine  Luftleere  herstellt.  Nach- 
dem diese  Bremscylinder  unten  offen 
sind,  bewirkt  bei  eintretender  Luftleere 
über  den  Kolben  der  äussere  Luftdruck 
ein  Heben  derselben,  so  dass  die  Brems- 
klötze an  die  Räder  angepresst  werden. 
Durch  eine  besondere  Luftklappe  kann 
der  Führer  wieder  Luft  in  die  Leitung 
und  die  Cylinder  einströmen  lassen, 
wodurch  bei  vollständiger  Aufhebung 
der  Luftleere  das  »Entbremsen«,  und 
bei  nur  theilweiser  Aufhebung  derselben 
eine  »Milderung«  des  Bremsdruckes 
[Regulirung  der  Geschwindigkeit]  erzielt 
wird. 

Im  Jahre  1877  machte  die  Süd- 
bahn die  ersten  Versuche  mit  der 
Smith'schen  Vacuumbremse.  Der  Vor- 
stand der  Wiener  Reparatur- Werkstätte 
dieser    Bahn,    Herr  John  Hardy,*)    ver- 

*)  John  Hardy  wurde  im  Jahre  1820 
in  Newcastle  on  Tyne  geboren,  und  trat  mit 
16  Jahren  als  Millrijrht  (Praktikant)  in  die 
dortige     Stephenson'sche     Locomotiv-Fabrik 


besserte  diese  Bremse  in  allen  ihren 
Einzelheiten  [insbesondere  Bremscylin- 
der, Ejector  und  Kuppelung]  so  wesent- 
lich, dass  diese,  nunmehr  Hardy'sche 
Vacuumbremse  genannte  Bremse  von 
allen  österreichischen  [und  vielen  Aus- 
landbahnen] allgemein  angenommen 
wurde.  Erst  in  den  letzten  Jahren 
machte  sich  wegen  der  auf  80  bis 
90  km  gesteigerten  Fahrgeschwindigkeit 
das  Bedürfnis  nach  einer  automatisch 
wirkenden  Bremse  [Eintritt  der  Brem- 
sung bei  Zugstrennung,  Möglichkeit  des 
Bremsens  von  jedem  Wagen  aus]  geltend. 
Nachdem  die  k.  k.  österreichischen 
Staatsbahnen  im  Jahre  1895  eingehende 
Versuche  mit  der  automatischen  Vacuum- 
bremse*) angestellt  hatten,  wurde  die- 
selbe bei  den  rasch  fahrenden  Schnell- 
zügen [Wien-Carlsbad]  zur  Anwendung 
gebracht.  Auch  die  Nordbahn  rüstete  in 
dieser  Zeit  einige  ihrer  Züge  mit  dieser 
Bremse  aus,  so  dass  die  allgemeinere 
Einführung  derselben  nur  mehr  eine 
Frage  der  Zeit  ist. 

Trotzdem    das     zweiachsige    Dreh- 
gestell  mit    mittlerem  Führungszapfen 


ein.  Nach  Beendigung  der  Lehrzeit  kam  er 
im  Jahre  1846  nach  Frankreich,  und  verblieb 
bis  1860  als  Oberwerkführer  in  der  Werk- 
stätte Rouen  der  Chemin  de  fer  de  TOuest. 
In  diesem  Jahre  übernahm  er  die  Leitung 
der  Wiener  Reparatur- Werkstätte  der  Süd- 
bahn,  welchen  Posten  er  bis  zum  Jahre 
1884  behielt.  Ausser  der  Vacuumbremse 
construirte  er  auch  die  nach  ihm  be- 
nannte Zweiwagenbremse.  Er  starb  im 
Jahre  1896. 

*)  Die  automatische  Vacuumbremse 
wurde  von  den  Ingenieuren  der  Vacuum- 
brake-Compagnie  in  England  [jene  Gesell- 
schaft, weicher  J.  Hardy  die  Verwerthung 
seiner  Patente  übertragen  hatte]  entworfen. 
Für  den  Gontinent  fertigt  die  Firma  Gebrüder 
Hardy  in  Wien  [Söhne  des  verstorbenen 
J.  Hardy],  welche  eine  Reihe  der  wichtigsten 
Verbesserungen  an  dieser  Bremse  vorge- 
nommen hat,  sämmtliche  Bestandtheile  der- 
selben an.  Bei  dieser  Bremse  wird  durch 
einen  constant  thätigen  kleinen  Ejector  in 
der  Leitung  und  auf  beiden  Seiten  der 
Bremskolben  ein  Vacuum  erhalten.  Beim 
Bremsen  wird  durch  einen  Schieber  Luft  in 
die  Leitung  eingelassen,  welche  die  Brems- 
kolben hebt;  bei  Zugstrennung  [Zerreissung 
der  Kuppelungen]  tritt  daher  auch  eine 
selbstthätige  Bremsung  der  getrennten  Zugs- 
theile  ein. 


Locomotivbau. 


459 


und  seitlichen  Auflagen  [Südbahn]  oder 
mit  mittlerer  Kugelauflage  [Nordwest- 
bahn] sich  vorzüglich  bewährte,  konnte 
es  sich  nur  langsam  Bahn  brechen. 
Auf  falscher  Grundlage  durchgeführte 
theoretische  Abhandlungen  schrieben 
demselben  unrichtige  Einstellung  in  den 
Krümmungen  und  sonstige  Nachtheile 
zu,  welche  in  Wirklichkeit  nicht  vor- 
handen sind.  Insbesondere  war  die  Be- 
hauptung vollständig  unbegründet,  dass 
das  Drehgestell  bei  einem  kleineren 
Radstande  als  die  Spurweite  [!]  auf  ge- 
rader Bahn  der  Locomotive  einen  schlän- 
gelnden Lauf  ertheile.  Diese,  oft  von 
Unberufenen  gegen  das  Drehgestell 
geführte  Polemik,  mehr  aber  die  that- 
sächlich  ungünstigen  Erfahrungen  mit 
den  alten  Drehgestellen  waren  Ursache, 
dass  noch  einige  Zeit  hindurch  Schnell- 
zug-Locomotiven  mit  festem  Radstande 
oder  seitlich  verschiebbarer  Laufachse 
zur  Ausführung  gelangten.  Vielfach  hielt 
man  auch  die  Drehgestelle  auf  Bahnen 
mit  günstigen  Richtungsverhältnissen 
für  eine  unnöthige  Complication,  weil 
man  drei  Achsen  für  die  Unterbrin- 
gung der  den  damaligen  Leistungen  ent- 
sprechenden Kessel  für  ausreichend 
ansah. 

Die  für  die  Kaiserin  Elisabeth-Bahn  in 
der  Maschinenfabrik  der  Oesterreichisch- 
Ungarischen  Staatseisenbahn-Gesellschaft 
gebauten  Schnellzug-Locomotiven  [1878 
bis  1879]  waren  wie  die  ein  Jahr  später 
aus  derselben  Fabrik  hervorgegangenen 
Nordbahn-Maschinen  auf  drei  Achsen 
gelagert.  [Tafel  XI,  Fig.  3  und  4, 
Seite  481.]  Die  Westbahn- Locomotive, 
mit  Aussenrahmen  und  Hairschen  Kur- 
beln an  den  Treibrädem  ausgeführt, 
war  mit  einer  seitlich  verschiebbaren 
Laufachse  versehen,  deren  Rückstellung 
in  die  Gerade  durch  Keilflächen  [nach 
dem  Vorbilde  der  französischen  Or- 
l(^ans-Bahn]  bewirkt  wurde.  Diese  Ma- 
schine hatte  femer  die  HasweH'sche  Well- 
blech-Feuerbüchse, uncf  war  eine  der 
wenigen  Locomotiven,  an  welcher  die 
Kaselowsky'sche  Radreifenbefestigung 
[eingegossener  Ring]  zur  Anwendung 
gelangte. 

Die  Nordbahn-Schnellzug-Locomotive 
zeigte    eine  Achsstellung   wie  die  früher 


erwähnten  gekuppelten  Crampton-Loco- 
motiven  und  war  mit  steifer  Vorderachse 
versehen.  Trotz  der  Anwendung  des 
Aussenrahmens,  hatte  die  Nordbahn  doch 
im  Allgemeinen  das  HalPsche  Kurbel- 
system nicht  ausschliesslich  angenommen, 
sondern  die  alten  verlässlichen  Aufsteck- 
kurbeln bei  Güterzug-  und  Personenzug- 
I-ocomotiven  beibehalten;  dieselben  ge- 
langten auch  bei  der  genannten  Type 
zur  Ausführung.  Abweichend  von  der 
gewöhnlichen  Manier  war  das  Führer- 
haus, zur  Milderung  des  Dröhnens,  aus 
Holz  hergestellt. 

Dem  Baue  von  Tender-Locomo- 
tiven  wurde  in  Oesterreich  erst  in  den 
Siebziger-Jahren  grössere  Beachtung  ge- 
schenkt. Eine  bemerkenswerthe  Type 
wurde  für  die  eigene  Bahn  in  der 
Maschinenfabrik  der  Oesterreichisch- 
Ungarischen  Staatseisenbahn-Gesellschaft 
im  Jahre  1870  ausgeführt.  Für  Vicinal- 
bahnen  bestimmt,  war  sie  eine  leichte 
Maschine  mit  sechs  gekuppelten  Rädern 
und  innenliegenden  Dampfcy lindern.  Die 
Wasserkasten  waren  als  Sattel  "über  dem 
Langkessel  gelagert.  An  ihr  kam  zum 
ersten  Male  die  früher  erwähnte  Haswell- 
sche  Wellblech-Feuerbüchse  zur  Anwen- 
dung.*) [Vgl.  Tafel  XII,  Fig.  i,  Seite  482.] 

Für  den  Betrieb  der  Seitenlinien  der 
Kronprinz  Rudolf-  Bahn  wurden  von 
K  r  a  u  s  s  in  München  und  von  der 
Locomotiv- Fabrik  Winterthur.  [1872  bis 
1873]  eine  grössere  Anzahl  von  drei- 
achsigen schweren  Tender- Locomotiven 
mit  Wasserkasten- Rahmen  bezogen.  Die 
Locomotiven  der  Winterthurer  Lieferung 
waren  die  ersten  in  Oesterreich,  welche 
die  später  hier  fast  allgemein  an- 
genommene Heusinge  r's  che  Um- 
steuerung besassen. 

Der  in  diesem  Zeiträume  in  grösse- 
rem Umfange  aufgenommene  Bau  von 
Localbahnen  und  das  Bestreben  vieler 
grosser  Bahnen,  auf  ihren  Hauptlinien 
den  Betrieb  durch  Einführung  soge- 
nannter   Secundärzüge     [an    Stelle     der 


*)  Die  Vorstudien  und  ersten  Versuche 
zu  dieser  Construction  machte  Haswell  1869 
an  dem  Kessel  eines  kleinen  Locomobiles, 
welches  noch  heute  in  der  genannten  Fabrik 
in  Verwendung  ist. 


Karl  Gölsdorf. 


schweren,  wenig  ausgenützten  Personen- 
züge] zu  verbilligen,  führte  zur  Con- 
struction  leichter  Tender-Loco- 
m  o  t  i  V  e  n. 

Für  den  Betrieb  von  Local bahnen 
wurden  in  Wien  er -Neustadt  in  den  Jahren 
1878  und  1880  zwei  Tender-Locomo- 
tiven  entworfen,  welche  für  die  dama- 
ligen kleinen  Staatibahnlinien  bestimmt 
waren,  [Abb.  305  und  306.]  Die  zwei- 
achsige kam  auf  der  Strecke  Leobersdorf- 
St.  Polten,  die  dreiachsige  auf  der  Strecke 
MUrzzuschlag- Neuberg  in  Verwendung. 
Bei  späteren  Ausführungen  mit  vergrösser- 
tem  Wasserkasten  versehen,  ist  die  letz- 
tere   Type    heute   in    mehr    als    hundert 

Exemplaren 
auf  den  vielen 
Local  bahnen 
der  k.  k.  Öster- 
reichischen 
Staatsbahnen 
in  Verwendung. 
Für  die  Be- 
förderung der 
neueingeführ- 
ten Secundär- 
züge  auf  der 
Kaiserin  Eli- 
sabeth-Bahn 

wurde   1880  in      Abb.  JOS-     Z*eiacbHge  Ttndti-Lc 

Wiener -Neu-  """ 

Stadt  eine  zweiachsige  Tender-Locomo- 
tive  gebaut,  welche  im  Allgemeinen 
nur  durch  grössere  Räder,  Cylinder  und 
Kessel  von  der  Leobersdorf- St,  Pöltner 
Type  verschieden  war. 

Eine  weitere  Verminderung  derWagen- 
anzahl  der  SecundärzUge  wurde  bei  der 
Nordwestbahn  und  SUdbahn  dadurch  er- 
zielt, dass  die  im  Jahre  1879  für  diese 
Bahnen  in  Floridsdorf  gebauten  Tender- 
Locomotiven,  Bauart  »Elbel-Gölsdorf«, 
mit  einem  Gepäcksraume  versehen  waren. 
Die  Nordwestbahn-Maschine  besass  nur 
eine  Treibachse  [vgl,  Tafel  XII,  Fig.  2, 
Seite  482],  während  die  Südhahn-Aus- 
führung  [vgl.  Tafel  XII,  Fig.  3.  Seite  4^2] 
zwei  gekuppelte  Achsen  aufwies.  Loco- 
motivcn  dieser  Bauart  wurden  in  Oester- 
reich  für  die  Localbahn  Hullein-Krem- 
sier,  für  den  Secundärbetrieb  auf  den 
Ungarischen  Staatsbahnen  und  der  Ka- 
schau  -  Oderberger     Bahn     und     für     die 


Raab-Oeden burger  Bahn  gebaut.  Auch 
im  Auslande  fand  diese  Type  Nachah- 
mung, und  zwar  auf  den  preussischcii 
Staatsbabnen  [Direction  Königsberg],  aui' 
den  französischen  Staatsbahnen  und  in 
Schweden. 

Allgemeiner  verwendbar  als  die  zwei- 
achsige Tender-Locomotive  erwies  sich  dif 
dreiachsige;  auf  den  Localbahnen  der 
Oesterreichisch-Ungarischen  Staatseisen- 
bahn-Gesellschaft,  der  Nordbahn,  Nord- 
westbahn, Südbahn  u.  s.  w.  wurden  daher 
späterhin  nur  mehr  Sech skuppeler- Ten- 
der-Locomotiven  ähnhcher  Bauart  wie 
die  Mürzzuschlag  -  Neuberger  Type  in 
den  Dienst  gestellt.  Eine  zweiachsige, 
un  gekuppelte 
Tender-Loco- 
motive wurde 
noch  im  Jahre 
iSSgin  der  Ma- 
schinenfabrik 
der  Oestenei- 
chisch-Ungari- 
schen  Staals- 
eisenb ahn -Ge- 
sellschaft   fär 

den  Flügel 
•  Mödling-U- 
xenburg'    der 
:ichuchea     Südbahn   aus- 
geführt.   [Vgl. 
Tafel  XIL  Fig.  4,  Seite  482.] 

Von  grösseren,  für  den  Verschiebe- 
dienst  und  für  schwere  Güterzüge  auf 
kurzen  Seitenlinien  construirten  Tender- 
Locomotiven  sei  noch  der  im  Jahre  iWo 
in  vorgenannter  Fabrik  erbaute  Aciil- 
kuppler,  als  erster  dieser  Type  '" 
Oesterreich,  erwähnt.  [Vgl.  Tafel  XII, 
Fig.   I,  Seite  483.] 

Anfang  der  Achtziger -Jahre  wurden 
von  Frankreich  so  bedeutende  Locomoliv- 
Bestellungen  in  Oesterreich  gemacht,  dass 
alle  Fabriken  vollauf  beschäftigt  waren. 
Auch  der  Bedarf  im  Inlande  war  wieder 
so  gross  geworden,  dass  die  Locoinotiv- 
Fabrik  Krauss  &  Co.  in  München  im 
Jahre  18H0  eine  Filialfabrik  mit  Aussichi 
auf  dauernde  Beschäftigung  in  Linz  er- 
richten  konnte. 

Diese  Fabrik  sollte  hauptsäcldich  dem 
Bau  kleiner  Tender-Locomotiven  fflrBau- 
unlernehmer    und     Localbahnen    dienen- 


1,  ll«7S,l 


Locomotivbau. 


461 


Die  Rührigkeit  ihres  Directora  M.  Fas-  j 
Bender  brachte  es  aber  dahin,  dass  in 
derselben    auch    eine  grosse  Anzahl  der  | 
schwersten    Vollbahn -Maschinen    ausge- 
führt wurde.    Die  erste  hier  fertiggestellte 
Locomotive,    eine    zweiachsige    Tender- 
Locomotive  [für  eine  Bauuntemehmung],  ] 
wurde  am  31.  December  1881  abgeliefert,  j 
Die  nächste  Bestellung,  umfassend  46St{lck 
zweiachsige  Tender- Locomotiven,  wurde 
von  den  k.  k.  Staatsbabnen  gemacht.  Diese  1 
Maschinen  [Tafel  XIII,  Fig.  2,  Seite  483],   1 
nach  demselben  Programme  wie  die  Seite  j 
460  erwähnten  Secundärzug- Locomotiven 
der  Kaiserin  Elisabeth -Bahn  erbaut,  sind  1 
auf    den    Seitenlinien    der    k.   k.    Staats-  i 
bahnen  in  Verwendung.   Eine  Specialität  | 
dieser    Fabrik 
ist  der  Bau  von 
Schtnalspur- 
Locomoti- 
V  e  n  nach  dem 
System    Klose 

und     Helm- 
holtz.*) 

Im  Jahre 
1884  kam  die 
Bahn  Über  den 
A  r  1  b  e  r  g  zur 
Eröffnung.  Die 

Zufahrt -Ram-    ""  s°«-  ■"""""»' "^1°^^,';^^'° 
pen    zum  Arl- 

berg- Tunnel   haben  sowohl  auf  der  Ost-  i 
seile  wie  auf  der  Westseite  eine  Länge  | 
von    rund     25    km    und    sind    in     nahe-   ' 
zu  constanter   Steigung   von    sTV^oi   be- 
ziehungsweise 26%^  angelegt;  die  klein- 
sten   Krümmungs  -  Halbmesser    betragen 
aoo  m.     Die  Wahl    einer  diesen  ausser- 
ordenthch  schwierigen  Verhältnissen  ent- 
sprechenden Type  sollte  von  dem  Ergeb- 
nis der  Erprobung  einer  Reihe  von  Loco- 
motiv- Typen  abhängig  sein. 

Auf  Grund   einer  von  der  damaligen 
k.  k.  Direction  für  Staatseisenbabn-Betrieb  | 
in    Wien    veranlassten    Concurrenz-Aus-   1 
Schreibung,  welche  die  Beförderung  eines 
Zuggewichtes    von     175  t     mit      12    km  ; 
Geschwindigkeit     auf    ab^/no     Steigung  | 
forderte,    lieferten  Wiener- Neustadt  vier, 
Floridsdorf  zwei  und  Krauss  in  München   | 


fünf  Locomotiven.  Die  in  Wiener-Neu- 
stadt gebaute  Locomotive  war  ein  Acht- 
kuppler mit  Aussenrahmen  und  Hall'schen 
Kurbeln ;  die  vierte  Achse  war  unter 
der  P'euerbüchse  gelagert,*)  [Tafel  XIII, 
Fig.  3,  Seite  483.]  Die  Floridsdorf  er 
Maschine  besass  ebenfalls  vier  gekup- 
pelte Achsen,  hatte  aber  keinen  beson- 
deren Tender,  sondern  [analog  der  mo- 
dihcirten  »Vindobona»]  rückwärts  ein 
zweiachsiges  Deichselgestelle  mit  Pendel- 
aufhängung nach  Bauart  Kamper.  [Tafel 
XIII,  Fig.  4,  Seite  483.]  Die  Lo- 
comotiv  -  Fabrik  Krauss  in  München 
stellte  eine  Achtkuppter  -  Tender  -  Loco- 
motive bei,  an  welcher  die  von  Krauss 
eingeführten  Wasserkaslen- Rahmen  An- 
wendung fan- 
den. [Tafel 
XIV,  Fig,  I, 
Seite  484.] 

Bei  voll- 
kommen be- 
friedigender 
Leistung  zeig- 
te sich  aber  an 
den  beiden  letz- 
teren Locomo- 
tiven derselbe 
Nachtheil,  der 
auf  langen 
Bergstrecken 
allen  Tender -Locomotiven  anhaftet.  Der 
Inhalt  der  Wasserkasten  war  nicht  hin- 
reichend bei  der  Floridsdorfer  Ausfüh- 
rung, während  bei  der  Krauss 's  eben 
Locomotive  das  Adhäsionsgewicht  nach 
Aufbrauch  der  Vorräthe  zu  sehr  ver- 
ringert wurde,  um  die  Ausübung  der 
vollen  Zugkraft  mit  Sicherheit  zu  er- 
möglichen. 

Die  Wiener-Neustädter  Locomotive, 
als  Schleppten  der- Maschine,  frei  von  diesen 
Uebelständen,  wies  infolge  des  Aussen- 
rahmens  bei  den  grossen  Dimensionen 
der  Danipfcyhnder  grössere  Breitenmasse 
und  grösseren  Tiefgang  der  Treib- 
und  Kuppelstangen  auf,  als  nach  der 
damals  zu  Recht  bestehenden  Fassung 
der    technischen  Vereinbarungen    für  die 


.  [iseo.| 


•)  Näheres  BJ.  111,  Fr,  Äeiula,  Die  Eisen- 
bahnen im  Oi;i:iipationsge biete. 


[  •)  Diese  Type  wurde  später  für  die  Böh- 

I  mische  Westbähn  in  etwas  kleineren  Dimen- 
,  sionen  ausgeführt. 


402 


Karl  Gölsdorf. 


Freizügigkeit  der  Locomotiven  zulässig 
war.*) 

Diese  drei  Typen  blieben  auf  dem  Arl- 
berge  in  Verwendung;  weitere  Nachbe- 
stellungen wurden  aber  nicht  gemacht. 
Als  Locomotive  für  die  Beförderung 
der  Lastzüge  wurde  ein  Jahr  später  in 
Floridsdorf  ein  Achtkuppler  mit  Innen- 
rahmen und  Innensteuerung  entworfen, 
welcher  im  Allgemeinen  eine  verstärkte 
Ausführung  des  im  Jahre  1882  gelie- 
ferten Franz  Josef  -  Bahn  -  Achtkupplers 
darstellte.  [Tafel  XIV,  Fig.  2,  Seite  484.] 
Von  dieser  Type  wurden  bis  heute  für 
die  vielen  Bergstrecken  der  k,  k.  öster- 
reichischen Staatsbahnen  mehr  als  drei- 
hundert Exemplare  gebaut.  Als  Personen- 
und  Schnellzug- Locomotive  diente  ein 
Sechskuppler,  der  sich  ebenfalls  nur  durch 
grössere  Abmessungen  von  den  älteren 
Westbahn  -  Locomotiven  mit  HalFschen 
Kurbeln  und  Aussenrahmen  unterschied. 

Als  Ende  der  Siebziger -Jahre  die 
wirthschaftliche  Krise  überwunden  war, 
fand  auch  der  Bau  der  Schnellzug- 
Locomotiven  wieder  Beachtung.  Für 
die  Kronprinz  Rudolf- Bahn,  Kaiser  Franz 
Josef-Bahn  und  für  die  Kaiser  Ferdinands- 
Nordbahn  wurden  in  Wiener-Neustadt  in 
den  Jahren  1877,  1879,  beziehungsweise 
1881  Schnellzug  -  Locomotiven  gebaut, 
welche  in  der  Anordnung  der  Räder  und 
des  Triebwerkes  mit  der  Rittinger  Type 
übereinstimmten.  [Tafel  XIV,  Fig.  3  und  4 
sowie  Tafel  XV,  Fig.  i,  Seite  484  und  485.] 
An  Stelle  des  Drehgestelles  mit  Mittel- 
zapfen gelangte  aber  das  Kamper'sche 
Deichselgestelle  zur  Anwendung. 

Die  Südbahn  behielt  bei  ihren  im 
Jahre  1882  gelieferten  Schnellzug-Loco- 
motiven  [Floridsdorf],  welche  gegen  die 
Ausführung     vom   Jahre    1873    grössere 

*)  An  Stelle  der  bisher  üblichen  Unisteue- 
rungs-Mechanismen  mit  Hebel  oder  Schraube, 
war  diese  Maschine  mit  einer  vom  Ober-ln- 
jxenieur  Ruchholz  in  Wiener  -  Neustadt 
entworfenen  combinirten  Hebel-Schrauben- 
Umsteuerunp:  versehen.  Diese  Construction, 
welche  alle  bis  dahin  entworfenen  Ein- 
richtunjren  dieser  Art  an  Einfachheit  über- 
traf, war  besonders  bei  den  k.  k.  öster- 
reichischen Staatsbahnen  in  Verwendunir, 
bis  sich  die  Ueberzeuij^ung  einstellte,  dass 
die  einfache  Schrauben-Umsteiierun<j^  auch 
beim  Verschiebe-Dienst  ohne  Xachtheil  am 
Platze  sei. 


Kessel  und  grösseres  Adhäsionsgewicht 
aufwiesen,  das  amerikanische  DrehgestcF.c 
bei ;  diese  Locomotiven  waren  die  erster. 
in  Oesterreich,  welche  bei  den  technisch- 
polizeilichen Probefahrten,  trotz  des  kleinen 
Treibrad  -  Durchmessers  von  1*720  ;h. 
Geschwindigkeiten  von  115  km 
pro  Stunde  erreichten.  [Tafel  XV, 
Fig.  2,  Seite  485.] 

Die  Einstellung  vieler  directer  Wagen 
in  die  Schnellzüge  brachte  deren  Gewicht 
aber  bald  so  in  die  Höhe,  dass  diese 
Type  bei  späteren  Lieferungen  mit  höheren: 
Dampfdrucke  und  vergrösserter  Rost-  und 
Heizfläche  ausgeführt  wurde.  [Tafel  XV, 
Fig.  3,  Seite  485.] 

Auch  bei  den  k.  k.  österreichischen 
Staatsbahnen  musste  wegen  allgemeiner 
Einführung  der  schweren  Schnellzu«j- 
Wagen  mit  Seitengang  an  die  Aufstellung^ 
einer  stärkeren  Schnellzug -Locomotive 
geschritten  werden.  In  den  Einzelheiten  mit 
den  vorerwähnten  Locomotiven  der  Kaiser 
Franz  Josef-Bahn  nahezu  ganz  gleich,  ^c- 
langte  an  ihr  das  Drehgestelle  mit  Mittel- 
zapfen wieder  zur  Anwendung.  [Tafel  X^ , 
Fig.  4,  Seite  485.]  Die  erste  derselben 
wurde  im  Jahre  1885  in  Wiener-Neustadt 
gebaut;  heute  sind  mehr  als  zweihundert 
Locomotiven  dieser  Type  in  Verwendung. 

Die  Nordwestbahn  behielt  bei  ihren  in 
diesem  Zeiträume  gelieferten  Schnell- 
zug-Locomotiven  das  Drehgestelle  mit 
centraler  Kugelauflage  bei,  ging  aber 
in  der  Anordnung  der  Cylinder  wieder 
auf  die  Rittinger  Type  über.  Die  ersten 
Lieferungen  mit  *  Treibrad  -  Durchmesser 
von  1*900  m  hatten  die  Kuppelachst 
hinter  dem  Feuerkasten  gelagert ;  bei  den 
späteren  Lieferungen,  mit  Treibrädem 
von  1760  w,  war  diese  Achse  unter 
dem  Feuerkasten  angeordnet.  [Tafel  XM« 
Fig.  1,  Seite  486.]  Fast  alle  der  kleineren 
österreichischen  Bahnen:  Böhmische  Nord- 
bahn, Kaschau  -  Oderberger  Bahn  und 
BuschtiShrader  Bahn,  Böhmische  West- 
bahn und  Aussig-Teplitzer  Bahn  bauten 
in  den  Achtziger-Jahren  Schnellzug- Lo- 
comotiven nach  dem  Vorbilde  der  i^iw' 
bahn-T3'pe,  beziehungsweise  Type  ^^^ 
k.  k.  österreichischen  Staatsbahnen. 

Die  Oesterreichisch-Ungarische  Staate- 
eisenbahn  -  Gesellschaft  beförderte  bis 
zum  Jahre    1882    ihre    Schnell-  und  ?^^' 


i 


Locomotivbau. 


463 


sonenzUge  fast  ausschliessüch  mit  den 
auf  Seite  440  erwähnten  Engerth-Lo- 
comotiven.  Als  deren  Ersatz  durch  eine 
stärkere  Type  noth wendig  war,  nahm 
diese  Gesellschaft  nicht  das  Drehge- 
stelle an,  sondern  liess  in  ihrer  Ma- 
schinenfabrik eine  vierachsige  Schnellzug- 
Locomotive  nach  Zeichnungen  der  fran- 
zösischen Orl<^ans-Bahn  ausftlhren.  Der 
Kessel  wich  von  der  französischen  Ori- 
ginal-Ausführung nur  insoferne  ab,  als 
er,  entsprechend  dem  min  der  werth  igen 
Brennstoffe,  mit  grösserer  Rostfläche  ver- 
sehen wurde.')  Die  Vorderachse  war  seit- 
lich verschiebbar;  ihre  ROckstettung  er- 
folgte durch  Keilflächen  auf  dem  Lager. 


der  reconstruirten  >Vindobona<  mit  zwei 
Dampfdomen,  welche  durch  ein  Rohr 
verbunden  waren,  ausgeführt.  An  Stelle 
der  Dec ken an kersch rauben  an  der  Feuer- 
büchse gelangte  die  Construction  von 
Polonceau  zur  Anwendung,  welche  jede 
Verankerung  dadurch  überflüssig  macht, 
da  SS  die  innere  FeuerbUchsen- Decke  aus 
einzelnen  zusammengenieteten  Th  eilen 
von  >U«-förTnigem  Querschnitt  besteht. 
[Vgl.  Tafel  XVI,  Fig.  2,  Seite  486.] 

Die  vollkommenste  Ausbildung  erfuhr 
dieAussenrahmen-Schnellzug-Locomotive 
mit  vier  gekuppelten  Rädern  und  Auf- 
steckkurbeln  durch  die  Nordbahn  im 
Jahre   1894. 


iie-LacomollT<  der  Noidl 


HD.     [[& 


Die     späteren     Lieferungen     wurden  j 
mit     grösseren     Treibrädern     [2120    tn 
Durchmesser]    und    nach    dem    Vorbilde 

•)  Noch  vor  Ablieferung  dieser  Locomo-  j 

tiven  legte  Haswell  seine  Stelle  nieder.  Still  ! 

und  von  der  Aussenwelt  abgeschlossen,  ver-  j 

brachte   er  den  Abend   seines  Lebens.    Ein  | 

Greis   von  85  Jahren,  schloss  er   im  Jahre  ; 

i8q7    die    müden  Augen.     Als    er    zu   Grabe  I 

getragen  wurde,  da  war  ein  neues  Geschlecht  1 

erstanden,  welches,  weiter  schaffend  auf  deu  | 

von  ihm  vorgezeiiihneten  Wefien,   von  dem  ] 

Altmeister  H^iswell    wenig  melir  wusste.  als  I 
den  Namen.    Die  Schollen  fielen  auf  seinen 

Sarg;  doch  kein  Nachruf  erklang  dem  Manne,  . 

der   so    viel    geleistet   und  gesch.ilTen  hatte.  ' 

Möge  das  vorliegende  Werk  einen  Theil  des  ' 

Dankes   darstellen,   den  Oesterreich   diesem  j 

Manne  schuldet.  I 


Bei  den  bisher  üblichen  vier  Achsen 
wäre  der  Einbau  eines  grösseren  Kessels 
nur  durch  Uebersch reitung  des  auf  den 
Linien  der  Nordbahn  zugelassenen  Achs- 
druckes von  14  t  möglich  gewesen.  Um 
diese  Grenze  einzuhalten,  wurde  rück- 
wärts ein  fünfte,  frei  einstellbare  Achse 
angeordnet,  und  damit  eine  Type  ge- 
schalTen,  welche  bald  darauf  in  Amerika 
unter  dem  Namen  »Atlantic- Typ»  viel- 
fach Nachahmung  fand.  Diese  Maschinen, 
welche  im  Zugverkehre  Leistungen  von 
700 — 800  Pferdekräften  ergeben,  erreichten 
bei  den  Probefahrten  Geschwindigkeiten 
bis  zu   125  km  pro  Stunde.     [Abb.  307.] 

In  den  Siebziger-  und  Achtziger- 
Jahren    wurden    keine    principiell    neuen 


464 


Karl  Gölsdorf. 


Güterzug- Locomotiven  in  Oesterreich 
gebaut.  Der  Sechskuppler  mit  überhängen- 
dem Feuerkasten  fand  nur  in  Bezug  auf 
Detail-Construction  weitere  Ausbildung. 
An  Stelle  des  Aussenrahmens  und  der 
Hairschen  oder  Aufsteckkurbeln  ging  man 
aber  allgemein  zum  Innenrahmen  über. 
[Vgl.  Tafel  XVI,  Fig.  3  und  4,  Seite  486, 
Sechskuppler  der  k.  k.  österreichischen 
Staatsbahn  und  der  Südbahn.] 

Nur  die  Staatseisenbahn-Gesellschaft 
baute  Sechskuppler  und  Achtkuppler,  bei 
denen  der  rückwärtige  Ueberhang  durch 
Anordnung  der  Kuppelachse  unter  der 
Feuerbüchse  vermindert  war.  An  allen 
diesen  Maschinen  [vgl.  Tafel  XVII,  Fig.  i, 
Seite  487]  sind  die  Endachsen  seitlich 
verschiebbar  und  mit  der  französischen 
Keilflächen-Rückstellung  versehen. 

Bei  einer  Dampfspannung  von  sVj 
Atmosphären  im  Kessel,  war  der  Druck, 
welchen  der  Dampf  auf  einen  Kolben 
der  alten  Locomotive  »Wien«  ausübte, 
3200  kg.  Mit  demselben  konnte  bei 
einer  Geschwindigkeit  von  12 — 15  km 
pro  Stunde  eine  Zugkraft  von  rund 
1000  kg  und  eine  Leistung  von  50 
Pferdekräften  entwickelt  werden.  Die 
Maschine  hatte,  ohne  Tender,  ein  Ge- 
wicht von  16.800  A-^,  so  dass  zur  Leistung 
einer  Pferdekraft  rund  330  kg  Maschi- 
nengewicht erforderlich  waren. 

Die  seit  dem  Jahre  1885  auf  dem 
Arlberge  verwendeten  Achtkuppler  er- 
geben bei  einer  Dampfspannung  von  1 1  At- 
mosphären einen  Druck  von  21.600  kg  dixxi 
jeden  Kolben,  welcher  eine  Zugkraft  von 
10.600  kg  und  eine  Leistung  von  550 
Pferdekräften  ermöglicht.  Bei  einem  Eigen- 
gewichte von  55.000  kg  entfallen  100  kg 
Locomotiv-Gewicht  auf  eine  Pferdekraft. 

Elf  Mal  grösser  ist  die  Leistung  dieser 
neuen  Locomotiven,  und  sie  ist,  auf  die 
Krafteinheit  bezogen,  mit  einem  Drittel 
des   Materialaufwandes    erreicht    worden. 

In  den  Vierziger-Jahren  erreichten  auf 
der  Wien-Glotrgnitzer  Bahn  die  Kosten 
für  den  Brennstoff  —  auf  heutige  Ein- 
heiten umgerechnet  —  rund  35  Kreuzer 
pro  Kilometer,  während  dieselben  jetzt  im 
grossen  Durchschnitte  nur  7  Kreuzer  be- 
traj^cn,  also  blos  den  fünften  Theil  der  vor 
50  Jahren   vorhandenen  Auslagen  bilden. 


Blasrohr  und  Rauchfang,  die  wichti;^- 
sten  Bestandtheile  für  die  Dampferzeu- 
gung, waren  Gegenstand  der  mühevc»!:- 
sten  Erprobungen  und  Studien,  bis  das 
jetzige  Verdampfungs  -  Vermögen  der 
Kessel  erreicht  war.  Nur  auf  Gnind 
wissenschaftlicher  Untersuchungen  und 
Experimente  konnte  die  Dampfvertheilung 
in  den  Cylindem  so  bewerkstelligt  wer- 
den, dass  die  unter  den  ungünstigsten  Ver- 
hältnissen arbeitende  Locomotive  in  Bezug 
auf  Wirkungsgrad  mit  den  besten,  mit  allen 
vollkommenen  Präcisions  -  Mechanismen 
u.  s.  w.  versehenen  Stabilmaschinen  keinen 
Vergleich  zu  scheuen  braucht. 

Mehr  als  zehn  Millionen  Gulden  be- 
trägt der  Werth  der  alljährlich  von  den 
Locomotiven  Oesterreichs  verbrannten 
Kohlen;  eine  Summe,  welche  7%  — lo^/^ 
der  Gesammtauslagen  der  Bahnen  darsteUt 
Jede  Neuerung,  welche  auf  Verminderung 
des  Brennstoff- Verbrauches  hinzielt,  musste 
daher  die  grösste  Beachtung  der  Bahnen 
finden. 

Die  Locomotiv- Steuerungen  können, 
entsprechend  der  jeweilig  erforderlichen 
Leistung,  so  eingestellt  werden,  dass  die 
Schieber  nur  während  eines  grösseren 
oder  kleineren  Theiles  des  Kolbenweges 
Dampf  in  die  Cylinder  eintreten  lassen; 
den  Rest  seines  Weges  legt  dann  der 
Kolben  unter  der  Wirkung  der  Expansiv- 
kraft des  Dampfes  zurück,  wobei  der 
Druck  desselben  stetig  abnimmt.  Die 
Ausnützung  des  Dampfes  ist  umso  voll- 
kommener, je  geringer  der  Druck  ist, 
mit  dem  er  schliesslich  aus  dem  Cylinder 
durch  das  Blasrohr  entweicht 

Einer  vollkommenen  Ausnützung  des 

• 

Dampfes  stehen  aber  nicht  nur  gewisse 
theoretische  Mängel  der  Coulissensteue- 
rungen  entgegen,  sondern  in  noch  höhe- 
rem Grade  die  bei  weit  getriebener  Ex- 
pansion in  den  Dampfcylindern  auftre- 
tenden Temperatur-Unterschiede.  Dieses 
thermo-dvnamische  Hindernis  lässt  sich 
aber  grösstentheils  beseitigen,  wenn  man 
die  Expansion  des  Dampfes  nicht  m 
einem  Cylinder  vor  sich  gehen  lässt, 
sondern  auf  zwei  Cylinder  vertheilt: 
Die  Expansion  des  Dampfes  wird  in  dem 
ersten  Cvlinder,  dem  Hochdruckcylinder, 
eingeleitet,  und  in  dem  zweiten,  grosse- 
ren,   dem    Niederdruckcylinder,    beendet. 


J 


Locomotivbau. 


465 


Dieses  Princip  der  doppelten 
Dampfdehnung  ist  fast  so  alt,  wie  die 
Locomotive  selbst.*)  Bei  Schiffsmaschinen 
schon  seit  den  Vierziger-Jahren  bekannt 
[Woolfsche  Maschinen],  kam  es  an  Lo- 
comotiven  in  den  Siebziger-Jahren  durch 
den  französischen  Ingenieur  A.  Malle t 
zum  ersten  Male  in  brauchbarer  Form 
zur  Anwendung. 

Die  mit  einer  derartigen  Cylinder- 
anordnung  ausgeführten  Locomotiven  — 
Compound-  oder  Verbund-Loco- 
m  o  t  i  V  e  n  genannt  —  benöthigen  aber  be- 
sonderer Einrichtungen,  um  sicher  »an- 
fahren« zu  können.  Es  muss  ein  Bestand- 
theil  vorhanden  sein,  welcher  Dampf  in  den 
Niederdruckcylinder  einführt,  wenn  die 
Maschine  aus  solchen  Kurbelstellungen 
anfahren  soll,  in  denen  der  Schieber  im 
Hochdruckcylinder  die  Einströmcanäle 
absperrt ;  es  muss  femer  verhindert  wer- 
den, dass  dieser  in  den  Niederdruck- 
cylinder eingeführte  Dampf  einen  schäd- 
lichen Gegendruck  auf  den  Hochdruck- 
kolben  ausübe.  Die  Mallet'sche  Einrich- 
tung überwindet  diese  Schwierigkeiten 
dadurch,  dass  eine  besondere  Umschalt- 
vorrichtung die  Maschine  »während  des 
Anfahrens«  in  eine  gewöhnliche  Maschine 
verwandelt. 

Der  Maschinen- Director  W.  Rayl  der 
Kaiser  Ferdinands -Nordbahn  war  der 
erste  Techniker  in  Oesterreich,  welcher, 
die  Vorzüge  der  doppelten  Dampfdehnung 
bei  Locomotiven  beachtend,  Ende  der 
Siebziger-Jahre  eine  der  alten  Personen- 
zug -  Locomotiven,  die  » Nagy-Maros « , 
mit  der  Mallet'schen  Einrichtung  versah. 
Auch  die  Oesterreichisch  -  Ungarische 
Staatseisenbahn-Gesellschaft  machte  bald 
darauf  einige  Versuche  in  dieser  Rich- 
tung, indem  eine  dreicylindrige  Com- 
pound-Locomotive  nach  der  Bauart  Webb 
aus  England  bezogen  und  der  Umbau 
von  einigen  der  älteren  Sechskupplem 
und  Achtkupplern  nach  Mallet  ange- 
ordnet wurde. 

Um  über  die  Brennstoff-Ersparnis 
genaue  Ziffern  zu  erhalten,  Hess  die 
Nordbahn  im  Jahre  1889  in  Wiener- 
Neustadt     eine     grössere     Anzahl      von 


•)   Vgl.   Bd.   I,    I.  Theil,   P.   F.Kupka, 
Allgememe  Vorgeschichte. 


Geschichte  der  Elsenbahnen.  II. 


Sechskupplem  bauen,  von  denen  einige^ 
bei  sonstiger  Gleichheit  aller  Bestand- 
theile,  als  gewöhnliche  Maschinen,  einige 
als  Compound-Maschinen  mit  der  ein- 
facheren Anfahr  Vorrichtung  von  Lindner 
und  [bei  späteren  Lieferungen]  von  B  o  r- 
r  i  e  s  ausgeführt  waren.  Der  Erfolg  war 
ein  unbestreitbarer;  die  Compounds  er- 
wiesen sich  den  einfachen  Locomotiven 
nicht  nur  in  Bezug  auf  O economic,  son- 
dern auch  in  Bezug  auf  Leistung  über- 
legen.    [Tafel  XVII,   Fig.  2,  Seite  487.] 

Im  Jahre  1892  construirte  der  Ver- 
fasser dieser  Abhandlung  eine  Anfahr- 
einrichtung, welche  jeden  besonderen 
Anfahrmechanismus  überflüssig  macht. 
Durch  Anwendung  grosser  Füllungen 
wird  die  schädliche  Wirkung  des  Ge- 
gendruckes aufgehoben,  und  durch 
Anbringung  von  Bohrungen  im  Schieber- 
gesichte des  Niederdruckcylinders  wird 
vom  Regulator  Dampf  in  denselben  ein- 
geführt, wobei  die  Bethätigung  dieser 
Oeffnungen  durch  den  Niederdruckschie- 
ber erfolgt.  Diese  Einrichtung,  welche 
als  Plus  gegenüber  den  gewöhnlichen 
Locomotiven  nur  eine  kurze,  enge  Rohr- 
leitung bedingt,  stellt  an  die  Geschick- 
lichkeit des  Fahrpersonales  keine  An- 
forderung; die  Führung  der  Maschine 
hat  genau  so  zu  erfolgen,  wie  die  einer 
gewöhnlichen  Locomotive. 

Unter  der  Direction  des  Ministerial- 
rathes  H.  Kar  gl  wurde  die  erste  Com- 
pound-Locomotive  der  k.  k.  Oesterreichi- 
schen  Staatsbahnen,  wie  auch  die  spä- 
teren Locomotiven  dieses  Systems,  im 
Constructionsbureau  der  k.  k.  Staats- 
bahnen vom  Verfasser  entworfen. 

Die  erste,  ein  gewöhnlicher  Sechs- 
kuppler, wurde  im  Jahre  1893  in  Wiener- 
Neustadt  gebaut  [Tafel  XVII,  Fig.  3, 
Seite  487] ;  wie  bei  der  Nordbahn,  konpte 
auch  hier  bei  nennenswerther  Vermin- 
derung des  Brennstoffverbrauches  eine 
erhöhte  Leistung  im  Vergleich  zu  den 
sonst  gleichen  einfachen  Maschinen 
nachgewiesen  werden. 

Im  darauffolgenden  Jahre  schon 
wurden  von  den  k.  k.  Staatsbahnen 
Verbund  -  Schnellzug  -  Locomotiven  be- 
stellt, von  denen  die  erste  aus  der 
Locomotiv  -  Fabrik  Floridsdorf  hervor- 
ging.    An  Stelle  der  Aussenrahmen  mit 

30 


466 


Karl  Gölsdorf. 


Kurbeln  gelangte  der  Innenrahmen  zur 
Anwendung;  der  Kessel  wurde  so  hoch 
gelegt,  dass  die  Feuerbüchse  über  die  Rah- 
men-Oberkante zu  liegen  kam.  [Abb.  308 
und  Tafel  XVII,  Fig.  4,  Seite  487.]  Unter 
Einhaltung  des  auf  den  Hauptlinien  der 
k.  k.  Oesterreichischen  Staatsbahnen  zu- 
lässigen Achsdruckes  von  i4Vj  ^»  erhielt 
diese  unter  der  Bezeichnung  Serie  6 
bekanntgewordene  Maschine  einen  Kessel 
von  29  m^  Rostfläche  und  155  im*  Heiz- 
fläche. Die  beiden  auf  demselben  ange- 
brachten Dome  sind  durch  ein  wei- 
tes Rohr  verbunden.  Bei  den  amtlichen 
Erprobungen  wurden  wiederholt  Ge- 
schwindigkeiten von  125  bis  130  km 
pro  Stunde  erreicht.  Im  Zugsverkehre 
entwickeln  diese  Locomotiven  Leistungen 
bis  zu  800  Pferdekräften;  bei  einem 
Eigengewichte  von  56.000  kg  sind  also 
nur  70  kg-  Locomotiv-Gewicht  für  die 
Leistung  einer  Pferdekraft  erforderlich. 

Die  ungünstigen  Neigungs-  und  Rich- 
tungsverhältnisse der  österreichischen 
Hauptbahnen  [insbesondere  der  k.  k. 
Staatsbahnen]  waren  ein  Hindernis  für 
grössere  Geschwindigkeiten;  erst  mit 
den  genannten  Maschinen  war  es  mög- 
lich, auch  bei  uns  Schnellzüge  mit  einer 
maximalen  Geschwindigkeit  von  90  km 
und  einer  commerziellen  Geschwindigkeit 
von  65  km  pro  Stunde  einzuführen. 

Die  im  Jahre  1893  für  die  Kaiser 
Ferdinands-Nordbahn  in  Wiener-Neu- 
stadt gebauten  Verbund-Güterzug- Loco- 
motiven, an  denen  auch  die  Anfahr- 
einrichtung der  Locomotiven  der  k.  k. 
Staatsbahnen  angewendet  wurde,  sind 
dadurch  bemerkenswerth,  dass  an  ihnen 
bei  drei  gekuppelten  Achsen  noch  ein 
vorderes  Deichselgestelle  angebracht  ist.*) 
[Vgl.  Tafel  XVIII,  Fig.   i,  Seite  488.] 

Verbund  -Güterzug-  Locomotiven  mit 
derselben  Anordnung  der  Achsen,  jedoch 

*)  Diese  Achsanordnung  kam  in  Oester- 
reich  zu  ersten  Anwendung  bei  den  von  der 
Locomotiv-Fabrik  Krauss  in  München  im 
Jahre  1884  für  die  k.  k.  Oesterreichischen 
Staatsbahnen  gebauten  Personenzu^-Loco- 
motiven.  Im  Inlande  wurde  dieselbe  zum 
ersten  Male  an  Personenzug -Locomotiven 
ausyjeführt,  welche  die  Maschinenfabrik  der 
Oesterreichisch-Unu^arischen  Staatseisenbahn- 
Gesellschaft  im  Jahre  1889  für  die  bulgari- 
schen Staatsbahnen  lieferte. 


radial  einstellbarer  Laufachse  anstatt 
des  Deichselgestelles  und  hoch  gelegtem 
Kessel  gingen  im  Jahre  1895  aus  der- 
selben Fabrik  für  die  k.  k.  Oesterreichi- 
schen Staatsbahnen  hervor.  [Vgl.  Tafel 
XVIII,  Fig.  2,  Seite  488.] 

Auch  die  von  den  k.  k.  Staatsbahnen 
für  die  Wiener  Stadtbahn  angeschafften 
fünfachsigen  Tender- Locomotiven  [Vgl. 
Tafel  XVIII,  Fig.  3,  Seite  488],  von 
denen  die  erste  in  der  Floridsdorfer  Lo- 
comotiv-Fabrik im  Jahre  1895  erbaut 
wurde,  sind  als  Verbund-Locomotiven  aus- 
geführt. Die  an  beiden  Enden  angebrach- 
ten Laufachsen  sind  radial  einstellbar. 
Diese  Maschinen  wiegen,  voll  ausgerüstet, 
69  /,  von  denen  43  t  als  Adhäsionsgewicht 
nutzbar  sind.  Damit  diese  Locomotiven 
auch  auf  den  Hauptlinien  Verwendung 
finden  können,  erhielten  die  Wasserkasten 
einen  Inhalt  von  8*3  w*. 

Die  Stadtbahn- Locomotiven  sind  im 
Allgemeinen  nicht  dazu  bestimmt,  grosse 
Dauerleistungen  zu  ergeben ;  ihre  grösste 
Leistung  haben  sie  beim  Anfahren  zu 
entwickeln,  weil  wegen  der  oft  nur  800 
bis  1000  nt  betragenden  Stations- Ent- 
fernung, die  Geschwindigkeit  von  30  bis 
35  km  auch  auf  Steigungen  schon  nach 
Durchfahren  von  300  bis  400  1«  erreicht 
sein  muss.  Aus  diesem  Grunde  musste 
eine  schwere  Type  angeschafft  werden, 
welche  bis  zu  700  Pferdekräften  bean- 
sprucht werden  kann. 

Zur  Verhütung  des  Rauchens  wurden 
an  der  ersten  Maschine  dieser  Serie  einige 
Rauch  verzehr-Apparate  zur  Erpro- 
bung angebracht,  unter  Anderem  auch 
die  [bei  gleichmässiger  Leistung  der 
Maschine],  eine  vollkommene  Rauch- 
verzehrung  ergebende  Petroleum-Feue- 
rung System  Holden,  welche  von  den 
k.  k.  Oesterreichischen  Staatsbahnen  schon 
seit  einigen  Jahren  auf  dem  Arlberge 
im  grossen  Tunnel  bei  allen  Zügen  An- 
wendung findet.*) 

*)Das  Problem  der  Rauchverzehrung 
fand  in  Oesterreich  seit  jeher  die  grösste 
Beachtung.  In  den  Fünfziger-Jahren  wurde 
vom  Ingenieur  Weiss  em  Rauchverzehr- 
Apparat  construirt,  welcher  aus  einer  hohlen, 
vor  der  Rohrwand  der  Feuerbüchse  aut- 
gestellten  Mauer  aus  feuerfesten  Ziegeln 
bestand,  durch  welche  Luft  über  die  Brenn- 
stotischichte    geleitet  werden   konnte.  Mitte 


Locomotivbau. 


467 


Viele  der  neueren,  von  den  k.  k, 
Oesterre  ichischen  Staats  bahnen  betriebe- 
nen Localbahncn  sind  mit  Steigungen  von 
mehr  als  25\o  ausgeführt.  Für  diese 
Linien,  und  auch  für  jene,  auf  wdchen 
der  Verkehr  eine  grosse  Steigerung  er- 
fahren hatte,  war  die  Aufstellung  einer 
stärkeren  Type,  als  der  bisher  verwen- 
deten dreiachsigen,  erforderlich.  Die  erste 
Ausführung  derselben  erfolgte  in  der 
Locomotiv- Fabrik  Krauss  &  Comp,  in 
Linz.  Diese  Verbund-Tender- L  oco- 
motiven  haben  drei  gekuppelte  Achsen 
und  eine  vordere  Radial-Achse. 


XVIII,  Fig.  4,  Seite  488.]  Einige  dieser 
Locomotiven  verkehren  auf  der  mit  So'/oo 
Steigung  angelegten  Loc  albahn  von 
Schlacken  werth  nach  Joachimsthal. 

So  lange  die  Schnellzuge  auf  den 
Semmering,  Brenner  und  Arlberg  nicht 
schwerer  waren  als  HO  bis  1 20  /,  reichten 
zu  deren  Beförderung  die  alten  Sechs- 
kuppler mit  kurzem  Radstande  und  Über- 
hängenden Feuerkasten  [Tafel  XVI,  Fig. 
3  und  4,  Seite  486]  vollständig  aus. 

In  den  letzten  Jahren  sind  aber 
diese  Züge  so  schwer  geworden,  dass 
die     Beigabe     einer     Vorspannmaschine 


Die   Steuerung    weicht    von    der    an  I 

allen     vorerwähnten     Locomotiven     an-  j 
gewendeten    Heusinger' sehen     Steuerung 

insoferne  ab,  als  die  Coulisse  durch  Winkel-  1 
hebel  und  Gegenlenker  ersetzt  ist.  [Tafel 

der  Sechziger- Jahre  fand  insbesondere  auf 
der  Südbahn  der  Rauchverzehrer  des  fran-  I 
zösischen  Inj^enieurs  Thierry  vielfach  An-  ; 
Wendung.  Er  beruhte  auf  der  Einführung  | 
von  Dampf  in  feinen  Strahlen  durch  ein  im  1 
Fe uerungs räume  an  der  Box-Hinterwand  ge-  . 
lagertes  Rohr,  und  Einführung  von  Luft  | 
durch  die  halbgeöffnete  Heizthüre.  Fast  alle 
der  in  den  letzten  zehn  bis  fünfzehn  Jahren  j 
in  Oesterreich  entstandenen  Rauchverzehr-  \ 
Apparate  sind  dem  Wesen  nach  nur  Modi-  , 
ficationen  der  Erfindungen  von  Weiss  und  1 
Thierry.  | 
Ohne  Anwendung  dieser  complicirten  ; 
Einrichtungen  wird  schon  eine  wesentliche 
Verminderung  der  Rauchentwicklung  [und  . 
bessere  Ausnützung  des  Brennstolfes |  durch  > 
die  von  England  her  bekannt  gewordenen  1 
einfachen  Chamotte-Ge wölbe  an  der  Rohr-  , 
wand  erzielt,  welche  hier  zuerst  bei  Jen  höh-  1 
mischen  Bahnen,  in  den  Siebziger- Jahren,  An- 
wendung fanden.  Diese  Erfahrung  benützend,  1 


nicht  mehr  Ausnahme,  sondern  Regel 
wurde. 

Die  Südbahn  ging  daher  im  Jahre 
1896  auf  eine  in  Oesterreich  neue  Type, 
den  Sechskuppler  mit  vorderem  zweiachsi- 

construirte  der  Regierungsrath  im  k.  k.  Eisen- 
bahn-Ministerium K.  Marek  im  Jahre  1896 
einen  Apparat,  welcher  ausser  einem  langen 
Gewölbe  in  der  Feuerbüchse  noch  eine  eigen- 


Einrichtung,  welche  selbst  bei  grOssterLeistung 
der  Maschine  den  Rauch  vollkommen  verzehrt, 
ist  so  einfach,  dass  die  Handhabung  keine 
besondere  Geschicklichkeit  seitens  des  Heizers 
erfordert.  Sie  ist  bei  vielen  Locomotiven  der 
k.  k.  Oesterre  ichischen  Staatsbahnen  ange- 
bracht und  findet  auch  schon  bei  vielen  Privat- 
bahnen Eingang. 

Theorie  und  Praxis  ergaben,  dass  mit  der 
Verzehrung  des  Rauches  keine  Brennstoff- 
Ersparnis  erzielt  werden  kann ;  im  günstigsten 
Fall  wird,  weil  jeder  Rauchverzenr-Ap parat 
eine  achtsamere  Behandlung  des  Feuers  er- 
fordert, der  Brenn  Stoff- Aufwand  bei  rauch- 
freier und  rauchender  Feuerungs  -  Anlage 
gleich  sein. 

30« 


468 


Karl  Gölsdorf. 


gern  Drehgestelle  über.  [Vgl.  Tafel  XIX, 
Fig.  I,  Seite  489.]  Die  ersten  dieser 
Maschinen  wurden  in  der  Maschinen- 
fabrik der  Oesterreichisch  -  Ungarischen 
Staatseisenbahn-Gesellschaft  gebaut;*)  in 
der  Disposition  des  Kessels,  der  Steuerung 
und  vieler  anderer  Einzelheiten  hat  diese 
Locomotive  grosse  Aehnlichkeit  mit  den 
Verbund  -  Schnellzug  -  Locomotiven  der 
k.  k.  Oesterreichischen  Staatsbahnen. 

Eine  gleiche  T3rpe,  jedoch  mit  grösseren 
Rädern,  bestellte  in  der  genannten  Fabrik 
in  demselben  Jahre  die  Oesterreichische 
Nordwestbahn.  Eine  Locomotive  dieser 
Lieferung  wurde  nach  dem  Verbund- 
System  der  k.  k.  Staatsbahnen  ausgeführt. 
[Vgl.  Tafel  XIX,  Fig.  2,  Seite  489.]  Das 
Drehgestell  erhielt  centrale  Kugelauflage, 
mit  seitlicher  Verschiebbarkeit.  [Auch  bei 
dem  Südbahn-Sechskuppler  wurde  bei  spä- 
teren Lieferungen  dem  Drehgestelle  eine 
seitliche  Verschiebbarkeit  gegeben.] 

Auf  dem  Arlberge  war  diese  Type, 
welche  auf  günstigen  Strecken  mit  70  km 
Geschwindigkeit  fahren  kann,  nicht  am 
Platze,  weil  die  Adhäsion  von  drei  Achsen 
nicht  ausreichend  ist  für  die  Beförderung 
von  Schnellzügen,  deren  Belastung  in  den 
Sommermonaten  dort  200  bis  220  t  er- 
reicht. Für  diese  Linie  wurde  bei  den 
k.  k.  Staatsbahnen  ein  Verbund- Acht- 
kuppler mit  vorderer,  radial  einstellbarer 
Laufachse  entworfen,  welcher  im  Jahre 
1 897  in  Wiener-Neustadt  zur  Ausführung 
kam.  Dieser  Achtkuppler,  mit  Serie  170 
bezeichnet,  repräsentirt  wohl  die  stärkste, 
bisher  auf  dem  Continente  ausgeführte 
Locomotive.  Im  regelmässigen  Zug- 
verkehre werden  mit  ihr  Schnellzüge  von 
200  bis  220  t  auf  26%o  Steigung  mit 
25  bis  28  km  Geschwindigkeit  befördert. 
Diese,  rund  950  Pferdekräften  ent- 
sprechende Leistung  ist  doppelt  so  gross 
als  die  der  alten  Südbahn-Achtkuppler 
aus  dem  Jahre  1870.  Die  Rostfläche 
beträgt  3*37  m^,  die  gesammte  Heiz- 
fläche 250  m^;  während  der,  eine  Stunde 
dauernden  Fahrt  von  Landeck  bis  Langen 
werden  10  m^  Wasser  in  Dampf  ver- 
wandelt. [Vgl.  Tafel  XIX,  Fig,  3,  Seite  489.] 

*)  Diese  Fabrik  hatte  schon  ein  Jahr 
vorher  für  die  orientalischen  Bahnen  [Türkei] 
eine  ähnliche  jedoch  schwächere  Type 
geliefert. 


Um  den  Curvendurchlauf  möglichst 
zwanglos  zu  gestalten,  wurde  ausser  der 
Radialachse  noch  eine  seitHche  Verschieb- 
barkeit der  zweiten  Kuppelachse  ange- 
ordnet ;  die  Führung  der  Maschine  in  den 
Krümmungen  erfolgt  daher  an  drei  Spur- 
kränzen.*) 

An  fast  allen  seit  dem  Jahre  1893  ge- 
bauten grossen  Locomotiven  fand  wegen 
des  hohen  Dampfdruckes  von  12  bis  13 
Atmosphären  und  derhiemit  in  Zusammen- 
hang stehenden  höheren  Beanspruchung 
der  einzelnen  Theile,  an  Stelle  von 
Schmiedeeisen  und  Gusseisen  der  »Stahl- 
gus s«  ausgedehnte  Verwendung.  Rad- 
steme,  Kreuzköpfe,  Kolben  u.  s.  w.  werden 
fast  nur  mehr  aus  diesem  Materiale  her- 
gestellt, welches  noch  im  Jahre  1 893  aus 
dem  Auslande  bezogen  werden  musste, 
heute  aber  von  den  österreichischen 
Hüttenwerken  [Witkowitz  und  andere]  in 
tadelloser  Qualität  geliefert  wird. 

Die  eingehenden  Versuche,  welche  in 
der  Maschinenfabrik  der  Oesterreichisch- 
Üngarischen  Staatseisenbahn-Gesellschaft 
[seit  dem  Jahre  1888  unter  der  Leitung 
von  A.  Martinek  stehend]  mit  dem  Stahl- 
guss  in  Bezug  auf  Widerstandsfähigkeit 
und  vortheilhafteste  Formgebung  ange- 
stellt wurden,  ermöglichten  eine  weit- 
gehende Verminderung  des  Gewichtes 
aller  aus  diesem  Materiale  angefertigten 
Gegenstände. 

Bei  der  im  Jahre  1897  in  der  ge- 
nannten Fabrik  für  die  eigene  Bahn  ge- 
bauten Verbund  -  Schnellzug  -  Locomotive 
[vgl.  Tafel  XIX,  Fig.  4,  Seite  489]  konnte 
mit  Beachtung  der  erwähnten  Versuche 
ein  Achsdruck  von  14  t  eingehalten 
werden.  Eine  besondere  Umschaltvor- 
richtung gestattet,  den  zwischen  den 
Rahmen  angebrachten  Hochdruck-Cylin- 
der  auszuschalten  und  den  beiden  aussen- 
liegenden  Dampfcylindem  Volldampf  zu- 
zuführen, so  dass  diese  Maschine  auch 
als  einfache  Zwillingsmaschine  ver- 
wendet werden  kann.  Diese  Dispo- 
sition war  schon  im  Jahre  1889  an 
einer  Locomotive  der  französischen  Nord- 


*)  Diese  Anordnung  wurde  getroffen  auf 
Grund  der  vom  Chef-Constructeur  der  Loco- 
motiv-Fabrik  Krauss  &  Co.  in  München, 
R.  Helmholtz,  aufgestellten  Theorie  über 
Curvendurchlauf. 


Locomotivbau. 


469 


bahn,  construirt  von  Ed.  Sau  vage, 
angewendet. 

Im  Jahre  1898  wurden  auch  bei  den 
k.  k.  Oesterreichischen  Staatsbahnen  bei 
der  weiteren  Nachschaffung  der  vor- 
erwähnten Schnellzug-Locomotiven,  Serie 
6,  die  Erfahrungen  mit  dem  Stahlgusse 
dazu  benützt,  die  Rostfläche  und  den 
Durchmesser  des  Niederdruck-Cylinders 
bedeutend  zu  vergrössem,  unter  Ein- 
haltung des  limitirten  grössten  Achs- 
druckes. Ferner  wurde  eine  wesentliche 
Vereinfachung  der  Rahmenconstruction 
durchgeführt,  so  dass  sich  diese  Type 
nunmehr  wie  Fig.  i ,  auf  Tafel  XX,  Seite 
490,  repräsentirt.  In  dieser  Form  wurde 
dieselbe  auch  für  die  Österreichische 
Südbahn  geliefert. 

An  den  Achtkupplem,  Serie  170,  der 
k.  k.  Oesterreichischen  Staatsbahnen  wurde 
bei  der  Lieferung  vom  Jahre  1898  in  den 
Stahlguss-Bestandtheilen  ebenfalls  eine  Ge- 
wichtsverminderung vorgenommen,  welche 
die  Anbringung  der  schweren  automa- 
tischen Vacuumbremse  ermöglichte.  Auch 
diese  Type  fand  bei  der  Südbahn  für 
die  Beförderung  der  Schnellzüge  auf  dem 
Semmering  Eingang. 

Durch  die  Schnellzug-Locomotiven, 
Serie  6,  ist  auf  Linien,  welche  örtliche 
Steigungen  von  nicht  mehr  als  lo^oo 
aufweisen,  die  Beigabe  von  Vorspann- 
maschinen entbehrlich  geworden,  nach- 
dem diese  Maschinen  Züge  von  240  t 
über  diese  Steigungen  führen  können, 
und  mit  derselben  Belastung  in  den 
günstigeren  Theilen  der  Strecke  eine 
Geschwindigkeit  von  80  bis  85  km  pro 
Stunde  erreichen.  Auf  der  ehemaligen 
Kronprinz  Rudolf-Bahn  und  Gisela-Bahn 
wechseln  aber  Steigungen  von  14  bis 
20^Iqq  [für  welche  die  Adhäsion  von  zwei 
gekuppelten  Achsen  nicht  mehr  ausreicht], 
mit  horizontalen  Linien  ab,  so  dass  sich 
für  diese  Strecken  das  Bedürfnis  nach 
einer  noch  kräftigeren  Locomotive,  als 
die  genannte  Schnellzug-Locomotive  es  ist, 
herausstellte.  Es  wurde  bei  den  k.  k.  Staats- 
bahnen ein  Sechskuppler  mit  T  r  u  c  k- 
g  e  s  t  e  1 1  e  [vorderem  zweiachsigem  Dreh- 
gestelle] entworfen,  welcher,  um  auch 
für  Geschwindigkeiten  von  80  bis  90  km 
geeignet  zu  sein,  Treibräder  von  1*820  m 
Durchmesser  erhielt.     Im  Gegensatze  zu 


den  für  die  Südbahn  und  Nordwestbahn 
ausgeführten  Locomotiven  mit  derselben 
Achsanordnung,  erhielt  diese  Maschine 
innerhalb  der  Rahmen  liegende  Dampf- 
cylinder.  [Vgl.  Tafel  XX,  Fig.  2,  Seite 
490.]  Der  Kessel  liegt  bei  dieser  Lo- 
comotive so  hoch  wie  bei  den  Acht- 
kupplern, Serie  170.  An  Stelle  der  zwei 
durch  ein  Rohr  verbundenen  Dome  ge- 
langte ein  grosser  Dampfsammler  aut 
dem  cylindrischen  Kessel  zur  Anwen- 
dung. Das  Drehgestelle  erhielt  centrale 
Kugelauflage  mit  seitlicher  Verschieb- 
barkeit; die  Rückstellung  in  die  Ge- 
rade erfolgt  durch  eine  Spiralfeder  in 
ähnlicher  Anordnung  wie  bei  den  Lauf- 
rädern der  Wiener  Stadtbahn- Locomotiven. 
Bei  den  mit  dieser  Locomotive  durch- 
geführten Probefahrten  wurden  Leistun- 
gen von  1200  bis  1300  Pferdekräften 
erreicht. 


Als  der  berühmte  englische  Ingenieur 
Isambert  Brunn el  die  Great-Western- 
Bahn  erbaute,  wandte  er  eine  Spurweite 
von  sieben  Fuss  an,  um  der  weiteren  Ent- 
wicklung der  Locomotive  Raum  zu  geben. 
Ein  heftiger  Wettstreit  entbrannte  zwischen 
den  Anhängern  der  breiten  Spur  und  den 
Anhängern  der  normalen  Spur;  dieser, 
unter  dem  Namen  »The  Battle  of  the 
gages«  bekannt  gewordene  Kampf  der 
Geister,  förderte  mehr  als  irgend  ein 
anderes  Ereignis  die  rasche  Vervollkomm- 
nung der  Locomotive.  Im  Jahre  1846 
bauten  Bury,  Curtis  und  Kennedy  für 
die  London  -  North  -  Western  -  Bahn  eine 
Schnellzug-Locomotive,  die  »Liverpool«, 
welche,  die  Leistungen  aller  Breitspur- 
Locomotiven  überbietend,  als  das  »Ulti- 
matum« der  normalen  Spurweite  ange- 
sehen wurde.  Doch  nur  wenige  Jahre 
vergingen,  und  auch  das  »Ultimatum« 
war  überflügelt. 

Von  Jahrzehnt  zu  Jahrzehnt  wird  die 
Behauptung  wiederholt,  dass  die  Loco- 
motive an  der  Grenze  der  Leistungs- 
fähigkeit angelangt  sei ;  immer  dann  aber 
wird  diese  Behauptung  aufgestellt,  wenn 
die  unbemerkt  fortschreitende  Verbesse- 
rung der  Einzeltheile,  die  sprungweise  ein- 
tretende Schafl"ung  neuer  leistungsfähiger 
Typen  vorbereitend,  scheinbar  einen  Still- 


Karl  GölsJorf. 


stand  in  der  Entwicklung  des  Locomotiv- 
baues  vermuthen  lässt- 

Weit  hinaus    über    den  Grenzen    der 
jeweiligen  Erkenntnis  und  des  jeweiligen  ' 
Wissens   liegen  aber  —  nur  verschleiert 
dem    Auge  der  Phantasie   erkennbar  — 
die   Grenzen    des    auf   dem  Gebiete  der 
Technik  Erreichbaren.     Nur   dort  Hegen  , 
die  Grenzen,  wo  der  Wille  sie  hinstellt,  ' 
und  wirklich  vorhanden  sind    sie  nur  in   i 
Bezug  auf  bestehende  Objecte. 


Am  Ende  des  neunzehnten  Jahrhunden> 
wurden  in  Oesteireicli  Locomotiven  ge- 
schaffen, welche  spielend  looo  Pferde- 
kräfte entwickeln.  Nicht  ein  Ultimatum, 
nicht  die  Grenze  der  Entwicklung  stellen 
diese  Gebilde  der  mühevollsten,  sorgen- 
vollsten, geistigen  Arbeit  dar :  nur  ein 
Fundament  sind  sie,  welches  das  schei- 
dende Säculum  dem  kommenden  zwan- 
zigsten Jahrhundert  zum  weiteren  Aul- 
bau überliefert. 


Tafel  L") 

Fig.  .. 

d 

=    355  mm 

1 

=    511     » 

D 

=  1560     . 

=  6'/s  Atm. 

R 

=  106  «" 

H 

=  6060  . 

G 

=  21.800  kg 

^ 

Fig.  1. 

1 

d  =    370  mm 

1  =    448     - 

° 

D  =  1264     , 

p  -  5'/.  Atm. 

R  _    079  ».■ 

H  =  3350    . 

ofP 

G  =  16.800  hg 

ff! 

A  =  10.500    » 

=    333  "IM 

^    474     » 
=  1738     . 
=  5'/i  Atm. 
.    075  '"' 
=  4770    » 

:    15.000  kg 
--      0.500    . 


Fig.  4- 
d  =    321  mm 
1  =    569     . 

D  =  1538     . 
p  =  5Vi  Atm. 

R  =    092  ?M» 

H  =  46-30 

G  =  14.700  kg 

A  =    9.000    • 


•)  Auf  den  folgenden  Tafeln  bedeutet:  d  =  Cylinder-Durchmesser,  1  =  Kolbenhub, 
D  =  Treibrad-Durthmesser  in  mm,  p  =  Dampfdruck  in  Atmosphären  ertectiv,  R  ^  Rost- 
fläche, H  =  Heizfliiche  in  »1*,  G  =  Gesammt-Ge wicht  und  A  =  Adhäsionsgewicht  in  kg. 


Karl  GOlsdorf. 


Tafel  II. 
Fig.  I. 

d  =     368   n%m 
I  =     579      > 
D  =   1422      . 

p  =  6  Atm 
R  =     123  »I» 
H  =  81  80    . 
G  =  22.400  kg 
A  =  15.680    . 


Fig.  2. 

d  =     +(8  r 


E  =      I  39  ^ 
I  =  135-90 


fl  ~ms\. 


Fig-  3 
d  =    368  mm 
1  -    579     » 
D  =  1738     . 
p  =  6  Atm, 
R  =     I-l6  m* 
H  =  8710    . 
G  =  27.27a  kg 
A  =  10.752    > 


H  -  99-30    . 
G  =  24.350  kg 
A  =  16.ZOO    > 


Locomotivbau. 


Tafel  HI. 


,  s,  ft  -8  ^ " ; 


II  II  II 

I  a  < 


Karl  GOlsdorf. 


Tafel  IV. 


>  O  K  W-o  a  -  o. 

II  II  II  II  II  II  II  n 


>  n  X  svis  D  _  B< 
II  11  II  II  II  II  II  II 


3    -" 


Locomolivbau. 


Tafel    V. 

Fig.  I. 

d  =    421  mm 

'  =    579     » 

D  =  1580    . 

R  =  174  »"' 
H  =  132-40  » 
G  =  53-900  kg 
A  =  2x500   » 


d  =    461  » 
1  =    633 


H  =  126  10  . 
G  =  34  720  kg 
A  =  34.720   . 


Fig.  3. 
d  =  316  mtlt 
1=421  . 
D  =  948  . 
p  =  6  Atm, 
R  =  050  m' 
H  =  47-60    . 


Fig.  4. 

d  =  250  mm 
1  =  421     > 
D  =  948    > 
p  =  67  Atm. 
R  =    050  m» 
H  =  3000   > 
G  =  11.000  kg 
A  =    7.000  » 


476 


Karl  GOlsdorf. 


Tafel  VI. 

Fig.  I. 

d  ==  316  mm 
1  =  421    1 
D  =  790    » 

p  ^  6*7  Atm 
R  =    056  w' 
H  =  5180  > 
G  =  18.000  k^ 
A  =  13.000  » 


d 

1 

D 

P 
R 

H 

G 

A 


Fig.  2. 

395  »w"' 
580    » 

6*/,  Atm. 
rio  m* 
103-30  » 
30.688  kg 
19.824  > 


d 

1 

D 

P 
R 

H 

G 

A 


Fig.  S 

405  mm 
610    * 
1610    » 
7  Atm. 

1-29  w- 
108-30  » 
32.250  ho 
21.250  > 


♦ 2lftfi 


iQ«>:>    j,      117 ;^     n^ofli 


ftQflfl. 


d 

1 

D 

P 
R 

H 

G 

A 


Fig.  4- 

400  f«w' 
632    » 
1500    ' 

8Vj  Atm. 
1-65  "'' 
128-4    ' 

38.600  H 
25.900  ' 


Locomotivbau. 


Tafel   Vll. 


d  =  460  mm 

1  =  632  . 

D  =  1180  . 

p  =  8'y,  Atm. 

R  =  I  65  m" 

H  =  128-40  . 

G  =  38.600  kg 

A  =  38.600  . 


I  =  632  . 

D  =  1580  . 
p  =  9  Atm. 


G  -  35.000  kg 
H  =;  23.200  » 


1  =  632  . 
D  =  1580  . 
p  =  7  Atm. 
R  -   1-35  «• 
H  =  131  60  t 
G  =  33.300  kg 
A  =  23.000  ) 


d  =  457  '""' 
I  =  632  . 
D  =  1264  » 
p  ~  7  Atm. 
R  ^   1-29  m' 
H  -  138-12  . 
G  =  30.700  kg 
A  =  30.700  i 


478 


Karl  Gölsdorf. 


12000  > 
G  =  38.350  k^' 
G  =  28.350    • 


Fig.  2. 

d  =      3t6  mm 
1   =      633      » 
D  =   ito6     . 

p  =  6'/*  Atm. 
R  =      o-8i   tn' 
H   =   50-59    > 
G  =  25.950  £i- 
A  =  25.950    . 


G  =  d7  300  kg 
A  =  47.300    . 


Fig.  2. 

d  =  421  Hin 
1  =  632  . 
D  =  1164  . 
p  ^  9  Atm. 
I  90  n 


H  = 


I2I0 


G  =  33S«>  kg 
A  =  33.500    . 


1  =  632  . 
D  =  1186  . 
p  =  9  Atm. 
R  =  1-90  m» 
H  =  180-40  . 
G  =  44.350  kg 
A  =  44.350   . 


=    395  """ 
=    632     . 
=  1077     ' 
=  10  Atm. 

=^  ZOO  m» 
=  10350  . 
—  32.200  kg 
~   32.200    > 


'■ 


48o 


Karl  GOlsdorf. 


d 

1 

D 

P 
R 

H 

G 

A 


Tafel  X. 

Fig.  I. 

=     435  mm 
=    632    » 
=  I185    » 
=  8  Atm. 
=       170  m* 
=  13700  » 
==  34.100  kg 
=  34.100  > 


d 

1 

D 

P 
R 

H 

G 

A 


Fig.  2. 
:  290  mm 

:    425       » 
:    400       > 

9  Atm. 
056  m* 

=  35-87   > 
=  22.000  Jfe^ 

:  22.000   9 


d  =  411  mm 

1  =  632    » 

D  —  1900    » 

p  =  IG  Atm. 

R  =  '    164  m* 

H  =  107-60   > 

G  =  39.500  kg 

A  —  23.000  » 


1874. 


^^ 


=i^ 


0 


)Ö-Ö^- 


> 


'^ 


t^rjt  ""^J-^J 


f. Zm ^ 1570   _  _  ^      J20C       .,  1 

-t5W:u ^ ^fl.7Q. ^_    10«3..  .^ 


I      I  _ 


Fig.  4. 

d  =    400  mm 
1  =    632    » 
D  =  1900    * 
p  =  10  Atm. 
R  =    2-00  w* 
H  =  9550   » 
G  =  38.050  kg 
A  =  21.400  > 


Locomotivbau. 


Tafel  XL 
Fig.  I. 


=    632 

:    1900 


:    III'OO     » 
=  42.000   kg 

=    24.500     . 


H 


1  =  632  > 
D  =  1580  . 
p  =  8'/«  Atm. 
R  =  170  m' 
125-00  > 
36.003  kg 
20.700   1 


482 


Karl  GOlsdorf. 


i*oq       i Mao 1 163(L 


JJ.  .___ 


•g 


Ta/«/  A7/. 


d  =  281  mm 
1  =  432  . 
D  =  950    . 

p  ^  10  Atiti. 

R     =       09Ö    Hl' 

H  =  55  00  . 

G  =  27,300  kg 
A  =  27.300  . 


d  ^     225  mm 

I  =     400     > 

D  =   10,5     . 

p  =i   10  Atm. 

R  =     0-64  m' 

H  =  4250   I 

G  =  20.000  tg 

A  ^  11.000  > 


Fig.  3. 
i  ^  250  mm 


H  =  34  16    . 
G  =  23.400  kg 
A  =  15,600  1 


= 

12  Atm. 

K 

= 

0  87'"' 

H 

= 

3820  . 

G 

= 

20.290  H 

A 

= 

11.990  ■ 

Locomotivbau.  483 


Fig.  4. 

D  =  IIOO     . 

R  -      250 

p  —  11  Atm. 

H  =  164  0 

Tafel  XIII. 

Fig.  I. 

d 

=    450  mm 

1 

=    600    . 

D 

=1110    » 

P 

=  9  Atm. 

R 

=       I  68  m» 

H 

—  12620    • 

G 

=  50-800  kg 

A 

=  SO-800    . 

p  =  12  Atm. 
R  =    090  m* 


-.  26.000  kg 

:    26.000     • 


=   72,500  kg 

-  53«»    ' 


484 


Karl  GOlsdorf. 


1884. 


Vf 


K=il 


¥ 


f 


l 


A 


^^ 


N     \\ 


f^..  X-T- /-^4iK-. 


N-,^^/" 2:^ 


L i4«e  _i 5 


JIL 


Jjt9fi^ 


JLUUL 


-J9M 


.IfiUL 


"^J 


j 1. 


-  J»^»5t» 


Tafd  XIV. 


d 

1 

D 

P 
R 

H 

G 

A 


Fig.  I. 

500  mm 

:      610     > 
1100     I 

IG  Alm 

rio  ffi' 
■'  152-9    ♦ 

:    56.500  % 
=    56.500    > 


d 

1 

D 

P 
R 

H 

G 

A 


Fig.  2. 

500  ww 
=    570    » 

:    II20      » 

:  II  Atm 

2  25  ;h* 

:    18200     » 
:    55.000  k^ 
:    55.000    .» 


d 

1 

D 

P 
R 

H 

G 

A 


Fig.  3- 

=  435  """ 

=  630  y 

=  1710  ' 

=  9  Atm. 

=  1-86 «' 

=  12400  > 

=  41.500  i'^ 

=    25000     3 


d 

1 

D 

P 
R 

H 

G 

A 


Fig.  4- 

=  425  mm 

=  630    > 

=  1800    ' 

=  10  Atm. 

=       2'08  »I* 

=  126      > 

=  45000^'jr 

=  27.600  > 


.. J4SI 


S?«"- 


^        8X     .«_60C_ 


Locomotivbau. 


485 


Tafel  XV. 


D 

P 
R 

= 

1720 . 

10'/,  Atm 

2-01   .«' 

H 
G 
A 

E 

nsso  • 

4 '.447  *j; 
25-340  • 

Fig.  3- 

425  « 
600 


1  = 
D  =  1740    • 

p  —  12'/,  Atm. 
R  =      2  33  '"• 
H  =  13153   ' 
G  =  47-800  kg 

A  =  2ä.000    > 


Fig  4- 
d  =  435  .M»H 
1  =  630  . 
D  =  1800  1 

E  =   206  m'* 
H  =  127   . 
G  =  45.500  kg 
A  =  27.600  • 


486 


Karl  Gölsdorf. 


Tafel  XVI 


-  .-«Sil 


-^ .  llie ^  _.    _  U2Q. 4 «SO- «  _  -    -  2S7-A ^ 


d 

1 

D 

P 
R 

H 

G 

A 


Fig.  I. 

=    450  Wim 
=    632    . 
=  1760    » 
=  12  Atm. 
=      2*30  wi' 

=  141  50  » 
=  46.600  kg 
-  27.600  > 


d 

1 

D 

P 
R 

H 

G 

A 


Fig.  2. 

=    460  mm 
=    650    > 
=  2120    > 
=  9  Atm. 
=      2*3c6  m^ 
=  131-80    > 
=  48.600  k^ 
=  27.300  > 


d 

1 

D 

P 
R 

H 

G 

A 


Fig  3 

=  450  mm 
=  632  » 
=  1300  » 
=  II  Atm. 
=   1 80  >«' 
=  13200  » 
=  42  000  ^^ 

=  42  000   3 


1876. 


"^C." 


Fig.  4- 

d  =  480  mm 
1  =  610  > 
D  =  1265  > 
p  =  10  Atm. 
R  =   I  70  m' 

H  =  135' »0  • 
G  =  42.000  ks 
A   =  42.000  » 


Locomotivbau. 


487 


Tafel  X  VIL 


I S94. 


d 

1 

D 

P 
R 

H 

G 

A 


Fig.  I. 

450  tnfn 
'-    650     > 
=  1460     » 
=  10  Atm. 
=       2-32  m* 
=  14020   » 
=  41.600  kg 
=  41.600    > 


d: 

1 

D: 

P  = 
R 

H: 

G: 

Ar 


Fig.  2. 

480  u.  740  mm 

:    660        » 
1440        » 

12  Atm. 
2  20  m* 

133-50  » 
42.000  kg 
42.000  » 


d  = 

1= 

D  = 

P  = 
R  = 

H  = 

G  = 

A  = 


Fig.  3. 

50OU.740  mm 
632  > 

1300  » 

12  Atm. 

180  !«• 
13400    » 
42.600  )t^ 
42.600    > 


Fig.  4. 

500  u.  740  mm 
680  > 

2120  » 

13  Atm. 

290  m' 
15500   » 
56.600  it^ 
29.000   » 


»..  2900 

•. l'Sfl .^ 


488 


Karl  GOlsdorf. 


Tafel  XVIII. 
Fig.  I. 

d=   480  u.  740  «im 

1=  660 
D  =  1440 

p=  12  AtniL 
R  =      2*20  m* 
H=  14750 

G  =    51.000  k;r 


V  ^--^  i         I    A=  38,600 
N^  ;.y  ^  ! — L_i_ 


520U.74OW/M 
632 
1300 
13  Atm. 
270  m^ 

14490 
53.450  kfr 
43.000  J 


-t«^^ 


142  m' 
8200  » 
39.400  kg 
30.000 


Locomotivbau, 


489 


Tafel  XIX. 


Fig.  3. 

d  = 

5^ou8oo  t 

1  = 

632 

D= 

1300 

p  = 

13  Atm. 

K  = 

3-37  >»» 

4  = 

25000   . 

G  = 

69.000*^ 

V  = 

57.000   . 

Fig.  4- 
d=  470U.500  I« 
1=  650 

D  =  3IO0 

p=  13  Atm. 
R=      290  wi' 
H=  i6s 

G  =  54. 150  kg 


Karl  GAUdorf. 


Fig.  2. 
d=  530u.8lowift        D  =  i820hi(»  R=      .' 

I~  7J0  >  P=  M  Atm.  H=  20790   ; 


Wagenbau. 


Von 


Julius  von  Ow, 

Ober-Inspector  der  österreichischen  Staatsbahnen  im  k.  k.  Eisenbahn-Ministerium. 


MIT  Recht  kann  man  den  Wagen  als 
den  Keim,  das  Grundorgan  des 
gesammten  Eisenbahnwesens  be- 
zeichnen, denn  es  musste  zuerst  das  auf 
Kadern  bewegliche  Fahrzeug,  welches 
wir  mit  dem  Gattungsnamen  >Wagen€ 
bezeichnen,  vorhanden  sein,  ehe  das  Be- 
dürfnis nach  Herstellung  einer  Bahn  und 
Beschaffung  eines  Motors,  zur  leichteren 
Weiterbeförderung  eben  dieses  Fahr- 
zeuges, eintreten  konnte. 

So  lange  die  Führung  der  Räder  im 
Geleise  nur  durch  eine  seitliche  Weg- 
begrenzung bewirkt  wurde,  kann  fUghch 
von  besonderen  Eisenbahnwagen  nicht 
die  Rede  sein.  Erst  das  mit  einem  Spur- 
kranz versehene  Rad,  welches  auf  der 
Schiene  läuft,  ist  ein  Constructionsdetail, 
welches  nur  dem  Bahn-  oder  Eisenbahn- 
Fahrzeuge  eigenthümlich  ist,  und  deshalb 
kann  man  nur  die  mit  solchen  Rädern 
versehenen  Wagen  als  Eisenbahnwagen 
bezeichnen. 

Die  ältesten  bei  Bergbauen  und  ähn- 
lichen Anlagen  verwendeten  Eisenbahn- 
wagen sind  ihrem  Zwecke  entsprechend 
so  einfacher  Construction,  dass  dieselben 
auch  im  Vergleiche  mit  den  damals  be- 
standenen Strassenwagen  als  sehr  unter- 
geordnete Erzeugnisse  des  Wagenbaues 
erscheinen  müssen. 

Erst  nachdem  die  Eisenbahnen  nicht 
nur  localen  Industriezwecken,  sondern 
auch  dem  allgemeinen  Verkehr  zu  dienen 
hatten,  begann  der  Eisenbahn-Wagcnbau 
an  Bedeutung  zu  gewinnen  und  sich  zu 


einem     Special  -  Industriezweige     auszu- 
bilden. 

Inwiefeme  nun  die  österreichischen 
Techniker  sich  an  dem  Fortschritte  im 
Wagenbau  betheiligt  haben,  und  in 
welcher  Weise  die  allgemeinen  Fort- 
schritte im  Wagenbaue  seitens  der  öster- 
reichischen Bahnen  zur  Förderung  und 
Hebung  des  Eisenbahn  -  Verkehres  zur 
Anwendung  gebracht  wurden,  soll  den 
Gegenstand  der  nachstehenden  Abschnitte 
bilden. 


I.  Wagenuntergestelle. 

a)  Radstand. 

Die  Construction  des  Laufwerkes  der 
Wagen  steht  in  unmittelbarem  Zusammen- 
hange mit  den  jeweiligen  Anforderungen, 
welche  an  die  Verkehrssicherheit  und 
Fahrgeschwindigkeit  gestellt  werden. 
Diese  Anforderungen  waren  zur  Zeit  der 
ersten  österreichischen  Pferde- Eisenbahn 
noch  sehr  gering.  Es  genügte,  dass 
der  Wagen  bei  massigem  Fahrtempo 
sicher  im  Geleise  blieb,  und  selbst  Ent- 
gleisungen waren  mehr  unbequem  als 
gefährlich ;  die  Zugkräfte  waren  gering, 
daher  war  weder  die  Zusammenstellung 
einer  längeren  Wagenreihe  möglich,  noch 
eine  besondere  Sorgfalt  für  die  Con- 
struction der  von  der  Zugkraft  in  An- 
spruch genommenen  Bestandtheüe  der 
Wagen  noth wendig. 


494 


Julius  von  Ow. 


Im  Jahre  1828  wurden  bereits  nach 
englischem  Muster  Räderpaare  mit  auf 
der  Achse  festsitzenden  Rädern  herge- 
stellt, und  auch  für  die  allerdings  sehr 
einfachen  Rahmen  standen  englische 
Modelle  zur  Verfügung,  welche  für  die 
Untergestelle  der  ersten  Wagen  der  Linz- 
Budweiser  Pferdebahn  benützt  wurden. 
Gegenüber  der  geringen  verfügbaren  Zug- 
kraft war  der  in  den  Bahnkrümmungen 
eintretende  Widerstand,  der  bei  einem 
Radstande  von  i'i  tn  parallel  gelagerten 


-^zr^3^=r^4 


"r" 


Abb.  309.    Lenkachsen  der  Linz-Budweiser 
Pferdebahn.  [1828.] 

Achsen,  so  bedeutend,  dass  man  hierin 
ein  wesentliches  Verkehrshindernis  fand 
und  eine  Verminderung  dieser  Wider- 
stände anstreben  musste.  Gerstner 
unterzog  diese  Frage  einem  eingehenden 
Studium,  dessen  Ergebnis  zur  Anwen- 
dung von  horizontal  verstellbaren  Achsen 
führte.  Man  versah  die  beiden  über 
den  Achsen  angebrachten  Achsstöcke  an 
vier  symmetrischen  Punkten  mit  Kloben, 
zwischen  welche  zwei  gleich  lange  Ver- 
bindungsschienen mit  Charnierbevvegung 
diagonal  eingelegt  wurden.  [Abb.  309.] 
Diese  Construction  wurde  für  die  Wasrcn 
der  Linz-Budweiser  Pferdebahn  im  Jahre 
1828  angenommen  und  bis  zur  Auflassung 
dieser  Bahn  beibehalten,  doch  wurden 
von  allem  Anfang  an  auch  dreiachsige 
Wagen  mit  verstellbaren  Achsen  gebaut. 


Im  Jahre  1 845  wurde  von  F.  W e  t  z ii .  -i 
in  Wien  ein  Patent  auf  eine  ähnliche 
Construction  genommen,  welche  die  An- 
wendung des  gleichen  Principes  auch  lü' 
Locomotivbahnen  ermöglichen  sollte.  An 
Stelle  der  einfachen  Achsböcke  wurden 
Trucks  verwendet,  in  welchen  die  Achscr. 
unter  Tragfedern  gelagert  waren;  aii 
diesen  Trucks  ruhte  der  Untergestcll- 
rahmen  mittels  je  zwei  Rollen.  De: 
Drehzapfen  war  an  der  Mitte  der  äusserer. 
Rückwand  der  Trucks  angebracht.  Ik: 
Radstand  betrug  208  w.  [Abb.  310.]  Dieses 
System  fand  wohl  aus  dem  Grunde  keine 
weite  Verbreitung,  weil  bei  den  ersten 
österreichischen  Locomotivbahnen  keine 
so  scharfen  Bahnkrümmungen  angelei.^ 
waren,  welche  bei  einem  Radstande  vor. 
kaum  mehr  als  2  nt  verstellbare  Achser. 
erfordert  hätten. 

Im  Jahre  1826  wurde  von  C.  E.  Kraft 
das  Modell  eines  dreiachsigen  \Vao:ens 
hergestellt,  nach  welchem  vonGrillo  in 
Pottenstein  zwei  Probewagen  für  die 
Linz-Budweiser  Pferdebahn  ausgefühn 
wurden.  Bei  diesen  Waagen  war  die 
Mittelachse  mit  dem  darüber  liegenden 
Achsstock  nur  senkrecht  zur  Geleisachse 
verschiebbar.  Durch  den  auf  dem  Achs- 
stock gelagerten  Rahmen  wurden  bei 
Verschiebung  der  Mittelachse  die  Achs- 
Stöcke  der  beiden  Endachsen,  beziehungs- 
weise letztere  selbst  in  eine  entsprechende 
Winkelstellung  zum  Geleise  gebracht 
[Abb.  311.]  Mit  diesen  Wagen  wurden 
Clurven  von  20  m  Radius  ohne  Anstand 
durchfahren. 

Von  Interesse  ist  die  nachstehend  ange- 
führte Mittheilung,  welche  Ed.  Schmjdl 
von  dem  die  Anregung  zu  dieser  Con- 
struction ausging,  über  die  erste  Probe- 
fahrt   mit  diesen  Wagen   veröffentlichte: 

»Die  erste  Probefahrt  im  Gefälle 
von  I  :  300  und  bei  steten  Curven  von 
100^  Radius  hatte  unter  den  un- 
günstigsten Umständen  stattgefunden  : 
der  Wagen  nur  durch  vier  Personen,  al^o 
viel  zu  wenig  belastet,  ohne  Deichsel  und 
ohne  Bremse,  wurde  je  nach  gewonnener 
Ueberzeugung  über  dessen  Dienstbarkeit 
von  einem  Pferde  immer  schneller  una 
endlich  im  Carriere  geführt,  als  man,  uni 
ein  Felsenriff  hervorgelangt,  plötz'^'" 
in   die    hr)chst    beunruhigende  Lage  ver- 


Wagenbau. 


495 


setzt  war,  einige  Klafter  vor  einer  7^ 
hohen  Brücke  die  Schienen  auf  mehrere 
Klafter  Länge  abgenommen  und  den 
Bahnwärter  in  der  Reparatur  begriffen, 
ansichtig  zu  werden.  Die  Mittel,  den 
Wagen  vor  der  Stelle  der  Gefahr  zum 
Stillstand  zu  bringen,  ja  auch  nur  selbst 
dessen  übertriebenen  Lauf  zu  massigen, 
fehlten;  es  blieb  somit  keine  Wahl,  und 
Pferd  und  W^agen  mussten  über  die  ge- 
störte Bahnstelle,  es  möge  erfolgen  was 
da  wolle,  hinübergejagt  werden.  Der 
Wagen,  in  diese  Stelle  gelangt  und  die 
im  Wege  liegenden  Werkzeuge  und 
Hindemisse  übersetzend,  erhielt  mehrere 
tüchtige  Stösse,  aber  auch  schon  gewährte 
der  sanfte  Gang  auf  den  Geleisen  der 
Brücke  die  volle  Beruhigung  der  glücklich 
überstandenen  Gefahr.  Unter  diesen  Um- 
ständen möchte  ich  nicht  auf  einem  vier- 
rädrigen Waagen  gewesen  sein !  !  Später 
auf  gleiche  Art  zu  einer  eben  auch  in 
Reparatur  befindlichen  Stelle  auf  einen 
Damm  gelangt,  dachte  Niemand  mehr 
an  eine  Gefahr  und  man  übersetzte  sie 
mit  vollem  Gleichmuth  —  natürlich  die 
Stösse  abgerechnet  —  ebenso  glücklich.« 
[Zeitschrift  des  Oesterreichischen  Inge- 
nieur-Vereins, 1857.] 

Diese  bei  der  Linz-Budweiser  Pferde- 
bahn zur  Ausführung  gelangten  Con- 
structionen,  dürften  wohl  die  Grundlage  der 
viele  Jahrzehnte  später  neu  entstandenen 
Lenkachsen-Constructionen  ge- 
wesen sein ;  dieselben  lieferten  jedoch  auch 
den  Nachweis,  dass  es  österreichische 
Ingenieure  waren,  welche  zuerst  die 
Radialstellung  der  Achsen  einem  erfolg- 
reichen Studium  unterzogen  haben. 

Als  im  Jahre  1838  als  erste  Locomotiv- 
bahn  Oesterreichs  die  Kaiser  Ferdinands- 
Nordbahn  eröffnet  wurde,  deren  Fahr- 
betriebsmittel nach  englischen  Normalien 
beschafft  worden  waren,  gelangten  zwei- 
achsige Wagen  mit  steifem  Radstande  von 
circa  2*4  m  zur  Anwendung,  welche  bei 
den  grossen  Krümmungsradien  dieser 
Bahn  kein  Bedürfnis  nach  verstellbaren 
Achsen  aufkommen  Hessen. 

Für  die  im  Jahre  1841  eröffnete  Wien- 
Gloggnitzer  Eisenbahn  sowie  für  die 
gleichzeitig  in  Bau  genommenen  Linien 
der  österreichischen  Staatsbahnen  wurde 
die  Type  der  vierachsigen  amerikanischen 


Wagen  acceptirt.  Diese  Wagen  hatten 
zweiachsige  Trucks  von  i*2 — 1*5  tn  Rad- 
stand, und  Drehzapfen-Entfernungen  von 
6-0— 6'8  nt.  Um  eine  mehr  gleichmässige 
Unterstützung  des  Untergestelles  der  vier- 


Ahh.  310.    Lenkachsen  von  F.  Wetzlicb.  (1843.] 


7rt^:>=f^fe^- 


achsigen  Wagen  zu  erzielen,  wurden  in 
den  Jahren  1 851  — 1854  für  die  Staats- 
bahnlinien vierachsige  Wagen  ohne  Dreh- 
gestelle gebaut,  bei  welchen  die  beiden 
mittleren  Achsen,  so  wie  bei  zweiachsigen 
Wagen  parallel  geführt  wurden,  während 
die  beiden  Endachsen  schräge  geführte 
Achsbüchsen  erhielten,  durch  welche  die 
Endachsen  in  Geleisekrümmungen  in  eine 
radiale  Stellung  gebracht  werden.     Diese 


496 


Julius  von  Ow. 


von  Adams  construirte  Achsenanordnung 
hat    sich  bei  geringen  Fahrgeschwindig- 


Noch  in  den  Achtziger-Jahren  waren 
nur    steif   geführte    Achsen    tlblich,   für 


keiten    gut    bewährt,    und    sind    solche  i  welche    man  Radstände  bis   5  m,  über- 


Wagen    heute  noch  im  Betriebe.     [Abb. 
312  uiid  313.] 

Obwohl  im  Jahre  1841  und  in  den 
folgenden  Jahren  die  vierachsigen  Wagen 
in  Oesterreich  die  be- 
vorzugte Wagentype 
waren,  nach  welcher  die 
Ausrüstung  der  damals 
im  Bau  begriffenen 
Bahnen  erfolgte,  so 
konnten  sich  dieselben 
den  Vorzug  vor  den 
zweiachsigen  Wagen 
für  die  Dauer  doch 
nicht  erhalten,  so  dass, 
während  letztere  weiter 
verbessert  und  ausge- 
bildet wurden,  die  vier- 
achsigen Wagen  all- 
mählich auf  den  Aus- 
sterbe-Etat  gesetzt  wur- 
den.    Nach  dem  Jahre 


-<  - 


Abb.  313.    Achsbuchse  von  Adams.  [l8si.] 


wiegend  jedoch  solche  von  3— 4  m 
anwendete.  Als  jedoch  das  Bedürfnis 
eintrat,  noch  längere  Radstände  auszu- 
führen   und    steif  geführte    Achsen  für 

Linien  mit  kleinen  Bö- 
gen nicht  mehr  unbe- 
schränkt zulässig  er- 
schienen, kamen  die 
verstellbaren  Achsen, 
welche  seinerzeit  bei 
der  Linz-Budweiser 
Pferdebahn  üblich  wa- 
ren, wieder  zur  Geltung. 
Der  Verein  Deutscher 
Eisenbahn  -  Verwaltun- 
gen, unterzog  in  den 
Jahren  1884  und  18S5 
die  Frage  der  Zulässig- 
keit  verstellbarer  Ach- 
sen eingehenden  Be- 
rathungen  und  Erpro- 
bungen,   deren  Ergeb- 


Abb.  313.    Personenwagen  mit  Adams- Achsen.  [i%2.] 


1854  wurden  vierachsige  Wagen  durch 
etwa  40  Jahre  in  grösserer  Anzahl  nicht 
mehr  gebaut.  Es  waren  verschiedene  Mo- 
mente, welche  gleichzeitig  zusammen- 
wirkten, um  zu  jener  Zeit  den  zweiachsigen 
Wagen  wieder  den  Vorrang  zu  sichern. 
Einerseits  fand  man  es  vortheilhafter,  über- 
haupt kürzere  Wagen  zu  bauen,  anderer- 
seits vergrösserte  man  allmählich  den  Rad- 
stand der  zweiachsigen  Wagen  sowie  auch 
die  Stärke  der  Achsen,  wodurch  man  zwei- 
achsige Wagen  erhielt,  deren  Radstand  und 
Fassungsraum  sich  jenem  der  alten  vier- 
achsigen Wagen  näherte.  Man  zog  es  vor, 
in  Fällen,  wo  längere  Wagen  erforderlich 
wurden,    dreiachsige    Wagen    zu    bauen. 


nis  die  Approbirung  der  zulässigen  Con- 
structionen  als  »Vereins- Lenkachsen« 
war.  Zuerst  wurden  die  zwangläufigen 
und  kraftschlüssigen  Lenkachsen  als 
Vereins  -  Lenkachsen  approbirt,  die  aui 
dem  Constructionsprincipe  der  vorerwähn- 
ten Pferdebahnwagen  beruhten,  sodann 
wurden  auch  freie  Lenkachsen  für  unge- 
bremst eWagen  und  schliesslich  [1890]  auch 
solche  für  gebremste  Wagen  als  zulässig 
erkannt.  Infolge  des  Umstandes,  dass 
letztere  Gonstruction  gar  keine  Mehr- 
kosten verursacht  und  die  Anwendung 
von  grossen  Radständen  zulässt,  wurde 
seit  dem  Jahre  1890  der  Bau  von  kraft- 
schlüssigen Lenkachsen  nahezu  gänzlich 


497 


verlassen  und  kamen  dagegen  die  freien 
Lenkachsen  in  ausgedehntem  Masse  zur 
Anwendung.  Seither  werden  zwei-  und 
dreiachsige  Wagen  bis  zu  7  m  Rad- 
stand gebaut. 

Obwohl  durch  die  Anwendung 
von  Lenkachsen  grössere  Radstände 
und  mithin  auch  längere  Wagen  zulässig 
wurden,  so  ergab  sich  doch  das  Be- 
dürfnis, sowohl  in  der  Länge  als  auch 
im  Gewichte  der  Wagen  noch  weiter 
zu  gehen,  und  da  hiefUr  zwei  und  drei 
Achsen  nicht  mehr  ausreichend  waren, 
so  wendete  sich  die  Aufmerksamkeit  der 
Constructeure    wieder  den  seit  mehreren 


baut  werden,  wogegen  fUr  Guterwagen 
mit  Ausnahme  von  Specialwagen  nahezu 
ausschliesslich  die  zweiachsigen  Typen 
beibehalten  sind. 

Die  neuartigen  Drehgeste II wagen  wer- 
•den  mit  Drehgestellen  von  durchschnittlich 
3-5  m  Radstand  (Abb.  314],  bei  einer 
Drehzapfen-Entfernung  von  12  m,  einer 
Untergestell -Länge  von  16—17  »»  und 
einem  Eigengewicht  von32. 000 — 35. 000 A^ 
ausgeführt.  Bei  zweckmässiger  Federung 
und  Gewichtsvertheilung  gestatten  solche 
Wagen  einen  ruhigen  Gang,  grosse 
Fahrgeschwindigkeiten  und  ein  leichtes 
Durchfahren  der  BahnkrQmmungen. 


Abb.  HA.    Drebeeitclle  ein«  vi« 

Decennien  wenig  beachteten  vierachsigen 
Wagen  zu.  Es  hatten  sich  im  Laufe 
der  Jahre  im  Wagenbau  so  viele  Neu- 
erungen und  Verbesserungen  ergeben,  dass 
die  neuen  vierachsigen  Wagen  mit  den 
in  den  Vierziger-Jahren  üblichen  Typen 
kaum  mehr  als  das  Prineip  der  Dreh- 
gestelle gemeinsam  haben.  Die  in  Oester- 
reich  seit  dem  Jahre  1894  wieder  in 
grösserer  Anzahl  gebauten  vierachsigen 
Wagen  sind  so  ziemlich  nach  dem 
Muster  der  Wagen  der  Internationalen 
Schlafwagen -Gesellschaft  und  diese 
wieder  nach  amerikanischen  Vorbildern 
gebaut. 

Nachdem  das  Bedürfnis  nach  langen 
schweren  Wagen  hauptsächlich  für  Luxus- 
oder Schnellzugswagen  zur  Geltung 
kommt,  so  sind  es  auch  insbesonders 
Salon-  und  Personenwagen,  welche  in 
Oesterreich    als    vierachsige  Wagen  ge- 

Geicblctate  dei  EiseDbatmeu.  II. 


b)  Buffer  und  Zugvorrichtungen. 

Die  St oss Vorrichtungen  wurden  noth- 
wendig,  sobald  man  mehrere  Fahrzeuge 
mittels  eines  Motors  fortzubewegen  be- 
gonnen hatte.  Die  älteste  Form  der 
Sto  SS  Vorrichtungen  ist  die  einfache  Ver- 
längerung der  Langträger,  so  dass  bei 
der  Zusammenstellung  einer  Wagen  reihe 
diese  stumpf  zusammen s tos sen.  Für  Bahn- 
wagen etc.  wird  diese  einfache  Construc- 
tion  heute  noch  angewendet  und  in 
England  findet  man  dieselbe  auch  noch 
in  neuerer  Zeit  bei  Güterwagen  von 
Hauptbahnen. 

Bei  den  ersten  Loco  motivbahnen 
in  Oesterreich  bestanden  bereits  bei  eng- 
lischen Fahrbelriebsmitteln  elastische 
Buffer;  die  hölzernen,  mit  R  oss  haar  gepol- 
sterten und  mit  Leder  überzogenen  Stoss- 
scheiben  der  Buffer  waren  auf  Stangen  be- 
32 


498 


Julius  von  Ow. 


festigt,  deren  Ende  auf  eine  horizontale 
Blattfeder  wirkte.  Diese  Einrichtung  fand 
jedoch  bei  den  ersten  Wagen  der  Kaiser 
Ferdinands-Nordbahn  nur  an  Wagen  I. 
und  IL  Classe  statt,  während  jene 
III.  Classe  mit  ungefederten  gepolsterten . 
Stossballen  versehen  waren. 

In  den  Vierziger-Jahren  bestand  noch 
nicht  das  Bedürfnis  nach  Freizügigkeit 
der  Wagen,  man  konnte  sich  damit  be- 
gnügen, wenn  nur  die  eigenen  Wagen 
zusammenpassten.  Dies  kam  in  der  ver- 
schiedenen Bufferanordnung  der  ver- 
schiedenen Bahnen  am  deutlichsten  zum 
Ausdruck.  Es  gab  eine  belgische,  eine 
badische  und  eine  bayrische  Buiferweite 
und  wieder  von  diesen  abweichend  war 
die  weite  [englische]  Bufferstellung  der 
Kaiser  Ferdinands-Nordbahn  und  die  enge 
amerikanische]  Bufferweite  der  k.  k.  Staats- 
3ahnen.  Durch  die  Anschlüsse  der  Nord- 
bahn und  k.  k.  Staatsbahnen  sowie  durch  die 
wechselnden  Eigenthumsverhältnisse  trat 
zunächst  für  diese  Bahnen  das  Bedürfnis 
nach  einer  einheitlichen  Bufferstellung  zu 
Tage,  und  man  entschloss  sich,  die  enge 
Bufferweite  zu  acceptiren  und  reconstruirte 
die  Wagten  der  Kaiser  Ferdinands- Nord- 
bahn  auf  enge  Buffer  weite.  [66d  mm.] 
Doch  nicht  lange  konnte  diese  Ein- 
heitlichkeit bestehen.  Die  Versammlung 
der  deutschen  Eisenbahn-Techniker  im 
Jahre  1850  in  Berlin  stellte  einheitliche 
Normen  für  die  Bufferabmessungen  auf, 
welche  schon  früher  bei  den  norddeutschen 
Bahnen  eingeführt  waren ;  dieselben  Be- 
stimmungen gingen  in  die  .technischen 
Vereinbarungen  des  Vereins  deutscher 
Eisenbahn  -  Verwaltungen«  über,  und 
brachten  die  so  nothwendige  Ueberein- 
stimmung  in  diesen  Abmessungen  zu- 
stande. Infolgedessen  mussten  die  öster- 
reichischen Bahnen  das  enge  Buffersystem 
wieder  verlassen,  um  endgiltig  zu  dem 
Vereinsnormale  überzugehen. 

Man  findet  bei  den  alten  Wagen 
mit  enger  Bufferstellung  meistens  die 
Anordnung  getroffen,  dass  der  Zughaken 
mit  einer  horizontal  liegenden  Blattfeder 
verbunden  ist,  deren  Enden  beiderseits 
sich  auf  die  nach  innen  verlängerten 
Bufferstangen  stützen.  Die  Feder  war 
somit  zugleich  Zug-  und  Stossfeder,  die 
einwirkenden  Kräfte    wurden    durch  An- 


sätze oder  Keile  in  den  Zug-  und  Stoss- 
Stangen  auf  die  Brust  des  Wagens  über- 
tragen, welche  dadurch  sehr  in  Anspnich 
genommen  wurde.  Infolge  der  Erwei- 
terung der  Bufferstellung  wurde  diese 
Anordnung  unbequem,  weil  sehr  lange 
und  schwere  Federn  nothwendig  wurden. 
Man  trennte  daher  die  Federung  dieser 
Bestandtheile,  versah  jeden  Buffer  mil 
separater  Feder  und  ebenso  die  Zugvor- 
richtung. Nachdem  sich  für  letztere 
Blattfedern  wenig  eigneten,  wurden  Volut- 
federn oder  eine  Reihe  übereinander 
gelegter  Gummiringe  angewendet.  Die 
Brust  des  Wagens  entlastete  man  dadurch, 
dass  die  elastische  Verbindung  in  die 
Zugstange  gelegt  wurde,  so  dass  durch 
diese  die  Zugkraft  fortgepflanzt  und  auf 
das  WagengesteUe  nur  die  für  die  Be- 
wegung des  einzelnen  Wagens  erforder- 
liche Kraft  übertragen  wurde.  Ein  Uebel- 
stand  hiebei  war,  dass  die  ganze  Zug^kratt 
durch  die  Federn  der  ersteren  Wagen 
Obertragen  werden  musste,  wodurch  diese 
übermässig  in  Anspruch  genommen  wur- 
den, während  diese  Inanspruchnahme 
sich  gegen  das  Ende  des  Zuges  immer 
mehr  verminderte.  Eine  wesentliche 
Verbesserung  wurde  durch  den  damali- 
gen Ober-Ingenieur  der  Südbahn,  Herrn 
F.  Fischer  von  Rösslerstamm,  im  Jahre 
1849  bei  Wagen  der  Semmeringbahn  ein- 
geführt, indem  derselbe  die  Zugstangen- 
theile  unter  dem  Wagen  fest  verband 
und  die  Feder  zwischen  der  Zugstange 
und  dem  Wagenuntergestelle  einschaltete. 
Es  bildete  somit  die  Zugvorrichtung 
längs  des  ganzen  Zuges  eine  Stangen- 
kette von  constanter  Länge,  von  welcher 
aus  durch  die  einzelnen  Federn  die  Zug- 
kraft auf  je  einen  Wagen  übertragen 
und  hiedurch  die  Inanspruchnahme  sämmt- 
lieber  Federn  eine  nahezu  gleiche  wurde. 
Der  Vortheil  dieser  durchgehenden 
Zugvorrichtung  war  ein  so  eingreifender, 
dass  dieselbe  bei  allen  Vereinsbahnen 
rasche  Verbreitung  fand,  und  heute 
noch  nahezu  ausschliesslich  angewendet 
wird.  Die  vorzügliche  Qualität  der  Stahl- 
federn, deren  Erzeugung  insbesonders 
eine  Specialität  österreichischer  Werke 
ist,  hatte  zur  Folge,  dass  bei  den  öster- 
reichischen Bahnen  vorzugsweise  Volut- 
fedeni  nach    der  von  Baillie   im  Jahre 


1845  constniirten  Schraubenform  für 
Zug  Vorrichtungen  und  Buffer  verwendet 
wurden.  Die  separate  Federung  jedes 
einzelnen  Buffers  hat  bei  langen  Wagen 
den  Nachtheil,  dass  die  Differenz  der 
Bufferpressung  in  Bogen  Stellungen  sehr 
bedeutend  wird,  Um  dies  zu  vermeiden, 
wird  bei  vierachsigen  Wagen  gewöhnlich 
eine  Balancierverbindungzwischen  den  bei- 
den Buffern  einer  Stirnseite  hergestellt. 
[Abb.  315  und  315a.]  Bei  allen  diesen 
Bufferanordnun- 
gen   wird     das 

Untergestelle 
des  Wagens  zur 

Uebertragung 
des  Druckes  von 
Wagen  zu  Wa- 
gen in  Anspruch 
genommen.  Im 
Jahre  1894  wur- 
de von  dem  Di- 
rector  der  Nes- 
sel sdorfer  Wag- 
gonfabrik, Herrn 
Hugo  Fischer 

von  Rössler-  Ab 

stamm,  durch 
eine  sinnreiche 
Construction  die 

durchgehende 
Zugstange  auch 
zur      Uebertra- 
gung  des  Dru-    ^^^  ^^^^    ^      ^^  siohvoiti 
ckes  der   Buffer 

benützt,  [Abb.  316  und  316a.]  Diebeiden, 
aus  vierkantigen  Röhren  hergestellten 
Bufferstangen  sind  schräge  gegen  die  Un- 
tergestellmitte gelegt  und  fest  miteinander 
verbunden,  so  dass  sie  ein  starres  Gan- 
zes bilden,  welches  durch  einen  Bolzen 
mit  der  Zugstange  horizontal  drehbar 
verbunden  ist.  Die  Theile  der  zwei- 
theiligen Zugstange  sind  durch  eine 
Muffe  mit  Keilschhtzen  verbunden,  welche 
eine  Verschiebbarkeit  innerhalb  bestimm- 
ter Grenzen  gestattet.  Durch  drei  Volut- 
fedem,  von  welchen  zwei  als  Zug- 
federn und  eine  als  Stossfeder  functio- 
niren,  ist  die  Federung  nach  beiden 
Richtungen  erzielt.  In  neuester  Zeit 
wird  nur  eine  Volutfeder  verwendet, 
welche  sowohl  als  Zug-  wie  auch  als 
Stossfeder  dient.    Bei  dieser  Construction 


ist  eine  einseitige  Bufferpressung  in 
Krümmungen  vollkommen  vermieden  und 
hat  das  Wagengestelle  nur  die  für  seine 
eigene  Bewegung  erforderlichen  Zug- 
und  Stosskräfte  aufzunehmen,  Wagen 
dieser  Type  wurden  im  Jahre  1895  für 
die  k.  k.  Staatsbahnen  gebaut  und  wa- 
ren Ende  1896  bei  verschiedenen  Bahnen 
circa  80  Stück  diverse  Wagen  mit  der 
Fischer'schen  Zug-  und  Stoss Vorrichtung 
im  Betrieb. 

cj  Kuppelun- 
gen. 

Die  Kuppe- 
lung der  Wagen 
wurde  in  erster 
Zeit  durch  Ha- 
ken und  einfache 
Ketten  bewirkt, 
welche  Anord- 
nung bis  zu  den 
Siebziger-Jahren 
vorherrschend 
bei  Güterwa- 
gen angewendet 
3 IS.  wurde,    obwohl 

bereits  in  den 
Dreissiger-Jah- 
ren  die  Schrau- 
benkuppelung 
in  England  be- 
stand. Für  Per- 
sonenwagen 
wurden  auch  in 
Oesterreich  bereits  bei  den  ersten  Aus- 
rüstungen Schraubenkuppelungen  ver- 
wendet. Nachdem  die  Wagenkuppelung 
eine  der  wichtigsten  Fragen  für  den 
Durchgangsverkehr  der  Wagen  bildete, 
so  waren  seit  Bestand  des  Vereins 
Deutscher  Eisenbahn -Verwaltungen  ge- 
naue bindende  Vorschriften  für  dieselbe 
aufgestellt,  und  konnten  Aenderungen  nur 
durch  Vereinsbeschlüsse  eingeführt  wer- 
den. Eine  der  wesentlicheren  Aende- 
rungen war  die  Einführung  von  Sicher- 
heitskuppelungen als  Ersatz  fUr  die  Noth- 
ketten,  und  die  Eliminirung  der  Ketten- 
kuppelungen von  sämmtlichen  Wagen. 
Seit  den  Sechziger-Jahren  befasste 
man  sich  damit,  Kuppelungen  zu  con- 
struiren,  welche  die  Gefahr  des  Einkup- 
peins zwischen  den  Wagen  entweder  durch 
32* 


Inghoff«.    [iSk] 


500 


Julius  von  Ow. 


automatisch  wirkende  oder  durch  von 
aussen  zu  bedienende  Vorrichtungen 
beseitigen  sollten. 

Als  im  Jahre  1875  der  Verein 
Deutscher  Eisenbahn-Verwaltungen  einen 
Preis  für  die  beste  Lösung  dieser 
Aufgabe  ausschrieb,  entstand  geradezu 
eine  Kuppelungserfindungs-Epidemie  und 
man  konnte  in  allen  Eisenbahn-Werk- 
stätten projectirte,  versuchte  und  zurück- 
gelegte Kuppelungen  finden.  Der  Preis 
wurde  zwar  dem  damaligen  Gentral- 
Inspector  der  Kaiser  Ferdinands -Nord- 
bahn, Herrn  L.  Becker,  zuerkannt,  doch 
konnte  auch  diese  Kuppelung  in  der 
Praxis  für  die  Dauer  nicht  Eingang 
finden.  Es  blieb  mithin  so  ziemlich  beim 
Alten,  und  nachdem  die  Fachmänner  sich 
klar  darüber  wurden,  dass  beim  Zwei- 
buffer-System die  gestellten  Bedingungen 
derart  sind,  dass  eine  praktische  Con- 
struction  einer  automatischen  Kuppelung 
unerreichbar  ist,  so  nahm  auch  die  Zahl  der 
Erfinder  in  Fachkreisen  immer  mehr  ab. 


d)  Räderpaare, 

Die  Entwicklung  in  der  Fabrication 
der  Wagenräderpaare  steht  in  directem 
Zusammenhange  mit  den  Fortschritten 
in  der  Eisenindustrie.  Wenn  auch  die 
österreichischen  Eisenwerke  seit  jeher 
durch  die  Herstellung  eines  vorzüglichen 
Materials  sich  auszeichneten,  so  blieben 
sie  doch  hinsichtlich  der  Grösse  der 
Anlagen,  Leistungsfähigkeit  und  des 
Marktpreises  gegen  die  englischen  und 
deutschen  Werke  zurück,  und  es  gab 
wiederholt  Zeitperioden,  besonders  Ende 
der  Sechziger-Jahre,  in  welchen  ein  Theil 
des  Räderpaar-Materials  aus  dem  Aus- 
lande bezogen  werden  musste. 

Die  ältesten  Achsen,  an  deren  Fabri- 
cation die  meisten  grösseren  inländischen 
Eisenwerke  betheiligt  waren,  wurden  aus 
Schweisseisen  hergestellt.     Als  Ende  der  1 
Sechziger -Jahre      die      Erzeugung     des  ' 
Bessemerfluss-Stahles  auch  in  Oesterreich   ; 
Eingang  gefunden  hatte  und  gleichzeitig 
die    Leistungsfähigkeit    der    Werke    eine 
Steigerung  erfuhr,  erreichte  auch  die  Her- 
stellung der  Achsen    und  Radreifen    aus 
Schweisseisen      ihr     Ende     und     wurde 


fortab  hiefür  nur  Bessemerstahl,  später 
auch  Thomasfiuss-Stahl  und  Martinfluss- 
Stahl  verwendet.  Tiegelguss-Stahl  wd 
für  Wagenachsen  und  Tyres  nur  aus- 
nahmsweise verwendet  und  hiezu  noch 
vielfach  aus  dem  Auslande  bezogen. 

Die  ältesten  Eisenbahnräder  waren 
aus  gewöhnlichem  Gusseisen,  als  Spei- 
chenräder, in  einem  Stück  gegossen; 
in  Oesterreich  gelangten  jedoch  solche 
Räder  nur  auf  den  alten  Pferdebahnen 
und  für  Bahnwagen  in  Verwendung,  die 
mit  den  ersten  Locomotiv- Eisenbahnwa- 
gen importirten  Räder  waren  bereits  mit 
schmiedeeisernen  Speichen  und  Radreifen 
versehen.  Durch  lange  Zeit,  bis  Mitte 
der  Siebziger-Jahre,  war  das  Speichenrad 
mit  Kranz  und  Speichen  aus  Flacheisen 
und  gusseisemer  Nabe  [Losh-Rad]  das 
beliebteste  Rad,  welches  auch  in  den 
meisten  grossen  Werken  Oesterreichs 
erzeugt  wurde;  nachdem  jedoch  aus 
dem  Auslande  mehr  und  mehr  Radsteme 
mit  geschweisster  Nabe  eingeführt  wur- 
den, so  gingen  auch  die  österreichischen 
Werke  auf  die  Erzeugung  geschweisster 
Radsteme  über.  Wiederholt  wurden 
Versuche  gemacht,  die  schmiedeeisernen 
Speichenräder  durch  Scheibenräder  glei- 
cher Qualität  zu  ersetzen,  und  verschie- 
dene Erzeugungsarten  angewendet,  unter 
welchen  besonders  das  Wickelrad 
von  Krupp  und  das  Walzscheibenrad 
von  Bochum  grosse  Verbreitung  fanden. 
Durch  diese  ausländische  Concurrenz 
gedrängt,  begannen  auch  die  inländischen 
Werke  sich  auf  die  Erzeugung  von 
Scheibenrädern  aus  Flusseisen  zu  ver- 
legen, und  es  ist  ihnen  gelungen,  in 
neuester  Zeit  solche  Radscheiben  zu  er- 
zeugen, welche  allen  Anforderungen 
entsprechen. 

Nebst  dem  eisernen  Rade  wurden 
auch  Radscheiben  aus  Holz  und  Papier 
angefertigt.  Die  hölzernen  Räder  in 
Nachbildung  der  Sprossen  Wagenräder 
[Speichenräder]  wurden  bereits  in  der 
ersten  Zeit  des  Eisenbahnbetriebes  ver- 
wendet, konnten  aber  für  die  Dauer  den 
Anforderungen  nicht  genügen.  Besser 
bewährten  sich  die  Blockräder  von  Busse, 
welche  im  Jahre  1844  bei  der  Leipzig- 
Dresdener  Bahn  eingeführt  wurden. 
Nach  mehrfachen  Verbesserungen  %vurde 


ein  sehr  gutes  Blockrad  in  England  er- 
zeugt und  auch  in  Deutschland  aus- 
geführt. Diese  Holzräder  sind  sehr 
dauerhaft  und  unterliegen  nicht  den 
Vibrationen  wie  die  eisernen  Räder, 
weshalb  sie  auch  geräuschloser  laufen. 
In  Oesterreich  kommen  dieselben  nur 
vereinzelt  bei  Salonwagen  vor. 

Von  ähnlicher  Construction    sind  die 
Papierräder,    bei  weichen    nur   an  Stelle 
der  Holzsegmentscheibe    eine    aus   zahl- 
reichen Pappendeckelschichten  bestehende 
Scheibe       ver- 
wendet     wird, 
welche  bei  An- 
wendung  eines 
Klebestoffes  un- 
ter sehr  hohem 

mengepresst  ist. 
Man  erzielte  mit 
diesen  Rädern, 
welche  bei  Van 
der  Zypen  in 
Deutz    erzeugt 

wurden,  in       i 

Deutschland  I 
gute  Resultate. 
Als  im  Jahre 
i«85  der  Ver- 
such gemacht 
wurde,  diese 
Räder  auch  in 
Oesterreich  ein- 
zuführen und  Abb.  Jl6a.  Zug-  und  Sto 
ein  dreiachsiger  ""'  "' 
Salonwagen  der  k.  k.  Staatsbahnen  mit 
solchen  Rädern  versehen  wurde,  ereignete 
sich  der  Unfall,  dass  eines  dieser  Räder 
während  der  Fahrt  total  zerbrach,  glück- 
licherweise ohne  weitere  böse  Folgen. 
Dieser  Umstand  bereitete  der  Anwendung 
von  Papierrädern  in  Oesterreich  ein  jähes 
Ende. 

Nebst  den  Rädern  mit  aufgezogenen 
Radreifen  sind  noch  die  aus  einem  Stück 
erzeugten  Räder  zu  erwähnen.  Diese 
Räder,  zu  welchen  auch  die  allerersten 
gegossenen  Speichenräder  zu  zählen  sind, 
werden  aus  Gusseisen  oder  Guss-Stahl 
erzeugt.  Die  ältesten  gusseisemen  Räder 
waren  an  der  Lauffläche  zu  weich  und 
war  besonders  die  Speichenform  un- 
günstig gewählt,    es   konnte    daher    das 


Gusseisenrad  kein  besonderes   Vertrauen 
gewinnen.  Amerika,  das  Land  des  Guss- 
eisens,   war    infolge  seines  vorzüglichen 
Materials    in  der  Lage,    die   Räder    mit 
Vortheil  aus  Gusseisen  zu  erzeugen;  da- 
bei gewann  die  Erzeugung  von  Hartguss 
[Coquitlenguss]  in  Amerika  immer  mehr 
Anwendung,  während  dieselbe  in  Europa 
noch    nahezu   unbekannt  war.    Der    Co- 
quillenguss    eignet    sich    ganz  besonders 
für  Räder,  weil  diese  einen  zähen  weichen 
Körper    und   eine    harte    Lauffläche    er- 
fordern. In  rich- 
tiger   Erkennt- 
nis dieses  Um- 
standes  begann 
im  Jahre   1854 

Abraham 
Ganz  in  Ofen 
die  Herstellung 
von       Schalen- 

gussrädem. 
Durch  gründli- 
che Fachkennt- 
nis und  Verwen- 
dung von  vor- 
züglichem un- 
'  garischem  Holz- 

kohl eneisen  ge- 
lang es  demsel- 
ben    ein     Rad 

herzustellen, 
welches  fest  und 
dauerhaft  war. 
Die  vielen  com- 
mission  eilen  Er- 
probungen dieser  Räder  ergaben  beach- 
tenswerthe  gute  Resultate;  es  erfolgten 
Probe- Bestellungen  von  der  österreichi- 
-  sehen  Staatsbahn  und  Südbahn,  und  die 
Theissbahn  bezog  bereits  im  Jahre  1857 
eine  grosse  Anzahl  solcher  Räder. 

Noch  hatte  das  Schalengussrad  manche 
Mängel,  welche  eine  rasche  Abnützung 
und  viele  Ersätze  zur  Folge  hatten.  Die 
Firma  Ganz  &  Co.  fand  sich  daher  ver- 
anlasst, eingehende  Studien  Über  die  vor- 
kommenden Gebrechen  zu  machen,  die 
schadhaften  Räder  genau  zu  untersuchen 
und  die  Ursachen  der  Mängel  zu  er- 
gründen. Dies  führte  dann  auch  zu  mehr- 
fachen Verbesserungen  in  der  Erzeugung 
und  in  der  Form  der  Räder,  welche 
einen    entschiedenen  Erfolg    hatten.    Im 


502 


Julius  von  Ow. 


Jahre  1869  ging  das  Etablissement  an 
eine  Actien-Gesellschaft  über,  welche  mit 
den  bewährten  Kräften  die  Vervollkomm- 
nung ihrer  bereits  einen  vorzüglichen 
Ruf  erlangten  Fabrikate  fortsetzte.  Den 
Leistungen  dieser  Firma  ist  es  in  erster 
Linie  zuzuschreiben,  dass  das  Schalen- 
gussrad ein  specifisch  österreichisches 
Erzeugnis  wurde,  und  dass  die  öster- 
reichischen Bahnen  von  demselben  reich- 
lichen Gebrauch  machten.  Bis  in  das 
letzte  Decennium  war  es  bei  diesen  so 
ziemlich  allgemein  üblich,  die  Güter- 
wagen ohne  Bremse  mitSchalengussrädem 
zu  versehen.  Wenn  auch  die  Firma 
Ganz  &  Co.  die  erste  Stellung  unter 
den  Schalenguss-Fabrikanten  einnimmt,  so 
waren  doch  auch  andere  Firmen,  welche 
ganz  Vorzügliches  leisteten,  so  Gruson 
in  Magdeburg  und  das  gräflich  Andrässy- 
sche  Eisenwerk  Demo  in  Ungarn,  ins- 
besonders  war  letzteres  stark  an  den 
Lieferungen  für  Oesterreich- Ungarn  be- 
theiligt und  verdienen  dessen  Leistungen 
umsomehr  Anerkennung,  als  die  Fabriks- 
anlagen nie  die  Ausdehnung  der  Ganz- 
schen  erlangten. 

Obwohl  bei  der  grossen  Anzahl  der 
im  Betrieb  befindlichen  Schalengussräder 
Betriebsanstände  und  -Unfälle  in  ver- 
schwindender Anzahl  vorkamen,  so  be- 
stand doch  stets  ein  gewisses  Misstrauen, 
diese  Räder  für  schnell  fahrende 
ZiXgt  zuzulassen,  weshalb  sie  von  den 
Personenzügen  ausgeschlossen  waren. 
Ausserdem  wagte  man  es  nicht,  diese 
Räder  zu  bremsen.  Die  Erhöhung  der 
Radbelastung  bei  Güterwagen  hatte  zur 
Folge,  dass  die  Verwendung  der  Schalen- 
grussräder  in  den  letzten  Jahren  abnahm 
und  auch  für  Güterwagen  ohne  Bremse 
Scheibenräder  mit  Radreifen  aus  Fluss- 
Stahl  bevorzugt  wurden.  Die  Ausstellung 
in  Chicago  im  Jahre  1893  bot  den 
Eisenbahn- Fachmännern  Gelegenheit,  sich 
in  Amerika  zu  überzeugen,  dass  das  ge- 
gossene Rad  dort  allgemein  auch  unter 
Bremsvvagen  verwendet  werde,  und  die 
Firma  Ganz  &  Co.  verabsäumte  nicht, 
die  dortige  Fabrications- Methode  nach 
Oesterreich  zu  übertragen.  Die  genannte 
Firma  importirte  erst  amerikanische 
Räder  nach  Oesterreich  und  beo:ann 
auch     Räder     nach     Griffin -System     in 


Leobersdorf  zu  erzeugen.  Diese  Räder 
gelangen  unter  gebremsten  Erzwagen 
der  k.  k.  österreichischen  Staatsbahnen 
probeweise  zur  Verwendung.  Es  ist 
zu  erwarten,  dass  es  voraussichtlich 
gelingen  wird,  das  GrifBnrad  zum  würdi- 
gen Nachfolger  des  Schalengussrades 
nicht  nur  in  Oesterreich,  sondern  auch 
in  ganz  Europa  zu  machen. 

Die  ältere  Methode,  die  Radreifen 
zu  erzeugen,  bestand  darin,  dass  gerade 
Stäbe  vom  Profil  der  Radreifen  gewalzt 
und  auf  bestimmte  Längen  abgeschnitten, 
sodann  zu  einem  Ringe  gebogen  und 
verschweisst  wurden. 

Diese  für  Schmiedeeisen  angewendete 
Methode  wurde  bereits  in  den  Sechziger- 
Jahren  verlassen,  indem  man  begann,  aus 
einem  Klotz  einen  Ring  auszuschmieden, 
und  diesen  sodann  auf  das  Profil  auszuwal- 
zen. Mit  Beginn  der  Fluss-Stahl-Erzeugung 
Ende  der  Sechziger -Jahre  wurde  aus- 
schliesslich dieser  oder  Tiegelguss-Stahl 
zur  Radreifen- Fabrication  verwendet. 

Die  Verbindung  der  Radreifen  mit 
dem  Radkranze  erfolgt  in  erster  Linie 
durch  warmes  Aufziehen.  Zur  weiteren 
Befestigung  wurden  bis  zu  Anfang  der 
Siebziger-Jahre  Nieten  oder  Schrauben 
verwendet.  Letzteren  gab  man  im  Rad- 
reifen eine  conische  Form,  so  dass 
bei  dem  jeweiligen  Abdrehen  des  Rad- 
reifens keine  Lockerung  der  Schrau- 
ben entstand.  Zur  Erzeugung  der  Schrau- 
ben verwendete  man  alte  Radreifen,  um 
ein  möglichst  gleichartiges  Material  im 
Radreifen  und  in  den  Schrauben  zu  er- 
halten. Durch  die  Schrauben  bolzen  oder 
Nieten-Bohrungen  wurde  der  Radreifen 
stellenweise  sehr  verschwächt  und  es 
ist  daher  erklärlich,  dass  Querrisse 
grösstentheils  durch  die  Schraubenlöcher 
erfolgten.  Man  trachtete  diesen  Mangel 
theilweise  dadurch  zu  vermeiden,  dass 
man  die  Schraube  nicht  durch  den  gan- 
zen Radreifen  gehen,  sondern  nur  ein 
kurzes  Stück  in  den  Radreifen  ein- 
dringen Hess.  Für  diese  Befestigung 
konnten  keine  Mutterschrauben  verwendet 
werden  und  das  Gewinde  musste  mit 
wenigen  Gängen  in  den  Radreifen 
geschnitten  werden.  Die  Haltbarkeit 
solcher  Schrauben  bei  Reifenbrüchen 
war    eine    sehr    zweifelhafte,    umsomehr 


Wagenbau. 


503 


als  die  Ausführung  schwer  zu  contro- 
liren  war.  Diese  verschiedenen  Mängel 
der  Schraubenbefestigung  erregten  Mitte 
der  Siebziger-Jahre  das  Bedürfnis  nach 
etwas  Besserem,  und  das  Schlagwort 
»continuirliche  Radreifen-Befestigung«  be- 
schäftigte die  Erfinder.  Von  den  ver- 
schiedenen, zur  Ausführung  gelangten 
Radreifen-Befestigungen  ist  die  Spreng- 
ring -  Befestigung  von  Gluck  und 
C  u  r  a  n  t  in  O esterreich  am  meisten  ver- 
breitet. 

e)  Achslager. 

Einer  der  wichtigsten  Bestandtheile 
des  Wagens  ist  das  Achslager  und  die 
Schmiervorrichtung,  weil  diese  Theile 
im  Zusammenhang  mit  dem  Schmier- 
material bedeutende  Ausgaben  der  Bahnen 
in  Anspruch  nehmen  und  den  wesent- 
lichsten Einiluss  auf  die  Belastung  der 
Züge  und  die  Leistung  der  Zugkraft 
ausüben.  Es  war  daher  seit  Bestehen 
der  Eisenbahnen  ein  fortwährendes  Be- 
streben, einerseits  gutes  und  billiges 
Schmiermaterial  herzustellen,  anderer- 
seits entsprechende  Lager  hiefür  zu 
construiren.  Lagerconstructionen  und 
Schmiermaterial  stehen  daher  in  engem 
Zusammenhange  und  waren  auch  stets 
von  localen  Verhältnissen  und  den  Be- 
zugsquellen   der    Materialien    abhängig. 

Mit  den  ersten  englischen  Muster- 
wagen kamen  auch  die  Achslager  und 
das  Schmiermateriale  derselben  nach 
Oesterreich.  Es  war  damals  die  Blooth- 
sche  Palmöl  -  Wagenschmiere  ziemlich 
allgemein  in  Anwendung,  eine  Mischung 
von  Palmöl,  Talg,  Soda  und  Wasser. 
Der'  Bezug  dieses  Materials  aus  dem 
Auslande  wurde  jedoch  ehestens  ein- 
gestellt und  die  Erzeugung  im  Inlande 
begonnen,  wobei  verschiedene  Zusammen- 
setzungen versucht  wurden.  Eine  der 
gebräuchlichsten  war  eine  Mischung  von 
Unschlitt,  Olivenöl  und  Schweinefett, 
welche  je  nach  der  Jahreszeit  in  ver- 
schiedenem Mischungsverhältnisse  ver- 
wendet wurde.  Die  Starrschmiere  war  bis 
zum  Jahre  1845  so  ziemlich  das  aus- 
schliessliche Schmiermaterial  in  Oester- 
reich. Mit  der  Eröffnung  der  südöstlichen 
Linie   der  k.    k.    Staatsbahnen    gelangte 


auch  flüssiges  Schmiermaterial,  und  zwar 
Baumöl,  Rüböl  und  eine  Mischung  von 
Harzöl  und  Baumöl  zur  Verwendung. 
Doch  blieb  die  Starrschmiere  lange  Zeit 
bevorzugt,  und  wurde  beispielsweise  der 
gesammte  Wagenpark  der  ursprünglichen 
Ausrüstung  der  Kronprinz  Rudolf-Bahn 
und  Kaiser  Franz  Josef- Bahn  in  den 
Jahren  1867— 1870  mit  Starrschmier- 
lagem  geliefert,  welche  theilweise  noch 
gegenwärtig  im  Betriebe  sind. 

Im  Jahre  1861  wurden  von 
L.  Becker  auf  einer  Linie  der  Oester- 
r^ichischen  Staatseisenbahn-Gesellschaft 
die  ersten  Versuche  mit  Mineralöl 
für  Achsenschmierung  gemacht.  Nach 
mehreren  missglückten  Experimenten  ge- 
lang es  endlich,  ein  brauchbares  Material 
zu  erzeugen,  mit  welchem  im  Jahre  1862 


Abb.  317.    Achtlag^er  der  Pferdebahn 
Prag-Lana.  [1830.] 

noch  uhifangreichere  Versuche  gemacht 
wurden,  die  gleichfalls  ein  befriedi- 
gendes Resultat  ergaben,  so  dass  bei 
dieser  Bahn  die  Mineralöl-Schmierung 
im  Jahre  1863  allgemein  eingeführt 
wurde.  Die  Schmierkosten  wurden  da- 
durch von  10  kr.  [C.-M.]  auf  6  kr.  pro 
Zugsmeile  reducirt.  Die  nächste  öster- 
reichische Bahn,  welche  aus  diesen 
günstigen  Erfahrungen  Nutzen  zog  und 
in  umsichtiger  und  energischer  Weise 
ebenfalls  auf  die  Verwendung  des  Mineral- 
öls überging,  war  die  Kaiserin  Elisabeth- 
Bahn,  welche  auch  die  Mineralöl-Schmie- 
rung für  Locomotiven  einführte.  Ihr  folgte 
die  Kaiser  Ferdinands- Nordbahn  im  Jahre 
1864  und  in  rascher  Folge  fand  die 
Mineralöl-Schmierung  immer  mehr  Ver- 
breitung, so  dass  im  Laufe  der  Sieb- 
ziger-Jahre bereits  der  grösste  Theil  der 


504 


Julius  von  Ow. 


österreichischen  Wagen  und  der  meisten 
deutschen  Wagen  mit  Mineralöl  ge- 
schmiert wurde. 

Die  in  O  esterreich  zuerst  einge- 
führte Mineralöl-Schmierung  hat  einen 
doppelten  Werth,  weil  nicht  nur  sämmt- 
liche  Bahnen  wesentliche  Materialerspar- 
nisse erzielten,  sondern  weil  gleichzeitig 
die  Mineralöl-Industrie  in  Galizien  da- 
durch einen  ungeahnten  Aufschwung  er- 
zielte. Im  Jahre  1872  betrug  bei  den 
österreichischen  Bahnen  .  der  Verbrauch 
an  Mineralschmieröl  bereits  mehr  als 
500.000  k^.  Seit  den  Achtziger-Jahren 
ist  der  Verbrauch  an  Mineralschmieröl 
ziemlich  gleichbleibend,   1500  t. 

Trotzdem  seit  Beginn  des  Eisenbahn- 
betriebes der  Construction  der  Achslager 
stets  viel  Sorgfalt  zugewendet  und  die 
Schaffung  eines  idealen  Lagers  angestrebt 
wurde,  konnte  es  nicht  gelingen,  Lager- 
typen herzustellen,  welche  durch  beson- 
dere Vorzüge  zur  alleinigen  allgemeinen 
Verwendung  gelangten;  es  mehrten  sich 
vielmehr  mit  jeder  Neuerung  und  mit  jeder 
Typenänderung  der  Wagen  auch  die 
Anzahl    der    verschiedenen    Lagertypen. 

In  dem  Bestreben,  das  beste  und 
öconomischeste  Schmiermaterial  und  die 
hiefür  geeignetsten  Lagertypen  zu  er- 
mitteln, hat  der  Oesterreichische  Ingenieur- 
Verein  im  Jahre  1868  einen  Preis  für 
die  beste  geschichtlich-statistisch  kritische 
Darstellung  der  bei  Eisenbahnwagen  an- 
gewandten Schmier  Vorrichtungen  und 
Schmiermittel  ausgeschrieben,  welcher 
dem  vorzüglichen  Werke  von  E.  Heu- 
singer von  Waldegg  zuerkannt 
wurde.  In  diesem  Werke  sind  141 
Lagertypen  der  Bahnen  des  Vereins 
Deutscher  Eisenbahn- Verwaltungen,  die 
im  Jahre  1870  bestanden,  dargestellt, 
und  diese  Zahl  ist  noch  keineswegs 
vollständig,  da  von  vielen  Bahnen  nur 
deren  wichtigste  Lagertypen  behandelt 
wurden.  Wenn  auch  das  löbliche  Be- 
streben des  Oesterreichischen  Ingenieur- 
Vereins,  und  die  mit  seltener  Sorgfalt 
und  Objectivität  behandelte  Darstellung 
des  um  das  Eisenbahnwesen  so  hoch- 
verdienten Autors  Heusinger  von  Waldegg 
gewiss  im  hohen  Grade  erfolgreich  und 
nutzbringend  war,  so  konnte  es  doch 
damals  nicht  gelingen,  unter  dem  vielen 


Guten  das  Beste  herauszufinden,  und  es 
blieb  die  Anzahl  der  Lagertypen  in 
steter  Zunahme.  Dass  auch  die  Öster- 
reichischen Bahnen  das  Ihrige  zur  reich- 
lichen Schaffung  von  Wagenlagertypjen 
beigetragen  haben,  mag  daraus  ersehen 
werden,  dass  dermalen  [1897]  im  Wagen- 
park der  k.  k.  Staatsbahnen  allein  64  ver- 
schiedene Wagenlagertj'pen  im  Betriebe 
sind,  in  welche  Zahl  jedoch  solche  mit 
unwesentlichen  Constructions- Differenzen 
und  bereits  cassirte  T^'pen  nicht  einbezogen 
sind.  Die  Ursache  dieser  Mannigfaltigkeit 
liegt  zunächst  in  der  verschiedenen 
Form  der  Achsen,  in  der  Verschieden- 
artigkeit des  Schmiermaterials,  in  der 
Form  und  Stellung  der  Achsgabeln  und 
Tragfedem,  welche  gewisse  Formen  der 
Lager  bedingen  und  eine  Abweichung 
nur  mit  grossen  Kosten  möglich  machen, 
und  in  dem  Umstände,  dass  die  Anzahl 
und  Dauer  der  Lager  sehr  gross  ist, 
und  mehrere  Jahrzehnte  erforderlich  sind, 
um  minder  zweckmässige  Typen  im 
Wege  des  normalen  Ersatzes  verschwin- 
den zu  lassen. 

Bei  dieser  Fülle  von  Lagertj-pen  ist 
es  wohl  nicht  möglich,  die  historische 
Entwicklung  derselben  genau  zu  ver- 
folgen, und  es  können  nur  wesentlichere 
Einzelheiten  hervorgehoben  werden. 

Die  Wagen  der  alten  österreichischen 
Pferdebahnen  hatten  zwischen  den  Rädern 
situirte  Achshälse  und  direct  an  den 
Langträgern,  beziehungsweise  Achs- 
stöcken befestigte  Achslager.  Bei  der 
geringen  Fahrgeschwindigkeit  genügte  die 
Herstellung  der  Lager  aus  Gusseisen  ohne 
Lagerschale.    [Abb.  317.] 

Die  ältesten  Wagenlager  der  Loco- 
motivbahnen  waren  nicht  vollkommen  e;e- 
schlössen,  sondern  liessenden  Achsstummel 
auf  der  unteren  Seite  oder  an  der  Stirnseite 
frei  [Abb.  318],  es  war  hiebei  die  Achse  der 
Verunreinigung  durch  Staub  und  Sand, 
und  den  Witterungseinflüssen  preisge- 
geben. Diese  für  Starrschmiere  einge- 
richteten Lager,  von  welchen  im  Jahre 
1 863  auf  den  Linien  der  Oesterreichischen 
Staatseisenbahn  -  Gesellschaft  noch  176 
Stück  vorhanden  waren,  mussten  nach 
etwa  fünfzehn  zurückgelegten  Meilen 
bereits  nachgeschmiert  werden.  Es  wnirden 
daher  gleich  vom  Anfang  an  diese  Typen 


nicht  mehr  weiter  gebaut,  sondern  Lager 
mit  geschlossenen  Untertheilen  und  Vor- 
richtungen, welche  das  Schmieren  des 
Achsstummels  von  unten  ermöglichten, 
construirt.  Die  auf  österreichischen  Bahnen 
in  den  Jahren  1847 — 1854  ausgeführten 
Lager  zeigen  bereits  wesentliche  Fort- 
schritte, man  findet  bei  denselben  Ober- 
kammem  für  feste,  und  Unterkammem 
für  flüssige  Schmiere,  in  letzteren  federnde 
Holzschemel.      Desgleichen     wurden    zu 


auch  die  verschiedenen  Constructionen, 
Für  die  Schmierung  von  oben  wurde 
der  Hauptwerth  auf  entsprechend  ge- 
formte und  eingesetzte  Saugdochte,  auf 
genügend  grosse  Oelkammem  und  auf 
guten  Verschluss  der  letzteren  gesehen. 
Solche  Lager  wurden  zuerst  im  Jahre 
1854  auf  der  Kaiser  Ferdinands-Nordbahn 
ausgeführt.    [Abb.  319.] 

Es    ergab    sich  jedoch   bald  das  Be- 
dürfnis, das  ab  fliessende  Schmiermaterial 


dieser  Zeit  bereits  Dichtungs Scheiben  von 
Leder  und  mit  Composition  ausgegossene 
Rothgusslager  ausgeführt. 

Man  kann  annehmen,  dass  in  diese 
Zeitperiode  der  grüsste  Fortschritt 
in  der  Lagerconstruction  fällt.  Die 
weiteren  Verbesserungen  schlössen  sich 
so  ziemlich  an  diese  Grundformen 
an  und  waren  mehr  oder  weniger  nur 
eine  zweckentsprechendere  Ausbildung 
derselben.  Insofeme  Oelschmierung  ver- 
wendet wurde,  waren  die  Ansichten  ge- 
theilt,  es  gab  Verfechter  des  Princips 
der  Schmierung  nur  von  oben,  der 
Schmierung  nur  von  unten  und  der 
beiderseitigen     Schmierung,    demgemäss 


EI  FtTdlnands-Nordhahn.  [■S54.] 

j   in  irgend  einer  Weise  nutzbar  zu  machen. 
I   Dies  führte  dazu,  dass  die  Unterkammem 
1  mit  Wolle,  Lindenspänen  etc.    ausgefüllt 
I  wurden,     wodurch    einerseits     ein    Ver- 
schleudern des  Oeles  verhindert,  anderer- 
'   seits    eine    Schmierung  auch    von   unten 
I  erreicht    wurde.    Diese    Lagertj'pen,    bei 
I   welchen  die  normale  Schmierung  mittels 
I  Saugdochtes  von  oben  und  eine  secundäre 
Schmierung  durch  das  Stopfmaterial  des 
;  Untertheiles  erfolgt,  fanden  ziemlich  rasche 
I   Verbreitung  und  bildeten  Haupttypen  der 
Kaiser  Ferdinands  -  Nordbahn,     der  Carl 
Ludwig-Bahn,  der  Böhmischen  Westbahn, 
I  der  Kaiser  Franz  Josef-Bahn    [Abb.  320] 
I  u.  a.   Das  zweite  Princip,  das  der  Achsen- 


5o6 


Julius  von  Ow. 


Schmierung  von  unten,  war  bei  den  öster- 
reichischen Bahnen  bereits  seit  dem  Jahre 
1846  in  Anwendung.  Auf  den  südöst- 
lichen Linien  der  k.  k.  Staatsbahnen  ent- 
hielten die  Achsbüchsen  des  ersten  Fahr- 
parkes [circa  2000  Lager]  im  Untertheile 
elastische  Schmierschemel,  welche  mit 
Baumwollplüsch  überzogen  und  mit  Saug- 
dochten  versehen  waren. 

Nachdem  die  flüssige  Schmierung  in 
Oesterreich  von  Anfang  an  besondere 
Beachtung  fand,  und  es  in  der  Natur 
dieser  Schmiermittel  liegt,  durch  Saug- 
wirkung   der  Verwendung   zugeführt    zu 


Abb.  320.    Oella^er  der  Kaiser  Franz 
Josef- Bahn.   [1872.] 

werden,  so  wurden  auch  die  Achslager 
mit  Schmierung  von  unten  in  Oesterreich 
besonders  gepflegt,  und  stammen  die 
darin  gemachten  Verbesserungen  grössten- 
theils  aus  Oesterreich.  Eine  specifisch 
österreichische  Lagertype  ist  das  Paget- 
Lager,  welches,  im  Jahre  1853  einge- 
führt, rasche  Verbreitung  fand  und  eine 
Haupttype  der  Staatseisenbahn-Gesell- 
schaft und  der  Kaiserin  Elisabeth-Bahn 
[Abb.  321]  bildete. 

Das  Paget-Lager  hat  gegenüber  den 
älteren  Lagertypen  eine  bedeutende  Oel- 
erspamis  ergeben,  und  auch  später  bei 
der  Einführung  des  Mineralschmieröles 
sich  gut  bewährt. 

Verschiedene  Form-  und  Dimensions- 
änderungen hatten  hauptsächlich  den 
Zweck,  einen  möglichst  dichten  Abschluss 
zu  erzielen.  Besonders  reichlich  waren 
die  Vorrichtungen,  welche  die  Achse 
gegen  das  Lagergehäuse  abzuschliessen 
hatten.  Es  wurden  Dichtungsscheiben 
aus  Leder,  Filz,  Holz  in  verschiedener 
Form  verwendet;    eine    der    älteren  und 


besseren  Dichtungsscheiben  ist  von 
L.  Becker  construirt  und  besteht  aus 
zwei  Halbscheiben,  welche  durch  einen 
in  eine  Nuth  eingelegten  federnden  Stahl- 
draht zusammengezogen  und  an  die  Achse 
angepresst  werden.  Diese  Scheiben  werden 
gewöhnlich  aus  Linden-  oder  Pappelholz 
erzeugt.  Die  guten  Resultate  dieser  Dich- 
tungsscheiben, welche  für  alle  Lager- 
systeme angewendet  werden,  brachten 
besonders  in  den  Siebziger-Jahren  eine 
Unzahl  patentirter  Lagerschutzscheiben 
hervor,  welche  jedoch  meist  auf  dem- 
selben Princip  beruhten. 

Wenn  berücksichtigt  wird,  dass  bei 
den  österreichischen  Bahnen  in  den 
Siebziger  -  Jahren  drei  Hauptgruppen 
von  Lagern  in  Verwendung  waren, 
Starrschmierlager,  Saugdochtschmierlager 
und  Paget-Lager,  und  dass  die  Starr- 
schmierlager meist  auf  den  Aussterbe- 
etat gesetzt  warerf,  so  erklärt  es  sich, 
dass  weitere  Lagertypen  aus  einer 
Verschmelzung  der  vorgenannten  Typen 
hervorgegangen  sind.  Es  wurde  gröss- 
tentheils  die  Schmierung  von  unten 
beibehalten,  jedoch  die  etwas  primitive 
Woll-  oder  Späne- Ausstopfimg  durch 
federnde  Schmierpolster  mit  Saugdochten 
ersetzt;  dies  hatte  zur  Folge,  dass  der 
das  Paget-Lager  charakterisirende doppelte 
Boden  wieder  durchbrochen  wurde,  um 
die  Saugdochte  der  Schmierpolster  in 
den  unteren  Oelraum  zu  führen.  Die 
Schmierbehälter  im  Lagerobertheil  wurden 
nur  für  Nothschmierung  angebracht.  Auf 
diesem  Principe  beruhen  die  meisten 
neueren  Lagertypen.  [Abb.  322.] 

Wenn  demnach  auch  in  Oesterreich 
zahlreiche  Lagertypen  bestehen,  so  haben 
sich  alle  doch  so  ziemlich  aus  den 
vorgenannten  Grundtypen  entwickelt. 

Die  vielfach  entstandenen  und  wieder 
verschwundenen  oder  nur  in  massiger 
Anzahl  vorhandenen  Lager  von  compli- 
cirter,  abenteuerlicher  Form,  mit  Schöpf- 
scheiben, Pumpwerken,  rotirenden  Schmier- 
walzen etc.,  hatten  ihren  Ursprung  grössten- 
theils  im  Auslande,  und  fanden  in  Oester- 
reich nie  besonderen  Anwerth. 

Die  Construction  und  das  Materiale  der 
Lagerfutter  hat  seit  Beginn  des  Eisen- 
bahn-Betriebes wenig  Aenderung  erfahren ; 
es  wurde    stets  Rothguss    und  Composi- 


tion  verwendet,  deren  Qualität  sich  im 
Laufe  der  Zeit  ziemlich  gleich  geblieben 
ist,  ebenso  zeigt  sich  in  der  Anarbeitung 
wenig  Unterschied. 


PaBel-L»e"-    [18&8,] 


f)   Tragfedern. 

Die  Tragfedem  waren  bereitsin  der  Vor- 
eisenbahnzeit bei  Kutschen  verwendet  und 
sind  von  diesen  auf  die  Eisenbahnwagen 
übergegangen.  Bei  den  alten  Pferdebahn- 
wagen findet  man  noch  die  damals  bei 
Kutschen  übliche  sichelförmige  Feder  mit 
den  darüber  gelegten  Hängeriemen.  [Vgl. 
Abb.  323.]  Bei  den  Locomotivbahnen 
war  diese  Anordnung  nicht  mehr  möglich, 
weil  die  feste  Verbindung  der  vier  Lager 
mit  dem  Rahmen  nicht  nur  Entgleisungen 
verursacht,  sondern  auch  eine  gleiche 
Gewichtsvertheilung  auf  die  einzelnen 
Hader  unmöglich  gemacht  hätte.  Man 
verband  daher  den  Kasten  mit  dem 
Rahmen  und  gab  die  elastische  Zwischen- 
lage zwischen  Lager  und  Rahmen.  Die 
Zusammensetzung  der  Tragfedem  aus 
einzelnen  Blättern  war  bereits  bekannt, 
man  hatte  deshalb  nur  nöthig,  der  Feder 
die  richtige  Form  zu  geben.  Auch  diese 
war  nabeliegend,  nachdem  für  den  Stutz- 
punkt das  Lager  und  für  die  Trage- 
punkte die  Langträger  vorhanden  waren. 
Demgemäss  wurde  bei  den  älteren  Wagen 
die  Feder  mittels  Ueb erlegplatte  und 
Schrauben  mit  dem  Lager  verbunden 
und  ihre  abgerundeten  Enden  in  guss- 
eiserne Gleitschuhe  eingelegt,  welche  mit 
den  Langträgem  verschraubt  waren. 
Diese  Anordnung  wurde  noch  bis  zum 
Jahre  1870  vielfach  für  Güterwagen  an- 
gewendet, hatte  aber  den  Uebelstand,  dass 


das  freie  Spiel  der  Federn  durch  die 
Reibung  in  den  Gleitschuhen  sehr  beein- 
trächtigt ward.  Man  zog  es  daher  bereits 
zur  Zeit  des  Beginnes  des  Eisenbahn- 
Wagenbaues  vor,  bei  besseren  Wagen 
die  Enden  der  Federn  in  Augen  zu  rollen 
und  mittels  Bolzen  und  Hängeeisen  mit 
am  Rahmen  befestigten  Consolen  zu  ver- 
binden. Bei  Personenwagen  werden  diese 
Gehänge  mittels  Schraubenmuttern  stell- 
bar gemacht.  In  den  Fünfziger-Jahren 
wurden  mehrfach  an  Stelle  der  Blatt- Trag- 
federn, Volutfedem  angewendet,  indem 
man  vier  solche  Federn  nebeneinander 
auf  einen  Schemel  stellte,  welcher  mit 
dem  Lagerobertheil  gelenkig  verbunden 
war;  auf  den  oberen  Enden  der  Federn 
ruhte  in  einem  Schuh  der  Langträger; 
diese  Construction  wurde  jedoch  bald 
wieder  verlassen.  Eine  wesentliche  Ver- 
besserung in  der  Erzeugung  der  Blatt- 
tragfedem  wurde  Ende  der  Sechziger -Jahre 
durch  die  Herstellung  von  geripptem 
Federstahl  erzielt 


Abb.  ya.   AcbilaKcr 


i.  SuatibahDcn.  liSw-] 


g)   Bremsen. 

Ebenso  wie  der  Strassen  wagen  der 
Stammvater  des  Eisenbahnwagens  ist, 
ebenso  stammt  auch  die  Eisenbahnwagen- 
Bremse  von  der  Strassen  wagen -Bremse 
ab.  Sieht  man  von  der  Stärke  der  Be- 
standtheile  und  der  durch  das  Wagen- 
gerippe bedungenen  strammeren  Ver- 
bindung ab,  so  ist  hei  den  älteren  Eisen- 
bahnwagen-Bremsen nicht  viel  Neues 
gegenüber  den  Strassen  wagen -Bremsen 
zu  finden.    Während  man  beim  Strassen- 


5o8 


Julius  von  Ow. 


wagen  mit  einem  Antriebe  nur  die  Räder 
einer  Achse  bremsen  kann,  benützte  man 
bei  den  Eisenbahnwagen  die  steife  Lage 
der  Achsen,  um  zwei  oder  drei  Räder- 
paare gleichzeitig  zu  bremsen,  und  versah 
vielfach  auch  jedes  Rad  mit  zwei  Brems- 
klötzen. Die  Bremse  bildete  alsbald  den 
Gegenstand  eines  fachlichen  Studiums; 
dazu  kamen  noch  die  zahlreichen  werth- 
voUen  Versuche  und  Experimente,  welche 
zur  Ermittlung  der  Bremswiderstände  und 
Bremswirkungen  gemacht  wurden,  so 
dass  bereits  in  den  Vierziger-Jahren  auf 
theoretischen  Grundlagen  construirte 
Bremsen  gebaut  wurden.  Eine  zahlreiche 
Menge  von  Erfindungen  befasste  sich 
damit,  die  Bremswirkung  durch  Ver- 
minderung des  Reibungswiderstandes  in 
der  Spindel  zu  erhöhen  und  durch  Be- 
seitigung des  todten  Ganges  zu  beschleu- 
nigen, letzteres  hauptsächlich  dadurch, 
dass  durch  selbstthätige  Sperr-  oder 
Schaltvorrichtungen  die  Anzahl  der  Kur- 
belumdrehungen beim  Oeffnen  der  Bremse 
beschränkt  wurde.  In  verschiedenen 
Varianten  wurden  auch  Schrauben  mit 
verschiedener  Ganghöhe  angewendet,  so 
dass  für  den  Leergang  die  grosse  Steigung, 
für  das  Festziehen  die  geringe  Steigung 
zur  Wirkung  kommt.  Alle  diese  Con- 
structionen  hatten  den  Mangel,  dass  die 
Kosten  der  Herstellung  und  Instand- 
haltung in  keinem  günstigen  Verhältnisse 
zum  erzielten  Erfolg  standen.  Die  meisten 
derartigen  Ausführungen  blieben  auf  die 
Sphäre  des  Erfinders  beschränkt  und  ver- 
schwanden mit  der  Zeit  wieder  vom 
Schauplatze. 

Nachdem  durch  die  Achsbelastung 
die  Grenze  der  bei  einem  Wagen  zu 
erzielenden  Bremswirkung  gegeben  ist, 
so  kann  eine  Erhöhung  der  Gesammt- 
bremswirkung  eines  Zuges  nur  durch 
Vermehrung  der  in  Wirksamkeit  tretenden 
Bremsen  erreicht  werden,  und  dies  be- 
dingte wieder  eine  Vermehrung  des 
Bremserpersonals.  Man  ersann  daher 
verschiedene  Einrichtungen,  durch  welche 
die  Bremsen  von  zwei  und  mehr  Wagen 
von  einem  Manne  bedient  werden  können. 
Obwohl  in  Oesterreich  auch  verschiedene 
derartige  Zwei  wagen- Bremsen  construirt 
wurden,  so  gelangten  dieselben  doch  nicht 
über  den  Versuch  hinaus,    weil  bei  Per- 


sonenzügen, welche  grösstentheils  aus 
Coup6wagen  zusammengestellt  waren, 
die  Bremsen  durch  die  Conducteure  ge- 
nügend besetzt  waren,  und  bei  Lastzügen 
es  kaum  möglich  war,  zusammenpassende 
Wagen  dauernd  mitsammen  laufen  zu 
lassen.  Etwas  ausgedehntere  Anwendung 
fanden  solche  Systeme  in  Deutschland, 
und  sei  hier  nur  die  Exterbremse  er- 
wähnt, welche  im  Jahre  1847  in  Bayern 
eingeführt  wurde  und  auf  vielen  bayrischen 
Linien  bis  in  die  Siebziger-Jahre  in  Betrieb 
war.  Bereits  bei  dieser  Bremse  wurde 
die  Menschenkraft  wenigstens  theilweise 
durch  ein  Gewicht  ersetzt,  da  man  er- 
kannte, dass  für  grosse  und  rasche  Brems- 
wirkungen die  Menschenkraft  allein  nicht 
genügt.  Es  war  demnach  das  Bestreben 
der  Constructeure  dahin  gerichtet,  andere 
Kräfte  dienstbar  zu  machen.  Solche 
Kräfte  fanden  sich  in  Gewichten,  Fedeni, 
Friction  zwischen  Rädern  und  Schienen, 
Wasser,  Luft,  Dampf,  Elektricität  und 
indirect  in  der  Bufferpressung.  Eine  der 
ältesten  Constructionen  beruht  auf  der 
Verwendung  starker  Federn,  welche  durch 
irgend  einen  Ausschalt-Mechanismus  zur 
Wirksamkeit  gelangten.  Solche  Systeme 
wurden  in  den  Vierziger-Jahren  von 
Creamer  in  Amerika,  in  den  Fünfziger- 
Jahren  von  Newall  in  England  ausge- 
führt, fanden  jedoch  auf  dem  Continente 
wenig  Nachahmung.  Das  Bestreben,  die 
Pressung  der  Buffer  als  Bremskraft  aus- 
zunützen, führte  auch  in  Oesterreich  zu 
mehreren  wohldurchdachten  Construc- 
tionen. So  wurde  bereits  im  Jahre  1854 
eine  Bufferbremse  von  Riener  in  Graz 
ausgeführt  und  später  auf  dem  Semme- 
ring  in  Betrieb  genommen,  ohne  jedoch 
einen  dauernden  Erfolg  zu  erringen. 
Auch  mehrere  ähnliche  spätere  Projecte 
konnten  nicht  zu  allgemeinerer  Aus- 
führung gelangen. 

Nachdem  von  H  e  b  e  r  1  e  i  n  bereits  im 
Jahre  1855  Versuche  mit  Frictions- 
bremsen  gemacht  wurden,  gelangte  diese 
Bremse  in  den  Sechziger-Jahren  in  Salz- 
burg zur  weiteren  Erprobung,  und  wurde 
im  Laufe  der  Jahre  mehrfachen  Ver- 
besserungen unterzogen.  Das  Princip 
dieser  Bremse  besteht  darin,  dass  eine 
auf  der  Achse  festsitzende  Frictionsscheibe 
eine    zweite    solche  Scheibe   in  Drehung 


Wagenbau. 


509 


versetzt  und  durch  diese  eine  Kette  auf- 
wickelt, welche  das  Anziehen  des  Brems- 
gestänges bewirkt.  Je  nach  der  Stärke 
der  Pressung  zwischen  den  Frictions- 
scheiben  nimmt  die  Intensität  der  Brems- 
wirkung zu  oder  ab.  Diese  Aenderung 
in  der  Pressung  erfolgt  dadurch,  dass 
das  Frictionsrad,  in  Hängeeisen  beweg- 
lich, mittels  Hebel-  oder  Zugstangen  Vor- 
richtungen beliebig  angepresst  werden 
kann.  Um  jedoch  diese  Bremse  von 
einem  Wagen  oder  von  der  Locomotive 
aus  als  Gruppenbremse  für  eine  Reihe 
von  Wagen  oder  einen  ganzen  Zug  ver- 
wenden zu  können,  wurde  ähnlich  wie 
bei  der  Exterbremse  eine  Leine  über 
den  Zug  gelegt,  welche  —  über  Rollen 
laufend  —  das  Gestänge,  mit  welchem 
die  Frictionsrolle  in  Verbindung  war,  in 
Bewegung  setzte  und  so  die  Frictions- 
roUen  zum  Eingriff  brachte. 

Eine  ähnliche  Bremse  wurde  Mitte 
der  Siebziger-Jahre  von  L.  Becker  con- 
struirt  und  auf  der  Kaiser  Ferdinands- 
Nordbahn  an  einer  grösseren  Anzahl  von 
Wagen  ausgeführt.  Bei  dieser  Bremse 
wurden  die  Radreifen  als  Frictionsrollen 
benützt,  die  Bremswelle  war  parallel  zu 
der  Radachse  in  Hängeeisen  aufgehängt 
und  trug  gegenüber  den  Radreifen  Fric- 
tionsrollen, über  welche  ein  mit  Eisen 
armirter  Holzring  gelegt  war.  Durch 
Senken  der  Bremswelle  wurde  der  Holz- 
ring von  dem  Radreifen  in  Drehung  ver- 
setzt, welcher  die  Frictionsrollen  und  mit 
diesen  die  Welle  in  Bewegung  setzte. 
Hiedurch  wurde  auf  letzterer  eine  Kette 
aufgewickelt,  welche  die  Bremse  anzog. 
Sobald  die  Bremse  festgezogen  war, 
blieben  die  Frictionsrollen  stehen  und 
der  Ring  drehte  sich  leer  um  dieselben. 
Durch  Heben  der  W^elle  kam  der  Rad- 
reifen und  der  Frictionsring  ausser  Be- 
rührung und  die  Bremse  löste  sich  von 
selbst.  Um  diese  Bremse  als  Gruppen - 
bremse  zu  benützen,  wurde  unter  dem 
Wagen  eine  Kette  geführt,  durch  deren 
Spannung  die  Frictionswellen  gehoben 
wurden;  diese  Ketten  wurden  von  Wagen 
zu  W'agen  über  zwei  gelenkig  verbundene 
Kuppelstangen  geführt,  welche  an  den 
Charnierenden  mit  Rollen  versehen  waren. 
Dadurch  war  es  möglich,  eine  grössere 
Anzahl  Wagen,    beziehungsweise    deren 


Bremsen  mitsammen  zu  verbinden,  ohne 
einen  empfindlichen  todten  Gang  in  der 
Kette  zu  erlangen.  Wenn  auch  bei  guter 
Instandhaltung  und  sorgfältiger  Bedienung 
diese  Bremse  sowie  die  Heberleinbremse 
recht  gute  Resultate  ergaben,  so  waren 
dieselben  doch  noch  weit  von  dem  Ziele 
der  Wünsche  entfernt,  und  man  könnte 
die  günstigen  Resultate  gewissermassen 
erzwungene  Erfolge  nennen. 

Allgemeines  Aufsehen  in  den  Fach- 
kreisen erregten  Anfangs  der  Siebziger- 
Jahre  die  Berichte  über  die  Erfolge, 
welche  in  Amerika  die  Luftdruckbremse 
von  Westinghouse  erzielte. 

Obwohl    schon    im   Jahre    1854    von 
A  n  d  r  a  n  d  die  Verwendung  comprimirter 
Luft  als  Bremskraft  angeregt  wurde,   so 
gelangte  doch  erst  circa  1866  eine  Luft- 
druckbremse von  Kendall  in  England 
zur  Ausführung.  Bei  dieser  Bremse  wurden 
mehrere  Luftpumpen  mittels  Riemen  von 
der  Wagenachse   aus    betrieben,   welche 
die    Luft    in     Reservoirs     comprimirten. 
Durch   Ventile    konnte    die    comprimirte 
Luft  von  diesen  Reservoirs  in  die  Brems- 
cylinder  gelassen    und    durch    diese    die 
Bremsgestänge     in     Thätigkeit     gesetzt 
werden.     Durch  eine    längs   der  Wagen 
geführte    und    zwischen    denselben    ge- 
kuppelte Rohrleitung    waren  die  Brems- 
cylinder  der  einzelnen  Wagen  verbunden. 
Dieser  Bremse  hafteten  aber  so  namhafte 
Mängel    an,    dass    sie    ebenso    wie    die 
Heberlein-    und    Beckerbremse    nur    in 
beschränktem  Masse  zur  Ausführung  ge- 
langte, hauptsächlich  jedoch  wurde  sie  von 
der    viel    besseren    Westinghousebremse 
verdrängt.    Der  grosse  Vortheil,  welchen 
diese  Bremse  vor  der  Kendall'schen  und 
allen  früheren  Bremssystemen  hat,  besteht 
darin,  dass  der  Locomotivführer  dieselbe 
durch  einen  Handgriff  ohne  weitere  Kraft- 
anstrengung in  Thätigkeit    setzen   kann, 
dass  dieselbe  auch  von  irgend  einem  Wagen 
aus   im    ganzen  Zuge   zur  Wirkung   ge- 
bracht werden  kann,  und  nicht  nur  rasch 
und  kräftig  sondern  auch  selbstthätig  func- 
tionirt,  wenn  eine  Störung  in  der  Luftleitung 
eintritt.    Ohne   auf  das  Wesen,   die  Ein- 
zelheiten dieser  Bremse,  für  welche  eine 
reiche  Literatur  besteht,  näher  einzugehen, 
sei  hier  nur  bemerkt,  dass  im  Gegensatz 
zur    Kendallbremse     die    gepresste    Luft 


5IO 


Julius  von  Ow. 


nicht  durch  die  Rohrleitung  in  die  Cylinder 
gelangt,  wenn  gebremst  werden  soll, 
sondern  dass  umgekehrt  die  in  den  Hilfs- 
behältem  enthaltene  comprimirte  Luft  in 
die  Cylinder  übertritt,  sobald  der  Luft- 
druck in  der  Rohrleitung  vermindert  wird. 
Dies  wird  durch  Oeffnen  von  Hähnen 
oder  Ventilen  in  der  Rohrleitung  bewirkt. 
Durch  eine  automatisch  wirkende  Dampf- 
Luftpumpe  auf  der  Locomotive  wird 
permanent  die  bestimmte  Luftpressung 
in  der  Leitung  erhalten,  beziehungsweise 
nach  Gebrauch  erneuert.  So  ganz  ein- 
fach ist  die  Sache  allerdings  nicht,  und 
es  sind  sehr  sinnreiche  und  complicirte 
Mechanismen,  welche  die  vorerwähnte 
Wirkung  ermöglichen ;  insbesondere  sind 
die  Functionsventile,  durch  welche  der 
Lufteintritt  in  die  Cylinder  und  Hilfs- 
reservoirs und  gleichzeitig  der  Luftaustritt 
bewirkt  wird,  Bestandtheile,  deren  genaue 
Kenntnis  ein  besonderes  Studium  erfordert. 

Gleichzeitig  mit  der  Luftdruckbremse 
wurde  in  England  auch  die  Luftsauge- 
bremse, die  Vacuumbremse,  zuerst  von 
Smith  ausgeführt.  Diese  mächtige  Con- 
currentin  der  Luftdruckbremse,  ähnlich 
in  der  Wirkung,  beruht  auf  dem  ent- 
gegengesetzten Princip.  Bei  der  Vacuum- 
bremse wird  eine  Luftleere  in  der  Rohr- 
leitung und  in  den  Cylindem  hergestellt, 
und  gelangt  hiebei  in  letzteren  der  natür- 
liche Luftdruck  zur  Wirkung.  Das  Vacuum 
wird  erst  erzeugt,  wenn  die  Bremswir- 
kung eintreten  soll.  Der  wesentlichste 
Bestandtheil  derselben  ist  der  Ejector, 
der  Dampfluftsauger,  welcher  auf  der 
Locomotive  angebracht  ist.  Wird  durch 
denselben  Dampf  gelassen,  so  saugt  er 
sehr  rasch  die  Luft  aus  der  Rohrleitung 
des  ganzen  Zuges  und  aus  den  einzelnen 
Vacuumcylindem. 

In  richtiger  Erkenntnis  der  Trag- 
weite, welche  die  Einführung  conti- 
nuirlicher  Bremsen  für  den  Verkehr  der 
schnellfahrenden  Züge  haben  müsse, 
wendete  sich  das  Interesse  der  Fach- 
männer mit  grosser  Lebhaftigkeit  der 
Bremsfrage  zu,  dieselbe  wurde  in  tech- 
nischen Zeitschriften  behandelt,  in  Fach- 
vereinen besprochen,  und  während  man 
darüber  einig  war,  dass  continuirliche 
Bremsen  ein  Bedürfnis  seien,  theilte 
sich  das  Lager  in  Vertreter   der   selbst- 


thätigen    und    nicht     selbstthätigen   Sy- 
steme;    auch     in     den     österreichischen 
Fachkreisen    wurde   die  Bremsfrage  mit 
Lebhaftigkeit    discutirt,    und    die  Eisen- 
bahn-Directionen     entsendeten    Delegirte 
nach  England    zum  Studium   der  neuen 
Systeme.     Während   man  sich  in  Eisen- 
bahnkreisen    in    wissenschaftlichen   De- 
batten   erging,    erfasste    der    Chef    der 
Südbahnwerkstätte,  J.  Hardy ,  die  Sache 
vom  praktischen  Standpunkte,  er  brachte 
die   S  mit  hasche    Bremse    von    England 
nach    Oesterreich,    er    verbesserte    die- 
selbe    durch    Einführung     der    Vacuum- 
cylinder  mit  Lederkappen,  der  Schlauch- 
kuppelungen   und  sonstiger  Details  und 
war    Mitbegründer     und    Vertreter    der 
Vacuum  Brake    Company.     So   gelangte 
diese   Bremse  Ende   der   Siebziger-Jahre 
bei  der   Südbahn    zur  Ausfühnmg,   dort 
lernten     sie     andere     Bahnverwaltungen 
kennen     und     begannen     sie     versuchs- 
weise einzuführen.     Doch  auch  die  Ver- 
treter der  Luftdruckbremsen  waren  nicht 
müssig,  dieses  System,    das   in   Deutsch- 
land und  Frankreich   bereits   Boden  ge- 
fasst  hatte,    auch    in    Oesterreich  einzu- 
führen.   Im  Jahre  1882  richtete  die  k.  k. 
Direction     für     Staatseisenbahn  -  Betrieb 
zwei    gleiche    Züge    mit    Vacuum-    und 
mit   Westinghousebremse     ein     und  ver- 
anstaltete    parallele    Probefahrten     über 
die  Linien  der  Salzkammergut-Bahn,  an 
welchen     Vertreter     sämmtlicher     öster- 
reichischer    Bahnen     theilnahmen.     Bei 
diesen  Fahrten  ergab  sich,  dass  auf  lan- 
gen  Gefällsstrecken    die   Vacuumbremse 
viel    gleichmässiger    und    regelmässiger 
functionirte  als  die  Westinghousebremse, 
und  es  dürfte   der  Erfolg  dieser  Fahrten 
gewesen    sein,    welcher    die    österreichi- 
schen   Bahnen    für    die    Vacuumbremse 
gewann.      Einmal    in    grösserer    Menge 
eingeführt,    war  es    für   andere  Systeme 
schwer,   noch   in   eine  erfolgreiche  Con- 
currenz  zu   treten.     Im  Jahre   1885  war 
die  Vacuumbremse    bereits    bei   29  ver- 
schiedenen Bahnen   Oesterreich-Ungams 
eingeführt     und   an     1204    Locomotiven, 
3014    Brems  wagen   und    1386  Leitungs- 
wagen   angebracht,    im   Jahre    1895  er- 
reichte  dieselbe  die  Zahl   von  2931  Lo- 
comotiven, 8733  Bremswagen  und  625Q 
Leitungswagen. 


Wagenbau. 


511 


Bei  den  k.  k.  österreichischen  Staats- 
bahnen wurden  auch  Versuche  mit 
der  Carpenter- Luftdruckbremse  und  der 
Körting'schen  Vacuumbremse,  jedoch  ohne 
dauernden  Erfolg,  gemacht. 

Die  Streitfrage,  ob  automatisch  oder 
nicht  automatisch,  kam  jedoch  nicht  zur 
Ruhe,  die  bequeme  Handhabung,  die  nicht 
übermässige  Emptindhchkeit  gegen  kleine 
Gebrechen     und    die    geringen   Instand- 


wurde, so  konnte  doch  die  einfache 
Hardybremse  nicht  mehr  als  den  neuesten 
Luftdruckbremsen  vollkommen  gleich- 
werthig  angesehen  werden.  In  richtiger 
Erkenntnis  dessen,  dass  die  nicht  auto- 
matischen Bremsen  in  der  ferneren  Zu- 
kunft doch  nicht  mehr  entsprechen  werden, 
wurde  seitens  der  Vacuum  Brake  Company 
die  Construction  einer  selbstthätigen 
Vacuumbremse     in    Angriif    genommen. 


haltungskosten  sprachen  sehr  zu  Gunsten 
der  Hardy 'sehen  Vacuumbremse,  woge- 
gen nicht  in  Abrede  zu  stellen  war, 
dass  die  selbstthätige  Wirkung  der  Luft- 
druckbremsen und  die  raschere  Wirkung 
der  neueren  Typen  dieses  Systems  nicht 
zu  unterschätzende  VortheÜe  sind.  Es 
wurde  daher  neuerdings  in  den  Kreisen 
der  österreichischen  Bahnverwaltungen 
in  Erwägung  gezogen,  ob  die  einfache 
Hardybremse  den  Anforderungen  der 
Zukunft  noch  genügen  werde,  oder  ob 
man  sich  entschliessen  müsse,  auf  eine 
automatische  Bremse  überzugehen.  Wenn 
auch  unter  dem  Drucke  der  Kostenfrage 
letzteres  Bedürfnis   noch  nicht  anerkannt 


Bereits  im  Jahre  1889  wurden  die  ersten 
Fahrbetriebsmittel  der  Bosna-Bahn  mit 
automatischer  Hardybremse  ausgeführt, 
des  Weiteren  wurde  der  ganze  Fahrpark 
dieser  Bahn  für  die  automalische  Vacuum- 
bremse eingerichtet.  Der  wesenthchste 
Bestandtheil  dieser  Bremse  ist  der  auf 
der  Locomotive  angebrachte,  äusserst 
sinnreiche  Combinations-Ejcctor,  in  wel- 
chem durch  die  einfache  Bewegung  eines 
Drehschiebers  die  verschiedenen  Phasen 
der  Bremsung  zur  Wirkung  gebracht 
werden  können.  Bei  ungebremster  Fahrt 
befindet  sich  in  den  CyUndern  beider- 
seits des  Kolbens  Luftleere.  Wird  nun 
Luft  in  die  Rohrleitung  eingelassen  oder 


512 


Julius  von  Ow. 


dringt  dieselbe,  z.  B.  durch  Reissen  eines 
Schlauches,  ein,  so  entsteht  sofort  hinter 
dem  Kolben  Luftüberdruck,  welcher  sich 
bis  zum  Atmosphärendruck  steigert. 
Der  Locomotivführer  hat  es  vollkommen 
in  seiner  Hand,  die  Differenz  des  Luft- 
druckes vor  und  hinter  dem  Kolben,  mit- 
hin den  Bremsdruck  durch  die  Stellung 
des  Drehschiebers  zu  variiren.  Die  auto- 
matische Vacuumbremse  hat  mithin  nicht 
nur  die  Vorzüge  der  einfachen  Vacuum- 
bremse, sondern  auch  jene  der  übrigen 
automatischen  Bremsen.  Wenn  auch 
nur  nach  Secunden  gemessen,  ist  doch 
einige  Zeit  erforderlich,  bis  die  entleerte 
Rohrleitung  imd  die  Räume  in  den  Cy- 
lindem  mit  der  durch  den  Drehschieber 
einströmenden  Luft  gefüllt  werden, 
y.  Hardy  hat  deshalb  schnell  wirkende 
Ventile  construirt,  welche  an  jedem  Brems- 
wagen angebracht  sind.  Diese  Ventile 
sind  derart  eingerichtet,  dass  durch  eine 
momentane,  also  stossartig  eintretende, 
wenn  auch  geringe  Druckdifferenz  in 
der  Leitung  eine  Umstellung  dieser  Ven- 
tile vmd  damit  eine  Verbindung  des 
Cylinder-Untertheiles  mit  der  freien  Luft 
bewirkt  wird,  wodurch  die  Bremswirkung 
plötzlich  eintritt.  Wenn  auch  die  auto- 
matische Vacuumbremse  durch  die  ver- 
schiedenen fein  construirten  Bestand- 
theile  sich  hinsichtlich  der  Complicirtheit 
den  Luftdruckbremsen  von  Westinghouse, 
Schleifer  und  Carpenter  nähert,  so  sind  da- 
mit doch  auch  alle  jene  Vorzüge  erkauft, 
welche  den  letzteren  zugeschrieben  werden. 
Im  Jahre  1895  wurden  auf  der  Linie 
Wien-Gmünd  sehr  interessante  Vergleichs- 
versuche mit  Vacuumbremsen  angestellt, 
von  welchen  hier  nur  einige  Daten 
angeführt  sein  mögen.  Der  Zug  be- 
stand aus  sieben  Wagen  mit  27  Achsen, 
hatte  eine  Länge  von  132  w,  ein  Gewicht 
von  211  t  [exclusive  Locomotive]  und 
war  für  gewöhnliche  Vacuumbremse  sowie 
für  automatische  Vacuumbremse  mit  und 
ohne  Schnellventilen  eingerichtet.  Bei 
einer  Geschwindigkeit  von  72  km  bei 
Beginn  der  Bremsung,  gelangte  der 
Zug  zum  Stillstand  bei  einfacher  Va- 
cuumbremse in  42  Secunden,  bei  auto- 
matischer Vacuumbremse  in  31  Secunden, 
bei  letzterer  mit  Schnellventilen  in  23 
Secunden.     Die    entsprechend    zurückge- 


legten Wege,  vom  Beginn  der  Bremsung 
bis  zum  Stillstand,  betrugen  580,  395, 
280  m.  Man  sieht,  dass  unter  gleichem 
Verhältnis  der  Zug  mit  schnell  wirken- 
den Ventilen  um  eine  Distanz  von  300  m 
früher  zum  Stehen  kam.  Bei  einer  Ge- 
schwindigkeit von  86  ktn  betrug  diese 
Differenz  bereits  400  tn.  Je  geringer 
die  Geschwindigkeit  der  Fahrt,  desto 
geringer  ist  auch  der  Unterschied  im 
Bremseffecte.  Auf  Grund  dieser  Resul- 
tate hat  sich  die  k.  k.  General-Direction 
der  Oesterreichischen  Staatsbahnen  ver- 
anlasst gesehen,  zunächst  den  Luxuszug 
Wien-Carlsbad  mit  der  automatischen 
schnellwirkenden  Hardybremse  auszu- 
rüsten. Noch  eine  weitere  sinnreiche 
Einrichtung  hat  J.  Hardy  getroffen, 
durch  welche  es  möglich  wird,  die  auto- 
matische Bremse  auch  einfach  wirken 
zu  lassen.  Es  ist  dadurch  die  Möglich- 
keit geboten,  solche  Wagen  nach  Belie- 
ben mit  Wagen,  die  nur  für  einfache 
Bremse  eingerichtet  sind,  in  einem  Zuge 
zusammenzustellen.  —  Bis  zum  Jahre  1 895 
waren  in  Oesterreich  bereits  122  Loco- 
motiven  und  624  Wagen  für  die  auto- 
matische Vacuumbremse  eingerichtet 

Die  Luftdruck-  und  Luftsaugbremsen 
sind  von  dem  Luftmotor  auf  der  Loco- 
motive und  von  der  geschlossenen  Lei- 
tung abhängig,  und  deshalb  nur  für 
Personenzüge  geeignet,  wogegen  deren 
Anwendung  für  Güterzüge  unübersteig- 
bare  Hindernisse  entgegenstehen,  da  es 
nicht  möglich  ist,  dass  sämmtliche  Güter- 
wagen Europas  für  ein  einheitliches 
Bremssystem  eingerichtet  werden.  Selbst 
Gruppenbremsen,  wie  die  Becker'sche, 
konnten  nur  bei  einem  geschlosse- 
nen Güterzug- Verkehr,  wie  der  Kohlen- 
verkehr auf  der  Nordbahn,  einigen  Werth 
für  kurze  Zeit  finden. 

Es  erübrigt  noch  die  Erwähnung  der 
S  c  h  m  i  d'schen  Schraubenrad-Bremse,  eine 
Nachfolgerin  der  Heberleinbremse,  welche 
in  Oesterreich  auf  der  Kremsthalbahn  ein- 
geführt wurde.  Obwohl  dieselbe  in  ihrer 
dermaligen  Ausführung  mit  den  Luft- 
druck- und  Vacuumbremsen  nicht  con- 
currenzfähig  ist,  so  ist  dieselbe  doch  in- 
soferne  von  Interesse,  als  die  Aufgabe, 
die  Achsendrehung  als  Antrieb  der 
Bremse  zu  benützen,    sehr  sinnreich  ge- 


PerBonenwagen  der  Kaiser  Ferdinands-Nordbahn.   [1839.] 


Abb.  JMb.    11.  cia>» 


1.  mc    III.  CUno. 


514 


Julius  von  Ow. 


löst  ist.  Bei  dieser  Bremse  wird  durch 
die  FrictionsroUen  von  der  Achse  aus 
eine  Schraube  bewegt,  welche  in  ein 
Wurmrad  eingreift,  dieses  überträgt  die 
Bewegung  durch  Friction  zweier  Reib- 
scheiben auf  die  Kettentrommel  des 
Bremsgestänges.  Die  Pressung  zwischen 
den  Reibscheiben  ist  beliebig  stellbar, 
wodurch  auch  ein  beliebiger  Maximai- 
Bremsdruck  eingestellt  werden  kann. 
Durch  eine  Hebelcombination  ist  die 
Einrichtung  getroffen,  dass  bei  einem 
bestimmten  Bremsdrucke  die  Frictions- 
roUen automatisch  ausgelöst  werden, 
wogegen  das  Schraubenrad  das  selbst- 
thätige  Aufgehen  der  Bremse  hindert. 

Das  Lösen  der  Bremse  erfolgt  durch 
Aufhebung  der  Pressung  zwischen  den 
Reibscheiben ;  das  Einschalten  der  Bremse 
wird  dadurch  bewirkt,  dass  mittels  eines 
Hebels  die  Frictionsscheiben  zum  Ein- 
griff gebracht  werden.  Die  Bewegung 
der  Hebel  kann  entweder,  wie  bei  der 
Heberleinbremse,  mittels  einer  Leine, 
oder  auf  pneumatischem  oder  elektri- 
schem Wege  erfolgen.  Die  Mängel  aller 
Frictionsbremsen,  Empfindlichkeit  gegen 
Witterungseinfiüsse  etc.,  sind  auch  bei 
diesem  System  nicht    gänzhch    beseitigt. 

Unsere  besten  Bremssysteme  würden 
kaum  möglich  geworden  sein,  wenn  die- 
selben noch  mit  hölzernen  Bremsklötzen 
arbeiten  müssten.  Die  kurzen  Wege, 
welche  den  Bremsklötzen  gestattet  wer- 
den, der  momentane  grosse  Druck  und 
die  grosse  Umdrehungs-Geschwindigkeit 
der  Räder  verlangen  ein  widerstands- 
fähigeres Materiale  als  Holz. 

Bis  in  die  Siebziger-Jahre  glaubte 
man,  dass  Holz  das  einzig  richtige 
Materiale  für  Bremsklötze  sei.  In  dem 
Beschluss  der  Münchner  Eisenbahntech- 
niker-Versammlung vom  Jahre  1868 
heisst  es  unter  Anderem  :  »Von  fast  allen 
Bahnen  werden  Bremsklötze  von  Pappel- 
holz empfohlen.«  Als  man  allmählich 
Versuche  mit  Bremsklötzen  aus  Schmiede- 
eisen, Hartguss,  Stahlguss,  Gusseisen 
machte,  gelangte  man  schliesslich  zu 
dem  Resultate,  dass  hartes  Gusseisen 
dem  Zwecke  vollkommen  genüge  und 
auch  das  billigste  Materiale  sei.  Es 
werden  demnach  seit  circa  15  Jahren 
keine  Wahren  mit  hölzernen  Bremsklötzen 


gebaut,  und  bei  alten  Wagen  diese  all- 
mählich durch  eiserne  ersetzt. 

Für  die  Unterbringung  des  die  Brem- 
sen bedienenden  Personals,  für  die  Con- 
ducteure  und  Bremser,  war  in  der  ersten 
Zeit  des  Eisenbahnbetriebes  sehr  wenii: 
vorgesehen.  Auf  den  ältesten  Coupe- 
wagen findet  man  auf  dem  Dache  ganz 
frei  einen  kleinen  Sitz,  beinahe  ohne 
Lehne,  zu  welchem  nur  einige  sehr 
schmale  und  hochgestellte  Fusstrittc 
führen,  wie  solche  damals  bei  Kutscher. 
und  Omnibussen  üblich  waren. 

Es  ist  ein  Verdienst  der  öster- 
reichischen Bahnen,  dass  diese  früher 
und  ausgiebiger  für  den  Schutz  der  Zu<js- 
begleiter  vorgesehen  hatten,  als  die 
meisten  ausländischen  Bahnen,  insbeson- 
ders  jene  Amerikas,  wo  in  dieser  Bezie- 
hung noch  wenig  Rücksicht  geübt  wirJ. 
In  den  seit  dem  Jahre  1892  bestehenden 
behördlichen  Vorschriften  über  die  Bau- 
art der  Fahrbetriebsmittel  für  öster- 
reichische Bahnen  ist  nur  mehr  die  Aus- 
führung von  gedeckten  PlateaiLx  und 
mindestens  von  drei  Seiten  geschlossenen 
Bremserhüttchen  gestattet. 


IL  Personenwagen. 

Der  Personenwagen  der  Linz-Bud- 
weiser  Pferdebahn  [Abb.  323]  war 
eine  auf  ein  Eisenbahnwagen-Gestelle 
in  Federn  gehängte  Strassenkutsche. 
und  auch  die  Wagen  englischer  Tvpe 
schlössen  sich  im  Kastenbau  noch 
ganz  der  Bauart  der  damals  üblichen 
Strassenreisewagen  an.  Letztere  Wa- 
gen, welche  als  ein  Opfer  der  Eisen- 
bahnen seit  Jahrzehnten  aus  dem  \er- 
kehre  verschwunden  sind  und  vielleicht 
nur  vereinzelt  noch  als  Rarität  in  Re- 
misen alter  Palais  sich  finden,  waren 
ganz  achtbare  Leistungen  der  damaligen 
Wagenbauer  und  dienten  den  Eisenbahn- 
W^agenbauern  in  mancher  Hinsicht  als 
Vorbild.  Insbesonders  war  die  Form, 
Polsterung  und  Tapezirung  der  Sitze 
und  Lehnen,  die  Bauart  der  Seitenthüren, 
die  herablassbaren  Fenster  und  Vorhänge 
diesen  Waagen  entlehnt,  auch  die  Arm- 
schlingen   beiderseits     der    Coupethüreu 


H 


Wagenbau. 


515 


Personenwagen  der  Wien-Gloggnitzer  Eisenbahn   [1843.] 


Abb.  33s  si.    Wagen  I.  Clasae  fClr  56  Personen. 


DDDDDDÖDDDÖDÖÖ 


Abb.  325b.    Wagten  II.  Clagae  für  64  Personen. 


Abb.  335  c.    Wagen  III.  Classe  für  72  Personen. 


i"-|         I         i         I         I         i 


4- 


+■ 


■T"- 


Abb.  335  d.    Grundri&s  eines  Personenwagens. 


33* 


5i6 


jj  lLilJi 


findet  man  noch  in  Eisenbahnwagen, 
ebenso  wie  in  der  äusseren  Verschalung 
die  Kutschenform  wenigstens  markirt 
wurde.  Es  war  also  für  die  besseren 
Classen  der  Personenwagen  die  Grund- 
lage einer  ziemlich  soliden  Ausstattung 
bereits  vorhanden.  Die  erste  Ausrüstung 
der  Kaiser  Ferdinands- Nordbahn  bestand 
aus  66  Personenwagen.  [Abb.  324  a,  b, 
c,  d.]  Die  Wagen  I.  Classe  enthielten 
drei    Coupes    mit  18  Sitzplätzen,    waren 


j  wie     Kutschen     ausgestattet,     gepolstert 

I  und    mit    Tuch    überzogen    und    hatten 

I  Glasfenster.       Die     Wagen     II.     Classe 

j  waren    bescheidener    gehalten,    dieselben 

'  enthielten     24     mit     Leder     überzogem; 

I  Sitzplätze,     jedoch     keine     Abtheilunj,'*- 

I  wände,  dieselben  hatten  vorne  und  rück- 

■  wärts    geschlossene    Stirnwände,    waten 
auf   der  Seite  offen  und  nur  mit  Leder- 

I  vorhängen    verschli essbar.     So  viel  -^n- 

I  nehmlichkeit  wurde  den  Passagieren  der 


Wagen  Ilt.  Classe  nicht  mehr  geboten. 
Diese  Wagen  hatten  keine  geschlossenen 
Stirnwände,  sondern  nur  ein  auf  Säulen 
ruhendes  Dach  und*  seilliche  Piachen; 
sie  enthielten  32  einfache  hölzerne  Sitze. 
'  Endlich  gab  es  noch  ungedeckte  Wagen 
IV.  Classe. 

Für  dieWien-Gloggnitzer  Bahn  wurden 
im   Jahre  1842   115  Personenwagen   be- 
schafft   [Abb.  ■325  a,  b,  c,  d],    dieselben 
waren  vierachsige  Durchgangswagen  mit 
Plateau- Aufgängen.  Die  Wagen  I.  Classe 
hatten   56,  die 
II.  Classe  64, 
die  III.  Classe 
72   Sitzplätze; 
die  I.    und   II. 
Classe    hatten 
Glasfenster,die 
in.  Classe  nur 
Piachen.      Die 
Ausstattung 

war  jener  der"  1. 1,-. ,    ■„,    ^ 

Wagen         der     1» •' 

Kaiser  Ferdi- 
nand s-Nord- 
bahn  ziemlich 
gleich. 

Nachdem  - 
man  bald  nach 
Beginn         des 
ersten     Eisen- 
bahn-Verkehrs 

zur  Ueberzeu-  ^bb,  j^.  p«™«w^«  n,i.  m 
gung  gelangte, 

dass  offene  oder  nur  theilweise  geschlos- 
sene Wagen  dem  regelmässigen  Verkehre 
nicht  genügen,  so  wurde  der  Bau  solcher 
Wagen  nicht  mehr  fortgesetzt  und  man 
versah  auch  die  Wagen  II.  und  III.  Classe 
mit  beweglichen  Fenstern, 

Die  Dimensionen  der  ältesten  Eisen- 
bahnwagen zeigen  zwar  schon  eine 
wesentliche  Vergrösserung  gegenüber  den 
Strassen  wagen,  waren  jedoch  nach  unseren 
heutigen  Anschauungen  nur  auf  das  Noth- 
wendigste  beschränkt.  Besonders  genüg- 
sam war  man  in  den  Höhendimensionen, 
welche  ein  aufrechtes  Stehen  selbst  Per- 
sonen mittlerer  Grösse  nicht  mehr  ge- 
statteten. Di^  durchschnittlichen  Ab- 
messungen eines  Coupt's  waren  im  Jahre 
1838:  Höhe  f6o.  Breite  175,  Länge 
16  m,  während  dieselben  im  Jahre  1868 


durchschnittlich  betrugen :  Höhe  2cio, 
Breite  2'5,  Länge  18  m.  Es  entfiel 
demnach  für  einen  Passagier  II.  Classe 
im  Jahre  1838  ein  Luftraum  von  circa 
0'56  m",  und  im  Jahre  1868  ein  solcher 
von  circa  i-i  m*,  mithin  fand  nahezu 
eine  Verdoppelung  des  Rauminhaltes  pro 
Sitzplatz  statt.  Der  Vergleich  der  Skizzen 
[Abb.  336,  337  und  328]  von  Personen- 
wagen aus  den  Jahren  1838,  1868  und 
1898  zeigt  das  Verhältnis  der  Haupt- 
dimensionen der  Personenwagen  aus  jenen 
Zeitperioden. 

Die  Einthei- 
lung  der  Clas- 
sen  hat  sich 
vom  Anbeginn 
des  Eisenbahn- 
Betriebes  bis 
in  die  Neuzeit 
so  ziemlich 
gleich  massig 
erhalten ;  die 
vierte  Wagen* 
classe  erfreute 
sich  jedoch  in 
Oesterreich  nie 
einer  besonde- 
ren Frequenz 
und  wurde  all- 
mählich gänz- 
lich   aufgelas- 


ilb-Coupi  und  Scblafi 


.    [18J0.1 


Auf  die  glei- 
che Wagen- 
breite entfallen  drei  Sitze  1.  Classe,  oder 
vier  Sitze  II.  Classe,  oder  fünf  Sitze  III. 
Classe;  dieses  Verhältnis,  welches  bereits 
bei  den  ersten  Wagen  bestand  und  als  eine 
allgemeine  Norm  angenommen  ist,  ent- 
spricht auch  den  übrigen  räumlichen 
Verhältnissen,  mit  Ausnahme  der  Höhe 
des  Wagens,  welche  durch  das  vorge- 
schriebene Maximalprofil  beschränkt  wird. 
Während  ursprünglich  für  jede  Wagen- 
classe  separate  Wagen  gebaut  wurden, 
ergab  sich  später  die  Nothwendigkeit, 
gemischte  Wagen  zu  bauen,  und  insbe- 
sondere waren  es  die  Wagen  I.  Classe, 
welche  wegen  ungenügender  Ausnutzung 
seltener  gebaut  und  mehr  durch  gemischte 
[I.  und  IL  Classe)  ersetzt  wurden.  Eine 
aus  den  Fünfziger-Jahren  stammende  Er- 
höhung    der    Bequemlichkeit     war     die 


Einth eilung  von  Halb- Coupes,  welche 
sowohl  für  I.  als  II.  Classen  in  Anwen- 
dung kamen.      [Abb.    329.] 

Die  Halb-Coupös  I.  Classe  wurden 
bereits  in  den  Fünfziger -Jahren  als 
Schlaf-Coupes  eingerichtet,  indem  an 
der  Stirnwand  umklappbare  Fussschemel 
angebracht  wurden,  welche  in  umgelegter 
Stellung  eine  Verlängerung  des  hervor- 
gezogenen Sitzes  bildeten,  so  dass  aus 
RDcktehne,  Sitzpolster  und  Schemel  ein 
ganz  bequemes  Ruhebett  gebildet  wurde. 


Kopfkissen.  Eine  andere  Anordnung 
bestand  darin,  dass  ein  vollständiges  Ruhe- 
bett senkrecht  gestellt  in  die  RUckwand 
des  Sitzes  eingelassen  war  und  in  Char- 
nieren  umgelegt  werden  konnte,  wobei 
es  über  zwei  gegenüber  stehende  Sitze 
zu  liegen  kam.  Diese  Anordnung  er- 
fordert eine  Vergrösserung  des  Coupes, 
beziehungsweise  die  Einschaltung  eines 
Zwischenraumes  zwischen  den  Coupes 
zur  Unterbringung  des  Ruhebettes.  Die 
Constniction  dieser  verschiedenen  mecha- 


Während  die  Halb  -  Coupes  1.  Classe 
grösstentheils  mit  Einrichtungen  zur  Um- 
gestaltung der  Sitze  in  Schlafstellen  ver- 
sehen waren,  bestanden  solche  bei  den 
Voll-Coup6s  I,  Classe  nur  vereinzelt. 
Grösstentheils  war  die  Einrichtung  ge- 
troffen, dass  durch  aufklappbare  Arm- 
lehnen drei  neben  einander  befindliche 
Sitze  als  Schlafdivan  benützt  werden 
konnten ;  die  Verschiebbarkeit  der  Sitz- 
polster gestattete  dann  noch  diese  Lager- 
stätte zu  verbreitem.  Es  wurden  auch  ver- 
schiedene Einrichtungen  getroffen,  um 
zwei  gegenüber  liegende  Sitze  zu  einer 
Lagerstätte  zu  verbinden,  besonders  da- 
durch, dass  man  die  Sitze  auf  gelenkige 
Füsse  stellte,  welche  eine  Vorbewegung 
und  geringe  Neigung  der  Sitze  ermög- 
lichten; gleichzeitig  war  auch  die  Rück- 
lebne  beweglich  und  bildete  ein  bequemes 


[  nischen  Einrichtungen   zur  Umwandlung 
'  vonSitzplätzen  in  Schlafstellen  beschäftigte 
I   besonders  den  Wagenbau  Ende  der  Sech- 
ziger- und  Anfangs    der  Siebziger -Jahre. 
[  Es  waren  derartige  Einrichtungen  bei  den 
meisten  in  der  Ausstellung  im  Jahre  1873 
ausgestellten  Wagen  zu  finden.  Wenn  es 
!  auch  gelang,   mit  den  erwähnten  Einrich- 
I  tuntjen  bequeme  Lagerstätten  herzustellen, 
I  so    konnten    dieselben    doch    noch    kein 
I  Bett   ersetzen. 

I         Die  ersten  Wagen    der  Wien-Glogg- 
I  nitzer  Bahn  boten  einen  grossen  Fassungs- 
1  räum     bei     relativ    geringem     Eigenge- 
wicht und   hatten    alle  Vorzüge,    welche 
man  damals    für   einen  lebhaften  Local- 
verkehr   bei  nicht    zu    langer  Falirdauer 
verlangte ;     man    fand    daher    die    Wahl 
I  dieser  Type    sehr    entsprechend    und    es 
;  muss    dieser    Beurtheilung     auch    heute 


Abb.  3jt.    PecaoDCDvaeen  L,  n.  uod  III.  Clan 

noch  beigestimmt  werden,  wenn  berück- 
sichtigt wird,  dass  dieselbe  im  Grossen 
und  Ganzen  die  Grundtype  unserer 
neuesten  Localzugwagen  geworden-  ist. 
Es  war  daher  naheliegend,  dass  bei  der 
Beschaffung  der  Fahrbetriebsmittel  für 
die  nördlichen  Staatsbahnlinien  in  den 
Jahren  1844—1854  die  Type  der  Wien- 
Gloggnitzer  Bahn  beibehalten  wurde. 
Nachdem  diese  Wagen  bereits  für  längere 
Linien  bestimmt  waren,  konnte  man  dem 
Publicum  nicht  mehr  die  dichtgedrängten 
und  leichtgehaltenen  Sitzplätze  bieten, 
sondern  es  musste  für  mehr  Raum  und 
Bequemlichkeit  vorgesehen  werden.  Es 
wurden  demnach  die  Sitze  I.  und  II.  Classe 
gut  gepolstert  und  mit  hohen  gepolsterten 
Lehnen  versehen,  insbesonders  die  Sitze 
1.  Classe  wurden  mehrfach  in  Fauteuil- 
form  hergestellt ;  auch  die  Sitze  111.  Ciasse 
wurden  bequemer  geformt  und  mit  Lehnen 
versehen.  Die  Sitzreihen  wurden  paar- 
weise gegenüber  gestellt,  so  dass  Ab- 
theilungen zu  zwei  oder  vier  Sitzen  ge- 
bildet wurden.  Für  zwei  gegenüberliegende 
Sitze  wurde  eine  Länge  von  i'3  bis  17  m 
gewährt  und  in  der  Breitenrichtung 
wurden  bei  I.  und  theilweise  II.  Classe 
nur  drei  Sitze,  hei  III.  Classe  vier  Sitze 
[Abb.  330]  angeordnet,  endlich  wurden 
die  Wagen  vielfach  als  gemischte  Wagen 
I.,  IL,  oder  I.,  II.,  III.,  oder  IL,  III.  Classe 
gebaut     und     durch      Scheidewände     in 


llkhen  StutibahDcn.    [I8«.] 

mehrere  Abtheilungen  getheilt.  [Abb.  331.] 
Bei  der  grösseren  Verzweigung  der  Eisen- 
bahnen und  Verlängerung  der  Linien 
kamen  jedoch  die  Mängel  dieser  Wagen 
immer  mehr  zur  Geltung.  Sowohl  für  das 
reisende  Publicum,  als  auch  für  den  Be- 
trieb erwiesen  sich  kleinere  Wagen  mit 
abgeschlossenen  Coupes  zweckmässiger, 
indem  sich  in  denselben  die  Reisenden 
gegenseitig  weniger  belästigten  und  für 
längere  Fahrten  bequemer  einrichten 
konnten;  umsomehr,  als  damals  für  Be- 
heizung, gute  Beleuchtung,  Closets  etc. 
noch  nicht  vorgesehen  war.  Man  baute 
daher  für  Hauptlinien  nur  mehr  Coup6- 
wagen  und  verwendete  die  amerikanischen 
Wagen  fUr  den  Localverkehr,  in  welchem 
sie  vorzügliche  Dienste  leisteten,  und  wo  sie 
theilweise  heute  noch  Verwendung  finden. 
Mit  diesen  vorhandenen  vierachsigen 
Wagen  wurde  der  Bedarf  auf  den  Local- 
strecken  der  Südbahn  und  Staatseisen- 
bahn-Gesellschaft durch  lange  Zeit  ge- 
deckt. Erst  im  Jahre  1872  ergab  sich 
das  Bedürfnis,  eine  Vermehrung  der  aus- 
schliesslich für  den  Localverkehr  be- 
stimmten Wagen  vorzunehmen.  Da  jedoch 
mittlerweile  der  Bau  zweiachsiger  Wagen 
wesentliche  Fortschritte  gemacht  hatte, 
wurden  die  amerikanischen  Wagen  nicht 
mehr  vierachsig  mit  Drehgestellen  oder 
mit  Adams-Achsen,  sondern  et\vas  kürzer 
und     zweiachsig    gebaut.      Es    war    dies 


die  auf  der  Südbahn  zuerst  und  bald 
darauf  aucb  auf  der  Kaiserin  Elisabeth- 
Bahn  gebaute  Locaizug-Type  [Abb.  332], 
welche  heute  noch  als  solche  gebaut 
wird  und  neuester  Zeit  auch  für  die 
Wiener  Stadtbahn  angenommen  wurde, 
[Abb.  333,]  Es  ist  wohl  selbstverständlich, 
dass  hier  nur  die  Grundzüge  der  Type  und 
die  Gesammteintheilung  in  Betracht  kom- 
men, und  dass  in  den  Details  im  Laufe  der 
Zeit  wesentliche  Aenderungen  stattge- 
funden haben. 

Während  die  an  die  Wagen  für  den 
Loeal  verkehr  gestellten  Anforderungen 
durch  die  Int  er  Communications- Wagen 
mit  Mittelgang  zo  ziemlich  befriedigt 
wurden,  konnte  es  nicht  so  leicht  gelingen, 


bildete  bereits  vom  Anbeginn  des  specid- 
len  Eisenbahn  wagen -Bau  es  eine  schwere 
Aufgabe,  deren  Lösung  andauerndes  Stu- 
dium und  zahlreiche  Versuche  in  An- 
spruch nahm. 

Die  Type  der  Wagen  selbst  war  für 
die  Einrichtung  der  Beheizungsanlagen 
von  nebensächlichem  Einflüsse,  weshal!' 
mit  dem  Fortschritte  in  den  Beheizungs- 
systemen die  allmähliche  Einführung  der- 
selben sowohl  bei  Coup^wagen  als  Intcr- 
Communications,  -  Wagen  gleichmässio 
stattfand. 

Von  wesentlicherer  Bedeutung  für  die 
Bauart  der  Wagen  war  die  Unterbringung 
von  Closets  in  denselben. 

Der  Umstand,  dass  bei  dem  Betriebe 


den  viel  höher  gespannten  Anforderun- 
gen des  Fernverkehrs  ebenso  rasch  zu 
genügen.  Die  alten  amerikanischen  Wa- 
gen waren  bereits  gänzlich  aus  dem 
Femverkehr  eliminirt,  die  neueren  CoupiJ- 
wagen  waren  zwar  viel  besser,  aber 
es  gab  noch  genug  der  Wünsche,  wel- 
chen die  Wage nconstruc teure  entsprechen 
sollten.  Es  war  besonders  die  Zeitperiode 
Anfangs  der  Siebziger-Jahre,  in  welcher 
man  mit  dem  gewöhnlichen  CoupiJ- 
wagen  nicht  mehr  zufrieden  war  und 
noch  etwas  mehr  verlangte,  als  bequeme 
Sitzplätze,  wenn  sich  dieselben  auch  zu 
Schlafstellen  umgestalten  lassen.  Beson- 
ders in  zwei  Hinsichten  waren  Verbesse- 
rungen nothwendig,  in  Herstellung  einer 
entsprechenden  Beheizung  und  in  Anbrin- 
gung von  bequem  zugänglichen  Closets. 
Die  Waggonbeheizung,  welche  noch  an 
anderer  Stelle  eingehend  besproclienwird,*) 

■  ')  Vgl.  Bd  n,  Beheizung  und  Beleuchtung 
der  Wagen  von  R,  Freiherrn  von  G  o  s  t- 
k  o  w  s  k  i. 


ugw^eu,  [.S78.] 

der  ersten  Eisenbahnen  in  allen  Stationen 
reichliche  Aufenthaltszeiten  vorgesehen 
waren,  brachte  es  mit  sich,  dass  der 
Mangel  an  derartigen  Einrichtungen  im 
Zuge  kaum  fühlbarer  war  als  bei  irgend 
einem  Strassen  Verkehrsmittel,  und  dass 
man  überhaupt  gar  nicht  daran  dachte, 
derartige  Anforderungen  an  die  Eisen- 
bahnen zu  stellen. 

So  wie  für  die  Beheizung,  stellte  sich 
auch  das  Bedürfnis  nach  Closets  zuerst 
bei  jenen  Dienstwagen  ein,  welche  da? 
Personal  während  der  Stationsaufenthalte 
nicht  verlassen  darf,  also  bei  den  Post- 
wagen und  Gepäckswagen.  Man  findet 
demnach  auch  bereits  die  ältesten  Post- 
und  Gepäckswagen  mit  Aborten  versehen, 
welche  zwar  einfach  ausgestattet  waren, 
aber  doch  für  das  Personal  geni^en. 
Die  Closets  in  den  Gepäckswagen  waren 
auch  dem  Publicum  zugänglich  und 
wurden  deshalb  etwas  besser  ausge- 
stattet; manche  Bahnen  hatten  auch  je 
zwei  Closets  in  den  Gepäckswagen.   Dies 


musste  für  Jahrzehnte  den  Anforderungen 
genOgen,  obwohl  während  dieser  Zeit  sich 
der  Zugs  verkehr  wesentlich  geändert  hatte. 
Die  Züge  wurden  länger,  die  Aufenthalts- 
zeiten wurden  kürzer,  und  es  vergingen 
mehrere  Stunden  von  einem  längeren 
Aufenthalte  bis  zum   nächsten. 

Die  Unterbringung  von  Closets  in 
den  Personenwagen  musste  unbedingt 
eine  ungünstigere  Raumausnützung  für 
die  Sitzplätze  zur  Folge  haben,  und  des- 
halb ist  es  wohl  erklärlich,  dass  die  Her- 
stellung   solcher  Einrichtungen    nur  sehr 


eine  Stimthüre  in  eine  Abtheilung  ge- 
langt, in  welcher  sich  rechts  ein  VVarte- 
sitz,  links  das  Closet  befindet.  Nachdem 
einmal  der  Anfang  gemacht  war,  folgten 
rasch  verschiedene  Projecte  und  Aus- 
führungen, so  dass  bereits  in  der  Wiener 
Weltausstellung  1873  die  meisten  der 
ausgestellten  Wagen  I.  und  II.  Classe 
Closets  enthielten. 

Es  würde  zu  weit  führen,  die  ver- 
schiedenen projectirten  und  ausgeführten 
Wagentypen  mit  Cioseteinrichtungen  ein- 
zeln zu  besprechen,   und  sei  nur  so  viel 


zögernd  in  Angriff  genommen  wurde. 
Bezeichnend  ist,  dass  noch  in  den 
Sechziger -Jahren  Salonwai^en,  bei  dfenen 
weder  mit  Raum  noch  mit  Geld  gespart 
werden  musste,  ohne  Closets  gebaut 
wurden. 

Anfangs  der  Siebziger-Jahre  wurden 
die  ersten  Einrichtungen  getroffen, 
welche  Besserung  schaffen  sollten.  Die 
Kaiser  Ferdinands-Nordbahn  baute  im 
Jahre  1869  Personenwagen,  in  welchen 
Closets,  ähnlich  wie  in  den  Gepäcks- 
wagen,  untergebracht  waren.  Ebenso 
baute  die  Kaiserin  Elisabeth-Bahn  im 
Jahre  1871  eine  Anzahl  Wagen  I.  und 
II.  Classe  mit  Closets;  diese  Wagen 
haben  auf  der  einen  Stirnseite  ein 
Bremserplateau,  von  welchem  man  durch 


r  WliQtr  Stidihahn.  [i^ar-l 

bemerkt,  dass  das  Bestreben  der  Con- 
structeure  hauptsächlich  dahin  gerichtet 
war,  sämmtlichen  Passagieren  eines 
Wagens  das  in  demselben  befindliche 
Closet  zugänglich  zu  machen.  Dies  führte 
zu  zwei  Grundtypen,  indem  man  entweder 
durch  Verbindung  der  Coupes  einen  Durch- 
gang schaffte,  wodurch  der  Vorzug  der 
abgeschlossenen  Coupes  wieder  beein- 
trächtigt wurde,  oder  dass  man  die 
beiden  Endcoup^s  durch  einen  Seitengang 
verband,  von  welchem  aus  die  Mittel- 
coup^s  und  das  Closet  zugänglich  waren. 
[Abb.  334.]  Letztere  Anordnung  hat  den 
wesenthchen  Vortheil,  dass  die  Passagiere 
der  einzelnen  Coupes  durch  den  Verkehr 
über  den  Seiten  gang  nicht  belästigt 
werden    und    sich   abschtiessen    können. 


522 


Julius  von  Ow. 


Derartige  Wagen  wurden  bereits  Ende 
der  Sechziger-Jahre  in  Deutschland  ge- 
baut und  fanden  später  auch  auf  öster- 
reichischen Bahnen  Nachahmung. 

Bei  der  Bauart  als  Coup^wagen  mit 
seitlichen  Eingangsthüren  war  jedoch  die 
Breite  des  Wa- 


der Co up6 wagen  und  der  amerikanischen 
Wagen  vereint.  Es  währte  jedoch  mehrere 
Jahre  bis  ein  solcher  Wagen  zur  Aus- 
führung gelangte,  einerseits,  weil  die  da- 
maligen JBestimmungen  der  technischen 
Vereinbarungen    auch    für  Wagen   ohne 


gens    auf    2620 
nttn  beschränkt. 

Infolgedessen 
konnten  die  Mit- 
tel-Coupes nur 
sehr  schmal  ge- 
macht, bezie- 
hungsweise we- 
niger Sitzplätze 
in        denselben 

untergebracht 


Seitenthürennur 

Radstand  3  793"?  Eigengewicht  89 Tonnen.  SiLiplftAze^.^.  eine    Breite  VOn 

2*745  m  gestat- 
teten, anderer- 
seits, weil  Wa- 
gen dieser  Type 
doch  nur  für  den 
Sommerverkehr 
geeignet  gewe- 
sen wären.  Erst 
im  Jahre  1874 
wurde  ein  Wa- 


Abb.  354*    Coup^wagen  mit  Seltengaxiff.  [i88a.] 


werden.  Es  war  daher  der  erzielte  Vor- 
theil  ziemlich  theuer  erkauft,  und  dies 
war  wohl  auch  theilweise  die  Ursache, 
dass  solche  Wagen  nicht  in  grosser  An- 
zahl gebaut  wurden. 

Gleichzeitig  gab  jedoch  die  sonstige 
Zweckmässigkeit  dieser  Eintheilung  den 
Impuls,  eine  Verbreiterung  der  Wagen 
dadurch  anzustreben,  dass  man,  so  wie 
bei  den  alten  amerikanischen  Wagen, 
den  Eingang  über  Plattformen  von  den 
Stirnseiten  der  Wagen  eröffnete,  und  die 
seitlichen  Coup^thüren  wegliess. 


gen  nach  dem  System  Heusinger  für  die 
hessische  Ludwigs-Bahn  gebaut. 

In  Oesterreich  war  infolge  der  wirth- 
schaftlichen  Verhältnisse  die  Zeitperiode 
von  1873  bis  circa  1880  für  den  Wagen- 
Neubau  im  Allgemeinen  ungünstig,  da 
in  dieser  Zeit  weder  für  neue  Linien, 
noch  für  die  bestandenen  älteren  Linien 
grössere  Wagenbeschaffungen  stattfanden 
und  auch  für  einzelne  Ersätze  oder 
Ergänzungen  meistens  die  älteren  vor- 
handenen Typen  noch  beibehalten 
wurden. 


Abb.  335.    Personenwagen  von  Heusinger  von  Waldegg.    [1870.] 


Das  erste  derartige  Project  wurde 
von  Heusinger  von  Waldegg  im  Jahre 
1870  entworfen.  [Abb.  335.]  Nach  diesem 
Projecte  erhielt  der  Wagen  zwei  offene 
Plattformen  mit  seitlichen  Aufstiegen ; 
diese  beiden  Plattformen  waren  durch 
eine  offene  Galerie  verbunden,  welche 
nach  aussen  und  auf  den  Stirnseiten,  so- 
weit die  Stiegen  eingebaut  sind,  durch 
ein  eisernes  Geländer  geschützt  wurde. 
In  diesem  Projecte    waren  die  Vortheile 


Waren  bereits  Anfangs  der  Siebziger- 
Jahre  die  einfachen  Coup6wagen  als 
nicht  mehr  zeitgemäss  erkannt,  so  war 
nach  circa  zehn  Jahren  die  Zeit  der  ver- 
schiedenen Projecte  und  Experimente 
wieder  ihrem  Ende  nahe,  um  einer  klarer 
vorgezeichneten  Richtung  zu  folgen.  Nach 
einigen  Versuchen,  das  Coup^-System  mit 
dem  Durchgangs-System  zu  vereinigen, 
von  welchen  nur  der  im  Jahre  1877  ge- 
baute   Galerie  wagen    der    Südbahn   und 


die  etwas  später  gebauten  Mittelgang- 
Wagen  der  Nordbahn  erwähnt  seien, 
wandte  man  sich  auch  in  Oesterreich  im 
Principe  der  Heusing  er 'sehen  Type  zu. 
Die  Staatseisenbahn-Gesellschaft  baute 
im  Jahre  1880  einen  Snitewagen  für  den 
Hofzug,  in  welchem  dieses  System  voll  zur 
Geltung  kam.  Nach  gleicher  Type,  nur  mit 
entsprechend  geänderter  Sitz  ein  theilung, 
wurden  in  den  Jahren  1881  und  1882 
weitere  74  Stück  Personenwagen  I,  und 
II,  Glasse  seitens  der  O  est  erreich  i  seh - 
Ungarischen  Staatseisenbahn-Gesellschaft 
gebaut.  Noch  mehr  kam  jedoch  diese 
Type  zur  Geltung,  als  man  sich  im  Jahre 
1883  entschloss,   dieselbe  als  Grundtype 


I  Langlebigkeit  der  Personenwagen  die 
Intercommunications  -  Wagen    nicht    so- 

j  fort  auf  allen  Bahnen  eingeführt 
werden,  aber  auf  Hauptlinien  und  für 
Schnellzüge  sind  Intercommunications- 
Wagen   so   ziemlich    allgemein    in   Ver- 

I  Wendung. 

I  ,       Wenn  auch   die  Type  der    Intercom- 

I  munications  -  Wagen  mit  Seitengang 
gegenwärtig  noch  als  die  zweckmässigste 
erkannt  wird,  so  hat  dieselbe  doch  in 
den    letzten    15  Jahren    so  manche  Ver- 

I  besserung  und  Ergänzung  erfahren,    und 

I  sind  bei  den  Wagen  dieser  Type  die 
neuesten  Beheizungs-  und  Beleuchtungs- 

I  anlagen,  Signal-  und  Bremsvorrichtungen 


Abb.  i)6-    ViEiscblltc«  Per)0 

der  Personenwagen   der  Arlbergbahn  zu  ! 
acceptiren.    Es    war    von    grossem  Vor-  1 
theil,    dass  man   die    verschiedenen  Er-  ' 
fahrungen  der  letztenjahre  beim  Bau  dieser  j 
Wagen    verwerthete,    und    dadurch  eine  , 
Wagentype  in  den  Verkehr  setzte,  welche  j 
sich  nicht  nur  rasch  allgemeiner  Beliebtheit  | 
erfreute,  sondern  auch  die  Grundlage  für 
den  weiteren  Personen  wagen  bau  in  Oester- 
reich bot,  so  dass  mit  deren  Einführung 
das    Coup^wagen  -  System    mit     Seiten- 
thüren     sich     in     Oesterreich     überlebt 
hatte,     und    dass    für    den    Fernverkehr 
seit     Mitte     der     Achtziger- Jahre     nur 
mehr  Infercommunications-Wagen  gebaut 
wurden. 

In  die  behördlichen  Bestimmungen 
Ober  die  Bauart  der  Fahrbetriebsmittel 
der  österreichischen  Eisenbahnen  [vom 
Jahre  1892)  wurde  bereits  die  Vor- 
schrift aufgenommen,  dass  Wagen  für 
Hauptbahnen  nur  mehr  nach  dem 
Intercom munications- System  gebaut  wer- 
den dürfen.     Allerdings    können  bei  der 


!.  [i'w;.] 


etc.  zu  finden.  Im  Allgemeinen  aber  war 
man  bestrebt,  solche  Wagen  für  grosse 
Schnelligkeiten  zu  bauen,  es  wurden  daher 
die  Radstände  der  zweiachsigen  Wagen 
von  4*5  t»  allmählich  unter  Anwendung 
von  freien  Lenkachsen  auf  6  m  erhöht, 
dannbauteman  dreiachsige  Wagen,  welche 
wohl  für  Flachlandbahnen  auch  früher 
schon  vielfach  verwendet  wurden,  und 
nachdem  für  den  dreiachsigen  Wagen, 
in  so  ferne  es  sich  um  Gebirgsbahnen 
handelt,  eigentlich  die  Existenzberechti- 
gung fehlt,  so  ging  man  noch  weiter 
und  begann  vierachsige  Drehgestell  wagen 
zu  bauen.  [Abb.  336.] 


Bei  den  neueren  Personenwagen  kom- 
men nebst  den  Beheizungs-  und  Be- 
leuchtungs  -  Einrichtungen  verschiedene 
Details  zur  Anwendung,  welche,  wenn 
auch  für  den  Entwicklungsgang  des 
Wagenbaues    nicht     von     massgebender 


I.' 


Bedeulung,     doch     immerhin     als     Fort-  i 
schritte    zu     erwähnen      wären.     Hielier 
gehören     die    verschiedenen     Thür-    und 
FensterverschlUsse,     die      Einrichtunj^tn 
von    Doppelfenstern     und   Jalousien,     die 
Ventilationen,      die      Bodenbclnfre      und 
Wandverkleidungen,  die  Uebergänge  von  | 
Wagen     zu     Wagen     mittels     Brückun,  ' 
flexiblen     Geländern    und     Faltenbälgen,   ' 


nach  beiden  Seiten  zu  öffnende  Eingaiii;^ 
thUren  und  Silmmtliche  Si  gn  alein  rieh  lun- 
gen,  von  welchen  besonders  die  ver- 
schiedenen Intercommunications-Signale 
das  Ergebnis  langjähriger  Studien  un- 
Versuche  sind.*) 

'1   Vtil.   Bd.  III,   i,  Kohl  fürst,  Signa:- 
und  Telct;r;iphenwesen.  S.  94. 


525 


III.  Luxuswagen. 

Die  Personenwagen    und  deren  Ein- 
richtungen,    welche    h iaher    besprochen 
wurden,  dienen  dem  allgemeinen  Verkehr, 
und  bieten  dem  Passagier  nichts  Ausser- 
gewöhnliches,  d.  h.   das  in  solchen  Wagen 
Gebotene   ist  in  den  normalen  Fahrpreis 
miteinbezogen.  Es  gibt  jedoch  noch  viele 
Personenwagen,    welche   entweder  über- 
haupt nur  für  die  Reisen  einzelner  Persön- 
lichkeiten bestimmt  sind,  oder  welche  nur 
gegen  erhöhte  Ge- 
bühren   beigestellt 
werden,  oder  wel- 
che Einrichtungen 
enthalten,  für  deren 
Benützung  eine  be- 
sondere Gebühr  zu 
entrichten  ist.  Alle 
diese  Wagen  kann 
man    kurzweg   als 
Luxuswagen      be- 
zeichnen. 

Es  hat  von  jeher 
Reisende  gegeben, 
welche  gerne  einen 
höheren    Preis  be- 
zahlen, wenn  ihnen 
eine  gesicherte  und 
ungestörte   Schlaf- 
steile geboten  wird, 
und     welche    sich 
doch    nicht    sofort 
den    Luxus    eines 
separaten  Wagens  gestatten.    Um  diesen 
Ansprüchen     gerecht     zu     werden,     war 
man  bestrebt,  separate  Schlaf-Coupßs  zu 
bauen.      Bereits     im   Jahre     1858     hatte 
die    Staatseisenbahn  •  Gesellschaft     einen 
derartigen  Wagen.  [Abb.  337.]    In  dem- 
selben war  ein  Halb-Coup6  mit  vier  Sitz- 
plätzen, von  diesem  gelangte  man  durch 
zwei  ThUren  in  zwei  Abtheilungen,  welche 
in    der    Mitte    des   Wagens    durch    eine 
Längenwand    getrennt  waren.   An  dieser 
Scheidewand  waren   beiderseits    je    zwei 
Betten  übereinander  angebracht,    ähnlich 
wie    in    Schiffscabinen,     so    dass    jeder 
Passagier    seinen    Sitz     und    sein    Bett 
hatte.      Der  Wagen    enthielt  vier  Plätze 
L    Classe     mit    Betten    und     16    Plätze 
IL  Classe. 

Die  Einrichtung  von  Schlafplätzen  in 


den  Coupfiwagen  [vgl.  S.  518]  bilden  ein 
Ue bergan gsstadium,  einerseits  war  das  Be- 
streben vorhanden  für  die  Bequemlichkeit 
der  Reisenden  etwas  mehr  zu  bieten,  als 
einfache    Sitzplätze,     andererseits     fehlte 
noch    das  Vertrauen    in    die  Rentabilität 
besonderer   Schlafwagen,    weshalb    man 
sich   scheute,    für    die  Erbauung  solcher 
namhafte   Kosten    aufzuwenden.     Trotz- 
dem aber  verfolgte  man  mit  Interesse  die 
Bauart    der    Wagen    in    Amerika.    Was 
bei   uns  noch  mehr  oder  weniger  Luxus 
war,  war  dort  be- 
reits Bedürfnis,  in- 
folgedessen   nahm 
der  Bau  von  Schlaf- 
wagen in  Amerika 
einen  rapiden  Auf- 
schwung.    Beson- 
ders die  Schlafwa- 
gen, System   Pull- 
mann,   fanden    in 
Amerika       rasche 
Verbreitung       und 
wurden  vielfach  in 
der  deutschen  Fach- 
,    literatur       bespro- 
chen.      Es  waren 
demnach  auch  die 
in  Deutschland  und 
O esterreich    zuerst 
gebauten     Schlaf- 
wagen,   von    wel- 
chen in  der  Wiener 
Ausstellung        im 
Jahre  1873  fünf  verschiedene  Ausführun- 
gen   zu    sehen    waren,    diesem    Systeme 
nachgebildet.    [Vgl.  Abb.   338.]- 

Obwohl  bereits  mehrere  Jahre  früher 
in  Amerika  vier-  und  sechsachsige  Schlaf- 
wagen gebaut  wurden,  so  findet  man 
doch,  dass  die  ersten  österreichischen 
Schlafwagen  noch  ziemlich  die  Dimen- 
sionen der  damals  üblichen  zweiachsigen 
Wagen  beibehielten  und  infolgedessen 
für  keine  grossen  Geschwindigkeiten  und 
für  keine  besonders  grosse  Frequenz  be- 
rechnet waren.  Die  Hauptursache  liegt 
wohl  darin,  dass  dieselben  den  damaligen 
Verhältnissen  gemäss  hauptsächlich  für 
den  inländischen  Verkehr,  beziehungs- 
weise für  den  Verkehr  auf  den  eigenen 
Bahnlinien  bestimmt  waren.  Es  gab 
nicht  nur   in  Oesterreich,    sondern  auch 


}40.    SchlafwaKen,  Seiieaeans. 


526 


in  Deutschland,  Belgien  und  Frankreich  1 
wenige  Bahnen,  welche  auf  ihren  Linien 
allein  eigene  Schlafwagen  mit  Vortheil 
ausnutzen  konnten.  Dies  führte  bereits  im 
Jahre  1 872  zur  Gründung  der  ersten  Schlaf- 
wagen-Gesellschaft, Georges  Nagel- 
mackers  &  Co.,  welche  sich  den  inter- 
nationalen Schlafwagen- Verkehr  zur  Auf- 
gabe stellte  und  ihre  Wagen  in  den 
renommirlesten  Fabriken  bauen  Hess. 

Die  ersten  Wa- 
gen dieser  Gesell- 
schaft wurden  im 
Jahre  1873  auf 
der  Linie  Berlin- 
Aachen  und  Cöln- 
Ostende  in  Be- 
trieb gesetzt  und 
im  selben  Jahre 
noch  verkehrte 
der  erste  Schlaf- 
wagen dieser  Ge- 
sellschaft auf  der 
Linie  Wien-Mtln- 
chen-Paris.  Im 
Jahre  1874  wur- 
den bereits  für 
dieselbe  mehrere 
Schlafwagen      in 

der  Hern  aiser 
Waggonfabrik  ge- 
baut.    Diese  Wa- 
gen waren  zwei- 
achsig und  wur- 
denvorherrschend 
für  kürzere  Linien 
verwendet,   wäh- 
rend  für  weitere 
Relationen  dreiachsige  und  Ende  der  Sieb- 
ziger-Jahre auch  vierachsige  Schlafwagen 
in  Verwendung    kamen.    Mit  Ausnahme 
der  ältesten  zwei- und  dreiachsigen  Schlaf- 
wagen sind  die  Wagen  der  Schlafwagen- 
Gesellschaft  mit    Plateau-Eingängen  und 
Seitengang  [Abb.   339  und  340],    mithin 
nach      dem      System      Mann     gebaut. 
Die   Schlaf-Coupcs    sind  theils   als  VoU- 
CoupSs  mit  vier  Sitzen,  theils  als  Halb- 
Coupiis  mit  zwei  Sitzen  gebaut. 

Der  internationale  Verkehr  der 
Schlafwagen  blieb  nicht  ohne  Einfluss 
auf  den  Wagenbau,  nicht  nur  mit  Be- 
zug auf  die  Wagen  der  Gesellschuft, 
sondern    auch  im  Altge 


Abb.  Hl.    Spei 


besonders  auf  die  Bauart  der  vierath- 
sigen  Wagen. 

Ein  für  den  Verkehr  noch  mehr  ih  tu 
den  Wagenbau  wichtiger  Fortschritt  nir 
die  Einführung  von  Luxuszügen,  welcbt 
hauptsächlich    der    Schlafwagen  -  GescL- 
Schaft    ihr   Entstehen    und  ihre    Verbrei- 
tung   zu    verdanken    haben.     Der  er* 
derartige     internationale    Zug    war  Je: 
Orient -Expresszug,  welcher  im  Jahre  if^.; 
zwischen      Par;< 
und  Constantiro- 
pel     in    Verkel:: 
gesetzt       wurde. 
Der      Wagenbaj 
war    dabei  iii*'> 
ferne    intereäsirt. 
als      mit     dieser. 
Zügen    auch  die 
Restauration  5- 
und      Küchenn-a- 
gen     in     Betric':- 
kamen.  Die  Spei- 
sewagen sind  in 
ihren      HauptJi- 
mensionen  gleich 
den   «erachsiges 
Schlafn-agen,  >ic 
enthalten      mei- 
stens einen  Spei- 
sesalon mit  34Gc- 
decken[Abb,,?4i; 
und  einen  Raucti- 
und     Kaffeesalon 
mit  12  Gedecken; 
ausserdem    n«ti 
.,„ „D^,,  einen  Servirr.iuni. 

ewigen,  [iSi/i,)  iri.t. 

wenn  die  MM 

in  einem  separaten  Wagen  untergebracht 
ist ;  oder  statt  des  Servirraumes  die  Küctie. 
Die  Annehmlichkeit  der  Speisewagen 
hatte  zur  Folge,  dass  solche  nichl  iw 
in  den  Luxuszügen,  sondern  bald  aum 
in  den  wichtigeren  Schnellzügen  gefühn 
wurden ;  so  verkehrte  bereits  im  Jahre 
18K4  ein  Speisewagen  zwischen  Hie" 
und  BerHn.  Die  Speisewagen  macMen 
die  Herstellung  von  vollkommen  sicheren 
Uebergängen  von  Wagen  zu  Wagen 
zum  Bedürfnis.  Lange  Zeit  mussteman 
sich  auch  beim  Orient- Expresszuge  w' 
zwar  sicheren,  aber  offenen  Ueberbrllctu"- 
gen  begnügen,  erst  seit  wenigen  Jahren 
gclant^ten  die  geschlossenen  Faltenbil^^ 


bei  den  LuxuszUgen  zur  Anwendung. 
Dem  Orient- Expresszuge  folgte  im  Jahre 
1894  der  Ostende-Expresszug,  und  im 
Jahre  1895  der  Nizza- Expresszug. 

Welchen    Einfluss    die    Schlafwagen- 
Gesellschaft  auf  den  Verkehr  iu  Oester-  | 
reich        hat, 


gen,  welche  für  die,  die  Alpenländer 
durchziehenden  Bahnlinien,  besonders  für 
die  Kronprinz  Rudolf-Bahn  und  die  Salz- 
burg-Tiroler Bahn  in  verschiedenen  For- 
men gebaut  wurden.  Der  damaligen  Zeit, 
Anfang  der  Siebziger-Jahre,  entsprechend, 
waren  dies 
.  '  leichte  zwei- 
achsige Wa* 
'  gen  von  der 
;.  Dimensioni- 


10  Gepäckswagen  der  Schlafwagen-Ge- 
sellschaft auf  österreichischen  Linien  ver- 
kehrten. 

Die  Anforderungen  an  den  Wagenbau 
im  Allgemeinen  wurden  dadurch  gestei- 
gert, dass  auch  seitens  der  Bahnver- 
waltungen eigene  Luxuszüge  eingeleitet 
wurden.  So  wurden  für  den  Luxuszug 
Wien-Karlsbad  separate  Luxuswagen  ge- 
baut [Abb.  342],  diese  Wagen,  welche  in 
ihrer  Hauptbauart  den  vierachsjgen  Arl- 
berg wagen  ziem- 
lich  gleich   sind, 

unterscheiden 
sich  von  densel 
ben  hauptsächlich 
durch  die  luxU' 
riösere  Raumaus- 
theilung  und  Aus- 
stattung. [Abb. 
3  43.]  Das  Gewicht 
eines  solchen 

Wagens    beträgt 
32,650      kg,      ti 
entfällt  somit  au: 
einen       Sitzplatz 
eine    todle 
von      1632     kg. 
Diese    Luxus  w 
gen  sind  nur  f 
TageszUge       b 
stimmt,      enthal' 
ten    daher   keine 
Schlafstelle. 


Ein 


best 


dere  Gattung  von 
Luxuswagen  sind 
die   Aussichtswa- 


gen 
freistehenden 
I  Fauteuils  oder  einem  länglichen  Puff   in 
I  der  Mitte  [Abb.  344] ;  Fenster  an  Fenster, 
I  oder    zur    Hälfte     geschlossen    und    zur 
Hälfte  als  offene  Veranda   gebaut    [Abb. 
I  345];    auch    ganz   offen  mit  Eisenmöbel. 
'  Letztere    Wagen     konnten    sich    jedoch 
I  für   die  Dauer    nicht  bewähren,    da   die- 
selben  gar  keinen  Schutz    gegen   Regen, 
Wind   und  Rauch    boten.     Nachdem   der 
'  Reiz    der     Neuheit     vorüber     war    und 
I  Seitenlinien     sowie    Zahnradbahnen     bis 
in     die     hdheren 

Alpenregionen 
führten,  schwand 
auch  das  Inter- 
esse für  die  land- 
schaftlichen Reize 
der  Hauptlinien, 
die  leichten  Aus- 
sichtswagen wur- 
den auf  manchen 
Linien  durch  die 
mehr  Annehm- 
lichkeiten bieten- 
denRestaurations- 
wagen  verdrängt, 
und  finden  nur 
noch  auf  Neben- 
linien oder  bei 
Zügen  minderen 
Ranges  Verwen- 
dung. Infolge- 
dessen bestehen 
auf  Normal  spur- 
bahnen in  Oester- 
reich  nur  Aus- 
sichtswagen älte- 
1  miau- Wagen.  Ter  Constfuction. 


528 


Während  Reslaurations-,  Schlaf-  und 
Aussichtswagen  noch  immer  in  rej;e!- 
massigem  Turnus  fahrplanmässig  ver- 
kehren und  jedermann  zugänglich  sind, 
sind  die  eigentlichen  Salonwagen  nur 
für  einzelne  Persönlichkeiten  und  nur 
,  nach  Bedarf  im  Verkehr.  Die  Salonwagen 
der  verschiedeneil  Zeitperioden  repräsen- 
tiren  die  jeweilige  .  Leistungsfähigkeit 
des  Wagenbaues  sowie  der  decorativen 
Gewerbe,  und  würden,  de- 
taillirt  beschrieben,  alle  Fort- 
schritte des  Gesammt- Wagen- 
baues aufweisen,  andererseits 
aber  sind  auch  für  solche  Wa- 
gen stets  so  viele  specielle 
Motive  massgebend,  dass  eine 
detail  lirte  Besprechung  der 
Gonstruction  auch  die  Dar- 
legung des  jeweihgen  Baupro- 
grammes  bedingen  würde.  Vor 
Allem  sind  es  die  Hofwagen, 
an  welchen  der  Wagen  bau 
sein  Bestes  zu  bieten  bestrebt 
war.  Bereits  im  Jahre  1845 
wurde  von  Heindorfer  ein 
Hofwagen  für  die  Staatsbahnen 
gebaut  [Abb.  346],  welcher, 
der  damaligen  Type  der  ame- 
rikanischen Wagen  entspre- 
chend, vierachsig  mit  zwei 
Drehgestellen  und  mit  Plateau- 
Eingängen      versehen       war. 


Aehnlich  waren  auch  die  älte- 
sten Hofwagen  der  '  SQdbahr. 
und  der  Kaiserin  Elisabeth- 
Bahn  gebaut.  Die  später  ge- 
bauten Hofwagen  waren  mei- 
stens dreiachsig  bei  annähemd 
gleicher  Grösse  und  Einthei- 
lung  wie  die  vorerwähn icr. 
vierachsigen  Wagen. 

In   den  Jahren    1857  mi 
1858  wurden   von  der  Staats- 
bahn zwei  dreiachsige  und  dn 
g-     ^  zweiachsiger    Hof  wagen    ge- 

[~  ^^  baut.  Die  Firma  Lauenslein 

l— I  in  Hamburg  lieferte  im  Jahre 

-  1863  einen  dreiachsigen  Hof- 

I     ^j  wagen   an  die   Carl   Ludn-ig- 

^]  Bahn  und  im  Jahre  1864  einen 

solchen  an  die  Kaiser  Fcr- 
dinands-Nordbahn.  Für  die 
Kaiser  Franz  Josef-Bahn  wur- 
Jahre  1 870  drei  zusammen- 
gehörige Hofwagen  von  F.  Ringhoffer 
in  Prag  geliefert,  es  folgte  dann  noch 
der  Bau  mehrerer  zwei-  und  dreiachsij;ef 
Hofwagen,  unter  welchen  die  Hofjas;;!- 
wagen  der  Südbahn  und  der  Kaiser 
Ferdinands- Nordbahn  zu  erwähnen  wären. 
Alle  diese  älteren  Hofwagen  waren 
ursprünglich  den  Mängeln  des  damaligen 
Wagenbaues  unterworfen,  und  wenn  man 


den 


iUnB|;en  dsr  Kaiserin  EllubeUi.Batm. 


auch  bemüht  war  für  Beleuchtung,  Be- 
heizung und  Toiletten  mehr  zu  leisten 
als  bei  gewöhnlichen  Wagen,  so  war  der 
Erfolg  doch  noch  immer  sehr  bescheiden. 
Bei  den  meisten  dieser  Wagen  wurde 
durch  öftere  Reconstructionen  und  Adap- 
tirungen  das  Fehlende  zwar  theilweise 
nachgeholt,  so  dass  die  Wagen  im  Laufe 
der  Zeit  wesentliche  Aenderungen  er- 
litten, es  war  jedoch  nur  bis  zu  einer 
gewissen  Grenze  möglich,  ältere  Wagen 
zu    modemisiren,    da    man    insbesondere 


genommen  und  nach  gemeinschaftlicher 
Aufstellung  eines  Programmes,  der  Bau 
dieser  Wagen  der  Firma  F.  Ringhoffer 

Übertragen. 

Als  Bedingung  wurde  aufgestellt,  dass 
dieseWagenaufallen  Bahnendes  Deutschen 
Eisenbahn- Verbandes  und  auch  auf  den  nor- 
malspurigen  Bahnen  der  Nachbarländer  so- 
wohl zusammen  als  auch  einzeln  verwend- 
barseien; die  Ausstattung  sollte  stilgerecht, 
doch  einfach,  ruhig  und  ohne  jede  Ueber- 
ladung    gehalten     und    die    Ausführung 


IDanDDiDBfflBDDDDDDn 


^^ 


'^^^Ijf^ 


hinsichtlich  des  Laufwerkes  bei  Recon- 
structionen ziemlich  beschränkt  ist.  Auch 
die  Geschmacksrichtung  hat  sich  vielfach 
geändert.  Während  die  alten  Hofwagen 
in  erster  Linie  Parade  wagen  und  als 
solche  mit  Vergoldungen  und  grell- 
farbigen Tapezirungen  reich  ausgestattet 
waren,  neigte  man  sich  später  der 
Tendenz  hin,  den  hohen  Reisenden  vor 
Allem  bequeme  und  angenehme  Wagen 
zu  bieten  und  das  Auge  nicht  durch 
grelle  Farben  und  übermässige  Ver- 
goldung zu  ermüden. 

Als  im  Jahre  1872  in  Eisenbahn- 
kreisen die  Anregung  gemacht  wurde, 
durch  Erbauung  einer  aus  zwei  Wagen 
bestehenden  Keisewagen- Garnitur  für  Ihre 
Majestät  die  Kaiserin  die  Huldigung 
der  gesammten  österreichischen  Eisen- 
bahnen zum  Ausdruck  zu  bringen,  wurde 
diese  Anregung  von  sämmtlichen  Eisen- 
bahn-Verwaltungen    mit     Freuden     auf- 


r  Sta.ubataii.n.  [1845.] 

in  jeder  Hinsicht  die  sorgfältigste  sein. 
Auch  der  Radstand  dieser  dreiachsigen 
Wagen  wurde,  um  den  Verkehr  der 
Wagen  nicht  einzuschränken,  nur  mit 
4'43  tn  ausgefiihrt ;  im  Zusammenhange 
damit  konnte  auch  die  Gesammtlänge 
des  Wagens  nur  9  m  betragen.  Es  muss 
hier  bemerkt  werden,  dass  man  damals 
keine  Lenkachsen  ausführte  und  infolge- 
dessen eine  Verg  rosse  rung  des  Rad- 
standes für  scharfe  Krümmungen  unzu- 
lässig war.  Man  musste  daher  trachten, 
den  gebotenen  geringen  Raum  möglichst 
zweckmässig  auszunützen  und  glaubte 
dies  dadurch  zu  erreichen,  dass  der 
eine  Wagen  als  Schlafwagen,  der  zweite 
als  Salonwagen  gebaut  wurde  und  beide 
Wagen  durch  eine  mit  Faltenbälgen 
geschlossene  UeberbrUckung  verbunden 
wurden. 

Im  Jahre   1K74  wurden  diese  Wagen 
vollendet,  und  obwohl  infolge  der  gerin- 


gen    Dimensionen    die    Eintheilung    der 
Appartements    selbst    für    die    damalige 
Zeit     keineswegs     reichhaltig     genannt 
werden  kann,    so    wurde    den    Erbauern  : 
doch  die  Ehre  zutheil,  dass  diese  Wagen  i 
nunmehr    seit    23   Jahren 
für  die  Reisen  Ihrer  Ma- 
jestät der  Kaiserin  nahezu 
ausschliesslich       verwen- 
det   wurden,      }m     Laufe 
dieser  Zeit  erlitten    diese 
Wagen  nur  wenige  Aen- 
d!?rungen;  im  Jahre  1895 
wurden  sie  für  elektrische 
Accumulatoren  -  Beleuch- 
tung eingerichtet. 

Für  Reisen  Sr.  Ma-  > 
jestät  des  Kaisers  wurden  ^ 
meistens  die  Hof  wagen  5 
der  Staatseisenbahn-Ge-  (^ 
Seilschaft,  der  Kaiser  Per-  ^ 
dinands  -  Nordbahn  und  S 
der  Südbahn  benützt.  So-  n 
wohl  die  Kaiser  Fer-  r 
dinands  -  Nordbahn,  als  ° 
auch  die  Staatseisenbahn,  ^ 
haben  mit  Verwendung  ^ 
verschiedener  Salonwagen  ^ 
complete  Hofzüge  zu-  - 
sa  mm  enge  stellt  und  die-  ; 
selben  durch  Beigabe  eines  f 
Speisewagens  und  eines  ; 
Kuchenwagens  vervoll-  ? 
ständigt.  ^ 

Nachdem  jedoch  diese  ^ 
Züge      aus     Wagen     be- 
standen, welche  aus  ver- 
schiedenen     Zeit  Perioden 
stammten,     so     kam     in 
denselben  der  zeitgemässe 
Fortschritt  nicht  vollstän- 
dig zur  Geltung  und  die 
österreichischen  Bahnver- 
waltungen   konnten    sich 
nicht  verhehlen,  dass  die 
Zusammenstellung    dieser 
Hofzüge    nicht    mehr     dem     entspreche, 
was  sie    ihres    geliebten*  Kaisers  würdig 
erachteten.     Es   wurde  deshalb  im  Jahre 
1891   der  Beschluss  gefasst,    einen    com- 
pleten  Zug    für  Reisen  Sr.  Majestät  des 
Kaisers    zu    erbauen,     in     welchem    alle 
Forlschritte    des   modernen  Wageubauos 
zur  Geltung  kommen    sollten.     Naclulem 


durch  ein  aus  den  einzelnen  österrei.hi- 
schen  Bahn  Verwaltungen  gebildetes  G- 
mit^  das  Programm  und  die  Proje.:t 
verfasst  waren,  übernahm  die  Firr.j 
F.  Ringhoffer  den  Bau  des  Kaiserziy« 

welcher     im    Jahre    i>i.; 

vollendet  und  Sr.  Majc?iji 

vorgeführt    wurde.   [.\':^\:. 

347-] 

Der  Kaiserzug  besteh: 

aus  acht  Wagen,  von  nc- 

chen  fünf  Wagen  je  m;! 

und    drei   Wagen  je  Jr:: 

Achsen    erhielten   mä  11. 

nachstehender  Reihenii.vu- 

im     Zuge     zusammenjic- 

stelll  sind: 

I.  Dienst-,  Gepäcks- uiJ 
Beleuchtungswagen. 

3.  Wagen  far  Hofbedicr.- 
stete. 

3.  Wagen  für   Se.  Maje- 
stät den  Kaiser. 

4.  Wagen  für  die  B^Ici- 
tung  Sr.  Majestät 

5.  Speisewagen. 

6.  Küchenwagen. 

7.  Wagen  für  die  Be:;ic:- 
tung  Sr.   Majestäl. 

8.  Wagen  für  Bediensteic, 
Gepäcksabtheilung. 

Nächst  dem  \\asii 
für  den  Kaiser  ist  Jer 
Speisewagen  der  bemtr- 
kenswertheste  im  Zu£i: 
[Abb.  348.] 

Im  Speisesalon  [.Ahr 
349]  sind  als  Wandverklei- 
dung in  Holziriesen  einEf 
rahmte,  silber-  und  gil-- 
bronzirte  Lederfiillunsei: 
in  reicher  Handschnitietc: 
angebracht.  Die  Decke :?: 
in  drei  Felder  getheüi,  i- 
«eichen    Oelgemälde   !:i 

geschnitzten  Nussrahmen    befestigt  sini 

[Abb.  350.] 

Die  Wagen  für  die  Begleitung  Sr.  Mj- 

jestät  und  für  Hofbedienstete  sind  Seiten- 

gangwagen  in  mehr  oder  weniger  reicher 

Ausstattung. 

Der    vierachsige     Küchen  wagen   i'" 

gleichfalls    als  Seiten  gang  wagen    gebaJ' 


und  enthält  eine  grosse  KUche,  einen 
ServiTTaum  und  ein  Schlafcoup^  für  den 
Küchenchef  und  ein  Closet. 

Der      vierachsige      Maschinen  wagen 
enthält,  das  Conducteurcoupä,   daran  an- 


An  den  Maschinenraum  reiht  sich  der  Ge- 
päcksraum  und  an  diesen  das  Dienstcoup6 
I,  Classe,  welches  durch  einen  Seitengang 
abgeschlossen  ist,  von  welchem  man  auf 
den  gedeckten  Vorraum  gelangt. 


Abb.  34S.    Spclaewai 

schliessend  ein  kleines  Dienstcoup^;  von  1 
diesem  gelangt  man  in  den  Maschinen- 
raum, in  welchem  der  Dampfkessel,  die  | 
Dampfmaschine  und  die  Dynamomaschine 
für  die  elektrische  Beleuchtung  auf- 
gestellt ist  sowie  alles  Zugehör,  als 
Schaltbrett,  Wasser-  und  Kohlenbehälter, 
Verbindungen  für  die  Dampfheizung  etc. 


Durch  Erbauung  dieses  Zuges  hat  die 
Firma  F.  Ringhoffer  ein  glänzendes 
Zeugnis  der  österreichischen  Wagenbau- 
industrie geliefert,  ebenso  hat  die  Firma 
Bartelmus  in  Brunn  in  der  Construction 
und  Ausführung  der  elektrischen  Be- 
leuchtungsanlage Vorzügliches  geleistet. 
Die    Arbeiten    für    die    Ausschmückung 


Abb.  34g.    Speistealou  Im  SpelfenajfeD  d 


des  Zuges  erfolgten  nach  Zeichnungen 
der  Professoren  der  Prager  Kunst- 
gewerbeschule Architekt  G,  Stibral  und 
J.  Kastner,  die  Gemälde  im  Speise- 
salon sind  von  Professor  F.  2enisek  in 
Prag,  Für  die  Erbauung  des  Zuges 
wurde  nach  Möglichkeit  inländisches 
Material  verwendet.  Der  complete  Zug 
findet  gewöhnlich  nur  bei  Reisen  Sr.  Maje- 
stät mit  grossem  Gefolge  Verwendung, 
wogegen  bei  sonstigen  Reisen  nur  nach 
Erfordernis  einzelne  Wagen  benutzt  wer- 


IV.  Secundärzug-Wagen. 

Durch  Einfuhrung  des  SecunJäi- 
betriebes  auf  einzelnen  Bahnlinien,  ao6 
mehr  aber  durch  die  Erbauung  \'in 
Schmalspurbahnen,  Zahnradbahnen,  Draht- 
seilbahnen, Dampftramways  und  elekti- 
schen Bahnen  hat  sich  ein  SpecialznciJ 
des  Wagenbaues  gebildet.  Im  Allge- 
meinen wird  für  Wagen  derartitrcr 
Bahnen  ein  möglichst  geringes  Gewich;, 
leichte    Beweglichkeit    in    kleinen  Bahc- 


den.  Für  kurze  Fahrten,  besonders  zu 
Jagden,  werden  von  Sr.  Majestät  noch 
meistens  die  kleineren  Wagen  der  Süd- 
bahn und  Nord  bahn  benützt.  Gewiss 
ist  es  von  Interesse,  dass  Se.  Majestät 
bis  vor  wenigen  Jahren  sich  auf  der 
Reise  keines  Bettes  bediente,  sondern 
sich  mit  einem  Schlaffauteuil  begnügte. 
Diese  Fauteuils,  welche  unter  der  Be- 
zeichnung »Kaiser  -  FauteuiJ«  bekannt 
sind,  bestehen  aus  zwei  TheUen,  einem 
Fauteuil  gewöhnlicher  Form  und  einer 
Verlängerung  desselben,  welche  zu- 
sammengestellt eine  Chaiselongue  bil- 
den. An  einer  Armlehne  des  Fauteuils 
ist  ein  Klapptischchen  angebracht.  Man 
findet  demnach  auch  die  älteren,  für 
Reisen  Sr,  .Majestät  früher  verwendeten 
Hof  wagen  nur  mit  Schlaf  fauteuils  aus- 
gerüstet. 


krümmungen,  zweckmässige,  nicht  allzu- 
beengte  Sitzeintheilung,  freie  Aussichi 
und  geschmackvolle  Ausstattung  verlanet; 
dagegen  wird  auf  grosse  Fahrgeschwin- 
digkeiten, auf  lange  Züge  und  auf  jene 
Bequemlichkeiten,  weiche  für  langdauem Je 
Fahrten  verlangt  werden,  verzichtei. 
Ferner  kommt  hei  vielen  dieser  Bahnen 
die  Nothwendigkeit  der  Ber Ucksichtiguni 
des  Ueberganges  der  Wagen  auffremJc 
Linien  überhaupt  nicht  in  Frage.  Es  ent- 
fallen mithin  sehr  viele  constructive  Be- 
schränkungen und  Verpflichtungen,  welche 
bei  Normalspurbahnen  nicht  zu  umgehen 
sind.  Für  Localbahnen  mit  normaler 
Spurweite,  welche  meistens  doch  i" 
Hauptlinien  anschliessen  oder  wenigsten* 
in  absehbarer  Zeit  einen  Anschluss  i^r- 
warten  lassen,  werden  in  neuerer  Zeil 
nur    mehr    Wagen    derselben   Type  "ic 


für    die  Localstrecken   der  Hauptbahnen 
gebaut.  In  froherer  Zeit,  als  noch  solche 
Linien  vereinzelt  waren   und  auf  Ueber- 
gänge  und  Anschlüsse    weniger  Bedacht 
genommen    wurde,     war    man     bestrebt, 
für  dieselben  leichtere  Wagen  zu  hauen. 
Diese     Sparsamkeit     führte     auch     zum 
Bau       der      sogenannten       Etagewagen. 
In     einem    Etagewagen    III.  Classe    von 
1 1.290  A^  Eigengewicht,  konnten  90  Sitz- 
plätze III.  Classe  untergebracht  werden. 
[Abb.    351.]     Obwohl     bei    den    Etage- 
wagen   an    Gewicht    pro  Sitzplatz  ziem- 
lich viel  erspart  wurde,  zeigten  dieselben 
doch    bedeutende    Uebelstände;    es    be- 
schränkte sich  daher  der  Bau  der  Elage- 
wagen  auf  die  Periode  Anfangs  der  Siebzi- 
ger-Jahre und 
wurde     nicht 
weiter  fortge- 
setzt.      Eine 
gleichfalls   in 
dieselbe  Zeit- 
periode     fal- 
lende Wagen- 
Construction 
waren        die 
Dampf  wagen 

oder      Omni-  Abt.  3S1.   Eta 

bus  wagen,  bei 

welchen  man  den  Motor  und  den 
Wagen  in  einem  Fahrzeuge  vereinigte. 
Es  waren  vierachsige  Wagen  mit  zwei 
Drehgestellen,  von  welchen  das  eine  mit 
vollständigem  Dampfbetriebs-Mechanis- 
mus  versehen  war,  [Abb.  352.]  Im 
Kasten  ober  diesem  Drehgestelle  war 
der  stehende  Dampfkessel  nebst  Zu- 
ge hör  untergebracht.  Der  übrige  Theil 
des  Wagens  war  als  Personenwagen 
III.  Classe  gebaut.  Auch  diese  Dampf- 
wagen hatten  keine  lange  Lebensdauer  I 
und  werden  nur  mehr  für  manche 
Zahnradbahnen  .gebaut.  Es  würde  7.\x 
weit  führen,  auf  die  Bauart  der  Wagen 
für  Schmalspur  -  Bahnen,  für  Dampf- 
tram ways,  Zahnrad-  und  Drahtseilbah- 
nen sowie  Tramways  und  elektrische 
Bahnen  näher  einzugehen  und  es  sei  nur 
erwähnt,  dass  insbesondere  auf  den  bos- 
nisch-herzegowinischen  Bahnen  eine  Fülle 
von  sinnreich  durchdachten  und  sorgfäl- 
tigst ausgeführten  Wagen-Constructionen 
zu    finden    ist,    welche    den  Verkehr    auf 


diesen  Schmalspur- Bahnen  jenen  der  Nor- 
malspur-Bahnen ebenbürtig  machen.*) 

Zu  den  für  Personen-Beförderung  be- 
stimmten Wagen  sind  auch  noch  jene 
Wagen  zu  zählen,  welche  die  Bestimmung 
haben,  dem  müden  Erdenwanderer  auch 
noch  auf  seinem  letzten  Wege  zur  Ver- 
fügung zu  stehen.  Es  war  die  Erste 
Eisenbahn  wagen- Leihgesell  Schaft  in  Wien, 
für  welche  von  der  Waggonbau- Anstalt 
von  Kasimir  Lipiiiski  in  Sanok  im  Jahre 
1894  der  erste  österreichische  Leichen- 
transport-Wagen gebaut  wurde.  Früher 
wurden  für  Leichen  trän  Sporte  gewöhn- 
liche gedeckte  Güterwagen  verwendet 
und  es  war  dabei  nicht  zu  vermeiden, 
dass  durch  das  ganze,  gewissermassen 
rohe        Aus- 


wagen.    (1N70.) 

der  Bahntransport  von  Leichen  wenig 
pietätvoll  erscheinen  musste  Der  erwähnte 
Leichenwagen  ist  nach  Bauart  der  Inter- 
communications- Wagen  mit  zwei  Platt- 
formen hergestellt,  der  Kasten  des  Wagens 
enthält  zwei  Abtheilungen,  den  Aufbah- 
rungsraum  und  ein  Coupß  für  die  Begleiter. 
Auf  beiden  Seiten  des  Wagens  führt 
eine  gedeckte,  seitlich  offene  Galerie  um 
den  Kasten,  so  dass  die  Passage  durch 
den  Wagen,  ohne  Betreten  der  Innen- 
räume, möglich  wird.  In  dem  Aufbahntngs- 
raume,  welcher  mit  grossen  Fenstern 
versehen  und  entsprechend  drapirt  ist, 
ist  in  der  Mitte  ein  Podium  aufgestellt, 
welches,  auf  Schienen  beweglich,  durch 
eine  Doppelthüre  über  die  Plattform  vor- 
gerollt werden  kann.  Die  Verladung  des 
Sarges  erfolgt  in  gleicher  Weise  wie  bei 
den  Fourgons  der  Leichenbestattungs- 
Unternehmungen.  Die  ganze  Ausstattung, 


•)  Vgl.   Bd.   m.,  F.  Äeiula,  Die  Eis. 
nen  irn  Occupationsgebiete. 


Form  und  Decorirung  des  Wagens  ist 
eine  ernste,  würdevolle,  dem  Zwecke 
entsprechende. 


V.  Dienstwagen. 

Ein  Mittelding   zwischen    den  Perso- 
nen-   und    Güterwagen    sind    die    soge- 
nannten Dienstwagen,  und  diese  scheiden 
sich  wieder  in  Conducteur-  und  Post- 
wagen.   Der  Conducteur  wagen  war  von 
jeher    ein    etwas    besserer    Güterwagen 
mitPersonen  wagen- 
Untergestelle,    und 
hat  an    den    allge- 
meinen     Verbesse- 
rungen    nur    inso- 
feme      Theil      ge- 
nommen,  als  diese 
auch    den    ührigen 
in     Personenzügen 
rollenden  Wagen  zu 
Gute    kamen.     Die 
Conducteurwagen 
erfreuen  sich  kaum 
seit  mehr  als   zwei 
Decennien  einer  Be- 
heizung ;     gar    oft 
hatte     früher    ein- 
gefrorene Tinte  die 
Eintragungen        in 
den  Stundenpctssen 
erschwert.  Die  älte- 
sten     Conducteur- 
wagen hatten  offene  ^^ji  ^^^ 
Plattformen,        auf 

welchen  die  Zugführer  und  Conducteure 
verweilen  mussten,  um  die  Bremsen  zu 
bedienen,  und  diese  Eintheilung  ist  auch 
bei  jenen  Bahnen  beibehalten,  welche 
Plateaubremsen  hatten  ;  bei  anderen  Bah- 
nen wurden  die  Bremsersitze  des  Con- 
ducteurwagens  in  erhöhte,  mit  Glas- 
fenstem  versehene  Aufbaue  des  Mani- 
pulationsraumes  verlegt,  so  dass  der 
Zugsführer,  ohne  das  Innere  des  Wagens 
zu  verlassen,  den  Zug  überblicken  und 
die  Bremse  bedienen  kann. 

In  den  ersten  Zeiten  des  Eisenbahn- 
betriebes waren  Conducteur-  und  I'ost- 
räume  in  einem  Wagen  vereint,  wie  dits 
auch  gej^cnwärtig  noch  auf  vielen  Seiten- 


linien der  Fall  ist.    Mit  dem  Eisenbahn- 
betrieb nahm  jedoch  auch  das  Postwegen 
einen   rapiden  Aufschwung,    so   dass  in 
kurzer    Zeit    eine   Abtheilung    im    Cor,- 
ducteurwagen      für      Postzwecke     nid: 
mehr  genügte,  und  besondere  Postwaiieu 
'  eingestellt      werden      mussten.      ZuJcrri 
ergab    sich    das    Bedürfnis,     Postmanipu- 
I  lationen  auch  während  der   Fahrt  vorzu- 
'  nehmen.  Ks  wurden  daher  im  Jahre  I^4^) 
die    ambulanten  Postbureaux    eingefühlt. 
(  Die   Bauart    der  Wagen    bot    keine  be- 
i  sonderen  Schwierigkeiten,  indem  die  !ür 
den  Postdienst  erforderliche  Einrichtunj;, 

Schreibtische,    Fj- 

cherstellagenetc.  \rr. 
Wagenkasten  leicht 
unterzubringenwat. 
Etwas       mehr 
Schwierigkeit    b  t 
für     die     damali;:c 
Zeit  die  Beheizung 
der  Postwagen,  ix 
man  doch  eine  ziem- 
lich    gleichmassi>;e 

Erwärmung  de* 
Wagens    bei   Ver- 
meidung von  Feu- 
ersgefahr verlangen 
musste.     Es  wurde 
daher  im  Jahre  1X41) 
der  bekannte  Pjtiv 
techniker  Professar 
Meissner  einge- 
laden,  diese  Fra^c 
einem  eingehenden 
.......  t«.]  Studium   z»   «mer- 

ziehen.  Seitens  Jet 
k.    k.    General -Direction     der     Commu- 
nicationen    wurde    demselben     ein    Wa- 
gen III.  Classe   auf    dem   Stationsplatze 
Hohenstadt     zur    Vornahme     von     \  tr- 
'  suchen     zur     Verfügung    gestellt.    Nach 
I    verschiedenen    Probefahrten    wurden  im 
Juni      I S50      amtliche      Proben      vorge- 
!  nommen,    deren    günstiges    Resultat   die 
Ceueral-Direction    veranlasste,     bis   zum 
Herbste     1S50    weitere    26    Wagen   tür 
1   die    ambulante  Post  nach  dem  Meissner- 
schen     Svstem     einzurichten     und    zwi- 
schen    Wien  -  Bodenbach      und     Wien- 
.  Üderberg    in    Betrieb    zu    setzen.      Die:>c 
Hei  Zungseinrichtung      wurde      filr     al'*^ 
Piistumhulanz- Wagen  angenommen    unJ 


blieb    lange    Zeit     das    vorgeschriebene 
Normale  für  die  Poslambuianz -Wagen.  •) 
Für   die  Erfordernisse   der   Post   ge- 
nügten auf  den  Hauptlinien  bereits  in  den 

FUnfziger-Jahren  zweiachsige  Wagen 
nicht  mehr,  es  wurden  daher  aus  zwei 
Wagen  combinirte  Postambulanz- Wagen 
gebaut,  welche  mit  ganz  kurzer  Kuppe- 
lung und  Buffern  enge  verbunden  und  mit 
einer  von  einem  Lederbalg  umschlossenen 
UeberbrUckung  versehen  wurden.  [Abb. 
353-]  Wir  finden  daher  bei  den  Postwagen 
die  ersten  Faltenbälge  angewendet.  In 
neuester  Zeit,  bei  der  allgemeineren  An- 
wendung von  vierachsigen  Drehgestell- 
wagen,   werden   auch   die  Postambulanz- 


Strassenbauten,  Uferbauten   etc.    in    den 
verschiedensten  Varianten  findet. 

Der  charakteristische  Unterschied  zwi- 
schen diesen  Fahrzeugen  und  dem  eigent- 
lichen Eisenbahnwagen  besteht  in  der 
Anwendung  von  Tragfedern  bei  letzteren, 
welche  einerseits  zum  Schutze  der  La- 
dung, beziehungsweise  des  Fahrzeuges 
und  des  Oberbaues  gegen  harte  Stösse, 
andererseits  zur  Vertheilung  der  Beta- 
stung auf  die  einzelnen  Kader  noth- 
wendig  wurden.  In  England  wurden 
bereits  im  Jahre  1830  offene  Güterwagen 
mit  Tragfedem  gebaut.  Diese  Wagen, 
welche  auch  als  erste  Güterwagen  auf 
den    österreichischen    Bahnen    eingeführt 


Abb.  J5J.     Puilomli 

Wagen  nach  dieser  Type  gebaut.  Die 
Abtheilungen  für  den  Manipulationsdienst 
sind  wie  die  stationären  Postämter  ein- 
gerichtet.    [Abb.  354.] 


VI.  Güterwagen. 

Ursprünglich  war  der  offene  Güter- 
wagen das  einzige  Lastfuhrwerk  auf  den 
älteren  Pferde- Eisenbahnen.  [Abb.  355.] 
Alle  diese  Wagen  gehören  zu  jener  Type, 
welche  wir  heule  als  provisorische  Bau- 
fuhrwerke und  Bahn  wagen  bezeichnen, 
und      welche     man     bei     Steinbrüchen, 

•)  Vg 


,l.r«-WaB".  fl^.l 

wurden  und  unter  dem  Namen  Lowries 
bekannt  sind,  wurden  für  eine  Tragfähig- 
keit von  So  Ctr.  ausgeführt,  dienten 
für  den  Transport  aller  Güter,  welche, 
wenn  nöthig,  mit  Theerdeeken  zuge- 
deckt wurden.  Im  Jahre  1838  wurden 
solche  Lowries  in  England  mit  abnehm- 
baren Stirn-  und  Seitenwänden  gebaut; 
um  mehr  Kaum  für  die  Unterbringung 
der  Frachtstücke  zu  gewinnen,  wurden 
von  Stirnwand  zu  Stirnwand  Firstbäume 
gelegt,  über  welche  die  beweglichen 
Decken  gespannt  wurden.  Aus  letzterer 
Conslruction  entwickelte  sich  der  ge- 
deckte Güterwagen. 

Für  den  Bau  der  Güterwagen,  war' 
von  jeher  nur  der  Geschäfts  Standpunkt 
massgebend.  Man  will  in  der  Beschaffung 
und    in  der  Erhaltung  möglichst    billige 


536 


Julius  von  Ow. 


Wagen,  welche  dem  allgemeinen  oder 
einem  speciellen  Transportzwecke  voll- 
kommen entsprechen  und  ungehindert 
in  jenen  Relationen,  für  welche  sie  be- 
stimmt sind,  verkehren  können.  Aller- 
dings werden  diese  Bedingungen  zu  ver- 
schiedenen Zeiten  und  an  verschiedenen 
Orten  auch  verschieden  aufgefasst  und  1 
es  ist  daher  oft  schwer  zu  beurtheilen,  I 
ob  eine  neue  Constructionstype  gegen-  | 
über  älteren  Typen  als  ein  Fortschritt 
zü  bezeichnen  ist.  Der  Fortschritt  liegt  beim 
Lastwagenbau  hauptsächlich  in  der  Ma- 
terialverwendung und  Materialbearbei- 
tung. Heute  stehen  uns  Eisen-  und 
Stahlfabricate  zur  Verfügung,  die  vor 
50  Jahren  noch  unbekannt  waren,  imd 
in  den  Fabriken  liefern  die  Maschinen 
Arbeiten,  welche  früher  eben  nicht  zu 
leisten  waren. 

Mit  dem  wachsenden  Verkehr  nahm 
auch  das  Bedürfnis  nach  Wagen  für 
specielle  Zwecke  zu.  Es  ist  ein 
Zeichen  des  sich  immer  mehr  ent- 
wickelnden Handels  und  Verkehrs,  dass 
für  verschiedene  Frachtgattungen  heute 
zahlreiche  Special wag-en  bestehen,  für 
welche  Frachten  man  in  früheren  Zeiten 
die  Erbauung  von  Specialwagen  nicht 
rationell  erachtete.  Der  Lastwagenpark 
jeder  Bahn  stellt  sich  aus  den  eben  dort 
benöthigten  Typen  zusammen,  so  dass 
eigentlich  jede  Bahn  für  sich  eine  Ent- 
w^icklungs- Geschichte  ihrer  Lastwagen 
aufzuweisen  hat. 

Im  Nachstehenden  werden  die  ersten 
Beschaffungsjahre  verschiedener  Wagen- 
gattungen der  alten  nordöstlichen  Staats- 
bahnen und  deren  Nachfolgerin,  der 
Staatsei senbahn- Gesellschaf t,  angegeben , 
welche  Daten  jedoch  nur  ein  allgemeines 
Bild  geben  sollen,  für  welche  Wagen- 
typen damals  bereits  ein  Bedürfnis  auf 
jenen  Linien  vorhanden  war. 

Lowries,  gedeckte  Güterwagen,  Pferde- 
wagen 1845,  Feder  Viehwagen  1846, 
Langholzwagen  1850,  Kohlenwagen  1853, 
Borstenviehwagen  1854,  Hom Viehwagen, 
Hochbordwagen,  Cokeswagen  1855,  Oel-  I 
transportwagen  1858,  Bierwagen  1867,  1 
Krahnwagen  1867,  Wasserwagen  1869,  I 
Kesselwagen  1870.  Selbstverständlich  | 
haben  diese  Wagengattungen  bei  späte- 
ren Beschaffungen  manche  Aenderungen 


erlitten,  so  dass  die  modernen  Wagen 
wesentlich  anders  aussehen,  als  die  er- 
wähnten ältesten  Tj^pen. 

Mit  der  Zunahme  der  Eisenindustrie 
wurde  beim  Bau  der  Lastwagen  zwar 
das  Eisen  mehr  verwendet  als  zur  Zeit 
der  Erbauung  der  älteren  Wagen; 
es  wurden  wohl  auch  ganz  eiserne 
Wagen  mehrfach  gebaut,  im  Allgemeinen 
blieb  man  jedoch  bei  dem  gemischten 
System  und  verwendet  besonders  für 
Verschalungen,  Decken  und  Fussböden 
und  auch  für  die  Kastengerippe  beinahe 
ausschliesslich  Holz. 

Das  Bestreben  der  Wagenbauer  war 
stets  darauf  gerichtet,  die  Güterwagen 
ohne  wesentliche  Erhöhung  des  Gewichtes 
möglichst  fest  und  dauerhaft  zu  bauen 
und  nothwendige  Reparaturen  thunlichst 
zu  erleichtem.  Während  bei  den  ältesten 
Güterwagen,  besonders  Kastenwagen,  noch 
die  Bauart  mit  zahlreichen  Holz  Verbindun- 
gen und  Verzapfungen,  mehrfachen  Ver- 
schalungen und  vollständiger  Trennung  des 
Kastens  vom  Untergestelle  üblich  war,  be- 
gann man  später,  nachdem  man  die  Mängel 
dieser  Construction  für  die  Instandhaltung 
und  Reparatur  kennen  gelernt  hatte,  die 
Holzverschneidungen  und  Verzapfungen 
möglichst  zu  vermeiden,  die  Kasten- 
säulen möglichst  frei  zu  legen  und 
mittels  Consolen  und  Schrauben  kräftig 
mit  dem  Untergestelle  zu  verbinden; 
ebenso  wurde  die  in  den  Sechziger- 
Jahren  beliebte  doppelte  Verschalung 
durch  eine  stärkere  einfache  innere  Ver- 
schalung vortheilh3,ft  ersetzt. 

Hinsichtlich  der  Grösse  und  der 
Tragfähigkeit  der  Güterwagen  wäre  zu 
erwähnen,  dass,  wenn  auch  in  der  Neuzeit 
etwas  grössere  Wagen  gebaut  werden, 
dies  jedoch  als  kein  wesentlicher  Fortschritt 
im  Wagen  bau,  sondern  lediglich  als  eine 
Anforderung  des  Verkehrs  und  der 
Tarife  zu  betrachten  ist.  Die  Tragfähig- 
keit der  Wagen  ist  gleichfalls  vielfach 
durch  die  Verkehrsanforderungen  bedingt; 
für  den  Wagenbau  sind  die  Grenzen 
durch  den  zulässigen  Achsdruck  ge- 
geben, und  durch  Vermehrung  der  An- 
zahl der  Achsen  kann  eine  ganz  be- 
deutende Tragfähigkeit  erzielt  werden. 
So  wurden  für  Krupp  in  Essen,  Gruson 
in    Magdeburg,    Skoda    in  Pilsen    u.  A. 


eigene  Wagen  mit  6  bis  16  Achsen  und 
einer  Tragfähigkeit  bis  zu  140^  gebaut. 
Dies  sind  natürlich  Ausnahmen ;  gewöhn- 
liche Güterwagen  wurden  früherer  Zeit  bei- 
nahe allgemein  für  200  Zollcentner  ^  10  / 
Tragfähigkeit  gebaut.  Erst  seit  den 
Achtziger-Jahren  kann  als  übliche  Trag- 
fähigkeit 13-5  t  und  für  offene  Güter- 
wagen 15  t  angenommen  werden.  Eine 
weitere  Steigerung  der  Tragfähigkeit 
findet  ihre  Grenze  in  der  zulässigen 
Belastung  der  Brücken  und  Bauobjecte, 
durch  welche  der  Verkehr  schwerer 
Wagen    viele    Beschränkungen    erleidet 


porte  und  für  alle  offen  zu  verladenden 
Stückgüter  verwendet  werden.  Man 
baut  auch  Uni  versa!  wagen,  welche  als 
gedeckte  Güterwagen  und  als  Personen- 
wagen verwendbar  sind.  Die  jeweilige 
Umgestaltung  der  Universal  wagen  ist 
jedoch  in  vielen  Fällen  zu  umständlich, 
um  den  vollen  Werth  derselben  zur 
Geltung  kommen  zu  lassen. 

Anders  verhält  es  sich  mit  mobilen 
Transporteinrichtungen,  welche  nur  das 
Vorhandensein  gewisser  permanent  im 
Wagen  angebrachter  Bestand  theile  be- 
dingen.    In   erster  Reihe    sind    hier   die 


Es  entstand  nun  die  Aufgabe,  inner- 
halb der  gestatteten  Grenzen  Wagen  zu 
bauen,  welche  dem  Güterverkehr  am 
meisten  entsprachen.  Diese  Aufgabe  filhrt 
zu  zwei  geradezu  entgegengesetzten  Con- 
structions- Bedingungen,  nämlich  zur  Con- 
struction  von  Universalwagen  und  von 
Special  wagen. 

Beim  Bau  von  Universal  wagen  liegt  die 
Tendenz  zugrunde,  den  Wagen  für  mög- 
lichst verschiedenartige  Frachtgattungen 
verwendbar  zu  machen.  Solche  Universal- 
wagen sind  z.  B.  offene  hochbordige Wagen 
mit  abnehmbaren  Bordwänden,  Rungen 
und  Drehschemeln.  Diese  Wagen  kön- 
nen abwechselnd  für  Kohlentransporte, 
für  Bretlertransporte,  für  Langholztrans- 


itichBlcen  Po»tw.Be>ia,    [l*»  ] 

Einrichtungen  für  Mihtärmannschafts-  und 
Pferde transporte  zu  nennen ;  die  für  diese 
Transporte  erforderhchen,  nach  einem 
Normale  vorgeschriebenen  fixen  Be- 
schläge bilden  ebenso  integrirende  Be- 
standtheile  der  Güterwagen,  wie  beispiels-  . 
weise  die  Beschläge  für  Zollverschlüsse 
oder  die  SignallatemstUtzen.  Am  Wagen 
selbst  sind  jedoch  im  Verwendungsfalle 
keinerlei  Aenderungen  oder  Umgestaltun- 
gen vorzunehmen,  und  deshalb  ist  auch 
eine  rasche  Einrichtung  der  Wagen  mit 
mobilen  Einrichtungs  -  Gegenständen  in 
allen   Depötstationen  möglich. 

Nachdem  alle  oder  doch  die  über- 
wiegende Mehrzahl  der  gedeckten  Güter- 
wagen für  den  Militärtransport  verwend- 


bar  sein  sollen,  so  ist  es  erklärlich,  dass 
durch  diese  Eignung  die  Wagen  in  keiner 
Weise  für  ihre  normale  Verwendung  als 
Güterwagen  eingeschränkt  werden  dürfen, 
und  dass  nicht  nur  neue  Wagen,  sondern 
auch  alte  Wagen  für  Militärzwecke  ge- 
eignet sein  müssen.  Die  Trajisport- 
einrichtungen  wurden  daher  den  üblichen 
Wagenformen  angepasst.  Als  im  Jahre 
1886  einheitliche  Normalien  für  Mihtär- 
Tran Sporteinrichtungen  aufgestellt  wur- 
den, ergaben  sich  mit  Rücksicht  auf  diese 
Normalien  verschiedene  Bedingungen, 
welche  beim  Bau  neuer  Wagen   berück- 


sichtigt werden  mussten.  Diese  Ein- 
richtungen genügen  auch  thatsächlich 
bei  Truppentransporten,    konnten   jedoch 


entsprechend      befundi 
sobald    es    sich  um    die  Beför- 
von    Kranken    und  Verwundeten 


nicht 
werden, 
derung 
handelt. 

Die  Kriegsjahre  1 866  und  1 870 
gaben  reichlich  Gelegenheit,  die  Er- 
fordernisse für  die  Krankentransporte 
kennen  zu  lernen.  Im  Jahre  1866  bestan- 
den noch  keine  vorbereiteten  Sanitäts- 
wagen. Allerdings  wurde  von  der  Kaiser 
Ferdinands-Nordbahn  eine  grössere  An- 
zahl Güterwagen  für  Krankentransporte 
eingerichtet,  indem  in  diesen  Wagen 
Hängegurten  und  transportable  Trag- 
betten  in  sehr  zweckmässiger  Weise  unter- 
gebracht wurden,  aber  gewisse  Mängel 
der  Güterwagen  konnten  doch  nicht  be- 
seitigt werden,  welche  für  den  Gesunden 
weniger  fühlbar,  für  den  Kranken  noch 
immer     empiindHch     sind.*)      Auch     im 

"""•]"  \VirauchBJ.  II,  Unsere  Eisenbiilinen 
im  Kriege.    S.  14'i  und  ff. 


I  deutsch -französischen  Kriege    waren  iljt 
Lazarethzüge      noch      keineswegs     dem 
Erfordernis  entsprechend,  wenn  auch  für 
I  dieselben     bereits     umfangreichere    Vor- 
I  bereitungen  getroffen  waren.    Auf  Gnuii 
'   dieser  Erfahrungen  wurde  in  der  folgenJcn 
Zeit    mit    lebhaftem    Eifer    an    der  .\iii- 
Stellung  von  Grundzügen  und  der  Orj;j- 
nisation  von  Eisenbahn-Sanitätszügen  ge- 
I  arbeitet,  und  in  der  Weltausstellung  voni 
Jahre  1873  war  bereits    eine    zahlreiche 
j   Reihe    eingerichteter  Eisenbahn-Sanitä:s- 
j  wagen   deutscher  und  französischer  Pro- 
:  venienz    zu    sehen,    in  welchen  die  \-er- 
schiedenen  Bestrebungen    zur  Förderung 
des    humanen    Werkes    zum    Ausdrucke 
I  kamen.   Es  war  bald  klar,  dass  weder  Je: 
gewöhnliche  Personenwagen,  noch  der  j;c- 
wöhnliche  Güterwagen  geeignet  seien,  un- 
,  mittelbar  als  zweckmässiger  Lazarethw.i- 
1  gen  verwendet  zu  werden,  und  dass  es  n'it!.- 
wendig  sei,    für  diese  Zwecke  besondere 
Wagen     zu    bauen     oder    durch    L'mbüu 
I  herzustellen.   Nach  mehrfachen  Versuchen 
I  und  Berathungen    in  den    massgebenden 
militärischen    und    Eisenbahnkreisen   gc- 
j  langte    im   Jahre  1877  das  Normale  für 
I  Eisenbahn-SanitätszUge   in  Wirksamkeii, 
I  in    welchem    die    Zusammensetzung  der 
I  Sanitätszüge,  deren  Einrichtung  und  alk 
I   Functionen  von  der  Activirung  der  ZiJsri; 
i  bis  zu    deren  Abrüstung    eingehend  be- 
'  handelt  sind.     Nach  diesem  Normale  ist 
j  die  Adaptirung   der  Eisenbahnwagen  in 
eine    vorbereitende    und    eine    definitive 
j  getrennt.      Die    Eisenbahn -Verwaltungen 
I  sind  verpflichtet,   eine  bestimmte  Anzahl 
I  Wagen    vorbereitend    adaptirt    in   ihren 
Lastwagen  parke   zu  führen.    [Abb.  35^1 
I  Sowohl  die  Bauart  dieser  Wagen  al> 

I  auch    die  Unterbringung    der  Tragbellen 
I   und  das  System  der  Beladung  durch  die 
I  SchubthUren  basiren  auf  denselben  Grund- 
ideen, welche  bei  der  provisorischen  Em- 
j  ricbtung    der  Nordbahnwagen    im  Jahre 
1866    und    bei  den   im  Jahre  1873  aus- 
gestellten deutschen  Wagen  zur  Anwen- 
dung   kamen,    und    die    bei   aller  Rii'^'^' 
I  sieht    auf   die    sanitären    Anforderung" 
doch     mehr     den     Umbau     vorhandener 
Güterwagen,     als     den     Neubau    solcher 
Wagen    im  Auge    behielten.     Noch  vnr 
,   Erscheinen     des     Normales     fUr     Eisen- 
bahn -  Sanitätszüge     befasste    sich    Jtr 


souveräne     Malteser     Ritterorden      ein-  j 
gehend    mit  dem   Studium   der  Sanitäts- 
zltge  und  fasste  den  Beschluss,  aus  eigenen  I 
Mitteln  einen  Muster-Sanitätszug  zu  bauen,   ' 
auszurüsten    und    als   Schulzug    zu   ver-  I 
wenden.  Mit  unermüdlichem  Eifer  wurden 
von  Dr.  Freiherm  von  Mundy  und   dem  I 
Director  der  Simmeringer  Waggonfabrik, 
Herrn  H.  Zippe  rling,  die  Bauart  dieser 
Sanitätswagen,  die  ganze  Einrichtung  und  , 
Ausrüstung,  aus- 


nications  -  Personenwagen  mit  offenen 
Plattformen.  Aussen  sind  die  Wagen  mit 
dem  Genfer  Kreuz  und  je  zwei  Malteser 

Kreuzen  gekennzeichnet.  Die  gesammte 
innere  Einrichtung  und  Ausrüstung  wurde 
auf  Grund  der  reichen  Erfahrungen  des 
Freiherrn  von  Mundy  auf  das  Zweck- 
massigste  angeordnet. 

Nachdem    der  Musterzug  des  souve- 
ränen Malteser  Ritterordens  erbaut,  ausge- 
tet     und     in 


gearbeitet,     und 

sen    Domäne 

im     März     1875 

akonitz  remi- 

war  der  aus  16 

worden  war. 

Wagen      beste- 

n    im    Jahre 

hende  Zug  voll- 

<6 ein  Ueber- 

endet.    Der  Ver- 

kommen   des 

wendung       und 

.veränen  Mal- 

Einrichtung  nach 

är      Ritteror- 

bc-steht  der  Zug 

is     mit     den 

aus: 

erreich!  sehen 

rSannverwaJtun- 

I  Commandan- 
ten-  und 

tc 

Tp^fi  ar—nr 

art'" 

gen       zustande, 

Aerzte  wagen, 
I  Vorrathswa- 

^ ! --'- 

nach      welchem 
letztere  sich  ver- 
pflichteten,    die 
für     fünf    Züge 

gen, 
I  Kilchenwa- 

|B:  ^.|[B^iam-4i| 

erforderlichen 

gen, 
I  Speisewagen, 
I  Magazinswa- 

Wagen    zu    be- 
schalTen,      diese 
nach  dem   Nor- 

I Montur-   und 

male     der    Mu- 

RUstungswa- 

sterwagen  zu  er- 
bauen    und    im 

10  Ambulanzwa- 

Mobilisirungs- 
falle  dem  souve- 

gen. 

ränen     Malteser 

Obwohl  auch 

Ritterorden     zur 

bei  der  Construc- 

Verfügung       zu 

tion  dieser  Wa- 

ABB.  JSO.    tlsenBann.sanuatiwaetn.    (IKTT-J 

stellen.  Diese  als 

gen  auf  ihre  Verwendbarkeit  als  Güter-  | 
wagen     Rücksicht     genommen    war,     so 
wurde     diese     doch     nur     insoferne     zur  i 
Richtschnur   genommen,   als  es  sich  um  ! 
die     Herstellung     neuer     Wagen      han- 
delte. Die  Malteserwagen  [Siehe    Bd.   II,   1 
Abb.    25  und    26,    Seile   150]    sind  nach   I 
Art    der    im    Jahre    1873    ausgestellten  ; 
französischen  Wagen  gebaut  und  beruhen 
auf  dem  Systeme    der   Verladung    durch 
die  Stirnthüren  und  der  Beleuchtung   von 
oben.  Diese  Wagen    besitzen  daher    auf 
beiden    Enden    Plattformen    mit  Stiegen, 
in  gleicher  Weise    wie    die  Intercommu- 


Malteserwagen  bezeichneten  Wagen  stehen 
als  gedeckte  Güterwagen  in  Verwendung. 
Der  Malteser  Schulzug  leistete  im  bosni- 
schen   Feldzuge    hervorragende   Dienste. 


Die  neuere  Richtung  des  Güterwagen- 
Baues  ist  besonders  durch  den  Bau  von 
Special  wagen  gekennzeichnet.  Gewisse 
Specialwagen,  z.  B.  Pferdewagen,  Klein- 
viehwagen, Langholz  wagen,  bestanden 
zwar  in  der  ältesten  Zeit  der  Eisenbahnen 
[siehe  Seite  536],  andere  Typen  ent- 
wickelten sich  jedoch  erst  später,  nachdem 


das  Bedürfnis  hiefÜr  eingetreten  war.  Ganz 
besonders  wird  der  Bau  von  Special  wagen 
durch  die  Einstellung  von  Parteiwagen 
in  die  Fahrparke  der  einzelnen  Bahnen 
begünstigt.  Die  Bahn  Verwaltungen  können 
in  ihren  Fahrparken  nur  Wagen  besitzen, 
für  welche  eine  dauernde  Verwendung 
sicher  oder  wenigstens  wahrscheinlich  ist, 
und  entschliessen  sich  schwer,  besondere 
Wagen  zu  bauen,  deren  Verwendbarkeit 
nur  von  dem  Bestände  eines  einzelnen 
Etablissements  oder  einer  temporären 
Geschäfts-Conjunctur  abhängig  ist. 

Da  nahezu  täglich  neue  Specialwagen 
entstehen,    so  würde    es   zu  weit  führen. 


richtung  specieller  Biertransport-Waum 
Es  wurden  damals  unter  Leitung  des 
Central  -  In  spe  et  ors  W.  Bender  iwp': 
Güterwagen  für  Biertransporte  eir- 
gerichtet,  welche  Type  im  Allgemeinci; 
heute  noch  für  Biertransport -Wagen  ar:- 
gewendet  wird.  Diese  zwölf  Wagen  waren 
in  regelmässigem  Turnus  zwischen  Viia 
und  Paris  und  ermöglichten  es,  dass  ii- 
Bier  mit  einer  Temperatur  von  -j-  5'  i" 
Paris  anlangte.  Das  Renommee,  dtsicr. 
sich  das  Schwechater  Bier  in  Paris  er- 
freute, hatte  es  demnach  nicht  zum  ;!■ 
ringen  Theil  dem  inländischen  Wa^c::- 
bau  zu  verdanken. 


solche  einzeln  besprechen  zu  wollen  und 
es  mögen  hier  nur  die  wichtigsten  Typen 
erwähnt  werden. 

Eine  wesentliche  Bedeutung  haben 
die  Kühlwagen  erlangt.  Lange  Zeit  war 
es  nicht  möglich,  in  der  warmen  Jahres- 
zeit gewisse  Artikel,  welche  in  der  Wärme 
dem  Verderben  ausgesetzt  sind,  aufweite 
Entfernungen  zu  befördern ;  selbst  bei 
Transporten,  welche  keine  längere  Zeit 
als  eine  Nacht  erforderten,  war  es  schwer, 
die  erforderliche  Temperatur  zu  erhalten. 
Es  war  daher  nahezu  ausgeschlossen,  die 
Versendung  von  gewissen  Consum- 
artikeln,  zu  welchen  in  erster  Linie  das 
Bier  zu  rechnen  ist,  auf  weitere  Absatz- 
gebiete auszudehnen. 

Die  Ausstellung  in  Paris  im  Jahre 
1 867  gab  den  Anlass  dazu,  die  Verfrach- 
tung des  Bieres  in  Gebinden  auf  weite 
Entfernungen  ernstlich  anzustreben  und 
die  Firma  A.  Dreher  wendete  sieb  an  die 
Staatseisenbahn-Gesellschaft  wegen  Ein- 


orl-Wag««.    [1895) 

Der  damals  erzielte  glänzende  Er- 
folg bewirkte,  dass  der  Bierirans]v>' 
in  Kühlwagen  nicht  auf  die  Aus- 
stellungs  -  Periode  und  nicht  auf  Ji' 
Relation  Wien-Paris  beschränkt  bliA 
sondern  auch  im  Inlande  immer  mehr 
Beachtxmg  fand.  In  Oesterreich  warff 
es  besonders  böhmische  Brauereien, 
die  sich  durch  Verwendung  von  Kühl- 
wagen veranlasst  fanden,  ihr  Ahsau- 
gebiet  wesentlich  zu  erweitern.  Anfain:- 
der  Siebziger-Jahre  war  es  noch  niiln 
üblich,  dass  sich  die  Parteien  eioent 
Wagen  anschafften;  um  nun  KUhlwscn 
für  einen  regelmässigen  Verkehr  zur  \ct- 
fügung  zu  haben;  wurden  zwischeii  i" 
Parteien  und  Bahn  Verwaltungen  ^^" 
träge  abgeschlossen,  nach  welchen  ic 
Bahn  Verwaltungen  aus  ihrem  Fahrpari^' 
gedeckte  Güterwagen  zur  Verfö^"- 
stellten,  welche  auf  Kosten  der  Braueft' 
zu  Kühlwagen  umgestaltet  wurden  u'J 
der    letzteren    ausschliesslich    zur  \«' 


fUgung  standen.  Der  rasch  zuneh- 
mende Bedarf  an  Kühlwagen  ver- 
ursachte den  am  meisten  b  et  heil  igten 
Bahn  Verwaltungen  einen  empfindlichen 
Abgang  an  gedeckten  Güterwagen,  so 
da  SS  von  mehreren  derselben  die  Ver- 
miethung  der  Wagen  sistirt  und  dafür 
den  Brauereien  die  Beschaffung  eigener 
Wagen  anheimgestellt  wurde.  Die  Ein- 
stellung solcher  Bierwagen  in  den  Fahr- 
park der  Eisenbahnen  hat  seither  wesent- 
lich zugenommen,  so  dass  bereits  über 
700  Bi erwägen  österreichischer  Braue- 
reien im  Verkehr  sind.  Im  Fahrparke 
der  k.  k.  Staatsbahnen  allein  waren  Ende 
1896  von  36  verschiedenen  Brauereien 
458StückBier- 
wagen  einge- 
stellt. [Vgl 
Abb.  357.1 

Der  Werth 
der  Kühlwa- 
gen kommt 
zwar  vorherr- 
schend nur  im 
Sommer  zur 
Geltung,  aber 
auch  im  Win- 
ter haben  diese 
Wagen  den 
Vortheil,   dass 

die       Ladung  *""■  ''*■  ^'«'-""«-p«"-« 

durch  die  dichten  Wände  gegen  den  Ein- 
fluss  der  äusseren  Kälte  viel  länger 
geschützt  bleibt,  so  dass  nur  bei  star- 
kem und  andauerndem  Froste  das  Ein- 
frieren des  Bieres  in  den  Fässern  zu 
befürchten  ist.  Um  jedoch  auch  diesem 
Mangel  vorzubeugen,  werden  seit  fünf 
Jahren  auch  heizbare  Bierwagen  gebaut. 
Bisher  haben  sich  die  Briquetheizungen 
gut  bewährt,  und  werden  wegen  der 
Einfachheit  und  Billigkeit  den  Gasofen- 
heizungen vorgezogen. 

Nächst  der  Verwendung  von  Kühl- 
wagen für  Biertransporte  gelangten  solche 
auch  für  Fleischtransporte  zu  besonderer 
Bedeutung. 

Die  Anforderungen,  welche  an  Fleisch- 
transport-Wagen gestellt  werden,  sind  viel 
complicirter  als  bei  den  Bierwagen. 
Während  bei  letzteren  nur  eine  niedere 
Temperatur  im  Wagen  verlangt  wird, 
und    diese    durch    isolirte    Wände    und 


dichten  Verschluss  leicht  erhalten  werden 
kann,  ist  Air  den  Fleischtransport  nicht 
nur  eine  gleiche  Abkühlung  sondern 
auch  eine  gute  Ventilation  erforderlich, 
gleichzeitig  soll  das  Fleisch  auch  gegen 
Nässe  geschützt  sein  und  darf  auch 
nicht  in  compacter  Masse  geschlichtet 
werden.  Bei  Construction  der  Fleisch- 
wagen waren  daher  schwierige  Auf- 
gaben zu  lösen,  und  es  entstanden  in- 
folgedessen mehrere  patentirte  Systeme, 
von  welchen  das  System  Tiffany  und 
das  System  Mann  in  Oesterreich  am 
meisten  zur  Ausführung  gelangten.  [Abb. 
358.] 

Die  complicirte  Bauart  macht  die 
Fl  ei  seh  wagen 
ziemlich  theuer 
und  auch  der 
Eis  verbrauch 
ist  bedeutend 
grösser  als  bei 

Bierwagen, 
weil  durch  die 
Luftcirculation 
viel  mehr  ver- 
dunstet wird. 
Es  sind  daher 
die  Fleischwa- 
gen nur  unter 
gewissen  com- 
....   !.,.,.„  M....,  l«,,  J„„i,„„  Be- 

dingungen  und  für  wenige  Relationen 
rentabel,  weshalb  die  Zahl  derselben  in 
Oesterreich  kaum  loo  Stück  beträgt ; 
mehrere  solche  Wagen  wurden  bereits, 
infolge  des  verminderten  Absatzes  von 
frischem  Fleisch  nach  Frankreich,  in  Bier- 
wagen umgestaltet. 

Eine  wichtige  Gruppe  der  Special- 
wagen bilden  die  Kesselwagen,  auch 
Reservoir-  oder  Cistemenwagen  genannt 
Der  älteste  Cistemenwagen  ist  der  Ten- 
der, welcher  so  ziemlich  ebenso  alt  wie 
die  Locomotive  ist.  Lange  Zeit  dachte 
man  nicht  daran,  andere  Flüssigkeiten  als 
Wasser  in  Cistemenwagen  zu  befördern, 
und  dies  hatte  seinen  guten  Grund.  Erst 
nachdem  die  Bahnnetze  soweit  entwickelt 
waren,  dass  die  Geleiseverbin düngen  von 
einer  Pro ductionss teile  unmittelbar  bis 
zur  Consumstelle  führten,  dass  die  Flüssig- 
keiten in  die  Waggons  direct  eingefüllt 
und     wieder     direct    von    diesen    abge- 


schlaucht  werden  konnten,  begann  der 
WerthderCistemenenwagen  anBedeutung 
zu  gewinnen.  Einer  der  ältesten  Cistemen- 
wagen  dürfte  ein  von  der  Staatseisen- 
b^hn- Gesellschaft  im  Jahre  1858  ge- 
bauter Oel  wagen  sein.  Derselbe  war 
ein  kleiner  zweiachsiger  Wagen  von 
3500  kg  Tragfähigkeit  und  trug  ein 
vierkantiges,  geradwandiges  Reservoir 
mit  geschlossener  Decke  und  einem  mit 
einem  Deckel  geschlossenen  FüUstutzen. 
Ein  ähnlicher  Wagen,  jedoch  für  8500  kg 
Tragfähigkeit,  wurde  im  Jahre  I860  ge- 
baut. Nach  ganz  ähnlicher  Type  wurden 
im  Jahre  1865  in  Deutschland  die  ersten 


angewendet,  welche  durch  einen  ent- 
sprechenden   Rahmen  bau    fixirt     werden. 

Specialwagen  mit z  wecken tsprechender 
Einrichtung,  mit  Ventilations-Vonichtung, 
mitunter  auch  heizbar,  bestehen  fOr 
den  Transport  von  Früchten,  Gemüsen, 
Milch,  Eier,  Butter,  ebenso  für  lebende 
Thiere,  wie  Pferde,  Hornvieh,  Borstenvieh, 
Gänse,  Hühner,  Fische. 

Der  Bauart  der  Wagen  für  den 
Transport  lebender  Thiere  wurde  viel 
Sorgfalt  zugewendet,  um  durch  ent- 
sprechende Tränke-  und  Fütterungs-Ein- 
richtungen, durch  genügenden  Schutz 
gegen  Hitze    und  Kälte    und  durch  ent- 


Abb,  JW.    Cl»le. 

Tran  Sportwagen  für  Steinkohlentheer  ge- 
baut, welche  auch  bald  darauf  bei  den 
Gaswerken  in  Oesterreich  Verwendung 
fanden.  Die  vierkantige  Kastenform  war 
zwar  dem  Untergestelle  des  Wagens  ange- 
passt,  jedoch  für  Flüssigkeiten  theoretisch 
nicht  richtig,  da  für  diese  der  runde  Quer- 
schnitt, Fass-  und  Kesselform  am  ge- 
eignetsten ist.  Es  wurden  daher  bereits 
im  Jahre  1870  Kesselwagen  mit  cylJn- 
driscben  Gefässen  gebaut,  [Vgl.  Abb.  359-] 

Die  Kesselwagen  sind  Special- 
wagen der  neuesten  Zeit ;  in  den  Acht- 
ziger-Jahren in  noch  geringer  Zahl 
vorhanden,  waren  Mitte  1897  in  dem 
Fahrparke  österreichischer  Bahnen  circa 
2500  Stück  enthalten,  von  welchen 
mindestens  2400  Stück  Eigenthum  von 
Privaten  sind. 

Für  Flüssigkeifen,  welche  in  eisernen 
Kesseln  nicht  befördert  werden  können, 
z.    B,    Salzsäure,     werden    Thongefässe 


nenwiigen,  [iHgj.l 

j  sprechende  Ventilation  den  Massentrans- 
I  port    von  Thieren    nicht  in  Thierquälerei 

!  ausarten  zu  lassen. 

i         Von  sonstigen  Specialwagen,   welche 
für   Gütertransporte    dienen,    seien     hier 
nur    erwähnt    die  Wagen  für  Transporte 
von  Langholz,  Kohle,  Erzen,  leichten  Ar- 
j  tikeln    wie    Korbwaaren  etc.,    Holzkohle, 
!  Cokes,  Kalk,  Spiegel  und  aussergewöhn- 
;  lieh  schweren  Objecten.  Alle  diese  Special- 
wagen erforderten   sorgfältige  Detailcon- 
[  structionen  mit  genauer  Berücksichtigung 
[  der  Verla  de -Ein  rieh  tun  gen,  und  der  An- 
forderungen,   welche    zum   Schutze    des 
I   Frachtgutes  nothwendig  sind. 


VII.  Hilfswagen. 

Eine  besondere  Gattung  von  Special- 
wagen sind  jene,  welche  nicht  direct 
für     Transportzwecke     dienen,     sondern 


welche   eigentlich  mobile  Apparate  oder 
mobile   Anlagen    sind.     Hieher    gehören 
zunächst  die  Krahnwagen.    Es  sind  dieü 
Hebekrahne    von    circa    7000  kg    Trag- 
fähigkeit   und   5  m    Ausladung,    welche 
so  ziemlich  nach  Bauart  leichterer  statio- 
närer    Krahne     gebaut     und     mit     dem 
Rahmenbau  des  Wagenuntergestelles  fest 
verbunden    sind.     Die  Detailconstructiön 
der  Krahnwagen  ist  ebenso  verschieden- 
artig   wie    jene    der  stationären  Krahne. 
Ebenso    wie    der    Krahnwagen     den 
Zweck  hat,  eine  Hebevorrichtung  in  Sta- 
tionen oder  auf  sonstige  Geleiseanlagen 
zu     bringen, 
wo  keine  an- 
deren geeig- 
neten   Hebe- 
vorrichtun- 
gen zur  Ver- 
fügung    ste- 
hen,     haben 
auch  die  auf 
allen  Bahnen 
in        Bereit- 
schaftstehen- 
den Rettungs- 
oder   Requi- 
sitenwagen 
[Abb.      360] 
den     Zweck, 

das  zur  Hilfe-  Abb,  JW.    Requl 

leislung     bei 

Unfällen  erforderliche  Werkzeug  und 
Materiale,  wenigstens  für  das  erste  Er- 
fordernis ohne  Zeitversäumnis  an  die 
Unfallstelle  bringen  zu  können.  Die 
Kaiser  Ferdinands- Nordbahn  hat  nebst 
diesen  Rettungswagen  auch  noch  Hilfs- 
wagen, welche,  ähnlich  den  Malteser- 
wagen gebaut,  permanent  eingerichtet 
sind  und  zum  Transporte  Verwundeter 
ständig  in  Bereitschaft  gehalten  werden. 
Andere,  gleichfalls  für  Bahnzwecke 
dienende  Wagen  sind  die  GerUstwagen, 
welche  zur  Untersuchung  und  Reparatur 
von  Tunnels  dienen;  Gewichtswagen 
welche  zur  Tarirung  von  GeleisebrUcken- 
wagen  verwendet  werden,  und  elek- 
trische Beleuchtungswagen.  Letztere 
Wagen  dienen  dazu,  um  an  entlegenen 
Stellen  die  für  eine  dringende  Nacht- 
arbeit erforderliche  ausgiebige  Beleuch- 
tung  rasch  an  Ort    und  Stelle   etabliren 


XU  können,  und  leisten  vorzügliche  Dienste 
bei  Freimachung  von  Geleisen  bei  Erd- 
ab rutschungen,  bei  Damm-  und  Ufer- 
schutzbauten, und  ebenso  auch  bei  Mili- 
tär-Ein  waggonirung  in  kleinen  Stationen. 
Zu  erwähnen  wären  auch  die  Imprägni- 
rungswagen  [Abb.  361],  welche  die  voll- 
ständige Einrichtung  für  die  Imprägni- 
rung  von  Schwellen  enthalten,  und  nach 
Erfordernis  in  jenen  Stationen  aufgestellt 
werden,  in  welchen  die  Schwellen  zur 
Einlieferung  gelangen. 

Als  Hilfsfahrzeuge  sind  auch  noch 
die  mobilen  Schneepflüge  zu  zählen, 
welche  be- 
reits bei  der 
Pferdebahn 
Prag-Lana  in 
den  Dreissi- 
ger-Jahren 
Verwendung 
fanden  [Abb. 
362] und spä- 
ter bei  den 
Locomotiv- 
Bahnen  als 
separate 
Fahrzeuge 
zur  Ausfüh- 
rung gelang- 
ten.*) Für  die 
[»awigcD.  [187s.;  Bauart      der 

Schnee pflüge 
wurde  meistens  die  Keilform  angewen- 
det, welche  in  sehr  verschiedenen  Typen 
zur  Ausführung  gelangte;  die  Construc- 
teure  waren  bemüht,  für  den  Bau  der 
Schneepfiüge  sinnreiche  Theorien  zu 
entwickeln,  nach  denen  die  Wandungen 
in  mehrfach  geschweifter  und  und  ge- 
krümmter Form  ausgeführt  wurden 
[Abb.  363],  aber  keiner  dieser  Schnee- 
pflUge  entsprach  den  an  ihn  gestellten  An- 
forderungen. Als  daher  circa  1880  die  fixen 
Schneepflüge  an  den  Locomotiven  üblich 
wurden,  fanden  die  mobilen  SchneepflUge 
immer  weniger  Verwendung  und  wurden 
theilweise  cassirt  und  nicht  mehr  ersetzt. 
Ein  in  neuerer  Zeit  mehrfach  gebauter 
Schneeräumer,  System  Marin,  hat  einige 
Aehnhchkeit  mit  den  alten  Schneepflügen, 


•)    Vgl.    auch  Bd.  11, 
förderung. 


O.  Kazda,  Zug- 


unterscheidet  sich  jedoch  wesentlich  von 
jenen,  indem  er  von  der  Locomotive  nicht 
geschoben,  sondern  gezogen  wird  und 
nicht  den  Zweck  hat,  den  Schnee  durch- 


gebaut wird.  Beim  Bau  der  Draisin;:: 
wurden  viele  Experimente  gemacht.  K; 
man  schliesslich  doch  ziemlich  einheiili.ji 
auf    den    Leitstangen- Antrieb    mit   veni- 


zubrechen,  sondern  den  vom  fixen 
Scheepflug  der  Locomotive  durchbroche- 
nen Schnee  seitlich  wegzuräumen. 

Ein    ganz     specielles     Fahrzeug     ist 
die    Draisine,*)    welche  bereits    bei    den 


ältesten  Bahnbauten 
und  jetzt  nur  in  etwa; 


gebrauch  lieh    war, 
verbesserter  Form 


•)  Die  erste  Draisine,  die  in  Oesterrficli 
gebaut  wurde,  war  jene  von  dem  trelilitlien 
Slei;h;miker  J.  Boi.ek  im  jähre  lüib  lilr 
(k-rstner  hc  rotste  Ute  .Fiilirinascliine..  \'s;l. 
Bd.  I,  I.  Theil,  H.  Strach,  Plerde-Eis^rii- 
buhnen,  Seite  99. 


calen  Arbeitshebeln  überging.  Die  jcKi 
am  meisten  gebaute  Draisine  ist  Jic 
Plank'sche.  [Abb.  364.] 


VIII.  Wagenbau-Anstalten. 

Seit  Beginn  des  Eisen  bahn  betrieht! 
war  der  Fahrpark  der  österreichischer. 
Eisenbahnen  stets  auf  der  Höhe  des  tVi- 
Schrittes  geblieben,  so  dass  er  den  Ver- 
gleich mit  dem  Fahrparke  der  übrigen 
europäischen  Staaten  nicht  nur  aushalttii 
kann,  sondern  dabei  noch  eine  her\ur- 
ragende  Stelle  einnimmt.  Dass  Oesten'eit^ 
auch  im  Wagenbau  eine  ehrenvolle  SleÜt 
einnimmt,  beweist  nicht  nur  das  im  li:- 
land  rollende  Fahrmateriale,  sondern 
zeigen  auch  die  vielfachen  Lieferung^ 
von  Wagen  ersten  Ranges  an  das  Ausland. 

Der  Anfang  des  Wagenbaues  in 
Oesterreich  lässt  sich  nicht  genau  be- 
stimmen, da  derselbe  in  der  ersten  Zei; 
kein  specieller  Industriezweig  war  "ü- 
nur  so  nebenbei  betrieben  wurde. 

Die  ersten  Wagen  der  Linz-Bud- 
weiser  Pferdebahn  wurden  nach  en;;- 
hschem  Muster  in  Mariazeil,  Blanst" 
und  Horzuwitz  ausgeführt  und  es  «aren 
im  Jahre  1827  von  diesen  Wagen  336Stiict 
vorhanden.*)  Später  wurden  die  Wagen  m 

r,  WerkstSllf"- 


Linz  in  der  eigenen  Werkstätte  der  Pferde- 
bahn gebaut.  Nachdem  die  ersten  Wagen 
unserer    ältesten  Locomotiv- Bahnen    aus 
dem    Auslande    bezogen    waren,     wurde 
nach    diesem  Muster    der    Bau   weiterer 
Wagen  in  den  eigenen  Werkstätten  be- 
gonnen    und    es    waren     besonders     die 
Werkstätte  der  Kaiser  Ferdinands- Nord- 
bahn in  Wien  und 
die  Maschinenfa- 
brik    der    Wien- 
Glogtinitzer     Ei- 
senbahn,   welche 
sich    mit  Wagen- 
bau beschäftigten. 
In  den  Vierziger- 
Jahren    begannen 
mehrere    Maschi' 
nenfabriken    und 

Stellmachereien 
sich  mit  dem  Ei- 
senbahn -  Wagen- 
bau zu  beschäf- 
tigen und  bei 
einigen  dersel- 
ben wurde  dies  Abb.  361. 
der  Hauptfabri- 
ca tionszweig.  Un- 
ter diesen  wären 
besonders  Hein- 
dorf er,  Spie- 
ring, H.  D. 
Schmid, 

Schonkolla, 
Kraft,  Moser 
&  Angeli  zu 
nennen. 

Besonders  von 
den  drei  erstge- 
nannten Firmen 
wurde  ein  grosser 

Theil  der  in  den  ^^^  Drai.inc 

Vierziger-       und 

Fünfziger-Jahren  gebauten  österreichi- 
schen Wagen  geliefert.  Von  diesen  Fa- 
briken besteht  gegenwärtig  nur  mehr 
die  von  H.  D.  Schmid.  Im  Jahre  1852 
begann  die  Maschinenfabrik  'F.  King- 
hoff er  in  Smichow  den  Wagenba«.  In 
der  Zeit  bis  Ende  der  Sechziger-Jahre  ent- 
standen keine  grösseren  Waggonfabri- 
ken, vielmehr  wurde  von  den  Eisen- 
bahnen, besonders  der  Staatseisenbahn, 
ein    grosser  Theil    ihres    Wagenbedarfes 

Giichkhlc  ilcr  ElaciAktinca.  II. 


SehnoepHuK.  [1870.] 


in  den   eigenen  Werkstätten    hergestellt. 
Die     Zeit     des     wirthscbaftlichen     Auf- 
schwunges und    der  Gründerperiode    be- 
gann   sich    auch    im  Wagenbau    fühlbar 
zu    machen,    es    wurde  .  eine  Reihe    von 
Waggonfabriken  gegründet  und  der  Bau 
derselben     in     grossem    Stile    begonnen. 
So   entstanden    die    Waggonfabriken    in 
Bubna,  Holub- 
kau,       Teplitz, 
Linz,        Graz, 
Mödling,  Her- 
nais,   Back    in 
Prag,    von  wel- 
chen einige  nicht 
einmal    zur    Be- 

triebseröffnung 
gelangten,  keine 
jedoch  bis  auf 
die  Neuzeit  als 
Waggonfabrik 
erhalten  blieb. 
Während  die  aus 
der     Gründerzeit 

stammenden 
W  a  ggonf ab  ri  ken 
infolge  der  mehr 
oder  weniger  lo- 
ckeren finanziel- 
len Verhältnisse 
die  der  Bauperi- 
ode der  grossen 
Bahnen  folgende 
sterile    Zeit     des 

Wagen  baues 
nicht  überdauern 
konnten,  blieben 
die  beiden  alten 
solid  fundirten 
Waggonfabriken 
inSmichowund 

Simmering 
nicht  nur  aufrecht, 
sondern  es  gelang  denselben  auch  wäh- 
rend dieser  Zeit  den  guten  Ruf  des  öster- 
reichischen Wagenbaues  im  Auslande  zu 
befestigen  und  zu  vermehren,  und  wir 
können  mit  Recht  auf  diese  Vertreter  der 
österreichischen  Industrie  stolz  sein. 

Die  Fabrik  des  Freiherm  von  Ringhoffer 
in  Smichow  ist  alten  Ursprunges.  Die  Firma 
F.  Ringhoffer  wurde  als  Kupferschmiede  im 
Jahre  1771  gegründet  und  später  zu. einer 
.Metallwaaren-Fabrik  erweitert;  im  Jahre 


.  [i'«5l 


546 


1848  erfolgte  dieGrtlndung  derMaschinen- 
fabrik  und  Kesselschmiede,  im  Jahre  1853 
die  Errichtung  der  Waggon-  und  Tender- 
fabrik, im  Jahre  1854  wurde  die  Eisen- 
giesserei,  und  im  Jahre  1856  der  Kupfer- 
hammer und  das  Walzwerk  errichtet.  Der 
erste  Wagen  verliess  im  Jahre  1853  die 
Werkstätten  dieser  Firma,  Derselbe  war 
ein  gedeckter  vierachsiger  Güterwagen 
ohne  Bremse  fDr  die  nördlichen  Staats- 
bahnen. [Abb.  365.]  In  steter  Zunahme 
wuchs  die  Leistungsfähigkeit  dieser 
Fabrik,  so  dass  dieselbe  nicht  nur  unter 
den  österreichischen  Fabriken  den  ersten 


•  Maschinen-  und  Waggonbau- 
Fabriks- Actien-Gesellschaft  in 
Simmering,  vormals  H.  D.  Schmid«, 
über  und  wurde  im  Laufe  der  Zeit  mehr- 
fach erweitert 

Die  Nesselsdorfer  Wagenbau- 
fabriks-Gesellschaft  ist  aus  der  von 
Herrn  Ignaz  Schustala  im  Jahre  1850 
begründeten  Kutschenfabrik  hervorgegan- 
gen. Ursprünglich  eine  einfache  Wagnerei, 
wurde  dieselbe  alimählich  vergrössert  und 
nahm  bald  eine  hervorragende  Stelle  im 
Kutschenbauein,  in  welchem  dieselbe  gegen- 
wärtig eine   der  grössten  und  leistungs- 


Rang  einnahm,  sondern  auch  mit  den 
grössten  und  renommirtesten  Fabriken  des 
Auslandes  erfolgreich  in  Goncurrenz 
treten  konnte. 

Die  Fabrik  beschäftigt  durchschnitt- 
lich 3000  Arbeiter. 

Die  Firma  H.  D.  Schmid  wurde  im 
Jahre  1 83 1  als  Maschinenfabrik  gegründet 
und  begann  den  Bau  von  Eisenbahn- 
wagen im  Jahre  1846.  Es  waren  offene 
Guterwagen  für  die  Kaiser  Ferdinands- 
Nordbahn,  welche  als  erste  Eisenbahn- 
wagen diese  Fabrik  verhessen.  Im  Jahre 
1850  wurde  die  Wiener  Werkstätte  auf- 
gelassen und  die  Fabrik  in  Simmering 
etablirt,  wo  dieselbe  heute  noch  besteht ; 
die  ersten  Wagen,  welche  in  der  neuen 
Fabrik  gebaut  wurden,  waren  Personen- 
wagen für  die  Staatsbahn. 

Im  Jahre  1869  ging  die  Fabrik  ohne 
Unterbrechung  des  Betriebes  in  eine 
Actien-Gesellschaft      unter     der     Firma 


1.  [1851.] 


fähigsten  Firmen  Europas  ist.  Mit  dem 
Baue  von  Eisenbahnwagen  beschäftigt  sich 
diese  Fabrik  erst  seit  dem  Jahre  1882,  zu 
welcher  Zeit  Güterwagen  für  die  Stauding- 
Stramberger  Localbahn  gebaut  wurden. 
In  den  ersteren  Jahren  wurden  nur 
Güterwagen  und  minderwerthige  Per- 
sonenwagen gebaut.  ,  Im  Jahre  1893 
ging  die  Fabrik  an  eine  Actien-Gesell- 
schaft über  und  wurde  bedeutend  ver- 
grössert. Seither  hat  die  Fabrik  in  der 
Fabrication  von  Eisenbahnwagen  einen 
raschen  Fortschritt  genommen.  Nicht  nur 
in  der  Qualität  der  fabriks  massig  erzeugten 
neuen  Wagen,  hat  sich  die  Nesselsdorfer 
Wagenfabnk  in  kurzer  Zeit  den  älteren 
Waggonfabriken  gleichwerthig  erwiesen, 
sondern  auch  durch  Schaffung  neuer 
T3'pen  und  Detailconstructionen  um  den 
Wagenbau  im  Allgemeinen  viele  Ver- 
dienste erworben,  und  sich  einen  guten 
Namen  auch  jenseits  des  Oceans  errungen. 


Wagenbau. 


547 


Die  Fabrik  hat  bis  zum  Jahre  1897 
circa  9000  Wagen  gebaut,  von  welchen 
172  Stück  ins  Ausland  geliefert  wurden.  Sie 
beschäftigt  circa  1200  Arbeiter. 

Die  Erste  galizische  Waggon- 
und  M asch in enbau-Actien- Gesell- 
schaft inSanok  entstand  aus  der  dort 
bestandenen  Maschinenfabrik  fÜrNaphtha- 
Industrie  von  Kasimir  L  i  p  iia  s  k i.  Die  ersten 
Wagen    wurden   im  Jahre  1891    gebaut 

Im  Jahre  1895  ging  die  Fabrik  in 
eine  Actien- Gesellschaft  über,  welche  mit 
dem  Bau  einer  neuen  Fabriksanlage  in 
Sanok  begann  und  dieselbe  Mitte  1897 
in  Betrieb  setzte.  Die  neue  Fabrik  ist 
für  alle  Gattungen  Wagen  und  eine 
Leistung  von  circa  800  Wagen  pro  Jahr 
berechnet.  Bisher  wurden  grösstentheils 
Güterwagen,  seit  1896  auch  Personen- 
und  Dienstwagen  gebaut.  Die  bisherige 
Erzeugung  beträgt  circa  I5CX>  Wagen. 
Die  Fabrik  beschäftigt  durchschnitt- 
lich in  beiden  Anlagen  zusammen  400 
Arbeiter. 

Die  gegenwärtige  Waggonfabrik  in 
Graz  steht  mit  der  alten  Waggon- 
fabrik in  Graz  nur  insoweit  in  Ver- 
bindung, als  beide  Fabriken  von  Herrn 
Joh.'Weitzer  gegründet  wurden. 

Die  alte  im  Jahre  1864  gegründete 
Waggonfabrik  lieferte  die  ersten  Wagen 
an  die  Graz-Köflacher  Eisenbahn  und  an 
die  Ungarische  Westbahn.  Im  Jahre  1872 
ging  diese  Fabrik  an  die  Grazer  Waggon-, 
Maschinenbau-  und  Stahlwerks-Gesejl- 
schaft  über,  welche  eine  grössere  Anzahl 
Personenwagen  an  die  Kaiser  Franz 
Josef-  Bahn  und  an  die  Dalmatiner 
Staatsbahn  lieferte;  wie  bereits  bemerkt, 
stellte  diese  Fabpk  im  Jahre  1879  den 
Betrieb  ein. 

Bereits  im  Jahre  1873  errichtete  Herr 
Job.  Weitzer  in  Graz  eine  neue  Fabrik 
unter  der  Firma  k.  k.  priv.  Wagenfabrik 
Job.  Weitzer,  in  welcher  Equipagen  und 
Strassenfuhrwerke  aller  Art  angefertigt 
wurden ;  im  Jahre  1 879  wurde  die  Fabri- 
cation  von  Tramwaywagen  aufgenommen 
und  wurden  isolche  zuerst  für  die  Grazer 
Tramway  geliefert;  dieser  Fabrications- 
zweig  wurde  bald  eine  Specialität  dieser 
Fabrik,  und  verschaffte  derselben  auch  im 
Auslande  einen  guten  Ruf  und  bedeutende 
Lieferungen  nach  dem  Auslande. 


Durch  ungünstige  Zollverhältnisse 
wurde  der  bezügliche  Exporthandel 
nahezu  lahmgelegt,  und  es  musste 
wieder  mehr  auf  den  Bedarf  an  Fahr- 
betriebsmitteln im  Inlande  das  Augen- 
merk gerichtet  werden ;  der  Aufschwung 
des  allgemeinen  Verkehrs  begünstigte 
dabei  die  weitere  Entwicklung  der  Fabrik, 
indem  dieselbe  nicht  nur  für  die  meisten 
österreichischen  Dampftramways  Wagen 
lieferte,  sondern  sich  auch  besonders  auf 
den  Bau  von  Wagen  für  schmalspurige 
Bahnen  verlegte.  Der  grösste  Theil 
des  Wagenparkes  der  österreichisch- 
ungarischen Schmalspurbahnen  ist  von 
der  Grazer  Wagenfabrik  geliefert,  und 
stammen  viele  Neuerungen  und  Verbesse- 
rungen in  diesem  Specialzweige  aus  dieser 
Fabrik.  Im  Jahre  1888  wurde  der  erste 
normalspurige  Wagen  gebaut  und  seither 
der  Bau  solcher  Fahrbetriebsmittel  in  der 
Fabrik  fortgesetzt. 

•  Im  Jahre  1895  ging  die  Fabrik  in  eine 
Actien-Gesellschaft  über  unter  der  Firma 
»Grazer  Wagen-  und  Waggon- 
Fabriks- Actien-Gesellschaft  vor- 
mals J.  Weitzer«  und  wurde  bedeutend 
vergrössert,  wodurch  dieselbe  auch  für  den 
Bau  normaler  Eisenbahnwagen  in  grösse- 
rem Umfange  geeignet  wurde  und  den- 
selben als  Hauptfabricationszweig  auf- 
nahm. Dagegen  wurde  die  Fabrication 
von  Equipagen  gänzlich  aufgelassen, 
nachdem  in  der  Zeit  von  1873  bis  1886 
circa  2200  solcher  Fahrzeuge  gebaut 
worden  waren.  Obwohl  der  Bau  nor- 
maler Wagen  in  grösserem  Umfange 
betrieben  wird,  so  blieb  doch  die  Fabri- 
cation von  Fahrzeugen  für  Special- 
Eisenbahnen,  Zahnradbahnen,  Drahtseil- 
bahnen, elektrische  Bahnen  eine  Speciali- 
tät, in  welcher  diese  Fabrik  sowohl  hin- 
sichtlich der  Construction  und  Ausführung, 
als  auch  der  praktischen  und  gefälligen 
Formen  sich  des  besten  Rufes  erfreut. 

Auch  hinsichtlich  der  Herstellung  von 
Fahrbetriebsmitteln  für  provisorische 
Eisenbahnen,  für  Feldbahnen,  Bauten  etc. 
kann  diese  Fabrik,  die  in  neuerer  Zeit 
an  600  Arbeiter  beschäftigt,  als  Special- 
firma gelten. 

Die  Brünn-Königsfelder  Maschinen- 
fabrik von  Lederer  &  Porges  wurde 
im  Jahre  1890  gegründet  und  hat  sich  in 

35* 


548 


der  ersten  Zeit  vorwiegend  mit  Maschinen- 
■und  Kessel fabrication  befasst.  Nachdem 
in  jener  Zeitperiode  der  Bedarf  an  Kessel- 
wagen sehr  bedeutend  war,  so  wurde 
anschliessend  an  die  Fabrication  der 
Kessel  für  Kesselwagen,  auch  mit  dem 
Baue  completer  Kesselwagen  begonnen 
und  damit  der  Wagenbau  in  der  Fabrik 
eingeführt.  Derzeit  ist  der  Bau  von 
Cistemenwagen  sowie  von  Bier-,  Fleisch- 
und  Weinwagen  eine  Hauptbeschäftigimg 
der  Wagenbau- Abtheilung.  In  neuerer 
Zeit  werden  in  dieser  Fabrik  auch  Dienst- 
wagen und  Personenwagen  gebaut.  Die 
Fabrik  hat  bisher  circa  tausend  Wagen 
gebaut  und  beschäftigt  durchschnittlich 
500  Arbeiter. 

Nebst  den  genannten  Fabriken  haben 
auch  noch  andere  Fabriken  vereinzelte 
Wagen  gebaut,  ohne  jedoch  deshalb  als 
Waggonfabriken  gelten  zu  können. 

Ziemlich  bedeutend  ist  die  Herstellung 
von  Wagen  in  den  eigenen  Werkstätten 
der  verschiedenen  Bahnen  und  werden 
besonders  Güterwagen,  seltener  Personen- 
wagen, auch  in  grösseren  Partieen  in 
eigener  Regie  gebaut. 

Der  Bedarf  an  Wagen  wird  seit  circa 
zwanzig  Jahren  in  Oesterreich  nahezu 
vollständig  durch  inländische  Erzeugung 
gedeckt.  In  früheren  Jahren,  besonders 
bis  Anfang  der  Siebziger-Jahre,    wurden 


I  noch    viele   Wagen    aus    dem    Ausland: 
I  nach  Oesterreich  geliefert. 


Wenn  man  den  Entwicklung'sgari; 
der  gesammten  technischen  Wissenschar! 
und  Industrieen  ins  Auge  fasst,  so  er- 
scheint der  Wagenbau  nur  als  ein  GiitJ 
der  Kette,  als  ein  Rad  im  grossen 
Mechanismus,  welches  dem  Gesamm:- 
fortschritte  nicht  voreilen  konnte  unJ 
nicht  zurückbleiben  durfte.  Ebenso  noih- 
wendig  als  die  fortschrittliche  Aus- 
bildung und  Entwicklung  des  Wagenbaucs 
fUr  die  Entwicklung  des  ganzen  Eisc:n- 
balmwesens  war,  ebenso  nothwendig  warcTi 
auch  ftlr  den  Wagenbau  die  Fortschritte 
in  allen  übrigen  Zweigen  des  Eisenbahn- 
wesens und  der  Gesammtindustrie.  Ge- 
wiss muss  es  uns  eine  Befriedigung  ge- 
währen, dasa  der  österreichische  Wagen- 
bau  in  seinen  Leistungen  jenen  der  übri- 
gen Culturstaaten  ebenbürtig  zur  Seite 
steht  und  dass  viele  der  Fortschritte 
und  Verb  csser  ungen  der  Thätigkeit  öster- 
reichischer Fachmanner  zu  verdanken  sind. 

Wir  wollen  aber  die  Hoffnung  hegen, 
dass  unser  Vaterland  die  ehrenvolle  Stelle 
im  Wagenbau  behaupten  werde,  weklie 
es  sich  bisher  in  diesem  Fachzweige  der 
Industrie  und  technischen  Wissenschaf; 
errungen  hat. 


Beheizung  und  Beleuchtung 
der  Eisenbahnwagen. 


Von 


Roman  Freiherrn  von  Gostkowski, 

k.  k.  o.  ö.  Professor  an  der  technischen  Hochschule  in  Lemberg^,  Geaeraldirection8>Rath  der 

k.  k.  österreichischen  Staatsbahnen  a.  D. 


i 


I. 


Beleuchtung  der  Eisenbahnwagen. 


DER  Gedanke,  Eisenbahnwagen  zu 
beleuchten,  lag  den  Verwalturg'en 
der  Bahnen  anfangs  ziemlich  ferne, 
verkehrten  doch  die  Züge  der  ersten 
Eisenbahnen  nur  bei  Tage.  Ja  selbst,  als 
später  NachtzUge  eingeführt  wurden,  sah 
man  nicht  Überall  die  Nothwendigkeit  ein, 
die  Coupes  der  Wagen  beleuchten  zu 
müssen.  Behauptete  doch  noch  im  Jahre 
1890  der  Hygienist  Wiehert,  dass  das 
Lesen  im  Eisenbahnwagen  zu  Nerven- 
und  Augenkrankheiten  führe! 

Der  passive  Widerstand  der  Eisen- 
bahn-Verwaltungen, Coupes  zu  beleuchten, 
musste  erst  durch  einen  königlichen  Willen 
gebrochen  werden.  König  Friedrich 
Wilhelm  IV.  von  Preussen  erzwang 
nämlich  in  seinem  Reiche  die  Beleuchtung 
der  Eisenbahnwagen  durch  einen  Erlass, 
welchen  er  1844  durch  seinen  CabinetS- 
minister  an  den  damaligen  Minister  der 
Finanzen  und  des  Innern  richtete. 

Noch  vor  diesem  Erlasse  hatte  die 
Leipzig-Dresdner  Eisenbahn  ihre 
Nachtzüge  mit  Kerzen  beleuchtet,  sie 
scheint  überhaupt  die  erste  Bahn  des 
europäischen  Continents  gewesen  zu  sein, 
welche  die  Wagenbeleuchtung    einführte. 

[1836.1 

Unter  dem  Hochdrucke  des  könig- 
lichen Willens  verfiel  man  auf  die  Idee, 
die  Lichtquelle  ausserhalb  des  Wagens 
anzubringen  und  die  leuchtenden  Strahlen 
derselben  durch  geeignet  angebrachte 
Retlectoren  in  das  Innere  des  Coupes  zu 
leiten.    Das  reisende  Publicum  konnte  je- 


doch an  dieser  Art  von  Beleuchtung  keine. 
Befriedigung  finden,  namentlich  dann 
nicht,  wenn  die  Reflectoren,  durch  Rauch, 
Kohlenstaub  oder  Schnee  bedeckt,  ihre 
Dienste  versagten.  Es  blieb  also  nichts 
Übrig,  als  die  Wagen  mit  Wachskerzen  zu 
beleuchten,  welchen  später  Stearinkerzen 
folgten.  Man  stellte  die  Kerze  in  eine 
Blechbüchse,  welche  an  ihrem  oberen  Ende 
mit  einer  Klappe  versehen  war,  die  eine 
kleine  Oeffnung  für  den  Kerzendocht 
enthielt.  Eine  am  Boden  der  Büchse 
angebrachte  Spiralfeder  drückte  nach 
Massgabe  des  Abbrennens  die  Kerze  in 
die  Höhe.  Hinausschnellen  konnte  die 
Kerze  nicht,  weil  der  obere  Deckel  der 
Büchse  sie  daran  hinderte ;  sie  konnte 
nur  in  dem  Masse  nachrücken,  in  welchem 
sie  kürzer  wurde,  so  dass  die  Flamme 
derselben  stets  in  unveränderter  Höhe 
verblieb. 

Die  Blechbüchse  —  Patrone  genannt 
—  war  vermittels  eines  Armes  an  der 
Innern  Seitenwand  des  Wagens  befestigt 
und  erhielt  ebenso  einen  Reflector  als 
auch  einen  Glasballon.  Das  Verschmel- 
zen und  Abtropfen  des  Stearins  sowie 
des  Wachses  während  der  Fahrt  war 
Ursache,  dass  die  Fedeni  der  Patronen 
bald  schlecht  oder  gar  nicht  functionirten. 
Hiemit  war  aber  das  Urtheil  über  diese, 
ohnehin  theure  Art  der  Wagenbeleuchtung 
auch  schon  gesprochen. 

Die  Beleuch  tun gs kosten  kamen  pro 
Stunde  und  Kerze  auf   a  bis  2'/j  kr.  zu 


552 


R.  Freiherr  von  Gostkowski. 


Im  Jahre  1 789  hatte  A  r  g  a  n  d  in  Paris 
den  Hohldocht,  welcher  so  ausserordent- 
lich viel  zur  Verbesserung  des  Ver- 
brennungsprocesses  beitrug,  bei  Lampen 
eingeführt,  und  ersetzte  ausserdem  die 
damals  benützten,  über  die  Flammen  ge- 
stülpten Zugröhren  aus  Eisenblech  durch 
gläserne,  die  Flamme  umgebende  Cylinder. 
Diese,  damals  sogar  in  Versen  besungene 
Lampe,  litt  jedoch  an  dem  grossen  Mangel, 
dass  durch  den  Schatten,  welchen  ihr 
seitlich  angebrachter  Oelbehälter  warf, 
ein  grosser  Theil  des  Lichtes  verloren 
ging.  Um  diesen  Fehler  zu  beseitigen, 
gab  es  nur  ein  Auskunftsmittel  und  dieses 
bestand  darin,  den  Behälter  in  den  Fuss 
der  Lampe  zu  verlegen  und  das  Oel  nach 
Massgabe  des  Verbrauches  künstlich 
in  die  Höhe  zu  schaffen.  Nach  vielen 
misslungenen  Versuchen  blieb  man  end- 
lich bei  jener  Construction  stehen,  nach 
welcher  das  unten  befindliche  Oel  durch 
eine,  mittels  eines  Uhrwerkes  betriebene 
Pumpe,  welche  man  im  Fusse  der  Lampe 
versteckt  hielt,  in  die  Höhe  geschafft  wurde. 
Die  erste  solche  Uhrlampe  wurde  durch 
C  a  r  c  e  l  in  Paris  zu  Anfang  unseres  Jahr- 
hunderts construirt  und  nach' ihrem  Er- 
finder Carcellampe  benannt.  Ein  im 
Innern  des  Lampenfusses  verstecktes,  von 
aussen  aufziehbares  Uhrwerk  versagt  aber 
leicht.  Erst  1837  gelang  es  Franchot, 
eine  Regulatorlampe  herzustellen,  welche 
allen  damaligen  Anforderungen  entsprach 
und  Moderateurlampe  genannt  wurde. 

Zur  Beleuchtung  der  Eisenbahnwagen 
konnten  jedoch  derlei  Lampen  nicht  ver- 
wendet werden,  weil  sie  viel  zu  empfind- 
lich gegen  Stösse  waren,  die  doch  bei  einer 
Eisenbahnfahrt    kaum    vermeidlich    sind. 

Man  musste  daher  auf  andere  Con- 
structionen  sinnen  und  kam  nach  einer 
stattlichen  Reihe  von  Jaliren  nach  vielen 
Versuchen  endlich  auf  die  heutige  Decken- 
lampe. 

Die  Glasglocke  der  früheren  Decken- 
lampe war  nach  unten  umzukippen,  so 
dass  der  Docht  und  durch  diesen  die 
Flamme  im  Coup6  regulirt  werden  konnte. 
Die  Glocke  der  neueren  Deckenlampe  ist 
nicht  umlegbar,  die  Lampe  muss  also 
von  aussen,"  vom  Wagendache  aus  be- 
dient werden,  was  den  Vortheil  hat,  dass 
die  Reisenden  durch  die  Bedienunjr  nicht 


belästigt   werden,    und    dass   das  Innere 

des  Wagens    durch  Tropföl    nicht  ver- 
■  unreinigt  wird. 

I         Eine  Dachlampe  mit  Flachdocht  faj«$t 
.  gewöhnlich  ^4 — ^U^S'O&U  welche  Mcni^e 

einer    Brenndauer    von    24 — 25  Stunden 
I  entspricht.     Eine   Runddochtlampe  fa»t 

nicht    ganz    */j  kg  Oel    und    brennt  i^ 
,  Stunden  lang. 


Mit  der  Einführung  des  Petroleums 
erhielt  bekanntlich  das  ganze  Beleuch- 
tungswesen eine  vollständige  Umge- 
staltung. 

In  Europa  stammen  die  ersten  Funde 
von  Erdöl  aus  dem  Jahre  1430,  woselbst 
am  Tegernsee  das  Vorkommen  des- 
selben bereits  bekannt  war.  Erst  spätere 
Jahrhunderte  brachten  Kunde  von  Fctro- 
leumquellen  im  E 1  s  a  s  s  sowie  im  Braun- 
schweig'schen. 

Aller  jüngsten  Datums  ist  unsere  Kennt- 
nis des  Erdöls  in  Galizien.  Wir  verdanke:, 
sie  Haquet,*)    der   im   Jahre  1783^$ 

*)  Haquet  war  früher  Arzt  in  der 
Osterreichischen  Armee,  dann  Anatomie- 
Professor  in  Laibach,  durchwanderte  die 
Ostalpen  und  die  Karpathen,  und  liess  über 
die  Ergebnisse  seiner  geologischen  Forschun- 
gen im  Jahre  1794  in  Nürnberg  ein  Buch 
erscheinen.  In  diesem  dreibändigen  Werke 
wird  unter  Anderem  erzählt,  dass  circa  12  khi 
westlich  von  Drohobj'cz  [durch  seine 
Ozükeritgruben  heute  berühmt]  Erdöl  vor- 
komme, welches  dadurch  gewonnen  wird,  d.is> 
die  Elinwohner  in  dem  lehmigen  Boden  4— üj« 
tiefe  Ciruben  machen,  in  welchen  kurze  Zeit 
nach  deren  Fertigstellung  so  viel  Wasser  siwh 
ansammelt,  dass  sie  beinahe  voll  werden. 
Mit  dem  Wasser  kommt  auch  Erdöl.  Der 
Arbeiter  nimmt  sodann  eine  Art  Rechen  in 
die  Hand  und  rührt  das  Wasser  solange 
durcheinander,  bis  sich  das  Oel  zusammen- 
häuft, wonach  es  dann  in  kleine  Lehmgruben 
pcschöpft  wird.  Hier  lässt  man  es  eine  Zeit 
lang  stehen,  damit  das  Oel  vom  W^asser  sicli 
trenne.  Ist  dies  geschehen,  so  wird  ddS 
Og\  abp^eschöpft  und  in  Fässern  verfuhrt 
Die  grösste  Oelerzeugung  Galiziens  be- 
stand damals  in  Kwaszenica,  einem  Orte 
zwischen  Lisko  und  Lasko.  In  diesem 
Orte  producirte  man  durchschnittlich  6900  / 
P>döl  pro  Jahr,  welches  Quantum,  nach 
unserer  heutigen  Währung  gezählt,  einen 
Werth  von  634  fl.  5  kr.  besass.  Das  gewon- 
nene Erdöl  war  zumeist  zu  Wagenschmiere 
verarbeitet  worden,  die  im  ganzen  Lande 
gerne  gekauft  wurde.  Auch  diente  es  hie 
und  da  als  Arzneimittel. 


Beheizung  und  Beleuchtung. 


553 


Professor  der  Naturgeschichte  nach 
Lern  her g  berufen  wurde. 

Der  Gedanke,  destillirtes  Erdöl  als 
Beleuchtungsmittel,  d.  h.  dasselbe  anstatt 
Rüböl  zu  verwenden,  ist  jedoch  neu. 
Die  ersten  schwankenden  Versuche  in 
dieser  Richtung,  Versuche,  welche  die 
Beleuchtungsindustrie  angebahnt  haben, 
stammen  aus  Oesterreich. 

In  dem  Orte  H  u  b  i  c  z  e,  in  der  Nähe 
von  Borysiaw,  bestand  nämlich  im 
Jahre  1817  bereits  eine  kleine  Fabrik,  in 
welcher  Rohöl  destillirt  wurde.  Das 
Destillat  war  für  Prag  bestimmt,  wo- 
selbst es  zur  Beleuchtung  der  Strassen 
verwendet  werden  sollte.  Kurze  Zeit  nach 
Inbetriebsetzung  der  kleinen  Fabrik  wurde 
jedoch  die  Destillation  des  Erdöls  einge- 
stellt, weil  das  Destillat  wegen  des  Mangels 
an  Communicationsmitteln  nicht  an  seinen 
Bestimmungsort  geschafft  werden  konnte. 

Erst  gegen  Ende  1848  erschienen  in 
der  noch  heute  bestehenden  Apotheke 
des  Mikolasch  in  Lemberg  zwei  unter- 
nehmende Juden,  Namens  Schreiner 
und  Sti ermann,  mit  einem  Fässchen 
einer  dunkelgrünen,  ins  Gelbe  opali- 
sirenden  Flüssigkeit,  welche  von  der 
Oberfläche  eines  nächst  Drohobycz 
fliessenden  Baches  abgeschöpft  worden 
war,  mit  dem  Ansinnen,  der  Apotheker 
möge  untersuchen,  ob  diese  Flüssig- 
keit zur  Beleuchtung  verwendbar  sei. 
Lukasiewicz,  der  damalige  Pro- 
visor dieser  Apotheke,  in  Gemeinschaft 
mit  seinem  Collegen  Zech,  erkannten 
in  dieser  Flüssigkeit  sofort  Erdöl  und 
schlössen  aus  der  stark  russenden  Flamme 
desselben,  dass  es  ein  vorzügliches  Be- 
leuchtungsmittel abgeben  könnte,  falls 
es  gelänge,  ein  reines  Destillat  desselben 
zu  erhalten  und  Lampen  mit  entsprechen- 
dem Brenner  zu  construiren.  An  ein 
Brennen  des  Destillats  in  den  damali- 
gen Lampen,  war  nämlich  nicht  zu  den- 
ken. Nach  vielen  langwierigen  Versuchen 
gelang  es  Lukasiewicz  endlich  [1852] 
eine  Lampe  zu  bauen,  in  welcher  das 
durch  ihn  bereits  hell  gemachte  Destillat 
des  dunklen  Erdöls  mit  einer  halbwegs 
ruhigen  Flamme  brannte,  ohne  viel  zu 
russen. 

Prokesch,  der  damalige  Material- 
vervvalter    der    Kaiser   Ferdinands-Nord- 


bahn,  wurde  sofort  hievon  verständigt 
und  eingeladen,  das  Ergebnis  der  Ver- 
suche zu  besichtigen.  Prokesch  kam 
nach  Lemberg  und  erkannte  sofort  die 
Vortheile,  welche  die  Verwendung  dieses 
Beleuchtungsmaterials  der  Nordbahn 
bringen  könnte.  Zum  Abschlüsse  eines 
Lief erungs  Vertrages  kam  es  jedoch 
nicht,  weil  sich  Niemand  fand,  der  es 
unternehmen  wollte,  die  verlangte  Quan- 
tität von  10  /  Naphtha  nach  Wien  zu 
schafften.  Ein  Jahr  später  [1854]  brachten 
die  bereits  erwähnten  Unternehmer 
Schreiner  und  Stiermann  auf  eigene 
Rechnung  15  t  Naphtha  nach  Wien, 
welches  Quantum  die  Nordbahn  sofort  an- 
kaufte. Diese  Bahn  war  sonach  die  erste 
und  damals  die  einzige  Abnehmerin  des 
galizischen  Petroleums  gewesen. 

Dieses  Petroleum  wurde  jedoch  nur 
zur  Beleuchtung  der  Bureaux,  nicht  aber 
zur  Beleuchtung  der  Eisenbahnwagen 
verwendet,  weil  es  sich  gezeigt  hatte, 
dass  die  Naphtha- Lampe  nur  in  windge- 
schützten Räumen,  nicht  aber  im  Luftzuge 
brenne  und  für  die  geringste  Bewegung 
der  Luft  ganz  ausserordentlich  empfind- 
lich sei. 

Trotzdem  setzte  sich  Pechar,  da- 
mals Inspector  der  Südbahn,  in  den  Kopf, 
eine  Lampe  zustande  zu  bringen,  welche 
als  Signallicht  für  Eisenbahnwagen 
zu  verwenden  wäre.  Der  Industrielle 
R.  D  i  t  m  a  r,  Inhaber  einer  Lampen- 
fabrik in  Wien,  ward  für  diese  Frage 
gewonnen.  Dieser  setzte  sein  Wissen  und 
sein  Geld  ein,  um  eine  im  Luftzuge  nicht 
verlöschende  Petroleum  -  Lampe  zu  con- 
;  struiren.  Dies  wollte  jedoch  lange  nicht 
gelingen.  Ein  grosser  Raum  der  Fabrik 
ward  zum  Friedhof  für  die  zahllos  be- 
grabenen Constructionen.  Endlich,  nach 
acht  langen  Jahren  gelang  es  [1862]  eine 
Lampe  herzustellen,  die  nicht  nur  im 
Luftzuge  russfrei  brannte,  die  man  sogar 
umstürzen  und  im  Kreise  drehen  konnte, 
ohne  dass  sie  verlöschte! 

Die  Lampe  war  da,  mit  ihr  aber  auch 
ein  Verbot,  dieselbe  im  Innern  der  Eisen- 
bahnwagen benützen  zu  dürfen. 

In  Oesterreich,  Deutschland  und  ein- 
zelnen anderen  Staaten  dürfen  nämlich  Mi- 
neralöle aus  Sicherheitsrücksichten  zur 
Beleuchtung  der  Personenwagen  nicht  ver- 


554 


R.  Freiherr  von  Gostkowskl. 


wendet  werden.  Dagegen  kommt  diese 
Beleuchtungsart  in  England,  Frankreich, 
Belgien  und  der  Schweiz  sowie  jenseits 
des  Oceans  in  grosser  Ausdehnung  vor. 


Im  Jahre  1858  hatte  Thompson 
die  Personenwagen  der  Dublin-Kingston- 
Eisenbahn  für  Gasbeleuchtung,  so 
gut  es  damals  ging,  eingerichtet.  Die- 
selben trugen  auf  ihrem  Dache  hölzerne 
Kisten,  die  in  ihrem  Innern  Kautschuk- 
säcke bargen,  welche  man  mit  Leucht- 
gas vollgefüllt  hatte.  Auf  jedem  dieser 
Säcke  lag  ein  Brett,  welches  mit  Ge- 
wichten beschwert  war,  um  auf  diese 
Weise  jenen  Druck  zu  erzeugen,  welcher 
zum-  guten  Brennen  der  Flamme  unerläss- 
lich  ist. 

Nachahmung  fand  diese  Art  der  Be- 
leuchtung freilich  nicht.  Die  Unterbringung 
der  Gasbehälter  in  den  Wagen*  bot  näm- 
lich weit  mehr  Schwierigkeiten,  als  man 
erwartet  hatte.  Ein  Cubikmeter  Leucht- 
gas reicht  gerade  eine  Stunde  für  acht 
Flammen,  wie  sie  in  den  Strassen later- 
nen  unserer  Städte  brennen. 

Nun  dauert  im  Winter  die  Beleuch- 
tungszeit 16  Stunden.  Man  würde  so- 
nach in  jedem  Wagen  einen  Behälter 
mit  16  tn^  Gas  unterbringen  müssen. 
Das  würde  den  dritten  Theil  jenes  Rau- 
mes in  Anspruch  nehmen,  den  ein  ge- 
wöhnlicher" Personenwagen  seinen  In- 
sassen bietet. 

Ein  Ingenieur  der  »Society  du  gaze 
portatif«  in  Paris  kam  ein  Jahr  nach 
den  Versuchen  Thompson's  auf  den 
Einfall,  Leuchtgas  zu  comprimiren,  wo»- 
durch  ja  die  Behälter  wesentlich  kleiner 
werden  könnten.  Es  zeigte  sich  aber, 
dass  Leuchtgas  sich  nicht  gut  pres- 
sen lasse,  indem  es  bereits  bei  drei 
Atmosphärendruck  sich  zu  condensiren 
beginne  und  bei  zehn  Atmosphären 
seine  Leuchtkraft  einbüsse.  Nach  vielen 
Versuchen  kam  er  auf  den  Gedanken, 
Gas  anzuwenden,  welches  nicht  aus  Stein- 
kohle, sondern  aus  Fett  erzeugt  worden 
war.  Mit  einem  solchen  Gase  war  da- 
mals ein  Zug  probeweise  beleuchtet, 
welcher  zwischen  Strassburg  und  Paris 
regelmässig   verkehrte. 


Erst  der  Berliner  Ingenieur  Julius 
Pintsch  kam  [1867]  auf  das  Ge- 
heimnis, aus  kleineren  Behältern  $>:i 
viel,  und  zwar  billiges  Gas  herauszu- 
pressen, als  zur  Erhellung  langer  Winter- 
nächte nöthig  war.  Ja,  noch  mehr! 
Er  rang  seinen  Behältern  soviel  Licht 
ab,  dass  es  für  zwei  Nächte  genügte. 

Aus  unbrauchbar  gewordener  Schmiere, 
welche  aus  den  Lagerbüchsen  der  Eisen- 
bahnwagen herausgenommen  wird,  gelang 
es  ihm,  ein  lichtstarkes  Gas  darzusteller., 
welches  sogar  auf  zehn  Atmosphären  sich 
zusammendrücken  Hess,  ohne  flüssig  zu 
werden,  und  dabei  immer  noch  37^  Mal 
stärker  leuchtete  als  das  gewöhnliche 
Kohlengas. 

Ein  Jahr  darauf  [1868]  waren  mit 
diesem  Gase  die  Züge  der  damali&^en 
Xiedermärkischen  Eisenbahn  —  freilich 
mit  einem  recht  schlechten  Erfolge  — 
beleuchtet.  Erst  als  Pintsch  im  Jahre  1S71 
eine  Vorrichtung  erfand,  welche  das  com- 
primirte  Gas  auf  den  im  Brenner  erforder- 
lichen Druck  zu  reduciren  gestattete,  trat 
die  Gasbeleuchtung  der  Eisenbahnwagen 
plötzlich  aus  dem  Stadium  der  Versuche 
heraus  und  fand  bald  allgemeine  Ver- 
breitung. 

England  eröffnete  [1876]  den  Reigen. 
Auf  dem  Continente  begann  die  Gas- 
beleuchtung der  Eisenbahnw^agen  erst  im 
Jahre  1880. 

Heute  wird  Fettgas  aus  Braunkohlen- 
Theeröl  dargestellt.  Mit  einem  Cubik- 
meter dieses  Gases  kann  man  eine  Stunde 
lang  40  Flammen  speisen,  während  das 
gleiche  Quantum  gewöhnlichen  Stein- 
kohlengases nur  acht  Flammen  von  glei- 
cher Lichtstärke  befriedigen  kann. 

Zwischen  Gasbehälter  und  Brenner 
muss  selbstverständlich  ein  Regulator  ein- 
geschaltet werden,  welcher  bewirkt,  dass 
trotz  Abnahme  des  Gasdrucks  im  Behälter 
diese  Flammen  dennoch  gleichmässig  hell 
brennen.  Auch  der  für  Stösse  unemptind- 
liehe  Regulator  ist  eine  geniale  Erfindung; 
des  bereits  gedachten  Berliner  Ingenieurs, 
ebenso  die  Deckenlampe,  welche  dem  neuen 
Leuchtstoffe    angepasst    werden  musste. 

hl  dieser  Form  ist  die  Gasbeleuchtun«,^ 
der  Eisenbahnwagen  in  Oesterreich, 
Deutschland,  Frankreich,  England  und 
Holland  eingeführt. 


Beheizung  und  Beleuchtung. 


555 


Noch  im  Jahre  1815  weigerten  sich 
die  Londoner  Feuerassecuranz  -  Com- 
pagnien  Gebäude  zu  versichern,  welche 
mit  Gasbeleuchtung  versehen  waren, 
weil  allgemein  behauptet  wurde,  Gas 
explodire.  Um  diesem  Vorurtheil  zu 
begegnen,  lud  Gl  egg,  der  Ingenieur, 
welcher  damals  die  Gasinstallation  be- 
sorgte, die  Vertreter  der  Feuerversiche- 
rungs-Gesellschaften ein,  mit  ihm  die 
Gaswerke  zu  inspiciren  und  erbot  sich, 
die  Grundlosigkeit  jener  Annahme  experi- 
mentell zu  erweisen.  Im  Augenblicke, 
als  die  Gommission  auf  dem  grossen, 
mit  vielen  Tausenden  Gubikmetem  ge- 
füllten Gasbehälter  stand,  entriss  G 1  e  g  g 
einem  neben  ihm  stehenden  Arbeiter 
die  Hacke  und  schlug,  weit  ausholend, 
mit  dieser  auf  den  Behälter.  Eine 
klaffende  Spalte  war  die  Folge  des 
wuchtigen  Schlages.  Mit  einem  Male 
schoss  auch  schon  aus  derselben  das 
durch  eine  Fackel  angezündete  Gas  in 
einer  mehrere  Meter  hohen  Garbe  lichter- 
loh in  die  Höhe!  Entsetzt  wichen  die 
Nahestehenden  zurück,  beruhigten  sich 
jedoch  und  staunten  das  eigenartige 
Schauspiel  an.  Gl  egg  hatte  drastisch 
bewiesen :  Gas  explodire  nur  dann,  wenn 
es  in  entsprechendem  Masse  mit  Luft 
gemischt  werde.  Im  Gasometer  steht 
das  Gas  unter  einem  Drucke,  welcher 
es  aus  demselben  herauszutreiben  suche, 
einem  Drucke,  der  also  grösser  ist  als 
jener  der  Atmosphäre.  Es  könne  daher 
in  das  Innere  des  Behälters  Aussenluft 
nicht  gelangen,  daher  dort  eine  Ex- 
plosion  nicht  erfolgen. 

Aber  dennoch  wurden  vielfach  Brände 
bei  Zügen  der  Gasbeleuchtung  zuge- 
schrieben. Die  Vorkommnisse  in  Wann- 
see bei  Berlin  [1885],  in  Limito  nächst 
Mailand  [1891],  die  Explosion  auf  der 
Berliner  Stadtbahn  [1894]  sowie  aus  Ame- 
rika gemeldete  Zugbrände  sprechen  ja  laut 
dafür.  Um  in  dieser  Richtung  klar  zu 
sehen,  wurden  seitens  des  Ministeriums 
der  öffentlichen  Arbeiten  in  Berlin  im 
Jahre  1887  Versuche  angestellt,  welche 
den  Zweck  hatten,  zu  entscheiden,  ob 
das  Gas  der  Eisenbahnwagen  Ursache 
von  Zugsbränden  sein  könne.  Beim 
Unfälle  nächst  Wannsee  wurde  constatirt, 
dass    der    Gasbehälter    des    damals    an- 


gefahrenen Zuges  ein  circa  6  cw*  grosses 
Loch  hatte  sowie  dass  dieser  Behält^er 
mit  200  /  Fettgas  von  vier  Atmosphären 
Spannung  gefüllt  war.  Es  handelte  sich 
also  um  ein  Quantum  von  insgesammt 
800  /  Fettgas. 

Um  sich  die  Ueberzeugung  zu  ver- 
schaffen, ob  unter  solchen  Verhältnissen 
eine  Gasexplosion  möglich  sei,  wurden 
zwei  Behälter  gleicher  Grösse  wie  der 
zerstörte,  mit  Fettgas  von  demselben 
Drucke  gefüllt.  Jeder  von  ihnen  hatte 
eine*  Oeffnung  so  gross,  wie  der  zer- 
störte Behälter  sie  aufwies.  Die  künstlich 
gemachten  Oeffnungen  waren  mit  einer 
Vorrichtung  verschlossen  gewesen,  die 
sich  jeden  Augenblick  leicht  öffnen  Hessen. 
i'5  fw  von  der  so  verschlossenen  Oeffnung 
des  einen  dieser  Behälter  entfernt,  wiu'de 
ein  mit  Hobelspänen  gefüllter  Korb  auf- 
gestellt und  dessen  Inhalt  angezündet. 
Als  die  Späne  in  vollem  Brande  standen, 
wurde  der  Verschluss  des  Blechbehälters 
beseitigt.  Das  Resultat  war,  dass  das 
au^  dem  Behälter  ausströmende  Gas  sich 
nicht  nur  nicht  entzündete,  sondern  dass 
es  die  brennenden  Späne  verlöschte.  Auch 
beim  zweiten  Versuche,  bei  welchem 
der  brennende  Holzkorb  '/^  m  weit  vom 
Gasbehälter  stand,  entzündete  sich  das 
aus  demselben  ausströmende  Gas  nicht. 
Der  Druck  desselben  war  hier  so  gross 
gewesen,  dass  der  brennende  Korb  um- 
geworfen wurde  und  verlosch. 

Das  für  Zwecke  der  Beleuchtung 
der  Eisenbahnwagen  bei  den  Zügen  mit- 
geführte Gas,  kann  also  unmöglich  Ur- 
sache eines  Zugbrandes  werden. 

Die  Gasbeleuchtung  der  Eisenbahn- 
wagen hat  jedoch  zwei  Uebelstände: 
Die  Schwierigkeit  der  Befestigung  der 
Gasbehälter  am  Wagen  und  Umständlich- 
keit der  Bedienung. 

Das  Anzünden  der  Gasflammen  vom 
Dache  aus  ist  schwerfällig  und  bei  Glatt- 
eis sogar  gefährlich.  Die  Gasbrenner 
werden,  weil  sie  einen  sehr  engen  Schlitz 
haben,  nicht  selten  durch  Staub  und 
Russ  verstopft,  wodurch  ein  flackerndes 
und   schlecht  leuchtendes  Licht  entsteht. 

Wesentlich  ist  der  Nachtheil,  dass 
die  Gasflammen  nicht  erst  im  Falle  des 
wirklichen  Bedarfes  an  Licht,  sondern 
lange    vor  Einbruch    der  Dunkelheit  an- 


556 


R.  Freiherr  von  Gostkowski. 


gezündet  werden  müssen,  weil  ja  die 
Dunkelheit  den  Zug  nicht  gerade  in  der 
Station,  sondern  auch  während  der  Fahrt 
überraschen  kann.  Aehnlich  verhält  es 
sich  beim  Abstellen  der  Beleuchtung, 
welche  nicht  sofort  nach  Eintreten  der 
Entbehrlichkeit  derselben,  sondern  in 
viellen  Fällen  später  eintritt. 

Wie  sehr  aber  sich  hiedurch  die 
Kosten  der  Beleuchtung  vergrössem, 
möge  daraus  ersehen  werden,  dass  bei 
der  Dortmund-Enscheder  Eisenbahn, 
welche  die  Gasbeleuchtung  ihrer  Wagen 
im  Jahre  1894  durch  elektrische  Beleuch- 
tung ersetzt  hatte,  eine  Ersparnis  von  50% 
an  Brennstunden  in  einem  Jahre  erzielt 
wurde,  obwohl  ihre  Wagen  ebensolange 
beleuchtet  wurden,  als  vorher. 

Die  Verminderung  der  Brennstunden 
ist  aber  dadurch  erzielt  worden,  dass  die 
elektrische  Beleuchtung  erst  im  Augen- 
blicke des  Bedarfes  bewerkstelligt  sowie 
dass  die  Beleuchtung  eines  nichtbesetzten 
Wagens  sofort  nach  dessen  Leerwerden 
abgestellt  werden  konnte.  Eine  ähnliehe 
Ersparnis  fand  [1894]  auch  bei  der  elek- 
trischen Beleuchtung  der  dänischen  Schnell- 
züge statt,  und  wird  überall  beobachtet, 
wo  Gas  durch  Elektricität  ersetzt  wurde. 

Indes  stösst  die  allgemeine  Einführung 
der  elektrischen  Beleuchtung,  wenn  sie 
auch  vollkommen  wäre,  was  sie  bei 
Weitem  nicht  ist,  auf  die  Schwierigkeit, 
dass  heute  über  85%  aller  Personenwagen 
Deutschlands  bereits  für  Gas  eingerichtet 
sind,  dass  also  ein  Uebergang  die  Brach- 
legung eines  grossen  Capitals  verursachen 
würde. 


Zur  Zeit  als  der  erste  mit  Personen 
besetzte  Zug  auf  den  Schienen  rollte 
[1825],  war  das  elektrische  Licht  zwar 
schon  entdeckt  gewesen,  doch  war  es 
nur  wenigen  Physikern  gegönnt,  dasselbe 
zu  schauen.  Ja  selbst  ein  halbes  Jahr- 
hundert später  ward  es  noch  als 
Curiosum  gezeigt;  so  bewunderte  man 
es  beispielsweise  im  Jahre  1848  in 
der  Pariser  Oper.  Später  kam  es 
bei  grösseren  Schaustellungen,  Illumina- 
tionen, Volksfesten,  Concerten  etc.  zur 
Verwendung.    An    eine  Ausbreitung  des 


elektrischen  Lichtes  für  industrielle 
Zwecke  war  nicht  zu  denken,  weF. 
dieses  Licht  damals  nur  wenige  Minu- 
ten ohne  Nachhilfe  brennen  konnte.  Die 
einander  gegenübergestellten  Kohlen  ver- 
brannten nämlich  in  der  elektrischen 
Gluth  schnell,  die  Distanz  zwischen 
ihnen  wuchs  rasch  und  erreichte  bald 
jene  Grenze,  welche  der  elektrische 
Strom  nicht  mehr  überschreiten  konnte. 
Das  Licht  löschte  aus,  oder  es  musstcn 
aus  freier  Hand  die  Kohlen  wieder  ein- 
ander näher  gerückt  werden.  Selbst  die 
Einführung  von  Apparaten,  welche  diese 
Nachstellung  automatisch  besorgten, 
konnte  zur  Verbreitung  des  elektrischen 
Lichtes  nur  wenig  beitragen,  weil  das  so 
erzeugte  Licht  viel  zu  theuer  war. 

Angesichts  solcher  Verhältnisse  ist 
es  begreiflich,  dass  eine  Erfindung,  welche 
die  Erzeugung  des  elektrischen  Lichtes 
ohne  Zuhilfenahme  von  galvanischen 
Elementen  ermöglicht  hatte,  einen  Auf- 
schwung des  Beleuchtungs Wesens  herbei- 
führen musste. 

Eine  solche  Erfindung  war  aber  die 
Dynamo-Maschine. 

Das  mittels  dieser  Maschine  er- 
zeugte Licht  [Bogenlicht]  ist  aber  Ar 
Zwecke  der  Beleuchtung  von  Eisen- 
bahnwagen unbrauchbar,  weil  es  viel 
zu  grell  ist,  eine  Abschwächung  des- 
selben sich  aber  nur  schwer  durchführen 
lässt.  Die  schwächste  Intensität  eines  Bo- 
genlichtes  wird  nämlich  immer  noch  eine 
Lichtstärke  von  30  Kerzen  haben,  und 
dies  ist  bedeutend  mehr  als  zur  Beleuch- 
tung eines  Coupes  erforderlich  ist. 

Die  epochemachende  Erfindung  der 
Dynamo  -  Maschine  wäre  sonach  f^r 
Zwecke  der  Beleuchtung  der  Eisenbahn- 
wagen höchstwahrscheinlich  unverwer- 
thet  geblieben,  wenn  ihr  nicht  eine 
zweite,  fast  ebenso  wichtige  Erfindung 
zu  Hilfe  gekommen  wäre.  Man  kam 
näiplich  auf  den  Gedanken,  statt  die 
Kohlenstäbe  von  einander  zu  trennen 
und  die  Elektricität  durch  die  zwischen- 
liegende Luftschichte  zu  treiben,  um 
diese  zum  Leuchten  zu  bringen  —  die 
Stäbe  zusammen  zu  schieben,  respective 
einen  ungetheilten  Stab  durch  den  Strom 
der    Dynamo-Maschine    zur    Weissgluth 


Beheizung  und  Beleuchtung. 


557 


zu  erhitzen  und  das  Licht  dieser  Gluth 
zur  Beleuchtung  zu  verwenden.  Zu  diesem 
Zwecke  schloss  man  den  Kohlenstab 
[Kohlenfaden],  damit  derselbe  nicht  so 
schnell  verbrenne,  in  einen  luftleer  ge- 
machten Glasballon  ein:  —  Die  Glüh- 
lampe war  erfunden ! 

Die  Glühlampe  liefert  zwar  ein 
siebenmal  theureres  Licht  als  die  Bogen- 
lampe, sie  hat  aber  den  grossen  Vor- 
theil,  dass  man  Licht  in  sehr  kleinen 
Quantitäten  erzeugen,  es  also  besser 
vertheilen  kann,  als  dies  bei  Bogen- 
lampen möglich  ist.  Auch  ist  das  Licht 
der  Glühlampen  äusserst  ruhig,  weil 
die  Schwankungen  des  Wagens  auf 
dasselbe  keinen  Einfluss  haben. 

Mit  Hinblick  darauf  scheint  es,  dass 
die  elektrische  Beleuchtung  eines  Eisen- 
bahnzuges ebenso  einfach  ausführbar  sei, 
als  eine  stationäre  Beleuchtungsanlage. 
Man  braucht  ja  nichts  weiter  zu  thun, 
als  längs  der  Schienen  Drähte  auszu- 
spannen und  die  Elektricität,  welche  sie 
führen,  durch  geeignete  Vorrichtungen 
zu  den  Glühlampen  der  Wagen  zu  leiten. 
Gar  eil  in  London  hatte  ein  ähnliches 
System  erdacht  und  im  Jahre  1887  bei 
der  elektrischen  Tramway  in  Glasgow 
durchgeführt.  Da  aber  bei  Vollbahnen  an 
eine  Zuleitung  des  galvanischen  Stromes, 
welcher  in  einer  Centrale  erzeugt  wird, 
durch  Drähte,  die  längs  der  Bahn 
ausgespannt  sind,  nicht  gut  zu  denken 
ist,  so  kann  diese  Idee  der  Wagen- 
beleuchtung   kaum    verwirklicht  werden. 

Es  blieb  daher  nichts  übrig,  als  auf 
die  Locomotive  eine  kleine  Dampf- 
maschine aufzusetzen,  diese  durch  den 
Kesseldampf  der  Locomotive  zu  speisen 
und  mit  ihrer  Hilfe  die  Dynamo-Ma- 
schine zu  betreiben.  Leider  kann  aber 
dann  die  Locomotive  vom  Zuge  nicht 
abgetrennt  werden,  ohne  dass  das  Licht 
erlischt.  Um  dies  zu  verhindern,  versah 
man  jeden  der  zu  beleuchtenden  Wagen 
mit  einer  besonderen  Dynamo-Maschine 
und  betrieb  sie  nicht  mehr  d  i  r  e  c  t  e  durch 
die  Kraft  des  Kesseldampfes,  sondern 
mittelbar  durch  jene  der  rollenden 
Räder  des  betreffenden  Wagens. 

Auf  diese  Art  brachte  man  es  zu- 
stande, dass  jeder  einzelne  Wagen  einen 
completen     Beleuchtungsapparat     hatte. 


also  von  den  anderen  unabhängig  wurde. 
Eine  derartige  Einrichtung,  so  vollkom- 
men sie  auch  auf  den  ersten  Blick  zu 
sein  scheint,  hat  jedoch  nur  einen  unter- 
geordneten Werth,  weil  die  Ruhe  des 
Lichtes  abhängig  ist  von  der  Stetigkeit 
der  Rotation  des  Inductors  der  Dynamo- 
Maschine,  eine  solche  aber  nicht  vor- 
handen ist,  weil  die  Räder  des  Wagens 
bald  schneller,  bald  langsamer  rollen, 
da  ja  der  Zug  verschiedene  Strecken 
verschieden  schnell  befährt.  Auch  müssten 
die  Lampen  beim  Stillstande  des  Zuges 
verlöschen. 

Das  nächstliegende  Mittel,  dieser 
Schwierigkeit  zu  begegnen,  würde  die 
Einstellung  des  Dampfkessels  in  jeden 
einzelnen  Wagen  sein.  Da  es  aber  nicht 
angeht,  in  demselben  Räume,  in  wel- 
chem die  Passagiere  sich  befinden,  einen 
Feuerherd  einzustellen,  so  verfiel  man 
auf  Dampfkessel,  welche  zur  Erzeugung 
des  Dampfes  keines  Feuers  bedürfen. 
Es  sind  dies  Behälter  mit  überhitztem 
Wasser. 

Dies  hätte  den  Vortheil,  dass  alle  Neben- 
apparate entfallen,  welche  zum  Reguliren 
und  zur  Erhaltung  der  Spannung  dienen, 
dass  die  Beleuchtung  von  der  Fahrge- 
schwindigkeit unabhängig  ist,  dass  die  Re- 
paraturen der  Heisswasser-Behälter  ganz 
gering  sind  und  dass  die  Bedienung  ausser- 
;  ordentlich  einfach  wird.  Es  zeigte  sich 
jedoch,  dass  man  nicht  jeden  Wagen  mit 
einer  besonderen  Lichtquelle  versehen 
kann,  da  es  nicht  angeht,  in  jedem 
Wagen  einen  Heisswasser-Behälter  zu 
führen,  man  ist  vielmehr  angewiesen, 
einen  Behälter  für  den  ganzen  Zug  auf- 
zustellen. 

Durch  Anwendung  von  Accumulatoren 
wurde  man  von  der  Bewegung  des  Zuges 
ganz  unabhängig,  denn  man  verwendete 
die    Energie    der    ungleichmässigen    Be- 
wegung rollender  Räder  nicht  mehr  zur 
Erzeugung     des     elektrischen     Stromes, 
sondern  zum  Lösen  von  chemischen  Ver- 
bindungen [zum  Laden  der  Accumulatoren]. 
Man  sieht  also,  dass  drei  Erfindungen 
zusammentreten  mussten,  um  die  Beleuch- 
tung   fahrender  Züge   durch    Elektricität 
zu  ermöglichen.     Es    sind    dies    die  Er- 
I  findung  der  Dynamo-Maschine,  des 
I  Glühlichtes  und  des  Accumulators. 


558 


R.  Freiherr  von  Gostkowski. 


Die  ersten  Versuche,  Eisenbahnwagen 
mittels  Accumiüatoren  zu  beleuchten, 
stammen  aus  England.  Auf  der  London- 
Brighton- Eisenbahn  verkehrte  nämlich 
bereits  im  Jahre  1881  ein  Schlafwagen, 
der  in  dieser  Weise  erhellt  worden  war. 
Diese  Beleuchtungsweise  befriedigte  je- 
doch nicht,  da  die  damaligen  Accumu- 
latoren  praktisch  noch  nicht  verwendbar 
waren.  Faure  nahm  ja  erst  in  jenem 
Jahre  ein  Patent  auf  die  berühmte  Er- 
findung, welche  den  Accumulatoren  den 
Weg  vom  Laboratorium  in  die  Praxis 
öffnete. 

Die  erste  Bahn,  welche  ihren  Wagen- 
park vollständig"  für  Accumulatoren- 
Beleuchtung  einrichten  Hess,  war  die 
italienische  Bahn  Novara  -Seregno- 
S  a  r  o  n  n  o. 

Auf  Nachahmung  konnte  diese  Bahn 
nicht  rechnen,  da  ihre  Beleuchtungs- 
methode Manches  zu  wünschen  übrig  Hess 
und  keine  Bahn  die  Kosten  einer  lang- 
wierigen Ausprobung  tragen  wollte. 

Einen  Impuls,  der  Frage  der  elektri- 
schen Wagenbeleuchtung  näher  zu  tre- 
ten, gab  erst  der  schweizerische 
Bundesrath,  welcher  an  Stelle  der 
üblichen  Petroleum-Beleuchtung,  die  als 
gefährlich  erkannt  wurde,  die  Einführung 
einer  andern  angeordnet  hatte.  [1888.] 

Die  Jura-Simplo n-Eisenbahn  war 
die  erste,  welche  nach  Durchführung 
umfassender  Versuche  im  Jahre  1893 
einen  grossen  Theil  ihres  Wagenparkes 
elektrisch  einrichten  Hess. 

Dem  Beispiele  der  Jura-Simplon-Eisen- 
bahn  folgend,  eröffnete  in  Oesterreich 
die  Kaiser  Ferdinands-Nordbahn 
mit  der  elektrischen  Wagenbeleuchtung 
den  Reigen,  indem  sie  im  Jahre  1893 
Züge  zwischen  Wien  und  K  r  a  k  a  u 
in  Verkehr  setzte,  welche*  für  Accumu- 
latoren -  Beleuchtung  eingerichtet  waren. 
Zur  Beleuchtung  der  20  Wagen  dieser 
Züge  wurden  durchwegs  Glühlampen  mit 
einer  Leuchtkraft  von  sechs  Kerzen  für  eine 
mittlere  Spannung  von  23  Volts  und 
einem  Energie-Verbrauche  von  2  7j  Watts 
pro  Kerze  verwendet.  .  Ein  Wagen  I./II. 
Classe  hat  14,  ein  Wagen  III.  Classe 
8  Lampen. 

Das  Laden  der  Accumulatoren  erfolgt 
auf  dem  Nordbahnhofe  in  Wien,  woselbst 


16  Ladestellen  eingerichtet  wurden,  auf 
welchen  je  20  Tröge  [40  Zellen]  Platz 
finden.  Die  Dynamo-Maschine,  "welchcf 
den  Ladestrom  liefert,  ist  eine  Xeben- 
schlussmaschine  von  1 10  Volts  Spannurt; 
und  g^bt  einen  Strom  von  140  Amperes, 
so  dass  also  ihre  Leistung  15*4  Kilo- 
watt  beträgt.  Für  die  mit  Accumula- 
toren auszuiilstenden  Wagen  \%'urde  ein 
eigenes,  in  der  Nähe  der  Ladestellen  ge- 
legenes Geleise  bestimmt,  auf  welches 
die  Wagen  nach  ihrem  Eintreffen  gestellt 
werden.  Zu  beiden  Seiten  des  Aufstel- 
lungs-Geleises läuft  eine  schmalspurige 
Bahn  von  300  fntn  Spurweite.  auf 
welcher  die  Accumulatoren  mit  Hilfe 
kleiner  Rollwagen  von  und  zu  den  Wagen 
gefahren  werden. 

Im  ersten  Betriebsjahre  wurden  */^  Mil- 
lionen Lampenstunden  geleistet,  wozu 
eine  Ladung  von  6527  Batterien  zu  je 
zwölf  Zellen  während  einer  Betriebszeit 
von  4255  Stunden  nöthig  war.  Die  hie- 
für verausgabte  Ladungsarbeit  betrug: 
34.368  Kilowattstunden,  entsprechend 
einer  Arbeit  der  Dampfmaschine  vun 
52.400  Pferdekraftstunden.  Die  Kosten 
einer  Glühlampenstunde,  inclusive  der 
Kosten  der  Amortisation  und  Ver- 
zinsung des  Anlage-Capitales,  belaufen 
sich  auf  rund  i7j  Kreuzer. 

Durch  das  Beispiel  der  Nordbahn 
angeregt,  haben  sowohl  die  österreichi- 
schen wie  auch  die  ungarischen  Staats- 
bahnen sowie  die  Kaschau-Oder- 
berger  Eisenbahn  die  Einrichtung  einer 
grossen  Anzahl  von  Wagen  für  Accu- 
mulatoren-Beleuchtung  beschlossen. 

In  jüngster  Zeit  [1896]  hat  die  Alt- 
dam-Kolberger  Eisenbahn  Ver- 
suche angestellt,  die  Wagen  nicht  nur 
im  Innern,  sondern  auch  aussen  elektrisch 
zu  beleuchten  und  dies  zu  dem  Zwecke, 
um  kleine  Stationen,  die  während  der 
Abwesenheit  des  Zuges  wenig  oder  gar 
nicht  beleuchtet  sind,  bei  der  Einfahn 
des  Zuges  mit  diesen  Lampen  zu  er- 
hellen. Selbstverständlich  werden  die 
Aussenlampen  erst  bei  der  Einfahrt  des 
Zuges  durch  Druck  auf  einen  Taster  zum 
Leuchten  gebracht. 

Die  zuerst  von  dem  österreichischen 
Elektrotechniker  Krzi2ik  in  Prag,  vor 
etlichen    Jahren     ausgesprochene     Idee, 


Beheizung  und  Beleuchtung. 


559 


wurde    also    hier   zum   ersten   Male    ins 
Praktische  tibersetzt. 

Die  elektrische  Beleuchtung  der  Eisen- 
bahnwagen hat  so  viele  Vorzüge,  dass 
ihre  Zukunft  gesichert  ist.  Mit  Rück- 
sicht jedoch  darauf,  dass  die  Accumula- 
torenfrage  noch  nicht  endgiltig  gelöst 
ist,  kann  bei  dem  grossen  Capitale, 
welches  in  den  Einrichtungen  für  Gas- 
beleuchtung steckt,  an  eine  allgemeine 
Einführung  der  elektrischen  Beleuchtung 
der  Eisenbahnwagen  vorläufig  nicht  ge- 
dacht werden. 


Zu  Ende  des  Jahres  1894  warf  in 
Nord-Carolina  ein  Adept  der 
schwarzen  Kunst  das  bei  seinen  Ver- 
suchen abgefallene  Nebenproduct  in  den 
Bach  und  aus  dem  Wasser  begannen 
Gasblasen  stürmisch  zu  entweichen. 
Dieselben  Hessen  sich  entzünden  und 
brannten,  einmal  entfacht,  mit  hellleuch- 
tender Flamme.  Wilson  —  so  hiess 
der  Chemiker  —  wusste  eben  nichts  von 
dem  Calci um-Carbid  der  alten  Welt, 
welches  die  Eigenschaft  hat,  mit  Wasser 
Übergossen,  ein  Gas  zu  bilden,  das  mit 
der  stärkstleuchtenden  Flamme  brennt, 
welche  wir  bis  jetzt  kennen. 

Zu  Anfang  unseres  Jahrhunderts  hatte 
D'avy  beobachtet,  dass  der  Rückstand, 
welcher  bei  Gewinnung  des  metallischen 
Kaliums  entsteht,  mit  Wasser  Über- 
gossen, ein  übelriechendes  Gas  liefere, 
welches  mit  heller  Flamme  brennt.  Ueber 
dieses  Gas  schrieb  im  Jahre  1862 
Wo  hl  er  die  folgenden  Worte:  »Bei 
sehr  hoher  Temperatur  erhält  man  aus 
einer  Legirung  von  Zink  und  Calcium 
in  Berührung  mit  Kohle  ein  Kohlenstoff- 
Calcium  [also  unser  Calcium-Carbid], 
welches  die  merkwürdige  Eigenschaft 
hat,  sich  mit  Wasser  in  Kalkhydrat 
und  Acetylengas  zu  zersetzen.« 

Die  Darstellung  der  Metallcarbide 
stiess  jedoch  auf  die  Schwierigkeit  der 
Erzeugung  hoher  Temperaturen,  auf 
deren  Nothwendigkeit  bereits  Wöhler 
hingewiesen  hatte.  Das  Verdienst,  diese 
Schwierigkeit  behoben  zu  haben,  gebührt 
dem  französischen  Chemiker  Moissan, 
der  zielbewusst  zur  Elektricität  seine 
Zuflucht    nahm.     Im  Jahre    1894    stellte 


Moissan  in  Paris  in  der  Gluth  des 
elektrischen  Feuers  das  Calcium-Car- 
bid dar. 

Bei  der  Erzeugung  des  Calcium-Car- 
bides  bedarf  es  (der  Elektricität  nicht  als 
solcher.  Ihre  Hilfe  ist  nur  nöthig,  um 
eine  so  intensive  Hitze  zu  erzeugen 
[3500^  C],  wie  es  die  chemische  Reaction 
erfordert. 

Das  Calcium-Carbid  (Ca  Cj)  hat,  wie 
gesagt,  die  Eigenschaft,  mit  Wasser  Ace- 
tylengas [C2  H2]  zu  bilden,  dessen 
Flamme  durch  die  grösste  Lichtfülle  sich 
auszeichnet,  die  wir  kennen,  obwohl  si'e 
den  niedrigsten  Wärmegrad  unter  allen 
bisher  bekannten  Flammen  aufweist. 

Wird  nämlich  in  einem  Gasbrenner, 
welcher  140  /  Gas  pro  Stunde  con- 
sumirt,  gewöhnliches  Leuchtgas  ver- 
brannt, so  erhält  man  eine  Flamme, 
welche  so  viel  Licht  gibt,  als  1 2  Stearin- 
kerzen. Wird  dagegen  in  einem  ent- 
sprechend construirten  Brenner  von  dem- 
selben Consum  Acetylengas  verbrannt, 
so  liefert  dessen  Flamme  ein  Licht  von 
240  Kerzen! 

Die  Ueberlegenheit  der  Flamme  des 
Acetylengases  in  Bezug  auf  die  Leucht- 
kraft, gegenüber  der  Flamme  anderer  Gase, 
kommt  in  der  nachstehenden  Zusammen- 
stellung recht   drastisch  zum  Ausdrucke. 

Der  Materialverbrauch  für  eine  Stunde 
Brennens,  mit  der  Helligkeit  einer  Kerze, 
beträgt  nämlich  bei: 

Leuchtgas  im  Schnittbrenner     11 '5  Liter 

>  p    Argandbrenner    ico     » 
»           in  der  Siemenslampe 

Nr.  00  .     .     .     .     37     * 

>  im  Auerlichte     .     .     3*0     * 
Acetylengas 0*8     » 

»  in  der  Reginalampe  0*7      * 

Leider  kommt  Acetylengas  heute  noch 
recht  theuer  zu  stehen. 

Es  kostet  nämlich  in  Neuhausen 
I  kg  Calcium-Carbid  gegenwärtig  24  kr. 
[40  Pfennige].  Da  man  aber  zur  Er- 
zeugung von  einem  Cubikmeter  Acetylen- 
gas 3^3  kg  Calcium-Carbid  benöthigt, 
so  kommt  ein  Cubikmeter  Acetylengas 
auf  80  kr.  zu  stehen.  Man  hat  Grimd  zu 
'  behaupten,  dass  es  unter  30  kr.  nicht 
I  sobald    sinken    werde,     weil    schon    bei 


56o 


R.  Freiherr  von  Gostkowski. 


diesem  Preise  die   heutigen  Selbstkosten  \ 
kaum  gedeckt  sein  dürften. 

Trotzdem  dachte  man  daran,  Eisen- 
bahnwagen mit  Acetylengas  zu  be- 
leuchten, weil  man  im  Auge  hatte,  dass 
bei  gleicher  Gewichts  Vermehrung  des 
Wagens,  Acetylengas  die  Mitnahme  einer 
weit  grösseren  Menge  von  Licht  gestattet, 
als  elektrisches  Glühlicht  oder  Öelgas. 

Der  technischen  Direction  der  schwei- 
zerischen Hauptbahnen  und  den  Ver- 
tretern des  Eisenbahn- Departements  der 
Schweiz  wurde  am  24.  April  1896  auf 
der  Strecke  Ölten- Bern  ein  mit 
Acetylengas  beleuchteter,  vom  Maschinen- 
Ingenieur  Kühn  eingerichteter  Wagen 
vorgeführt.  Der  gelungene  Versuch  ver- 
anlasste die  Com  pagnie  de  Chemins 
de  fer  de  l'Est,  denselben  zu  wieder- 
holen. Das  Acetylengas  wurde  in  einem 
Behälter  comprimirt  und  in  einem  Brenner 
von  besonders  engem  Schlitze  verbrannt. 


Indessen  scheint  die  Aussicht  auf  eint 
glänzende  Zukunft,  welche  die  Chemiker 
dem  Acetylengase  in  die  Wiege  le^yte:., 
sich  wesentlich  vermindert  zu  habti 
Nicht  der  Preis  dürfte  die  Schuld  daran 
tragen,  vielmehr  scheint  die  Furcht  vor 
Explosionen  das  Acetylengas  in  Verri: 
zu  bringen. 

Während  es  bei  einem  Drucke  v-r 
einer  Atmosphäre  keine  explosiven  Eigen- 
schaften zeigt,  hat  das  Acetylengas  scimn 
bei  einem  Drucke,  der  zwei  Atmosphären 
um  W^eniges  überschreitet,  die  gewöhn- 
lichen Eigenschaften  explosiver  Ga>- 
gemische. 

Das  Acetylen  bildet  vorläufioj  d:s 
letzte  Glied  in  der  Entwicklung  des  Ik- 
leuchtungswesens.  Inwieweit  seine  a  .• 
gemeine  praktische  Verwendung,  ir.>- 
besondere  auch  für  Eisenbahnzwecke 
möglich  wird,  dürfte  eine  nahe  Zukürit 
lehren. 


IL 


Beheizung  der  Eisenbahnwagen. 


Die  nächstliegende  Idee,  auf  die  wohl 
Jeder  verfällt,  sobald  er  sich  befragt,  auf 
welche  Weise  ein  Eisenbahnwagen  zu 
beheizen  sei,  ist  wohl  die,  einen  eisernen 
Ofen  zu  verwenden.  Freilich  muss  die 
Construction  eines  solchen  Ofens  den 
Verhältnissen  angepasst  werden,  weil  ja 
der  beengte  Raum  eines  Eisenbahnwagens 
die  Aufstellung  grosser  Oefen  nicht  ge- 
stattet. Ausserdem  müsste  auch  der  Ofen 
am  Fussboden  des  Wagens  fest  ange- 
schraubt sein,  damit  er  beim  Anhalten, 
Anfahren  und  plötzlichen  Bremsen  des 
Zuges  nicht  umfalle.  Man  muss  also 
kleine,  aber  scharf  geheizte  Oefen  ver- 
wenden, wobei  stets  darauf  Bedacht  ge- 
nommen werden  muss,  dass  die  Heizung 
so  ergiebig  sei,  dass  sie  für  jeden  Wagen 
lO.oooCalorien  stündlich  zu  liefern  vermag. 

Heizungstechniker  haben  herausge- 
bracht, dass  für  diesen  Zweck  die  soge- 
nannten Füllöfen  am  besten  —  oder 
richtiger  gesagt,  am  wenij^sten  schlecht 
—  sich  eignen.  Diese  Oefen  haben  den 
Vorzug  der  Einfachheit,    der    guten    und 


schnellen  Heizung,  wie  auch  den  Vorthe:'.. 
dass  bei  deren  Verwendung  eine  ausgiebij:; 
Lüftung  der  Wagen  herbeigeführt  wird. 
Eine  andere,  vielfach  gebrauchte  Form 
der  Wagenheizung  besteht  darin,  da>s 
der  Ofen  sich  nicht  im  Innern,  sonJen: 
ausserhalb  des  Wagens  befindet,  und  die 
an  seinen  Wänden  erwärmte  Luft  durcL 
Canäle  in  den  Wagen  geleitet  wird.  Man 
nennt  eine  solche  Heizungsmethode  Luft- 
heizung.  Die  ältesten  Versuche,  eine 
Luftheizung  zu  erzielen,  stammen  noch 
aus  dem  Jahre  1868,  um  welche  ZcU 
die  Rheinische  Eisenbahn  kleine 
Oefen  zwischen  die  Buffer  ihrer  VVagca 
aufhängte  und  deren  Rauchrohre  durch 
das  Innere  der  Wagen  nach  aussen  führte. 
Später  wurden  auf  der  Grossherzoglich 
Badischen  Eisenbahn  Versuche  mit 
bereits  verbesserter  Luftheizung  angestellt 
Unter  dem  Wagen,  möglichst  nahe  an 
einem  Ende,  ist  ein  kleiner  Steinkohlen- 
Ofen  angebracht,  von  welchem  aus  das 
Rauchrohr  den  Wagen  entlang,  an  J^f 
entgegengesetzten    Seite    bis    über   die 


Beheizung  und  Beleuchtung. 


561 


Wagendecke  hoch  geführt  ist.  Ofen  und 
Rauchrohr  sind  mit  einem  Mantel  umge- 
ben, in  welchem  durch  selbstthätige 
Klappen  die  Luft  bei  Bewegung  des 
Zuges  eintritt,  hier  erwärmt  und  von  da 
durch  Röhren  und  regulirbare  Klappen 
in  das  Innere  der  Wagen  geführt  wird 
[»System  Allen«]. 

Am  meisten  ausgebildet  erscheint 
das  System  der  österreichischen  Inge- 
nieure Thamm  und  Rothmüller  [1871], 
welches  später  durch  Maey  und  An- 
schütz  verbessert  wurde.  Dieses  Heiz- 
system besteht  aus  drei  von  einander 
getrennten  Theilen:  aus  dem  Ofen,  in 
welchem  das  Feuer  unterhalten  wird,  aus 
der  Kammer,  in  welcher  die  kalte  Luft 
erwärmt  wird,  und  aus  den  Canälen, 
durch  welche  die  erwärmte  Luft  in  das 
Innere  des  Wagens  gelangt."  Der  Ofen 
besteht  aus  einer,  aus  eisernen  Gitter- 
stäben zusammengefügtenTrommel,welche 
nahezu  so  lang  wie  der  Wagen  breit 
ist,  und  die,  mit  glühendem  Cokes  ge- 
füllt, unter  dem  Boden  des  Wagens 
derart  in  einen  dortselbst  angebrachten, 
der  Quere  des  Wagens  nach  liegenden, 
hölzernen  Kasten  geschoben  wird,  dass 
sie  horizontal  zu  liegen  kommt.  Die  Gluth 
wird  durch  den  Luftzug,  welcher  während 
der  Fahrt  des  Zuges  auftritt,  erhalten,  und 
erwärmt  die  Luft,  welche  sich  zwischen 
dem  Ofen  und  dem  ihn  umgebenden  Kasten 
befindet.  Dieser  Holzkasten,  welcher  na- 
türlich erheblich  grösser  ist  als  die  Trom- 
mel, bildet  sonach  die  Kammer.  Die  hier 
erwärmte  Luft  findet  so  viele  Canäle  als 
der  Wagen  Coupes  hat  und  vertheilt  sich 
in  dieselben,  um  so  in  die  verschiedenen 
Abtheilungen  zu  gelangen,  woselbst  sie 
sich  mit  der  dort  befindlichen  kalten  Luft 
mischt. 

Die  Luftheizung  System  Maey-Pape, 
die  zumeist  auf  Eisenbahnen  in  der 
Schweiz  zu  finden  ist,  unterscheidet  sich 
von  dem  System  Thamm -Rothmüller 
dadurch,  dass  anstatt  der  Trommel  ein 
verticaler,  gusseisemer  Füllofen  ange- 
wendet wird,  und  dass  Sauger  von  eigen- 
thümlicher  Form  sich  an  demselben  be- 
finden. Da  bei  dieser  Heizvorrichtung 
der  Kamin,  durch  welchen  die  Rauch- 
gase entweichen,  an  der  Stirnseite  des 
Wagens   angebracht   ist,    so  müssen  die  1 

Geschichte  der  Eisenbahnen.  II. 


Wagen  in  den  Zug  stets  so  einrangirt 
werden,  dass  der  Ofen  nach  vorne  zu 
stehen  kommt.  Dies  ist  aber  eine  grosse 
Unbequemlichkeit,  welche  die  Heizung 
Thamm  -  Rothmüller  nicht  besitzt. 
Auch  kommt  sie  bei  der  durch  Anschütz 
gemachten  Verbesserung  nicht  vor,  weil 
bei  dieser  der  Schornstein  an  der  Längs- 
seite des  Wagens  angebracht  ist. 

Endlich  muss  bemerkt  werden,  dass 
diese  beiden  Systeme  eine  Ventilation 
der  Wagen  unmöglich  machen,  weil  die 
in  das  Innere  der  Wagen  einströmende 
Luft  viel  zu  warm  ist,  um  sich  flächen- 
weise am  Boden  auszubreiten,  welche 
Ausbreitung  aber  eine  unerlässliche 
Bedingung  einer  regelrechten  Venti- 
lation ist. 

Auch  mangelt  es  allen  Luftheizsyste- 
men an  geeigneten  Vorrichtungen,  welche 
den  Luftzutritt  reguliren  würden,  ebenso 
fällt  der  Uebelstand  schwer  ins  Gewicht, 
dass  die  Functionirung  der  Apparate  von 
Seite  des  Zugspersonales  nicht  g^t  über- 
wacht werden  kann,  da  auch  Vorrichtun- 
gen fehlen,  welche  in  jedem  Augenblicke 
anzeigen  würden,  ob  der  Verbrennungs- 
process  regelrecht  vor  sich  geht  oder  eine 
Nachhilfe  erforderlich  ist. 

Die  Beheizung  der  Wagen,  gleichviel 
ob  die  Oefen  in  deren  Innerem  oder 
ausserhalb  angebracht  sind,  bedingt  stets 
eine  Feuersgefahr. 

Die  Geschichte  des  Zugverkehrs 
weiss  genug  Fälle  zu  verzeichnen,  welche 
die  grosse  Gefahr  der  Ofenheizung  vor 
Augen  führen.  Der  Wunsch,  dieser  Ge- 
fahr zu  begegnen,  führt  zur  Heizung  mit 
Briquettes,  eine  Methode  der  Wagenbehei- 
zung, welche  keiner  Flamme  bedarf,  und 
selbst  dann  noch  functionirt,  wenn  keine 
Luftcirculation  besteht. 

Man  hat  die  Briquettes  [ein  Gemisch 
von  Holzkohle  und  Salpeter  oder  chlor- 
saurem Kali]  unter  den  Sitzen  der  Per- 
sonenwagen oder  unter  dem  Fussboden 
in  Kästen  eingelegt,  welche  gegen  das 
Coup6  vollkommen  abgeschlossen  sind 
imd  nur  nach  hinten  aus  dem  Wagen 
hervorragen,  woselbst  sie  mit  Oeffnungen 
versehen  sind.  Der  Abschluss  der  Heiz- 
kästen gegen  die  Coupes  ist  unerlässlich, 
weil  bei  Verbrennung  der  Presskohle  das 
giftige  Kohlenoxydgas  entsteht. 

36 


562 


R.  Freiherr  von  Gostkowski. 


Die  Briquettes Heizung  ist  aber  fast 
ebenso  feuergefährlich,  wie  die  Ofenhei- 
zung, sie  erzeugt  verdorbene  Luft,  bedarf 
eines  besonderen  Brennmaterials,  welches 
wegen  Hygroskopie  gewisse  Vorsichts- 
massregeln für  seine  Aufbewahrung  be- 
dingt, und  das  umständliche  Vorberei- 
tungen zu  seiner  Verwendung  erfordert. 
Auch  dürfte  die  Presskohlen-Heizung  im 
Betriebe  unter  allen  hauptsächlich  ange- 
wendeten Heizungsarten  die  theuerste 
sein. 

Gänzlich  frei  von  Feuersgefahr  ist 
eine  Beheizungsmethode,  welche  zu  aller- 
erst auf  Eisenbahnen  üblich  war.  Es 
ist  dies  die  Methode  zur  Beheizung  der 
Wagen  mittels  Wärme flaschen. 

Man  pflegt  die  Wärmeflaschen  ent- 
weder in  den  Boden  der  Wagen-Coup^s 
zu  versenken  oder  aber,  was  häufiger 
der  F'all,  einfach  in  die  Coupes  hinein 
zu  legen,  wobei  ein  Coup6  gewöhnlich 
mit   zwei   Wärmeflaschen   betheilt   wird. 

Versuche,  welche  in  der  Werkstätte 
Stanislauim  Jahre  1882  angestellt  wur- 
den, haben  gelehrt,  dass  eine  70^  C. 
heisse  kupferne  Wärmeflasche  bei  einer 
Kälte  von  — lo'*  C.  schon  nach  drei 
Stunden  auf  -|-io^  C.  sich  abkühlt.  Die 
Wärmeabgabe  von  900  Calorien  ver- 
theilt  sich  sonach  auf  drei  Stunden,  so. 
dass  die  stündliche  Wärmeprpduction 
einer  Wärmeflasche  im  Durchschnitte 
900 :3  =  300  Calorien  beträgt,  also  ebenso 
gross  ist,  als  die  Wärmeproduction  zweier 
Menschen.  Zwei  Menschen  liefern  näm- 
lich durch  den  Athmungsprocess  bei- 
läufig so  viel  Wärme,  als  eine  Wärme- 
flasche. 

Die  Versuche,  Wärmeflaschen  mit 
heissem  Sand,  geschmolzenem  Salpeter 
oder  mit  geschmolzener  essigsaurer  Thon- 
erde  [Ancellin,  1881]  zu  füllen,  erbrach- 
ten wohl  eine  bessere  Wirkung  dieser 
Heizmethode,  die  sich  aber  für  unser 
Klima  noch  immer  nicht  als  zureichend 
erwies. 

Das  Vorwärmen  der  Wärmeflaschen, 
seien  sie  nun  mit  Wasser  oder  mit 
anderen  Stoff'en  gefüllt,  ist  stets  umständ- 
lich. Der  nächstliegende  Gedanke  war 
wohl  der,  alle  Wärmeflaschen  eines 
Zuges    durch  .ein    Köhrensystem    derart 


miteinander  zu  verbinden,  dass  dit 
Füllung  derselben  von  einem  einzicrcr. 
Gefässe  aus,  in  welches  man  währenc 
des  Zugaufenthaltes  heisses  Wasser  giesst 
erfolgen  könnte.  Hiedurch  würde  man 
das  umständliche  Auswechseln  der  Wärme- 
flaschen ersparen. 

Die  Staatseisenbahn  -  G  e  s  e  li- 
sch aft  war  die  Erste,  '^^'elche  ihre 
Salonwagen  in  dieser  Weise  erwärmt  hane 
[1869]  und  die  Kaiserin  Elisabeth- 
Bahn  dehnte  diese  Beheizungsmethode 
auch  auf  die  Personenwagen  aus.  Die 
Rheinische  Eisenbahn  ging  einen 
Schritt  weiter.  Sie  stellte  nämlich,  um  di^ 
Zutragen  des  heissen  Wassers  zu  ersparen, 
^n  jeden  zu  heizenden  Wagen  einen 
besonderen,  mit  einer  entsprechenden 
Feuerung  versehenen  Kessel  ein  und 
füllte  die  Flaschen  während  der  Fahn 
des  Zuges  aus  diesem  Kessel. 

Die  Ingenieure  Weibe l  undBrique: 
kamen  [1872]  auf  den  Gedanken,  da$ 
Wasser,  welches  zur  Heizung  eine< 
Wagens  zu  dienen  hat,  ein  für  allemal 
in  ein  allseitig  verschlossenes  Röhren- 
system einzuschliessen.  Statt  aber  das 
ganze  Röhrensystem  sammt  seinem  In- 
halte zu  erwärmen,  wurde  nur  die  tiersic 
Stelle  desselben  durch  ein  Wasserbau 
erhitzt.  Das  an  dieser  Stelle  erwärmte 
Wasser  stieg,  weil  speciüsch  leichter, 
in  die  Höhe  und  verbreitete  sich,  in 
kälteren  Wasser  fortschreitend,  insolanire. 
bis  es  seine  Wärme  verlor  und,  kal: 
geworden,  durch  das  nachdrängenJc 
warme  Wasser  gezwungen  wurde,  wieder 
an  dieselbe  Stelle  zurückzukommen, 
von  welcher  es  ausgegangen  war. 
Auf  diese  Art  erzielte  man  in  einex 
fixen,  mit  Wasser  vollgefüllten  Röhren- 
systeme einen  beständigen  Kreislauf  war- 
men W^  assers. 

Dieses  gut  diirchdachte  System  der 
Beheizung  der  Eisenbahnwagen  war  zur 
Zeit  der  Wiener  W^eltausstellung  [1873^ 
daselbst  zu  sehen,  und  ergaben  Ver- 
suche, welche  mit  dieser  Heizmethode 
auf  der  Strecke  Biel-Lausanne  in 
den  Jahren  1872  und  1873  durchgeführt 
wurden,  dass  zur  Erhaltung  der  Circu- 
lation  in  einem  447«  ***  langen  Röhren- 
systeme von  5  cm  Durchmesser  i  kg 
Cokes  pro  Stunde  vollauf  genüge. 


Beheizung  und  Beleuchtung. 


563 


Wegen  der  Unabhängigkeit  dieser 
Beheizungsmethode  von  den  Einrich- 
tungen der  Bahnen  eignet  sie  sich  für 
geschlossene  Züge,  welche  die  Gebiete 
vieler  Bahnverwaltungen  durchfahren, 
ganz  vorzüglich,  und  sie  wird  sich  vor- 
aussichtlich so  lange  behaupten,  als  die 
Heizeinrichtungen  der  einzelnen  Bahnen 
unter  einander  difFeriren  werden. 

m 

Grössere  Vortheile  versprach  die  Be- 
heizung der  Eisenbahnwagen  mittels 
Wasserdampf.  Um  eine  Dampf- 
heizung einzurichten,  braucht  man 
nichts  Anderes  zu  thun,  als  den 
Dampf  längs  des  ganzen  Zuges  durch 
eine  an  ihrem  zweiten  Ende  offene  Röhre 
durchzuleiten  und  ihn  am  offenen  Ende 
frei  ausströmen  zu  lassen.  In  einem 
solchen  Falle  wird  er  sich  während  seines 
Laufes  theilweise  zu  Wasser  condensiren, 
seine  grosse  Aggregatwärme  an  die  Um- 
gebung abtreten,  und  nur  der  unver- 
brauchte Rest  wird  sammt  dem  Conden- 
sationswasser  nach  aussen  abfliessen. 

Die  ersten  Versuche,  die  Eisenbahn- 
wagen mit  Dampf  zu  beheizen,  reichen 
in  das  Jahr  1858  zurück.  S am  man, 
Ober- Maschinenmeister  der  Oberschlesi- 
schen  Eisenbahn,  benützte  nämlich  für  die 
Heizzwecke  den  aus  dem  Abblaserohre 
entweichenden,  also  bereits  verbrauchten 
Dampf.  Diese  Versuche  mussten  jedoch 
wegen  Unthunlichkeit,  solche  Wagen  auf 
andere  Bahnen  übergehen  zu  lassen, 
damals  eingestellt  werden. 

Uebrigens  hatte  diese  Methode  der 
Dampfheizung  den  grossen  Uebelstand, 
dass  die  Beheizung  nur  wirksam  war, 
wenn  die  Maschine  arbeitete.  Dies  macht 
aber  die  Vorwärmung  der  Wagen  vor 
der  Abfahrt  des  Zuges  unmöglich,  und 
die  Heizung  versagt  gerade  dann,  wann 
sie  am  meisten  erwünscht  ist,  wie  z.  B. 
wenn  ZiXge   im  Schnee   stecken  bleiben. 

Einige  Jahre  später  wurden  Versuche, 
Eisenbahnwagen  mit  Dampf  zu  beheizen, 
von  der  Berlin-Hamburger,  Berlin- 
Potsdamer  und  der  Cöln- Mindener 
Bahn,  jedoch  mit  der  Abänderung  wieder 
aufgenommen,  dass  man  nicht  mehr  den 
Abdampf,  sondern  den  Betriebsdampf  der 
Locomotive  verwendete.  Doch  auch 
diesmal  machte  man  schlechte  Erfahrun- 


gen, weil  die  betreffenden  Einrichtungen 
noch  unvollkommen  waren,  was  zur  Folge 
hatte,  dass  die  Röhren  durch  den  mangel- 
haften Abfiuss  des  Condensationswassers 
regelmässig  einfroren. 

Die  erste  Dampfheizung,  welche  that- 
sächlich  gelang,  rührt  von  dem  damaligen 
Ober-Maschinenmeister,  gegenwärtig  ge- 
heimen Regierungsrathe  Graef  her, 
welcher  im  Jahre  1865  eine  ganz  ent- 
sprechende Dampfheizung  auf  der  preussi- 
schen  Ostbahn  eingerichtet  hatte. 

Der  Dampf  zur  Beheizung  des  Wagens 
wurde  dem  Kessel  der  Locomotive  ent- 
nommen; da  jedoch  ein  solcher  Dampf 
eine  für  Zwecke  der  Dampfheizung  weit- 
aus zu  hohe  Spannung  besitzt,  dessen 
Verwendung  sonach  den  Röhren,  nament- 
lich aber  den  aus  Kautschuk  angefertigten 
Kuppelungsschläuchen  Gefahr  bringen 
müsste,  so  ist  es  nothwendig,  durch 
mechanische  Vorrichtungen  [sogenannte 
Drosselung]  die  Dampfspannung  beim 
Uebertritte  aus  dem  Kessel  in  die  Heiz- 
körper auf  ein  entsprechendes  Mass 
her  abzudrücken.  In  der  Regel  drosselt 
man  die  Anfangsspannung  auf  drei  Atmo- 
sphären und  noch  tiefer. 

Der  relativ  grosse  Dampf  verbrauch, 
welchen  die  Beheizung  zureichend  ven- 
tilirter  Eisenbahnwagen  erheischt,*)  drängt 
den  Gedanken  auf,  dass  bei  starken  Zügen 
die  Locomotive  nicht  genug  Dampf  haben 
werde,  um  ausser  dem  zur  Führung  der 
ZiXgt  erforderlichen,  auch  noch  Dampf 
für  Zwecke  der  Beheizung  der  Wagen 
abgeben  zu  können. 

Ein  allen  Systemen  der  Dampfheizung 
anhaftender  Uebelstand  ist  der,  dass  das 
Anheizen  der  ZiXge  eine  verhältnismässig 
lange  Zeit  erfordert.  Diese  Zeit  beträgt 
nämlich,  je  nach  der  Länge  des  Zuges 
und  der  Aussentemperatur  ein  bis  zwei 
Stunden  und  bedarf  in  den  Zugbilde- 
stationen eines  besonderen  Dampferzeu- 
gers. Wo  es  sich  ermöglichen  lässt, 
wendet  man  für  diesen  Zweck  einen  [gleich- 
zeitig anderen  Zwecken  dienenden]  statio- 
nären Dampfkessel  an. 

Ein  weiterer  Mangel  der  Dampfheizung 
ist  die  Schwierigkeit  der  Regulirung 
der  Heizung  von  aussen.  Die  Regulirung 


*)  Vgl.  Bd.  Iir,  O.  Kazda,  Zugförderung. 

36* 


564 


R.  Freiherr  von  Gostkowski. 


der  Heizung,  welche  dadurch  erfolgt,  dass 
man  das  eine  Mal  mehr  Dampf  von 
höherer  Spannung  und  das  andere  Mal 
wenig  Dampf  von  niederer  Spannung  in 
die  Heizkörper  eintreten  lässt,  hat  nämlich 
nur  einen  sehr  unbedeutenden  Effect,  weil 
die  Wärmemenge  des  Dampfes  von  hoher 
Spannung  von  der  Wärmemenge,  welche 
der  Dampf  bei  geringerer  Spannung  ent- 
hält, nur  wenig  verschieden  ist. 

Diese  Eigenschaft  des  Dampfes  ist, 
wie  Eingangs  erwähnt,  sehr  schätzens- 
werth,  sobald  es  sich  um  die  Gleich- 
mässigkeit  der  Heizung  handelt,  da  sie 
bewirkt,  dass  die  Wärme  am  Anfange 
und  am  Ende  des  Zuges  nahezu  dieselbe 
ist;  für  die  Wärmeregulirung  ist 
sie  aber  geradezu  ein  Hemmnis. 

Würde  man  den  Dampf  unter  Druck 
mit  Luft  vermischen,  so  würde  ein  solches 
Gemisch  für  die  Beheizung  von  Wagen 
ganz  vorzüglich  sich  eignen,  weil  die 
Wärme -Abgabsfahigkeit  desselben  fast 
nur  von  dem  Gehalte  an  Wasserdampf 
abhängt  und  daher  beliebig  veränderlich 
gemacht  werden  kann.  Die  praktische 
untere  Grenze  eines  derartigen  Heizgas- 
gemisches wird  aber  die  sein,  dass  darin 
niu"  etwas  mehr  Dampf  vorhanden  sein 
muss  als  erforderlich  ist,  um  das  Ein- 
frieren der  Dampfleitung  zu  verhindern. 
Indessen  ist  dieses  Mittel  der  Regulirung 
praktisch  noch  nicht  erprobt  worden. 

Endlich  hat  die  Dampfheizung  den 
Nachtheil,  dass  für  die  zu  beheizenden 
Wagen  eine  durchlaufende  Dampfleitung 
erforderlich  ist,  welche  in  Verbindung  mit 
der  Locomotive  oder  dem  Kesselwagen 
gebracht  werden  muss.  Es  können  dem- 
nach solche  Wagen  nur  in  Zügen  geheizt 
werden,  bei  welchen  die  Locomotiven  die 
nöthigen  Einrichtungen  besitzen  oder 
Kesselwagen  vorhanden  sind  und  die 
Verbindung  der  Dampfleitung  des  Wagens 
mit  der  Dampfquelle  möglich  ist. 

Der  nicht  hoch  genug  anzuschlagende 
Vortheil  einer  Dampfheizung,  nicht 
feuergefährlich  zu  sein,  bringt  es 
mit  sich,  dass  diese  Methode  der  Wagen- 
heizung trotz  all  ihrer  Mängel  unter  allen 
Heizungsarten  am  meisten  verbreitet  ist. 

Der  Dampfheizung  gehört  allem  An- 
scheint nach  die  Zukunft,  weil  sie  die 
.Möglichkeit  bietet,  die  Wagen  ausgiebig 


n 


zu  erwärmen,  ohne  eine  gar  zu  gro>>c 
Sorgfalt  in  der  Bedienung  zu  bean- 
spruchen, und  weil  bei  ihr  eine  Feuers- 
gefahr  nicht  besteht.  Bei  einer  Ent- 
gleisung wird  nämlich  der  Verbindungs- 
schlauch der  Dampfheizung  zwischen 
den  einzelnen  Wagen  reissen,  wodurch 
sämmtlicher  Dampf,  der  sich  in  den 
anderen  Röhren  befindet,  sofort  ins  Freie 
entweicht,  was  in  einigen  Minuten  t^e- 
schehen  kann. 

Bei  Beheizung  der  Wagen  mittels 
Elektricität  fallen  Verbrennuniis- 
producte  nicht  zwr  Last,  weil  eben  keine 
gebildet  werden. 

Elektrisches  Feuer  braucht  nicht  aus 
unmittelbarer  Nähe,  wie  dies  beim  ge- 
wöhnlichen Feuer  der  Fall  ist,  angefacht 
zu  werden.  Das  Einschalten  elektrischer 
Heizapparate  kann  also  aus  der  Feme 
erfolgen.  Auch  lässt  sich  die  Form  der 
Heizkörper  dem  jeweiligen  Zwecke  weit 
besser  anpassen,  als  bei  irgend  einer 
anderen  Methode  der  Wagenheizung,  und 
was  ganz  besonders  wichtig  ist,  die 
Heizung  lässt  sich  stets  genau  an  der 
verlangten  Stelle  hervorbringen  und 
spielend  reguliren,  sie  wird  auch  durch 
Frost  nicht  beeinflusst. 

Diese  stattliche  Reihe  von  Vorzügen, 
welche  die  elektrische  Beheizung  that- 
sächlich  auszeichnen,  blendet  Viele  der- 
massen,  dass  sie  wähnen,  in  dieser 
Methode  der  Beheizung  der  Eisenbahn- 
wagen das  Heil  gefunden  zu  haben.  Die 
elektrische  Beheizung  von  Eisenbahn- 
wagen ist  jedoch  dermalen  aus  öcono- 
mi sehen  Rücksichten  nicht  durchführ- 
bar. Die  Beheizung  des  Zuges  diu-ch 
Elektricität  kann  nämlich  unter  Umständen 
ebensoviel  Arbeit  als  dessen  Fortbe- 
wegung absorbiren. 

Die  Zukunft  der  elektrischen  Beheizuns^ 
der  Eisenbahnwagen  hängt  davon  ab, 
ob  es  gelingen  wird,  den  Dampf  verbrauch 
derselben  jenem  gleich  zu  machen,  welcher 
der  Dampfheizung  eigen  ist. 

Die  Bedingung,  von  welcher  der  prak- 
tische Erfolg  der  elektrischen  Beheizung 
von  Eisenbahnwagen  abhängt,  ist  vorläuhjj 
unerfüllbar,  Hiemit  ist  selbstverständ- 
lich nicht  gesagt,  dass  eine  elektrische 
Beheizung  der  Eisenbahnwagen  undurch- 


Beheizung  und  Beleuchtung. 


565 


führbar  sei.  Uass  sie  durchführbar  ist, 
daran  zweifelt  kein  Elektrotechniker,  wie 
dies  ja  am  Besten  die  schweizerische 
Zahnradbahn  beweist,  welche  Ober  den 
Mont  Selöve  fahrt.  Diese  Bahn  ver- 
wendet nämlich  die  durch  die  Betriebs- 
einschränkung verfügbar  gewordene  elek- 
trische Energie  zur  Heizung  der  Wagen. 


Oass  die  elektrische  Beheizungsmethode 
unmöghch  öconomisch  sein  kann,  geht 
schon  aus  den  vielen  Umwandlungen 
hervor,  welche  die  Energie  der  verbren- 
nenden Kohle  durchmachen  muss,  bevor 
sie  auf  dem  Umwege  der  Elektricität 
für  Zwecke  der  Beheizung  der  Wagen 
verwerthet  wird. 


Werkstättenwesen. 


Von 

Julius  Spitzner, 

k.  k.  Baurath  im  Eisenbaha-Minltterium. 


BEI  der  ersten  Ei  seil  bahn- Unterneh- 
mung in  Oesterreich,  der  Pferde- 
Eisenbahn  Linz-Budweis,  konnte 
von  eigenthchen  Eisenbahn -Werkstätten 
noch  nicht  die  Rede  sein.  Die  Reparatur 
der  Wagen  wurde  bei  der  genannten 
Eisenbahn-Unternehmung  im  Jahre  1827, 
zu  welcher  Zeit  bereits  die  ersten  Güter 
auf  eine  Bahnlänge  von  sieben  Meilen 
verführt  wurden,  für  eine  bestimmte 
Summe  pro  Tag  und  Wagen  verpachtet. 
Dieses  System  der  Verpachtung 
stammte  aus  England  und  es  war  der 
Bauführer     der     Linz- Bud  weiser     Bahn, 


Franz     Anton    Ritter     von    Gerstner, 
welcher   dasselbe   hieher   übertrug.     Der 
einschlägige,  höchst  interessante  Vertrag 
hatte     eine    Giltigkeitsdauer     bis     Ende 
März   1828    und  gewährt  einen  genauen 
I  Einblick    in    die   damaligen  Verhältnisse 
I  hinsichtlich     der     Erhaltung    der    Fahr- 
betriebsmittel.    Er   ist  in  dem  >Berichte 
I  an  die  P.  T.  Actionäre   über  den  Stand 
der  k.  k.  priv.  Eisenbahn-Unternehmung 
I  zwischen    der    Moldau    und    der    Donau 
I  vom     Bauführer     Franz     Anton     Ritter 
I  von  Gerstner  [December  1827]«  enthalten 
I  und  sei  hier  im  Wortlaute  wiedergegeben  : 


Vertrag. 


Heute  zu  Ende  gesetztem  Jahre  und  Tage  ist  zwischen  dem  Herrn  Franz  Anton 
Ritter  von  Gerstuer  im  Namen  der  k.  k,  privilegirten  ersten  österreichischen  Eisenbahn- 
Unternehmung  einerseits,  und  dem  Johann  Sautzek,*)  gebürtig  von  Schwichau,  Klattauer 
Kreises  anderseits,  nachstehender  Vertrag  hinsichlich  der  Unterhaftung  und  Reparatur  sämmt- 
licher  Eisenbahnwagen  unter  nachfolgenden  Bedingnissen  geschlossen  wurden: 

I.  Joseph  Sautzek  übernimmt  als  Pächter  die  Unterhaltung  und  Reparatur  sammtlicher 
Eisenbahn  wägen,  sie  mögen  nun  zur  Verführung  der  Güter  oder  auch  zum  Transporte  der 
Baumaterialien  dienen. 

II.  Die  Unterhaltung  dieser  Wägen  betrifft  die  Aufsicht  über  dieselben  und  die 
Lieferung  der  nothwendigen  Schmiere, 

Der  Pächter  ist  verpflichtet,  eine  sorgfältige  Aufsicht  über  alle  bey  der  Eisenbahn 
befindlichen,  und  zu  ihrer  Befahrung  {geeigneten  Wägen  zu  pflegen;  und  derselbe  muss 
stets  in  genauer  Kenntniss  des  Zustandes  aller  dieser  Wägen  seyn,  um  wo  möehch  ihren 
Gebrechen  in  der  gehörigen  Zeit  abzuhelfen,  und  keine  Reparaturen  während  den  Trans- 
porten zu  veranlassen. 

Die  Schmiere,  welche  der  Pächter  zu  den  Wägen  liefert,  muss  zweckmässig  bereitet 
seyn,  und  in  jener  Quantität  beygestellt  werden,  wie  es  das  BedUrfniss  erfordert;  der 
Pächter  hat  die  Schmiere  den  Bauaufsehern  einzuliefern,  und  die  letztern  versehen  die 
Contrahenten  damit. 

III.  Unter  der  Reparatur  der  Eisenbahnwagen,  welche  dem  Pächter  weiters  obliegt, 
sind  folgende  Arbeiten  begriffen ; 

•)  Merkwürdigerweise  erscheint  der  Xame  des  Unternehmers  in  dem,  im  genannten 
Berichte  abgedruckten  Vertrage  einmal  als  ijohanm,  ein  andermal  als  »Joseph«  Sautzek 
angegeben. 


570 


Julius  Spitzner. 


a)  Die  Ergänzung  jener,  obgleich  kleinern  Theilc,  welche  den  Eisenbahnwagen  noc: 
fehlen,  wenn  sie  von  den  Eisenwerken  oder  Lieferanten  an  die  Unternehmung  abgeo;ebca 
werden ;  diese  Theile,  nähmlich :  Anspannhaken,  Trittein,  Verbindungsstangen  der  \V%l 
untereinander  u.  s.  w.  müssen  von  dem  Pächter  geliefert  werden. 

b)  Weiters  ist  der  Pächter  verpflichtet,  alle  schadhaft  oder  unbrauchbar  gewordenea 
Theile  wieder  zu  ergänzen  oder  zu  ersetzen,  diese  Theile  mögen  übrigens  gross  oder  kiek. 
von  Holz,  Eisen,  Stahl,  Messing  oder  was  immer  für  einem  Materiale  seyn. 

IV.  Wenn  die  Beschädigung  oder  der  Verlust  eines  oder  mehrerer  Theile  eine? 
Wagens  aus  erwiesener  Nachlässigkeit  des  Contrahenten,  welcher  hiermit  Baumaterialien 
oder  Güter  verführte,  herrührt,  so  ist  der  Pächter  Joseph  Sautzek  zwar  verbunden,  die  Re- 
paratur oder  neue  Herbey Schaffung  sogleich  zu  bewirken ;  er  hat  jedoch  das  Recht,  die  B^ 
Zahlung  von  dem  nachlässigen  Contrahenten  zu  fordern.  Das  Erkenntniss,  ob  etwas  bey  derr. 
Transporte  verschuldet  worden  sey,  hat  sich  der  Herr  Bauführer  für  die  ganze  Pachtzeit 
vorbehalten. 

V.  Der  Pächter  hat  alle,  zu  seinen  Arbeiten  nothwendigen  Materiahen,  nähmlidi 
Holz,  Eisen,  Stahl,  Messing,  Kohlen,  Oel,  Schmiere  etc.  selbst  anzukaufen  und  zuzu- 
führen; sollte  derselbe  jedoch  einige  Gegenstände  auf  der  Eisenbahn  zuführen  wollen,  S'. 
steht  es  ihm  gegen  Entrichtung  des  bestimmten  Frachttarifes  wie  jedem  andern  frey:es 
wird  ihm  aber  zur  Pflicht  gemacht,  bloss  gutes  steyrisches  Eisen  zu  verwenden  imd  die 
Unternehmung  behält  sich  die  Controlle  hiefür  vor. 

VI.  Dem  Pächter  wird  die  unentgeldliche  Benützung  der  Schmidtwerkstätteo  unJ 
Wagnereyen,  welche  die  Unternehmung  in  Bienendorf,  Wihen^  und  am  Scheidungspunkte 
errichtet  nat,  sammt  den  daselbst  befindlichen  Wohnzimmern  eingeräumt.  Die  vorhandenec 
Material vorräthe  werden  dem  Pächter,  da  sie  unbedeutend  sind,  unentgeldlich  überlassen 
die  Werkzeuge  aber  von  Seite  des  Herrn  Bauführers  ordentlich  übergeben,  und  nach  ihrem 

fegenwärtigen  Werthe  abgeschätzt;  der  hiefür  im  Ganzen  entfallende  Betrag  als  ä  Contj 
ahlung  bey  der  Cassa  vorgemerkt,  und  ein  Theil  hievon  am  Schlüsse  jeden  Monathes  von 
dem  contractroässig  entfallenden  Lohne  abgezogen;  der  ganze  Betrag  wird  sonach  entweder 
zu  Ende  der  Pachtzeit  getilgt  seyn,  so,  dass  der  Unternehmung  um  diese  Zeit  nur  die 
Schmidtwerkstätten,  dem  Pächter  aber  alle  darin  befindlichen  Werkzeuge  und  Apparate 
gehören,  oder  aber  die  Unternehmung  übernimmt  um  diese  Zeit  die  noch  vorhandenen  Ge- 
genstände nach  einer  neuen  hiezu  veranstalteten  Schätzung.       « 

Es  ist  dem  Pächter  ausdrücklich  verbothen,  die  ihm  übergebenen  Werkzeuge  auszu- 
leihen und  in  den  Schmidten  andere,  zur  Eisenbahn  nicht  gehörige  Arbeiten  herzustellen 

VII.  Da  jene  Pächter,  welche  den  Transport  der  Güter  oder  Baumaterialien  auf  der 
Eisenbahn  übernahmen,  besonders  verpflichtet  wurden,  alle  der  Reparatur  bedürftige  Wägen 
binnen  24  Stunden  in  die  nächste  Scnmidte  zu  schaffen,  so  ist  der  im  Eingange  genannte 
Pächter  Joseph  Sautzek  anderseits  verbunden,  dafür  zu  sorgen,  dass  jeder  Wagen,  so  wie 
er  in  die  Scnmidte  kommt  binnen  längstens  4  Mahl  24  Stunden  dieselbe  wieder  vollkommen 
hergestellt  zu  verlassen  im  Stande  sey. 

VIII.  Der  Pächter  erhält  für  die,  in  den  vorstehenden  Nummern  verzeichneten  Leistungen 
wenn  dieselben  gehörig  erfüllt  wurden,  monathlich  einen  bestimmten  Betrag,  welcher  zu 
Folge  der  bisherigen  Erfährungen  für  die  gegenwärtig  beygeschafFten  Eisenbannwägen  aui 
folgende  Weise  bemessen  ist: 


2 
3 

4 

5 


Reparaturs-Betrag 


Angekaufte   Wägen  im  Jahre  1824 

und  182^, 

50  Stück  zweiräderige  Erd-  und  Steinkarren  mit 
4Vs  Fuss  hohen  hölzernen  Rädern  von  Mecha- 
nikus  Boiek 

I  Stück  detto  von  Mariazeil 

I  >  »  mit  4Va  Fuss  hohen  gusseisernen 
Rädern  von  Mariazell 

5  Stück  Horäowitzer  Wägen  mit  3  Fuss  hohen  guss- 
eisernen Rädern 

I  Stück  Mariazeller  detto 


per  Tag  für  ,'perMonathfür 
einen  Wagen I'  aUe  Wägen 


in  Conven.-MOnzc 


fl. 


kr. 


fl. 


IV. 
IV.  II 

IV. 


37 


kr. 


30 
45 

45 


Werkstättenwesen. 


571 


15 
6 

7 
8 

9 
10 

II 

12 


13 


M 


15 
16 

18 

19 
20 

21 


Vierräderige  Wägen  vom  Jahre  1826. 

U  ebertrag 
16  Stück   Mariazeller  Wägen   mit  4V8  Fuss   hohen 

Rädern  und  gusseisernen  Speichen       

3   Stück   Mariazeller  Wägen   mit   4*/»  Fuss   hohen 

Rädern  und  geschmiedeten  Speichen 

29  Stück  Mariazeller  Wägen  mit  4*/«  Fuss  hohen 
Rädern  und  hölzernen  einfachen  Speichen  .    .    . 

30  Stück  Boiek'sche  Wägen  mit  4V,  Fuss  hohen 
Rädern  und  doppelten  hölzernen  Speichen  .    .     . 

IG  Stück  Reinscher*sche  Wägen  mit  4*/«  Fuss  hohen 
Rädern  und  doppelten  schmidteisernen  Speichen 

2  Stück  Eisenärzter  sogenannte  Schienenhunde  mit 
2  Fuss  hohen  gusseisernen  Rädern 

39  Stück  ordinäre  Wägen  zum  Erdverführen  auf  der 
Bahn  mit  3  Fuss  hohen  hölzernen  Rädern  von 
Linz  und  Prag 

Eine  Fahrmaschine  von  Bo^ek  in  Prag 


Wägen  vom  Jahre  1827  nach  englischer 

Art  vetfertigt. 

28  Stück  in  Mariazell  verfertigt,  zum  Erdverführen 
mit  doppelten  Kästen,  wovon  aber  16  Stück  zum 
Salztransporte  noch  vorgerichtet  wurden 

2  Stück  als  Gesellschafts  wägen  vorgerichtet 

2  T> 

2       » 
2       > 

2       » 

5       » 
5       > 


zum  Scheitholzführen 

*     Führen  langer  Baumstämme 

>  Kohlentransporte 

>  Bahnausschottern  zu  verwenden 
in  Horiowitz  verfertigt  zum  Salztransporte 

>  Blansko  verfertigt  zum  Erdverführen 


Reparaturs-Betrag 


per  Tag  für 
einen  Wagen 


7 


perMonathfür 
alle  Wagen 


in  Conven.-Münze 


fl. 


kr. 


I      fl. 


6 
6 


3 
3 
3 
3 
3 
3 
3 
3 


51 


24 


lOt 

90 
5o 


78 

2 


42 
3 
3 
3 
3 
3 
7 
7 


kr. 


30 


30 


30 
30 


Summa  236  Stück,  theils  zwey-,  theils  vierräderige  Wägen, 
.  wofür,  wenn   sie  fortwährend    gehörig  gebraucht 

werden,  monathlich  die  Summe  von 

ausbezahlt  wird. 


459 


IX.  Die  Summe  wird  dem  Pächter  von  Seite  der  Unternehmung  in  dem  Falle  am 
letzten  jedes  Monaths  nach  Abzug  des,  unter  No.  VI  für  die  übernommenen  Werkzeuge 
angeführten  Betrages  bezahlt,  wenn  die  Wägen  durch  die  ganze  Zeit  des  Monaths,  welches 
immer  zu  30  Tagen  berechnet  wird,  fortwährend  zum  Transporte  von  Gütern  oder  Bau- 
materialien verwendet  wiu"den,  wobey  aber  noch  bedingt  wird: 

a)  Wenn  ein  oder  mehrere  Wägen  zwey  Tage  hmtereinander  ohne  Schuld  des  Con- 
trahenten  Sautzek  nicht  benützt  werden,  erhält  derselbe  dennoch  die  betreffende  Bezahlung. 

h)  Wenn  ein  Wagen  3  oder  mehrere  Tage  hintereinander  ohne  Schuld  des  Contra- 
henten  nicht  benützt  wird,  verliert  derselbe,  vom  dritten  Tage  angefangen  die  betreffende 
Bezahlung. 

c)  Dem  Pächter  wird  gestattet,  von  10  Stück  Wägen  monathlich  einen  während  vier 
Tagen  in  der  Schmidte   zur  Reparatur   zu  behalten,   sollten   aber   mehrere  Wägen   in   die 


Julius  Spitzner. 


Schmidte  kommen,  oder  daselbst  aus  Schuld  des  Pächters  ISneer  als  4  Tage  verweilen,  s- 
verliert  derselbe  für  jeden  solchen  Wagen  und  jeden  Tag  nicht  bloss  den  oben  Nr.  VIII 
bestimmten  Reparatursbetrag,  sondern  er  bezahlt  ausserdem  noch  eine  Strafe  voi)6ki 
C.-M.  für  jeden  Tag  und  jeden  Wagen  an  die  Unternehmung;  von  dieser  Strafiahlun; 
werden  bloss  jene  W^en  ausgenommen,  für  deren  Reparatur  einzelne  Theile  erst  ia  Jen 
Eisenwerken  ausgefertigt  werden  müssen. 

X.  Die  Pachtzeit  beginnt  vom  i,  July  1827,  und  endigt  sich  mit  letztem  Man  is^. 
wesshalb  alle  seit  i.  July  bis  heute  von  der'Cassa  geleisteten  und  hieher  gehörigen  ZaliluD<:<;r: 
von  dem  Pächter  unter  einem  übernommen,  und  die  ordentliche  Abrechnung  hierüber  £d- 
macht  wird. 

XI.  Verspricht  der  Pächter  allen  Fleiss  und  Thätigkeit  zur  Erfüllung  der  eingeEJi- 

fenen  Verbindlichkeiten  zu  verwenden,  und  derselbe  verpfändet  sein  gesammtes  Vermfiscs 
iefür. 

So  geschehen  zu  Kaplitz  am  2^.  October  1827. 


D  Wien.  [Nac 


t  Handielchoonc 


Der  genannte  Bauführer  spricht  sich 
in  dem  angeführten  Berichte  dahin  aus, 
dass  nach  Ablauf  dieses  Pachtvertrages 
die  Reparatur  der  Wagen  pro  Centner 
und  Meile  der  verführten  Güter 
contrahirt  werden  dürfte. 

Gerstner  bedauert,  dals  es  im  Lande 
noch  so  wenige  Eisenwerke  gebe,  welche 
mit  derart  grossen  Dreh-  und  Bohrma- 
schinen versehen  sind,  um  die  Lieferung 
von  Wagen  Hbernehmen  zu  können.  Wenn 
dies  der  Fall  wäre,  meint  derselbe,  dann 
könnten,  ähnlich,  wie  bei  einem  grossen 
Theile  der  gewöhnlichen  englischen  Post- 
kutschen, die  Wagen  von  einem  Wagen- 
fabrikanten derartig  ausgeliehen  werden, 
dass  dem  letzteren  ein  bestimmter  Preis 


fllr  jede  Reise  gezahlt  wird,  filr  welch« 
er  alle  Reparaturen,  die  wähKnJ 
einer  Reise  nöthig  würden,  auszufOhri^n 
hätte. 

Dies  Verfahren  wurde  während  litr 
Anwesenheit  Gerstner's  in  England  im 
Februar  1827  bei  der  Stokton-DarlinglM- 
Bahn  eingeführt,  und  zwar  wurde  lim 
Fabrikanten,  welche  die  Bahnwagen  ha- 
liehen  und  alle  Reparaturen  zu  bestreiien 
hatten,  der  Betrag  von  ','3  Penny  pro  Tonne 
und  Meile  der  mit  diesen  Wagen  wirt- 
lich verführten  Güter  angeboten.  Ffii 
Rückfahrten  ohne  Ladung  erfolgte  keine 
Vergütung. 

Die  Kaiser  Ferdinands-.VorJ- 
bahn     hatte     bei    ihrer    Gründung  ii" 


Werkstattenwes 


574 


Julius  Spitzner. 


Jahre  1836,  um  bald  zur  Herstellung 
der  nöthigen  Personen  träniert -Wagen 
nach  bereits  bestelltem  Wagengestell- 
muster zu  schreiten  und  zugleich  die 
etwa  vorkommenden  Maschinenrepara- 
turen vornehmen  zu  können,  den  engli- 
schen Mechaniker  John  Baillie  [aus 
der  Werkstätte  von  George  Stephenson 
zu  New-Castle]  berufen.  Ebenso  nahm 
man,  um  mit  den  eben  en\'ähnten  Ar- 
beiten, welche  den  hiesigen  Hand- 
werkern ganz  neu  waren,  den  Anfang 
zu  machen  und  die  Arbeiter  entsprechend 
unterrichten  zu  können,  auch  englische 
Maschinenbauer  in  Dienst. 

In  den  wichtigsten  Stationen  der 
Kaiser  Ferdinands  -  Nordbahn  wurden 
Werkstätten  und  Schmieden  erbaut. 

Die  bedeutendste  Anlage  war  in  Wien 
mit  einer  Wagenremise  für  40  Personen- 
wagen und  einer  Locomotivremise  fiir 
zwölf  Maschinen.  Die  nächstgrössere,  jene 
in  Brunn,  war  für  elf  Maschinen  und 
ebenso  viele  Wagen  eingerichtet.  Bei  dieser 
Werkstätte  erhielt  sowohl  die  Locomotiv- 
als  auch  Wagenremise  die  Form  eines 
regelmässigen  Zwölfeckes,  ähnlich  jenen 
bei  der  London-Birmingham-Bahn.  Im 
Mittelpunkte  einer  jeden  Remise  befand  sich 
eine  entsprechend  grosse  Drehscheibe, 
nach  welcher  die  einzelnen  Reparaturge- 
leise in  radialer  Richtung  zusammen  liefen.*) 

An  die  Werkstätte  in  Brunn  der 
Kaiser  Ferdinands- Nordbahn  reihte  sich 
hinsichtlich  ihrer  Grösse  jene  in  L  u  n  d  e  n- 
burg  mit  sechs  Locomotiv-  und  acht 
Wagenständen.  Die  kleinste  war  jene  in 
Gänserndorf,  welche  nur  eine  Remise 
für  zwei  Maschinen  und  eine  solche  für 
drei  Wagen  besass.  Selbstverständlich 
hatten  die  angeführten  Werkstätten  auch 
die  entsprechenden  Räume  und  Einrich- 
tungen für  Schlosser,  Dreher,  .Schmiede, 
Tischler  etc. 

Zur  Zeit  der  Eröffnung  des  Betriebes 
der  Kaiser  Ferdinands-Nordbahn  im  Juli 
1839  verfügte  dieselbe  über  17  Locomo- 
tiven  und  66  Personenwagen.  DerWaaren- 
transport  war  noch  nicht  eingeleitet  und 


*)  Es  sei  hier  erwähnt,  dass  die  kreis- 
runde Form  von  Locomotiv-  und  Wagen- 
schupfen, beziehungsweise  Montirungen  heute 
noch  in  sehr  bedeutenden  amerikanischen 
Werkstätten  angetroffen  wird. 


I 


wurden  für  diesen  120  Lastwagen  be- 
stimmt, von  welchen  jedoch  bereits  40 
zur  angeführten  Zeit  fertig  waren. 

Vergleicht  man  den  damals  vor- 
handenen Fahrpark  mit  den  für  seine  Er- 
haltung zur  Verfügung  gestandenen  ge- 
deckten Reparaturständen,  so  ergibt  sich, 
dass  für  17  Locomotiven  31  gedeckte 
Locomotiv-Reparaturstände,  und  nach 
Fertigstellung  sämmtlicher  120  Lastwa- 
gen, für  diese  sowie  für  die  66  Personen- 
wagen 62  gedeckte  Reparaturstände  zur 
Verfügung  waren.  Die  Werkstätten  waren 
demnach  so  reichlich  bemessen,  dass  sie 
für  eine  Reihe  von  Jahren  unter  Berück- 
sichtigung der  mit  dem  steten  Wachsen 
des  Verkehrs  nothgedrungenen  Vermeh- 
rung des  Fahrparkes  ausreichten. 

Die  nächste  Vermehrung  der  Werk- 
stätten der  Kaiser  Ferdinands-Nordbahn 
fand  durch  Erbauung  einer  Wagenwerk- 
stätte in  Stockerau  statt,  zur  Zeit  des 
Baues  der  im  Jahre  1841  dem  Verkehre 
übergebenen  Flügelbahn  von  Floridsdorf 
nach  Stockerau.  Diese  Werkstätte  be- 
fasste  sich  zumeist  mit  dem  Neubau  ge- 
deckter Güterwagen  und  Personenwagen 
IIL  Classe.  In  den  letzten  Jahren  ihres 
Bestandes  besass  dieselbe  nicht  viel 
mehr  als  50  Arbeiter,  meist  Tischler,  da 
sämmtliche  Beschläge  der  Wagen  und 
sonstige  Eisenbestandtheile  im  fertigen 
Zustande  eingeliefert  wurden,  demnach 
keine  weiteren  erheblichen  Ausarbei- 
tungen forderten,  weshalb  nur  ein  ge- 
ringer Bedarf  an  Schlossern  und  Schmie- 
den vorhanden  war.  Die  Tischler  hatten 
zu  jener  Zeit  die  angestrengtesten  Arbei- 
ten zu  verrichten,  da  ihnen  keine  Hilfs- 
maschinen zur  Bearbeitung  der  Haupt- 
träger, Bruststücke,  Untergestellhölzer 
zur  Verfügung  standen. 

Mit  dem  fortschreitenden  Ausbau  der 
Kaiser  Ferdinands-Nordbahn  wurde  als- 
bald die  Nothwendigkeit  erkannt,  auch 
an  einem  von  Wien  entfernteren  Orte 
eine  Werkstätte  zu  erbauen.  Die  Wahl  des 
Ortes  fiel  auf  Mährisch-Ostrau,  wo 
im  Jahre  1847,  als  die  Hauptbahn  bis 
Oderberg  eröffnet  war,  eine  Werkstätte 
errichtet  wurde.  Diese  erfuhr  eine  ganz 
bedeutende  Erweiterung  in  den  daraut 
folgenden  Jahren.  Fünf  Jahre  nach  Er- 
öffnung    der    Werkstätte    in     Mährisch- 


Werkstät  tenw  e  sen. 


Ostrau,  also  bereits  im  Jahre  1852, 
wurde  in  Floridsdorf  eine  Wagen- 
werkstätte und  im  Jahre  1873  angrenzend 
an  dieselbe  eine  Locomotiv -Werkstätte 
erbaut.  Die  genannten  drei  Werkstätten 
werden  später  noch  eingehendere  Berück- 
sichtigung finden.  [Siehe  Seite  582  und  ff.] 
Wenngleich  wir  hier  nur  die  eigent- 
hchen  Werkstätten  der  Eisenbahnen  im 
Auge  behalten  wollen,  können  wir  doch 


Betrieb  zu  erhalten  und  dessen  Bedürf- 
nisse vom  Auslande  ganz  unabhängig 
zu  machen,  mit  dem  Wiener  Bahnhofe 
eine  Maschinen  werk  statte  in  Verbindung 
zu  bringen.  Diese  sollte  nicht  nur  für 
das  eigene  Unternehmen  sämmtliche 
Transportmittel  liefern  und  die  nöthigen 
Theile  des  Oberbaues,  wie  Drehscheiben, 
Wei,chen  etc.,  herstellen,  sondern  zu- 
gleich eine  mechanische  Werkstätte  für  die 


Abb.  368.  Werkiaiie  Llot  der  k.  k.  U.itirelchlschi 
SeLtcDJiiiIlcbl  der  fcgittcheiidc 

nicht  die  bekannte  Maschinenfabrik 
der  Staatseisenbahn-Gesellsehaft  an  dieser 
Stelle  übergehen,  da  diese  Maschinen- 
fabrik, gleichzeitig  mit  der  Gründung  der 
alten  Wien-Raaber  Eisenbahn  ins  Leben 
gerufen,  die  erste  in  ihrer  Art  war,  wie 
sie  bis  zu  jenem  Zeitpunkte  keine  Eisen- 
bahn Oesterreichs  oder  Deutschlands 
besass.  Dieselbe  war  ein  Unternehmen, 
welches  zwar  nicht  zum  Bahnbau  gehörte, 
jedoch  vom  Gelde  der  Actionäre  aus- 
geführt wurde.  Die  Wien-Raaber  Actien- 
Gesellschaft  hatte  nämlich  damals  den 
Entschluss  gefasst,    um  einen  geregelten 


D  bydisullKhcD  NletoKigcbtDc.] 

I  ganze  österreichische  Monarchie  werden. 
,  Diese  Maschinenwerkstätte  [Abb.  366,  und 
Abb.  173,  Bd.  I,    i.Theil,  Seite  174]   war 
I  auf  dem  Gebiete  des  Wiener  Bahnhofes 
erbaut,  jedoch  die  ganze  Anlage  hinsieht-: 
I  lieh  ihres  Betriebes  vollkommen  von  dem 
I  der  Bahn  getrennt.  Schon  die  ersten  Jahre 
I  ihres  Betriebes  wiesen  sehr  befriedigende 
Resultate   auf,    welche  sich  mit  der  Zeit 
immer  günstiger  gestalteten.  Am  21.  April 
I   1840,  also  schon  in  der  Zeit  des  Bahn- 
'  baues,      erfolgte     die     Betriebseröffnung 
dieser  Werk  Stätte,  welche  aus  fünf  grösse- 
ren Gebäuden  bestand,  und  zwar: 


576 


1,  Der  eigentlichen  Maschinenfabrik 
mit  einer  LocomoiivmontirunK  für  die 
Aufstellung  von  zwölf  Locomotiven,  einer 
Dreherei,  Schlosserei,  Modell-  und  Wagen- 
ttschlerei,  Schmiede  und  einem  Zeichen- 
saal. In  demselben  Objecte  waren  weiters 
die  erforderlichen  Räume  vorhanden,  in 
welchen  die  zwei  Dampfmaschinen  mit 
je  12  Pferdekräften,  drei  Dampfkessel 
und    ein    Maschinen  pump  werk    standen. 


3.  Einem  gleichen  Gebäude  wie  Jas 
eben  genannte,  der  Giesserei  mit  zo; 
Cupolöfen,  zwei  Trockenöfen,  emca 
Krahne  und  dem  nöthigen  Räume  liL- 
die  Formerei.  Vor  der  Giesserei  btfar.J 
sich    ein    Krahn    mit    Schlagwerk. 

4.  Einer  Remise  für  36  Personen- 
wagen neben  der  Kesselschmiede. 

5.  Einer  gleich  grossen  Wagcnremi.'c 
neben  der  Giesserei. 


■  IK" 


,6.] 


Letzteres  hatte  das  Wasser  in  ein  auf  j 
dem  Dachboden  angebrachtes  Reservoir  ] 
zu  heben,  von  wo  aus  der  Wasserbedarf 
für  die  Dampfkessel  und  sämmtliche  1 
Werkstättenräume  sowie  auch  für  die  : 
Wasserstation  gedeckt  wurde.  I 

Es  sei  hier  hervor^jehoben,  dass  man  , 
schon  damals  die  wirthschaftliche  Aus-  ' 
nützung  des  Auspuffdampfes  derMaschinen  , 
fUr  Heizzwecke  erkannte  und  denselben 
für  die  Beheizung  einzelner  Räume  ver-  ! 
wendete. 

2,  Der  Kesselschmiede  für  die  An- 
fertigung der  Locomotiv-  und  Dampf- 
maschin  en-Kcsscl. 


Ueberdies  wurden  noch  ein  Häuschi-n 
für  die  Arbeitercontrole  als  Eingang  lur 
Werkstätte,  femer  zwei  Wasseretalionen 
mit  den  nöthigen  Löschapparaten  für 
Feuerlösch  zw  ecke    erbaut. 

Für  die  Verbindung  der  Geleise  ziif' 
Ein-  und  Ausbringen  von  Fahrbetriebs- 
mitteln sowie  einzelner  Bestandtheile  m 
die  verschiedenen  genannten  Räume  «aten 
sieben  grosse  und  zehn  kleine  Drehscheitc 
vorhanden.  Die  verbaute  Grundfläche  Jer 
ganzen  Anlage  umfasste  7700  »»'. 

Die  Erbauung  einer  grösseren,  zur  Bann 
selbst  gehörigen  Eisenbahn-Reparalur- 
Werkstatte    war  bei    der  Gründung  J^ 


Werkstättenwesen. 


578 


Julius  Spitzner. 


Wien-Gloggnitzer  Eisenbahn  nicht  in 
Aussicht  genommen,  hingegen  gelangten 
in  nachbenannten  Stationen  kleine  Repa- 
ratur-Werkstätten und  Remisen  zur  Aus- 
führung, und  zwar: 

Am  Wiener  Bahnhofe  zwei  Loco- 
motivremisen  und  eine  Reparaturschmiede, 
welch  letztere  hauptsächlich  für  kleine 
Reparaturen   an  Dan^sfwagen  diente. 

In  Mödling  eine  Wagen-  und 
Locomotivremise,  und  im  Wasserreservoir- 
Gebäude  eine  kleine  Werkstätte  für  die 
Reparaturen  an  Dampf-  und  Reise  wagen. 

In  Baden  ein  Locomotivschupfen 
und  eine  Schmiede;  da  der  Locomotiv- 
schupfen auf  dem  Viaduct  situirt  war, 
gelangte  der  unterhalb  dieser  Remise  ge- 
legene Raum  für  eine  Tischlerwerkstätte 
zur  Benützung. 

In  Wiener- Neustadt  eine  Wagen- 
remise und  eine  Reparatur-Werkstätte  für 
kleinere  Reparaturen  an  Locomotiven 
und  Reisewagen.  Dieselbe  war  mit  vier 
Schmiedefeuem  und  einer  kleinen  Dreh- 
bank ausgestattet. 

Von  einer  eigentlichen  Entwicklung 
des  Werkstättenwesens  der  österreichi- 
schen Eisenbahnen  vor  dem  Jahre  1848 
kann  kaum  die  Rede  sein.  Von  diesem 
Zeitpunkte  an  bis  zum  heutigen  Tage, 
also  während  der  Regierungszeit  unseres 


Kaisers,  brachte  der  Ausbau  und  die  Ver- 
vollkommnung der  bereits  vor  de:.. 
Jahre  1848  eröffneten  Bahnen  sowie  de 
Anlage  einer  grossen  Anzahl  neuer  Eisci- 
bahnlinien,  endlich  der  stets  steigend: 
Verkehr  und  die  durch  denselben  bedir^tc 
stetige  Vermehrung  des  Fahrparkes  aucr: 
einen  sehr  bedeutenden  Aufschwung  dc^ 
Werkstättenwesens  mit  sich. 

Die  anoreführten  Factoren  hatte: 
naturgemäss  nicht  nur  wiederholte  Er- 
weiterungen der  bestandenen,  senden: 
insbesondere  die  Errichtung  vieler  neuer 
Werkstätten  und  die  stetige  Ausgestal- 
tung derselben  zur  Folge.  Es  war  dem- 
nach erst  dieser  Epoche  vorbehalten,  in 
Oesterreich  Eisenbahn-Werkstätten  zu 
schaffen,  welche  auch  vom  Auslände 
als  Musterwerkstätten  anerkannt  werden. 

Der  hier  zur  Verfügung  stehende 
Raum  reicht  nicht  aus,  um  sämmtlick 
grösseren  und  kleineren  Reparatur-Werk- 
stätten sowie  die  sogenannten  Heizhaus- 
werkstätten näher  betrachten  zu  können. 
Wir  wollen  demnach  nur  einzelne  grössere 
Werkstätten  der  bedeutendsten  Bahnver- 
waltungen Oesterreichs  ins  Auge  fassen 
und  hinsichtlich  der  kleineren  Reparatur- 
sowie  Heizhaus -Werkstätten  blos  an- 
führen, wo  solche  von  den  bezüglichen 
Bahn  Verwaltungen  errichtet  wurden. 


Bedeutendere  Werkstättenanlagen  der  österreichischen 

Eisenbahnen, 


/.  K,  k.  priv.  Aussig' Teplitzer 

Bahn. 

Nach  Erbauung  dieser  Bahn  [1858] 
wurde  eine  Werkstätte  in  Aussig  mit 
einem  gesammten  Flächenmasse  von 
8025  w^,  einer  verbauten  Grundfläche 
von  2650  w^,  mit  zwei  gedeckten  Loco- 
motiv-  und  acht  gedeckten  Wagenständen 
für  die  Erhaltung  von  vier  Locomotiven 
und  300  Wagen  eröffnet.  Dieselbe  war 
mit  zwölf  Arbeitsmaschinen  ausjrerüstet 
und  beschäftigte  75  Arbeiter.  Da  ins- 
besonders  vom  Jahre  l868  bis  1871 
eine  namhafte  Vermehrung  der  Fahr- 
betriebsmittel eintrat  und  weitere  Ver- 
mehrungen     infolge      der     Anforderung 


des  Betriebes  zu  gewärtigen  waren, 
wurde  im  Jahre  1872  ein  Project  für 
eine  neue,  bedeutend  grössere  Werkstättc 
verfasst  und  alsbald  mit  dem  Bau  der- 
selben begonnen,  so  dass  im  August 
1873  der  Betrieb  eröffnet  werden  konnte. 

In  derselben  werden  nach  der  derzeit 
in  Durchführung  begiffenen  Er\veiterung 
in  gedeckten  heizbaren  Räumen  18  Lo- 
comotiven und  198  Wagen  untergebracht 
werden  können.  Diese  Ziffern  ent- 
sprechen i7*3®/(„  beziehungsweise  27  ,, 
der  zur  Erhaltung  zugewiesenen  Loco- 
motiven,   beziehungsweise  Wagen. 

Die  Holzbearbeitungs- Werkstätte  be- 
sitzt eine  Späne-Absaugevorrichtung, 
welche    die    von    den   Holzbearbeitungs- 


Werkstättenwesen. 


Maschinen  erzeugten  Säge-  und  Holz- 
späne sowie  den  Staub  von  den  Band- 
und  Circularsägen  und  Schmirgelma- 
schinen in  eine  Kammer  neben  dem 
Kessel  hause  bringt,  von  wo  sie  direct 
unter  dem  Dampfkessel  zur  Verbrennung 
gelangen. 

Die  Beleuchtung  der  Werkstätte, 
welche  heule  650  Arbeiter  beschäftigt, 
erfolgt  mittels  Gas    und    die  Beheizung, 


Die  erstere  gleichzeitig  mit  der  Tur- 
nau-Kraluper  Eisenbahn  im  Jahre  1865 
erbaut,  besitzt  ein  Gesammtausmass  von 
8260  m*,  von  welchen  1746  »«*  verbaut 
sind.  Dieselbe  hat  im  Laufe  der  Jahre 
keine  Erweiterung  erfahren,  beschäftigt 
durchschnittlich  90  Arbeiter  und  be- 
sorgt die  Reparaturen  [mit  Ausnahme 
der  Auswechslung  von  Kes  seitheilen] 
an  den  in  Prag   und  Kralup  -slationirten 


tob.  ä7I.     W«rk.tl 


e  Llni  dei  k.  k.  Ocil 


mit  Ausnahme  der  Montirungsräume, 
welche  Ofenheizung  besitzen,  durch  den 
Abdampf  der  loopferdigen  Betriebs- 
Dampfmaschine. 

Die  alte  Werkstätte  steht  seit  Er- 
öffnung der  neuen  als  Heizhaus -Werk- 
stätte in  Verwendung. 

//.   K.  k.  priv.  Böhmische 
Nardbahn. 
Diese   Eisenbahn- Gesellschaft   besitzt 
eine    Werkstätte   in    Kralup   und    eine 
Hauptwerkstätte  in  Böhm.-Leipa. 


Locomotiven    sowie    an   durchschnittlich 
800  Wagen. 

Die  Hauptwerkstätte  in  Böhm.-Leipa 
war  im  Jahre  1876  von  der  k.  k.  priv. 
Böhmischen  Nordbahn  erbaut  worden. 
Bis  zu  diesem  Zeitpunkte  erfolgte  die 
Durchftthrung  der  Hauptreparaturen  an 
Locomotiven  und  namentlich  das  Ab- 
drehen der  Locomotiv-,  Tender-  und 
Wagenräder  auf  Grund  eines  Ueberetn- 
kommens  mit  der  k.  k.  priv.  Tumau- 
Kraluper  Eisenbahn  in  der  Werkstätte 
Kralup,  während  die  kleineren  laufen- 
den    Reparaturen     die     Heizhaus-Werk- 


58o 


Werkstät  tenwesen. 


581 


Stätten  Bakov,  Tetschen  und  Wams- 
dorf  ausführten.  Die  Böhm.- Lei  pa' er 
Haupt  werk  Stätte  umfasste  im  Jahre  der 
Erbauung  12,380  tu*  [hievon  3300  tn* 
verbaute]  Grundfläche. 

Die  Locomotivmontirung  war  fUr 
sechs  Locomotiven,  die  Wagenmonti- 
rung  für  zehn  Wagen  bemessen  und 
entspricht  diese  Anzahl  gedeckter  Re- 
paraturstände für  337o  ^^^  ^ur  Erhal- 
tung    zugewiesenen     Locomotiven     und 


fiäche  16.590  Ml*,  von  welcher  6780  m' 
verbaut  sind.  In  derselben  können  auf 
den  vorhandenen  zehn  gedeckten  Lo- 
comotivständen  IB^/^  und  in  der  für  16 
Wagen  bemessenen  Wagenmontirung 
0'9''/o  ^^^  2"''  Erhaltung  zugewiesenen 
Locomotiven,  beziehungsweise  Wagen 
untergebracht  werden.  Ueberdies  finden 
12  Wagen  unter  einem  Flugdache  für 
die  Durchführung  kleiner,  laufender  Re- 
paraturen Platz.    Die  Anzahl  der  Arbeits- 


Abb,   J7J.     Wcrkitatle  Lim  der  k.  k.  OmK 

i"6"/o  der  zur  Erhaltung  zugewiesenen 
Wagen.  SämmtHche  sechs  LocomoUv- 
stände  besassen  eine  gemeinsame  Räder- 
Versen  k  Vorrichtung.  Ausgerüstet  war 
diese  Werk  statte  mit  34  Arbeitsma- 
schinen und  einer  35pferdigen,  ein- 
cylindrigen  Betriebs -Dampfmaschine.  Für 
die  Dampferzeugung  gelangten  zwei 
Stück  Dampfkessel  System  Dupuis  mit 
Treppenrostfeuerung  und  zusammen 
114  HI*  Heizfläche  mit  fünf  Atmo- 
sphären Betriebsspannung  zur  Aufstellung. 
Der  Arbeiterstand  bezifferte  sich  mit 
26  Arbeitern. 

Derzeit  beträgt  die  gesammte  Grund- 


ckblscben  Staatsbabnca,    [RUdcrdrehercl.] 

maschinen  ist  auf  57  gestiegen  und  der 
Arbeiterstand  hat  sich  um  100  Mann 
erhöht. 

Die  Erbauung  der  früher  genannten  drei 
Heizhaus- Werkstätten  in  Bakuv,  Wams- 
dorf  und  Tetschen  erfolgte  im  Jahre  1867. 
Von  diesen  wurden  die  beiden  erstge^ 
nannten  nach  Fertigstellung  der  Haupt' 
werkstätte  in  Böhm.-Leipa,  hingegen  die 
Tetschener  Heizhaus-Werkstätte  nach  Er- 
bauung einer  solchen  in  Bodenbach  im 
Jahre  1872  aufgelassen. 

Ausser  dieser  besitzt  die  Böhmische 
Nordbahn  nocheine  Heizhaus- Werkstätte 
in  Prag, 


582 


Julius  Spitzner. 


///.  AtisschL  priv,  BuschWtrader 
Eisenbahn. 

Mit  der  Erbauung  der  Bahn  [1855] 
fand  die  Errichtung  einer  Werkstätte  in 
Kralup,  welche  erst  in  den  Jahren  1889 
und  1891  eine  Erweiterung  erfuhr,  statt. 
Die  Hauptwerkstätte  befindet  sich  in 
K  o  m  o  t  a  u  und  hatte  im  Jahre  der  Er- 
bauung [187 1]  eine  gesammte  Grundfläche 
von  33.937  w*  und  eine  verbaute  von 
7666  m*.  Sie  beschäftigte  50  Arbeiter. 
Infolge  der  stufenweisen  Erweiterung  in 
den  Jahren  1880,  1881,  1882,  1886,  1888 
und  1889  umfasst  die  gesammte  Grund- 
fläche 35.380  m^  die  verbaute  10.551  w*; 
die  Anzahl  der  Arbeiter  stieg  auf  260. 
Die  Locomotivmontirung  gelangte  mit 
15  gedeckten  Ständen  [entsprechend 
25*4%  der  damals  und  9'47o  ^^^  heute 
zur  Erhaltung  zugewiesenen  Locomotiven] 
zur  Ausführung  und  erfuhr  keine  Ver- 
grösserung.  Die  Wagenmontirung  hatte 
im    Jahre    der    Erbauung    26     gedeckte 

Wagenstände  [=  r77o  ^^^  ^"^  ^^" 
haltung  zugewiesenen  Wagen],  hin- 
gegen können  infolge  der  durchge- 
führten Erweiterung  heute  59  Wagen 
[=  0'9^  0]  i"^  gedecktem  Räume  aufgestellt 
werden.  Ausgerüstet  wurde  die  Werk- 
stätte mit  46  Arbeitsmaschinen,  deren 
Zahl  auf  86  stieg,  femer  mit  einer  6opfer- 
digen  eincylindrigen  Dampfmaschine ;  zwei 
Cylinderkessel  mit  je  zwei  Siedern  für  5  At- 
mosphären Betriebsdruck  und  je  62  ni^ 
Heizfläche,  später  adaptirt  auf  eine  ge- 
sammte Heizfläche  von  290  w^,  liefern 
den  für  den  Maschinen-  und  Dampf- 
hammerbetrieb sowie  den  für  die  theil- 
weise  Beheizung  der  Werkstättenräume 
erforderlichen  Dampf. 

An  Heizhaus- Werkstätten  besitzt  die 
Buscht6hrader  Bahn  eine  in  Prag,  eine 
in  Falken  au,  erstere  erbaut  1868, 
letztere  1891,  femer  die  durch  die 
Bayrische  Ostbahn  in  Eger  [1870]  für 
Rechnung  der  Buschtehrader  Eisenbahn 
erbaute  Heizhaus- Werkstätte. 

IV.  Kaiser  Ferdinands- Nordbahn. 

Die  bereits  früher  erwähnte,  im  Jahre 
1 847  mit '  einem  Arbeiterstande  von  66 
Mann      eröfl'nete     Werkstätte      M  ä  h  r.  - 


O  s  t  r  a  u  wurde  in  den  Jahren  1 856, 1863, 
1871,  1872,  1883,  1889  und  1896— 1S9B 
stetig  erweitert.  Während  im  Jahre  der 
Erbauung  die  gesammte  Grundfläche 
13.690  m'  und  die  verbaute  2068  m- 
betrug,  wird  nach  Vollendung  der  im 
Zuge  befindlichen  Verg^össerung,  bei 
einem  gesammten  Flächenmasse  von  etwa 
207.000  m'  die  verbaute  Fläche  circa 
26.870  w'  betragen. 

Die  Locomotivmontirung  besass  ur- 
sprünglich zwei,  die  Wagenmontiruno^ 
sechzehn  Stände.  Demgegenüber  wird 
die  W^erkstätte  nach  Vollendung  der  ge- 
nannten Vergrösserung  über  33  Locö- 
motiv-  und  134  Wagenstände  in  gedecktem 
Räume  verfügen.  Bemerkenswerth  ist, 
dass  bereits  die  im  Jahre  1872  durch- 
geführte Erweiterung  der  Wagen werk- 
stätte  nach  dem  Shed- Dachs vstera 
zur  Ausführung  kam. 

Die  Kaiser  Ferdinands-Nordbahn  trat 
keine  gesonderte  Eintheilung  der  Fahr- 
zeuge hinsichtlich  der  Zuweisung  an  be- 
stimmte Werkstätten  und  können  demnach 
die  Procentsätze  nicht  angegeben  werden, 
welche  den  Locomotiv-  und  Wagen- 
Reparaturständen  in  Bezug  auf  die  Anzahl 
der  zur  Erhaltung  zugewiesenen  Fahr- 
betriebsmittel entsprechen  würden. 

Im  Jahre  1852  setzte  die  Kaiser  Fer- 
dinands-Nordbahn, wie  schon  früher  an- 
gegeben, die  unmittelbar  vor  diesem 
Jahre  in  Floridsdorf  bei  Wien  neu  er- 
baute Wagenwerkstätte  für  Wagen- 
Reparaturen  aller  Art,  dann  für  den  Um- 
bau und  auch  Neubau  von  Wagen  in 
Betrieb.  [Vgl.  Fig.  I  der  beigegebenen 
Tafel.] 

In  gedeckten  heizbaren  Räumen  konnten 
80  Wagen  aufgestellt  werden.  Die  ver- 
baute Grundfläche  bezifferte  sich  mit 
9280  m\  Für  den  Betrieb  der  zu  jener 
Zeit  vorhandenen  27  Arbeitsmaschinen 
war  eine  6opferdige  Balancier  -  Dampf- 
maschine vorhanden. 

Die  erste  Vergrösserung,  welche  die 
Werkstätte  erfuhr,  umfasste  den  Neubau 
eines  eigenen  Sägehauses  im  Jahre  1850, 
dessen  Verlängerung  und  Ausdehnung 
auf  das  heutige  Ausmass  in  das  Jahr  1000 
fällt.  In  der  Schmiede  befanden  sich  für  die 
Ausführung  der  verschiedenen  Schmiede- 
arbeiten     noch     zwei     Schwanzhämmer 


Werk  Stätten  Wesen.  583 


584 


Julius  Spitzner. 


und  eine  Schmiedemaschine  für  Rund- 
eisen, ferner  i8  Schmiedefeuer. 

Im  Jahre  1870  traten  Dampfhämmer 
an  Stelle  der  Schwanzhämmer  und  der 
Schmiedemaschine.  Die  Anzahl  der 
Schmiedefeuer  wurde  bereits  im  Jahre 
1858  auf  24,  im  Jahre  1870  auf  30  er- 
höht und  sind  heute  deren  32  vorhanden. 

Die  Dreherei  erfuhr  im  Jahre  1869 
insoferne  eine  Vergrösserung,  als  die  bis 
dahin  in  derselben  untergebrachten  Werk- 
stättenkanzleien und  das  Magazin  in  ein 
eigenes  Gebäude  verlegt  wurden.  In  dem- 
selben Jahre  erfolgte  die  erste  Verlänge- 
rung der  Lackirerei  und  Sattlerei,  jedoch 
erst  im  Jahre  1872  erhielt  dieses  Gebäude 
seine  gegenwärtige  Grösse. 

Die  nächste  Erweiterung  der  Werk- 
stätte fällt  in  das  Jahr  1870,  imd  zwar 
erfolgte  eine  Vermehrung  von  gedeckten 
Arbeitsräuraen  durch  Erbauung  einer 
offenen  Ausbindehalle. 

Infolge  der  angeführten  stetigen  Er- 
weiterung der  Wagen werkstätte  niisst 
die  gesammte  Grundfläche  derselben 
heute  101.300  w*,  die  verbaute  26.300  nt^ 
und  beziffert  sich  die  Arbeiterzahl  mit 
720.  In  den  zur  Unterbringung  von  Wagen 
vorhandenen  gedeckten,  heizbaren  Arbeits- 
räumen können  92,  in  der  früher  ge- 
nannten, an  einer  Stirnseite  offenen,  nicht 
heizbaren  Ausbindehalle,  in  welcher  zwei 
Geleise  nur  für  den  Rädertransport  etc. 
dienen,  88  Wagen  aufgestellt  werden. 

Für  die  Trocknung  des  Wagenbau- 
holzes besitzt  diese  Werkstätte  eine 
Trockenkammer,  welche  ausschliesslich 
mit  den  bei  der  Holzbearbeitung  ab- 
fallenden Spänen  geheizt  wird.  Um  den 
Trocknungsprocess  nach  erfolgter  Lacki- 
rung  von  Wagen  zu  beschleunigen,  sind 
zwei  Dampf-Trockenkammern  zur  Auf- 
nahme je  eines  Wagens  vorhanden, 
in  welchen  das  Trocknen  bei  einer 
Temperatur  von  56 — 67®  C.  vor  sich 
geht. 

Die  Anzahl  der  Arbeitsmaschinen 
stieg  vom  Jahre  der  Erbauung  bis  heute 
von  27  auf  148.  Letztere  werden  durch  eine 
Zwillings  -  Dampfmaschine  mit  hundert 
und  ein  Locomobil  mit  zwölf  Pferde- 
stärken betrieben. 

Zur  Dampferzeugung  für  die  Dampf- 
maschine   der  Dampfhämmer    sowie    für 


die  im  Sägehaus  und  in  der  Tischlerei  be- 
findlichen Dampf  heiz- Anlagen  sind  ein  Ver- 
ticalkessel  mit  26  w*  Heizfläche  und 
SYs  Atmosphären  Betriebsdruck,  welcher 
mit  dem  Schweissofen  combinirt  ist,  und 
ein  Dampfkessel  mit  ii7*3w'  Heizfläche 
für  10  Atmosphären  Betriebsdruck  gebaut, 
vorhanden.  Die  ursprünglich  primitive 
Beleuchtung  wurde  durch  die  Gasbe- 
leuchtung ersetzt. 

Die  Locomotiv-Werk Stätte  in 
Floridsdorf  [vgl.  Fig.  I  auf  der  bei- 
gegebenen Tafel],  welcher  die  Reparaturen 
sowie  die  Umstaltungen  an  Locomotiven 
und  Wasserstations-Einrichtungen,  dann 
die  Erzeugung  von  Locomotiv-  und  an- 
deren Dampfkesseln  obliegen,  wurde,  wie 
bereits  früher  angeführt,  im  Jahre  1873 
erbaut  und  schon  im  Jahre  1874  konnte 
der  volle  Betrieb  mit  500  Arbeitern  in 
derselben  aufgenommen  werden.  In  dem 
genannten  Jahre  gelangten  zwei  grosse 
Tracte  zur  Ausführung,  von  welchen  der 
eine  grössere  die  Locomotiv-  und  Tender- 
montirung,  die  Schlosserei  und  Dreherei 
aufnahm,  während  der  zweite  die  Schmiede, 
Siederohr -Werkstätte,  Giesserei  und  die 
Kesselschmiede  enthielt.  Aber  schon  im 
Jahre  1881  ergab  sich  infolge  des  durch 
den  erhöhten  Betrieb  bedingten  grösseren 
Locomotivparkes  die  Noth wendigkeit,  die 
Werkstätte  zu  erweitem. 

Die  gesammte  Grundfläche  der  Loco- 
motiv-Werkstätte  betrug  im  Jahre  der 
Erbauung  90.580  w*,  eine  Vergrösserung 
derselben  fand  bis  heute  nicht  statt;  die 
verbaute  Grundfläche  bezifierte  sich  ur- 
sprünglich mit  20.800  m^  gegen  24.600  w* 
nach  dem  heutigen  Ausmasse  und  finden 
derzeit  720  Arbeiter  in  der  Werkstätte 
Beschäftigung. 

Im  Jahre  1890  ergab  sich  die  Noth- 
wendigkeit,  für  die  Dreherei  eine  grössere, 
und  zwar  200pferdige  Maschine  zu  be- 
schaffen. Um  den  für  diese  neue  Maschine, 
für  die  Dampfhämmer  und  den  für  die 
weiter  in  Aussicht  genommene  Dampf- 
heizanlage nöthigen  Dampf  zu  erzeugen, 
wurde  im  selben  Jahre  zwischen  der 
Kesselschmiede  und  den  Tender-Aufstel- 
lungsgeleisen eine  centrale  Kesselanlage 
für  die  gesammte  Werkstätte  errichtet. 
Vorerst  kamen  drei  Multitubularkessel 
mit  je   120  m^  Heizfläche    und  für  zehn 


Maattal,  t  1  4000 


Wtsiatirzi 


Werkstatte  Laun  der  k  k.  ftsterr.  Staatsbahnen.  (189S.) 


Fig.  V. 


MaäHab  I  !  4000 

Werkitätte  Neu-Sandez  der  k.  k.  Asterr.  Staatsb ahnen.  (189S.) 


a 


Werkstitte  Lil 
Elisabeth-Babo  utAi 


itz  der  SUatseiseobahD .  US4S-) 
Prag 


Werkstatte  Böhm.-Trübau  der  Staatseisenbahn- Gescllsch aft .  (1855.) 

Praß 


JTdittta»  l  I  4000 


ehemaligen  Kaiserin- 
lojig  derselben  (1858—1860). 


AtbclIer-CootToUiaiu 
and  WaiterauiD. 

AdmlDlittatloiu- 
gablDde. 

Aiutnlcheret. 

Blechbearbeitniiea- 


Brilckenwkei  (Oi  Wag' 


ElienioBfiulji, 

Plugdacli«r. 

FeacrlO*cliT«qDltlt«n- 

Fedenu'cbmleds. 

aisflersl. 

OsUnde  für  elektrltch« 

B«UucfataDf . 
Hol  ibcftrbel  inng«- 


HolidapAI. 

KsMelhaul. 

KeHeltcbmlade. 

Kupfcnctunlodc  r 
Lacldrirel  IQr  Wb|[cd. 

Ma*ctalii«iiliaaa. 

HliHlltll. 

0>lm>f[uln. 


SchlebebtUme  fOr  Loco- 
Schlobeblt^e  fflr  Wag- 


Tgndstmonllnukg;. 
WabDEgblado. 


Splngleiel. 
Splhnsban«. 
Spelietaal. 
TtKUeiel. 


Werk- 

Erweite- 

1 
1 

Hell- 

.ES 

C3 
dl 

1,    J 

1     1 

Werk  Stättenwesen. 


Atmosphären  Betriebsdruck  construirt, 
sodann  noch  zwei  gleiche  Kessel  zur 
Aufstellung.  Diese  Kesselanlage  liefert 
durch  eine  im  Jahre  1895  ausgeführte 
Dampfleitung  auch  den  erforderlichen 
Dampf  für  die  in  der  Wagen  werk  statte 
befindlichen  Dampfheizanlagen. 

Um  die  zur  Hauptreparatur  bestimm- 
ten Kessel  auszuklopfen  und  untersuchen 
zu  können,  entschied  man  sich  im  Jahre 
1893  zur  Erbauung  einer  Locomotivhalle 
angrenzend  an  die  genannten  Tender-Auf- 
stellungsge  leise. 

Die  letzte  Erweiterung  dieser  Werk- 
stätte erfolgte  im  Jahre  1895  durch  die 
Ausführung  eines  Anbaues  an  die  Kessel- 
schmiede, in  welchen  vorwiegend  die 
zur  Bearbeitung  von  Kessel-Bestandtheilen 
dienenden  Arbeitsmaschinen  aufgestellt 
wurden,  was  die  Möglichkeit  und  Durch- 
führung einer  Vergrösserung  der  Tender- 
montiruiig  zur  Folge  hatte.  Die  ursprüng- 
liche Anzahl  von  Arbeitsmaschinen  stieg 
von  132  auf  198.  Einzelne  Arbeits- 
maschinen  sowie    die    Ventilatoren,    für 


■refchiiehtn  SiMaHbahnen.  [Tyre.-W.tk.iHite.) 

1  die  Metallgiesserei  und  das    Kesselhaus, 

I  werden  auf  elektromotorischem  Wege  an- 

I  getrieben. 

I  Ein     besonderes     Augenmerk     lenkte 

die    Kaiser     Ferdinands-Nordbahn    unter 

[  Anderem    auch    auf  die  Erprobung   von 

I  Constructions-Materialien. 

]  Behufs  Durchführung  kleinerer  Repa- 

raturen besitzt  die  Kaiser  Ferdinands- 
Nordbahn  eine  Filialwerkstätte  in  Wien 

I  und  je  eine  Heizhaus -Werk statte  in 
Lundenburg,  Prerau,  Krakau  und 

I   Brunn  [Ob er- Gerspitz]. 


j   V.    K.  k.  priv.   Ocsterreichiscbe  Nord- 
I  wcsihabn   und  Süd-norddeutsche    Ver- 
bindungsbahn. 
I     a)  K,  k.  priv.  Oesterreichische 
1  Nordwestbahn. 

I  Auf  einer  gesaramten  Grundfläche 
1  von  52.200  wi*  errichtete  diese  Eisenbahn 
i   [1872]  eine  Haupt  werk  statte  in  Jedlesee 


586 


Julius  spitzner. 


mit  einer  verbauten  Grundfläche  von 
11.990  m'^  und  eine  solche  in  Nimburg 
[1873  und  1874]  mit  einer  gesammten 
Grundfläche  von  71.737  tn-  und  einer 
verbauten  von  1 4.1 10  w*. 

Bei  der  erstgenannten  Werkstätte 
stieg,  infolge  des  Baues  einer  neuen 
Kesselschmiede  [1881  und  1882],  einer 
Vergrösserung  der  Wagenmontirung 
und  des  Holzschupfens  [1885,  1895  und 
1896]  sowie  einer  Vergrösserung  der 
Locomotivmontirung  [1893  und  1897], 
das  gesammte  Ausmass  auf  59.800  m\ 
jenes  der  verbauten  Grundfläche  auf 
18.287  m^  und  die  Anzahl  der  Arbeiter 
von  89  auf  320. 

Im  heurigen  Jahre  erfolgte  neuerdings 
eine  Vergrösserung  der  Wagenmontirung 
im  Ausmasse  von  circa  1200  m-.  Die 
ursprüngliche  Anzahl  der  gedeckten 
Locomotivstände  betrug  11  und  erhöhte 
sich  auf  22,  die  Anzahl  der  Stände  für 
die  Unterbringung  von  Wagen  in  heiz- 
baren Räumen  stieg  von  64  auf  120. 
Unter  Berücksichtigung  der  dieser  Werk- 
stätte zur  Erhaltung  zugewiesenen  Fahr- 
betriebsmittel konnten  unmittelbar  nach 
der  Erbauung  derselben  12%  der  Loco- 
motiven  und  7*9^0  ^^^  Wagen,  hingegen 
dermalen  20^/0  der  Locomotiven  und 
3*5^/0  ^^^  Wagen  untergebracht  werden. 
Ein  25pferdiges  Locomobil  trieb  die 
Arbeitsmaschinen,    50  an    der  Zahl,    an. 

Die  Erweiterung  der  Werkstätte  gegen- 
über dem  ursprünglichen  Bestände  hatte 
eine  Vermehrung  der  Arbeitsmaschinen 
um  27  Stück  zur  Folge,  und  da  das 
Locomobil  für  den  gesammten  Betrieb 
nicht  ausreichte,  gelangte  eine  neue 
40pferdige,  eincylindrige  Ventilmaschine 
und  ein  Siederohrkessel  mit  54  m*  Heiz- 
fläche und  9  Atmosphären  Betriebs- 
spannung zur  Aufstellung.  Mit  dem 
Abdampf  der  neuen  Dampfmaschine 
erfolgt  die  Beheizung  der  Locomotiv- 
montirung. 

Die  Erweiterung  der  Hauptwerkstätte 
Nimburg  umfasst  den  Bau  einer  neuen 
Kesselschmiede,  einer  Tendermontirung, 
einer  Wagenausbindehalle,  eines  Flug- 
daches für  Wagen  sowie  die  Vergrösse- 
rung der  Lackirerei. 

In  der  Locomotivmontirung  können 
20  Locomotiven,  in  der  Wagenmontirung 


ausschliesslich  der  Ausbindehalle  .60 
Wagen  aufgestellt  werden. 

Infolge  dieser  Vergrösserung  umfasst 
die  verbaute  Grundfläche  17.189  fw*; 
die  Anzahl  der  Arbeiter  stieg  von  140 
[ursprünglich]  auf  500. 

Für  die  allgemeine  Beleuchtung  in  der 
Locomotivabtheilung  und  Holzbearbeitung 
stehen  seit  dem  Jahre  1881  fünf  elektrische 
Bogenlampen  in  Verwendung. 

An  Heizhaus-Werkstätten  besitzt  diese 
Eisenbahn  eine  solche  in  I  g  1  a  u  mit  ftinf 
Locomotiv-  und  sechs  Wagenständen, 
eine  in  Trautenau  mit  zwei  Locomotiv- 
und  drei  Wagenständen  und  eine  in 
Tetschen  mit  drei  Locomotiv- und  acht 
Wagenständen . 


b)  K.  k.  priv.  Süd-norddeutsche 
Verbindungsbahn. 

Die  Hauptwerkstätte  dieser  Eisenbahn 
mit  246  Arbeitern  befindet  sich  in 
Reichenberg,  wo  im  Jahre  1857  eine 
Giesserei  und  eine  Werkstätte  erbaut 
wurde,  die  sowohl  für  den  Eisenbahn- 
betrieb als  auch  für  die  Privatindustrie  ar- 
beiteten. Bei  einer  gesammten  Grund- 
fläche von  21.560  m*  beziff'erte  sich  die 
verbaute  mit  4799  w*. 

Die  Locomotivmontirung  hatte  vier 
Stände,  die  Wagenmontirung  20,  ent- 
sprechend 10%  der  zur  Erhaltung  zu- 
gewiesenen Locomotiven ,  beziehungs- 
weise 3 "8^/0  der  zur  Erhaltung  zuge- 
wiesenen Wagen.  An  maschineller  Ein- 
richtung besass  dieselbe  unter  Anderem 
eine  eincylindrige,  verticale,  30pferdige 
Dampfmaschine,  einen  Flammrohrkessel 
mit  25  m*  Heizfläche  bei  5  Atmo- 
sphären Betriebsdruck  und  30  Arbeits- 
maschinen. 

Im  Jahre  1861  durch  Brand  zerstört, 
wurde  diese  Werkstätte  mit  geringen 
Aenderungen  wieder  aufgebaut  Im  den 
Jahren  1875  und  1876  erfolgte  eine  Ab- 
trennung des  Giessereibetriebes  und  der 
mit  derselben  verbundenen  Appreturwerk- 
stätte als  eigenes  Unternehmen,  auf  den 
Werkstätten-Grundflächen  wurden  für  die 
Giesserei  zwei  Gebäude  aufgeführt,  die 
mit  eigenen  Betriebsmitteln  und  Werk- 
stätten -  Einrichtungen    versehen    wurden. 


Werkstilttenwesen.  587 


Eine  wesentliche  Erweiterung  der 
Eisenbahn  -  Werkstätte  erfuhr  dieselbe 
[1892—1894]  durch  die  Erbauung  einer 
Locomotiv-  und  Tendermontirung  sammt 
Kesselschmiede,  einer  Dreherei,  Tischlerei, 
Schmiede,  eines  Kessel-  und  Maschinen- 
hauses, Kohlersehupfens,  Portierhäus- 
chens sammt  zufrehörigen  Bureaux  etc. 
Von  der  früheren  Anlage  blieb  die  alte 
W'agenmontirung,  das  Administrations- 
und Magazinsgebäude  mit  den  Dienst- 
wohnungen in  Benützung;  aus  der 
Dreherei  wurden  theils  Magazine,  theils 
Speiseräume  für  Arbeiter  geschaffen,  und 
die  ahe  Locomotivmontirung  als  Aus- 
bindehalle    in    Verwendung     genommen. 

Mit  Rücksicht  auf  die  eben  genannte 
Erweiterung  umfasst  die  gesammte  Grund- 
fläche 42.600  m*,  die  verbaute  9113W*, 
und  können  in  gedeckte»  heilbaren 
Räumen  13  Locomotiven  und  60  Wagen, 
entsprechend  I4'6<"|j,  beziehungsweise 
4"2'/(,  der  dieser  Werkstätte  zur  Erhaltung 
zugewiesenen  Locomotiven,  beziehungs- 
weise Wagen  aufgestellt  werden. 

Die  Anzahl  der  Arbeitsmaschinen  stieg 
auf  61,  für  deren  Antrieb  eine  6opferdige 
Zwiilings-Dampfmaschine  vorhanden  ist. 
Ein  Siederohrkessel  mit  Tenbrinkfeuerung, 
für  welchen  ein  Locomotivkessel  als  Re- 
serve vorhanden  ist,  liefert  den  Dampf 
für  die  gesammte  Anlage,  einschliesslich 
jenes  für  die  Beheizung  einzelner  Arbeits- 
räume. Die  Beleuchtung  erfolgt  mittels 
Gas. 

Schliesslich  sei  erwähnt,  dass  diese 
Bahnverwaltung  je  eine  kleine  Heizhaus- 
Werkstätte  in  Pardubitz  und  Josef- 
stadt besitzt.  Die  Erbauung  der  erst- 
genannten Heizhaus -Werkstätte  fällt  in 
das  Jahr  1857,  jene  der  letztgenannten  in 
das  Jahr   1 870/71, 


Vf.  Priv.  österreichisch-ungarische 
Staatseisenbah  n-  Gesellachaß. 

Bei  Constituirung  der  Staatseisen  bahn - 
Gesellschaft  [1855]  übernahm  diese  vom 
österreichischen  Staate  die  Reparalur- 
werkstätten  der  k.  k.  nördlichen  ui:i 
südöstlichen  Staatsbahnen  zu  Prag. 
Böhm  isch-Trübau,  Pardubiit. 
Neuhäusel,  Pest  und  Oravicis 
und  die  kleineren  Werkstätten  in  Press- 
burg, Czegled  und  Szegedin. 

Die  Werkstätte  Prag  wurde  im  Jafire 
1845,  Böhmisch-TrUbau  1849,  Pardubitz 
1845,  Neuhäusel  1850  undOravicza  1S55 
vom  österreichischen  Staate,  hingegen  Jie 
Werkstätte  Pest  im  Jahre  1 846  von  der 
ehemaligen  Ungarischen  Centralbahn  er- 
baut. Aus  Figur  II  der  beigegebentn 
Tafel  ist  der  Lageplan  der  Werksiätie 
Pardubitz  im  Jahre  der  Erbauung,  unJ 
aus  Figur  III  jener  der  Werkstatte 
Böhmisch- Trübau,  im  Jahre  1855  zu 
ersehen. 

Auf  den  ungarischen  Linien  musstcn 
in  Ermangelung  genügend  leistungsfähiger 
grösserer  Werkstätten  auch  die  kleinen 
Werkstätten  in  Pressburg  [erbaut  1S4S 
von  der  Ungarischen  Centralbahn],  C^e- 
gl^d  und  Szegedin  [erstere  1850,  letz- 
tere 1854  vom  Staate  erbaut]  zur  Rt:pJ- 
ratur  der  Fahrbetriebsmittel  herangeiogen 
werden. 

Infolge  des  unöconomi sehen  Betriek^ 
bei  Ausfuhrung  der  Arbeiten  in  mehrr 
ren  kleineren  Werkstätten  sowie  der  äle- 
tigen  Vermehrung  der  Fahrbetriehfmii'fl 
und  endlich  auch  durch  den  Ausbau 
des  Netzes  von  Szegedin  bis  an  Jit 
Donau,  sab  sich  die  Staatseisenbahn- 
Gesellschaft  gleich  in  den  folgenden 
Jahren     veranlasst,    die    Reparaturen  i" 


Werk  Stättenwesen, 


589 


grösseren  Werkstätten  zu  concentriren. 
Za  dem  Ende  wurden  die  übernommenen 
Werkstätten  zu  Pest  und  Neuhäusel  durch 
Ergänzungsbauten  leistungsfähiger  ge- 
staltet, in  Temesvär  im  Jahre  1859  eine 
neue  grössere  Werkstätte  errichtet,  und 
in  der  Werkstätte  Pest  die  im  Jahre 
1857  abgebrannte  Locomotivmontirung 
in  grösserem  Umfange  wieder  hergestellt. 
Diese  Arbeiten    waren  Ende   1859    voll- 


Bruck  a.  d.  L.  und  erweiterte  dieselbe  in 
den  folgenden  Jahren  [bis  1860],  weil  die 
in  Wien  befindliche,  von  der  Wien- 
Raaber  Bahn- Gesellschaft  angelegte  kleine 
Werkstätte  nicht  genügte. 

In  den  Jahren  i86i  bis  1866  wurde 
die  Vervollständigung  der  den  Anforde- 
rungen nicht  mehr  genügenden  Werk- 
stätten a,uf  der  nördlichen  Linie  durch- 
geführt. 


endet,  so  dass  von  diesem  Zeitpunkte 
ab  ausschliesslich  die  drei  Werkstätten 
N'euhäusel,  Pest  und  Temesvär  die  Repa- 
raturen besorgten.  Die  kleinen  Werk- 
stätten zu  Pressburg,  Czegied,  Szegedin 
und  Oravicza  konnten  sonacb  aufgelassen, 
beziehungsweise  in  Heizhaus -Werk  statten 
umgewandelt  werden. 

Für  die  Erhaltung  des  Fahrparkes  der 
Wien-Raaber  Bahn,  welche  seitens  der 
Gesellschaft  ebenfalls  1855  erworben  und 
sodann  bis  Uj-Szöny  verlängert  wurde, 
erbaute  die  Staatseisenbahn-Gesellschaft 
im  Jabre   1857  eine    neue  Werkstätte    in 


Als  nun  die  Staatseisenbahn  -  Ge- 
sellschaft im  Jalire  1866  die  Concession 
fUr  das  Ergänzungsnetz  erhielt,  durch 
dessen  Linien  die  bisher  getrennten 
Strecken  im  Norden  und  Südosten  ver- 
bunden wurden,  und  in  Wien  durch 
Ausgestaltung  der  alten  Bahnhofsanlage 
der  ehemaligen  Wien-Raaber  Bahn  ein 
Centralbahnhof  für  die  drei  Hauptlinien 
Wi  e  n- Prag- Bodenb  ach,  Wien-Budapest- 
Bäziäs  und  Wien-Bruck-Uj-Szöny  ent- 
stand, war  es  im  Interesse  einer  möglichst 
Öconomi  sehen  Gebarung  gelegen,  die 
Instandhaltung  der  in  bedeutendem  Masse 


vermehrten  Fahrbetriebsmittel  nach  Thun- 
lichkeit  in  Haupt  werk  statten  zu  concen- 
triren,  die  bisher  betriebenen  kleineren 
Werkstätten  aber  theils  in  ihrer  Leistungs- 
fähigkeit wesentlich  einzuschränken  und 
fernerhin  nur  als  Heizhaus -Werkstätten 
zu  verwenden,  theils  ganz  aufzulassen. 

So  wurde  im  Jahre  1871  im  Knoten- 
punkte Wien  mit  dem  Bau  der  grossen, 
für  Locomotiv-  und  Wagen reparatur  be- 
stimmten Hauptwerk  Stätte  Simmering, 


und  Budapest  —  welch  letztere  im  Jahre 

1872  vergrössert  worden  war  —  für  die 
Reparatur  der  Fahrbetriebsmittel  zur  Ver- 
fügung, SO  dass  in  den  folgenden  Jahren 

1873  bis  1875  die  kleineren  Werkstätten 
in    Pardubitz,    Böhmisch-TrObau,     Wien. 

!  Neuhäusel  und  Temesvdr  restringirt  und 
in  Heizhaus -Werkstätten  umgewandelt, 
die  Werkstätte  Bnick  a.  d.  L.  jedoch  ganz 

:  aufgelassen  werden   konnte. 

Im  Jahre    1884  wurde  ein  Anbau  ar. 


ferner  in  B  u  b  n  a  bei  Prag  mit  der  Anlage 
einer  speciell  für  dieGUterwagen-Keparatur 
bestimmten  W'erkstätte  begonnen,  beide 
Werkstätten  1873  vollendet  und  erstere 
mit  einem  Arbeiterstande  von  circa  400, 
letztere  mit  einem  solchen  von  circa 
320  Arbeitern  eröffnet.  Die  Letztere, 
eine  Ergänzung  der  alten  Werkstätte 
Prag,  wurde  mit  derselben  vereinigt  und 
als  Hauptwerkstätte  Prag-Bubna  ein 
und  derselben  Leitung  unterstellt. 

Es  standen  nunmehr  die  drei  grossen 
Hauptwerkslätten  Prag-Bubna,  Simmering 


»lerrclchlscbcn  SUatibahnen.  (KcMctKhmiede.] 

I  die  Schmiede  der  Werkstätte  Simmering 
behufs  Vergrösserung  der  Eisen-  und  Me- 
I  tallgiesserei,  die  für  den  erheblich  ge- 
;  steigerten  Bedarf  an  GussstDcken  nicht 
I  mehr  genügte,  geschaffen,  femer  im 
I  Jahre  1S88  eine  Lackirerei  und  Sattlerei 
I  in  der  Werkstätte  Bubna  eingerichtet.  Um 
,  für  den  gesteigerten  Verkehr  am  Bahnholi; 
I  Prag  Platz  zu  gewinnen,  musste  die  Per- 
I  sonen  wagen- Reparatur  von  der  Werkstätte 
'    Prag  nach  Bubna  verlegt  werden. 

Im  September   1891  brannte    ein  be- 
.  trilchtlicher  Theil  der  Werkstätte  Bubna 


Werkstättenwesen. 


Abb.  jBo.    Werl 


L.  k.  0«i( 


bafaDca,  [Blec 


bei  iDiiKi- WetkiUtte.] 


ab,  doch  wurde  anlässlich  des  Wieder- 
aufbaues keine  nennenswerthe  Verände- 
rung des  früheren  Bestandes  vorge- 
nommen. 

Nach  VerstaatHchung  der  in  Ungarn 
gelegenen  gesellschaftlichen  Bahnstrecken, 
verblieben  der  Staats eisenbahn  -  Gesell- 
schaft nur  mehr  die  Haupt  werk  statten 
Prag-Bubna  und  Simmering. 

Die  vom  österreichischen  Staate  [1845] 
erbaute  Werkstätte  Prag  hatte  im  Jahre 
1855  eine  gesammte  Grundfläche  von 
33.100  m*  und  eine  verbaute  von 
7500  tw'  mit  2050  »M*  Stock  werk  sbau, 
eine  Locomotivmontirung  för  3i  Loco- 
motiven,  eine  Wagenmontirung  für  1 5 
Wagen,  73  Arbeitsmaschinen  [von  einer 
30pfercligen  stehenden  Dampfmaschine 
angetrieben],  zwei  BouiUeurkessel  mit 
80  («*  Hetzfläche,  5  Atmosphären  Be- 
triebsdruck, Oelbeleuchtung,  Ofenheizung 
und  beschäftigte  circa  500  Arbeiter. 

Infolge  der  bereits  angeführten  Um- 
Stallungen,  welche  diese  Werkstätte  er- 
fahren hatte,  und  der  Vcrlegimg  der  Re- 


paratur und  Lackirung  der  Personenwagen 
von  Prag  nach  der  Werkstätte  Bub  na 
[1888],  beziffert  sich  derzeit  die  gesammte 
Grundfläche  der  Werkstätte  Prag  mit 
16.000  wi*,  die  verbaute  mit  6820  mi'  und 
1770  wj*  Stockwerksbau.  Die  Werkstätte 
besitzt  gegenwärtig  30  gedeckte  Locomo- 
tivstände  und  116  Arbeitsmaschinen,  die 
von  einer  Hegenden  52pferdigen  Dampf- 
maschine angetrieben  werden.  Den  für 
diese  Dampfmaschine  und  die  Dampf- 
hämmer etc.  nöthigen  Dampf  liefern 
zwei  liegende  Röhrenkessel  mit  zusam- 
men 153  m'  Heizfläche  und  8  und 
10  Atmosphären  Betriebsdruck.  Der 
durchschnittliche  Arbeiterstand  beziffert 
sich  mit   280  Personen. 

Die  Werkstätte  Bubna  besitzt  eine 
Gesammtgrundfläche  von  78.200  m* 
und  eine  verbaute  von  15.140  w(*.  In 
der  Wagenmontirung  dieser  Werkstätte 
können  140  [3%  der  zur  Erhaltung  zu- 
gewiesenen] Wagen  unterf^jebracht  wer- 
den. Während  ursprünglich  nur  58  Arbeits- 
maschinen und  für  den  Betrieb  derselben 


592 


Julius  Spitzner. 


ein  25pferdiges  Locomobil,  femer  zwei 
liegende  Röhrenkessel  mit  zusammen 
55  m*  Heizfläche  vorhanden  waren, 
besitzt  diese  Werkstätte  derzeit  130  Ar- 
beitsmaschinen, eine  5opferdige  Zwillings- 
dampfmaschine und  zwei  liegende  Röhren- 
kessel mit  130  m*  Heizfläche.  Infolge 
der  bedeutenden  Vermehrung  der  zur 
Erhaltung  zugewiesenen  Wagen  können 
heute  nur  273^/0  derselben  in  der  Wagen- 
montirung  aufgestellt  werden.  Der  durch- 
schnittliche Arbeiterstand  vom  Jahre  1873 
bis  heute  ist  von  320  auf  420  Arbeiter 
gestiegen. 

Die  Hauptwerkstätte  S  i  m  m  e  r  i  n  g 
[vgl.  Fig.  IV  der  beigegebenen  Tafel], 
welche  durchschnittlich  750  Arbeiter  be- 
schäftigt, besitzt  bei  71.500  m^  ge- 
sammter  und  31.320  m*  verbauter 
Grundfläche,  eine  Locomotivmontirungmit 
50  Locomotivständen  und  eine  Wagen- 
montirung  für  180  Wagen,  das  sind  in 
Bezug  auf  die  der  Werk  statte  im  Jahre 
der  Erbauung  [1873]  zugewiesenen  Fahr- 
betriebsmittel 40% ,  beziehungsweise  6*6^/^, , 
des  Locomotiv-,  beziehungsweise  Wagen- 
Reparaturstandes,  hingegen  unter  Zu- 
grundelegung der  dermalen  zur  Erhaltung 
zugewiesenen  Fahrbetriebsmittel  23®/q, 
beziehungsweise  3^'^.  Die  ursprüngliche 
Ausrüstung  umfasste  u.  A.  zwei  Wand- 
Dampfmaschinen,  zwei  liegende  Dampf- 
maschinen mit  zusammen  112  Pferde- 
stärken, vier  liegende  Röhrenkessel  mit 
zusammen  306  m^  Heizfläche  bei  6  At- 
mosphären Betriebsdruck  und  167  Arbeits- 
maschinen. Die  Anzahl  der  Letzteren  er- 
höhte sich  bis  heute  auf  271  und  sind  jetzt 
für  deren  Antrieb  eine  Wand-Dampf- 
maschine und  zwei  liegende  Dampf- 
maschinen mit  zusammen  145  Pferde- 
stärken, ferner  fünf  liegende  Röhren- 
kessel mit  zusammen  434  m^  Heizfläche 
bei  7  und  10  Atmosphären  Betriebs- 
druck vorhanden. 

An  Heizhaus-Werkstätten  besitzt 
die  Staatseisenbahn-Gesellschaft  ausser 
den  bereits  genannten  noch  die  folgenden: 

Wien,  erbaut  1846  von  der  Wien-Raaber 
Bahn. 

Marchegg,  erbaut  1848  von  der  Un- 
garischen Centralbahn. 

Brunn,  erbaut   1848  vom  Staate. 


Aussig,  erbaut  1851  vom  Staate. 
Bodenbach,  erbaut  1851  vom  Staate 
sowie  die  von  der  Gesellschaft  in  den 
Siebziger-Jahren  erbauten  Heizhaus- Werk- 
stätten C  h  o  t  z  e  n,  Halbstadt,  Bubna, 
Prag  und  Kralup  und  St  ad  lau. 

Die  vom  österreichischen  Staat  [1845] 
in  Ol  mutz  erbaute  Werkstätte  wurde 
im  Jahre  1855,  die  [1850 — 1854)  in 
Gran  erbaute  im  Jahre  1859  und  jene 
von  der  Staatseisenbahn  -  Gesellschait 
[1856]  in  Wieselburg  erbaute  im 
Jahre  1864  aufgelassen. 

VIL  AT.  k.priv.  Südbahn- Gesdhchaß, 

Für  die  Reparatur  der  Fahrbetriebs- 
mittel besitzt  diese  Eisenbahn-Gesell- 
schaft eine  Hauptwerkstätte  in  Wien, 
erbaut  [1856— 1858]  von  den  ehemaligen 
k.  k.  südlichen  Staatsbahnen,  eine  Haupt- 
werkstätte in  Marburg,  erbaut  [i86j 
bis  1866]  von  der  Südbahn  -  Gesell- 
schaft, je  eine  Werkstätte  in  Inns- 
bruck, erbaut  [1858]  von  den  ehemaligen 
k.  k.  südlichen  Staatsbahnen,  Stuhl- 
weissenburg,  erbaut  [1861]  von  der 
Südbahn  -  Gesellschaft  und  Graz  [Köt- 
lacher  Bahnhof]  erbaut  [1860]  von  der 
Graz-Köflacher  Bahn,  ferner  die  Heiz- 
haus-Werkstätten in  Mürzzuschlagund 
Laibach,  beide  erbaut  von  den  ehe- 
maligen k.  k.  südlichen  Staatsbahneii, 
und  zwar  erstere  im  Jahre  1854,  letztere 
im  Jahre  1857,  schliesslich  die  Heizhaus- 
werkstätte in  Tri  est,  erbaut  [1880]  von 
der  Südbahn-Gesellschaft.  Die  alte  Werk- 
stätte Triest,  erbaut  [1857]  von  den  ehe- 
maligen k.  k.  südlichen  Staatsbahnen, 
wurde  im  Jahre  1880  aufgelassen. 

Die  älteste  Werkstätte,  nämlich  jene 
in  Wien,  hatte  im  Jahre  der  Erbauuiii,' 
51.660  i«2  gesammte  Grundfläche,  von 
welcher  9375  fn*  überdeckt  waren. 
Das  derzeitige  Flächenausmass  dieser 
Werkstätte  beträgt  66.260  m\  wovon 
20.533  *'**    verbaut  sind. 

Bei  Eröffnung  des  Betriebes  [i85^J 
waren  vorhanden:  Eine  Locomotivmon- 
tirung  mit  19  Ständen,  eine  Wagen- 
montirung,  in  welcher  22  Stück  ^^^r* 
achsige  Personenwagen,  wie  selbe  di^ 
k.  k.  südlichen  Staatsbahnen  und  später 


die  Sudbahn  -  Gesellschaft  durch  die 
Maschinenfabrik  der  ehemaligen  Wien- 
Raaber  Actien  -  Gesellschaft  anfertigen 
liess,  beziehungsweise  44  Wagen  mit 
je  10  »M  Länge  untergebracht  werden 
konnten,  eine  Lackirer -Werkstätte,  eine 
Schmiede,  Dreherei  sammt  Dampfanlage 
und  zwei  Wohngebäude.  Im  Jahre  1864 
fand  die  erste  Erweiterung  der  Werk- 
stätte durch  Vergrösserung  der  Schmiede 


magazins,  eine  weitere  Vergrösserung 
der  Schmiede  [1891]  und  eine  solche 
des  Kesselhauses  [1895]  schltessen  die 
letzten  Bauherstellungen  dieser  Werk- 
stätte  in  sich.  Es  werden  durchschnitt- 
lich 890  Arbeiter  beschäftigt.  Auf  den 
vorhandenen  33  gedeckten  Loco motiv- 
ständen können  i6*'/o  der  dieser  Werk- 
stätte zur  Erhaltung  zugewiesenen  Loco- 
motiven  aufgestellt  werden.   Fünf  Dampf- 


>.  J9l. 


c  Ncu-Sondee  dar  k.  I 


.  und  Kuprcnchmlede.] 


und  Wagenmontirung  sowie  Erbauung 
einer  neuen,  nicht  heizbaren  Wagen- 
remise statt,  mit  welcher  man  bis  zum 
lahre  1872  das  Auslangen  fand.  In 
diesem  Jahre  schritt  die  Südbahn-Gesell- 
schaft zu  einer  neuerlichen  Erweiterung 
der  Werkstätte  durch  Erbauung  einer 
neuen  Locomotivmontirung  mit  14  Stän- 
den, eines  ■  neuen  Kessel-  und  Ma- 
schinenhauses und  durch  Vergrösserung 
der  Dreherei.  Die  Errichtung  einer  Ross- 
haarsiederei  [1888],  eines  Rohrmagazins 
[1891],  einer  H  of wagen  rem  ise,  eines  Hand- 


ilchUchcp  SluiibabneD.  [Roh 


I  maschinen  mit  zusammen  134  Pferde- 
I  stärken  sind  für  den  Antrieb  der  168  Arbeits- 
I  maschinen  undacht  Dampfkessel  mit zusam- 
'  men  276  m'  Heizfläche  für  die  Erzeugung 
des  für  die  Dampfmaschinen  und  Dampf- 
I  hämraer  nöthigen  Dampfes  vorhanden. 
'  Die  in  Marburg  [1866]  auf  einer  ge- 

sammten  Grundfläche  von  84,470  wt'  er- 
i  richtete    Hauptwerkstätte    besitzt    46  ge- 
deckte   Locomotiv-     und     250    gedeckte 
j  Wagen- Reparaturstände    bei    einer    ver- 
bauten Grundfläche  von  32.746  m*.     Sie 
I  erfuhr      eine     Erweiterung      nur     durch 


Erbauung    von    drei    Holzschupfen    und  ' 
einer  Trockenhütte  im  Jahre   1S73,  einer  ; 
neuen    Wagenmontirung  für   30    Wagen 
im    Jahre     1H75,    eines    Säge-Gebäudes 
mit     einem     Maschinenbaus     im     Jahre 
1H79     und     von     anderweitigen    kleinen 
Objecten.      Von   den    dieser   Werk  statte 
zur     Erhaltung     zugewiesenen     Locomo- 
liven      können      i5'3*/o      untergebracht 
werden.  Für  die 
theils       mittels 
Transm  is  s  i  onen , 
theils      elektro- 
motorisch     an- 
getriebenen 26H 

Arbeitsmaschi- 
nen    sind     fünf 

Dampfmaschi- 
nen mit  zusam- 
men 335  Pferde- 
stärken in  Thä- 
tigkeit. 

Durchschnitt- 
lieb  beschäftigt 
die    Werkstätte 

1070  Arbeiter. 


VIII.    K.  k. 
Oesterreichische 
Staatsbahnen. 

Einschliess- 
lich      der       im 
Staatsbetriebe 
befindlichen  Li- 
nien besitzen  die 
k.k.Oesterr  eichi- 
schen Staats  bah-  ■  ä  '■   -  otorhauj.hen  d=r  de 
nen  nachbenannte  Werkstätten,  und  zwar: 
I.   Die  Werkstätte  Bodenbach,  er- 
richtet [1871]    von  der  ehemaligen  Dux- 
Bodenbacher    Eisenbahn,     mit  einer    ver- 
bauten Grundfläche   von    1620  jh",    sechs 
gedeckten     I.ocomotiv-     und    zwölf    ge- 
deckten    Wagenständen,      erweitert     bis 
zur     L'ebemahme     in     den    Staatsbetrieb 
(18S4J     um     3120    m'^    gedeckte    Werk- 
stättenräume    inclusive      einer     Wagen- 
montirung für  18  Wagen.  Die  Vergrösse- 
rung  seit  Uebernahmein  den  Staatsbetrieb 
beträgt    670  jh*    überdachte    Fläche    für 
die    Aufstellung    von    fünf    Locomotiven 
oder  neun  Tendern. 


3.  Die  Werkstätte  Gmünd,  erricliict 
[1869]    von  der  ehemaligen    Frani  JojcI- 
Bahn,  mit  einer  verbauten  Grundfläche  vun 
9000  »«*,    einer  Locomotivmontirunj  füi 
16    Locomotiven    und    einer  Wagenaion- 
tirungfUr  35  Wagen;  in  den  Staatsbeiri;b 
übernommen  1884,    bis  zu  welcher  Zc:L 
abgesehen    von  kleineren  Objecten,  n-jr 
die    Dreherei    erweitert     und    eine    nci:t 
KupfersctimieJe 
erbaut      wurde. 
Die  seit  Leber- 
nähme    in    dtj 
Staatsbetri(;h 
ausgeführten  Er- 
weiterungsbau- 
ten       umfaäitn 
eine  Locomolii- 
und       W^gtn- 
montirung,  eine 
Locomotiv-  und 
Wagenlackire- 
rei,    eine    \'er- 
grösserung  drt 
alten      Wagen- 
montirutig,eineD 

Speisesaal 
sammt  Portier- 
haus, eine  Arbei- 
tercontrole  unf- 
ein Feueriäsch- 
■  requisiten-Dcpi''!. 
so  dass  die  ver- 
baute Grund- 
fläche derzeit 
13.770  »»'  ^■ 
trägt  und  II  Lo- 
comotiven   und 

lri,ch  btlricb««  Schiebeböhne.     ^Q      ^^-gggn    in 

heizbaren  Räumen  untergebracht  wenif 
können. 

3.  Die  Werkstätte  KnittelfeH, 
errichtet  [1869]  von  der  ehemalif;tn 
Kronprinz  Rudolf-Bahn  in  einem  --^us- 
masse  von  4268  m*  verbauter  Grand- 
fläche,  mit  fünf  Locomotiv-  und  16  Wagßi- 
ständen  im  heizbaren  Räume.  Vor  L'eber- 
nähme  in  den  Staatsbetrieb  [1884]  ^rf"'" 
diese  Werkstätte  eine  Vergrösserang  durfli 
Erbauung  einer  Wagenmontirung  für  l;* 
Wagen,  einer  Locomotivmontining  i"' 
sieben  Ständen  und   eines  Kesselhausö. 

In  jüngster  Zeit  ergab  sich  dieXoUi' 
wendigkeit  einer  bedeutenden  Erweiterung. 


Werkstättenwesen. 


Mit  derselben  wurde  durch  Vergrösserung 
der  Locomotivmontirung  um  acht  Stände 
bereits  begonnen  und  sind  die  Ausfuh- 
rungen eines  Zubaues  an  die  Locomotiv- 
montirung für  zwölf  Locomotiven  sammt 
Dreherei,  einer  neuen  Wagenmontirung 
für  64  Wagen,  einer  neuen  Schmiede, 
Dreherei,  eines  neuen  Maschinen-  und 
Kesselhauses  sammt  KohlendSpöt,  einer 
neuen  Kesselschmiede  sammt  Blech- 
bearbettung  und  Kupferschmiede,  eines 
Feuerlöschrequisiten-D£pöts,   eines  Bade- 


4.  Die  Werkstätte  L  a  u  n  [vgl.  Fig.  V 

der  beigegebenen  Tafel],  erbaut  {1872] 
von  der  ehemaligen  k.  k,  Prag-Duxer 
Eisenbahn  mit  3390  »('  überdeckter 
Grundfläche,  für  die  Unterbringung  von 
sechs  Locomotiven  und  zehn  Wagen  in 
heizbaren  Räumen.  Bis  zur  Uebemahme 
in  den  Staatsbetrieb  [1884]  erfuhr  diese 
Werkstätte  keine  nennenswerthe  Ver- 
grösserung. 

Die  namhafte  Erweiterung    [und  zwar 
um  7581  m'  verbauter  Grundfläche]  kam 


Abb.  38 j.  WageuchlebebU 

hauses  sammt  Speisesaal,  einer  Holz- 
trockenkammer  sowie  die  Vermehrung 
der  Geleise-,  Drehscheiben-  und  Schiebe- 
bühnen-Anlagen und  die  Herstellung  von 
Flugdächem  für  die  Aufstellung  von  Wa- 
gen in  das  Bauprogramm  aufgenommen, 
so  dass  nach  einigen  Jahren  die  Leistungs- 
fähigkeit dieser  Werkstätte  wesentlich  er- 
höht sein  wird.  Nach  Fertigstellung  der 
genannten  projectirten  Objecte  wird  die 
gesammte  verbaute  Grundfläche  circa 
32.000  fM*  betragen  und  28  Locomotiven 
sowie  78  Wagen  werden  in  heizbaren 
Räumen  Aufstellung  finden  können.  Der 
Antrieb  der  Arbeitsmaschinen  wird  auf 
elektromotorischem  Wege  erfolgen  und 
auch  die  elektrische  Beleuchtung  der  ein- 
zelnen Arbeits-  und  Hofräume  eingeführt. 


in  den  Jahren  1895  und  1896  zur  Ausfüh- 
rung und  können  nun  18  Locomotiven 
und  45  Wagen  in  heizbaren  Räumen 
aufgestellt  werden. 

Anlässlich  der  bedeutenden  Vermeh- 
rung der  Arbeitsmaschinen,  von  welchen 
einzelne  Gruppen  auf  elektromotorischem 
Wege  angetrieben  werden,  sowie  der  Ein- 
richtung des  elektrischen  Betriebes  von 
Schiebebühnen,  eines  Laufkrahnes  etc. 
wurde  eine  neue  circa  8opferdige  Com- 
pound-Betriebs-Dampfmaschineaufgestellt 
und  die  alte  Dampfmaschine  für  die  elek- 
trische Beleuchtung  einzelner  Werkst ätte n- 
Objecte  belassen. 

5.  Die  Werkstätte  L  e  m  b  e  r  g,  er- 
richtet [1862]  von  der  ehemaligen  Gali- 
zischen    Carl    Ludwig -Bahn    mit    einer 


596 


Julius  Spitzner. 


verbauten  Grundfläche  von  9699  tn^ 
als  ■  Hauptwerkstätte.  Dieselbe  war  im 
Jahre  1863  dermassen  ausgerüstet,  dass 
sie,  im  Vereine  mit  den  beiden  Werk- 
stätten in  Krakau  [derzeit  Heizhaus- 
Werkstätte]  und  Przemy^l,  sowohl  die 
für  den.  Betrieb  erforderlichen  Reparaturen 
zu  leisten,  als  auch  nach  Bedürfnis  neues 
Betriebsmateriale  in  eigener  Regie  her- 
zustellen, ja  sogar  Bestellungen  für  fremde 
Parteien  auszuführen  im  Stande  war.  Der 
Schwerpunkt  der  Arbeiten  wurde  nach 
Lerriberg  verlegt  und  die  Leistung  der 
Werkstätte  in  Krakau  entsprechend  ver- 
ringert. In  den  mit  Räderversenk- Vor- 
richtungen versehenen  Locomotivmon- 
tirungen  konnten  18  Locomotiven,  in  der 
Wagenmontiomg  30  Wagen  aufgestellt 
werden. 

In  den  Jahren  1872  — 1873  wurde 
eine  nicht  heizbare  Wagenremise  für 
64  Wagen  erbaut.  Da  die  Anzahl  der 
Reparaturstände  in  der  Locomotivmon- 
tirung  nicht  ausreichte,  erfolgte  [1878] 
eine  Vergrösserung  derselben  durch  An- 
bau eines  neuen  Tractes  mit  einer  im  ge- 
deckten Räume  befindlichen  neuen  Schiebe- 
bühne. Dieser  Anbau  hatte  eine  theilweise 
Verfinsterung  der  alten  Locomotivmon- 
tirung  zur  Folge  und  mit  Rücksicht  auf 
diesen  Umstand  und  des  Vorhandenseins 
der  Räderversenk- Vorrichtungen  können 
nur  35  Locomotiven  in  heizbaren  Mon- 
tirungsräumen  untergebracht  werden. 

Die  Wagenmontirung,  im  Jahre  1890 
durch  einen  Brand  zerstört,  wurde  in 
ihrer  ursprünglichen,  langgestreckten 
Form  wieder  aufgebaut,  jedoch  durch 
zwei  feuersichere  Abtheilungswände  in 
drei  gleiche  Räume  getheilt.  Behufs  Ein- 
bringung von  Wagen  in  den  mittleren 
Raum  besitzen  die  Abtheilungswände 
eiserne  Schubthore  und  für  die  sonstige 
leichte  Communication  kleine  eiserne 
Thüren. 

In  den  letzteren  Jahren  machte  sich 
jedoch  insbesondere  der  Mangel  einer 
gut  eingerichteten  Kessel-  und  Kupfer- 
schmiede fühlbar  und  erfolgte  demnach 
[1897]  die  Erbauung  dieser  Objecte  ein- 
schliesslich eines  Raumes  für  Blech- 
bearbeitung, ausgestattet  mit  pneumati- 
schen Niet-  und  Stemm-Maschinen,  den 
erforderlichen  Lauf-  und  Drehkrahnen  und 


modernen  Arbeitsmaschinen  etc.  Der  ganze 
Betrieb  in.  diesen  neuen  Abtheilungen 
erfolgt  mittels  elektrischer  Kraftüber- 
tragung. 

Infolge  der  erhöhten  Kraftanforderung 
in  der  Werkstätte  ergab  sich  die  Noth- 
wendigkeit,  drei  neue  Dampfkessel  und 
eine  neue  [250pferdige]  Dampfmaschine 
aufzustellen.  Für  letztere  sowie  für  die 
nöthigen  Primär- Dynamomaschinen  wurde 
ein  neues  Maschinenhaus  gebaut. 

Die  Primär  -  Dynamomaschine  dient 
für  die  bereits  angeführte  elektrische 
Kraftübertragung,  ferner  für  den  zur 
gleichen  Zeit  instaUirten  elektrischen  An- 
trieb der  Holzbearbeitungs-Maschinen  und 
sonstiger  bisher  mittels  Transmission 
ungünstig   betriebener  Arbeitsmaschinen. 

Die  gesammte  verbaute  Grundfläche, 
einschliesslich  der  Wagenremise,  be- 
ziffert sich  dermalen  mit  17.920  »w*. 

6.  Die*  Central -Werkstätte  Linz,  an- 
gelegt [1858]  von  der  ehemaligen  Kaiserin 
Elisabeth- Bahn  als  Filialwerkstätte  mit 
7008  m^  verbauter  Grundfläche,  14  gedeck- 
ten Locomotiv-  und  20  gedeckten  Wagen- 
Reparaturständen.  [Vgl.  Fig.  VI  a  und 
VIb  der  beigegebenen  Tafel.] 

Die  erste  Veränderung  trat  im  Jahre 
1872  ein,  als  die  im  Lageplane  [vgl.  Fig. 
VIb  der  beigegebenen  Tafel]  mit  >WM  I< 
bezeichnete  Wagenmontirung  für  Locomo- 
tiv- und  Tenderreparatur  bestimmt,  und 
der  halbe  Raum  der  mit  >  W  M II«  bezeich- 
neten als  Lackirerei  adaptirt  wurde.  Der 
verbliebene  Theil  der  Wagenmontirung  war 
infolgedessen  zu  klein  und  es  kam  [1874] 
eine  Wagen-Reparaturwerkstätte  mit  Rie- 
gelwänden und  nicht  heizbar  für  20  Wagen 
zur  Ausführung,  welche  jedoch,  als  mit 
dem  Umbau  der  Werkstätte  zur  Central- 
werkstätte  begonnen  wurde,  demolirt 
werden  musste.  Sodann  erfolgte  [1876] 
die  Verlegung  der  Kupferschmiede  in  die 
Schmiede,  und  als  sich  letztere  hiedurch 
später  als  zu  klein  erwies,  wieder  [1880] 
die  Rückverlegung  der  ersteren  in  den 
ursprünglichen  Raum. 

Bald  nach  der  Ueberaahme  in  den 
Staatsbetrieb  fand  [1884]  die  Erbauung 
einer  Locomotivmontirung  mit  sieben 
Ständen  statt. 

Zur  Zeit  des  Umbaues  dieser  Werkstätte 
zur  Central -Werkstätte    waren    8623  w* 


Werkstättenwesen. 


verbaut  und  31  gedeckte  Locomotiv-  und 
40  gedeckte  Wagen-Reparaturstände  vor- 
handen. 

Dieser  Umbau  begann  [1887]  mit  einer 
nicht  unbedeutenden  Erdbewegung,  indem 
ein  Hügel  ganz  abgetragen  werden  musste. 

An  neuen  Objecten  wurden  erbaut 
[vgl.  Abb.  367—376],  und  zwar  in  nach- 
stehender   Reihenfolge :     Die    Personen- 


mit  32  Locomotivständen,  mit  einem  Bureau 
und  einem  Räume  für  Eisenbearbeitungs- 
Maschinen,  ein  Kohlenmagazin  hinter  der 
Schmiede,  eine  Holztrockenkammer,  ein 
Flugdach  für  Werkholz,  zwei  Flugdächer 
für  Wagen  und  zwei  Flugdächer  als 
Anbau  an  die  alten  Magazine- 

Im  alten  Kesselhause   gelangten  vier 
Stück  neue  Dampfkessel    mit  zusammen 


.    IL« 


K'l 


wagen-Montining  sammt  Lackirerei  mit 
1 1 4  Wagenständen,  die  Blechbearbeitungs- 
Werkstätte,  Kupferschmiede,  Schmiede 
mit  angebautem  Kessel-  und  Maschinen- 
baus, ein  Kohlenschupfen,  das  Gebäude 
fOr  die  elektrische  Beleuchtungsanlage  des 
Bahnhofes  Linz,  die  Last  wagen- Montirung 
mit  85  Ständen  [einschliesslich  des  Raumes 
für  Holz-  und  Eisenbearbeitungs-Maschi- 
nen,  eiiies  Bureaus  und  der  Spänglerei],  das 
Spänehaus,  das  Waghaus  mit  einer  zehn- 
flügeligen  Locomotiv- Brücken  wage,  das 
Magazin  fÜrfeuergefährlicheGegenstände, 
das  Portierhaus  mit  Arbeiter- Speisesaal, 
Ordinationszimmer  und  Arbeitercontrole, 
die  mit  Loeomotiven  befahrbare  Waggon- 
Brückenwage,     die    Locomotivmontirung 


440»«*  Heizfläche  zur  Aufstellung.  Ueber 
drei  dieser  Kessel  und  der  Wasserversor- 
gungs-Pumpe kamen  vier  Wasserreservoirs 
mit  einem  Gesammtfassungsraum  von 
2S0  m',  und  zwar  in  einer  Höhe  von  1 5  m 
über  Schwellenhöhe,  zur  Aufstellung. 

Die  ehemalige  Locomotivmontirung 
[Object  Ks  in  Fig.  Via  der  beigege- 
benen Tafel]  wurde  zur  Kesselschmiede 
adaptirt  und  mit  einer  feststehenden 
und  transportablen  hydraulischen  Niet- 
anlage ausgerüstet.  Diese,  im  Inlande  an- 
gefertigte hydraulische  Anlage  enthält 
einen  stationären  Nieter,  einen  hydrauli- 
schen Drehkrahn  zum  Heben  und  Senken, 
Vor-  und  Rückwärtsfahren,  Rechts-  und 
Linksschwenken  des  zu  nietenden  Kessels, 


598 


Abb.  }85,    Trocki 

ferner  einen  beweglichen  [transportablen] 
Nieter,  einen  Drehkrahn  mit  Handbetrieb 
für  die  Manipulation  mit  dem  transportablen 
Nieter,  eine  Presspumpe  mit  Dampfbetrieb 
zur  Erzeugung  des  Druckwassers,  einen 
Accumulator  für  das  Druckwasser  und 
die  Druck-  und  Retourleitung. 

Im  neuen  Kesselhause  befinden  sich 
ftlnf  Stück  Dampfkessel  mit  je  i  lO  wi» 
Heizfläche.  Oberhalb  der  im  neuen 
Maschinenhause  aufgestellten  Dampf- 
maschine sind  drei  Sttlck  Reservoirs  mit 
je  5  m^  Inhalt  vorhanden. 

Die  Lastwagen-Montirung  mit  7979  "i' 
verbauter  Grundfläche  besitzt  zwischen  ein- 
zelnen Geleisen  für  den  bequemen  Räder- 
transport   eigene   schmalspurige  Geleise. 

Die  Holzbearbeitungs-Werkstätte  wurde 
in  die  Lastwagen-Montirung  verlegt.  Für 
die  Wegschaffung  aller  Späne  und  Holz- 
abfölle  der  Holzbearbeitungs-Maschinen 
kam  eine  Exhaustor-Anlage  zur  Ausfüh- 
rung, mittels  welcher  die  Holz-  und  Säge- 
späne etc,  abgesaugt  und  in  das  neben  dem 


I  Kesselhaus  befindliche  Spänehaus  geschafft 
;  werden.  Das  Spänehaus  hat  zwei  getrennte 
I  Spänekammem,    um  während    der    Zeit, 
I  als  die  eine  angeblasen  wird,  die  andere 
^  entleeren  zu  können. 
I         Die   Beheizung  der   L ast wagen- Mon- 
I  tirung  findet  mit  in  Gruppen  geschalteten 
Dampföfen     statt.    Zur    Beheizung    kann 
sowohl    directer  Kesseldampf,    als    auch 
I  Abdampf  in  Verwendung  kommen,    und 
I  zwar    nicht    nur    der    Auspuffdampf    der 
j  Betriebsmaschine,  sondern  auch  jener  der 
]  jeweilig  im  Betrieb  befindlichen    Dampf- 
maschine  der  elektrischen  Beleuchtungs- 
anlage des  Bahnhofes. 
j         Die  neue  Locomotivmontirting  besteht 
aus  drei  Haupträumen,  nämlich  einem  nie- 
I  drigeren,    für  die  Bewegung  der  etwa  8  m 
j  langen  Schiebebühne  und  links  und  rechts 
,   aus  je  einem  Räume  mit   16  Locomotiv- 
'  ständen. 

Die  beiden  Räume  für  die  Locomotiv- 
stände  sind  behufs  Unterbringung  der 
für  Hand-  und  elektrischen  Antrieb  vor- 


Werk  Stättenwesen. 


gesehenen  Laufkrahne,  welche  zum  Heben 
der  Locomotiven  zu  dienen  haben,  ent- 
sprechend höher  gehalten.  Für  die  Auf- 
stellung der  für  die  Locomotivniontirung 
nöthigen  Arbeit smaschlnen  ist  ein  eigener 
Raum  vorgesehen.  Der  Antrieb  der  Arbeits- 
maschinen dortselbst  erfolgt  elektromo- 
torisch. 

Die  Beheizung  der  Locomotivmonti- 
rung  erfolgt  ähnlich  wie  jene  der  Wagen- 
montirungen. 


Grundfläche,  zwei  Locomotiv-  und  sechs 
Wagen -Reparaturständen  im  heizbaren 
Räume,  besass  zur  Zeit  der  Uebernahme  aus 
dem  Privat-  in  den  Staatsbetrieb  [1884] 
zwei  gedeckte  Locomotiv-,  sechs  gedeckte 
Wagen-  und  einen  gedeckten  Lackirer- 
stand.  Im  Jahre  1886  wurde  eine  Wagen- 
montirung  [WM  I  in  Figur  VII  der 
bei  gegebenen  Tafel]  mit  34  gedeckten 
Wagen -Reparaturständen,  und  zwar  als 
Fach  werk  sbau       aufgeführt.        Hiedurch 


Abb.  jn.    Bohmaichli] 

Die  anlässHch  der  Erweiterung  der 
Werkstätte  Linz  zu  einer  Central- 
Werkstätte  neu  aufgeführten  Objecte 
bedecken  zusammen  eine  Grundfläche 
von  38.826  m\  die  gesammte  verbaute 
Grundfläche  beziffert  sich  ausschhesshch 
der  als  Holzbauten  ausgeführten  Kohlen- 
schupfen und  der  diversen  Flugdächer 
mit  36.400  )«'  und  einschliesslich  der- 
Älben  mit  40.692  tu*. 

In  heizbaren  Räumen  können  39  Loco- 
motiven und  199  Wagen  untergebracht 
werden. 

7.  Die  Werkstätte  Neu-Sandec, 
errichtet  [1876]  von  der  k.  k.  Staatsbahn 
Tamöw-Leluchöw  mit  1630»«'  verbauter 


konnten  die  früher  ftlr  die  Wagenrepa- 
ratur verwendeten  Stände  als  Locomotiv- 
Reparaturstände  benutzt  werden. 

Sodann  erfolgte  bis  zum  Jahre  1889 
die  Erbauung  nachbenannter  Objecte,  und 
zwar:  einer  Locomotivmontirung  mit 
zwölf  Ständen,  einer  Dreherei  mit  ein- 
stöckigem Bureaugebäude  sammt  Maschi- 
nenbaus und  Werkzeugd^pöt,  einer  Holz- 
bearbeitungs-Werkstätte  mit  Fein- und  Mo- 
delltischlerei, einer  Schmiede,  eines  Kes- 
selhauses, einer  Kupferschmiede,  Metall- 
giesserei  und  Tyresschmiede,  eines  Feuer- 
löschrequisiten -  Depots,  Kohlenschupfens, 
eines  Material-  und  Handmagazins,  Werk- 
holzschupfens   und  schliesslich   die  Her- 


6oo 


Julius  Spitzner. 


Stellung  der  zur  Werkstätte  gehörigen 
Geleise,  Drehscheiben  und  Schiebebühnen 
sowie  eines  Waghauses  mit  zehntheiliger 
Locomotiv-Brückenwage. 

Da  mit  der  oben  angeführten  Wagen- 
montirung  das  Auslangen  nicht  gefun- 
den werden  konnte,  wurde  im  Jahre  1891 
die  neue  Wagenmontirung  [W  M  II] 
mit  26  Reparaturständen,  acht  Lackirer- 
ständen  und  einem  Sattlerstand  gebaut 
Aber  auch  die  Locomotivmontirung  er- 
wies sich  bald  als  unzureichend,  so  dass 
im  gleichen  Jahre  an  die  Vergrösserung 
derselben  um  weitere  zwölf  Stände  ge- 
schritten werden  musste. 

In  den  letzten  Jahren  wurden  erbaut : 
Ein  Object,  anstossend  an  die  Schmiede 
für  das  Bureau,  Federnschmiede  und 
Spänglerei  und  die  neue  Kessel-  und 
Kupferschmiede  sammt  der  Blechbearbei- 
tungs- Werkstätte.  [Vgl.  Abb.  377 — 379.] 

In  der  Locomotivmontirung  befindet 
sich  über  jeder  Reihe  von  Reparaturstän- 
den je  ein  Laufkrahn  mit  je  zwei  Win- 
den, jede  Winde  für  20  t  Tragfähigkeit 
construirt. 

Die  Locomotiv-Schiebebühne  ist  für 
56  t  Tragkraft  gebaut,  besitzt  eine 
Länge  von  7  tn  und  einen  Mechanis- 
mus, um  mittels  eines  Drahtseiles  die  Ma- 
schinen auf  die  Schiebebühne  ziehen 
und  von  derselben  wieder  abzielien  zu 
können. 

Im  Maschinenhause  ist  eine  circa 
40pferdige  Dampfmaschine  für  den  Antrieb 
der  Transmissionen  und  eine  Primär- 
Dynamomaschine  für  den  elektrischen 
Antrieb  der  Arbeitsmaschinen  in  der 
Kessel-  und  Kupferschmiede  und  in  der 
Blechbearbeitungs- Werkstätte  situirt. 

Um  jenen  Theil  der  Transmission, 
welcher  in  die  Holzbearbeitungs-Werk- 
stätte  führt,  abstellen  zu  können,  befindet 
sich  im  Maschinenhause  eine  rasch  aus- 
lösbare Klauenkuppelung. 

Nachträglich  wurde  noch  eine  zehn- 
pferdige  Dampfmaschine    aufgestellt. 

Im  Kesselhause  waren  ursprünglich 
für  die  Erzeugung  des  nöthigen  Betriebs- 
und Heizdampfes  zwei  Stück  Zweiflamm- 
rohrkessel mit  je  50  tn^  wasserbenetzter 
Heizfläche  aufgestellt.  Infolge  der  Er- 
weiterung der  Wagen-  und  Locomotiv- 
montirung   gelangte    noch    ein    Röhren- 


kessel mit  100  w*  Heizfläche  zur  Auf- 
stellung. Da  jedoch  mit  Rücksicht  auf 
den  für  Heizzwecke  erforderlichen  Dampf 
trotz  der  Aufstellung  des  dritten  Kessels 
das  Auslangen  mit  denselben  nicht 
gefunden  werden  konnte,  erfolgte  im 
Vorjahre  eine  Auswechslung  der  beiden 
50  wi*  Kessel  gegen  zwei  Multitubular- 
kessel  mit  je  iio  m^  Heizfläche.  Die 
beiden  alten  Flammrohrkessel  erhielten 
Rohrpumpen,  System  Dubiau,  und  kamen 
in  der  Werkstätte  Przemyäl  zur  Auf- 
stellung. 

Die  durch  den  stets  wachsenden  Verkehr 
bedingte  Vermehrung  der  Fahrbetriebs- 
mittel erhöhte  die  an  die  Werkstätte  zu 
stellenden  Anforderungen  und  machte 
[1895]  die  Erbauung  einer  modern  einge- 
richteten Kesselschmiede  sammt  Blechbe- 
arbeitungs-Werkstätte  und  einer  grösseren 
.JCupferschmiede  nöthig.  [Abb.  380  u.  381.] 
Die  im  Freien  situirte,  unversenkte 
Wagenschiebebühne,  welche  ursprüng- 
lich nur  für  Handbetrieb  eingerichtet 
war,  wurde  Anfangs  des  Jahres  1896 
für  elektrischen  Betrieb,  und  zwar  sowohl 
für  das  Verschieben  der  Wagen  als 
auch  für  das  Auf-  und  Abziehen  der- 
selben adaptirt,  und  wird  der  Strom 
von  der  Primär-Dynamomaschine  im 
Dampfmaschinenraume  der  Werkstätte 
bezogen. 

Längs  der  circa  120  m  langen 
Schiebebühnen-Bahn  ist  in  einer  Höhe  von 
5*5  m  über  Schienenkante  die  Contact- 
leitung  gespannt.  Die  Stromabnahme 
erfolgt  durch  ein  Trolley  und  die  Rück- 
leitung des  Stromes  durch  die  Schienen. 
Das  Trolley  wird  von  Armen,  welche  seit- 
lich an  der  Schiebebühne  montirt  sind, 
getragen.     [Vgl.  Abb.  382  und  383.] 

Der  Elektromotor  hat  eine  Leistung 
von  neun  effectiven  Pferdestärken  bei  770 
Touren  pro  Minute  und  150  Volts  Span- 
nung. Für  die  g^össte  Belastung  der 
Schiebebühne,  das  ist  20  f,  beträgt  die 
Geschwindigkeit  circa  i  tn  pro  Secunde, 
und  leistet  der  Motor  hiebei  circa  vier 
Pferdekräfte.  Für  das  Aufziehen  einer  Last 
von  circa  20  t  bei  einer  Geschwindigkeit 
von  durchschnittlich  0*4  m  pro  Secunde 
sind    circa    acht    bis    neun    Pferdekräfte 

I   erforderlich,    wenn    ein    Räderpaar    auf 

I  der  schiefen  Ebene  läuft. 


Werk  stattenwe  sen. 


Die  derzeit  verbaute  Grundfläche  be- 
ziffert sich  mit  15.768  w»',  und  können 
23  Locomotiven  und  49  Wagen  in  heiz- 
baren    Räumen     untergebracht     werden. 

Weiter  besitzen  die  k.  k.  Staats- 
bahnen : 

8.  Zwei  Werkstätten  in  Pilsen,  und 
zwar  eine  errichtet  [1873]  von  der  ehe- 
maligen Eisenbahn  Pilsen- Priesen  [Komo- 
tau]  mit  3310  m*  verbauter  Grundfläche, 
sechs  Locomotiv-  und  14  Wagen-Repa- 
raturständen  im  heizbaren  Räume,  die 
zweite  eröffnet  [1862]  von  der  ehemaligen 


schliessen,  eine  neue  Werkstätte  an  ge- 
eigneter Stelle  zu  erbauen.  Um  sich  ein 
beiläufiges  Bild  von  der  Grösse  der  pro- 
jectirten  Werk  statte  zu  vergegenwärti- 
gen, sei  bemerkt,  dass  dieselbe  so  gross 
angelegt  werden  soll,  dass  gleichzeitig 
54  Locomotiven  und  200  Wagen  in  heiz- 
baren Räumen  untergebr-acht  werden 
können.  Sowohl  für  den  Antrieb  der 
Arbeitsma  seh  inen  als  auch  der  Hebe- 
vorrichtungen, Schiebebühnen  etc.  wird 
die  elektrische  Kraftübertragung  in  Aus- 
sicht genommen. 


Abb.  JS7.     Mail.:, 

Böhmischen  Westbahn  mit  7900  tu'  ver-  i 
bauter  Grundfläche,  neun  Locomotiv-  und 
26    Wagen  -  Reparaturständen     im     heiz- 
baren Räume. 

Infolge     Erweiterung     der     Wagen- 
montirung    in    erstgenannter    Werk  statte 
können  in  derselben  dermalen  39  Wagen 
untergebracht     werden.     Die     wesentlich 
gesteigerten    Verkehrsbedürfnisse  in   der 
Station  Pilsen  ergaben   die    Nothvvendig- 
keit,    den     Bahnhof    bedeutend    zu    ver- 
grössem.  Dieser  in  Ausführung  begriffenen  1 
Vergrösserung  fällt  im  nächsten  Jahre  die  1 
Werkstätte  Pilsen  der  ehemaligen  Eisen-  ' 
bahn  Pilsen -Priesen  [Komotau]  zum  Opfer, 
so  dass  nur  jene  der  Böhmischen  Westbahn 
in  Pilsen  verbliebe.  Mit  dieser  kann  weder 
das  Auslangen  gefunden  werden,  noch  ist 
wegen  des  dort  herrschenden  Platzmangels 
eine     rationelle     Erweiterung     derselben  i 
möglich.    Man  musste  sich  demnach  ent- 


9.  Die  Werkstätte  Przemyäl,  er- 
baut [1860]  von  der  ehemaligen  Galizi- 
schen  Carl  Ludwig-Bahn  mit  3380  m' 
bedeckter  Grundfläche,  einer  Locomotiv- 
montirung  für  elf  Maschinen,  einer 
Wagenmontirung  für  neun  [eventuell  18 
sehr  kurze]  Wagen,  erweitert  [1873  und 
1874]  durch  Errichtung  einer  neuen 
Wagenmontirung  für  60  Wagen.  Mit 
Ausnahme  einer  noch  im  Jahre  1897 
durchgeführten  Vergrösserung  des  Kessel- 
und  Maschinenhauses  erlitt  diese  Werk- 
stätte keine  wesentliche  Veränderung 
mehr,  und  beträgt  die  dermalen  verbaute 
Grundfläche   7390  «(*. 

10.  Die  Werkslätte  Salzburg,  er- 
öffnet [  1 860]  von  der  ehemaligen 
Kaiserin  Elisabeth  ■  Bahn  mit  sieben 
Locomotiv-  und  18  Wagen- Reparatur- 
ständen in  heizbaren  Räumen.  Infolge  der 
Erbauung  einerneuen  LocomotivmoiUirung 


mit  sieben  Ständen  können  derzeit  13 
Locomotiven  in  heizbaren  Käumen  unter- 
gebracht werden.  Die  verbaute  Grundfläche 
misst  5980  Hl'.  Da  sich  insbesonders  die 
Wagenmontirung  in  den  letzten  Jahren  als 
zu  klein  erweist,  wird  an  die  Erbauung 
einer  neuen  geschritten.  Im  Zusammen- 
hange damit  steht  die  Vergrösserung  der 
Holzbearbeitungs- Werk  Stätte,  der  Dampf- 
und Betriebs-Kraftanlage  durch  Aufstel- 
lung neuer  Kessel,  einer  neuen  Dampf- 
maschine, eines  Generators  für  elelektro- 
motorische  Antriebe  etc.   Theilweise  sind 


diese  Arbeiten  bereits  in  Ausführung  be- 
griffen, theilweise  ist  die  Ausarbeitung  der 
noch    nöthigen    Detailprojecte    im    Zuge. 

11.  Die  Werkstätte  St  anislau, 
errichtet  [1866]  von  der  ehemaligen 
Lemherg-CzernowitzerEisenbahn-Gesell- 
schaft  mit  einer  Locomotivmontirung 
für  neun  Locomotiven  und  einer  Wagen- 
montirung für  14  Wagen,  bei  4660  m^ 
gesammter  verbauter  Grundfläche,  er- 
weitert [1874]  durch  Erbauung  einer  neuen 
Wagenmontirung  für    34  Wagen. 

Die  nach  Uebernahme  in  den  Staats- 
betrieb [1889]  seitens  der  k.  k.  Oester- 
reichischen  Staatsbahnen  theüs  bereits 
durchgeführten,  theils  noch  in  Ausführung 
begriffenen  Erweiterungsbauten  in  dieser 
Werkstätte  umfassen :  Eine  neue  Lo- 
comotivmontirung mit  22  Ständen  sammt 
zugehörigen  Locomotiv  -  Hebekrahnen 
und  Schiebebühnen;  eine  neue  Wagen- 
montirung für  54  Wagen,  anstossend 
an  die  im  Jahre  1874  gebaute,  mit 
Räder  -  Transportgeleisen  und  Schiebe- 
bühnen ;  eine  neue  Dreherei,  Holzbearbei- 
tungs-Werkstätte  und  Giesserei,  die  Ver- 


I  grösserung  des  Kesselhauses,  die  Er- 
I  bauung  eines  neuen  Schornsteins  und 
j  Kohlenmagazins,  ein  Gebäude  für  eine 
Räder  versenk- Vorrichtung  und  ein  Ar- 
!  heiter- Control haus  sammt  Warteraum  und 
!  Portierhaus.  Die  stetige  Vermehrung'  der 
I  Arbeitsmaschinen  bedingte  die  Aufstellung 
[  einer  neuen,  und  zwar  circa  Sopferdif^^en 
I  Betriebs- [Compound-] Dampfmaschine. 
I  Von    der    alten    Locomotivmontirung 

I  wurde  ein  Theil  der  bestandenen  Dre- 
j  herei  zugewiesen,  ein  Theil  als  Kessel- 
I  schmiede,  Siederohr- Bearbei tun gs-Werk- 
I  Stätte  und  T3Tessch miede  adaptirt,  mit 
'  den  erforderlichen  Krahnen  ausgerüstet 
1  und  den  nöthigen  Geleise  Verbindungen 
,  versehen.  Infolge  der  neu  hinzugekom- 
I  menen  Objecte  beträgt  die  gesammte  ver- 
I  baute  Grundfläche  16.180  im',  und  können 
i  in  heizbaren  Räumen  22  Locomotiven 
i  und  96  Wagen  untergebracht  werden. 
I  13.  Die  Werkstätte  in  Stryj,  er- 
j  richtet  [1873]  von  der  ehemaligen  Erz- 
!  herzog  Albrecht-Bahn  mit  3281  m'  ver- 
I  bauter  Grundfläche  und  vier  Locomotiv- 
i  und  sechs  W'agen- Reparaturständen  in 
,  heizbaren  Räumen.  Bei  einer  dermalen  ■ 
I  bedeckten  Grundfläche  von  9347  »w' 
I  können  16  Locomotiven  und  49  Wagen 
j  in      heizbaren      Räumen      untergebracht 

I  13.  Die  Werkstätte  Wien,  West- 
i  bahnhol,  errichtet  [1858]  von  der  ehe- 
[  maligen  Kaiserin  Elisabeth -Bahn  mit 
j  14.081  »I*  verbauter  Grundfläche.  In  der 
I  Locomotivmontirung  konnten  14  Loco- 
I  motiven,  in  der  Wagenmontirung  und 
I  Wagenlackirerei  38  Wagen  zur  Auf- 
I  Stellung  gelangen. 

Da  sich  diese  Objecte  als  zu  klein 
I  erwiesen,  wurde  [1877]  eine  neue  Loco- 
motivmontirung [Abb.  384]  mit  acht 
I  Reparaturständen  und  eine  neue  Wagen- 
I  lackirerei  für  acht  Wagen  erbaut.  Eine 
weitere  Vergrösserung  dieser  Werkstätte 
I  fand  bis  zum  Zeitpunkte  der  Ueber- 
j  nähme,  in  den  Staatsbetrieb  [1882]  nicht 
I  statt. 

'  Erst  im  Jahre  1887  erfolgte  inso- 
'  ferne  eine  kleine  Veränderung,  als  an 
das  Kesselhaus  ein  Maschinenhaus  für 
die  Aufstellung  einer  Co mpound- Dampf • 
1  maschine  mit  circa  70  effectiven  Pferde- 
I  stärken  und  vier  Dynamomaschinen  zum 


Werkstättenwesen. 


Zwecke  der  elektrischen  Beleuchtung  des  1 
Bahnhofes     Wien     I     angebaut     wurde. 
Zur    gleichen    Zeit    mussten     die     alten  j 
Werkstätten-Befriebskessel,    da  dieselben 
nicht    mehr    vollkommen     betriebssicher  ' 
waren,  durch  neue  ersetzt    werden.  I 

Die    letzte    Erweiterung    erfuhr    diese  j 
Werkstätte  [1897]  durch  Erbauung  einer  I 
dritten    Locomotivraontirung     mit     neun 
Ständen,     die    mit    der    älteren     mittels  : 
einer    im    gedeckten  Räume    befindlichen 
neuen  Locomotiv -Schiebebühne  verbunden 
erscheint.    Diese  Locomotivraontirung  be-  I 
sitzt  einen  Laufkrahn  mit  50  t  Tragfähig-  1 
keit,  der  wie  die  Schiebebühne  für  Hand-  1 
und  elektrischen  Betrieb  eingerichtet  ist. 

Da  einerseits  die  Compound-Dampf- 
maschine  voll  ausgenützt  wird  und  für 
die  erforderliche  Erweiterung  der  Bahn- 
hofsbeleuchtung nicht  ausreicht,  anderer- 
seits auch  die  Werkstätten  -  Betriebs- 
maschine für  die  gesteigerten  Anfor- 
derungen zu  schwach  ist,  wird  nunmehr 
die  Compound-Dampfmaschine  für  die  Er- 
zeugung von  elektrischem  Strom  zu  Kraft- 
übertragungs-Zwecken für  die  Werkstätte 
herangezogen,  und  die  ganze  elektrische 
Bahnhof- Beleuchtung  von  einer  Wiener 
elektrischen    Central  Station  aus    erfolgen. 

Bei  einer  dermalen  verbauten  Grund- 
fläche von  18.434  '"^  kflnnen  in  der 
Wiener  Werkstätte  31  Locomotiven  und 
46  Wagen  in  heizbaren  Räumen  unter- 
gebracht werden. 

14.  Die  Schiffswerfte  in  Bregenz. 
Zur  Zeit  der  Erbauung  der  Arlbergbahn 
fasste  das  Handelsministerium  den  Ent- 
schluss,  in  Bregenz  zuerst  eine  eigene 
Trajectanstalt  für  di  e  directe  Uebergabe  von 
Eisenbahnwagen  an  die  schweizerischen, 
badiscben  und  württembergi sehen  Bahnen 
in  Romanshom,  Constanz  und  Friedrichs- 
hafen, weiters  aber  auch  eigene  Boote 
für  die  Beförderung  von  Personen  anzu- 
schaffen. Am  15.  September  1884  wurde 
der  Betrieb  der  österreichischen  Schiff- 
fahrt auf  dem  Bodensee  eröffnet. 

Der  Schiffspark  der  k.  k,  Oesterreichi- 
schen  Staatsbahnen  umfasst  gegenwärtig 
drei  Salon-Dampf  boote,  und  zwar  'Kaiser 
Franz  Joseph  I.«,  >Kaiserin  Elisabeth' und 
iKaiserin  Maria  Theresia«,  mit  einer 
maximalen  Tragfähigkeit  von  je  circa 
300  t  und  einem  Fassungsraum  für  circa 


440  Personen;  femer  zwei  Flachdeck- 
Dampf  boote  [Personen-  und  Remorqueur- 
Schiff]  >Habsburgi  und  »Austria«  mit  je 
282  t  maximaler  Tragfähigkeit  und  einem 
Fassungsraume  für  je  circa  360  Personen, 
ein  Propellerboot  (Remorqueur]  »Bregenz« 
mit  175  t  Tragfähigkeit,  ein  Propellerboot 
[Personenschiff]  »Caroline«  fUr  24  ^  und 
25  Personen,  vier  Trajectkähne  für  je 
acht  beladene  Wagen  mit  zusammen 
1470  t  Tragfähigkeit  und  vier  Ruder- 
boote für  den  Hafendienst. 

Behufs   Durchführung    von    kleineren 
Reparaturen  an  den  einzelnen  Schiffen  be- 


Abb.  J89.    Einfache  ■clbatlbatlge  Fifiimatchlne. 

fand  sich  auf  dem  kleinen  Molo  eine  kleine 
Werkstätte.  Um  jedoch  jene  Reparaturen 
und  Arbeiten,  welche  eine  Trockenlegung 
der  Schiffe  bedingten,  durchführen  zu 
können,  musste  bis  zur  Zeit  der  Erbauung 
einer  eigenen,  für  die  österreichische 
Boden see-Schiffahrt  bestimmten  Werfte 
die  Hilfe  der  anderen  vier  Uferstaaten, 
welche  bereits  eigene  Werften  besassen, 
in  Anspruch  genommen  werden.  Man 
entschloss  sich  deshalb  [1886],  in  das 
Programm  für  die  Vergrösserung  des 
Hafens  in  Bregenz  unter  Anderem  auch 
den  Bau  einer  eigenen  Werfte  aufzu- 
nehmen. 

Bei  der  Verfassung  der  Detailprojecte 
entschied  man  sich  für  die  Erbauung  eines 
Trockendocks     [Abb.    385]     mit     einem 


Maschinen-  und  Pumpenhaus,  einer  Werk- 
stätte sowie  der  erforderlichen  Magazine 
für  Verbrauchs  -  Materialien  und  der 
Depots  für  die  Aufbewahrung  der  Aus- 
rUstungs-Gegenstände. 

Mit  dem  Baue  des  Trockendocks 
wurde  im  März  1888  begonnen;  Ende 
1890  war  es  fertig,  und  konnte  mit  dem 


Einhängen  der  eisernen  Stemmthore, 
welche  als  Schwimmthore  construirt  sind, 
begonnen  werden.  Ende  September  1891 
wurde  der  ganze  Dockbau  sammt  Werfte 
zur  Benützung  übergeben  und  bereits  am 
3.  October  erfolgte  die  erste  Dockung  des 
Salondampfers  »Kaiser  Franz  Joseph  I.«, 
der  binnen  27*  Stunden  trocken  auf  der 
Klotzung  lag. 

In    das    currente    Geleise    der    Bahn 
musste,  um  die  Zufahrt  der  Schiffe  zum 


Dock  zu  ermögtichen,  eine  Drehbrücke 
eingelegt  werden. 

Abb.  385  gewährt  einen  Blick  ins 
Trockendock,  und  ist  aus  derselben  auch 
die  Drehbrücke  sowie  die  rückwärtige  Fa- 
9ade  des  Maschinen-  und  Pumpenhauses 
und  ein  Theil  der  angrenzenden  Werk- 
stätte zu  sehen.  [Vgl.  auch  Bd.  I,  2.  Theil, 
Abb.  57  und  58,  und  Bd.  11,  Abb.    164.] 

Das  Trockendock  ist  für  die  grösslen 
Boote  auf  dem  Bodensee  dimensionirt, 
besitzt  eine  oberste  Breite  von  i6'36  m 
bei  einer  grössten  Länge  von  6161  m. 
Der  senkrechte  Abstand  zwischen  den 
Widerlagern  der  Drehbrücke  und  dem 
Unterhaupte  misst  i486  m. 

Behufs  Trockenlegung  des  Docks  kam 
eine  circa  6opferdige  Compound- Conden- 
sations-Dampfmaschine  für  den  Betrieb 
einer  Gen  tri  fugal  pumpe  mit  einer  maxima- 
len Leistung  von  iioo  wi'  pro  Stunde  zur 
Aufstellung.  Diese  Dampftnaschine  dient 
auch  für  die  elektrische  Beleuchtung  des 
Bahnhofes  Bregenz  und  der  WerftanJage. 

Zum  Ausbringen  der  Sickerwässer 
aus  dem  Dock  ist  Überdies  eine  eigene 
Dampfpumpe  mit  einer  Leistung  von 
circa  20  m*  pro  Stunde  vorhanden. 

Die  Werk  Stätte  [sammt  Mas  ch  inen - 
und  Pumpenhaus  mit  1134  tn'  Grund- 
fläche] ist  mit  den  nöthigen  Eisen-  und 
Holzbea rbeitungs- Maschinen  ausgestattet, 
deren  Antrieb  eine  zehnpferdige  Dampf- 
maschine besorgt. 

Einschliesslich  der  im  Staatsbetriebe 
befindlichen  Linien  besitzen  die  k.  k. 
O esterr ei chi sehen  Staatsbahnen  je  eine 
Heizhaus  -  Werkstätte  in:  Amstetten, 
Budweis,  Czernowitz,  DivaCa, 
Ebensee,  Feldkirch,  Graz,  Jägern- 
dorf, Krakau,  Laibach,  Mähr.- 
Schönberg,  Nusle,  Spalato,  Tabor 
und  Wien  II  [Kaiser  Franz  Josef- 
Bahnhof]. 


Die  Ausdehnung  sämmtlicher  Werk- 
stätten der  k.  k.  O es terre ich i sehen  Staats- 
bahnen in  ihren  verschiedenen  ursprüng- 
lichen Erbauungsjahren  zusammen- 
gefasst,  ergibt  eine  gesammte  verbaute 
Grundfläche  von  68.088  m*  mit  109  Loco- 


W  erk  s  tä  tten  we  s  e  n . 


motiv-  und  334  Wagen- Reparaturständen 
in  heizbaren  Räumen, 

In  den  Staatsbetrieb  wurden  86.977  »m* 
verbaute  Grundfläche  rnit  137  Locomo- 
tiv-  und  410  Wagen- Reparaturständen 
übernommen. 

Dagegen  besitzen  derzeit  die  Werk- 
stätten der  k.  k.  O es terre ichischen  Staats- 
bahnen eine  gesammte  verbaute  Grund- 
fläche von  179.667  m*,  348  Locomotiv- 
und  817  Wagen- Reparaturstände  in  heiz- 
baren Räumen. 

Diese  Zahlen  sprechen  deutlich  für 
die  namhafte  Ausgestaltung  der  verstaat- 
hchten  Werkstätten  in  der  Zeit  von  der 


i  stärken,  an  Dampfkessel  30  StUck  mit  zu- 
I  sammen  1570  m*  Heizfläche  vorhanden; 
'  derzeit  arbeiteninsämmtlichen Werkstätten 
39  Dampfmaschinen  mit  zusammen  circa 
1640  Pferdestärken  und  für  den  gesamm- 
ten  Dampfbedarf  50  Dampfkessel  mit  zu- 
sammen 4345  »1*  Heizfläche.  Sämmtliche 
neu  hinzugekommenen  Dampfmaschinen 
und  Dampfkessel  wurden  von  inlän- 
dischen Firmen  ausgeführt. 

Zur  Zeit  der  Verstaatlichung  -der 
einzelnen  Privatbahnen  waren  nur  in 
wenigen  Werkstätten  einzelne  Räume 
mit  Dampfheizung  ausgestattet.  Während 
des   Staatsbetriebes    wurden    aber   nicht 


Uebemahme  derbezüghchen  Privatbahnen 
in  den  Staatsbetrieb  bis  zum  heutigen  Tage. 

Wenn  wir  in  analoger  Weise  die 
Anzahl  der  Arbeitsmaschinen,  Dampf- 
kessel und  Dampfmaschinen  betrachten, 
gelangen  wir  zu  folgenden,  gleichfalls 
interessanten  Ziffern: 

Die  ursprüngliche  Anzahl  der  Arbeits- 
maschinen der  Werkstätten  der  k.  k. 
O  est  erreicht  sehen  Staatsbahnen,  abge- 
sehen von  allen  Arten  Hebevorrichtungen, 
Schiebebühnen,  Drehscheiben,  diversen 
Schmiedefeuem,  Glühöfen,  Richtplatten, 
Schleifsteinen,  Ventilatoren,  Farbenreib- 
maschinen  etc.  stieg  bis  zur  Uebemahme 
in  den  Staatsbetrieb  von  699  auf  884 
und  beträgt  heute   1586. 

An  Dampfmaschinen  waren  ursprüng- 
lich 16  Stück  mit  zusammen  481  Pferde- 


nur  fast  sämmtliche  neu  erbauten  Ob- 
jecte,  deren  Gesammtausmass  jenes  aller 
Obernomraenen  übersteigt,  sondern  auch 
ein  Theil  der  schon  bestandenen  Räume 
mit  Dampfheizung  versehen. 

Berücksichtigt  man  weiter,  dass  ein 
Mehrverbrauch  von  Dampf  infolge  der 
höheren  Mascliinenleistungen  nothwendig 
wurde,  ferner  dass  in  der  angeführten  Kes- 
selanzahl auch  jene  der  Reservekessel  ent- 
halten ist  und  schliesslich  bei  Bemessung 
der  Kessel  auf  eine  künftige  Steigerung 
des  Dampfconsums  Rücksicht  genommen 
wurde,  dann  muss  die  Anzahl  der  Kessel, 
von  welchen  die  neu  aufgestellten  je  lOO 
bis  1 10  wi' Heizfläche  besitzen,  gewiss  noch 
als  eine  geringe  bezeichnet  werden.  Dass 
das  Auslangen  mit  derselben  gefunden 
werden  kann,    hat  seinen  Hauptgrund  in 


^6 


Julius  Spitzner. 


der  wirthschaftlichen  Ausnützung  des 
Auspuffdampfes  zu  Heizzwecken.  Auch 
die  neu  aufgestellten  Dampfmaschinen, 
bei  deren  Bemessung  gleichfalls  auf  eine 
künftige  Mehrbelastung  Rücksicht  ge- 
nommen wurde,  arbeiten  öconomisch. 

Im  Vorstehenden  haben  wir  in  flüch- 
tigen Zügen  die  Entwicklung  der  Haupt- 
werkstätten der  österreichischen  Eisen- 
bahnen gekennzeichnet.  Die  bedeutende 
Entwicklung,  die  das  Werkstättenwesen 
der  österreichischen  Eisenbahnen  ge- 
nommen hat,  ist  in  nachstehenden  Ziffern 
zusammengefasst : 


I 


Im  Jahre  1848  hatten  die  bis  da- 
hin eröffneten  Eisenbahnen  Oesterreichs 
circa  i6.cx)0  w*  Grundfläche  für  Werk- 
stätten-Zwecke .  verbaut.  Mit  Ende  des 
heurigen  Jahres  bedecken  sämmtliche 
Objecte  der  in  diesem  Abschnitte  zur 
Sprache  gekommenen  Eisenbahn -W^erk- 
stätten  einen  Flächenraum  von  circa 
474.000  w*.  Es  sind  hiebei  weder  die 
in  einzelnen  Werkstätten  vorhandenen 
Flugdächer,  noch  die  Heizhaus-W^erk- 
stätten  berücksichtigt.  Auch  die  Maschi- 
nenfabrik der  Staatseisenbahn  -  Gesell- 
schaft wurde  in  diese  Betrachtung  nicht 
einbezogen. 


Arbeitsmaschinen. 


Die  ersten  Werkstätten  bezogen  die 
Arbeitsmaschinen  grösstentheils  aus  dem 
Auslande,  und  zwar  von  England.  Im 
Jahre  1854  begann  man  in  Oesterreich 
Arbeitsmaschinen  zu  bauen  und  bereits 
Ende  der  Sechziger-  und  Anfangs  der 
Siebziger  -  Jahre  wurden  österreichische 
Eisenbahn  -Werkstätten  fast  vollständig 
nur  mit  inländischen  Maschinen  aus- 
gerüstet. 

Heute  können  wir  mit  Genugthuung 
feststellen,  dass  die  Maschinenindustrie 
Oesterreichs  bereits  auf  jener  Höhe  an- 
gelangt ist,  welche  gestattet,  dass  nicht  nur 
sämmtliche  für  Eisenbahn -Werkstätten  all- 
gemein erforderlichen  maschinellen  Ein- 
richtungen, sondern  auch  die  verschieden- 
artigstenSp ecialmaschinen  im  Inlande 
erzeugt  werden.  Unsere  Abb.  386 — 393 
zeigen  einige  dieser  in  den  Eisenbahn- 
Werkstätten  Oesterreichs  in  Verwendung 
stehenden  und  im  Inlande  erzeugten 
Specialmaschinen :  Abb.  386  eine  zehn- 
spindlige  Bohrmaschine  mit  gemeinsam 
verstellbaren  Bohrspindeln  zum  gleich- 
zeitigen Bohren  von  Nietlöchern  in  Kessel- 
blechen in  gleichen  Abständen  von 
130  bis  240  nun;  Abb.  387  eine  sechs- 
fache Mutterschneidmaschine  zum  Ge- 
windeschneiden; Abb.  388  eine  Schrau- 
benschneidmaschine,  System  Seilers,  zum 
Schneiden  von  Witworthgewinden  von 
V2  —  2"  englisch  und  von  Kuppelungs- 
gewinden. 


In  den  letzten  Jahren  ist  es  insbeson- 
ders  die  Fräsmaschine,  welche  im 
allgemeinen  Maschinenbau  und  in  Eisen- 
bahn-Werkstätten in  vielen  Fällen  an 
Stelle  der  Hobelmaschine,  Stossmaschine 
etc.  ausgedehnteste  Anwendung  findet, 
wenngleich  für  Massenerzeugung  Special- 
Fräsmaschinen  schon  seit  einer  langen 
Reihe  von  Jahren  in  den  verschiedensten 
Industrieen  bei  Herstellung  von  Werk- 
zeugen, Armatur-Bestandtheilen  u.  s.  w. 
im  ausgedehntesten  Gebrauche  stehen. 

Das  Fräsen  bietet  gegenüber  dem 
Arbeitsgange  beim  Hobeln,  Stossen  u.  dgl. 
den  Vortheil,  dass  die  gewünschten 
Arbeitsflächen  mittels  eines  nur  ein- 
maligen Uebergehens  durch  das  Werk- 
zeug —  die  »Fräse«  —  so  vollkommen 
hergestellt  werden  können,  dass  hiebei 
weitere  Nacharbeiten,  wie  dies  bei  Bear- 
beitung mit  anderen  Werkzeugmaschinen 
der  Fall  ist,  entbehrlich  sind. 

Das  Fräsen  wird  zur  Bearbeitung  der 
verschiedenartigsten  Materialien,  wie 
Metall,  Holz  etc.,  angewendet.  Aber  erst 
durch  die  Verwendung  des  Schmirgel- 
schleifrades beim  Herstellen  und  Schärfen 
der  Fräser  ist  die  Fräsarbeit,  die  bis 
dahin  auf  Metall  nur  in  beschränktem 
Masse  Anwendung  fand,  zu  jener  Be- 
deutung gelangt,  die  sie  heute  sowohl  als 
vorzügliches  Mittel  zur  Massenerzeugung 
als  auch  für  allgemeine  Zwecke  in  den 
Werkstätten  besitzt. 


Werk  Stättenwesen. 


607 


Unsere     Abb.    38g    stellt    eine    ein-  1 
fache    selbstthätige    Fräsmaschine     zum  j 
Fräsen     der     verschiedenartigsten     Ma- 
schinenthcile  sowie  für  die  Massenerzeu-  I 
gung     gleichartiger     Gegenstände      dar;  ; 
Abb.  390   eine  freistehende,  selbstthätige 
Fräsmaschine   mit  vertical    verstellbarem 
Fräsapparat  und  mit  einem  der  Länge  und 
Quere  nach  verstellbarem  und  im  Kreise  i 
drehbarem,  run  JemTisch ;  die  Abb.  391 ,  392  | 
und  393  stellen  eine  doppelte  Tyres-Fräs-   1 
maschine   zum  Fräsen    der  Wagenräder-  | 


zweckmässig,  indem  einerseits  der  Druck 
der  Keile  scbwerzu  bemessen  ist,  anderer- 
seits die  Ausübung  zu  hoher  Drucke  beim 
Eintreiben  der  Keile  nicht  sehen  ein 
Sprengen  der  Radnaben  zur  Folge  hatte. 
Diese  Missslände  führten  dazu,  die  ge- 
nannten Theile  mittels  Aufpressen  [in 
gewissen  Fällen  unter  gleichzeitiger  An- 
wendung von  Keilen]  zu  befestigen.  Die 
ersten  Pressen  waren  Spindelpressen  mit 
Handbetrieb,  welche  bald  durch  hydrau- 
lische Pressen    ersetzt    wurden,    da    mit 


Abb.  TO>-    Doppelle 

laufkränze  mit  Fa^onfräsern,  mit  Pumpe  | 
und  Druckleitung  dar. 

Während       ursprünglich       nur      die  , 
Arbeitsmaschinen       von      den       mittels 
Dampfmaschinen  in  Bewegung  gesetzten 
Transmissionen       angetrieben       wurden, 
waren      die       sonstigen      mechanischen 
Werk  Stätten -Einrichtungen,  wie  beispiels- 
weise      Schiebebühnen,       Drehscheiben,  . 
Krahne    etc.,   fast    ausnahmslos   nur   für  j 
Handbetrieb    eingerichtet.     Als    sich    je-  ! 
doch    die    Fortschritte    der    Technik    der  [ 
Verwendung    von   Druckwasser,    Druck- 
luft,   explosiblen  Gasen    und  Elektricität 
etc.  für   verschiedenartige  Arbeitszwecke 
bemächtigte,  verschafften  sich  diese  mo- 
torischen Kräfte    auch    im    Werkstätten- 
betriebe Eingang.  1 

Die  Befestigung  der  Räder  und  Kur- 
beln auf  den  Achsen  der  Fahrzeuge  fand 
seinerzeit  nur  mittels  Keilen  statt.  Diese 
Befestigungsart     erwies    sich    nicht    als 


denselben  ein  beliebig  hoher  und  leicht 
zu  bemessender  Druck  bequem  erzeugt 
werden  kann. 

Die  neuesten  hydraulischen  Räder- 
pressen sind  sowohl  für  das  Vorwärts- 
treiben als  auch  für  das  Rückziehen  des 
Presskolbens  hydraulisch  eingerichtet,  im 
Bedarfsfalle  behufs  Ein-  und  Ausheben 
der  Räderpaare  mit  hydraulischen  Krahnen 
ausgerüstet,  und  schliesslich  zum  Ver- 
zeichnen des  ausgeübten  Druckes  während 
der  Pressperiode  mit  eigenen  Indicatoren 
versehen. 

Eine  weitere  Anwendung  der  Hydraulik 
finden  wir  in  einzelnen  Eisenbahn-Werk- 
stätten bei  den  dort  verwendeten  hydrau- 
lischen, feststehenden  und  transportablen 
Nietmaschinen  zur  Herstellung  von  Ver- 
nietungen an  Dampfkesseln  etc.,  wie  z,  B. 
in  der  Kesselschmiede  der  Locomotiv- 
Werkstätte  in  Floridsdorf  der  Kaiser 
Ferdinands- Nordbahn  und  in  der  Central- 


6o8 


Julius  Spitzner. 


Werkstätte  Linz  der  k.  k.  Oesterreichi- 
schen  Staatsbahnen. 

Ebenso  hat  sich  die  Verwendung  von 
Druckwasser  für  verschiedenartige  Hebe- 
vorrichtungen Eingang  zu  verschaffen  ge- 
wusst,  insbesondere  für  Drehkrahne,  Hebe- 
böcke, Räderversenk  -  Vorrichtungen  etc. 
Einen  grösseren  hydraulischen  fahrbaren 
Drehkrahn  besitzt  die  Kesselschmiede 
der  Locomotiv- Werkstätte  der  Kaiser 
Ferdinands-Nordbahn   in  Floridsdorf. 

Zum  Heben  der  Räderpaare,  Rad- 
reifen etc.  besitzt  die  Tyresschmiede  der 
Centralwerkstätte  Linz  zwei  Stück  hy- 
draulische Drehkrahne  mit  einer  Trag- 
fähigkeit von  je  4000  kg  bei  3*6  nifti 
Ausladung.  [Vgl.  Abb.  375.] 

Eine  ziemlich  ausgedehnte  Verwen- 
dung des  Druckwassers  finden  wir  auch 
bei  den  verschiedenartigsten  Schmiede- 
pressen, Rohrprobir-Maschinen  etc. 

Für  die  Fortbewegung  von  Schiebe- 
bühnen sowie  für  das  Auf-  und  Abziehen 
von  Fahrzeugen  auf,  beziehungsweise  von 
denselben  sind  Dampf-,  Petroleum-  oder 
elektrische  Motoren  in  Verwendung.  Die 
Dampfmotoren  sind  älteren  Datums  und 
häufig  für  diese  Zwecke  anzutreffen, 
Petroleummotoren  kommen  wohl  seltener, 
dagegen  elektrische  Motoren  in  neuester 
Zeit  mit  immer  wachsender  Beliebtheit 
in  Gebrauch. 

Ein  Petroleummotor  für  den  Antrieb 
einer  Schiebebühne  kam  bei  den  öster- 
reichischen Eisenbahnen  zum  ersten  Male 
[1889]  in  der  Werkstätte  Gmünd  der 
k.  k.  Oesterreichischen  Staatsbahnen  für 
den  Antrieb  einer  Locomotiv-Schiebe- 
bühne  mit  56  /  Tragfähigkeit  dauernd  in 
Verwendung.  Bei  einer  Belastung  der 
Schiebebühne  mit  54  t  wird  dieselbe  mit 
10  bis  12  m  Geschwindigkeit  pro  Minute 
vom  Petroleummotor  fortbewegt,  wo- 
gegen bei  gleicher  Belastung  mit  Hand- 
betrieb durch  vier  Mann  die  Geschwindig- 
keit nur   1*6  w  beträgt. 

Die  Verwendung  von  Druckluft 
finden  wir  für  einzelne  Arbeitsmaschinen, 
w-ie  z.  B.  bei  Lufthämmern,  pneumatischen 
Nietanlagen,  wie  eine  solche  in  der  Werk- 
stätte L  e  m  b  e  r  g  der  k.  k.  Oesterreichi- 
schen Staatsbahnen  im  lieurigen  Jahre  zur 
Ausführung  kam,  bei  Blechstemm- 
Maschinen  etc. 


Einen  wesentlichen  Einfluss  auf  den 
maschinellen  Werkstättenbetrieb  sowie 
auf  die  Situirung  der  einzelnen  Objecte 
bei  Verfassung  von  Projecten  für  Er- 
weiterung oder  Neuanlage  von  Eisen- 
bahn-Werkstätten nimmt  in  den  letzten 
Jahren  ganz  besonders  die  elektrische 
Kraftübertragung. 

Dieselbe  findet  bei  Hebvorrichtungen, 
wie  z.  B.  bei  Laufkrahnen  zum  Heben 
von  Locomotiven,  beim  Antrieb  von 
Schiebebühnen,  von  Gruppen-  und  Einzel- 
antrieb diverser  Arbeitsmaschinen,  Ven- 
tilatoren etc.,  Anwendung. 

Derartige  Einrichtungen  sehen  wir 
in  den  grösseren  Werkstätten  der  k.  k. 
Oesterreichischen  Staatsbahnen  und  theil- 
weise  auch  in  anderen  Eisenbahn- Werk- 
stätten Oesterreichs. 

Die  seit  der  Betriebseröf&iung  der 
ersten  Eisenbahnen  Oesterreichs  auf  eine 
bedeutende  Höhe  gebrachte  inländische 
Production,  insbesonders  jene  von  Metallen 
und  Baumaterialien  aller  Art  hat  das  Zu- 
standekommen von  Materialprüfungs- 
Maschinen,  mit  welchen  man  in  der 
Lage  ist,  die  verschiedenen  Eigenschaften 
der  Materialien,  wie  deren  Festigkeit, 
Dehnung,  Elasticität  etc.,  zu  prüfen,  rascher 
als  in  manch  anderen  Ländern  gefbrdert. 
In  der  Construction  und  Ausführung  dieser 
Maschinen  hat  man  es  zu  einer  bedeu- 
tenden Vervollkommnung  gebracht. 

In  voller  Erkenntnis  der  Wichtigkeit 
der  Material-Erprobungen  wenden  auch 
die  Eisenbahn- Werkstätten  denselben  seit 
jeher  besonderes  Augenmerk  zu.  Zumeist 
werden  die  zur  Verwendung  kommenden 
Materialien  schon  an  den  Erzeugungs- 
stellen durch  die  von  den  Eisenbahn- 
Verwaltungen  zur  Uebernahme  dahin 
delegirten  Organe  erprobt,  zu  welchem 
Ende  in  den  bezüglichen  Werken  die  ge- 
eigneten Material  prüf  ungs- Maschinen  vor- 
handen sind.  Trotzdem  besitzen  die  grösse- 
ren Eisenbahn -Werkstätten  eigene  der- 
artige Maschinen,  um  jederzeit  in  der 
Lage  zu  sein,  sowohl  von  gelieferten 
Materialien,  als  auch  von  Stücken,  welche 
im  Betriebe  defect  geworden,  genaue  Er- 
probungen durchführen  zu  können. 

Auch  bei  diesen  Specialmaschinen 
kommt  in  vielen  Fällen  Druckwasser  in 
Verwendung.  Wir  wollen  aber  hier  gleich 


Werkstättenwesen. 


609 


bemerken,  dass  die  derart  durchgeführte 
Beanspruchung  der  Probestücke  auf  den 
Zerre issmasch inen  noch  keinen  sicheren 
Schluss  auf  das  Verhalten  des  betreffen- 
den Materials  im  Betriebe  zulässt,  da 
hier  auch  noch  verschiedenartige  Stoss- 
wirkungen  auftreten. 

Man  ist  daher  angewiesen,  durch  ander- 
weitige Proben  die  Beschaffenheit  des 
Materials  zu  untersuchen,  wie  z.  B.  durch 
Schmiede-,    Biege-,   Loch-   und  sonstige 

Da  die  Achsen  und  Räder  für  die  Sicher- 
heit des  Betriebes  eine  hervorragende  Rolle 
spielen,  wird  naturgemäss  denselben  die 
grösste  Aufmerksamkeit  geschenkt.  Es  er- 


Zum  Schlüsse  seien  hier  noch  die 
Brücken  wagen  erwähnt,  welche 
als  Special -Einrichtung  sowohl  in  den 
Werkstätten,  als  auch  im  sonstigen 
Eisenbahnbetriebe  eine  wichtige  Rolle 
spielen. 

Für  Werkstätlenzwecke  finden  einer- 
seits die  Geleise-  oder  Waggonwagen, 
andererseits  die  Locomotiv  -  Brücken- 
wagen Anwendung.  Letztere  dienen 
dazu,  um  den  Druck,  welchen  jedes  ein- 
zelne Rad  der  Locomotive  auf  seine 
Unterlage  ausübt,  möglichst  genau  be- 
stimmen und  die  Federspannungen  an 
der  Locomotive  derart  reguliren  zu  können, 
dass  das  Ges am mtge wicht  der  Maschine 


folgt  nicht  nur  eine  Erprobung  der  Mate- 
rialien, aus  welchen  sie  angefertigt  werden 
rUcksichtlich  der  an  dieselben  zu  stellenden 
Anforderungen,  sondern  auch  fertige  Ach-  ; 
sen,  Radsterne,  Radscheiben,  Radreifen 
etc.  werden  verschiedenartigen  Proben 
unterworfen.  Gegenüber  den  im  Betriebe 
auftretenden  Stoss Wirkungen  wird  auf  so-  ' 
genannten  Schlag- und  Fallwerken  geprüft. 

Derartige  Vorrichtungen  besitzen  alle 
jene  Eisenwerke,  welche  die  genannten 
Theile  erzeugen. 

Auch  die  Kaiser  Ferdinands-Nordbabn 
erbaute  [1H94]  in  ihrer  Floridsdorfer 
Locomotiv- Werk  Stätte  ein  solches  modern 
ausgerüstetes  Schlagwerk,  behufs  Durch-  , 
filhrung  der  vorerwähnten  Material -Güte-  ' 
proben  mit  einer  Höchstleistung  von 
7000  mkg. 


in  entsprechender  Weise  auf  die  einzelnen 
Räder  vertheilt  wird.  IJie  Waggon-  und 
Locomotiv- Brückenwagen  auf  eine  so 
hohe  Stufe  der  Vervollkommnung  ge- 
bracht zu  haben,  ist  ebenfalls  ein  Haupt- 
verdienst der  heimischen  Industrie. 


Wir  haben  hier  zuerst  die  wenigen 
vor  dem  Jahre  1848  gegründeten  Eisen- 
bahn-Werkstätten dem  Leser  vorgefülirt 
und  deren  grösstentheils  vom  Auslande 
bezogenen,  primitiven  maschinellen  Ein- 
richtungen Erwähnung  gethan.  Femer 
wurden  die  Werkstätten  der  einzelnen 
grösseren  österrei  einsehen  Uahnverwal- 
tungen  und  deren  Entwicklung  seit 
ihrer  Erbauung  bis  zum  beutigen  Tage 
3'> 


kurz  geschildert  und  schliesslich  gezeigt, 
wie  dieselben  heute  mit  den  modernsten  Ar- 
beitsmaschinen und  anderen  Werkstätten- 
Einrichtungen  ausgestattet  sind,  die  fast 
ausschliesslich  im  Inlande  erzeugt  werden. 
Wenige  Ziffern  haben  uns  gezeigt, 
da  SS  schon  die  räumliche  Ausdehnung 
der  Werkstätten  im  Laufe  der  Zeit  gewal- 


tige Fortschritte  gemacht  hat.  Die  Technik 
im  Werkstätten wesen  hat  auch  in  un- 
serem Vaterlande  sich  die  neuesten  Er- 
findungen und  Erfahrungen  zu  Nutze  ge- 
macht und  seiner  Bedeutung  entsprechend 
hervorragend  gefördert,  geht  dasselbe  in 
Oesterreich  stetig  seiner  weiteren  Vervoll- 
kommnung entgegen. 


Zugförderung. 


Von 


Ottokar  Kazda, 

Ober-Inc^enieur  der  priv.  österreichisch-ung^arischen  Staatseisenbahn^GeselUchaft. 


39* 


DIE  Zugförderung  ist  das  unmittel- 
bare Ergebnis  von  Stephenson's 
genialer  Idee,  die  Wagen  auf  den 
Schienenwegen  mittels  Dampfkraft  fort- 
zuschaffen,   sie  als  Zug    formirt,    zu   för- 

Dies  besorgten  auf  den  heimischen 
Bahnen  zu  Beginn  der  Eisenbahnära,  im 
Verbände  der  damaligen  Betriebsleitungen 
[Sectionen],  aus  dem  Auslande  berufene 
Maschinisten,  die  ihre  in  der  Fühning 
der  Locomotive  daheim  erworbenen  Kennt- 
nisse und  Erfahrungen  nunmehr  Oester- 
reichs  jungen  Unternehmungen  nutz- 
bringend zu  machen  hatten. 

Sicheres  Auftreten  gepaart  mit  aus- 
geprägtem Standesbewusstsein  verhalf 
diesen,  zumeist  infolge  besonderer  Quali- 
ücation,  herangezogenen  und  deshalb 
auch  höher  entlohnten  Locomotivführem 
zu  einem  persönlichen  Ansehen,  das 
nicht  wenig  durch  den  Umstand  gehoben 
wurde,  dass  die  Vorgesetzten  des  Führers 
in  jener  Zeit  dem  eigentlichen  Locomotiv- 
betriebe  mehr  oder  weniger  noch  fremd 
gegenüberstanden  und  infolgedessen  in 
maschinentechntscher  Hinsicht  auf  die 
Erfahrung  des  Locomotivführers  und  der 
zumeist  aus  diesem  Stande  hervor- 
gegangenen Maschinenmeister  angewiesen 
waren. 

Es  kann  daher  nicht  wundernehmen, 
dass  die  Ansicht  sich  verbreitete,  nur 
der  Führer  allein  vermöge  Leistung  und 
Zustand  seiner  Locomotive  richtig  zu 
beurtheilen,    den  Umfang    allfällig  erfor- 


derlicher Nacharbeiten  zu  ermessen  und 
diese  sachgemäss  auszuführen.  Dies 
hatte  zur  weiteren  Folge,  dass  der  Führer 
und  seine  Locomotive  gleichsam  ein 
untrennbares  Ganzes  bildeten,  das  auch 
dann  bestehen  blieb,  wenn  die  betreffende 
Locomotive  an  die  Werkstätte  zur  Repa- 
ratur abgehen  musste. 

Dadurch  entwickelte  sich  ein  in  das 
Mystische  hin  überspielen  des  Verhältnis 
zwischen  Führer  und  Locomotive,  das 
dem  Dienste  der  ersteren  in  den  Augen 
der  Fem  ersteh  enden  den  Anstrich  einer 
Kunst  verlieh,  gleichzeitig  aber  auch  die 
Führer  veranlasste,  der  Wartmig  ihrer 
Locomotiven  grössere  Obsorge  zu  wid- 
men, um  diese  Meinung  zu  rechtfertigen. 

Die  Mitwirkung  der  Locomotivführcr 
in  den  Werkstätten  hatte  ihr  Gutes,  weil 
sie  den  Führern  ermöglichte,  den  Zu- 
stand ihrer  Locomotiven  thatsächlich  bis 
in  das  kleinste  Detail  kennen  zu  lernen; 
trotzdem  erwies  sich  dieselbe  in  der 
Folge  als  unzureichend,  da  der  später 
fast  ausschliesslich  dem  Heizerstande 
entnommene  Füh  remach  wuchs,  mangels 
genügender  Ausbildung  im  Schlosser- 
handwerke, den  Anforderungen  nicht  mehr 
in  jenem  Masse  nachzukommen  vermochte, 
als  dies  seitens  der  älteren  Führer  geschah. 

Infolge  letzteren  Umstandes  trat  aber 
auch  die  Nothwendigkeit  einer  eingehen- 
deren Ueberwachung  des  Fahrdienstes 
ein,  die  im  Beginne  der  Fünfziger-Jahre 
zur  Aufstellung  eigener  Heizhaus- 
leitungen führte. 


6i4 


Ottokar  Kazda. 


An  die  Spitze  dieser  wurden  im 
Maschinendienste  erfahrene  Beamte  ge- 
stellt, denen  nebst  der  Regelung  und 
Ueberwachung  des  Fahrdienstes  vor- 
wiegend die  Erhaltung  der  im  Betriebe 
stehenden  Locomotiven  und  Wagen  über- 
tragen wurde.  Dies  war  der  erste 
Schritt  zu  einer  den  Betriebs-Erfordemissen 
Rechnung  tragenden  Ausgestaltung  des 
Zugförderungsdienstes. 

Kurze  Zeit  darauf,  nach  dem  Jahre 
1855,  geschah  der  zweite  Schritt,  indem 
die  bereits  weiter  ausgebildete  Dienstes- 
organisation der  französischen  Bahnen 
in  Oesterreich-Ungam  zur  Einführung 
gelangte.  Diese  erforderte  die  Trennung 
der  Agenden  des  Zugförderungsdienstes 
von  jenem  des  Verkehrsdienstes  imd  die 
^  Vereinigung  des  ersteren  mit  dem  Werk- 
stättendienste zu  einem  eigenen,  ad- 
ministrativ abgesonderten  Ressort,  dem 
die  bestehenden  Heizhausleitungen  und 
Werkstätten  sammt  allenfalls  eingescho- 
benen Ueberwachungsstellen  unterstellt 
wurden. 

Diese  Organisation  blieb,  abgesehen 
von  einigen,  seither  eingetretenen,  nicht 
gerade  wesentlichen  Aenderungen,  bis 
auf  den  heutigen  Tag  in  Kraft. 

Mit  der  Loslösung  des  Zugförderungs- 
dienstes aus  dem  Zusammenhange  der 
Betriebsleitungen  beginnt  dessen  sach- 
gemässe  Ausgestaltung,  und  datirt  auch 
der  Fortschritt  in  diesem  Dienstzweige. 
Entsprechende  Einflussnahme  auf  die 
Fahrweise  und  die  Belastung  der  Züge 
und  damit  auf  den  Aufbau  des  Fahr- 
planes, führte  zu  einer  rationelleren  Aus- 
nützung des  Locomotivparkes  und  er- 
möglichte, bei  gleichzeitig  erhöhter  Be- 
triebssicherheit dem  in  steter  Steigung 
begriffenen  Verkehre  mit  den  gegebenen 
Mitteln  Rechnung   zu  tragen. 

Zwei  Richtungen  sind  es  vornehmlich, 
nach  denen  dem  Zugförderungsdienste 
stets  neue  und  grössere  Anforderungen 
erwuchsen:  —  schwerere  Züge  und 
diese  Züge  schneller  zu  fordern.  Dazu  be- 
durfte es  vor  Allem  entsprechend  leistungs- 
fähiger Locomotiven,  die  zu  fordern  die 
nächste  Aufgabe  des  Zugförderungs- 
dienstes sein  musste. 

In  pflichtgemässer  Ausübung  dieser 
Obliegenheit  fiel  es  letzterem  zu,  anregend. 


mitunter  auch  entscheidend  auf  den 
Locomotivbau  einzuwirken  und  so  die 
im  praktischen  Dienste  erworbenen  Er- 
fahrungen einer  entsprechenden .  Ver- 
werthung  zuzuführen,  woraus  ihm  die 
Berechtigung  erwuchs,  einen  Theil  des 
Erfolges  auf  dem  Gebiete  des  Locomotiv- 
baues  für  sich  in  Anspruch  nehmen  zu 
dürfen. 

Die  Belastung  der  Züge,  vordem 
lediglich  nach  der  Zugsgattung  ohne 
besondere  Rücksicht  auf  die  Profilirung 
der  einzelnen  Theilstrecken  normirt, 
musste  zum  Zwecke  besserer  Ausnützung 
der  zur  Verfügung  stehenden  Zugkräfte 
den  Streckenverhältnissen  mehr  ange- 
passt  werden;  dies  erforderte  vor  Allem 
die  Aufstellung  detaillirterer  Belastungs- 
Bestiramungen,  aus  welchen  zu  Anfang 
der  Siebziger  -  Jahre  auf  Locomotiv- 
leistung,  Fahrgeschwindigkeit  und  Nei- 
gungsverhältnissen fussende  generelle  Be- 
lastungsnormen in  Form  von  Anhängen 
zu  den  Fahrordnungs- Büchern  entstanden, 
die,  im  Laufe  der  Zeit  immer  mehr  und 
mehr  vervoUkommt,  schliesslich  zu  einem 
unentbehrlichen  Dienstbehelf  für  die  Exe- 
cutivorgano^  wurden. 

Zur  Veranschaulichung  der  stetig  zu- 
nehmenden Belastung  der  personen- 
führenden ZiXge  dienen  die  nachfolgenden 
Uebersichten  der  Zusammensetzung  dieser 
Zi\gG  in  den  einzelnen  Decennien.  [Vgl. 
Beilage  I/IL] 

Aber  auch  die  Lastzüge,  die  in  den 
ersten  Zeiten  selten  aus  mehr  als  vierzig 
Achsen  bestanden,  wurden  von  Jahr  zu 
Jahr  länger  und  dementsprechend  schwerer, 
ja  so  schwer,  dass  schliesslich  sogar  die 
Betriebssicherheit  in  Frage  kam,  und  eine 
Nörmirung  der  Maximal  -  Achsenanzahl 
für  die  einzelnen  Zugsgattungen  nöthig 
wurde.  Gelegentlich  des  Zuwachses 
von  Strecken  mit  grösseren  Steigungen 
musste  im  Hinblick  auf  die  zulässige  In- 
anspruchnahme der  Zugvorrichtungen  eine 
weitere  Abstufung  der  Belastung  platz- 
greifen, die  jedoch  zumeist  nur  dort  fühl- 
bar wird,  wo  zwei  Locomotiven  an  der 
Zugspitze  zur  Verwendung  gelangen. 

Was  die  Fahrzeit  der  ZiXge^  beziehungs- 
weise deren  Fahrgeschwindigkeit  anbe- 
langt, so  war  für  die  Bemessung  dieser 
zu    Anbeginn    lediglich    die    Leistungs- 


Zugförderung. 


615 


fähigkeit  der  Locomotiven,  beziehungs- 
weise die  Zugsgattung  massgebend;  in- 
folge der  wachsenden  Zugkräfte  traf  das 
Polizeigesetz  für  Eisenbahnen  vom  Jahre 
1847  die  Anordnung,  »dass  in  Bezug  auf 
die  Beförderungszeit  keine  grössere  Fahr- 
geschwindigkeit stattfinden  dürfe,  als  eine 
solche,  mittels  welcher  ZiXge,  die  zur 
Beförderung  von  Personen  bestimmt  sind, 
eine  Weglänge  von  6  Meilen  [46  km]  in 
der  Stunde,  und  Züge,  mit  welchen  blos 
Lasten  befördert  werden  sollen,  eine 
Weglänge  von  4  Meilen  [30  km]  in  der 
Stunde  zurücklegen«. 

Diese  Grenzen  wurden  durch  die  im 
Jahre  1851  erschienene  Eisenbahn-Be- 
triebsordnung dahin  erweitert,  dass  für 
Personenzüge  7  Meilen  [53  km]  und 
für  Lastzüge  5  Meilen  [38  km]  in  der 
Stunde  als  Höchstgeschwindigkeit  ge- 
stattet wurden. 

Doch  auch  dies  erwies  sich  nur  zu 
bald  als  beengend;  die  Fortschritte  in 
der  Construction  des  Oberbaues  und  im 
Maschinenwesen  ermöglichten  die  An- 
wendung immer  grösserer  Geschwindig- 
keiten, und  führten  zu  einer  Reihe  ört- 
licher Zugeständnisse  seitens  der  Bahn- 
Aufsichtsbehörden,  so  waren  1862  schon 
Geschwindigkeiten  von  10  Meilen  [jGkm] 
gestattet  —  die  später  in  den  Grund- 
zügen der  Vorschriften  für  den  Verkehrs- 
dienst auf  Eisenbahnen  vom  Jahre  1876 
insoferne  Berücksichtigung  fanden,  dass 
darin  die  erhöhte  Maximalgeschwindig- 
keit von  80  km  in  der  Stunde  für  Per- 
sonenzüge und  40  km>  in  der  Stunde 
für  Lastzüge  unter  der  Bedingung  als 
zulässig  erkannt  wurde,  dass  der  Zu- 
stand der  Bahn,  der  Objecte  und  Fahr- 
betriebsmittel die  Anwendung  dieser  Ge- 
schwindigkeit gestatte. 

Doch  auch  da  gab  es  kein  Halt! 
Denn  im  Jahre  1894  gelangten  auf 
einzelnen  Strecken  Schnellzüge  mit  Ge- 
schwindigkeiten bis  zu  90  km  in  der 
Stunde  zur  Einleitung,  was  den  Zeitpunkt 
nicht  gar  so  ferne  erscheinen  lässt,  wo 
diese  Geschwindigkeit  auf  allen  Haupt- 
verkehrsrouten Anwendung  finden  wird, 
zumal  das  Beispiel  des  Auslandes  auf 
die  heimischen  Bahnen  in  dieser  Be- 
ziehung nicht  ohne  Rückwirkung  bleiben 
dürfte. 


Die  Tendenz  des  schnelleren  Fahrens 
besteht  aber  nicht  bei  den  personen- 
führenden Zügen  allein,  auch  die  Last- 
züge mussten  im  Laufe  der  Zeit  be- 
schleunigt werden,  weil  immer  höhere  An- 
forderungen an  diese  gestellt  werden,  und 
dringende  Frachten,  insbesondere  Appro- 
visionirungs-Artikel  rascher  verkehrende 
Lastzüge  erfordern  und  Concurrenzrück- 
sichten   den   Wettbewerb   rege  erhalten. 

Naturgemäss  konnten  die  normirten 
Höchstgeschwindigkeiten  stets  nur  dort 
zur  Anwendung  kommen,  wo  Strecken- 
verhältnisse und  Locomotivleistung  dies 
gestatteten ;  daher  ist  es  auch  begreiflich, 
dass  auf  ungünstiger  profilirten  Strecken 
die  mittlere  Fahrdauer  weit  geringeren 
als  den  angeführten  Geschwindigkeiten 
entspricht.  Am  annäherndsten  kommen 
diese  in  den  die  zulässige  Minimai- 
Fahrdauer  von  Haltepunkt  zu  Haltepunkt 
festsetzenden  sogenannten  »kürzesten 
Fahrzeiten«  zum  Ausdruck,  die  den 
Fahrordnungen  beigefügt  werden.*) 

Der  zu  Beginn  der  Sechziger-Jahre 
gemachte  Versuch,  einzelne  Züge  ohne 
Aufenthalt  in  den  minderwichtigen 
Unter wegs-Stationen  und  damit  rascher 
ihrem  Ziele  zuzuführen,  konnte  von  Seite 
des  Zugförderungsdienstes  nur  begrüsst 
werden,  da  hiedurch  eine  raschere  Cir- 
culation  der  Locomotiven  und  damit  eine 
bessere  Ausnützung  derselben  zu  erwarten 
stand.  Leider  wurde  die  Institution  der 
Schnellzüge,  deren  Einführung  schon  in 
den  Fünfziger-Jahren  versucht  worden 
war,*)  vom  reisenden  Publicum  nicht  in 
dem  Masse  gewürdigt,  dass  diese  ein 
in  öconomischer  Beziehung  auch  nur 
halbwegs  befriedigendes  Resultat  ge- 
boten hätten.  Die  Bahnen  sahen  sich 
infolgedessen  örtlich  sogar  bemüssigt,  den 
ursprünglich  täglichen  Verkehr  dieser 
Züge  auf  einzelne  Tage  der  Woche  zu 
beschränken,  eine  Massnahme,  die  dem 
Zugförderungsdienste,  der  ungleichen  In- 
anspruchnahme wegen,  nichts  weniger  als 
gelegen  kam.  Erst  zu  Ende  der  Sechziger- 
Jahre  konnte  der  tägliche  Verkehr  dieser 
ZWge  wieder  voll  aufgenommen  werden, 
um  in  den  folgenden  Jahren  sich  zu  dem 

•)  Näheres  siehe  Bd.  III,  G.  Gerstel, 
Mechanik  des  Zugsverkehrs,  Seite  45  und  48. 


6i6 


Ottokar  Kazda. 


heutigen,    so  hoch  entwickelten  Schnell- 
zugsverkehre auszubilden. 

Aehnlich  erging  es  dem  fast  zu 
gleicher  Zeit  inaugurirten  Transito-Güter- 
zuosdienste ;  vorerst  nur  ein  vorüber- 
gehendes Auskunftsmittel,  um  die  zu 
Anfang  der  Sechziger-Jahre  der  Ver- 
frachtung harrenden  Getreidemengen  so 
rasch  als  möglich  ihren  Bestimmungs- 
orten zuzuführen,  gelangte  dieser  Dienst 
erst  nach  einer  mehrjährigen  Pause  wieder 
zur  Geltung. 

Anders  liegen  die  Verhältnisse  in 
Bezug  auf  Geschwindigkeit  bei  den  erst 
seit  dem  Jahre  1880  entstandenen  Local- 
bahnen  und  bei  den  Secundärzügen  der 
Hauptbahnen,  wo  specielle  Betriebs- 
Erleichterungen  hinsichtlich  Signalisirung, 
Streckenüberwachung  und  Ausrüstung 
eine  Restringirung  der  Fahrgeschwindig- 
keit als  zweckmässig  erscheinen  lassen, 
die  in  der  Normirung  einer  Höchst- 
geschwindigkeit von  im  Maximum  30  ktn 
in  der  Stunde  zum  Ausdruck  kommt. 

Noch  geringere  Geschwindigkeiten 
müssen  beim  Zahnstangenbetriebe  ein- 
gehalten werden,  bei  welchen  solche  von 
höchstens  15  km  in  der  Stunde  zur  An- 
wendung kommen  dürfen. 

So  lange  die  Lastzüge  der  Haupt- 
bahnen noch  mit  einer  verhältnismässig 
geringen  Fahrgeschwindigkeit  verkehrten, 
bestand  für  den  örtlichen  Nachschiebe- 
dienst keine  besondere  Fahrbestimmung; 
die  Zweckmässigkeit  einer  solchen  erwies 
sich  erst  später,  als  grössere  Geschwindig- 
keiten bei  den  Zügen  zur  Anwendung 
kamen.  Die  Grundzüge  für  den  Ver- 
kehrsdienst aus  dem  Jahre  1876  enthalten 
demzufolge  bereits  die  Norm,  dass  mit 
Nachschub  verkehrende  Züge  keine 
grössere  Fahrgeschwindigkeit  einhalten 
dürfen,  als  25  ktn  in  der  Stunde.  Dabei 
stand  es  ausser  Frage,  dass  ein  Nach- 
schub nur  bei  reinen  Güterzügen  ange- 
wendet werde,  bei  personenführenden 
Zügen  aber  im  Falle  unzureichender 
Zugkraft  lediglich  eine  Vorspannleistung 
platzgreifen  dürfe.  In  neuerer  Zeit  machten 
es  örtliche  Verhältnisse  nöthig,  davon 
abzusehen,  und  auch  personenführende 
Züge  über  Rampen  mit  Nachschub  in 
Verkehr  zu  setzen,  womit  im  Zusammen- 
hange die  bisher  gestattete  Geschwindig- 


keit   eine  Erhöhung    auf   35  km    in  der 
Stunde  erfuhr. 

Dabei  ist  noch  zu  erwähnen,  dass  der 
Nachschiebedienst  bis  in  das  Jahr  1885 
lediglich  mit  nicht  angekuppelter  Schiebe- 
Locomotive  bewerkstelligt  wurde,  denn 
erst  da  wurde  der  Versuch  gemacht,  die 
letztere  an  den  Signalwagen  anzukuppeln, 
weil  die  sägeförmige  Proiilirung  der 
betreffenden  Strecke  es  rathsam  er- 
scheinen Hess,  das  immerhin  mit  Gefahr 
verbundene  Abwarten  der  auf  dem  Ge- 
fälle nachfahrenden  Nachschiebe- Locomo- 
tive  durch  das  Ankuppeln  der  letzteren 
zu  vermeiden.. 

Bei  genügend  starker  Anlage  und 
entsprechender  Erhaltung  des  Oberbaues 
bot  die  freie  Strecke  dort,  wo  günstige 
Neigungs-  und  Richtungsverhältnisse  ob- 
walten, niemals  ein  Hindernis  für  die 
Anwendung  der  grösst  zulässigen  Ge- 
schwindigkeiten. 

Die  Stationen  aber,  besonders  deren 
Weichenanlagen  Hessen  von  allem  An- 
fange an  die  Anwendung  grösserer  Ge- 
schwindigkeiten unthunlich  erscheinen ; 
sie  waren  der  Anlass  zu  Beschränkungen, 
die  sich  jedoch  erst  dann  fühlbar  machten, 
als  die  Stationen  ohne  Aufenthalt  durch- 
fahren werden  sollten,  denn  bis  dahin 
wurde  mit  der  naturgemäss  eintretenden 
Geschwindigkeits-Ermässigung  beim  An- 
halten, beziehungsweise  mit  der  Verzöge- 
rung beim  Ingangsetzen  der  ZiXgQ  das 
Auslangen  gefunden.  In  erster  Linie  be- 
treffen diese  Beschränkungen  das  Befahren 
der  Weichen  gegen  die  Spitze,  für  das 
man  im  günstigsten  Falle  nur  eine  Ge- 
schwindigkeit von  30  kfft  in  der  Stunde 
gestattet  wissen  wollte.  Mit  der  seither 
eingetretenen  Versicherung  der  Weichen 
konnte  diese  Bestimmung  eine  Weiterung 
erfahren,  die  in  der  Folge  dadurch  zum 
Ausdruck  kam,  dass  die  Höchstgeschwin- 
digkeit für  die  Fahrt  gegen  die  Spitze 
bei  günstig  situirten  und  versicherten 
Weichen  mit  50  km  in  der  Stunde  nor- 
mirt  wurde. 

Für  den  Dienst  in  der  Station,  die 
Zusammenstellung  und  Auflösung  der 
ZWgG^  Wagen-Beistellung  und  Abgabe 
kommt  die  Beschränkung  der  Geschwin- 
digkeit für  die  Fahrt  über  Weichen  nicht 
so  in  Betracht,    da   für    alle    diese  Ver- 


Uebersicht  der  Zusammensei 


1848 


1860 


1870 


1880 


1890 


I A  au-.p  i 


'•IM  n  M  I 


^ m. 


1898 


>k.-i>Ar  .^ 


Uebersicht  der  Zusammensi 


1860 


1870 


1880 


1890 


fc  .,1^»  •  >j 


1898  _^ 


( II  M  11  IC  H  M  II  IM     »  M  H  ••  M  «MillM  I      •••••••  ?•  '•  ■»  M  w  I 


■««IM  II II 11 


mg  der  Personenzüge, 


&  i/cli-e^  I  IL 


Der  Zug  vom  Jahre  18^48  bestand  aus    S  Wagen  mit    60  Tonnen  Gewicht; 


1S60 
1S70 
iSSo 
1S90 

iSc)8 


>  5 

»  14 

>  20 

^  20 

^  IS 


> 

> 

» 


>  So 

>  120 

>  iSo 

>  240 
»  300 


> 
> 
> 


und  fand  dessen  Beförderung  mit  einer  Geschwindigkeit 

im  Jahre  184S  von  40  km  per  Stunde  statt 


>   >  IS60 

»   50  ^    »     t      > 

>   »  IS70 

»  50   »    >     >      » 

»  1S80 

.   55  »    »     »      » 

>   >   iSgo  : 

►  ÖO  >    »     >      » 

>   IS9$  ' 

•  60  »   »    »    » 

"  •  • 


l  ■  H  ■  «  1 


-..<■■■  I  »* 


I  n  B  M 


«  ■  ■    U  Hill  ■  ■  ■ 


etzung  der  Schnellzüge 


Der  Zug  vom  Jahre  1S60  bestand  aus    6  Wagen  mit    70  Tonnen  Gewicht; 

1870        >  >      9        »  »90 

18S0        >  >     12        >  »120 

1890        >  »II        >  »150 


»  » 
»  > 
»        » 


» 
» 


•I  t%.  ••  «) 


^i_^_  -. 


» 
> 


» 
> 


» 


1898 


iHo 


und  fand  dessen  Beförderung  mit  einer  Geschwindigkeit 
im  Jahre  1860  von  55  km  per  Stunde  statt 


» 

»   1870  »  60  » 

» 

Y 

> 

» 

*   l8vSo  »  62  > 

» 

» 

9 

» 

»   1890  »  65  » 

» 

» 

» 

» 

»   1898  >  70  » 

» 

> 

» 

Zugförderung:. 


617 


Schub- Manipulationen  nur  Geschwindig- 
keiten zur  Anwendung  kommen  dürfen, 
die  dem  dabei  betheiligten  Personale  es 
ermöglichen,  den  verschiebenden  Zugs- 
theilen  nebenher  zu  folgen.  Lauf-  und 
Schnellschritt  waren  die  landläufigen 
Begriffe  für  das  Mass  der  Vor-  und 
Rückwärtsbewegungen,  dem  auch  die 
später  instructionsmässig  vorgeschriebenen 
Geschwindigkeiten  von  15  km  in  der 
Stunde  für  gezogene  und  10  hn  in  der 
Stunde  für  geschobene  Zugstheile  ent- 
sprachen. Diese  Geschwindigkeiten  finden 
auch  bei  der  Verschub-Manipulation  auf 
den  neueren  Anlagen,  Gruppen-  und 
Abrollgeleisen  Anwendung,  weil  nicht  so 
sehr  eine  Erhöhung  der  Geschwindigkeit 
als  vielmehr  die  rationellere  Vertheilung 
und  Gruppirung  der  Wagen  nach  Rich- 
tung und  Bestimmung  das  angestrebte 
Ziel,  die  Verschiebungen  rascher  und 
geordneter  zu  vollziehen,  erreichen  machen. 

Für  die  einzuhaltende  Geschwindig- 
keit ist  aber  auch  die  Construction 
der  Fahrbetriebsmittel,  insbesonders  die 
der  Locomotiven  von  massgebendstem 
Einflüsse;  infolgedessen  erwuchs  dem 
Zugförderungsdienste  die  Aufgabe,  darauf 
zu  sehen,  dass  der  Fahrplan  mit  den  zur 
Verfügung  stehenden  Locomotiven  stets 
in  Einklang  gebracht  und  die  Disposition 
so  getroffen  werde,  dass  für  die  Fort- 
schaffung der  Züge  ihrer  Geschwindig- 
keit entsprechende  Locomotiven  verwendet 
werden. 

Ein  in  seinen  Folgen  glücklicherweise 
nicht  erheblicher  Vorfall  im  Jahre  1881 
führte  dahin,  dass  durch  Aufstellung 
kürzester  Fahrzeiten  für  jede  ein- 
zelne Locomotivtype  unzulässigen 
Geschwindigkeiten  für  die  Zukunft  vor- 
gebeugt wurde.  Den  gleichen  Zweck  ver- 
ifolgt  auch  die  seit  dem  Jahre  1890  be- 
stehende Anordnung  der  Aufsichtsbehörde, 
dass  jede  Locomotive  an  der  Innenwand 
des  Führerschutzhauses  eine  Tafel  zu 
tragen  habe,  auf  welcher  die  im  Hinblick 
auf  die  Construction  der  betreffenden 
Locomotive  gestattete  Maximalgeschwin- 
digkeit ersichtlich  gemacht  ist. 

Die   Herabminderung    der  Geschwin- 
digkeit   der  Züge^    sei    es  auf  Gefällen,  I 
bei    Annäherung    an    Stationen    oder    in 
Gefahrsmomenten  und  dergleichen  mehr,  1 


wurde  von  allem  Anfange  an  mittels 
Bremsvorrichtungen  angestrebt,  zu  deren 
ältesten  wohl  die  Handbremse  gehört.  Der 
beträchtliche  Zeitaufwand  zwischen  Im- 
puls und  Wirkung  bringt  es  bei  dieser 
Art  von  Bremsung  mit  sich,  dass  der 
Auslauf  der  ZWge^  Zeit  und  Weg  in 
Rechnung  gezogen,  ein  beträchtlicher  ist, 
und  früher  mitunter  ein  noch  erheblicherer 
war,  weil  die  Bremsenbesetzung  nicht 
nach  der  Geschwindigkeit,  sondern  nach 
der  Gattung  der  ZiXgQ  erfolgte. 

Eine  ganze  Reihe  von  Constructionen, 
speciell  bei  Wagen,  sollte  in  Bezug  auf 
Bremsung  eine  Besserung  der  Verhält- 
nisse herbeiführen,  doch  kam  die  Mehr- 
zahl tlieser  Neuerungen  nicht  über  das 
Versuchsstadium  hinaus.  Constructiv  rich- 
tigere Anordnung  des  Bremsgestänges  und 
Ersatz  der  ursprünglich  hölzernen  Brems- 
klötze durch  eiserne  dürften  die  dauernd- 
sten Errungenschaften  dieser  Epoche  sein. 

Auch  die  um  das  Jahr  1 867  in  Oester- 
reich-Ungam  örtlich  eingeführte,  durch 
Gegendampf  in  den  Cylindem  wirkende 
Dampf  bremse  von  Lechatelier  konnte 
infolge  des  ümstandes,  dass  sich  ihre 
Wirkung  lediglich  auf  die  Locomotive 
erstreckte,  deren  Triebwerk  überdies  sehr 
in  Mitleidenschaft  gezogen  wurde,  keine 
grössere  Ausbreitung  finden.*) 

Erst  mit  dem  Inslebentreten  den  unter 
der  Bezeichnung  Vacuumbremse  be- 
kannten, von  J.  H  a  r  d  y  verbesserten 
Smith'schen  Luftsaugbremse,  deren  Einfüh- 
rung in  Oesterreich- Ungarn  zu  Ende  der 
Siebziger-Jahre  erfolgte,  änderte  sich  die 
Sachlage;  diese  die  Locomotive  und  den 
Wagenzug  umspannende  Bremsvorrich- 
tung ermöglicht  es  dem  Locomotivführer, 
ohne  Mithilfe  des  Zugbegleitungs-Perso- 
nales,  vom  Führerstande  aus,  die  Fahr- 
geschwindigkeit des  Zuges  vollends  zu 
regeln  und  dies  war  auch  die  Veran- 
lassung, dass  in  verhältnismässig  kurzer 
Zeit  alle  schneller  verkehrenden  Züge  auf 
den  österreichischen  Bahnen  mit  dieser 
Bremse  ausgerüstet  wurden.  Neuester 
Zeit  gelangt  auch  Hardy's  automatische 
Vacuumbremse  zur  Einführung,  bei 
welcher  sich  dem  früher  erwähnten  Vor- 


*)  Vgl.  Bd.  II,  K.  Gölsdorf,  Locomotiv- 
bau,  Seite  453  und  458. 


6i8 


Ottokar  Kazda. 


theile     selbstthätiges    Ingangsetzen     der 
Bremse  bei  Zugstrennungen  hinzugesellt. 

In  Ungarn  wurde  nach  kurzem 
Schwanken  der  automatisch  wirkenden 
Luftdruckbremse  nach  System  W  e  s  t  i  n  g- 
house  der  Vorzug  gegeben,  was  zur 
Folge  hatte,  dass  auch  auf  den  öster- 
reichischen Anschluss-Strecken  dies  Brems- 
system zur  Einführung  gelangte. 

Der  Hauptvortheil  beider  Brems- 
systeme, sowohl  Hardy  als  Westinghouse, 
liegt  darin,  dass  die  volle  Bremswirkung 
durch  einen  Handgriff  erzeugt  werden 
kann,  was  insbesonders  bei  Unfällen  aus- 
schlaggebend ist.  fB» 

Die    stete     Er-  |     \f 

höhung  der  Zugs- 
geschwindigkeiten 
brachte  es  mit  sich, 
dass  mit  dem  früher 
bestandenen  Prin- 
cipe, das  Brems- 
ausmass  nach  der 
Zugsgattung  in  An- 
wendung zu  brin- 
gen, gebrochen 
werden  musste.  An 
Stelle  dieses  ge- 
langt seit  mehre- 
ren Jahren  ein  auf 
Grund  der  Fahrge- 
schwindigkeit auf- 
gebautes     Brems- 

ausmass   zur  Anwendung,    das  dem  Ge- 
bote der  Betriebssicherheit  jedenfalls    in 
entsprechenderer    Weise     Rechnung 
tragen  vermag 


Abb.  394. 


ein  mit  der  Sig^alisirung  und  den  sonsti- 
gen Betriebs-Einrichtungen  der  Strecke 
vertrautes  Organ  als  Tenderwache  aufge- 
stellt wurde,  das  dem  durch  die  Wartung 
der  Locomotive  von  der  Streckenüber- 
wachung abgelenkten  Locomotivführer 
alle  die  Fahrbarkeit  der  vorliegenden 
Strecke  betreffenden  Wahrnehmungen  zur 
Kenntnis  zu  bringen  hatte. 

Mit  der  Anwendung  der  Elektricität 
im  Eisenbahnbetriebe,  insbesonders  aber 
mit  dem  Inslebentreten  des  elektrischen 
Telegraphen  und  der  Glockenschlag- 
werke   gewann    der    Betriebsdienst    auf 

den  damit  einge- 
richteten Linien  so 
an  Sicherheit,  dass 
das  Locomotiv- 
Personale  von  der 
eigentlichen  Stre- 
ckenüberwachung, 
im  Hinblick  auf  den 
Umstand,  dass  die 
Fahrt  in  verläss- 
licher Weise  avi- 
sirt,  das  Stations- 
und Streckenper- 
sonale am  Platze 
ist,  mehr  oder  weni- 
ger enthoben  wer- 
den konnte,  eine  Er- 
leichterung, die  bei 
den  meisten  Bahnen 


Anordnung^  der  Apparate  bei  einer  Locomotive 
älterer  Type. 


zu 


Die  Betriebssicherheit  erfordert  vor 
Allem  eine  freie  Fahrbahn,  weshalb  das 
Locomotiv-Personale,  insbesonders  die 
Locomotivführer  auch  verpflichtet  werden 
mussten,  sich  durch  Ausblick  nach  den 
Signalen  und  auf  die  Strecke  die  Ge- 
wissheit zu  verschaffen,  dass  der  Fahrt 
kein  Hindernis  entgegensteht.  In  den  ersten 
Zeiten,  wo  lediglich  optisch  fortgepflanzte 
Signale  in  Verwendung  standen,  erforderte 
diese  Streckenüberwachung  weit  inten- 
sivere Aufmerksamkeit  seitens  des  Loco- 
motiv-Personales  als  in  der  Folge,  so 
zwar,  dass  für  den  Fall  eigens  vorgesorgt 
werden  musste,  wenn  eine  Locomotive 
in  verkehrter  Stellung  in  Verwendung 
kommen  sollte.  Dies  bestand  darin,  dass 


den  Entfall  der  Tenderwachezur  Folge  hatte. 

Das  Schwergewicht  wurde  mehr  auf 
die  Signale  übertragen,  denen  mit  der 
Zeit  eine  immer  grössere  Bedeutung  zu- 
kam als  früher,  wo  das  Signalwesen  noch 
in  der  primitivsten  Weise  gehandhabt 
wurde.  In  maschineller  Hinsicht  besser, 
in  neuerer  Zeit  sogar  in  Abhängigkeit 
von  den  Fahrstrassen  angeordnet,  bieten 
die  Signale,  ganz  besonders  in  Strecken, 
die  für  das  Fahren  in  Raumdistanz  einge- 
richtet sind,  heute  thatsächlich  das  Mittel 
für  jene  Verständigung  zwischen  Strecke 
und  Zug,  die  eine  ünerlässliche  Vorbe- 
dingung der  Betriebssicherheit  ist. 

Wie  hoch  diese  zu  schätzen  ist, 
empfindet  wohl  Niemand  mehr  als  das 
zum  Dienste  auf  der  Locomotive  be- 
rufene Personale,  das,  der  ihm  zufallenden 
Verantwortung  bewusst,  oft  in  tief- 
dunkler   Nacht    mit    dem    Zusfe    dahin- 


Zugförderung. 


619 


jagend,  in  den  Signalen  das  einzige 
Mittel  zur  Orientirung  sucht  und  fin- 
den muss.  Dabei  blieb  es  bis  in  das 
letzte  Decennium  hinein  ganz  der  sub- 
jectiven  Beurtheilung  des  Locomotiv- 
führers  überlassen,  an  der  Hand  der 
Uhr  oder  sonstiger  Anhaltspunkte,  wie 
Schienenstösse,  Telegraphensäulen  etc. 
das  Mass  für  die  jeweils  einzuhaltende 
Geschwindigkeit  zu  finden.  Der  wieder- 
holt unternommene  Versuch,  dem  Führer 
mittels  eigener  Apparate  Kenntnis  über 
die  angewendete  Geschwindigkeit  zu 
geben,  hat  zur  An- 
bringung von  Ge- 
schwindigkeits- 
messern geführt. 
Am  meisten  Ver- 
breitung fand 
hierzulande  noch 
ein  von  Haushäl- 
ter      construirter 

Apparat,  der 
durch  Ausschlag 
und  Markirung 
die  gefahrene  Ge- 
schwindigkeit an- 
zugeben vermag. 
Um  Geschwin- 
digkeits-Ueber- 
schreitungen,  na- 
mentlich in  un- 
günstiger profilir- 
ten  Strecken  hintanzuhalten,  wurde  seitens 
der  Bahnen  von  früher  Zeit  an  strenge 
Ueberwachung  in  dieser  Hinsicht  ge- 
pflogen; doch  musste  sich  dies  zumeist 
auf  eine  Begleitung  der  Züge  durch  er- 
fahrene Organe  beschränken.  Neuerer 
Zeit  geht  man  daran,  durch  Anbringung 
eigener  Contactapparate  zur  Registrirung 
der  Zugsgeschwindigkeiten,  in  grösseren 
Gefällen  eine  genauere  Controle  zu 
schaffen. 

So  zweckentsprechend  all  diese  Appa- 
rate auch  sind,  so  ändern  sie  doch  nichts 
an  der  Thatsache,  dass  die  Förderung 
der  Züge  und  damit  Leben  und  Gut 
vieler  Menschen  einzig  und  allein  in 
den  Händen  des  betreffenden  Locomotiv- 
führers  ruht.  Demzufolge  musste  es  auch 
eine  der  ersten  Aufgaben  des  seit  dem 
Jahre  1855  neuorganisirten  Zugförderungs- 
dienstes   abgeben,     die    fachliche     Aus- 


Abb.  395. 


bildung  der  nachwachsenden  Locomotiv- 
führer  auf  jenes  Niveau  zu  heben,  das 
eine  sichere  Gewähr  für  den  anstands- 
losen  Betrieb  bietet. 

Vor  Allem  wurden  die  Locomotiv- 
führer  von  der  Begleitung  ihrer  reparatur- 
bedürftigen Locomotiven  entbunden  und 
durch  entsprechende  Zutheilung  von 
Ersatz-Locomotiven  ihrem  eigentlichen 
Berufe,  dem  Fahrdienste,  erhalten.  So- 
dann wurde  der  zum  Theile  auf  einer 
Ueberschätzung  der  Feuerungs-Manipu- 
lation beruhende,  zum  Theile  aber  auch  auf 

eine  übelverstan- 
dene Oeconomie 
zurückzuführende 
Vorgang,  die  Lo- 

comotivführer 
dem  Heizerstande 
zu  entnehmen, 
zumeist  eingestellt 
und  so  der  bereits 
fühlbar  geworde- 
nen Unzulänglich- 
keit des  Nach- 
wuchses vorge- 
beugt,weiters  aber 
auch  die  Vorsorge 
getroffen,  dass  den 
dem    Stande    der 

gelernten 
Schlosser  nun- 
mehr entnomme- 
nen Führerlehrlingen  die  erforderliche 
Ausbildung  in  der  Wartung  und  Führung 
der  Locomotive  in  vollem  Masse  zutheil 
werde.  Zu  diesem  Zwecke  wurden  in  der 
zweiten  Hälfte  der  Sechziger-Jahre  örtlich 
sogar  Aneiferungsprämien  für  das  mit  der 
Schulung,  der  Lehrlinge  betraute  Führer- 
personale ausgeworfen,  die  dieses  an  den 
Erfolgen  mitinteressiren  sollten. 

Auch  den  Heizern  trachtete  man  vor- 
wegs  jene  Anleitung  zu  bieten,  die  sie 
befähigte,  die  Locomotivführer  in  der 
Wartung  der  Locomotiven  zu  unter- 
stützen und  sie  in  den  Stand  setzte,  den 
ihnen  zukommenden  Verrichtungen  ge- 
recht zu  werden. 

Steter  Contact  mit  dem  Personale 
ermöglichte  den  nunmehr  sachkundigen 
Ueberwachungsorganen  sich  ein  klares 
Bild  über  die  Leistungsfähigkeit  und 
Verlässlichkeit  jedes  Einzelnen  zu  bilden 


Anordnung  der  Apparate  bei  einer  Locomotive 
neuerer  Type. 


620 


Ottokar  Kazda. 


und    dessen  Verwendung  letzterem    ent- 
sprechend anzupassen. 

Die  fortschreitende  Entwicklung  des 
Verkehrs,  die  Vervollkommnung  der 
Betriebseinrichtungen,  nicht  zumindest 
die  von  Jahr  zu  Jahr  zuwachsenden  Ver- 
besserungen und  Neuerungen  an  den 
Locomotiven  erfordern  stets  neuerliche 
Schulung  des  Personales  und  bedingen, 
dass  dieses  sich  jene  manuelle  Fertig- 
keit in  der  Handhabung  der  Apparate 
aneigne,  die  ein  wichtiges  Erfordernis 
für  die  correcte  Ausübung  des  Dienstes 
bildet. 

Insbesonders  gilt  dies  für  die  Loco- 
motiven moderner  Bauart  mit  ihrem 
Labyrinthe  von  Handgriffen,  deren  jeder 
benützt,  mitunter  zu  bestimmter  Zeit 
bethätigt  werden  soll,  eine  Aufgabe, 
welche  bei  der  zunehmenden  Fahr- 
geschwindigkeit der  ZiXge  nicht  zu  unter- 
schätzende Anforderungen  an  die  In- 
telligenz und  Thatkraft  der  Locomotiv- 
führer  stellt.  Gegen  einst  ist  durch  eine 
handsamere  Ausgestaltung  der  einzelnen 
Apparate,  eventuell  durch  deren  Anord- 
nung für  selbstthätiges  Functioniren  wohl 
eine  Entlastung  des  Personales  einge- 
treten, doch  hat  diese  der  Zuwachs  der 
neuen  Apparate  zum  grössten  Theile 
wieder  aufgewogen,  wenn  nicht  überholt, 
so  dass  der  Dienst  eines  Locomotiv- 
führers  nach  wie  vor  seinen  ganzen 
Mann  erfordert.      [Abb.  394  und  395.] 

Aber  nicht  in  der  Handhabung  der 
vermehrten  Apparate  allein  ist  die  er- 
höhte Inanspruchnahme  des  Locomotiv- 
führers  zu  suchen,  diese  wird  auch 
durch  die  umfangreichere  Wartung  der 
Locomotive,  durch  deren  Untersuchung 
in  Bezug  auf  betriebssicheren  Zustand 
sowie  durch  die  complicirteren  Instand- 
haltungs-Arbeiten an  denselben  bedingt, 
die  von  Jahr  zur  Jahr  mehr  Sachkenntnis 
und  Aufmerksamkeit  erfordern. 

Zu  Beginn  der  Siebziger-Jahre  gin- 
gen einzelne  Bahnen  daran,  das  Auf- 
finden betriebsgefährlicher  Gebrechen  an 
Locomotiven  und  Tendern,  ja  auch 
Wagen,  zu  prämiiren,  um  das  Personale 
zu  einer  eingehenderen  Untersuchung 
der  Fahrbelriebsmittel  anzueifern. 

Den  gleichen  Zweck  verfolgte  auch 
die  auf  anderer  Seite  eingeführte  Betriebs- 


prämie für  länger  andauernde  anstands- 
lose  Dienstleistung,  die  einer  besonderen 
Entlohnung  des  Personales  für  die  sorg- 
fältige Wartung  der  Locomotiven  gleich- 
kommt. 

Die  vereinzelt  in  Anwendung  gebrachte 
Erhaltungsprämie  sollte  im  selben  Sinne 
wirken,  doch  war  das  öconomische  Mo- 
ment dieser  Prämie  so  vorherrschend, 
dass  sie  in  vorstehender  Beziehung  keinen 
nennenswerthen  Erfolg  aufzuweisen  ver- 
mochte. Diese  Prämie  verblieb  deshalb 
auch  nur  verhältnismässig  kurze  Zeit  in 
Kraft,  während  die  beiden  ersterwähnten 
Prämien  auch  heutigen  Tages  noch  zur 
Auszahlung  gelangen. 

Ursprünglich  waren  jedem  Locomotiv- 
führer  zur  Besorgung  des  Kesselbetriebes 
nicht  minder  auch  zu  seiner  Unter- 
stützung in  der  Wartung  der  Locomotive 
zwei  Heizer  zugewiesen.  Mit  dem  Entfall 
der  zeitraubenden  Schlichtung  und  Vor- 
richtung der  Gokes-  und  Holzvorräthe  auf 
dem  Tender  beim  Uebergange  zur  Koh- 
lenfeuerung um  das'  Ende  der  Sechziger- 
Jahre  konnte  infolge  der  verringerten 
Manipulation  ein  Heizer  abgezogen  wer- 
den. Die  seither  einem  Heizer  allein  zu- 
fallende Beschickung  der  mitunter  ganz 
bedeutende  Dimensionen  aufweisenden 
Rostfiächen,  das  Nachspeisen  der  Kessel, 
das  Reinigen^und  Putzen  der  Locomotiven 
nebst  all  den  anderen  kleineren  Verrich- 
tungen stellen  Anforderungen  an  diesen, 
namentlich  in  physischer  Beziehung,  die 
zu  dem  Ausspruche  berechtigen,  dass 
der  Heizerdienst  zu  den  schwersten  Er- 
werbszweigen gehört.  Der  Umstand, 
dass  die  Heizer  ihre  Locomotivführer 
auch  in  der  Wartung  der  Locomotiven 
zu  unterstützen  haben,  lässt  es,  beson- 
ders bei  den  modernen  Locomotiven, 
erwünscht  erscheinen,  dass  auch  die 
Heizer  fachliche  Kenntnisse  im  Schlosser- 
handwerke besitzen,  womöglich  gelernte 
Schlosser  seien;  man  geht  demzufolge 
in  neuerer  Zeit  immer  mehr  daran,  die 
Locomotiven  mit  zwei  Führern  zu  be- 
setzen, von  denen  der  jüngere  den  Dienst 
des  Heizers  zu  versehen  hat  und  erst 
nach  längerer  Verw^endung  als  solcher 
die  Führerlaufbahn  betreten  kann. 

Führer    und    Heizer,     zu     den     ver- 
schiedensten Tag-  und  Nachtstunden,  bei 


jeder  Witterung,  in  jeder  Jahreszeit  zum  j 
Dienst  auf  der  Locomotive  berufen,  haben 

es  redlich  verdient,  dass  die  Bahnen 
gelegentlich  des  Baues  neuer  Locomotiven 
auch  auf  die  Bedürfnisse,  das  leibliche 
Wohl  dieses  Personals  Bedacht  nahmen 
und  mit  der  Zeit  Schutzvorrichtungen 
anbrachten,  die  das  Verweilen  auf  der 
Locomotive  erträglicher  gestalteten. 

Von  dem  Grundsatze  ausgehend,  dass 
das  Locomotiv- Personale  in  der  Strecken- 
Überwachung  durch  nichts  behindert  sein 


da  die  Verwendung  schätzender  Um- 
hüllungen ihre  Grenze  haben  musste, 
wenn  die  zur  Ausübung  des  Dienstes 
nöthige  Beweghchkeit  darunter  nicht 
leiden  sollte,  und  so  kam  es,  dass  der 
Dienst  auf  der  Locomotive  zu  Zeiten  ins 
Masslose  erschwert  war. 

Den  ersten  Anlass  zu  einer  Besserung 
dieser  Verhältnisse  bot  wohl  der  Umstand, 
dass  auch  die  Armatur  der  Kessel  bei 
den  älteren  Locomotiven  unter  dem 
directen  Anprall    von  Wind    und  Wetter 


Abb.  iga.  Schnccpnue.  [Kac 

dürfe,  waren  die  Locomotiven  aus  ersterer 
Zeit,  wie  in  der  Geschichte  des  Locomoliv- 
baues  des  Näheren  ausgeführt  erscheint,*) 
nur  mit  Plattformen  versehen,  die  mit- 
unter nicht  einmal  verschalte  Geländer 
aufzuweisen  hatten,  so  dass  das  Perso- 
nale auf  der  Locomotive  schutzlos  den 
Witterungsunbilden  ausgesetzt  war.  Am 
schlechtesten  erging  es  wohl  den  unbe- 
deckten Gesichtstheilen  im  Winter,  wo 
selbe  nicht  selten  von  der  Gefahr  des 
Erfrierens  bedroht  waren ;  aber  auch  die 
bedeckten  KörpertheÜe  hatten  nicht  wenig 
unter  dem  Einflüsse  der  Kälte  zu  leiden, 


:z  OclgiDi 


L.  Slempf] 


•)  Vgl.  Bd.  II,  K.  Gölsdorf,  Locomotiv 
bau,  Seite  446  und  447. 


zu  leiden  hatte,  der  Gefahr  des  Versagens 
ausgesetzt  war.  Um  dem  abzuhelfen, 
wurden  Schirme  über  dem  Stehkessel 
angebracht,  die  später,  in  immer  grösse- 
ren Dimensionen  ausgeführt,  auch  dem 
Personale  etwas  Schutz  zu  bieten  ver- 
mochten. Nun  erst,  als  man  den  Werth 
dieser  sogenannten  Brillen  kennen  ge- 
lernt, die  Befürchtungen  in  Bezug  auf 
Behinderung  der  Femsicht  durch  die 
Praxis  widerlegt  sah,  ging  man  daran, 
Oberdeckte  Schutzhäuser  über  dem  Führer- 
stande aufzuführen,  die  nach  vom  und 
nach  der  Seite  genügend  Ausblick  ge- 
währten. Mit  der  Zeit  zweckmässiger 
und  geräumiger  angeordnet,  seithch  mit 
Ketten,  Vorlegblechen  oder  Thüren  ver- 


622 


Ottokar  Kazda. 


sichert  und  abgeschlossen,  mitunter  auch 
mit  Ventilationsklappen  im  Dache  ver- 
sehen, bieten  diese  Schutzhäuser  auf  den 
neueren  Locomotiven  dem  Personale  einen 
Aufenthaltsort,  der  dasselbe  in  die  Lage 
setzt,  seinen  Dienst  es  Verrichtungen  unter 
weit  günstigeren  Verhältnissen  als  früher 
nachzukommen.  In  neuester  Zeit  werden 
die  Schutzhäuser  auch  mit  Sitzen  ver- 
sehen, die  dem  Personale  ein  Ausruhen 
in    dienstfreier  Zeit    ermöglichen    sollen. 

Am  fühlbarsten  werden  diese  ge- 
besserten Verhältnisse  wohl  bei  Schnee- 
pflugs-Fahrten, die  in  früheren  Zeiten, 
wo  die  Führerstände  der  Locomotiven 
keinen  oder  doch  nur  unzulänglichen 
Schutz  hatten,  oft  mit  unsäglichen  Leiden 
verbunden  waren. 

Zu  derlei  Fahrten  benützte  man,  ab- 
^  gesehen  von  den  im  ersten  Beginne  der 
Eisenbahnen  an  den  Locomotiven  ange- 
brachten pflugscharähnlichen  Schnee- 
räumern, in  älterer  Zeit  vorwiegend 
Schneepflüge  von  ungefähr  i"5  w  Höhe, 
die,  auf  eigenen  Rädern  laufend,  vor  die 
Locomotive  gestellt  wurden.*)  Der  Um- 
stand, dass  das  Angriff^smoment  dieser 
Schneepflüge  ein  zu  grosses,  die  Leistung 
hingegen  eine  geringe  war,  führte  dazu, 
die  Schneepflüge  grösser  und  mit  wind- 
schiefen Flächen  und  schärferer  Schneide 
auszuführen,  um  sie  leistungsfähiger  zu 
machen.  Solche,  oft  Höhen  von  2*8  m  auf- 
weisende Schneepflüge  [Abb.  396]  blieben 
lange  Zeit  nahezu  ausschliesslich  in  Ver- 
wendung, zumal  sie  bei  Wehen  bis  i*om 
Schneelage  noch  gute  Arbeit  verrichteten. 
Der  Umstand,  dass  ein  vorausgeschobener 
Schneepflug  bei  stärkerem  seitlichem 
Schneedrucke  zur  Entgleisung  neigt,  das 
unmittelbare  Voraussenden  eines  Schnee- 
pfluges immerhin  eine  Gefährdung  für 
den  nachfolgenden  Zug  in  sich  birgt, 
die  nur  durch  besondere  Aufmerksamkeit 
vermieden  werden  kann,  war  Veranlassung, 
dass  einige  der  Bahnen  in  neuerer  Zeit 
daran  gingen,  das  Wegräumen  des 
Schnees  auf  reger  befahrenen  oder  dem 
Verwehen  weniger  ausgesetzten  Strecken 
durch  die  Zugslocomotiven  besorgen  zu 
lassen,    die    zu    diesem  Zwecke    mit    an 


der  Brust  anmontirbaren  Schneepflügen 
oder  Schneepflug-Scharen  versehen  wur- 
den, mittels  welcher  die  in  den  jeweiligen 
Zugsintervallen  zugewachsenen  Schnee- 
lagen aus  dem  Geleise  entfernt  werden 
können. 

Infolgedessen  hat  auch  die  Zahl  der 
auf  eigenen  Rädern  laufenden  Schnee- 
pflüge in  letzterer  Zeit  keinen  nennens- 
werthen  Zuwachs  aufzuweisen,  zumal 
die  Ansicht  Raum  gewinnt,  dass  durch 
feststehende  Schneeschutz- Vorrichtungen, 
wie  Hürden,  Planken,  Coulissen  etc.,  für 
die  Sicherung  des  Verkehrs  rationeller 
vorgesorgt  werden  kann,  als  dies  mittels 
der  Schneepflugarbeit  der  Fall  ist. 

In  den  ersten  Zeiten  wurde  das  für 
die  Dampfproduction  nöthige  Wasser- 
quantum den  Locomotivkesseln  mittels 
eigener  Speisepumpen  zugeführt,  die 
solange  functionirten,  als  die  Locomotive 
in  Bewegung  war.  Um  den  Kesselbetrieb 
aber  auch  während  des  Stillstandes  der 
Locomotiven  aufrecht  erhalten  zu  können, 
ging  man  zu  Ende  der  Vierziger-Jahre 
bereits  daran,  die  Locomotiven  überdies 
noch  mit  Handpumpen  zu  versehen,  welch 
letztere  dann  gegen  Ende  der  Fünfziger- 
Jahre  durch  Dampfpumpeii  ersetzt  wurden, 
deren  Betriebskraft  man  den  Locomotiv- 
kesseln entnahm.  Jede  dieser  Pumpen 
war  im  Stande,  die  zum  Vollbetriebe 
erforderliche  Wassermenge  dem  Loco- 
motivkessel  zuzuführen.  Die  Regulirung 
der  Pumpen,  beziehungsweise  der  Wasser- 
zufuhr in  den  Kessel  hatten  eigene  Vor- 
richtungen zu  bewirken,  denen  sich  bei 
den  meisten  Locomotiven  auch  solche 
für  das  Vorwärmen  des  Speisewassers 
zugesellten. 

Ende  der  Sechziger-Jahre  wurden  die 
Pumpen  durch  den  Injector  verdrängt, 
der  weoren  der  Einfachheit  seines  Be- 
triebes  bald  allgemein  zur  Einführung 
gelangte:*)  Leichte  Handhabung  und  ver- 
lässliches Functioniren  sicherten  diesen 
Dampfstrahl-Apparaten  bald  eine  domi- 
nirende  Stellung,  umsomehr  als  es  ge- 
lungen war,  dieselben  für  die  Zufuhr 
auch  höher  temperirten  Wassers  geeignet 
herzustellen. 


♦)  Vgl.    Bd.    11,    J.    V.   Ow,    Wa^enbau, 
Seite  543  und  ff. 


*)  Vgl.  Bd.  II,  K.  Gölsdorf,  Locomotiv- 
bau,  Seite  451  und  ff. 


623 


Das  zum  Locomotivbetrieb  erforder- 
liche Nutzwasser  musste  früher  sowie 
heute,  den  Fall  nattlrhchen  Zuflusses  aus- 
genommen, durch  eigene  WasserfÖrder- 
An lagen  beschafft  werden.  Anfänglich 
waren  dies  zumeist  für  Handbetrieb  ein- 
gerichtete Pumpwerke,  doch  begegnete 
man   schon    damals    vereinzelt  auch  mit 


Anlagen,  speciell  die  Handpumpen,  durch 
neuere  ersetzt,  zu  denen  unter  Anderem 
auch  die  sehr  verbreiteten  Pu Isometer 
gehören. 

Das  anfänglich  der  geringeren  Wider- 
stände wegen  eingehaltene  Princip,  Schöpf- 
werk und  Reservoir  im  selben  Baue 
unterzubringen,    wurde    zu    Beginn    der 


Dampf  arbeitenden  derlei  Anlagen,  wenn 
auch  primitivster  Construction.  Der  Fort- 
schritt in  diesem  Zwciye  dus  Maschinen- 
baues brachte  es  mit  sich,  dass  die  in 
spätcrt;r  Zeit  zuwachsenden  Bahnlinien 
mit  stets  moderneren  Tvpen  ausgeTüstet 
wurden,  da  sieh  die  Hahnen  die  Vortheile 
deren  griisscrer  Leistunj^sfähij^keit  nicht 
ent[;ehen  lassen  wollten.  Des  letzteren 
Unisiandcs  wetzen  wurden  auch  die  mit 
der  Zeit  unzulänglich  gewordenen  älteren 


Siebziger-Jahre  fallen  gelassen;  man  ent- 
schloss  sich,  das  Erstere  selbst  nach  einer 
mehr  abseits  gelegenen  Stelle  zu  ver- 
legen, wenn  hiedurch  günstigere  Wasser- 
verhältnisse ausgenützt  werden  konnten. 
Massgebend  hiefür  war  die  Erkenntnis, 
dass  ein  Speisewasscr  von  entsprechender 
Qualität  sein  müsse,  wenn  Oeconomie 
im  Betriebe  erzielt  werden  soll.  Dies 
war  auch  Veranlassung,  dass  man  den 
Betrieb    einzelner    älterer   Anlagen,    ins- 


624 


Ottokar  Kazda. 


besondere  dort,  wo  die  immer  grösser 
werdenden  Tenderfassungsräume  der 
neueren  Locomotiven  diese  Massnahme 
unterstützten,  gänzlich  aufliess  oder  doch 
thunlichst  beschränkte. 

Eingehende  Analysen  der  Speise- 
wässer trugen  dazu  bei,  dass  man  durch 
Aufstellung  eigener  Wasserreinigungs- 
Apparate  die  Qualität  des  Wassers  zu 
bessern  suchte.  In  neuester  Zeit  schritt 
man  sogar  zur  Vornahme  von  Tief- 
bohrungen, um  besseres  Wasser  führende 
Schichten  aufzuschliessen,  wobei  den 
Compressoranlagen  die  Rolle  zufällt,  das 
Heben  des  Wassers  zu  unterstützen. 

An  Stelle  der  ursprünglich  ge- 
mauerten oder  aus  Gusseisen  erzeugten 
Reservoirs  traten  in  späterer  Zeit,  des 
geringeren  Eigengewichtes  wegen,  vor- 
wiegend solche  aus  Schmiedeeisen,  die 
man  behufs  Erzielung  eines  entsprechen- 
den Betriebsdruckes  höher  als  früher  zu 
stellen  trachtet. 

Die  Rohrleitungen  von  den  Reservoirs 
zu  den  die  Verausgabung  des  Wassers 
an  die  Locomotiven  ermöglichenden  Aus- 
lauföffnungen waren  in  den  älteren  Zeiten 
durch  eingefügte.  Drosselklappen  absperr- 
bar eingerichtet ;  letztere  mussten  jedoch 
zwecks  besseren  Abschlusses  der  Leitung 
in  der  Folge  fast  durchgehends  Schieber- 
ventilen Platz  machen. 

Das  Wasser  an  die  Locomotiven  oder 
deren  Tender  abzugeben,  fand  seit  jeher 
mittels  Wasserkrahnen  statt,  die  von 
allem  Anfang  an,  nahezu  ausnahmslos, 
nach  dem  System  der  Säulenkrahne  gebaut 
waren.  Zu  I3eginn  mit  mehr  decorativ  aus- 
gestalteten Steigrohren  und  wagrecht  aus- 
ladenden Querarmen  versehen,  erforderten 
sie  zu  ihrer  Benützung  Schlauchenden, 
die  das  Füllen  der  Tenderwannen  zu 
ermöglichen  hatten.  Der  Querarm  war 
drehbar  eingerichtet  und  konnte  mittels 
Kette  in  die  Füllstellung  gebracht  werden, 
worauf  nach  dem  Lüften  eines  am  Kopfe 
oder  Fusse  des  Krahnes  befindlichen 
Ventiles  der  Wasserausfluss  eintrat.  Die 
erste  nothwendig  werdende  Aenderung 
bestand  in  einem  Heben  der  Krahn- 
AusflussöfTnung,  bedingt  durch  die  Höher- 
situirung  der  FüllöfFnungen  bei  den  neueren 
Tendern,  dem  erst  die  Normalisirung  der 
hier  in  Frage  kommenden  Grössenverhält- 


nisse  durch  die  technischen  Vereinbarungen 
des  Vereins  deutscher  Bahnverwaltungen 
über  Bau  und  Betrieb  der  Bahnen  ein 
Ziel  setzte.     [Abb.  397.] 

Die  alte  Krahntype  erforderte  wegen 
der  im  Steigrohre  nach  dem  Abschlüsse 
des  Krahnventils  verbleibenden  Wasser- 
säule beständig  Vorkehrungen  für  den 
Winter,  um  das  Einfrieren  des  Krahnes 
hintanzuhalten.  Das  gebräuchlichste  Mittel 
war,  die  Krahne  mit  schlechten  Wärme- 
leitern, wie  Hanf-  oder  Strohseile,  zu 
umhüllen,  doch  bot  dies  niemals  eine 
Gewähr  für  den  anstandslosen  Betrieb, 
wie  das  immer  wiederkehrende  Versagen 
der  Krahne  leider  nur  zu  oft  bewies. 

Um  diesem  Anstände  vorzubeugen, 
versuchte  man  vorerst  die  Wasser  krahne 
heizbar  einzurichten,  sah  sich  jedoch 
Kosten  halber  bald  veranlasst,  hievon 
wieder  abzugehen. 

Der  nächste  Schritt  war,  für  eine  ent- 
sprechende Krahn-Entleerungsvorrichtung 
vorzusorgen ;  am  rationellsten  erscheint 
dies  bei  der  sogenannten  Oldenburger 
Krahntype  gelöst,  die  mit  ihrer  selbst- 
thätigen  Entleerungsvorrichtung  und  das 
Lichtraumprofil  wenig  beengenden  Form 
bis  auf  den  heutigen  Tag  das  Feld  behaup- 
tet, und  nach  der  sogar  eine  grosse  Anzahl 
älterer  Typen  umgestaltet  wurde. [Abb. 398.] 

Die  Erhaltung  der  Wasserförderungs- 
Anlagen  war  ursprünglich  eigenen  Maschi- 
nisten anvertraut,  die  zu  diesem  Zwecke 
die  Wasserstationen  des  ihnen  zuge- 
wiesenen Bereiches  zu  bereisen  und  all- 
fällige Mängel  zu  beheben  hatten.  Mit 
der  Creirung  der  Heizhausleitungen  ging 
die  Obsorge  für  diese  Anlagen  gleichfalls 
an  letztere  über,  die  nun  auch  der  Schulung 
des  -beim  Dampfpumpenbetriebe  verwen- 
detenWärterpersonales  das  nöthige  Augen- 
merk zuwenden  konnten.  Die  bei  den 
Wasserheb-Anlagen  örtlich  eingeführten 
Ersparungs-Prämien  verfolgen  gleichfalls 
den  Zw^eck,  das  betheiligte  Personale  zu 
einer  möglichst  öconomischen  Gebarung 
anzueifern.     [Abb.  399.] 

Bei  den  Locomotiven  der  ersten 
Periode  wurde,  gleichwie  bei  ihren 
englischen  Vorbildern,  ausschliesslich 
Coke  als  Brennmaterial  verwendet, 
dessen  Erzeugung  •  die  Bahnen  aus  Öco- 
nomischen Gründen    zumeist    in   eigener 


625 


Regie  besorgten.*}  Der  nahezu  unberührte 
Waldbestand  der  von  den  Bahnen  durch- 
zogenen Gegenden  liess  es  angezeigt  er- 
scheinen, diesen  den  Bedarf  an  Brennstoff 
zu  entnehmen  und  das  Holz  zur  Loco- 
motivfeuerung  heranzuziehen.     Die  Hoff- 
nung, dauernd  aus  diesem  stets  sich  er- 
neuernden Vorrathe    der  Natur  schöpfen 
zu  können,  erwies  sich  infolge  des  rapid 
fortschreitenden  Lichtens  der  Wälder  als 
trügerisch,    so  dass    mit    dem  Versiegen 
dieser  Quellen    neuerdings    die    Kohlen- 
lager für  Locomotiv- Feuerungszwecke  in 
Anspruch     genommen    werden    mussten, 
nur  waren  es 
diesmal     be- 
reits Rohpro- 
ducte,  die  den 
Ersatz  für  das 
Holz    zu  he- 
fern hatten. 
Die     Er- 
schliessung 
neu  erKohl  eu- 
re viere     und 
deren  Einbe- 
ziehung in  das 
sich      erwei- 
ternde Bahn- 
netz   ermög- 
lichten, der  erhöhten  Nachfrage  ein  durch 
intensivere  Kohlenproduction  ermässigtes 
Angebot  gegenüberzuhalten  und  den  Bah- 
nen ihren  Bedarf  an  Grubenerzeugnissen 
für  Betriebszwecke  in  öconomischer  Weise 
zu  decken.    Durch  den  steigenden  Ertrag 
der    Kohlengruben     angeregt,     schritten 
einzelne  Bahn  Verwaltungen  sogar  an  den 
Erwerb     solcher,     um    sich,     abgesehen 
all  fällig    damit    verbundenen     kauf- 


K».    Locomotlvs 


abgesehen,  nur  seine  Verwendung  als 
Anheizmaterial,  und  da  sind  es  vor- 
wiegend Prügelholz  und  Abfälle,  wie 
Säumlinge,  Latten  etc.,  welche  für  die 
Locomotiven  zur  Verausgabung  gelangen. 
Selbst  dort,  wo  ausreichender  Waldbestand 
die  Benützung  von  Holz  zur  Strecken- 
feuerung noch  rationell  erscheinen  lässt, 
wie  dies  auf  neueren,  zumeist  abseits 
liegende  Gegenden  erschliessendenBahnen 
auch  heute  noch  der  Fall  ist,  kann  der 
Uebergang  zur  Kohlenfeuerung  nur  eine 
Frage  der  Zeit  sein. 

An  den  Zugförderungsdienst  trat  die 
Aufgabe  her- 
an,denWerth 
der  einzelnen 
Kohlengat- 
tungen in  Be- 
zug auf 
Dampfpro- 
ductton  und 
sonstigesVer- 
halten  beim 
Locomotiv- 
betriebe  fest- 
zustellen, die 
richtige  Aus- 
..rt,.unB.  «ahl  der  Be- 

zugsquellen 
zu  treffen  und  die  Dotirung  der  D6pöts  zu 
regeln.  Mit  der  Ausbrei  tungdes  Bahnnetzes, 
der  Eröffnung  neuer  Transportwege  wurde 
der  ursprüngliche  Bannkreis  der  einzelnen 
Kohlenreviere  gebrochen,  die  Einbeziehung 
selbst  entlegenerer  Gruben  in  die  Calcu- 
lation  über  die  Kohlenbedeckung  ermög- 
licht und  damit  ein  weites  Feld  für  die 
Bethätigung  der  Oeconomie  geschaffen. 
Sehr  bald    gewann    man    die  Ueber- 


männischen    Interessen,    die    für    Regie-  (  zeugung,    dass    letztere    nur   unter   Mit- 


zwecke benöth igten  Kohlenmengen  durch 
Abbau  im  Eigenen  wohlfeiler  zu  be- 
schaffen, so  die  Nordbahn  im  Ostrauer, 
die  Staatsbahn  im  Kladnoer,  Teplitzer 
und  Banater  Reviere  etc. 

Seit    Mitte    der    Sechziger-Jahre    ge- 
schieht    die    Dotirung     der    Brennstoff- 
•  D&pöts    i^r   L oc o moti  v-F euer ungsz wecke 
nahezu  ausschliesshch  mit  Kohle.    Dem 
Holze    blieb,    von    wenigen    Ausnahmen 


Wirkung  des  Locomotiv- Personal  es  zu 
erzielen  ist.  Die  Bahnen  waren  deshalb 
auch  darauf  bedacht,  letzteres  in  der 
rationellen  Beschickung  der  Feuerfläche 
eingehend  zu  schulen,  während  der 
Dienstleistung  genau  zu  überwachen  sowie 
dasselbe  in  richtiger  Erkenntnis  der  Sach- 
lage auch  persönlich  an  dem  Erfolge  zu 
interessiren.  Zu  Beginn  der  Vierziger- 
Jahre  suchte  man  dies  durch  eigene 
Brennstoff- Remunerationen  für  wirth- 
schaftliches  Gebaren  zu  erreichen,  ein 
Weg,  der  dem  Verdienste  nicht  immer 
40 


626 


Ottokar  Kazda. 


den  ihm  zukommenden  Lohn  brachte. 
Dies  war  Veranlassung,  dass  man  zu 
Anfang  der  Fünfziger-Jahre  behufs  gleich- 
massigerer  Entlohnung  für  bethätigte 
Wirthschaftlichkeit  Ersparnis-Prämien 
einführte,  welche  Massnahme  ein  ganz 
auffallend  günstiges  Ergebnis  aufzuweisen 
hatte,  das  in  einem  bedeutend  geringeren 
Brennstoff- Verbrauche  klar  zum  Ausdrucke 
kam.  Ein  Theil  des  damals  erzielten  Erfol- 
ges muss  wohl  dem  Umstände  zugeschrie- 
ben werden,  dass  die  Locomotiven  zu  dieser 
Zeit  für  veränderliche  Expansion  eingerich- 
tet wurden,  womit  gleichsam  ein  Wende- 
punkt im  Locomotivbetriebe  eintrat. 

Weitere  Fortschritte  in  der  Kohlen- 
öconomie  wurden  durch  die  zu  Anfang 
der  Sechziger-Jahre  beginnende  Verwen- 
dung qualitativ  minder  hoch  stehender 
Kohlensorten  erzielt.  Entsprechende 
Schulung  ermöglichte  den  Uebergang 
von  Stück-  auf  Klein-,  Förder-  und 
schliesslich  sogar  auf  Staubkohlen- 
feuerung, ohne  dass  die  Zugsleistung 
oder  Fahr  weise  eine  Einbusse  erfuhr. 
Der  Umstand,  dass  die  Locomotiven  mit 
minderwerthigem,  ja  sogar  mit  Abraum- 
material beschickt  werden  können,  die 
werthvolleren  Kohlensorten  infolgedessen 
für  die  Industrie  frei  bleiben,  bildet  eine 
nicht  zu  unterschätzende  Errungenschaft 
in  volkswirthschaftlicher  Hinsicht,  die 
herbeigeführt  zu  haben,  der  Zugförderungs- 
dienst zum  grössten  Theile  als  sein  Ver- 
dienst in  Anspruch  nehmen  kann. 

In  constructiver  Hinsicht  sind  es  vor- 
nehmlich die  rationellere  Anordnung  der 
Roste,  verbunden  mit  einer  besseren  Luft- 
zufuhr, allfällig  auch  die  die  Verbrennung 
des  Feuerungsmaterials  begünstigenden 
Einbauten  in  den  Feuerkästen  sowie  auch 
die  Blasrohr- Vorrichtungen,  die  obigen 
Erfolg  hervorbringen  halfen.  Dazu 
kommen  seit  dem  letzten  Decennium 
auch  noch  die  auf  eine  weitere  Aus- 
nützung des  Dampfes  hinzielenden  Com- 
poundsysteme,  die  von  Jahr  zu  Jahr  mehr 
Anhänger  aufzuweisen  haben. 

In  neuester  Zeit  beschäftigt  man  sich  auf 
diesem  Gebiete  auch  mit  dem  Problem  der 
Rauchverzehrun g  oder  Rauchvermeidung.*) 


♦)  Vgl.  Bd.  II,  K.  Gölsdorf,  Locomotiv- 
bau,  Seite  466  und  ff. 


Ausser  den  bereits  genannten  wurden 
vereinzelt  auch  noch  andere  Brennmate- 
rialien zur  Locomotivfeuerung  herange- 
zogen, so  Torf  und  in  neuester  Zeit  auch 
Petroleum,  welch  letzteres  wohl  nur  als 
Raffinat- Rückstand  zur  Verwendung  ge- 
langt, seines  verhältnismässig  hohen 
Brennwerthes  aber  mit  Erfolg  obigem 
Zwecke  zugeführt  werden  kann.  Die 
Liste  der  Brennmaterialien  vervollstän- 
digen die  Briquettes  mit  ihren  ver- 
schiedenen Formen  und  Bindemitteln, 
denen  stets  neue  zuwachsen. 

Die  Einbusse  an  Heizwerth,  welche 
die  anfänglich  verwendete  Coke  durch 
Nässe  erleidet,  war  Veranlassung,  dass 
die  Bahnen  der  ersten  Bauperiode  darauf 
Bedacht  nehmen  mussten,  gedeckte  Räume 
für  dieses  Brennmaterial  zu  beschaffen. 
Die  aus  dieser  Zeit  herrührenden  Material- 
schupfen, der  damaligen  Bauart  ent- 
sprechend, zumeist  aus  solidem  Mauer- 
werk aufgeführt,  erwiesen  sich  auch 
während  der  Periode  der  Holzfeuenmg 
als  zweckmässig,  da  auch  dies  Material, 
gleich  dem  hie  und  da  zur  Locomotiv- 
Feuerung  herangezogenen  Torfe,  behufs 
entsprechender  Dampfproduction  möglichst 
lufttrocken  zur  Verwendung  kommen  soll. 
Auch  der  später  benützten  Braunkohle 
kamen  diese  Materialschupfen  ge- 
legen, weil  sie  ihr  Schutz  gegen  Ver- 
witterung boten ;  erst  die  Steinkohle  konnte 
bei  ihrer  grösseren  Beständigkeit  gegen  die 
Einflüsse  von  Luft  und  Feuchtigkeit  auf 
eine  Unterbringung  in  gedeckten  Räumen 
verzichten,  die  kostspielige  Erhaltung 
solcher  Schupfen  entbehrlich  machen. 
Heute  wird  die  Kohle  zumeist  nur  mehr 
in  loser  Schüttung  auf  entsprechend  vor- 
gerichtete, besten  Falles  abgepfiasterte 
D6p6tplätze  gelagert,  die  zwecks  besserer 
Ausnützung  des  Raumes  mit  Bordwänden 
versehen  werden.  Die  Aufführung  von 
Schupfen  unterbleibt  dermalen  nahezu 
gänzlich  und  wird  grösseren  Heizwerth- 
Verlusten  beim  Locomotiv  -  Feuerungs- 
materiale  durch  eine  entsprechende  ge- 
regelte Verausgabung  des  Brennstoffes 
und  zeitgemässe  Vorrathsansammlung 
vorzubeugen  getrachtet.  Anders  verhält 
es  sich  mit  dem  in  Barrels  eingelieferten 
Petroleum,  das  die  Aufbewahrung  in  ge- 
schlossenen Räumen  nicht  entbehren  kann. 


627 


Die  Verladung  des  Brenn- 
materials auf  die  Tender  erfuhr  im 
Laufe  der  Jahre  keine  nennen swerthen 
Aenderungen  und  geschieht  heute  zumeist 
ganz  in  derselben  Weise  wie  ehedem ; 
das  Holz  wird  durch  Handreichung,  die 
Kohle  mittels  Körben  theils  direct  vom 
D^p&tplatz,  theils  von  Ladebühnen  nach 
dem  Kohlenraume  des  Tenders  gebracht, 


darunter     befindlichen    Locomotiven    zu 
bewirken  haben. 

In  den  ersten  Zeiten  des  Bahnbetriebes 
oblag  das  Schmieren  der  bewegten  Lo- 
comoti v-Best and t heile  nur  zum  Theile  dem 
Locomotiv-Personale,  da  die  Locomotiv- 
und  Tenderachslager  der  Obsorge  der  mit 
den  Zügen  fahrenden  Wagen  Schmierer 
überantwortet  waren;    letztere  ging   erst 


es  sei  denn,  dass  zu  Zeiten  regerer  Abfas- 
sung eine  directe  Verladung  der  Kohle  vom 
Wagen  nach  dem  Tender  vorgezogen  wird. 

Eine  Aenderung  ist  nur  bezüglich  der 
Ladebuhnen  in sofcrne  eingetreten,  dass 
an  Stelle  der  früher  fixen  Laderampen 
mit  Untermauerung,  der  besseren  Raum- 
ausnützung  wegen,  in  späterer  Zeit  fast 
ausnahmslos  mobile  Ladebühnen  zur 
Aufstellung  gelangten. 

Moderne  Anla<ien  für  Kohlen  Verladung 
kommen  auf  den  österreichischen  Bahnen 
nur  ganz  vereinzelt  vor;  dieselben  be- 
stehen durchwegs  aus  Kipp  -  Caissons, 
die,   von  Hand   stellbar,   das  Füllen   der 


l(  dem  wiener  Noidwcilbahnhofe. 

mit  der  Auflassung  der  ambulanten 
Wagenschmierung  an  das  Locomotiv- 
Personale  über. 

Als  Schmiermateriale  gelangte  ur- 
sprünglich für  die  Bestandtheile  des 
Triebwerkes  nur  reines  Olivenöl  zur  Ver- 
wendung, den  unter  Dampf  arbeitenden 
Theilen  wurde  meistentheils  aber  Unschlitt 
zugeführt,  während  die  Locomotiv-  und 
Tenderachslager  gleich  jenen  der  Wagen 
consistente  Wagenschmiere  erhielten.  Zu 
Ende  der  Sechziger-Jahre  erwuchs  dem 
Olivenöl  in  dem  durch  ein  entsprechendes 
Entschleimungs-  und  Entsäuerungs  -  Ver- 
fahren für  Schmierzwecke  verwendbar  ge- 
40» 


628 


Ottokar  Kazda. 


wordenen  Rüböle  ein  ernster  Concurrent, 
der  in  nicht  langer  Zeit  das  Olivenöl  und 
im  Weiteren  auch  die  Wagenschmiere  nach 
gelungener  Abdichtung  der  Lager  zu  ver- 
drängen vermochte.  In  der  Folge  eingelei- 
tete Versuche,  Mineralöle  zur  Locomotiv- 
schraierung  heranzuziehen,  scheiterten 
stets  an  dem  ungenügenden  Fettgehalt 
und  der  grossen  Dünnflüssigkeit  des 
damals  erzeugten  Materials,  so  dass  das 
Rüböl  viele  Jahre  hindurch  seinen  Platz 
behaupten  konnte.  Erst  zu  Beginn  der 
Siebziger-Jahre  gelang  es  der  Mineralöl- 
Industrie,  ein  widerstandsfähigeres  und 
schwereres  Product  in  den  Handel  zu 
bringen,  dessen  Erprobung  beim  Bahn- 
betrieb ein  günstiges  Ergebnis  lieferte. 
Die  später  ausgedehntere  Verwendung 
des  Mineralöles  endete  schliesslich  in  der 
allgemeinen  Einführung  dieses  Mittels  bei 
der  Locomotivschmierung,  zumal  diesem, 
ausser  dem  öconomischen  Moment,  auch 
in  chemischer  Hinsicht  eine  günstigere 
Einwirkung  nachgewiesen  wurde. 

In  quantitativer  Beziehung  suchte  man 
durch  Verbesserungen  an  den  Schmiervor- 
richtungen Erfolge  zu  erzielen ;  rationellere 
Ausgestaltung  der  Lagergehäuse,  bessere 
Anordnung  der  Schmierb'ehälter,  irisbe- 
sondere an  den  bewegten  Locomotiv- 
theilen  und  Anbringung  entsprechender 
Einspritzvorrichtungen  mit  handlichem, 
später  sogar  selbstthätigem  Antriebe  für 
die  unter  Dampf  arbeitenden  Theile  be- 
zeichnen die  Richtungen,  nach  welchen 
sich  die  einschlägigen  Studien  imd  Ver- 
suche bewegten.  Auch  der  Auswahl  des 
Materials  der  Gleitflächen  wurde  die 
nöthige  Aufmerksamkeit  zugewendet  und 
solcher  Art  alle  auf  den  Schmiermaterial- 
Verbrauch  Einfluss  nehmenden  Umstände 
in  den  Kreis  der  Erwägung  gezogen, 
um  ein  möglichst  öconomisches  Ergebnis 
zu  erzielen.  Dem  bewährten  Grundsatze 
folgend,  dass  an  der  Erreichung  des 
letzteren  auch  das  Locomotiv-Personale 
sich  betheiligen  muss,  schritt  man  zu 
Ende  der  Siebziger-Jahre  auch  hier  an 
die  Einführung  einer  Prämie  für  Erspar- 
nisse, die  jedoch  niemals  jene  Grenze 
überschreiten  dürfen,  wo  ein  Mehr  die 
Gefahr  vorzeitiger  Abnützung  der  be- 
wegten Theile  oder  gar  deren  Warm- 
laufen zur  Folge  hat. 


Die  ganze  Bauart  der  Locomotive 
deutet  darauf  hin,  dass  diese,  soweit 
thunlich,  mit  dem  Rauchfang  nach  vorne 
zur  Verwendung  kommen  soll ;  die  ersten 
Bahnen  waren  demnach  auch  schon  be- 
strebt, für  Anlagen  vorzusorgen,  welche 
das  Ausdrehen  der  von  der  Strecke  ein- 
laufenden Locomotiven  für  die  neue 
Fahrtrichtung  ermöglichen  sollten.  Als 
solche  gelangten  '  anfanglich  mit  kreis- 
förmiger Bedielung  versehene  Drehschei- 
ben geeigneten  Ortes  zur  Aufstellung, 
deren  Bewegung  mittels  Zahnradüber- 
setzung und  eines  für  Handbedienung 
eingerichteten  Kurbelantriebes  erfolgte. 
Mit  Durchmessern  von  etwa  8 — lo  tn 
ausgeführt,  erwiesen  sich  diese  Dreh- 
scheiben dem  Radstande  der  neueren 
Locomotiven  gegenüber  nur  zu  bald  als 
unzulänglich;  das  getrennte  Umdrehen 
von  Locomotiven  und  Tendern  half 
wohl  darüber  hinweg,  trotzdem  musste 
der  Umtausch  dieser  älteren  Dreh- 
scheiben gegen  grössere  ernstlich  in  Er- 
wägung gezogen  werden,  weil  die  Um- 
stände und  der  Zeitaufwand,  welche  mit 
dem  Abkuppeln,  zur  Seite  schieben 
und  Wiederankuppeln  der  Tender  ver- 
bunden sind,  mit  einem  geregelten  Be- 
triebe nicht  in  Einklang  zu  bringen 
waren.  Dabei  war  das  Bestreben  aber 
nicht  allein  nach  grösseren  Drehschei- 
ben, sondern  auch  nach  leichter  zu  hand- 
habenden, weniger  Kraftaufwand  be- 
nöthigenden  gerichtet,  welchen  Anfor- 
derungen erst  die  um  das  Jahr  1875  ein- 
geführten sogenannten  Balancierdreh- 
scheiben in  ausreichendem  Masse  gerecht 
zu  werden  vermochten  und  deshalb  auch 
rasch  Verbreitung  fanden. 

Ab  und  zu  wurde  auch  auf  den 
heimatlichen  Bahnen  der  Versuch  ge- 
macht, den  Stationen  eine  derartige  Ge- 
leiseanlage zu  geben,  dass  das  Umdrehen 
der  Locomotiven  in  die  neue  Fahrtrich- 
tung ohne  Drehscheibe  ermöglicht  werde ; 
doch  waren  die  Anlagekosten  und  nicht 
minder  auch  die  Betriebskosten  dieser 
Drehcurven  solche,  dass  man  selbst  im 
Falle  entsprechender,  örtlicher  Vorbedin- 
gungen, dennoch  lieber  an  den  Bau  von 
Drehscheiben  schritt. 

Ausser  dem  Ausrüsten  xmd  Umdrehen 
erfordert    die    neuerliche  Indienststellung: 


629 


Abb.  401-    Hell 


ilasc  iecrade]  auf  dem  Wiener  Central-Bahnbofc  der  StaaUelicnbabn-Geielllcbaft. 
[Nacb  elDei  OriB>aa)-Aufnabme  von  A.  SIempt.] 


der  Locomotiven,  dass  dieselben  auch 
entsprechend  gereinigt  und  gewartet 
werden,     welche    Arbeiten     am    zweck- 

mässigsten  in  den  für  die  folgende  RemU 
sirung  der  Locomotiven  bestimmten  Heiz- 
häusern vorzunehmen  sind. 

Ursprünglich  aus  schwerem  Steinbau 
ausgeführt,  weisen  diese  Heizhäuser  zwei 
Grundformen  auf,  die  älteren  gerade  und 
die  späteren  rotunden-  [Abb.  401 
und  402]  oder  segment  förmige. 
Der  Einfiuss  des  Zugförderungsdienstes 
hatte  sich  vorwiegend  dahin  zu  er- 
strecken, dass  diese  Heizhäuser  jene 
Ausgestaltung  erfuhren,  die  eine  ungehin- 
derte Locomotiv-Circulation  ermöglichte. 
Insbesonders  war  letzterer  das  übliche 
Verhältnis  der  Breiten-  und  Längen- 
dimensionen hinderlich ;  so  litten  die 
geraden  Heizhäuser,  nach  älterer  Type 
selten  mehr  als  zwei,  dafür  aber  möglichst 
lange  Geleise  umfassend,  an  dem  Uebel- 
stande,  dass  die  Verschiebutigen  inner- 
halb derselben  sehr  behindert  waren. 
Demzufolge  mussten  die  neueren  Heiz- 
häuser kürzer  und  breiter,  mehr  Geleise 
überdeckend,  ausgeführt  werden,  wasnatur- 
gemäss  die  Anwendung  grösserer  Spann- 
weiten und  das  Höherstellen  der  Dachcon- 
struction  im  Gefolge  hatte ;  durch  reich- 
lichere Verglasung  und  Anbringung  von 
Rauchabzugsschloten  wurde  fUr  entspre- 
chende Lichtzufuhr  und  ausreichendere 
Ventilation  gesorgt  und  solcherart  Innen- 
räume geschaffen,  die  von  den  früheren  tun- 
nelartigen Gängen  weit  verschieden  sind. 

Die  Rotunden -Heizhäuser  waren  in 
ihren  ersten  Ausführungen  durch  mächtige 
Zwischenmauern  in  die  einzelnen  Seg- 
mente geschieden  und  boten  deshalb 
nicht  jene  Raumausnutzung,    die    dieser 


Type  zum  Vortheile  gereicht,  so  dass 
sie  anfänglich  nur  eine  geringe  Ver- 
breitung fanden.  Erst  als  man  an  die 
Weglassung  der  Zwischenmauern  schritt, 
fand  diese  Type  mehr  Anklang;  auch 
sie  erhielt  im  Laufe  der  Zeit  jene  Aus- 
gestaltung in  Bezug  auf  Lichtzufuhr  und 
Ventilation,  die  den  geraden  Heizhäusern 
zutheil  .wurde,  um  sie  in  entsprechende 
Arbeitsräume  umzuwandeln.    [Abb.  403.] 

Die  in  früherer  Zeit  versuchte  Aus- 
führung combinirter  Heizhäuser  gera- 
der und  rotunden  artiger  Type  wurde 
des  Umstandes  wegen,  dass  derlei  Bau- 
ten wohl  die  Nachtheile  nicht  aber 
auch  die  Vortheile  der  einzelnen  Typen 
anhaften,  wieder  fallen  gelassen  und 
dafür  die  Anordnung  so  getroffen,  da.is 
die  Heizhäuser  dort,  wo  beide  Typen 
an  einem  Orte  erforderlich  werden, 
wenigstens  räumlich  getrennt  zum  Baue 
gelangen. 

Anfänglich  nur  für  die  Remisirung 
der  Locomotiven  bestimmt,  haben  die 
Heizhäuser  mit  der  Zeit  jene  Einrichtungen 
erhalten,,  die  für  den  anstandslosen  Be- 
trieb erforderlich  sind.  Mit  den  nöthigen 
Hilfsmitteln  werk  statt  lieh  er  Natur,  Ar- 
beitscanälen,  Hydranten,  allenfalls  Hebe- 
und  Versenk  Vorrichtungen  und  Abwage- 
plateaux  ausgerüstet,  ermöglichen  sie  die 
Untersuchung  und  Wartung  der  Betriebs- 
Locomotiven  sowie  die  Ausführung  laufen- 
der Instandhaltungs- Arbeiten  in  jener  ratio- 
nellen Weise,  die  vom  Standpunkte  der 
Betriebssicherheit  und  Oeconomie  bean- 
sprucht werden  muss. 

Bei  hintereinander  angeordneten  Heiz- 
häusern gelangten  mit  der  Zeit  maschinelle 
Vorrichtungen  zur  Ausführung,  welche 
das  directe  Ueberstellen  der  Locomotiven 


630 


Ottokar  Kazda. 


von  einem  Standgeleise  nach  einem  an- 
deren, seitlich  gelegenen  ermöglichen  soll- 
ten. Die  ersten  derlei  Schiebebühnen 
waren  für  Handbetrieb  eingerichtet,  der, 
wie  bei  allen  anderen  grösseren  Anlagen, 
mit  der  Zeit  dem  Dampfbetriebe  weichen 
musste,  welch  letzterer  dann  im  Weiteren 
zur  Anbringung  des  Seilbetriebes  führte, 
um  auch  das  Ueberstellen  kalter  Loco- 
motiven  zu  ermöglichen. 

Das  Reinigen  der  Locomotiven,  so- 
weit es  sich  um  das  Entfernen  der 
Brennstoff-Rückstände  handelt,  wurde 
einst  wie  jetzt  über  eigens  hiefür  be- 
stimmten Putzgruben  vorgenommen, die, 
in  gelegener  Stelle  eingebaut,  im  weite- 
ren Verlaufe  auch  mit  Deckvorrichtungen, 
unter  Anderem  sogar  mechanischer  Natur 
versehen,  die  Ablagerungen  temporär 
aufzunehmen  haben,  nur  ging  man  hier 
Kosten  halber  auch  daran,  wohlfeilere, 
dem  Zwecke  aber  noch  voll  entsprechende 
Bauherstellungen,  wie  Putzmulden, 
zur  Ausführung  zu  bringen.  Was  das 
eigentliche  Reinigen  der  Locomotiven 
anbelangt,  so  wurde  dasselbe  von  Anfang 
an  als  eines  der  Erfordernisse  für  den 
ordnungsmässigen  Betrieb  erkannt,  nicht 
so  sehr  wegen  des  äusseren  Aussehens 
der  Locomotiven,  als  vielmehr  darum, 
weil  dadurch  erst  die  unumgänglich 
nöthige Untersuchung  der  dem  Verschleisse 
und  der  Abnützung  imterliegenden  Theile 
ermöglicht  wird.  Dies  ist  auch  der  Grund, 
dass  in  Bezug  auf  die  Reinigungsarbeit 
als  solche  im  Laufe  der  Zeit  keine 
nennenswerthe  Aenderung  eingetreten 
ist;  dagegen  wurde  selbstverständlich 
von  den  neueren  Erzeugnissen  an  Putz- 
materiale  und  den  sonstigen  Fortschritten 
der  Industrie  auf  diesem  Gebiete  stets 
entsprechender  Gebrauch  gemacht. 

Was  das  Vorrichten  der  Locomotiven 
für  die  neuerliche  Indienststellung  an- 
belangt, so  war  diese  zu  Anfang  aus- 
schliesslich den  Locomotivführem  über- 
lassen, deren  Pflicht  es  war  und  auch 
heute  noch  ist,  die  ihnen  zugewiesenen 
Locomotiven  vor  und  nach  jeder  Dienst- 
leistung eingehend  zu  untersuchen,  um 
allfälligem  Schadhaftwerden  einzelner 
Bestandtheile  rechtzeitig  vorbeugen  zu 
können.  Zu  Beginn  der  Siebziger-Jahre 
ging    diese    Verpflichtung    zur    Unter- 


suchung der  Locomotiven  und 
Tender  auch  auf  die  Heizhausleitungen 
über,  indem  diese  verhalten  wurden,  die 
dem  Verschleisse  unterliegenden  Bestand- 
theile dieser  Fahrbetriebsmittel  periodisch 
einer  Revision  zu  unterziehen.  Diese 
Anordnung  besteht  bis  auf  den  heutigen 
Tag,  wo  derselben  eine  eminente  Be- 
deutung beigelegt  wird,  voll  in  Kraft. 

Für  die  Revision  der  Locomotivkessel 
und  deren  Armirung  enthielt  schon  die 
Verordnung  über  Anlage  und  Benützung 
der  Dampfkessel  vom  Jahre  1845  die 
Bestimmung,  dass  die  ersteren,  gleich  den 
stabilen,  periodisch  einer  Druckprobe  mit 
zweifachem  Drucke  zu  unterziehen  seien. 
Dieser  Probedruck  wurde  später  im  Ge- 
setzeswege etwa  auf  den  eineinhalbfachen 
reducirt,  gleichzeitig  aber  die  Verfügung 
getroffen,  dass  die  Kessel  in  wieder- 
kehrenden Zeiträumen  einer  eingehenden 
Besichtigung  und  Untersuchung  von 
aussen  und  innen  unterzogen  werden 
müssen,  welch  letztere  Massnahme, 
wie  die  Erfahnmg  lehrt,  in  Bezug  auf 
Betriebssicherheit  vom  besten  Erfolge 
begleitet  ist. 

Von  Wichtigkeit  für  den  Betrieb  und 
die  Erhaltung  der  Kessel  ist  aber  auch 
deren  Reinigung  von  Schlamm  und 
Kesselsteinablagerungen.  Anfänglich  legte 
man  diesem  Umstände  nicht  die  ihm 
gebührende  Bedeutung  bei,  bis  eine 
Reihe  von  Betriebsanständen  .diesfalls 
gebieterisch  Abhilfe  erheischte.  Nun 
erst  ging  man  daran,  das  im  Betriebe 
I  unrein  gewordene  Wasser  öfter  aus  dem 
I  Kessel  abzulassen;  doch  erwies  sich 
dies  allein  als  unzureichend,  weshalb  man 
sich  an  ein  gründliches  Auswaschen 
der  Kessel  unter  allenfalls  mechanischer 
Nachhilfe  zu  schreiten  gezwungen  sah. 
Die  folgenden  Jahre  brachten  eine  ganze 
Reihe  der  verschiedenartigsten  Anti- 
kesselstein  -  Mittel,  wie  Graphit, 
Zinkstreifen,  Sägespäne,  Kleien,  Soda  etc. 
in  den  Betrieb,  von  denen  manche  jedoch 
an  sich  allein  schon  eine  Verunreinigung 
der  Kessel  bedeuteten.  Erst  als  die  Ein- 
wirkung der  einzelnen  Zusätze  durch 
präcise  chemische  Analysen  festgestellt 
war,  konnte  unter  den  angebotenen  Gegen- 
mitteln eine  den  örtlichen  Verhältnissen. 
Rechnung    tragende    Auswahl    getroffen 


631 


und  so  mit  mehr  Erfolg  der  schädlichen 
Kesselsteinbildung     entgegen    gearbeitet 

werden. 

Die  eminenten  Vortheile,  welche  der 
rechtzeitigen  Vornahme  laufender  Er- 
haltungsarbeiten innewohnen,  lagen  zu 
sehr  am  Tage,  als  dass  nicht  von  allem 
Anfange  an  diesen  die  vollste  Aufmerk- 
samkeit zugewendet  worden  wäre;  die 
späteren  Generationen  hatten  dem  dies- 
falls gegebenen  Beispiele  nur  zu  folgen, 
um  dem  Gebote  der  Betriebssicherheit 
in    dieser    Hinsicht    Genüge   zu    leisten, 


hättnissen  angemessenen  Ausrüstung 
an  die  Locomotiven  war  eine  bemerkens- 
wert he  Besserung  gegen  den  früheren 
Bestand,  wo  jeder  Locomotivführer  das 
ihm  handlich  erscheinende  Werkzeug 
mit  sich  führte,  eingetreten,  weil  damit 
die  Mittel  gegeben  waren,  die  erforder- 
lichen Nacharbeiten  rationell  bewirken  und 
bei  Unfällen  besser  ausgerüstet  an  die 
erste  Hilfeleistung  schreiten  zu  können; 
mit  der  später  erfolgten  Dotirung  der 
Heizhausleitungen  mit  gehörig  ausge- 
rüsteten Hilfs wagen  wurden  die  Vor- 


I.  401.    Hd] 


(Nac 


ilagc  [ro 


.1  Oilgliial-A 


wobei  ihnen  die  Arbeiten  in  nicht  un- 
wesentlichem Masse  diwch  die  seither 
eingetretene  Vervollkommnung  der  Hilfs- 
mittel erleichtert  wurden. 

Trotz  weitgehender  Vorsorge  in  dieser 
Richtung  ist  es  bis  heute  nicht  gelungen, 
das  Dienstuntauglich  werden  einzelner 
Locomotiven,  Tender  oder  Wagen  wäh- 
rend des  Betriebes  aus  der  Weit  zu 
schaffen,  denn  derlei  Störungen  im  Zugs- 
verkehre kommen  leider  immer  wieder 
vor.  Durch  die  seinerzeit  erfolgte  Auf- 
stellung eigener  Bereitschafts-Loco- 
motiven  erfuhren  diese  Störungen  in 
ihrer  Dauer  wenigstens  eine  Beschrän- 
kung, zumal  in  der  Folge  sogar  be- 
stimmte Hilfsrayons  geschaffen  wurden, 
innerhalb  welcher  die  Bereitschafts- Loco- 
motiven zur  Verwendung  zu  kommen 
haben,  womit  die  Hilfeleistung  erst  eine 
entsprechende  Organisation  erhielt. 

Auch  mit  der  Zuweisung  einer  den  Ver- 


kehrungen für  die  Durchführung  an- 
fälliger Bewältigungs- Arbeiten  ganz  be- 
deutend vervollkommt  und  dadurch  die 
Möglichkeit  geboten,  das  Rettungs- 
materiale  in  un verhältnismässig  kürzerer 
Zeit  nach  der  Unfallsstelle  zu  bringen; 
hiezu  ist  auch  das  Sanitätsmateriale  zu 
rechnen,  das  einzelne  der  Bahnen  in 
eigens  hiefUr  gebauten  Sanitätswagen 
gelegentlich  eingetretener  Verletzungen 
von  Menschen  an  den  Bestimmungsort 
zu  stellen  in  der  Lage  sind. 

Zu  den  Agenden  des  ZugfÖrderungs- 
dienstes  gehört  auch  der  Wagenauf- 
sichtsdienst, die  Erhaltung  und 
Wartung  der  Wagen  während  des 
Betriebes. 

Insolange  die  letzteren  nur  im  Binnen- 
verkehre der  Eigenthumsbahn  verwendet 
wurden,  wie  dies  in  den  ersteren  Zeiten 
des  Bahnbetriebes  der  Fall  war,  wurde 
dieser  Dienst  in  seinem  damals  massigen 


632 


Ottokar  Kazda. 


Umfange  durch  die  Wagenmeister  der 
betreffenden  Betriebssectionen  versehen; 
diese  Organe  erlangten  durch  persönliche 
Ueberwachung  und  durch  die  Meldun- 
gen der  den  Zügen  beigegebenen  Wagen- 
schmierer Kenntnis  über  den  Zustand 
und  Gang  der  ihrer  Obsorge  anvertrauten 
Wagen  und  wurden  so  in  die  Lage  gesetzt, 
die  reparatursbedürftigen  den  zuständigen 
Werkstätten  überweisen  zu  können. 

Mit  der  Vermehrung  des  rollenden  Ma- 
terials, erwies  sich  dies  als  unzureichend, 
zumal  die  fortschreitende  Abnützung 
eine  öftere  Untersuchung  der  Wa- 
gen auf  ihren  betriebsfähigen  Zustand 
während  ihrer  Benützung  erforderlich 
machte.  Dies  bedingte  die  Heranziehung 
eines  geschulten  und  professionsmässig 
ausgebildeten  Personales,  weil  die  dem  ge- 
wöhnlichen Arbeiterstande  entnommenen 
Wagenschmierer  doch  nicht  genügend 
fachliche  Kenntnisse  besassen,  um  den 
Anforderungen  in  dieser  Beziehung  ent- 
sprechen zu  können.  Infolgedessen  wurden 
zu  Ende  der  Sechziger-Jahre  bereits  ge- 
schulte Schlosser  in  Stationen  mit  grösse- 
rem Wageneinlauf  und  an  den  Bahn- 
grenzen aufgestellt,  die  unter  Oberaufsicht 
der  Wagenmeister  die  einlaufenden  Wagen 
auf  ihren  Betriebszustand  zu  untersuchen 
hatten.  Diese  Revision  wurde  mit  der 
Zeit  auch  auf  die  transitirenden  Züge 
ausgedehnt  und  so  durch  die  damit 
verbundene  Aufstellung  eigener  Revisions- 
schlosser-Parti  een,  eine  Organisation  dieses 
Dienstes  geschaffen,  die  bis  heute  in 
Kraft  besteht.  Erst  in  neuester  Zeit 
kehrt  man  theilweise  wieder  zu  der  ur- 
sprünglichen Gepflogenheit  zurück,  die 
Untersuchung  der  in  Schnellzüge  einge- 
reihten Wagen  durch  beim  Zuge  befind- 
liche Organe  vornehmen  zu  lassen,  nur 
müssen  diese  im  Wagenrevisions-Dienste 
erfahrene  Schlosser  sein. 

Ausser  dieser  laufenden  Untersuchung 
sind  die  Wagen  von  Zeit  zu  Zeit  auch 
einer  eingehenderen  —  sogenannten 
periodischen  Revision  —  zu  unterziehen, 
für  deren  Vornahme-  der  vom  Wagen 
zurückgelegte  Weg  massgebend  ist,  für 
jene  Wagen,  welche  diese  Grenze  in  ab- 
sehbarer Zeit  nicht  erreichen,  ist  in  späterer 
Zeit  ein  bestimmter  Zeitraum  vorgeschrie- 
ben   worden,    nach    dessen  Ablauf  diese 


Wagen  an  die  Werkstätte  behufs  Durch- 
führung der  einschlägigen  Arbeiten  zu 
überweisen  sind. 

Der  Anschluss  an  Nachbarbahnen 
brachte  es  mit  sich,  dass  Wagen  behufs 
Vermeidung  von  Umladungen  in  gegen- 
seitigen Wechselverkehr  gelangten,  was 
in  der  Folge  zu  bindenden  Vereinbarungen 
zwischen  den  betheiligten  Bahnen  bezüg- 
lich des  gegenseitigen  Wagenüber- 
gan g  e  s  führte.  Aus  diesen  fallweise,  zu- 
meist dem  Uebereinkommen  des  norddeut- 
schen Eisenbahn- Verbandes  für  directe  Ab- 
fertigung der  Güter  nachgebildeten  Ver- 
einbarungen entstand  zu  Beginn  der  Sieb- 
ziger-Jahre eine  gemeinsame  Dienstvor- 
schrift über  gegenseitige  Wagenbenützung 
für  den  Bereich  der  österreichisch-ungari- 
schen Eisenbahn- Verwaltungen,  die  ab- 
weichend von  den  früheren  Vereinbarungen 
bereits  Bestimmungen  über  die  Behandlung 
beschädigter  Wagen  imd  deren  Wieder- 
herstellung enthielt. 

Im  Jahre  1873  wurde  obige  Dienst- 
vorschrift durch  das  geänderte  Regu- 
lativ des  Vereines  der  deutschen 
Eisenbahn- Verwaltungen  für  die 
gegenseitige  Wagenbenützung 
ersetzt,  nachdem  dieses  durch  Aufnahme 
der  Bestimmungen  für  die  Zurückweisung 
von  Wagen  wegen  specificirter  Mängel 
und  für  das  Meldeverfahren  eine  Fassung 
erhalten  hatte,  die  dem  Standpunkte  der 
Österreichischen  und  ungarischen  Bahnen 
Rechnung  trug. 

Die  grundlegenden  Bestimmungen 
dieses  Regulativs,  dass  nur  Wagen  in 
vollkommen  brauchbarem,  die  Sicherheit 
des  Verkehres  in  keiner  Weise  gefähr- 
dendem Zustande  erst  nach  gehöriger 
Untersuchung  zum  Uebergange  von  Bahn 
zu  Bahn  zuzulassen  sind  und  für  Verluste 
und  Beschädigungen  an  fremden  Wagen 
in  der  Regel  die  benützende  Bahn  ver- 
antwortlich ist,  Schäden  aber  bis  zu  einer 
bestimmten  Höhe  ohne  Ersatz  bleiben, 
bestehen  bis  heute  in  Kraft,  nur  fanden 
die  diesfälligen  Bestimmungen  dieses 
Wagen-Uebereinkommens  insofeme  eine 
Weiterung  im  Laufe  der  Zeit,  dass  auch 
die  Beladung  offener  Wagen,  die  D^s- 
infection,  das  Schmieren  der  Wagen  und 
dergleichen  mehr  in  den  Complex  der 
Normen  Aufnahme  gefunden  haben. 


633 


Das  umfassende  Gebiet  dieses 
Wagen  -Uebereinkommens  lässt 
darauf  schüessen,  welche  Aufgabe  den 
mit  der  Untersuchung  der  Wagen  be- 
trauten Zu gförderungs- Organen  aus  dem 
Uebergange  der  letzteren  von  Bahn  zu 
Bahn  erwuchs;  dieselbe  erfordert  ein 
wohl  geschultes  und  verlässJiches  Personale 
in  den  Grenz  Stationen^,  das  über  die  mass- 
gebenden Bestimmungen  und  Ober  die 
Wagentypen  der  Bahnen  genau  informirt 
sein  muss. 

Was  die  Wagenschmierung  an- 
belangt, besassen  die  ersten  Fahrbetriebs- 
mittel       der 
mit  Locomo- 
tivkraft  betrie- 
benen Eisen- 
hahnen Oester- 
reichs  gleich 
ihren     engli- 
schen      und 
deutschen 
Vorbildern 
ausschliess- 
lich   Achsla- 
ger für  steife 
Schmieren, 
welch  letztere 
aus  einem  Ge- 
rn enge      von 
Unschlitt  mit 
anderen   ani- 
malischen *""■  ■^'-  '"■""'  "■" 
oder  vegetabilischen  Fettstoffen  bestanden. 
Ein  durch  das  Lager   reichender  Schlitz 
hatte    die   Schmiere    aus    dem    oberhalb 
befindlichen  Behälter  den  Achsschenkeln 
zuzuführen. 

Der  missliche  Umstand,  dass  der 
Zulauf  der  Schmiere  erst  dann  eintrat, 
wenn  dieselbe  infolge  Erwärmung  des 
Lagers  durch  Reibung  die  nöthige  Con- 
sistenz  erhalten  hatte,  war,  abgesehen 
von  der  bedeutenden  Inanspruchnahme 
der  Zugkraft,  eine  stete  Quelle  für 
Betriebsstörungen,  und,  gleich  der 
schwierigen  Erzeugung  einer  ordent- 
lichen Schmiere,  Veranlassung,  dass  die 
Bahnen  auf  eine  entsprechendere  Aus- 
gestaltung der  Achsbüchsen  Bedacht 
nahmen.  Aus  der  langen  Reihe  der 
diesfälligen  Versuche  kann  geschlossen 
werden,    dass  die  damals  massgebenden 


Kreise    dieser   Aufgabe    intensivste  Auf- 
merksamkeit zuwendeten,  bis  endlich  die 
angestrebte    Lösung    gefunden    wurde.*) 
Diese  bestand  in  einem  gut  abdichtenden 
Lagergehäuse     mit     Wollstopfung,      be- 
ziehungsweise Schmierpolster  und  Nach- 
fÜUungvon  oben  ;  damit  kam  aber  auch  die 
Oelschmierung  zum  Durchbruche,  die  bis 
auf  den  heutigen  Tag  das  Feld  behauptet. 
Anfänglich  wurde  an  Stelle  der  steifen 
Schmiere    das    an  der  Luft    wenig    ver- 
änderliche,    gleichzeitig    aber    eine    be- 
deutende   Schmierfähigkeit    aufweisende 
Baumöl    zu  Schmierzwecken    verwendet, 
bis  dieses  in 
der        Folge 
durch        das 
wohlfeilere 
R  üb  Schmier- 
öl  verdrängt 

Zu  An- 
fang der  Sieb- 
ziger-Jahre 
erwies  sich 
ein  aus  De- 
stillatrück- 
ständen er- 
zeugtes Mine- 
ral-Schmieröl 
für  die  Wa- 
genschmie- 
rung als  ver- 
«"■■■-»■""■"•■  wendbar.den, 

die  österreichischen  Bahnen  als  die  ersten 
Eingang  gewährten.  Seither  hat  die 
Mineralöl-Industrie  ihre  Producte  derart 
concurrenzfähig  zu  machen  gewusst,  dass 
seit  Längerem  das  Mineralöl  nahezu  aus- 
schliesslich auch  die  Wagenschmierung 
beherrscht. 

Den  österreichischen  Bahnen  gebührt 
auf  dem  Gebiete  der  Wagenschraierung 
aber  auch  das  weitere  Verdienst,  zuerst 
auf  die  Vortheile  einer  periodischen 
Schmierung  der  Wagen  verfallen  zu 
sein.  Schon  zu  Ende  der  Sechziger-Jahre  . 
wurden  die  Züge  der  heimischen  Bahnen 
nicht  mehr,  wie  vordem  üblich,  von 
Wagenschmicrern  begleitet,  die  das  Nach- 
füllen der  Schmierbehälter  vor  und  wäh- 
rend   der    Fahrt    zu     besorgen     hatten, 

•)  Vgl  Bd.  II,  J.  v.  O  w,  Wagenbau,  S.  503. 


634 


Ottokar  Kazda. 


sondern  die  Wagen  in  bestimmten 
Stationen  nachgeschmiert.  Die  reich- 
lichere Dimensionining  der  Oellager  ge- 
stattete auf  diesem  Wege  noch  weiter 
zu  gehen,  und  das  Nachfüllen  der  Lager 
in  bestimmten  Terminen  vorzunehmen  — 
die  Wagen  periodisch  zu  schmieren  — 
was  in  Bezug  auf  Oeconomle  und  Ver- 
lässlichkeit  von  solchem  'Erfolge  war, 
dass  in  nicht  langer  Zeit  auch  die  aus- 
ländischen Bahnen  diesem  Beispielelbigten. 

In  der  letzt  verflossenen  Epoche  fällt 
dem  Zugfürderungsdignste  auch  noch  die 
Beheizung  der  Wagen  während  der 
Kältemonate  zu,  dort  nämlich,  wo  selbe 
mittels  Dampf  zu  erfolgen  hat. 

Die  Abstellung  betriebsunfähig  wer- 
dender Fahrzeuge  an  die  zur  Reparatur- 
vornahme berufenen  Werkstätten  und 
die  Erprobung  erste rer  nach  bewirkter 
Reparatur  gehören  mit  zu  den  Pflichten 
der  Heizhausleitungen,  in  deren  speciellem 
Interesse  es  liegen  muss,  den  Betriebszu- 
stand der  ihnen  zugewiesenen  Fahrbetriebs- 
mittel in  gewährleistender  Weise  sicher- 
gestellt zu  wissen,  und  im  Vertrauen  auf 
diesen  die  Deckung  der  von  Seite  des 
Verkehrsdienstes  angesprochenen  Erfor- 
dernisse an  Locomotiven  und  Personale 
vornehmen  zu  können. 

Abgesehen  von  dem  ursprünglich  auf- 
gestellten Grundsatze,  dass  die  Loco- 
motivführer  bei  den  ihnen  zugewiesenen 
Locomotiven  ein  für  allemal  zu  verbleiben 
haben,  wurde  ein  Personal  Wechsel  wäh- 
rend der  Verwendungsdauer  der  Loco- 
motiven   zwischen    je    zwei    aufeinander 


folgenden  Reparatur- Ein  Stellungen  immer- 
hin als  schädlich  angesehen,  und  von  der 
ursprünglichen  Diensteintheilung  nur  in 
unvermeidlichen  Fällen  abgewichen.  Erst 
gegen  das  Ende  der  Sechziger  -  Jahre 
schritten  einzelne  der  Bahnen  mangels 
ausreichenden  Loco  motivstand  es  gezwun- 
gen daran,  die  Locomotiven  gewisser 
Dienstgruppen,  vomehmUch  beim  Ver- 
schubdienste,  doppelt,  das  heisst  mit  ein- 
ander ablösendem  Personale  zu  besetzen. 

Die  immer  mehr  zum  Durchbruch 
kommende  Tendenz,  das  rollende  Mate- 
riale  bis  an  die  Grenze  des  Zulässigen 
auszunutzen,  filhrte  in  den  Achtziger- 
Jahren  dazu,  einzelne  Locomotiven  oder 
Gruppen  sogar  mehrfach  zu  besetzen, 
um  selbe  unbehindert  durch  das  Ruhe- 
bedürfnis des  Personales  so  lange  als 
möglich  im  Dienste  zu  erhalten,  eine 
Massnahme,  die  bei  günstigen  Vorbedin- 
gungen von  bestem  Erfolge  begleitet  ist. 

Nebst  all  den  vorerwähnten,  den 
Zugförderungsdienst  so  ziemlich  um- 
fassenden Agenden,  obliegt  letzterem 
Dienstzweige  auch  noch  die  technische 
U  eher  wachung,  zum  Theile  auch  die 
BetriebsfOhrung  der  meisten  anderen 
maschinellen  Bahnanlagen,  speciell  solcher, 
deren  Instandhaltung  eine  umfassendere 
technische  Ausbildung  erfordert;  letzterer 
ist  es  auch  zu  danken,  dass  der  Zug- 
förderungsdienst  auf  jene  Höhe  ge- 
bracht wurde,  deren  wir  uns  heute  er- 
freuen, und  die  zu  erhalten  und  weiter 
auszubauen,  den  Zugförderungs- Organen 
zur  Pflicht  erwächst.